Reitstunde mit Huch-Effekt von Visitor
Kapitel 1: Eine unerwartete Begegnung von Visitor

 

Ich war in meinem Geburtsjahrhundert, dem 21. Gemeinsam mit meinem Vater in unserem Familienauto unterwegs zu jenem Reiterhof, auf dem ich seit kurzer Zeit Unterricht bekam. Es war ein ganz normaler Sommertag und ich ahnte noch nicht, was bald passieren würde. Wenn ich allerdings das Verhalten von Mausi, ja, so wurde das Pferd, auf dem ich unterrichtet wurde und das meiner Lehrerin gehörte, tatsächlich gerufen, richtig eingeordnet hätte, dann hätte ich eigentlich längst drauf kommen müssen, dass hier etwas Gewaltiges im Busch war. Etwas, von dem aber weder mein Vater, noch meine Lehrerin wirklich wissen durften.

Wir hatten Mausi also aus der Box geführt, geputzt und gesattelt, wie wir es eigentlich jedes Mal taten. Uns war aber sofort aufgefallen, wie unruhig sie heute war. Das brachte meine Lehrerin dazu, mir vorzuschlagen: „Ich nehme sie erst mal an den Strick. Heute lasse ich dich so nicht allein zum Platz reiten. Wenn sie sich nicht beruhigt, muss ich dich an die Longe nehmen. Ich weiß auch nicht, was sie hat. So kenne ich sie gar nicht.“ „Ist schon OK.“, stimmte ich schnell zu, um sie nicht merken zu lassen, dass ich längst eins und eins zusammengezählt hatte. Aber von dem Ergebnis meiner Berechnungen durfte ich ihr auf keinen Fall erzählen! Ich konnte mir denken, was Mausi gespürt hatte, aber ich durfte ihr ja nicht erzählen, dass die seit ca. zwei Tagen durch die Nachrichten und Zeitungen geisternde Story von einem merkwürdigen wilden Fohlen, dass sich in den Wäldern aufhalten sollte und das ein Horn wie ein Einhorn auf der Stirn tragen sollte, tatsächlich der Wahrheit entsprach. Lycira, meinem Schiff, das immer hinter dem Mond getarnt auf mich wartete, hatte ich heimlich per Sprechgerät den Befehl erteilt, die Wälder rund um meinen Heimatort zu scannen und nach den Biozeichen eines Einhorns oder eines Mischlings zwischen Pferd und Einhorn zu suchen. Sie war tatsächlich fündig geworden und das hatte mich in Alarmbereitschaft versetzt. Zumal Lycira mir gesagt hatte, dass sie zwar nicht das Biozeichen eines reinen Einhorns, wohl aber das eines hybriden Wesens gesehen habe. Diese Möglichkeit hatte ich in Betracht gezogen, weil der Hengst aus der Herde der Einhörner im Dunklen Imperium das schon einmal gemacht hatte. Er hatte sich mit Kipana, Logars Lieblingsstute, eingelassen und die Beiden hatten ein männliches Halbblutfohlen gezeugt. Lyciras Informationen nach war genau das jetzt wieder passiert. Dieses Mal allerdings war es ein Mädchen. Nur, wie war das Fohlen in meine Heimat gekommen? Mir war klar, dass es hier nicht bleiben konnte, denn seine Anwesenheit könnte die Zeitlinie kontaminieren. So viel stand für mich, als ausgebildete Offizierin der Sternenflotte, sofort fest. Ich hatte sogar dem Oberkommando alles gemeldet. Hierzu hatte mich Lycira zunächst mit meinem Commander verbunden, der ich alles gesagt hatte. Commander Kissara hatte sich zwar auch nicht erklären können, warum der Hengst der Einhörner schon wieder mit Kipana, einer sterblichen Stute, Nachwuchs gezeugt hatte, aber das war ein Rätsel, vor dem alle standen. Nicht nur die Wissenschaft der Föderation. Auch die Mächtigen, die unsere politischen Alliierten waren, konnten uns diese Frage nicht beantworten. Logar hatte nur zugegeben, dass das Fohlen von Sytania ins 21. Jahrhundert geschickt worden war, mehr aber auch nicht. Seine Entführung würde ihr den Vorteil verschaffen, dass sie eine gewisse Chance hätte, das Fohlen durch unsere vergleichsweise primitiven Waffen sterben zu sehen. Die Leute im 21. Jahrhundert schossen ja immer noch gern auf alles, was sie nicht verstanden. Außerdem waren die Kräfte des Einhorns noch nicht ausgereift und in wie weit es sie überhaupt geerbt hatte, war schließlich auch nicht klar. Es hatte sich also so oder so nicht gegen seine Entführung durch Sytania wehren können und seine Mutter hatte es schon gar nicht retten können. Argus, Logars treuer Stallbursche, war nur durch Kipanas Verhalten auf das Problem aufmerksam geworden. Er hatte beobachtet, wie unruhig sie hin und her gelaufen war. Dies hatte er Logar, seinem Herrn, gemeldet und der Mächtige hatte seine seherischen Fähigkeiten eingesetzt und das Fohlen in meinem Heimatjahrhundert lokalisiert. Auch die Schuldige war schnell gefunden. „Sytania!“, hatte Logar mit viel Ekel in der Stimme ausgerufen. „Oh diese Frevlerin! Aber wir müssen es geschickt anstellen, Argus. Wenn ich meine Kräfte benutze, um es zurückzuholen, wird Sytania das wissen und Gegenmaßnahmen einleiten. Das telepathische Gezerre könnte es töten!“ „Warum lasst Ihr Euch nicht von Euren sterblichen Freunden von der Föderation helfen, Majestät?!“, hatte der Stallbursche listig gefragt. „Sytania wird nicht so schnell auf sie kommen, weil sie für sie ja nicht mehr sind als Fliegen an der Wand. Sie reagiert im Allgemeinen erst dann, wenn es fast zu spät ist auf ihre Schliche.“ „Sehr gut, Argus!“, sagte der König stolz und stieg sogar von seinem Thron herab, um Argus anerkennend auf die Schulter zu klopfen. „Und jetzt gehst du in die Garnison meiner Vendar und schickst nach Iranach. Sie soll mir ein Sprechgerät bringen und mich in dessen Bedienung einweisen, damit ich Präsidentin Nugura von der Föderation auf eine Weise um Hilfe bitten kann, mit der meine ruchlose Tochter auf keinen Fall rechnen wird! Es wird keine telepathische Kommunikation zwischen Nugura und mir geben. Keine! Darauf kann Sytania warten, bis sie schwarz wird!“ „Aber damit, dass Ihr in ihren Augen primitive Technologie benutzt, wird sie nicht rechnen.“ Verstand das über beide Ohren strahlende Kind. „Du hast es erfasst!“, sagte Logar. „Und nun rasch!“ „Ja, Milord.“, nickte Argus und war aus dem Thronsaal verschwunden.

Tatsächlich hatte er Iranach bald gefunden. Sie exerzierte gerade mit einigen ihrer Soldaten auf dem Schlossplatz. Ihr erzählte er jetzt den gesamten Plan. „Ich bin einverstanden, Argus.“, sagte die Vendar. „Bitte bring mich zu Logar. Dieser Frevel muss gesühnt werden! Sytania darf damit nicht durchkommen!“ Sie gab ihrem Stellvertreter die Befehlsgewalt und folgte Argus dann in den Thronsaal zurück. So war es dazu gekommen, dass ich ausdrücklichen Befehl erhalten hatte, das Einhorn zu finden und es, notfalls auch mit Lycira, wieder unversehrt zurück in seine Heimat zu verbringen. Man würde mir zwar ein Team zur Unterstützung schicken, die Vorbereitungen für „Operation Heimkehr“ würde ich aber allein treffen müssen. Schließlich war ich diejenige, die sich hier am besten auskannte.

Inzwischen hatte ich es geschafft, Mausi einigermaßen zu beruhigen. Sie vertraute mir und wenn ich ihr sagte, dass alles gut war, nahm sie mir das auch erst einmal ab.

Wir hatten gerade mit der Warmreitephase aufgehört, als es passierte. Mausi zuckte zusammen und blieb aber stehen. Sie musste etwas gesehen haben. Unbewusst hatten wir ihr das so beigebracht, denn wir hatten, wenn immer mir etwas unklar war, angehalten, damit meine Lehrerin es mir in Ruhe erklären konnte. Auch Mausi zeigte mir so an, wenn ihr etwas unklar war. Das hatte ich schon herausgefunden. „Was ist?!“, motivierte ich sie, mir mit weiteren Verhaltensänderungen zu zeigen, was sie störte. Ich wusste, dass sie zum Beispiel, wenn wir vor dem Zaun standen, ihre Nase darauf legte, was ich über die Zügel mitbekam. „Zeig’s mir, Dicke! Zeig’s mir!“, sagte ich. Die Tatsache, dass Mausi nicht ihrem Fluchtinstinkt nachgab, zeigte mir, wie tief ihr Vertrauen zu mir war.

Ich rief nach meiner Reitlehrerin, denn ich dachte, sie hätte Mausi immer noch am Strick. Aber das stimmte nicht. Es gab zwar jemanden, die Mausi hielt, aber das war nicht mehr sie. Viel mehr war es die Inhaberin der Stimme, die in ruhigem akzentfreien Englisch zu mir sagte: „Es ist alles gut, Allrounder.“ „Agent Sedrin?!“, erwiderte ich erschrocken. „Exakt.“, sagte die Demetanerin. Im gleichen Moment nahm ich das Lebensende eines größeren Pferdeleckerchens wahr, das krachend in Mausis Maul zwischen ihren Mahlzähnen zerbarst und dann schmatzend seiner Wege hinunter in die Katakomben des Verdauungssystems geschickt wurde. Spätestens jetzt war mir klar, warum Mausi dieser ihr fremden Frau auf Anhieb vertraut hatte und nicht versucht hatte, vor ihr zu fliehen. „Sagen Sie ihr, dass wir gehen wollen, Betsy.“, wies mich Sedrin an. „Sie wird auf mich nicht hören, weil sie mich nicht kennt. Außerdem kennt sie sicher nur deutsche Kommandos.“ Ich nickte und sagte leise, aber bestimmt: „Mausi, Scheritt!“ Sie setzte sich in Bewegung. An ihrer Körperspannung konnte ich aber ablesen, wie hin und her gerissen sie war. „Ist gut.“, sagte ich ruhig und lobte, da sie ruhig und langsam hinter Sedrin herging: „Feine Maus!“ „Ich kann ihre Verwirrung nachvollziehen, Betsy.“, sagte Sedrin, die, als Tochter eines Farmers, auch einiges von Tierverhalten verstand. „Für ein Tier wie sie muss die Situation sehr verwirrend sein. Ich finde, es grenzt an ein Wunder, dass sie so gut mitspielt.“ „Sie vertraut mir, Agent!“, gab ich nicht wenig stolz zurück. „Oh ja.“, bestätigte Sedrin. „Das tut sie und dieses Vertrauen werden wir auch dringend benötigen. Halten Sie an in drei, zwei, eins!“ Ich nahm befehlsgemäß die Zügel auf und sagte: „Hoh, steh, Mausi.“ Mausi folgte auch dieser Aufforderung.

Sedrin legte den Strick über Mausis Hals. Dann sagte sie: „Ich bin nicht allein gekommen.“, drehte sich um und rief: „Illiane!“ Gleich darauf hörte ich es im Gebüsch rascheln und jemand trat an Mausi und mich heran. Dann griff eine zierliche Hand nach dem Strick. „Tauschen Sie sich aus!“, sagte Sedrin. „Ich gehe unsere Pferde hohlen.“ Dann war sie fort.

Erstaunt harrte ich der Dinge, die da kommen würden. Dann wurde ich von der Frau in Sedrins Begleitung angesprochen: „Hi, Betsy.“ „Illiane?!“, fragte ich erstaunt. „Ich dachte, du bist …“ „Das stimmt auch.“, sagte sie. „Aber sagen wir mal so. Meine Verwandtschaft hat mir Ausgang gewährt, damit ich mit euch diese Mission ausführen kann. Sie haben mir einen Körper gegeben, der dem bis aufs Haar gleicht, mit dem ich geboren wurde.“ „Die Quellenwesen haben also auch ein Interesse daran, dass das Fohlen nach Hause kommt.“, schloss ich aus ihren Worten. „Verständlich, wenn das Ganze was mit dem Gleichgewicht der Kräfte in den Dimensionen zu tun hat.“

Sie wich erschrocken einige Schritte zurück. „Woher weißt du das mit den Quellenwesen?!“, fragte sie. „Das war mehr als offensichtlich.“, antwortete ich. „Der Agent hätte nicht allen nach der Mission der Eclypse einen dermaßen heftigen Maulkorb verpasst, wenn an den Gerüchten über dich nicht mindestens etwas dran wäre. Aber durch dein Geständnis ist es jetzt ja amtlich. Auch du bist ein Quellenwesen, Illiane St. John!“

Ich hörte das Trappeln von Hufen. Jemand kam angeritten und führte ein zweites Pferd mit sich. Das konnte ich aus den Geräuschen schließen. Dann hörte ich Sedrin sagen: „Ich hoffe, Sie können Mausi eine Weile allein kontrollieren. Ich muss Illiane helfen. Wir werden die Aufsteigehilfe benutzen, die dort steht. Dann stoßen wir zu Ihnen. Illiane, folgen Sie mir einfach.“ Die Angesprochene nickte und legte den Strick wieder über Mausis Hals. Dann ging sie hinter Sedrin und den Pferden her, um wenig später ebenfalls hoch zu Ross gemeinsam mit ihr zurückzukehren. „Ich nehme an, du bist keine Anfängerin mehr, Illiane.“, sagte ich, die den gleichen Rang wie sie bekleidete, sie also durchaus duzen konnte. „Die Quellenwesen werden dir sicher alle Kenntnisse gegeben haben, die du für diese Mission brauchst.“ Illiane gab einen bestätigenden Laut von sich. „Woher wissen Sie das?!“, fragte Sedrin ernst. „Sie ist zu intelligent, Agent.“, nahm mich Illiane in Schutz. „Sie musste es herausfinden. Der Maulkorb bringt gegenüber ihr nichts. Ich brauchte gar nichts zu sagen. Aber lügen wäre eh zwecklos gewesen.“ „Also schön.“, sagte Sedrin schließlich. „Aber zu niemandem sonst ein Wort, Allrounder Scott! Das ist ein Befehl!“ „Aye, Agent!“, sagte ich. „Und nun wollen wir los!“, forderte sie mich auf und nahm den Strick wieder von Mausis Hals. Ich wiederholte das gleiche deutsche Kommando, das ich Mausi schon einmal gegeben hatte und wieder ging sie brav vorwärts. So verließen wir den Hof in Richtung Straße.

Von dem Ganzen hatten Sytania und Telzan nichts mitbekommen, wie Logar schon richtig angenommen hatte. Zu sehr waren beide im Schloss der Prinzessin mit dem Feiern ihres neuesten Coups beschäftigt. „Euch ist da wirklich ein Meisterstück gelungen, Milady!“, freute sich der Vendar und stieß mit seiner Herrin an. „Oh ja.“, bestätigte die Mächtige. „Jedenfalls werde ich die nächste Generation der Einhörner gehörig traumatisieren können, wenn ich genauso mit allen anderen vorgehe, die sonst noch als Mischlinge und somit außerhalb der für sie doch ach so schützenden Herde ihres Vaters gezeugt und geboren werden. Sie alle werde ich in Zeiten und auf Planeten schicken, wo sie entweder als Fleisch, oder als Geist enden, den man jagen und vernichten muss. Spüren werden sie ja, dass ich daran schuld bin, aber sie werden nichts tun können. Das wird sich in ihrem Gedächtnis als Verknüpfung in der Weise festsetzen, dass das Benutzen übernatürlicher Kräfte nur in einer Katastrophe enden kann und sie werden sich das dann auch im Erwachsenenalter, sollten sie dies überhaupt erreichen, nicht trauen. Das bedeutet, ich habe freie Bahn. Sie werden mir nicht mehr dazwischenfunken, was immer ich auch tue.“ Telzan grinste böse. Dann sagte er: „Ich habe eine Idee, Herrin. Warum schickt Ihr das Nächste dann nicht in die Vergangenheit des Heimatplaneten der Klingonen. Sie haben doch alles gejagt, das man ihrer Meinung nach essen kann und sie verspeisen ihre Beute gern lebend. Das bedeutet, das Fohlen dürfte jeden Schmerz spüren, wenn so ein Krieger ein Stück aus ihm herausschneidet. Wenn es dann noch die telepathischen Fähigkeiten seines Vaters geerbt hat, wird es um Hilfe rufen. Vielleicht hört das ja sogar seine sterbliche Mutter. Kipana wird wahnsinnig werden und das ist ihr Tod. Ein verrücktes Schlachtross kann Euer Vater nicht gebrauchen und das wäre ihr Tod. Das wiederum dürfte Logar richtig fertig machen, so sehr, wie er an ihr hängt. Aber auch der Vater und die Herde der Einhörner werden sich nicht einmischen, weil sie viel zu sehr auf das Gleichgewicht der Kräfte in den Dimensionen bedacht sind. Zu viele Zeitlinien würden kontaminiert. Das werden sie nicht zulassen und bis sie einen Weg gefunden haben, der für alle am angenehmsten ist …“

Sytania schlug sich auf die Schenkel und lachte gemein: „Oh du bist so teuflisch wundervoll, mein guter Telzan! So richtig schön durchtrieben, bösartig und gemein! Ich werde dem Verräter Joran nicht länger hinterhertrauern. Schließlich habe ich ja jetzt dich und damit einen viel besseren Tausch gemacht. Genauso werde ich es machen! Nur, mein Vater wird wohl kaum zulassen, dass ich die Geschicke an seinem Hof mit meinen seherischen Kräften …“ „Das müsst Ihr auch nicht.“, beruhigte sie Telzan. „Dafür habe ich ja unter seinen Vendar meine Spione.“ „Oh ja.“, sagte Sytania und atmete erleichtert auf. „Und das ist auch sehr gut so. So kommen wir durch die Hintertür. Etwas, das mein Vater wohl am wenigsten erwarten dürfte. Auf meine telepathische Einmischung kann er warten, bis er schwarz wird! Die wird es nämlich nicht geben.“ Sie kicherte hexenartig.

Eine kleinere Gestalt schob sich hinter einer Säule hervor. Es war ein Vendar-Novize mit braunem kurzem Jugendfell. Er trug die übliche Uniform eines Novizen und maß ca. 1,70 m, was für einen männlichen Vendar unterdurchschnittlich klein war. Aber er war ja noch sehr jung mit seinen 13 Jahren und wuchs sicher noch. Er war von drahtiger Statur.

Vorsichtig trat er an Telzan heran und flüsterte in sein rechtes Ohr: „Ich muss dich Sprechen, Anführer. Aber allein.“ „Also gut.“, flüsterte Telzan zurück. Dann sagte er zu Sytania, nachdem er sein Trinkhorn in den Ständer gestellt hatte: „Bitte entschuldigt mich, Gebieterin.“, und ging mit dem Jungen mit.

Der Novize führte seinen Meister in das gleiche Versteck, aus dem er selbst gerade gekommen war. Dann sagte er: „Erkennst du mich, Anführer?“ „Ja, ich erkenne dich.“, antwortete Telzan. „Du bist Gelman, einer meiner Agenten an Logars Hof. Diese schwere Aufgabe habe ich dir allerdings nur gegeben, weil mir deine Ausbilderin berichtet hat, dass du alle anderen in ihrer Gruppe bereits überflügelt hast. Eine beachtliche Leistung in deinem geringen Alter von knapp 13 Jahren. Aber nun sprich! Was hast du mir zu sagen?“ „Ich habe das Gespräch zwischen dir und unserer Herrin teilweise mitbekommen.“, sagte Gelman. „Ich muss dir leider mitteilen, dass Logar offenbar den gleichen Gedanken hatte. Er hat über ein Sprechgerät, das ihm von meiner dortigen Ausbilderin Iranach persönlich gebracht wurde, Kontakt zu Nugura El Fedaria aufgenommen und sie um Hilfe gebeten, statt dies, wie es sonst für ihn üblich ist, auf telepathischem Wege zu tun. Offensichtlich wollte er erreichen, dass sich Sytania in falscher Sicherheit wähnt.“ „Was sagst du da?!“, fragte Telzan empört und fluchte leise: „Kelbesh!“, was so viel wie „Scheiße!“, bedeutet. „Aber das ist noch lange nicht alles.“, fuhr Gelman fort. „Nugura El Fedaria hat darauf ihre Beste geschickt. Agent Sedrin Taleris-Huxley! Außerdem Commander Huxley selbst, Technical Assistant Heroito Takahashi, und Scientist Cupernica. Außerdem gibt es noch Gerüchte, dass sich Allrounder Betsy Scott und ein Quellenwesen einmischen sollen. Dill und Logar haben außerdem …“ „Was für ein schwarzer Tag, Gelman!“, platzte es aus Telzan heraus. „Ich werde davon sofort unserer Herrin berichten müssen. Wir werden Gegenmaßnahmen einleiten! Rasch! Zurück auf deinen Spionageposten! Schleich dich am besten genauso unbemerkt wieder zurück, wie du hier hergekommen bist.“ „Das dürfte keine Kunst für mich sein, Anführer!“, versicherte der Junge und war verschwunden.

Telzan hatte große Mühe, den wütenden Ausdruck in seinem Gesicht zu verschleiern, als er wieder an Sytania herantrat. „Nun?!“, fragte die Königstochter ungeduldig. „Was hat er dir für Nachrichten gebracht?“ „Schreckliche Nachrichten fürwahr, Gebieterin.“, sagte Telzan und schlug traurig die Augen nieder. „Er sagt, Logar hätte unsere Idee aufgegriffen. Er hat über Technologie mit Nugura Kontakt aufgenommen und sie um Hilfe gebeten. Sie hat daraufhin ihr bestes Team unter der Führung der Unaussprechlichen geschickt. Eigentlich hat Jaden H. Huxley das Kommando, aber dies ist eine Spionagemission, weshalb es automatisch an sie fällt. Zumindest, was alles das angeht, das direkt mit dem Auffinden des Einhorns zu tun hat. Außerdem soll sich Allrounder Betsy Scott einmischen und ein Quellenwesen.“ „Das stimmt nicht!“, sagte die Prinzessin fest. „Die Einmischung eines Quellenwesens hätte ich spüren müssen. Das ist wohl nur ein Gerücht, das Iranach streuen lassen hat, weil sie genau weiß, dass auch sie ausspioniert wird. Du hättest es sicher nicht anders gemacht, oder?“ „In der Tat, Gebieterin.“, gab Telzan zu. „Aber alles andere sollten wir bestätigen. Oder auch nicht.“

Er zog sein Sprechgerät und tippte das Rufzeichen seiner Garnison ein. Cirnach, die das Gespräch annahm, erteilte er den Auftrag, eine Datenverbindung zum interdimensionalen Sensorennetzwerk der Vendar herzustellen und es auf das 21. Jahrhundert und dort auf die Erde zu richten. Dies tat seine Ehefrau und Stellvertreterin auch bereitwillig und übergab ihm dann die Verbindung und Kontrolle über ebendiese.

Sytania schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie die Bilder sah. „Das kann doch nicht wahr sein!“, rief sie aus. „Da sind ja alle, von denen du gerade gesprochen hast, inklusive des so genannten Quellenwesens. Aber ihre Verwandten haben Illiane St. John wieder sterblich gemacht! Aber das ist leider keine Garantie dafür, dass sie scheitern. Selbst als Sterbliche kann sie mir sehr gefährlich werden! Zumal dann, wenn sie Sedrin an ihrer Seite hat. Die Beiden haben mir oft genug das Leben schwer gemacht während der Mission der Eclypse. Die eine hinterlistig wie eine Füchsin und die andere vermeintlich lieb und nett, so dass man denkt, dass sie kein Wässerchen trüben könnte, aber …!“ Sie gab einen wütenden Schrei von sich und zerschmetterte ihr Trinkhorn mittels eines schwarzen Blitzes aus ihren Augen. „Denken Milady nicht, dass Ihr Eure Kräfte weitaus sinnvoller nutzen solltet?!“, versuchte Telzan, sie auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. „Wie denn das, he?!“, fuhr Sytania ihn an. „Das Shuttle hat einen riesigen Rosannium-Kristall im Bauch und mein Vater und Dill haben gemeinsam die Zeit angehalten. Nur das Außenteam kann sich bewegen, weil Agent Sedrin einen Kontaktkelch trägt, mit dem sie die, von denen sie will, dass sie sich bewegen können, nur berühren muss. Das Einhorn hat offensichtlich doch einige Kräfte seines Vaters geerbt. Sonst könnte es sich auch nicht bewegen, aber das kann es. Was tun wir da nur?!“ „Ich hätte einen Plan.“, sagte der Vendar. „Warum, glaubt ihr, hat diese ruchlose Demetanerin es vorgezogen, Pferde zur Fortbewegung zu nutzen? Ich werde es Euch verraten. Sie will sich bewegen wie das Einhorn, um seine eventuellen Verstecke besser ausmachen und es so leichter finden zu können. Wenn Ihr Eure Soldaten mit Streitwagen hinschickt, sind sie in der gleichen Lage. Außerdem müssen sich Dill und Logar dann noch mehr anstrengen, um die Zeitlinie zu schützen. Das wird ihre Kräfte zu sehr fordern und irgendwann wird ihr Schutzwall einbrechen, ohne dass sie etwas dagegen tun können. Dann sieht sich Sedrin El Demeta mit allen Gefahren konfrontiert, die eben eine Einmischung in die Vergangenheit so mit sich bringt. Ich bin gespannt, wie sie da wieder rauskommen will! Wenn sie dann nicht sogar ihre Mission abbrechen muss, weil Eure Leute das Einhorn bereits getötet haben. Schickt ihren Hauptmann am besten vorher zu mir. Ich werde ihm einen Pfeil mit einer Spitze aus Rosannium mitgeben.“ „Exzellenter Plan, Telzan!“, lobte Sytania. „Genauso machen wir es!“

Von Sytanias bösen Plänen ahnten wir nichts, die wir friedlich nebeneinander die Straße durch das Wohngebiet in Richtung Wald entlangritten. Sedrin ritt voran auf einem braunen Wallach, dann folgte ich auf meiner treuen lieben Mausi und am Schluss war Illiane auf einem Schimmel unterwegs, bei dem es sich ebenfalls um einen Wallach handelte. Sedrin und sie mussten sich die Pferde im Reitstall sozusagen ausgeliehen haben, denn anders war für mich Mausis Verhalten nicht zu erklären. Sie benahm sich auf jeden Fall nicht so, als wären ihr die Pferde fremd. Im Gegenteil! Es schien für sie das normalste der Welt zu sein, zwischen ihnen herzulaufen. Weder schnupperte, noch schaute sie übermäßig oft nach ihnen. Nein, sie gab sich sogar betont entspannt, was ich sehr gut an ihrer Kopf- und Körperhaltung ablesen konnte, die mir meine Hände über die Zügel und meine Beckenmuskulatur über den Sattel mitteilten. Außerdem meine Ohren, mit denen ich von Zeit zu Zeit ein ausgedehntes wohliges tiefes Prusten von ihr wahrnahm. Sicher hatte auch Sedrins Leckerchen dazu beigetragen, dass sie uns in der ihr doch eigentlich so fremden Situation derart stark vertraute. Ich wusste von ihr, dass Vertrauen bei ihr in gewisser Weise durch den Magen ging.

Es war (bitte entschuldigt meine Ausdrucksweise) verdammt still um uns! Noch nicht einmal ein Lüftchen, das sich eigentlich in den Bäumen hätte als Rauschen widerspiegeln müssen, war zu hören. Kein Vogel sang und kein Auto brummte. Das fand ich sehr ungewöhnlich, zumal Sedrin meinen Versuch, Mausi an der Straße anzuhalten, sofort unterband: „Es ist OK, Allrounder. Lassen Sie sie gehen!“ „Aber die Autos, Agent!“, erwiderte ich besorgt, die ich davon ausging, dass sie vielleicht die Verkehrsregeln des 21. Jahrhunderts nicht unbedingt parat hatte. „Von denen droht uns keine Gefahr!“, versicherte sie. „Sie dürften hören, dass keinerlei Bewegung um uns herum stattfindet. Zu was für einem Schluss bringt Sie das?“

Ich begann nachzudenken. Allerdings waren mir meine eigenen Gedanken so was von nicht geheuer, dass ich kurz zusammenzuckte, eine Tatsache, die Mausi nicht entgangen war. Wie sie es durch meine Reitlehrerin und mich unbewusst gelernt hatte, blieb sie stehen und wandte die Ohren in meine Richtung. Ich streichelte ihren weichen Hals und flüsterte: „Ist gut.“ Ich wusste, dass sie das, worüber ich gerade nachgedacht hatte, sicher nicht verstehen würde.

Sedrin gab einen schweren Seufzer von sich. Dann sagte sie: „Ich habe den Eindruck, hier ist gar nichts gut. Na schön. Wir halten dort auf der Wiese und dann erkläre ich Ihnen alles.“

Wir hielten tatsächlich auf der Wiese an und ließen alle drei die Zügel locker, so dass die Pferde etwas schnuppern und grasen konnten, zumindest soweit dies mit der Beißstange im Maul möglich war. Dann sagte Sedrin: „Dill und Logar haben die Zeit angehalten. Sie sorgen dafür, dass sich keiner in diesem Jahrhundert, der es nicht soll, später mehr an das Geschehene erinnern können wird, da es für sie nie stattgefunden hat. So schützen sie uns vor Komplikationen bezüglich der Zeitlinie. Ich habe einen Kontaktkelch in Form eines Rings bei mir. Alles, was ich damit berühre, kann ich so von der angehaltenen Zeit isolieren und somit zum Leben erwecken. Das habe ich mit allen im Shuttle, mit dem Shuttle selbst und mit Ihnen und den Pferden gemacht. St. John ist ein Quellenwesen. Bei ihr brauchte ich das nicht. Das Gleiche gilt für das Einhorn. Zumindest hoffe ich das. Es handelt sich um ein weibliches Tier und die Mutter ist sterblich. Folge dessen ist nicht klar, in wie weit es die Fähigkeiten seines mächtigen Vaters überhaupt geerbt hat. Sie wissen ja, wer die Einhörner sind.“ Ich nickte und seufzte erleichtert. Dann aber schlussfolgerte ich: „Oh mein Gott, Agent! Dill und Logar müssen ja gerade eine immense mentale Leistung erbringen! Ich hoffe, dass sie das lange genug durchhalten!“ „Das hoffe ich auch!“, sagte die ausgebildete Agentin. „Und deshalb sollten wir uns jetzt beeilen!“ Sie zog ein Sprechgerät. Dann bekam ich mit, wie sie sagte: „Mr. Takahashi, erfassen Sie mein Signal und …“ „Nein!!!“, fuhr ich erschrocken dazwischen. „Ein so plötzlicher Ortswechsel könnte die Pferde erschrecken und wir könnten zu lange damit zu tun haben, sie wieder zu beruhigen. Das wäre unserer Mission sicher nicht sehr zuträglich, Agent!“

Sedrin hatte das Gerät sinken lassen und offenbar kurz nachgedacht. Dann sagte sie: „Also, wo Sie Recht haben, da haben Sie Recht.“ Dann hob sie es wieder in Richtung ihres Mundes und sagte: „Vergessen Sie es, Tak.“, und beendete die Verbindung, um dann zu flüstern: „Ich kann ja von den Tieren nicht erwarten, dass sie kapieren, was ein Transporter ist. Danke, Betsy. Sie haben uns wohl vor sehr starken Schwierigkeiten bewahrt. Logar und Dill werden jetzt allerdings noch eine Weile länger durchhalten müssen.“ Wir setzten uns wieder in Bewegung.



Diese Geschichte wurde archiviert am http://www.sf-ecke.de/stories/viewstory.php?sid=211