Spaß mit dem Arbeitsamt von kguenay
Hinweise zur Geschichte:
Diese Geschichte habe ich erstmals im September 2004 auf meiner eigenen Homepage, www.kguenay.de.ms, veröffentlicht. Die Website gibt es aber nicht mehr.
Diese Vorkommnisse sind tatsächlich so passiert, was die Geschichte irgendwie noch gruseliger macht.
Kapitel 1 von kguenay

Immer wieder sag ich es zu meinen Freunden, und immer wieder wird mir nicht geglaubt: Wuppertal ist die behindertenfeindlichste Stadt in Deutschland, die mir je untergekommen ist.

Kiosk-, Kaufhaus- und Supermarktverkäufer ziehen mich über den Tisch oder verkaufen mir alte Ware, wie in einem Fall mit einem Bäcker, wo ich alte brödchen, statt der dort liegenden frischen bekam. Naja, nur fast, weil eine Kundin, die hinter mir stand, es gemerkt und auch was gesagt hat. Scheiße für den Bäcker, sehr gut für mich. Und dann gibt es da die Leute, die Rolltreppen reparieren, mich anschreien, weil ich das nicht gesehen habe, und dann fragen die noch so blöd, warum ich denn alleine raus gehen würde. Nette Stadt, nicht? Und dann gibt es da die Behörden, vielmehr die Beamten darinnen, die zwar "persönlich vollstes Verständnis" für meine Lage haben, aber dennoch meinen, daß sie mir beim Ausfüllen von Formularen nicht helfen dürften. "Datenschutz und so", ist dann die Begründung.

Aber mein heutiges Erlebnis schlägt doch alles Bisherige in den Schatten. Denn, was fällt mir blödem Blinden auch ein, war ich heute im Arbeitsamt, schuldigung, heißt ja jetzt Bundesagentur für Arbeit, um meinen ALG 2 Antrag ausfüllen zu lassen. Bundesagentur für Arbeit, als wenn alles schöner würde, nur, weil man jetzt so einen coolen Namen hat.

Punkt 14:30 Uhr, wie telefonisch vereinbart, marschiere ich also mit dunkelen Ahnungen in dieses Büro. Dunkele Ahnungen, weil ich ja weiß, wie Wuppertaler Beamte bezüglich Blinden und dem Ausfüllen von Anträgen so drauf sind. Und ich sollte nicht enttäuscht werden, nein, ich sollte sogar überwältigt werden. Überwältigt, wie sehr ich mich in der Boshaftigkeit von Wuppertalern geirrt hatte, denn es geht noch viel schlimmer, als ich mir vorstellen konnte.

Darauf angesprochen, daß ich den Antrag ja wohl kaum ausfüllen könne, sondern Hilfe dafür brauche, weil ich ja nicht sehen könne, brach eine Demütigungsprozedur über mich herein, die ich so in meinem ganzen bisher 30 jährigen Leben noch nicht erlebt hatte. Es sei ja wohl eine Zumutung, von der Beamtin zu verlangen, mir einen 16 seitigen Antrag vorzulesen. Selbst Gehörlose, die bei ihr schon des öfteren gewesen seien, hätten ihre Dolmetscher dabei gehabt. "Haben Sie denn keinen Dolmetscher, der Ihnen das übersetzt?", fragte sie mich erstaunt. Dolmetscher? Echt? Gibt es so was für Druckschrift in Blindenschrift? Oder meint die, ich als Türke würde sie nicht verstehen? Komisch, aber da komme ich echt nicht mehr mit. Soweit mir bewußt ist, spreche und schreibe ich eigentlich ein gutes Deutsch, oder was würden du sagen, der du lesen an die Bildschirm? ;-)

Stolz darüber, daß ich mich in der Gesetzeslage ein kleinwenig auskenne, erzählte ich ihr dann von dem Landesgleichstellungsgesetz für Behinderte in Nordrhein Westfalen. Da steht nämlich drin, ich zitiere: § 9.1 Die in § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 genannten Träger öffentlicher Belange haben bei der Gestaltung von schriftlichen Bescheiden, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtlichen Verträgen, Vordrucken und amtlichen Informationen die besonderen Belange betroffener Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen. Blinde und sehbehinderte Menschen können insbesondere verlangen, daß ihnen Bescheide, Vordrucke und amtliche Informationen kostenlos auch in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden, soweit dies zur Wahrnehmung eigener Rechte im Verwaltungsverfahren erforderlich ist.

Also, in Blindenschrift oder elektronisch gab es den Antrag schon mal nicht, so daß ich ihn nicht ausfüllen kann. Aber da war doch was mit "Mündlich"? Ich zitiere § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Zugänglichmachung von Dokumenten für Blinde und Sehbehinderte nach dem Gleichstellungsgesetz NRW: Die Dokumente können den Berechtigten schriftlich, elektronisch, akustisch, mündlich oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht werden.

Das schließt doch eindeutig ein, daß die Beamte mir den Antrag vorlesen kann und ihn auch für mich ausfüllen kann, oder hab ich da jetzt was falsch verstanden? Sie war jedenfalls der festen Überzeugung, daß sie nicht im mindesten dafür zuständig sei, ob mir ein Dokument zugänglich gemacht wird, oder nicht. Dafür hätte ich mit Assistenz selbst zu sorgen. Hm? Ich versuche, nun mittlerweile etwas erzürnt, ihr die Bedeutung des Gleichstellungsgesetzes im Allgemeinen und § 9 im besonderen zu erklären. Hierauf verließ sie für etwa 5 Minuten das Zimmer. Und als sie wiederkam, ging die größte Erniedrigung über mich her, an die ich mich überhaupt erinnern kann.

"Wir müssen einen neuen Termin vereinbaren, weil ich in 30 Minuten nicht mit Ihnen 16 Seiten Antrag durchgehen kann.", sagte sie. Hm?!!! Für mich sind doch alle 16 Seiten gar nicht von Nöten. Ich muß den Bereich über Arbeitsbescheinigung und so einen Quatsch gar nicht ausfüllen. Aber egal, so genau nehme ich es dann mal nicht. Jedenfalls setzte sie sich per Telefon mit einer Mitarbeiterin in Verbindung, um mir einen neuen Termin zu machen.

"Der Herr Günay ist blind, was ich ja sehr schade finde, weil mich das immer so berührt", ging es los. Ein etwas mitleidiges Grinsen konnte ich mir dann doch nicht verkneifen. "Er kann den Antrag nicht selbst ausfüllen, ich werde es tun, weil herr Günay ja keinen Betreuer hat, der ihm das erledigt." Betreuer?!!! ICH?!!!! Ich, ein selbstständiger Mensch, der höchst mobil ist und sehr zufrieden mit seiner Situation, also ich soll einen Betreuer brauchen? Frage 1: Wer soll den zahlen? Frage 2: Warum geht diese Frau so selbstverständlich davon aus, jeder Blinde hätte einen Betreuer?

"Ich frage mich ja auch", so fuhr sie dann fort, "warum er keine Angehörigen hat, die für ihn da sind." Welch bemitleidenswertes Wesen, der ich in dieser kalten Welt mein Dasein friste, ohne menschlich Freud und des Augen Lichte. ;-) "Und warum kümmert sich nicht seine Mutti um ihn?" Wenn ich jetzt eine 45er besessen hätte, sie wäre jetzt tot und die Menschheit von einem Übel befreit. Wo bleibt Bush, wenn die Menschen so sehr unterdrückt werden? Ach ja, hab ja kein Öl! ;-)

"Ich denke, 1,5 Stunden sollten reichen." Boah, ist die langsam! Ich habe eine Menge blinder Freunde, die einheitlich von maximal 45 Minuten reden. Aber, wir sind ja in Wuppertal, und da dauert halt alles etwas länger.

Zähneknirschend schreibe ich mir den neuen Termin in meinen Communicator, was sie veranlaßt, zu fragen, wie ich denn damit umgehen könne, aber keinen Antrag ausfüllen könne? "Nun", sage ich langsam und gedehnt, "der Antrag kann leider nicht so schön sprechen, wie mein Mobiltelefon, es sei denn, sie würden ihm eine Stimme verleihen".

Auf der Busfahrt nach Hause denke ich darüber nach, was sie wohl gemeint haben könnte, als sie mir sagte, am neuen Termin seien dann auch noch mehrere andere Personen zugegen, damit auch ja alles richtig laufe. Hm? Traut sie mir etwa zu, ich hätte eine 45er unter der Jacke? Immerhin, Muslim bin ich ja. ;-) Aber die verwenden in der Regel Bomben, und da nutzt ihre Verstärkung auch nix mehr. ;-) Wo bleibt eigentlich das zivilrechtliche Antidiskriminierungsgesetz, wenn man es am dringendsten braucht?

Eines weiß ich mit Sicherheit: Wenn beim nächsten Termin wieder so was passiert, wird das in einem Gerichtssaal enden. Was denkt die sich eigentlich? Daß man das Gesetz erfunden hat, weil es halt so schön ist? Wollen doch mal sehen ...! Jedenfalls berichte ich weiter aus Wuppertal, wo man als behinderter bestenfalls dafür nutzt, um einer sündenvollen Gesellschaft die Gelegenheit zu geben, was gutes zu tun, auch, wenn es nur geheuchelt ist. Aber, wenn man in den Himmel will, hilft man, auch gegen seine Überzeugungen, einem Behinderten.



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