Das heimliche Grab

von Visitor
Zusammenfassung:

Die Nihillaner haben den Glauben an das Übernatürliche abgeschworen. Für sie gilt noch die Wissenschaft. Als Nihilla Mitglied in der Föderation werden möchte, ahnen Allrounder Betsy und ihre Freunde bereits, dass das nicht ohne Folgen bleiben wird, falls die Föderation das zuließe...


Kategorien: Fanfiction > Star Trek Charaktere: Keine
Genres: Science Fiction
Herausforderung: Keine
Serie: Star Trek 3000
Kapitel: 25 Fertiggestellt: Ja Wörter: 120571 Aufgerufen: 251119 Veröffentlicht: 02.03.11 Aktualisiert: 03.03.11

1. Kapitel 1: Glaube und Aberglaube von Visitor

2. Kapitel 2: Dunkle Vorzeichen von Visitor

3. Kapitel 3: Freitag, der Dreizehnte von Visitor

4. Kapitel 4: Aussagen von Visitor

5. Kapitel 5: Am Beginn der Wahrheit von Visitor

6. Kapitel 6: Agentin mit Herz von Visitor

7. Kapitel 7: Die Konferenz von Visitor

8. Kapitel 8: Marons Lüge von Visitor

9. Kapitel 9: Trügerische Ruhe von Visitor

10. Kapitel 10: Aufregende Ereignisse von Visitor

11. Kapitel 11: Annäherung, Streiche und Auferstehung von Visitor

12. Kapitel 12: Rätsel und Lösungen von Visitor

13. Kapitel 13: Pläne von Visitor

14. Kapitel 14: Flugstunden und Weissagungen von Visitor

15. Kapitel 15: Diebstähle und Geheimoperationen von Visitor

16. Kapitel 16: Verdeckte Missionen von Visitor

17. Kapitel 17: Spione wie wir von Visitor

18. Kapitel 18: Die Geister, die Ethius rief von Visitor

19. Kapitel 19: Heimlichkeiten von Visitor

20. Kapitel 20: Versteckte Wahrheiten von Visitor

21. Kapitel 21: Der Spatz in der Hand von Visitor

22. Kapitel 22: Verrat für den guten Zweck von Visitor

23. Kapitel 23: Riskante Manöver von Visitor

24. Kapitel 24: Die Ruhe vor dem Weltuntergang von Visitor

25. Kapitel 25: Finale Einsicht von Visitor

Kapitel 1: Glaube und Aberglaube

von Visitor

 

Es war ein eigentlich ganz normaler Herbsttag und ich saß nervös vor meinem Sprechgerät in meinem Wohnzimmer. Hier wartete ich auf den Rückruf von Commander Kissara. Seit drei Tagen schon hatte ich sozusagen „Dienst an der Heimatfront“ geschoben. Die Granger war zu keiner Mission abkommandiert gewesen, aber ich hatte von der High School eine Anfrage erhalten, ob ich nicht am Berufsberatungstag den Beruf des Sternenflottenoffiziers vorstellen wollte. Initiiert war das eigentlich durch Melissa Freeman und Win Nalas worden. Die beiden Teenager kannten mich gut und mussten ihre Lehrer derart bekniet haben, dass man sich mit dem Oberkommando in Verbindung gesetzt hatte. Ich hatte tatsächlich das OK bekommen und hatte die Abschlussklasse eingehend über mein Tätigkeitsfeld als Kommunikationsoffizierin und Raumschiffpilotin informiert. Aber dies war nicht der Grund, aus dem ich jetzt auf Kissaras SITCH wartete. Es hing zwar damit in gewisser Weise zusammen, aber mit dem, was noch kommen sollte, hatte ich nicht gerechnet.

Gemeinsam mit den Schülern hatte ich jetzt das Gebäude verlassen. Nalas und Melissa begleiteten mich noch ein Stück. An einer Straßenecke blieben wir stehen. Der braunhaarige etwas zierlich für sein Alter von 16 Jahren wirkende etwa 1,60 m messende bajoranische Junge drehte sich zu mir und sagte: „Vielen Dank, Mrs. Scott. Sie können sehr anschaulich erklären.“ Im Privaten durfte mein Nachname ruhig mal fallen. Aber wegen der Flüchtlingsklausel, durfte er nicht in meiner Dienstakte oder wenn ich Rang und Namen bei der Sternenflotte nutzte, auftauchen. „Danke, Nalas.“, lächelte ich zurück. „Du warst auch ein sehr aufmerksamer Zuhörer.“

Win Nalas war der Sohn unseres bajoranischen Bürgermeisters. Er hatte seit mehreren Monaten bereits eine Beziehung mit Melissa Freeman, die Tochter eines Normalbürgers war. Die Wins hatten aber keinen Standesdünkel. Meiner Meinung nach war das ohnehin ein eher terranisches Phänomen.

„Wir wollten noch ein Eis essen und dann wollte ich mit Nalas zum bajoranischen Gottesdienst gehen.“, erklärte Melissa. „Möchten Sie mit?“ Ich strich beiden liebevoll über das Harr und sagte mit bedauerndem Blick: „Sorry, ich kann leider nicht. Ich muss packen und dann zum Raumflughafen nach Washington. In meinem nächsten Heimaturlaub sehen wir uns bestimmt.“ Traurig, aber auf der anderen Seite auch verständig, schüttelten die Kids mir die Hand und schauten mir noch nach, als ich in Richtung meines Hauses abbog.

Plötzlich ließ mich ein unbestimmtes Gefühl stehen bleiben. Irgendwas würde gleich passieren. Das spürte ich wie Liebeskummer im kleinen Zeh. Oder, war es schon passiert? Jedenfalls gab es einen riesigen Tumult auf der anderen Seite der Querstraße, die ich eben noch überquert hatte und auf deren anderer Seite sich die Jugendlichen von mir verabschiedet hatten. „Mely, nein!!!“, hatte ich Nalas schreien hören. Dann gab es nur noch das mir bekannte Geräusch des Notfallsystems, das einen elektrischen Jeep daran hindert, jemanden zu überfahren. Der verwirrte Fahrer hatte es wohl nicht geschafft, rechtzeitig den Freigabecode einzugeben und so hatte das System einen Notruf abgesetzt. Darauf waren Polizeieinheiten zum Unfallort gekommen. Auch ich drehte mich jetzt um und lief, so schnell ich eben konnte, dort hin. In dem Gewirr aus Stimmen und Schritten sowie dem Gepiepe von Erfassern versuchte ich verzweifelt, die Stimmen von Melissa und Nalas auszumachen.

„Oh, Mrs. Scott!“ Mit diesen Worten schob sich plötzlich eine bekannte Hand in meine. Ich erkannte Nalas, der mich jetzt weiter zum Ort des Geschehens zog. Hier war unser oberster Stadtpolizist gerade dabei, Melissa zu vernehmen. „Warum bist du denn einfach auf die Straße gerannt, Kleine, he?“, fragte Detectiv Rainolds mit scharfem Ton. „Du solltest doch eigentlich in deinem Alter längst wissen, dass das gefährlich ist.“ „Die … Die … Die schwarze Katze.“, stammelte Melissa. „Ich hatte solche Angst!“, „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, schnaubte Rainolds. „Wer hat denn schon Angst vor ’ner schwarzen Katze? Wer weiß, unter welchem Einfluss du stehst, junge Dame.“ Dann rief er nach hinten zu seinen Untergebenen: „Ruft den Geheimdienst!!“

Der Geheimdienst nahte bald in Form von Agent Sedrin und Agent Mikel. Es war ungewöhnlich, dass sie zu einem normalen Verkehrsunfall gerufen wurden, aber Rainolds dachte wohl, dass hier ein außerirdischer feindlicher Einfluss im Spiel war.

Sedrin ließ sich von Rainolds den Unfallhergang schildern. Dann sagte sie: „Außerirdischer Einfluss, hm, könnte sein. Wenn es sich bei der schwarzen Katze um Caruso handelt, könnte Sytania noch ’ne Rechnung mit ihm offen haben und versuchen, dafür zu sorgen, dass Data ihn wieder ins Tierheim bringt. Wenn der Commander glaubt, dass sein Kater eine Gefahr für andere darstellt …“ Lächerlich!, dachte ich. Aber ich konnte Sedrin diese Vermutung auch nicht übel nehmen. Sie war eine Außerirdische. Sie wusste vielleicht nichts von irdischem Aberglauben. Aber warum klärte Mikel sie nicht auf? Das musste wohl mal wieder ich übernehmen. Durch meinen Großvater, der selbst sehr abergläubisch war, wusste ich über so etwas Bescheid. Im 30. Jahrhundert war der Aberglaube zwar eigentlich ausgerottet, aber Freemans mussten ihn sich doch noch erhalten haben. Nalas konnte aus dem gleichen Grund wie Sedrin auch nicht wissen, was es damit auf sich hatte. Ich aber wusste, dass hier dringend Aufklärung von Nöten war. Würde Sytania fälschlich beschuldigt, könnte sie dies sehr übel nehmen und wir hätten eins zwei drei einen neuen Krieg. „Bitte bring mich zu ihnen, Nalas.“, bat ich freundlich, aber bestimmt. „Ich muss einen Krieg verhindern.“ „OK, Mrs. Scott.“, antwortete Nalas. Dann zog er mich in Richtung des Polizisten, der seiner Geheimdienstkollegin gerade den Stand der Ermittlungen erklärte.

„Kommen Sie klar?“, fragte mich Nalas fast mütterlich zärtlich, als er mich vor den Beamten abgestellt hatte. „Ja, ja.“, erwiderte ich zuversichtlich. „Geh und kümmere dich um deine Freundin. Die braucht dich jetzt sicher nötiger als ich.“ Der kleine Bajoraner nickte und witschte davon.

Ich erlauschte die Richtung, aus der Sedrins Stimme kam und ging auf sie zu. Die demetanische Agentin schien von mir zunächst keine Notiz zu nehmen. Deshalb tippte ich ihr auf die Schulter und sagte, während ich mit der anderen Hand pflichtgemäß salutierte: „Ma’am, Allrounder Betsy bittet um Erlaubnis, unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen!“ Endlich drehte sie sich um. „Na schön.“, lautete ihre knappe, wenn auch nicht ganz vorschriftsmäßige, Antwort. Ihrem Tonfall nach zu urteilen war sie heilfroh, dass anscheinend jemand wusste, was hier wirklich los war und dass diejenige wohl auch noch dafür sorgen könnte, dass es in nächster Zeit keinen Krieg gegen Sytania geben würde. In solchen Fällen hatte man zu oft auf die Hilfe mächtiger Wesen zurückgreifen müssen und Sedrin hatte befürchtet, dass diese unsere „Dummheiten“ irgendwann nicht mehr mitmachen würden.

Die schwarzhaarige und ca. 1,70 m messende Demetanerin, die ihre im praktischen Stufenschnitt frisierten Haare lässig im Wuschellook gekämmt hatte, zog mich in den nahen Park. Hier setzten wir uns auf eine Bank. „Bitte sagen Sie mir jetzt etwas Positives.“, bat sie. „Ein weiterer Krieg mit Sytania macht mir nämlich echt Bauchschmerzen.“ „Dazu wird es nicht kommen, Agent.“, entgegnete ich mit Gewissheit. Sie ließ laut die Luft aus ihren Lungen entweichen. „Aus welchem Grund benimmt sich das Mädchen dann so seltsam?“, fragte die Agentin dann mit sehr bohrendem Tonfall. „Sie ist abergläubisch, Agent.“, erklärte ich. „Wissen Sie, was das ist?“ Sedrin legte ihren Kopf in die Hände und kratzte sich nachdenklich an selbigem. Nach einer Weile sagte sie dann: „Ich denke schon. Ist das diese Sache, wenn man glaubt, dass man nicht unter einer Leiter durchgehen darf und das die 13 eine Unglückszahl …“ „Genau.“, lächelte ich zurück. „Und auch eine schwarze Katze, die einem über den Weg läuft, bedeutet Pech.“ „Was für ein grotesker Unsinn.“, murmelte Sedrin, berichtigte sich aber gleich wieder und meinte: „Na, ja, Mutter Schicksal sei Dank darf man ja glauben, was man will, zumindest noch und zumindest in der freiheitlichen Föderation.“ Was ihr Seitenhieb bedeutete, sollte ich noch früh genug erfahren.

Solidarisch gingen wir im Schulterschluss zum Unfallort zurück. „Was hat sie Ihnen gesagt?“, brummelte uns Rainolds, ein schnauzbärtiger untersetzter Mann von ca. 1,80 m Größe mit kauzigem Gesicht, entgegen. „Kein außerirdischer Einfluss.“, fasste Sedrin knapp meine Aussage zusammen. Dann rief sie Mikel, der mit der Vernehmung von Nalas beschäftigt war, zu: „Wir rücken ab!“

Ich musste so ins Kofferpacken vertieft gewesen sein, dass ich die Sprechanlage meiner Haustür zunächst überhörte. Erst, als eine Stimme am Fenster mich ansprach, reagierte ich. „Mrs. Scott!“, rief die mir wohl bekannte Stimme zu mir herein. „Sind Sie noch da?“ Ich erkannte Nalas, bemerkte aber auch, dass er von einer großen Angst getrieben sein musste. Seine zitternde Stimme und die Tatsache, dass er hinten herum auf mein Grundstück geschlichen war, ließen mich dies vermuten. Ich ahnte nicht, wie Recht ich haben sollte. „Ja, Nalas!“, erwiderte ich zum Wohnzimmerfenster gewand. „Du hast Glück. Komm bitte zur Vordertür. Ich mache auf!“

Er wuselte ums Haus, während ich langsam zur Vordertür ging. Hier traf ich auf einen zitternden kleinen Bajoraner, der mir ängstlich und Halt suchend seine rechte Hand entgegenstreckte. „Oh, scht.“, machte ich und zog ihn mit mir in die Wohnstube, wo ich schon ein Tablett mit auf die Schnelle replizierten Leckereien auf den Tisch gestellt hatte. Bei Jumjas, heißer Schokolade und Keksen würden wir über die Ursache seiner Angst reden. Es war mir egal, dass ich nicht rechtzeitig an der öffentlichen Transporterplattform sein würde, um zum Raumflughafen nach Washington zu beamen. Es war mir genau so egal, dass ich das Shuttle der Flugbereitschaft verpassen würde, das mich ursprünglich zurück zur Sternenbasis 817 bringen sollte. Diesem verängstigten Kind zu helfen, war mir viel wichtiger.

„Setz dich doch.“, lud ich Nalas ein. Dieser setzte sich auf den rechten Platz des kleinen bunten Zweiersofas mit dem weichen Bezug, das in meinem Wohnzimmer vor einem niedrigen Tischchen aus braunem Holz mit einer weichen gewebten Decke aus Tribblewolle stand. In der Decke waren alle möglichen Farben vertreten. Sie war ein Geschenk von Tchiach zu meinem 35. Geburtstag gewesen. Die kleine Vendar hatte sich das notwendige Material über Agent Maron besorgt, der, genau wie alle anderen Besatzungsmitglieder der tindaranischen Basis auch, darüber strengstes Stillschweigen bewahrt hatte. Tchiach hatte nicht einmal das Spinnen der vorhandenen Wolle durch einen Replikator erledigen lassen wollen. Gegenüber ihrer Ziehmutter hatte sie darauf bestanden, sämtliche Schritte in reiner Handarbeit zu tun. Sie lebte streng nach dem Lebensmotto der Vendar: „Kel Mashar“, was man etwa mit: „Was lange währt, wird endlich gut.“, ziemlich frei übersetzen könnte.

Ich hatte nun das silberne Tablett mit der grünen Kanne, den weiß geblümten Tellern und den zwei bauchigen grünen Gläsern, die von vornherein zu der ebenfalls etwas ausladenden Kanne gehört hatten, vor uns abgestellt und war nun im Begriff, die Gläser mit der heißen Schokolade zu befüllen. „Oh, warten Sie, Mrs. Scott.“, sagte Nalas plötzlich und schickte sich an, nach meiner Hand zu greifen. „Ich helfe Ihnen.“ Dann hielt er sich aber sofort wieder selbst zurück und verbesserte: „Darf ich Ihnen helfen?“ Er wusste, dass ich an sich gar nicht damit einverstanden war, wenn man mir alles abnahm. „Ich kriege das schon hin.“, lächelte ich. „Aber.“, entgegnete er. „Sie sehen doch nicht, wenn das Glas voll ist.“ „Das ist wahr.“, räumte ich ein. „Aber ich habe da so meine Methoden. Schau!“ Damit legte ich meinen linken Zeigefinger an die Innenwand eines der Gläser. Meine Fingerkuppe lag kurz unter dem Rand. Würde der Flüssigkeitsspiegel diesen jetzt erreichen, würde ich dies spüren. Fasziniert sah Nalas mir bei diesem Unterfangen zu.

Ich schob ihm sein Glas hin. Dann ließ ich mit einem lauten Flatsch den dicksten Jumja-Stick auf seinen Teller prasseln, den ich finden konnte. Auch diesen schuppste ich lässig in seine Richtung und nahm dann links neben ihm Platz. Er war sicher nicht der erste Jugendliche, der mich wegen eines Problems zu Hause aufsuchte. Ich war, aus welchem Grund auch immer, zu einer Institution in Little Federation geworden, was das anging. Die hiesigen Teenies sagten mir ein großes Verständnis nach. Wenn ich also auf der Erde war und die Kids wussten das, hieß es auf dem Schulhof des Öfteren, wenn jemand nicht weiter wusste: „Geh doch zu Mrs. Scott !“ Vielen von ihnen hatte ich aber auch schon das Du angeboten. Also nannten sie mich Betsy. So verfuhr ich jetzt auch mit Nalas. Darauf hatten wir den ersten Schluck Schokolade getrunken.

Mehrere Minuten verstrichen, Ohne, dass Nalas mit der Sprache herausrückte. Ich konnte seine Körperhaltung zwar nicht sehen, aber durch den Umstand bedingt, dass er direkt neben mir saß und wir durch das Sofa eng beieinander waren, konnte ich spüren, dass er sich immer mehr verkrampfte. „Na komm.“, versuchte ich, ihm einen Anstoß zu geben. „Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Was hast du denn auf dem Herzen?“ „Oh, Betsy.“, sagte Nalas plötzlich mit einem erfreuten Ton. Er war der Klassenbeste und freute sich immer, wenn es etwas zu lernen gab. „Ist das ein terranisches Sprichwort?“ „Ja.“, antwortete ich. „Cool!“, freute sich Nalas. „Wieder was gelernt.“

Die Hälfte der diesjährigen Abschlussklasse der High School von Little Federation bestand aus Nicht-Terranern. Also hatte Nalas wieder etwas, mit dem er auf dem Schulhof kräftig angeben konnte. Er und Melissa waren als „Streberleichen“ bekannt, standen aber dazu.

„Ich denke.“, lenkte Nalas wieder vom eigentlichen Thema ab. „Dass man gar nicht früh genug anfangen kann, etwas über andere Kulturen zu lernen. Zumal dann nicht, wenn man Sternenflottenoffizier werden will.“ Er wartete eine Weile auf eine Reaktion von mir. Ich aber blieb in Wartestellung, denn ich wusste genau, das war nicht der Grund, aus dem er mit mir reden wollte. Davor, mir das zu sagen, konnte er doch keine solche Angst gehabt haben. Das war doch eigentlich etwas Erfreuliches. „Weißt du, Betsy.“, sagte er dann. „Es gibt so vieles, was ich an eurer Kultur noch nicht verstehe.“ Seine letzten Worte ertranken in einem Schwall Tränen. Eilig besorgte ich ihm ein paar Papiertaschentücher, die er aber ziemlich schnell verbraucht hatte. „Oh, du meine Güte.“, sagte ich mit beschwichtigendem Ton und strich ihm über sein Gesicht, welches noch immer nass von Tränen war. „Erzähl doch.“, drängte ich ihn vorsichtig. „Es ist Mely!“, platzte es aus ihm heraus. „Deine Mely?“, fragte ich mitfühlend. „Deine liebe süße Mely? Was ist denn mit ihr?“ „Sie macht komische Sachen.“, antwortete der kleine Bajoraner. „Sie kommt nie zur Schule, wenn es Freitag der 13. ist. Sie meidet Caruso, wo es geht. Dabei ist der doch so lieb. Sie hat einen Hasenfuß und ein Hufeisen in der Tasche und das Vorhin war ja wohl voll die Härte. Warum macht sie das? Ist sie krank?“ „Nein.“, tröstete ich. Gleichzeitig überlegte ich, wie ich ihm die Sache mit dem Aberglauben am Besten erklären sollte. Bei einem terranischen Kind hätte ich da sicher keine solchen Schwierigkeiten gehabt. Nalas aber war Bajoraner und hatte wahrscheinlich schon genug mit den vielen „normalen“ Glaubensrichtungen auf diesem Planeten zu kämpfen. Auf Bajor glaubten seines Wissens nach die Meisten an nur eine Gruppe Götter, die Propheten. Hier aber gab es so viel Verschiedenes und jetzt kam auch noch der Aberglaube hinzu, den ich ihm jetzt irgendwie erklären musste. Ich kratzte all mein geschichtliches Wissen zusammen und begann: „Vieles, was abergläubische Leute glauben, kommt noch aus dem Mittelalter. Das war lange vor unserer Zeit.“ „An Warpantriebe war da noch nicht zu denken.“, machte er einen Scherz, um meinen wohl sehr trocken wirkenden Vortrag etwas aufzulockern. „Nein.“, lächelte ich zurück. „Aber das hat miteinander ja auch nichts zu tun. Schau mal: Ihr seid ja auch warpfähig und glaubt trotzdem daran, dass die, die wir als Wurmloch-Aliens bezeichnen, eure Götter sind, weil das von Alters her so war. Ihr durftet aber trotzdem in die Föderation, weil wir Glaubensfreiheit haben.“ „Ich verstehe.“, sagte Nalas. „Neulich hat Mely zu mir gesagt, dass ihr das selbst auf die Nerven geht, wie sich ihre Familie manchmal verhält. Sie findet das eigentlich selbst echt affig. Aber sie ist nun mal so erzogen. Betsy, könntest du uns da nicht helfen?“

Ich legte den Kopf in beide Hände und dachte nach. Mir würde schon etwas einfallen. Nur musste es schnell geschehen. Die Art und Weise, in der Nalas sein Problem an mich herangetragen hatte, ließ eine große Dringlichkeit vermuten.

„Oh, Betsy.“, sagte er plötzlich, nachdem sein Blick die Zeitanzeige meines Sprechgerätes gestreift hatte. „Ich halte dich auf.“ Drauf geschissen!, dachte ich. Dass ich das Shuttle verpasst hatte, war mir ziemlich egal. Außerdem war das, worum er mich gerade gebeten hatte, ja auch irgendwie dienstlicher Natur. War es nicht die Aufgabe von uns Sternenflottenoffizieren, Zivilisten vor Angst und Unheil zu beschützen? Genau das würde ich ja tun. Sicher müsste ich mit meinem Commander darüber sprechen, aber in der Hinsicht konnte man mit Kissara Pferde stehlen. Sie würde sich schon etwas einfallen lassen, um mein Fernbleiben von der Basis vor Präsidentin Nugura und allen Mitgliedern des Oberkommandos zu rechtfertigen.

Ich schickte Nalas nach Hause, nicht ohne ihm zu versprechen, etwas wegen seines Problems zu unternehmen und passte dann Mikel ab, der auf seinem Weg an meinem Haus vorbei musste. Eigentlich hatten wir vor, gemeinsam zum Raumflughafen zu gehen und ein gemeinsames Shuttle zu nehmen. „Wo ist dein Koffer?“, fragte mich der etwa 1,60 m große blonde junge Mann, den ich schon seit unserer gemeinsamen Schulzeit im 21. Jahrhundert kannte. Deshalb duzte er mich auch, wenn wir privat und unter uns waren, obwohl er eigentlich, seit wir der Sternenflotte angehörten, einen Rang über mir stand. „Den werde ich wieder auspacken, sobald ich wieder zu Hause bin.“, antwortete ich, als sei es das Normalste der Welt. „Aber Betsy, wir müssen zum …“ „Genau genommen.“, unterbrach ich ihn. „Werde ich auch Dienst tun. Nur eben in der Heimat.“ Er gab einen Laut von sich, den ich bereits gut kannte und der mich darauf aufmerksam machte, dass er sehr irritiert sein musste. „Hör mir jetzt bitte zu.“, bat ich unbeeindruckt. „Sag dem Piloten bitte, er möge Kissara sagen, dass ich ihr OK brauche. Ich müsse auf der Erde bleiben, um zwei Zivilisten gegen Unwissenheit und Ignoranz zu verteidigen. Das schluckt Nugura immer. Kissara soll es ihr bitte genau so weitergeben.“ Ich ahnte nicht, was dieser Satz, der eigentlich nur als hinterlistiger Trick gemeint war, noch für einen faden Beigeschmack erhalten sollte. Mikel zog verwirrt los.

Commander Kissara saß in ihrem Bereitschaftsraum. Das freundlich und hell eingerichtete Zimmer wurde durch ein Regal in zwei Hälften geteilt. In der hinteren Hälfte befand sich Kissaras Schreibtisch, der aus glattem schwarzem repliziertem Eichenholz bestand, davor befanden sich zwei große mit braunem Wollstoff bezogene Sessel. Die Fläche hinter dem weißen Kunststoffregal war frei. Sie betrat man direkt von der Tür aus. Kissara saß auf einem der beiden Sessel und hatte ein Pad in ihrer rechten Hand. Ihr linker Zeigefinger zeigte ihr unaufhörlich die Zeile, in der sie gerade las. Deshalb überhörte sie wohl auch zuerst das Piepen des Sprechanlagenterminals, welches sich fest eingebaut in der rechten oberen Ecke des Schreibtisches befand. Erst nach dem dritten Mal sah sie aus dem Augenwinkel auf das Display und erkannte das Rufzeichen der Kommandozentrale und das Unterrufzeichen des Kommunikationsplatzes. „Ja, Ribanna.“, schnippte sie lässig in Richtung des Mikrofons. An der leicht unsicher vorgetragenen Antwort der jungen Terranerin indianischer Abstammung, die meine feste Vertretung war, konnte Kissara bereits spüren, dass etwas in der Luft lag. „Das Shuttle ist eingetroffen, Ma’am.“, trug Ribanna leise vor. „Agent Mikel war an Bord. Er hat eine Nachricht von Allrounder Betsy, die er oder der Pilot nur Ihnen sagen möchten. Der Allrounder hätte es ihnen so aufgetragen.“ „Schon gut, Ribanna.“, tröstete Kissara. „Haben Sie ihn noch in der Leitung?“ Die Angesprochene verneinte. Dann sagte sie: „Er hat den Agent abgesetzt. Dann hat er wieder abgedockt. Agent Mikel ist jetzt bei mir.“ „Schicken Sie ihn her.“, antwortete Kissara und dachte bei sich: In was Allrounder Betsy da wohl wieder geraten ist.

Wenige Minuten später betrat Mikel die freie Fläche vor dem Raumteiler. Nachdem der Computer die Tür wieder hinter ihm geschlossen hatte, salutierte der Spionageoffizier vorschriftsmäßig gegenüber seiner Vorgesetzten und sagte dann: „Ich habe eine Nachricht von Allrounder Betsy. Sie bittet um …“ „Kommen Sie her, verflucht.“, zischte Kissara. Sie ahnte wohl schon, dass dies etwas mit einer Heimlichkeit zu tun haben musste. „Und nicht so laut.“ Sie zerrte ihn um den Raumteiler herum auf den Sessel zu ihrer Linken. Dann replizierte sie beiden zunächst einmal einen starken Kaffee. Sie meinte wohl, den würden sie brauchen. „Also schön.“, ergab sie sich in ihr Schicksal. „Was ist Ihrer Freundin da wieder passiert?“ Ich hatte den Ruf, Katastrophen anzuziehen. „Genaues weiß ich nicht.“, entgegnete der Terraner aufgeregt und wiederholte meine Nachricht. „Was immer Sie damit auch meinen mögen, Sie beide.“, grinste Kissara schelmisch, nachdem er geendet hatte. „Mit einem haben Sie und unser kleiner Allrounder Trickreich Recht. Nugura wird das schlucken müssen. In gewisser Weise gehört es ja zum Aufgabenbereich eines Sternenflottenoffiziers. Zumal dann, wenn man den aktuellen politischen Kurs betrachtet, den unsere Präsidentin im Moment eingeschlagen hat. Sie schwimmt total auf der politischen Welle unserer baldigen Neubürger, der Nihillaner. Sich gegen Unwissenheit und rückständige Gedanken und Glaubensrichtungen zu verteidigen und diese auszumerzen, ja, das ist auch deren Motto.“ Bei ihren letzten Sätzen machte sie ein missmutiges Gesicht, als würde sie ahnen, zu was das noch führen sollte. „Aber gut, im Namen aller Götter.“, sagte sie dann und dachte: Solange wir sie noch haben dürfen. Danach sprach sie weiter: „Ich sage es Nugura. Mal sehen, wie sie reagiert.“

Verwundert drehte sich der erste Offizier um und ging. Die Vorahnung seiner thundarianischen Vorgesetzten teilte Mikel nicht. Er war ja auch noch nie bei einem Treffen mit den Nihillanern dabei gewesen. Er konnte es also nicht wissen. Er konnte nicht wissen, dass Kissara bereits drohendes Unheil auf uns zu kommen sah, würden wir die Nihillaner in die Föderation aufnehmen, wie die Präsidentin es vorhatte. Die Thundarianerin hatte zwischen den Zeilen gelesen und würde nicht auf die schönen Worte von President Ethius und seiner militärischen Oberbefehlshaberin, Commandara Evain, hereinfallen. Kissara kam sich allerdings vor, als sei sie die Einzige, der bestimmte Dinge aufgefallen waren.

Lange hatte Kissara überlegt, wie sie Nugura mein Belang so auseinandersetzen konnte, dass diese es positiv bescheiden würde. Sie war sehr herzlich und würde es auch gut finden, wenn ich den Kindern bei ihrem Problem helfen würde. Sie brauchte also eine Strategie. Eine Strategie? Wer als ihr strategischer Offizier konnte ihr hier wohl am Besten helfen? Sie drehte sich in Richtung des Computermikrofons und fragte hinein: „Computer, wo ist Warrior Kang?“ „Warrior Kang befindet sich in seinem Quartier.“, erfolgte eine sachliche Antwort. „Melde ihm, dass ich zu ihm unterwegs bin.“, entgegnete Kissara. Sie hatte mit Kang eine entsprechende Vereinbarung, da dieser oft klingonische Kampfübungen mit echten klingonischen Waffen und replizierten Tierpräparaten durchführte, bei denen sein Temperament sehr hoch kochte und er oft eine Zeit brauchte, um es wieder auf ein ruhiges Level herunterzufahren. „Befehl wird ausgeführt.“, erwiderte der Computer. Das war auch für Kissara das Signal, sich langsam aber zielstrebig in Bewegung zu setzen.

Sie kam bald an Kangs Quartier an und betätigte die Sprechanlage. „Kommen Sie herein, Ma’am.“, meldete sich eine verhältnismäßig ruhige klingonische Stimme. Kissara betrat den Flur. Kang, der ihr schon entgegengegangen war, nahm sie vorsichtig bei der Hand und führte sie ins Wohnzimmer. Kissara kannte seine Einrichtung. Sie war im Gegensatz zu der in manch anderem Quartier, recht spartanisch, eben typisch klingonisch, ausgefallen.

Nachdem sich beide gesetzt hatten, berichtete sie ihm von ihrem Problem. Kang grinste und machte ein Gesicht, als wollte er sagen: „Das ist doch das Einfachste der Welt.“ Dann sagte er: „Bei allem Respekt, Ma’am, der Allrounder und der Agent haben Ihnen eine super gute Steilvorlage geliefert. Warum verwandeln Sie sie nicht?“ Kang war inzwischen zum Fußballfan geworden. Diese irdische Sportart hatte es ihm irgendwie angetan. „Das ist ein Sport für einen Krieger!“, hatte er Mikel gegenüber oft gesagt, wenn dieser ihn darauf angesprochen hatte, denn Mikel hatte dies wohl für einen Klingonen als sehr ungewöhnlich empfunden.

Bevor Kissara aber antworten konnte, musste sie sich eines Bildes erwehren, das gegen ihren Willen vor ihrem geistigen Auge entstanden war. Sie sah ein Fußballfeld. Darauf standen auf der einen Seite Mikel und ich in hinterer Linie und sie im Sturm ganz vorn. Alle drei trugen wir unsere Uniform. Uns gegenüber standen Nugura und ihre Minister. Alle trugen Schlips und Kragen, beziehungsweise feine Kleider, wie es eben in Büros üblich war. Kang saß wild gestikulierend auf der Trainerbank. Als Ball diente ein Datenkristall mit meinem Antrag, den Mikel und ich Kissara gerade zugespielt hatten. Im letzten Moment hatte sie mit dem Schuss gezögert und der Computer hatte das Spiel für beendet erklärt, weil die Zeit um war. So endete es null zu null.

Endlich hatte Kissara jenes Bild, das sie insgeheim ziemlich komisch fand, verdrängt. Sie wusste, dass sie mit Kang über diese Sache ernst sprechen musste, denn es hätte ja sein können, dass der Klingone sich sonst veralbert fühlen könnte und das mögen Klingonen im Allgemeinen nicht. „Aber natürlich, Mr. Kang, Sohn des Kurn, aus dem Hause des Kolof. Sie haben Recht. Was Betsy mir übermitteln lassen hat, dürfte Wasser auf Nuguras augenblickliche Mühlen sein.“ Sie verhehlte nicht, dass es ihr mit der momentanen Politik der Präsidentin nicht gut ging. Dann fragte sie: „Darf ich Ihre Sprechanlage benutzen?“ Kang nickte. Sie schluckte ihren Groll herunter, was ihr nicht sehr leicht fiel. Dann aktivierte sie die Sprechanlage: „Ribanna, geben Sie mir Nuguras Büro.“ Mit flinker Hand und redegewandter Stimme arrangierte Ribanna die gewünschte Verbindung. „Selbstverständlich, Kissara.“, freute sich die Präsidentin, nachdem ihr mein Commander mein Anliegen unterbreitet hatte. „Sagen Sie Ihrem tapferen Allrounder, ich entbinde sie hiermit von allen Missionen der Granger, bis sie ihren Kampf gegen die Rückständigkeit gewonnen hat.“

Kissara spürte, wie ihr Gesicht wieder einen wütenden ernsten Ausdruck bekam. Sie wollte sich aber nichts anmerken lassen. Deshalb legte sie das Gespräch kurz in die Warteschleife und versuchte, sich zu beruhigen. Komm schon, Kissy., Dachte sie. Lächeln! Sie darf es doch nicht sehen. Außerdem hast du keine Beweise. Dann fasste sie sich ein Herz, nahm das Gespräch wieder an und sagte: „Es freut mich, Madam President, dass wir einer Meinung sind. Ich werde ihr die frohe Botschaft gleich überbringen.“ Sie drückte die 88-Taste, aber nur, um der erloschenen Verbindung eine weitere folgen zu lassen: „Ribanna, verbinden Sie mich mit Allrounder Betsys Rufzeichen auf der Erde!“

So war es also dazu gekommen, dass ich jetzt vor meinem Sprechgerät saß und abwechselnd mit der rechten und der linken Fußspitze auf den Boden tippte. Das Piepen des Transceavers klang für mich wie Erlösungsgesang. „Hier Allrounder Betsy.“, meldete ich mich vorschriftgemäß. Einer Rechnereinstellung sei Dank wusste ich nämlich, dass der Ruf von einem Sternenflottensprechgerät kam. Der Computer hatte mir dies vorgelesen. Ich hörte ein Geräusch, als würde jemand das Mikrofon mit einer Wolldecke bedecken und dann etwas, das mich an das Schnurren einer Katze erinnerte. Nur war es um ein Vielfaches lauter. Ich schlussfolgerte, dass am anderen Ende der Verbindung nur Kissara sein konnte. Dass die Thundarianer schnurren konnten, war mir zwar gerüchteweise bekannt, aber ich hatte es bisher nie so richtig glauben wollen. „Ma’am, haben Sie etwa … Ich meine, können Sie …“, staunte ich ins Mikrofon. „Soll ich das etwa nicht?“, fragte Kissara etwas naseweis zurück. „Wenn ich doch so gute Nachrichten für Sie habe?“ „Was meinen Sie damit?“, versicherte ich mich. Ich hatte zwar schon eine Ahnung, wollte diese aber von ihr bestätigt wissen. „Es ist ein Ja!“, antwortete sie. „Passen Sie aber auf, wie weit Sie gehen.“ „Keine Angst.“, entgegnete ich. „Es handelt sich nur um zwei Jugendliche und etwas Aberglauben.“ „Ach so.“, erwiderte sie und ich dachte, etwas Schnippisches aus ihrer Stimme entnehmen zu können.

Jetzt würde ich überlegen müssen, wie ich am Besten vorgehen könnte, um Melissa ihre Angst zu nehmen. Die Holzhammermethode wäre sicher fehl am Platz. Ich würde ohnehin noch Hilfe brauchen und wusste schon, wen ich ansprechen würde.

Auf Nihilla hatte eine reptiloide Frau den Präsidentenpalast betreten. Sie war von ungefähr 190 cm Größe, hatte ein weißes Schuppenkleid und ihre Uniform, die ganz in strengem Schwarz gehalten war, wies sie durch einen metallisch glänzenden Federschmuck als Commandara, das bedeutet so viel wie militärische Führerin, aus. Sie trug eine Kiste mit allerlei zerstörten Gegenständen vor sich her, als handle es sich um Trophäen. Die Angestellten des Präsidenten winkten sie durch.

Die Nihillaner machen in ihrem Leben zwei Verwandlungen durch. Sie kommen zur Welt, indem sie aus Eiern schlüpfen. Dann sehen sie wie Amphibien aus. Während der Pubertät verwandeln sie sich das erste Mal unter einer Art Harzschicht, die von den Hautdrüsen produziert wird und Mutarin heißt. Dann sehen sie wie Echsen aus. Nur in diesem Stadium sind sie fortpflanzungsfähig. Mit ca. 40 Jahren verwandeln sie sich erneut und sehen im Alter aus wie Menschen. Dann leben sie noch einmal durchschnittlich 30 Jahre. Ihre Staatsform ist die Intellektokratie, also, die Herrschaft des Verstandes. Sie sind so etwas wie fundamentalistische Wissenschaftler. Derjenige mit dem größten IQ wird automatisch Staatsoberhaupt. Weshalb die korrekte Anredeweise für den Präsidenten „Allverstehender Präsident“ lautet. Die Nihillaner sind Berührungstelepathen. Das bedeutet, sobald sie jemanden anfassen, können sie seine Gedanken lesen, aber auch nur dann.

Die Chefin des nihillanischen Militärs stand jetzt also an der Schwelle zum Büro des Präsidenten. Dieser, ein ca. 180 cm messender grauhaariger Mann von dicklicher Statur und bereits 69 Jahren, musterte sie von Kopf bis Fuß und sagte dann: „Kommen Sie herein, Commandara Evain!“ Sie marschierte auf ihn zu und stellte die Kiste vor ihm auf dem schlichten holzfarbenen Schreibtisch ab. „Allverstehender Präsident.“, begann sie mit einem ekelhaft gemeinen Grinsen, bei dem ihre Echsenzunge geifernd hervortrat, als sie die Kiste öffnete. „Meine Leute und ich haben das letzte rückständige Nest von Religion ausgehoben. Alle Artefakte aus dem Tempel sind zerstört. Ich hoffe, das war denen endlich eine Lehre. Wer glaubt denn heute noch an Schöpfung und den ganzen Unsinn? Die Wissenschaft hat uns doch erklärt, dass alles ganz anders ist. Darf ich noch bemerken, dass es meinen Soldaten eine Freude und eine patriotische Pflicht war, diese Sinnbilder der Dummheit zu zerstören?“ Sie hielt die Scherben eines zerbrochenen Götterbildes in die Höhe und ließ sie mit einem verächtlichen Lachen in die Kiste zurückfallen.“ Präsident Ethius musterte sie und ihr Mitbringsel erneut. Dabei fühlte er sich wahrscheinlich wie ein kleiner Junge, der gerade mit seinem Lieblingszinnsoldaten gespielt hat. Dann klopfte er ihr auf die Schulter und sagte: „Gut gemacht, Evain! Und, wenn wir erst mal in der Föderation sind, werden wir es mit ihnen genau so machen. Religion ist einfach nur dumm. Es gibt keine Götter. Alles ist wissenschaftlich erklärbar. Es gibt keine Macht über der Wissenschaft. Wenn es eine Naturkatastrophe gibt, wer hilft dann? Gebete, oder technische Entwicklungen der Wissenschaft?“ Die Militärführerin stellte sich zackig vor ihren Präsidenten und antwortete schmissig: „Natürlich die Wissenschaft, Allverstehender Präsident!“ „Richtig!“, erwiderte Ethius. Dann sagte er: „Wegtreten! Aber lassen Sie die Kiste hier. Ich brauche sie noch.“ Evain nickte und machte auf dem Absatz kehrt, um den Raum im Stechschritt zu verlassen.

Ethius ließ seinen Blick über die Beute seiner Generalin schweifen, die sie ihm überlassen hatte. „Oh, ihr dummen Narren.“, spottete er an die Adresse ihrer vorherigen Besitzer gerichtet. „Wo waren eure Götter als Evain kam. Wenn ihr jetzt nicht einseht, dass es sie nicht gibt, dann tut ihr das hoffentlich nach einem Aufenthalt in einem Umerziehungslager. Evains Leute bilden sicher gern eine persönliche Eskorte. Ich will ja nur das Beste für euch. Auch ihr sollt an unserem fortschrittlichen Denken teilhaben können.“ Noch einmal schaute er spöttisch über die zerstörten Glaubenssymbole hinweg, bevor er sie mit einem Fußtritt der Materierückgewinnung des Büroreplikators überantwortete. Selbst die Berührung mit der Hand waren sie ihm nicht mehr wert.

Kapitel 2: Dunkle Vorzeichen

von Visitor

 

Maron und Zirell saßen in deren Bereitschaftsraum auf der tindaranischen Basis. Die Tindaranerin hatte der IDUSA-Einheit der Station die Blockade der Tür befohlen. Außerdem sollte der Rechner das Sprechanlagenterminal auf nicht erreichbar schalten und auch lokalisieren können sollte man beide nicht. Solche Vorkehrungen traf Zirell nur dann, wenn es sich um Geheimgespräche handelte.

Sie hatte beiden ein Getränk repliziert, das sie nun abstellte. Maron griff zögernd nach seinem Glas. „Was ist.“, lächelte Zirell. „Denkst du etwa, ich wolle dich vergiften?“ Der vollschlanke Demetaner sah sie fest an. „Vergiften, Zirell, ja, das ist ein guter Ansatz. Allerdings glaube ich nicht, dass du so etwas tun würdest. Eher glaube ich, dass die baldigen Neubürger der Föderation, diese Nihillaner, unseren Verstand vergiften werden, wenn wir uns nicht vorsehen. Nugura behauptet, mit ihnen sei alles in Ordnung, aber ich glaube das nicht. Warum sollten denn so viele Leute aus einer Gesellschaft flüchten und bei uns politisches Asyl beantragen, frage ich dich, wenn in ihrer Heimat alles in Ordnung ist.“ „Die Zusammenkunft glaubt auch, dass auf Nihilla irgendetwas nicht stimmt.“, versuchte Zirell ihren ersten Offizier zu beschwichtigen. „Wir mögen zwar die Verbündeten der Föderation sein, aber wenn wir das Gefühl haben, dass unsere Verbündete einen Fehler macht, dann können wir es ihr ruhig verdeutlichen. Nur, leider haben wir noch keine Beweise.“ Sie sah Maron an. „Ich habe bereits tausende von Flüchtlingen verhört, aber keiner will mit der Sprache raus.“, stöhnte Maron resignierend. „Aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass die Föderation den Fehler ihres Lebens macht, wenn sie Nihilla einbürgert. Ich kann es nicht erklären, aber aus irgendeinem Grund habe ich ziemliche Angst um unsere freiheitlich demokratische Grundordnung!“

Kaum hatte er ausgesprochen, da hörten beide, wie sich jemand mit einem technischen Werkzeug an der Tür zu schaffen machte. Der Stromkreis wurde überbrückt und vor ihnen stand Shannon. Die blonde Irin spielte aufgeregt mit ihren inzwischen sehr lang gewordenen Haaren. „Sorry, Zirell!“, stieß sie hervor. „Ich habe IDUSAs Interdimensionssensoren gewartet. Sie hat beim Test einen weiteren Flüchtlingszug aus der interdimensionalen Schicht kommen sehen. Wir …“ „Schon gut, O’Riley.“, sagte der erste Offizier hektisch, bevor er ihre Hand schnappte und sie mit sich aus der Tür ziehen wollte. „Wo willst du hin?!“, fragte Zirell mit strengem Tonfall. Sie hatte ganz und gar nicht verstanden, was Maron beabsichtigte. „Ich fliege mit IDUSA den Flüchtlingen entgegen.“, antwortete Maron mit Überzeugung. Ungläubig sah sie ihn an. „Du?“, fragte Zirell erstaunt. „Ja ich!“, erwiderte Maron leicht verärgert. Er fand, dass sie eigentlich längst wissen musste, dass er und das Schiff seit dem Training durch Joran keine Probleme mehr hatten. „Wer sonst.“, fuhr Maron fort. „Shimar hat eine Freischicht und Joran ist bei Ishan wegen der Einstellung auf die neue Dosis seines Medikamentes. Wenn du es also nicht selbst machen möchtest, lass mich jetzt bitte gehen. Außerdem kann ich damit endlich beweisen, dass IDUSA und ich auch ohne einen gewissen vendarischen Fluglehrer zurechtkommen. Kommen Sie, O’Riley!“ Sie ließen eine völlig perplexe Zirell zurück.

Im Raum-Zeit-Kontinuum betrat ein junger etwa 40-jähriger Vendar einen Palast. Tolea hatte ihre Wohnstätte für ihn jedes Mal so aussehen lassen, wenn sie ihren Vertrauten, Diran, empfing. Sie wusste, dass Diran dies kannte. Die Vendar-Wächter am Eingang des Thronsaales ließen Diran passieren. Er war ihr Anführer, was sich automatisch durch seine Stellung als Vertrauter ihrer Gebieterin ergab. Wenn Diran zu Tolea gerufen wurde, wer waren sie dann, dies in Frage zu stellen, oder ihn sogar aufzuhalten?

Zwei Wächter öffneten auf Toleas telepathisches Geheiß die Tür, durch die Diran jetzt mit feierlichem Schritt ging. Ehrfürchtig trat er auf die Mächtige zu, die an einem kleinen Tisch in der Ecke des großen reich geschmückten Raumes auf einer Bank Platz genommen hatte. „Setz dich zu mir, Diran!“, befahl Tolea. Als Toleas Vertrauter hatte nur Diran von allen Vendar das Recht, mit ihr auf einer Ebene zu sitzen.

Es ist übrigens nicht notwendig, dass weibliche Mächtige weibliche Vertraute und männliche Mächtige männliche Vertraute unter den Vendar erwählen. Das geschlechtliche Verhältnis kann auch, wie im Fall von Tolea und Diran, gemischt sein.

Eben so ehrfürchtig, wie er den Saal betreten hatte, näherte sich der Vendar jetzt dem Platz, den ihm seine Gebieterin zugewiesen hatte. Langsam setzte er sich zu ihrer Linken. „Nein.“, korrigierte Tolea. „Komm an meine rechte Seite!“ Dieser Platz gebührte normalerweise nur einem anderen Mächtigen, oder zumindest jemandem, der das Gleiche Wissen haben durfte, wie Tolea, oder ohnehin ein Mächtiger selbst. Deshalb wusste Diran nicht, ob er sich geschmeichelt fühlen sollte, oder, ob er angesichts dessen, was sie ihm erklären würde, lieber Angst haben sollte. Dennoch wechselte er befehlsgemäß den Platz.

Tolea berührte ihn kurz. „Du trägst ein Energiefeld.“, stellte sie fest. „Das Experiment der Sternenflotte war also erfolgreich.“ „In der Tat, Gebieterin!“, freute sich Diran. Er war froh darüber, dass er mit der Teilnahme an diesem Experiment eventuell Vendar helfen konnte, die ihre Freiheit wollten, aber allergisch auf das Medikament der Tindaraner reagierten, welches verhinderte, dass die Vendar zu einer Gefahr für Telepathen werden würden. „Es ist ein künstliches Feld, nicht wahr?“, fragte die Mächtige freundlich. Selbstverständlich wusste sie dies genau, wollte ihn aber in seinen Handlungen bestärken und nutzte dies als psychologischen Trick. Diran nickte freudig. Dann sagte er: „Als sie es in meine Sifa gebeamt hatten, fühlte es sich sehr echt an. Ich muss sogar jeden Tag das Fütterungsritual durchführen. Mein Körper verhält sich, als trüge ich ein echtes Feld. Scientist Ketna von Zeon, die das Experiment leitet, sagt, dass ich jeden Morgen mit ihr SITCHen muss, um ihr über meinen Gesundheitszustand zu berichten. Sie hat gesagt, ich soll ansonsten meinem normalen Alltag nachgehen. Die Ärzte der Föderation sagen, das Feld wurde auf Nihilla entwickelt.“

Tolea zuckte zusammen, als habe sie gerade der Schlag getroffen. Eine Sorgenfalte machte sich auf Dirans Gesicht breit. „Was ist Euch, Gebieterin!“, fragte der Vendar irritiert. In seinem Blick, den er verschämt von ihr gewand hatte, schwang jetzt ein deutliches Flehen um Verzeihung mit. Er hatte sie nicht schrecken wollen und hoffte nun, dass sie ihn am Leben lassen würde.

Vorsichtig strich Tolea über sein geflecktes Fell. „Nur ruhig, Diran.“, tröstete sie. „Du kannst es ja nicht wissen. Ach, du kannst es ja nicht wissen.“ „Was kann ich nicht wissen, Gebieterin?“, fragte Diran nach. Eine Weile überlegte Tolea, ob sie ihm bereits jetzt die Wahrheit sagen sollte. Entschied sich aber dies doch noch nicht zu tun. Statt dessen sagte sie: „Wir werden ins Dunkle Imperium fliegen. Dort veranstaltet mein Gevatter Logar eine Konferenz, auf der wir klären wollen, wie wir der Föderation einen Fingerzeig geben können, damit sie keinen Fehler macht.“ Diran schaute unsicher. Dann sagte er: „Vergebt mir, Gebieterin, aber ist es nicht eher anzuraten, sich nicht in die Entwicklung der Föderation einzumischen? Ich meine, wer bin ich, so eine Frage überhaupt zu stellen, nur …“ Die Mächtige legte den Finger an die Lippen, um ihn zum Schweigen zu bringen. Dann entgegnete sie: „Wer du bist? Du bist mein Vertrauter. Deshalb wirst du mich auch auf diese Konferenz begleiten. Und, natürlich darfst du das fragen. Im Prinzip hast du ja auch Recht, aber in diesem Fall ist es besser, wir warnen die Föderation. Glaub mir.“

Diran stellte sich neben sie, bereit, mit ihr gemeinsam an ihr Ziel zu teleportieren. Tolea aber lächelte nur und sagte: „Nein, das machen wir anders. Überprüfe dein Veshel!“

Was Tolea ihrem Vertrauten gerade befohlen hatte, tat im Tembraâsh gerade ein uns allen wohl bekannter alter graupelziger Vendar. Tabran hatte die Blumenwiese vor seinem und Shiranachs Haus kurzerhand zum Parkplatz seines Schiffes erklärt. Den Anderen machte der Umstand nichts aus, dass Tabran und Shiranach dieses Schiff hatten. Sie wussten, dass sie gerüchteweise die Vertrauten der Wächterin persönlich waren und wer waren sie, ihre Privilegien in Frage zu stellen. Immer noch herrschte bei der Mehrzahl der alten Vendar diese Denkweise vor, denn sie hatten ja schließlich einmal den Mächtigen gedient, die diese Praxis durchführten.

Tabran stand vor seinem Schiff und hatte eine Abdeckung entfernt. Darunter fand sich ein schier endloses Chaos an Modulen, Linsen und Halterungen, durch das der alte Vendar aber mit geübtem Blick gezielt eine der Linsen finden konnte. „Gleich kannst du deine Außenwelt wieder besser sehen.“, flüsterte er lächelnd in Richtung des Schiffes. Dann zog er eine frisch replizierte Linse aus seiner Tasche und setzte sie an den Platz derer, die er gerade entfernt hatte. Er befestigte die Abdeckung wieder und wollte sich gerade in Richtung Cockpit drehen, als er Shiranach im Eingang des Hauses erspähte. „Bitte komm ins Haus, Telshan.“, bat die Alte. Tabran verneinte aber und sagte dann: „Ich komme essen, sobald ich hier fertig bin, Telshanach. Aber du könntest mir kurz helfen. Ich brauche ein zweites Paar Augen. Komm her, setz dich ins Cockpit und sage mir, was du siehst.“

Shiranach kam langsam näher und tat, was Tabran ihr gesagt hatte. Er stellte sich genau vor den Sensor und rief ihr zu: „Beschreibe mir bitte, wie gut du mich erkennen kannst!“ Die alte Vendar, die jetzt vor dem Bildschirm des Flugpultes saß, ließ ihren Blick über eben diesen schweifen und meinte dann: „Ich sehe dich nur verzerrt. Du siehst aus, wie ein Schneemann.“ Dann war diese es also nicht., dachte Tabran. Er holte die Linse, die er entfernt hatte, wieder aus seiner Tasche, blies ein paar mal über sie, damit sie sauber wurde, denn er hatte befürchtet, dass sein Gewand vielleicht fusseln könnte und setzte sie wieder ein, allerdings nur, um eine andere durch die neue Linse zu ersetzen. „Wie ist es jetzt, Telshanach?“, rief er seiner Frau zu. „Unverändert!“, gab diese nüchtern zurück.

Tabran setzte sich ins Gras und dachte nach. Dies war die letzte Möglichkeit gewesen. Was sonst, außer einer trüben Linse, konnte einen zentralen Linsenfehler im Flughauptsensor auslösen, den ihm der Mishar, also der Schiffsrechner, gemeldet hatte. Ich wünschte, Jenna Mc’Knight El Taria wäre hier., dachte er. Sie kann so eine Meldung sicher besser interpretieren. Er begann langsam zu verzagen.

Die Silbe: „EL“ bedeutet im Vendarischen so viel wie: „Kommt aus“ oder: „Kommt von“, je nach dem , ob man über die Herkunft einer Person von einem Planeten oder aus einem Land, einer Stadt, einem Dorf, oder einer Provinz spricht.

Tabran starrte in die große Weite der ihn, das Schiff und Shiranach umgebenden Landschaft. Plötzlich sah er aus dem Augenwinkel, wie Shiranach sich etwas aus dem rechten Auge wischte. „Nein, diese Fliegen.“, murmelte die alte Vendar. „Überall kriechen sie einem hin und manchmal muss man blinzeln, wenn sie einem ins Auge fliegen. Danach gibt es erst mal einen Schleier und man guckt nicht richtig.“

Tabran sprang auf. Was hatte sie gerade gesagt? Eine Fliege? Vielleicht war dem Schiff ja auch gestern so etwas wie eine Fliege ins Auge geflogen. Er hatte am Vortag damit einen Meteoritenschauer durchquert. Dabei musste ein Meteorit die Sensorabdeckung durchschlagen haben. Jetzt lag das Teilchen vielleicht irgendwo zwischen den Linsen und glänzte so, dass der Sensor geblendet wurde.

Tabran lief ins Haus, holte ein Blasrohr, das von den Vendar auch oft noch zur traditionellen Jagd genutzt wird, richtete es auf den Sensor und pustete - teils vorsichtig, teils energisch - hinein. Danach setzte er die neue Sensorenabdeckung, die er ebenfalls im Haus repliziert hatte, ein.

Er wollte sich gerade umdrehen, als er einen nassen zahnlosen Kuss in seinem Nacken spürte, genau wie zwei knochige Arme, die ihn umschlangen. „Du hast es geschafft!!“, rief ihm eine wohl bekannte Stimme zu. „Ich habe dich gerade als meinen strahlenden Prinzen gesehen, der du immer für mich sein wirst!“ Tabran wusste, dass sie reichlich übertrieb. Aber das war unter den Vendar in romantischen Dingen ja normal. Zufrieden mit sich und der Welt, aber nicht, ohne sich bei ihr zu bedanken, folgte er ihr ins Haus an den Tisch, den sie liebevoll gedeckt hatte. „Danke nicht mir.“, sagte Shiranach in der ihr so eigenen Bescheidenheit. „Wäre die Fliege nicht gewesen …“ „Schon gut, Telshanach.“, unterbrach Tabran sie. „Ich schwöre dir: Ab heute werde ich nie mehr eine Fliege töten. Die Götter mögen meine Zeugen sein!“

Ich ging aus meiner Tür und zum Nachbarhaus, wo Data und Cupernica lebten. Die Hilfe der Androiden, oder besser die eines ihrer Haustiere, würde ich in Anspruch nehmen müssen.

Vorn herum gelangte ich auf das Grundstück und benutzte die Haussprechanlage. Leider antwortete niemand. Nur Fredy kam mir entgegengewuselt. „Na.“, sagte ich mit schmeichelnder Stimme. „Wo hast du denn deine Familie gelassen?“ Als wollte Fredy mir etwas zeigen, begann er, laut zu schnurren und wuselte los. Ich folgte ihm. Tribbles galten zwar, vor allem nach der Meinung der Demetaner, als sehr intelligent, aber ich dachte nicht, dass Fredy so eine Frage verstehen würde und sie auch noch so beantworten könnte, dass es für mich verständlich sei. Jedenfalls führte er mich jetzt ums Haus und in Richtung der Terrasse, wo ich bald auf einen der Gesuchten traf. „Guten Tag, Allrounder.“, begrüßte mich Data freundlich und gewohnt förmlich. „Hi.“, flapste ich zurück.

Data nahm Fredy auf, setzte ihn auf seinen Schoß und führte mich dann auf einen Stuhl zu. „Setzen Sie sich doch.“, lud er mich ein. Ich leistete seiner Bitte Folge und überlegte nebenbei, wie ich ihm mein Anliegen erklären sollte. Data würde es sicherlich extrem verwirrend finden, wenn ich ihm meinen Plan unterbreiten würde. „Wissen Sie, Sir.“, begann ich dann doch. „Ich benötige die Hilfe von Caruso, Ihrer Frau und Ihnen.“ Ich schwieg, um seine Reaktion abzuwarten. „Interessant.“, lautete seine nüchterne Antwort. „Auch die Auswahl Ihrer Helfer finde ich sehr faszinierend. Ich kann im Augenblick keinen gemeinsamen Nenner zwischen meiner Frau, Caruso, mir und Ihnen erkennen, außer der Tatsache, dass wir gute Nachbarn und Freunde sind und Caruso mein Haustier und auch Ihr Freund ist.“ Ich begann wieder zu denken. „Wie sollte ich einem Androiden erklären, dass es in seiner Heimatstadt eine abergläubische Familie gab, deren älteste Tochter damit ein Problem hatte und jetzt lernen wollte, dass eine schwarze Katze nicht immer Unglück bedeuten musste. Den Rest meines Plans wollte ich erst im Beisein Cupernicas erläutern, denn ich würde auf ihre psychologische Expertise angewiesen sein.

„Was ist denn jetzt der Grund, aus dem Sie meine Hilfe benötigen?“, bohrte Data. „Nun.“, begann ich zögerlich. „Sie kennen die Freemans?“ „Positiv.“, bestätigte Data. „Melissa Freeman ist eine Patientin meiner Frau. Ihre Eltern haben seltsamerweise einen anderen Hausarzt. Melissa hat Cupernica gegenüber gesagt, sie fühle sich bei ihr wohler.“ „Also.“, erklärte ich weiter. „Melissa ist abergläubisch erzogen.“ „Neulich hat sie fast einen Verkehrsunfall gehabt, weil sie einer schwarzen Katze ausgewichen ist. Ich möchte nun, dass wir ganz unvermittelt Caruso begegnen. Das ganze soll an einem Freitag dem 13. auf dem Weg zum Friedhof passieren.“ „Ich nehme an, um Mitternacht.“, unterbrach mich Data. Ich nickte. „Sie wollen Melissa wohl zeigen, dass dann nicht unbedingt etwas Schlimmes passieren muss.“ Ich nickte erneut. „Sie haben mit einem allerdings Recht.“, fuhr Data fort. „Wir sollten wirklich meine Frau dazu holen, denn sie sollte beurteilen, ob so viele Dinge auf einmal Melissa nicht vielleicht überfordern.“

Er begann, Cupernica etwas in F-14-Code, der im Volksmund auch als Androidentelepathie bezeichnet wird, zu übermitteln. Bitte komm auf die Terrasse. Allrounder Betsy ist hier und benötigt unsere Hilfe. Wenn du Caruso finden kannst, bring ihn bitte mit.

Dann ließ sich Data kurz entschuldigen, nur, um wenig später mit einer Kanne heißer Schokolade, einer Schale mit Schlagsahne und zwei großen Stücken Apfelkuchen zurückzukommen. Er stellte alles vor mir ab. „Wollen Sie mich mästen?“, fragte ich lächelnd. „Aber nein.“, antwortete er beruhigend. „Ich möchte nur ein guter Gastgeber sein.“

Im selben Augenblick erschien Cupernica mit dem laut schnurrenden Caruso in der Tür. Sie legte ihn mit den Worten: „Nicht erschrecken.“ auf meinem Schoß ab, wo er sich sofort zusammenrollte. Dann gab sie mir die Hand. „Nett, dass Sie uns mit Ihrer Anwesenheit beehren.“, sagte sie, bevor sie sich einen Stuhl heranholte, um sich zu uns zu setzen.

„Alter Kampfkuschler.“, lächelte ich Caruso zu, dem es auf meinem Schoß sichtlich und vor allem hörbar gefiel. „Ich wusste nicht, dass Kuscheln eine Kampfsportart ist.“, kokettierte Data mit dem allgemein üblichen Androidenverhalten. Ich grinste.

„Warum habt ihr mich denn jetzt geholt?“, wollte Cupernica wissen. Ich sah Data an. „Es ist Ihr Plan.“, schob dieser den Ball im übertragenen Sinn wieder von sich. „OK, Cupernica.“, begann ich. „Sie kennen doch Melissa Freeman. Ich möchte versuchen, ihr zu helfen, damit sie ihren Aberglauben los wird. Sie hat mir gesagt, es nerve sie ziemlich, dass ihre Eltern so komische Ansichten hätten. Neulich ist sogar fast etwas passiert.“ „Das kommt mir sehr entgegen.“, entgegnete die Androidin. „Ich bearbeite das Thema gerade auch mit ihr. Wie Sie sicher wissen, Allrounder, habe ich als ehemalige Sternenflottenärztin auch eine psychologische Ausbildung. Wenn Sie möchten, würde ich gern bei Ihrem Experiment dabei sein. Dann kann ich auch besser beurteilen, wie es Melissa damit geht und wir helfen uns gegenseitig. Sie helfen mir bei Melissas Therapie und ich Ihnen bei der medizinischen Beurteilung.“ „Hand drauf.“, sagte ich, klatschte in ihre Hand, nachdem ich einen großen Schluck aus meiner Tasse genommen hatte und erklärte weiter: „Eigentlich wollte ich, dass Sie, Cupernica, Caruso auf einer Seite des Weges zum Friedhof kurz festhalten und Sie, Data, auf der anderen Seite mit ein Bisschen Futter warten. Auf mein Zeichen sollten Sie Caruso dann zu sich rufen. Melissa, ihr Freund und ich würden dann Carusos Weg kreuzen.“ „Das können wir ja trotzdem tun.“, antwortete Cupernica. „Ich kann ja danach zu Ihnen stoßen.“

Maron und Shannon hatten die technische Kapsel, O’Rileys und Jennas gemeinsamen Arbeitsplatz, betreten. Von hier aus kam man direkt zur Shuttlerampe. Die hoch gewachsene brünette Amerikanerin mit schottischen Wurzeln staunte nicht schlecht, als sie der Begleitung ihrer Assistentin ansichtig wurde. „Sie, Agent?“, fragte sie mit ungläubigem Blick. „Ja, Mc’Knight!“, antwortete der Demetaner genervt. „Und, kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass IDUSA und ich Schwierigkeiten hätten. Das Problem hat ihr Freund ja, Mutter Schicksal sei Dank, gelöst! Aber IDUSA kann Ihnen ja alles zeigen, wenn es Sie beruhigt.“

Damit stiefelte er an ihr vorbei in Richtung der Schleuse, an welcher das selbstständig denkende Raumschiff lag. Jenna bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu. „Oh, Mann, Jenn’.“, lästerte Shannon. „Ob Major Carter auch so gekuckt hätte, wenn der Vertreter von …“ „Das glaube ich kaum.“, unterbrach Jenna sie, nachdem sie ihre Kiefer, zumindest empfand es Shannon so, wieder eingerenkt hatte.

IDUSA und Maron hatten abgedockt. Dem Schiff war nicht entgangen, dass ihr Pilot jede freie Sekunde genoss, in der nicht ein gewisser Vendar zur Stelle war, um ihm bei der kleinsten falschen Äußerung in IDUSAs Richtung verbal derart auf die Finger zu klopfen, dass er sich so schnell nicht mehr davon erholte.

„Wie sind Ihre Verhöre mit den nihillanischen Flüchtlingen bisher gelaufen?“, erkundigte sich das Schiff, um ein Gespräch in der bisweilen angespannten Atmosphäre zu beginnen. „Hat deine Kollegin, die Einheit der Station, dich nicht informiert?“, scherzte Maron zurück. IDUSA, die ebenfalls versuchte, das Konzept des Humors zu erlernen, ähnlich, wie es Data versuchte, gab zurück: „Wir reden im Augenblick nicht viel.“ Maron grinste. Er wusste genau, dass das Schiff und der Stationscomputer im ständigen Dialog standen, um wichtige Daten über technische Gegebenheiten auszutauschen. „Sie behauptet, ich hätte was mit Jennas Erfasser.“, erklärte IDUSA weiter, allerdings war auch dies nicht ernst gemeint. „Dabei ist sie mit ihm zusammen, nicht wahr?“, grinste der demetanische Ermittler. Er gab sich große Mühe, sein Grinsen auch in das Frequenzschema seiner Stimme zu legen. „Korrekt.“, scherzte IDUSA zurück.

Sie hatten bald jene Stelle erreicht, an der IDUSA die Flüchtlinge gesehen hatte. Hier schlichen diese, zumindest IDUSAs Meinung nach, mit Warp eins vor sich hin. „Meinen Scanns zufolge.“, begann das Schiff. „Haben ihre Schiffe zwar einen Interdimensionsantrieb, können aber im normalen Modus nicht schneller als Warp eins fliegen. Ich finde das höchst bedenklich, wenn sie vor einer Gefahr fliehen müssen. Es handelt sich um reine Zivilschiffe ohne Bewaffnung.“ „Warte mal.“, vergewisserte sich der Kriminalist. „Soll das heißen, die können weder kämpfen, noch flüchten?“ Er nahm eine sehr angespannte Körperhaltung ein. „Korrekt.“, antwortete das Schiff sachlich. „Ich frage mich, wie die Regierung der Föderation jemanden einbürgern kann, der eher ihres Schutzes bedarf, als sich selbst ausreichend schützen zu können. Denken Sie nur mal an die Gefahr durch die Genesianer. Dem technischen Standard nach, den diese Schiffe haben, denke ich, dass auch das Militär nicht besser ausgerüstet sein muss.“ Maron machte ein zynisches Gesicht, bevor er sagte: „Ob nun Warp eins oder Warp 10. Hauptsache Warp. Mehr interessiert die gegenwärtige Regierung nicht. Am Wenigsten aber interessiert sie wohl die moralische … IDUSA, was war das?“ Maron hatte etwas gesehen, das ihm wie eine Art von synchroner Explosion einiger Schiffe vorkommen musste. „Es sieht aus, als hätten einige Zivilschiffe ihre Hüllen gesprengt.“, erklärte das ebenfalls verwunderte Schiff. Tatsächlich sahen Maron und IDUSA bald Teile von Schiffshüllen, die sich aber zusammenzufalten schienen, um im nächsten Augenblick durch eine Art Klappe im Bauch des Schiffes, zu dem sie gehörten, zu verschwinden. Aus jeder dieser Hüllen war nun ein schnittiges schnelles Kriegsschiff hervorgetreten. Geistesgegenwärtig befahl Maron: „Zeichne auf, IDUSA. Zeichne dieses verdammte Geschehen auf. Trojanische Pferde sind in der Föderation geächtete Waffen. Dass der nihillanische Staat sich nicht schämt. Wenn ich das schon sehe, möchte ich nicht wissen, welche Drangsal die Bürger dort auszuhalten haben. Kein Wunder, dass keiner redet, wenn man hinter jeder Ecke Soldaten vermutet. Mach schon!!!“ „Ich kann nichts aufzeichnen.“, bedauerte das Schiff. „Ich kann gewissermaßen nichts sehen. Von den Schiffen muss eine Strahlung ausgehen, die meine Sensoren blind macht. Außerdem würde ich damit nur die Anwesenheit von Kriegsschiffen aufzeichnen. Das ist zwar in einem Zug von zivilen Flüchtlingen schlimm genug, aber es beweist leider nicht die trojanischen Pferde. Ich benötige Ihre Hilfe. Sie können, wenn Sie aus dem Fenster sehen, mir zumindest sagen, ob ich gleich gegen irgendwas krache.“ „Ja doch! Verflucht!“, entgegnete Maron und konzentrierte sich stark auf jedes Bild, das er außerhalb der Kapsel sehen konnte. Es ärgerte ihn, dass ihm jeder Beweis für die Doppelmoral der Nihillaner im letzten Moment aus den Fingern zu gleiten schien. Die sind mir immer einen Schritt voraus., dachte der Ermittler.

Maron musste nach einer Weile aufgeben. Zwar hatte er IDUSA befohlen, die Schilde zu heben und die zivilen Schiffe mit ihren Waffen zu verteidigen, da das Schiff aber dabei auf die Informationen angewiesen war, die sie von ihm über den Neurokoppler empfing, konnte er dies nicht lange durchhalten. Nach einer Weile sah Maron nur noch ein undurchsichtiges Gewirr von Schiffsrümpfen, Photonentorpedos, Phaserfeuer und Trümmern. „Ich schaff’ das nicht.“, gab Maron zu. „Ich bin ja leider nicht multi-tasking-fähig wie du. Ich kann dich unmöglich gleichzeitig fliegen und dir die Befehle für die Waffen geben. Zumal auch ich mittlerweile hier nicht mehr durchsehe.“

IDUSA wendete plötzlich scharf, so dass Maron mit dem Kopf gegen die Wand fiel. „Was sollte das?!“, fragte der erste Offizier aufgebracht. „Ich habe ein SITCH-Signal von einem der zivilen Schiffe empfangen.“, erklärte IDUSA. „Die Transceaver der Schiffe waren zwar das Erste, was die Militärs zerstört haben, aber einer der zivilen Piloten scheint ein Handsprechgerät zu besitzen. Damit sendet er oder sie eine Dauerträgerwelle, die es mir ermöglichen sollte, die Position zu ermitteln. Leider kann ich die Person nicht beamen, wegen der Strahlung, die den Aufbau eines Transitfeldes unmöglich macht.“ „Macht nichts.“, sagte Maron. „Wenn die von Kriegskonventionen abweichen können, können wir das auch. Beschütze die Signalquelle!“, IDUSA ließ ihren Avatar zusammenzucken. „Sie wissen, was dieser Befehl für ein tindaranisches Schiff bedeutet.“, belehrte sie Maron. „Natürlich weiß ich das.“, erwiderte dieser. „Es heißt, dass du alles tun darfst, um die Signalquelle zu verteidigen. Auch, wenn du dabei von den Konventionen von Khitomer oder auch tindaranischen Konventionen abweichst. Der Schutzbefehl hat stärkere Konsequenzen als der reine Verteidigungsbefehl. Du weißt auch, dass, wenn dein Pilot dir diesen Befehl erteilt, er alle Verantwortung dafür übernimmt. Du hast also nichts zu befürchten.“ „Na gut.“, erklärte sich IDUSA einverstanden, schob sich zwischen die Signalquelle und die schießenden Schiffe und schoss aus allen Rohren, was ihre Waffen hergaben. Dass sie dabei diverse Warpkernbrüche und Explosionen verursachte, bei denen fremde Soldaten zu Tode kamen, störte sie nicht. Maron würde vor einem tindaranischen Kriegsgericht für alles die Verantwortung übernehmen, sollte es je dazu kommen.

Einige Minuten waren so schon vergangen, als IDUSA plötzlich einen Ruf vom Führungsschiff des nihillanischen Militärs empfing. „Da will jemand mit Ihnen reden.“, informierte sie Maron. „Na geht doch.“, grinste der erste Offizier hämisch. „Stell durch. Denen werde ich etwas erzählen.“ „Sie können sprechen.“, entgegnete die künstliche Intelligenz.

Auf dem virtuellen Bildschirm vor Marons geistigem Auge erschien das Bild Evains. „Was fällt Ihnen ein!“, erboste sich diese. „Sie haben auf meine Schiffe gefeuert, auch, als diese kampfunfähig waren. Diverse meiner Leute wurden buchstäblich in Stücke gerissen, als ihnen die Shuttles unter dem Hintern explodierten. Andere haben eine üble Strahlenvergiftung. Ich dachte, es gebe Konventionen, wie man sich unter anständigen Soldaten verhält. Ihre Methoden sind eher die von Raumpiraten, jawohl!“ „Hören Sie auf zu jammern, Commandara.“, sagte Maron zynisch. „Als ob Sie ein Recht auf Beschwerde hätten. Die Flüchtlinge scheinen Ihrem Volk anzugehören. Das will ich nicht in Abrede stellen. Aber Sie haben auf tindaranischem Gebiet gegen tindaranisches Recht verstoßen. Wir lassen nämlich nicht zu, dass sich getarnte Militärs in einen Zug von Flüchtlingen schmuggeln und alle töten. Mein Schiff und ich werden alles tun, um das tindaranische Recht durchzusetzen. Das schließt auch einige Schüsse vor Ihren Bug nicht aus. Außerdem haben wir alles aufgezeichnet. Wir haben Beweise, dass Sie damit angefangen haben, gegen die gerade von Ihnen zitierten Konventionen zu verstoßen. Bin neugierig, was die Regierung der Föderation dazu sagt. Ihr Staatschef musste doch unterschreiben, sich an alle Konventionen zu halten, nicht wahr?“

Es erfolgte keine Antwort mehr. Statt dessen zündete man an Bord des nihillanischen Schiffes den interdimensionären Antrieb und war verschwunden. Maron war recht zufrieden mit dem Ausgang des Geschehens. „Na also, IDUSA.“, sagte er. „Das hat ja prima funktioniert.“ „Ich fürchte, ich muss Ihre Freude zerstören.“, warnte ihn das Schiff vor, bevor sie fortsetzte: „Evain wird schnell merken, dass Sie geblufft haben, als Sie davon sprachen, dass ich alles aufgezeichnet hätte.“ „Macht nichts.“, erwiderte Maron. „Ich habe erreicht, was ich wollte. Für einen Moment muss sie sich verdammt ertappt gefühlt haben. Oder, wie deutest du ihre Reaktion? Wo ist eigentlich unsere Signalquelle?“ „Sie ist ebenfalls in den Interdimensionsmodus gegangen.“, stellte IDUSA nach eingehender Auswertung ihrer Sensorenbilder fest. „Ihrer Spur in der interdimensionalen Schicht zufolge ist sie erst mal in Sicherheit.“ Maron schlug sich auf die Schenkel. „Klappt ja wie’s Brezelbacken.“, meinte er dann. „Ich muss Sie erneut korrigieren.“, sagte das Schiff. „Auch, wenn wir einen retten konnten, so ist doch die Zahl der toten Flüchtlinge ungleich größer. Ich kann und werde dies nicht als Sieg bezeichnen.“ „Falsch, IDUSA.“, widersprach Maron. „Deine Mitstreiterinnen und ihre Piloten konnten bisher in solchen Situationen nur die retten, die sie an Bord der Schiffe beamen konnten, und dann in Durchgangslager gebracht haben. Dank uns hat es jetzt aber einer geschafft, samt Schiff an sein oder ihr Ziel zu kommen. Das gibt ihnen vielleicht moralischen Auftrieb, weil sie dann wissen, das dass Militär ihres Staates doch nicht ganz unbesiegbar ist. Vielleicht redet ja dann auch mal einer mit mir oder meinen Kollegen.“ „Aber.“, erwiderte IDUSA. „Rein mathematisch …“ „Glücklicherweise, IDUSA, ist die psychologische Wirkung einer Aktion nicht von mathematischen Faktoren abhängig, basta.“, belehrte Maron sie. „Und jetzt lass uns nach Hause fliegen.“ Verwundert folgte das Schiff seinem Befehl.

Kapitel 3: Freitag, der Dreizehnte

von Visitor

 

Die aktuelle Zeitrechnung arbeitete in meine Hand. Diesen Monat würde es einen Freitag den 13. geben und der war sogar schon diese Woche. Ich meldete mich freiwillig, um den Jugendtreff von Little Federation an diesem Wochenende zu betreuen. Auch die Freunde von Melissa und Nalas würde ich in meinen Plan einbeziehen müssen.

Der Computer meines Hauses und ich hatten das Musikprogramm für den Abend zusammengestellt. Ich hatte den Datenkristall ins Laufwerk geschoben und hatte dann dem Rechner im Partyraum des Gemeindehauses befohlen, das Mikrofon für Ansagen zu öffnen. „OK, ihr Lieben.“, sagte ich in ruhigem Ton. „Bevor wir heute anfangen zu feiern, muss ich noch etwas loswerden. Ihr alle wisst, was letzte Woche passiert ist. Vielen von euch mag das seltsam vorkommen. Aber dort, wo ich herkomme, ist Aberglaube normal gewesen. Melissa und Nalas möchten aber, dass das aufhört und Melissa keine Angst mehr vor schwarzen Katzen und dergleichen haben muss. Dafür brauchen sie und Nalas aber euer aller Hilfe. Alle, die den Beiden helfen wollen, treffen sich um halb zwölf mit mir vor dem Eingang. Bis dahin.“ Ich betätigte eine Taste, worauf der Computer die Musik beginnen ließ. „Amüsiert euch!“

Evain hatte ihr Schiff gelandet und sich sofort von einem niederen Soldaten zum Präsidentenpalast bringen lassen. Hier wollte sie Ethius unbedingt berichten, was geschehen war.

„Es tut mir leid.“, lächelte ihr Ethius’ Sekretärin zu. „Der Allverstehende Präsident ist gerade in einer …“ Weiter sprechen konnte sie nicht, denn Evain schob sie unsanft zur Seite und verschaffte sich so Zutritt zu Ethius’ Büro. Dieser beendete eilig das SITCH-Gespräch, das er gerade geführt hatte und wendete sich dann seiner Militärführerin zu. „Evain, was ist passiert? Sie sind ja total blass.“ „Die Tindaraner wissen Bescheid!“, stieß Evain fast panisch hervor. „Dieser verdammte Demetaner, der für sie arbeitet. Er hat alles gesehen. Er sagt, sein Schiff habe aufgezeichnet, wie wir die trojanischen Pferde benutzt haben. Er wird alles seinem Commander sagen und die wird es der Zusammenkunft sagen und die sagen es Nugura. Wenn die erfährt, dass wir geächtete Waffen haben, wird sie …“ Der Präsident stellte sich neben sie und fasste ihre Schulter. Dann drehte er sie zu sich um. „Reißen Sie sich zusammen, Evain!“, befahl er. „Denken Sie mal logisch. Er mag zwar gesagt haben, dass sein Schiff alles aufgezeichnet hat, aber es gab doch vorher keinen Verdacht auf trojanische Pferde, nicht wahr?“ „Natürlich nicht, Allverstehender Präsident.“, atmete Evain auf. „Also.“, fuhr Ethius fort. „Dann waren der Demetaner und sein Schiff doch durch diese Tatsache überrascht und konnten allenfalls erst dann aufzeichnen, als deine Truppen schon auf die Flüchtlinge schossen.“ Fragend sah Evain ihren Oberbefehlshaber an. „Soll das heißen, er hat nur geblufft?“, wollte sie wissen. „Natürlich!“, antwortete Ethius. „Die Tindaraner können uns gar nichts beweisen und das bedeutet, wir machen weiter wie bisher.“

Ich war überrascht, als ich die Tanzfläche bereits um elf völlig leer vorfand. Wo waren alle hingegangen? Die Frage erübrigte sich aber bald, weil alle geschlossen zurückkamen. Jeder hatte seine Jacke an. Ich war froh darüber, dass sich wirklich alle Jugendlichen mit Melissa und Nalas solidarisch erklärten. Eilig packte ich meine Ausrüstung zusammen, die ich mitgenommen hatte und dann gingen wir langsam in Richtung Friedhof. Neben meiner Uniform, die ich angezogen hatte, hatte ich auch die Tasche mit meinem Erfasser, meinem Phaser und meinem Sprechgerät dabei. Ich dachte, dass die Kids sich vielleicht beschützter fühlen würden, wenn sie wüssten, dass ich ihnen damit im Notfall Schutz bieten könnte, da der Erfasser uns vor Gefahren warnen konnte, ich diese mit dem Phaser unschädlich machen könnte und mit dem Sprechgerät im Notfall Hilfe holen würde.

Guten Mutes gingen also „meine kleinen Zivilisten“ und ich jetzt zum Zentralfriedhof von Little Federation. Unterwegs SITCHte ich mit Data. „Cupernica, Caruso und ich sind auf Position, Allrounder.“, erklärte mir der Androide plangemäß. „Wir werden uns Ihnen beide anschließen, wenn Sie nichts dagegen haben.“ Ich drückte kurz die Sendetaste und nickte. Sagen durfte ich nichts, denn die Kids sollten nicht merken, dass die bald erfolgende Begegnung mit einer schwarzen Katze geplant war. Aus demselben Grund benutzte ich auch einen Ohrhörer.

Kurz vor den Toren des Friedhofes blieben wir stehen. „So.“, sagte ich. „Bitte nehmt jetzt Nalas und Melissa fest in eure Mitte. Wir müssen ihnen vermitteln, dass sie keine Angst haben müssen.“ „Mir brauchen Sie das nicht zu vermitteln, Mrs. Scott.“, entgegnete Nalas. „Ich weiß.“, sagte ich. „Aber dann kannst du deiner Freundin um so besser helfen.“

Nalas nahm fest Melissas Hand und die Anderen scharten sich um die Beiden. „Komm schon, Mely.“, flüsterte Nalas. „Solange Mrs. Scott bei uns ist, wird schon nichts geschehen.“ „Wenn du meinst.“, antwortete Melissa unsicher, folgte ihm aber dann doch.

„So!“, sagte ich etwas lauter, nachdem sich alle sortiert hatten, denn dies war auch das Signal für Data und Cupernica. „Kommt jetzt!“ Wir gingen weiter, aber im gleichen Moment hörte ich eine leise mir wohl bekannte Stimme „Caruso!“, rufen. Gleichzeitig hörte ich eine Schelle und das gewohnte „Min-Mang.“ Caruso schnurrte der gesamten Gruppe um die Beine. Sogar Melissa streichelte ihn. „Du bist aber ein lieber Kater.“, flüsterte sie ihm zu. „Ich kann gar nicht verstehen, warum meine Eltern glauben, dass du Unglück bringen sollst.“ Caruso beschmeichelte sie, als wollte er sagen: „Das verstehe ich auch nicht. Ich bin doch so ein niedliches Kätzchen. Fühl mal, wie weich ich bin.“

Einer der anderen Teenager flüsterte mir plötzlich zu: „Mrs. Scott, Melissa hat ihn sogar auf dem Arm.“ „Hey, klasse, Melissa!“, rief ich in ihre Richtung.

Data und Cupernica waren hinzugekommen. Jetzt konnte wirklich nichts mehr geschehen, so empfanden es zumindest die Jugendlichen. Mit drei Sternenflottenoffizieren an ihrer Seite, was sollte da noch schief gehen?

Zwischen den Gräbern herrschte die normale, fast gespenstisch anmutende Stille, die man eben auf einem Friedhof gewohnt ist. Ich versuchte, alles für die Jugendlichen so normal wie möglich wirken zu lassen, indem ich mich auch ganz alltäglich verhielt und keine großen Worte über Tot und dergleichen verlor.

Die Grabstellen waren als solche nur dadurch zu erkennen, dass dort so genannte „elektronische Grabsteine“ standen. Das waren ähnliche Anzeigewürfel, wie sie auch im Straßenverkehr genutzt wurden. Nur waren die Gehäuse hier in angemessenem Schwarz gehalten. Aufgeschüttete Hügel gab es nicht mehr, denn die Toten wurden im 30. Jahrhundert unter die Erde gebeamt. Ein Angehöriger, der dies wollte, konnte bei der Beerdigung nach Einweisung den mobilen Transporter bedienen. Diese Geräte, die den Bestattungsunternehmen gehörten, waren idiotensicher. Ein Knopfdruck und es ging los. Da konnte nichts passieren.

„Mrs. Scott!“ Der aus der Ferne an mein Ohr dringende Ausruf einer mir bekannten Jungenstimme verwirrte mich zunächst leicht. Ich hatte nicht bemerkt, dass sich einer meiner Schützlinge entfernt hatte. Data, der ihn blitzschnell lokalisiert hatte, hakte mich unter und führte mich zu dem Jungen, der etwas entdeckt haben musste. Jedenfalls kauerte er am Boden. Ich konnte ihn anhand seiner Stimme als Mikor identifizieren, einen Waisenjungen cardassianischer Herkunft, der im Kinderheim von Little Federation wohnte.

Ich hockte mich neben ihn und fragte: „Was hast du denn da?“ Mikor griff langsam meine Hand und führte sie auf einen Erdhügel. Dieser war rund und in vier Stufen unterteilt. Die Erde war sehr fest und unterschied sich von ihrer Beschaffenheit sehr von der umliegenden. Ich vermutete, dass entweder ihre Festigkeit oder eine Unterkonstruktion den stufigen Aufbau möglich machten. Oben auf der letzten Stufe fand sich eine Büste aus mir ebenfalls fremdem Material. Sie zeigte das Gesicht und den Oberkörper einer Frauengestalt, die zwei weitere Statuetten in einen weiten Umhang gehüllt hatte. Diese lagen in ihren Armen. Sie waren, im Gegensatz zu ihr, völlig nackt und stellten Amphibien dar. Um den seltsamen Hügel herum standen Tongefäße mit fremdartigen Symbolen.

Mikor wies auf den Hügel und fragte erschauernd: „Ist da jemand drunter?“ Ich hatte schon viele Begräbnisrituale außerirdischer Völker gesehen. Außerdem gehörte das in gewisser Weise zum Standardwissen eines jeden Sternenflottenoffiziers. Aber so etwas hatte ich noch nie gesehen.

Ich zog meinen Erfasser aus der Tasche, schloss den Ohrhörer an und stellte ihn darauf ein, das Innere des Hügels zu scannen. Dann drehte ich mich zu Data und flüsterte in sein Ohr: „Sir, bitte holen Sie Ihre Frau, aber so, dass keiner etwas mitkriegt.“ Die Kinder sollten durch die Erfasserergebnisse nicht beunruhigt werden. Eigentlich wollte ich ja mit meinem Gang auf den Friedhof erreichen, dass sie lernen, dass es hier keine seltsamen Vorkommnisse gab, vor denen man Angst haben musste. Dieses Vorhaben konnte ich jetzt jedoch gründlich vergessen. „Ich habe verstanden.“, gab Data ebenfalls sehr leise zurück. Dann übermittelte er Cupernica folgende Sätze in F-14-Code: Allrounder Betsy braucht hier deine Hilfe. Ich werde Caruso und die Kinder nach Hause bringen. Mikor wird eventuell als Einziger bleiben müssen. Er ist vielleicht ein Zeuge.

Mittlerweile hatten sich alle Jugendlichen um den Hügel versammelt. Auch Melissa schaute interessiert. Dabei hielt sie aber Nalas’ Hand ganz fest. Er schien ihr, obwohl sie sehr große Angst zu haben schien, in gewisser Weise Schutz bieten zu können. „Kids.“, wendete ich mich freundlich an die Teenies. „Mr. Data bringt euch jetzt alle nach Hause. Wir führen das hier ein anderes Mal fort. Ich habe gehört, das Wetter soll schlechter werden und ihr seid ja alle nur leicht bekleidet. Will ja keiner verantworten, dass ihr nachher alle krank werdet.“ Natürlich war das nur ein Vorwand. Mit der Wahrheit, die mir mein Erfasser offenbart hatte, konnte ich sie ja wohl schlecht konfrontieren. Sie hätten davor ja nur schreckliche Angst bekommen und sicher Nächte lang kein Auge zugetan.

Cupernica stand nun neben mir. Sie scannte den Hügel mit ihren Augen, wobei sie auch meinen Erfasser, den ich ihr auf ihr Geheiß gegeben hatte, zum Vergleich heranzog. Sie wartete, bis Data und die Kinder außer Hörweite waren. Dann sagte sie: „In diesem Grab befinden sich zweifelsfrei die Leichen von zwei nihillanischen Kindern.“ Ich stutzte. Dann fragte ich: „Aber, Scientist. ich dachte immer, die Nihillaner begraben ihre Toten nicht.“ „Das ist korrekt.“, stellte sie fest. Dann nahm sie mich bei der Hand, als wollte sie mich vor etwas schützen, bevor sie fort fuhr: „Sie tun dies deshalb nicht, weil sie die Existenz einer Seele negieren und ein Lebewesen für sie also nur aus chemischen Verbindungen besteht, wie alle andere Materie es auch tut. Also gilt jeder quasi ohne moralische Bedenken als Ersatzteillager für jeden. Zwangsorganspende ist auf Nihilla an der Tagesordnung. Man argumentiert, dass ja eine Maschine auch nicht gefragt wird, wenn sie verschrottet wird, ob man die funktionsfähigen Teile noch verwenden darf. Jemand, der die Organe eines Angehörigen zurückhält, gilt als Verbrecher.“ Ich schluckte. Gleichzeitig lauschte ich nach hinten, denn ich hoffte sehr, dass Mikor diesen gruseligen Vortrag nicht mit angehört hatte. Ich war erwachsen und eine ausgebildete Sternenflottenoffizierin. Mir machte das nicht viel aus. Aber wie würde ein Teenager auf so einen Vortrag reagieren? Aber auch ich musste bei Cupernicas Worten schlucken. „Wir werden sehen, was an der Sache dran ist.“, beruhigte mich Cupernica. „Es wird wohl besser sein, wenn sich der Geheimdienst hiermit befasst. Meine Dienste werden sie vielleicht in Anspruch nehmen müssen, aber das macht nichts.“ Damit zog sie ihr Sprechgerät und gab das Rufzeichen der Geheimdienstzentrale von Little Federation ein.

Sedrin und Agent Jones, ein etwas untersetzter Terraner mit Schnauzbart von 51 Jahren und etwa 1,60 m Größe, betraten bald den Ort des Geschehens. Zielstrebig ging die Demetanerin auf Cupernica zu. „Ah, Sie sind schon hier, Scientist. Also, was haben wir?“ Die Androidin sah die ehemalige erste Offizierin der Eclypse an. „Das sollte ich besser erläutern, Ma’am, wenn das Kind nicht dabei ist.“, entgegnete sie.

Sedrins Blick ging durch die Runde und fiel schließlich auf Mikor und dann auf mich. „Allrounder, Sie bringen den Kleinen besser ins Heim zurück. Was wir gleich besprechen werden, ist mit Sicherheit nicht für die Ohren von unter 18-Jährigen gedacht.“ Ich nickte und nahm Mikors Hand. „Aber ich bin ein wichtiger Zeuge.“, widersprach Mikor meiner tätlichen Aufforderung, mir zu folgen. „Ich hole mir deine Aussage morgen.“, beschwichtigte ihn Sedrin. „Bitte geh jetzt mit ihr.“ Beleidigt schlappte Mikor neben mir her.

Sedrin sah Cupernica an und wiederholte ihre Frage: „Was haben wir hier?“ „Meinen Scanns nach, Agent.“, begann Cupernica. „Handelt es sich hier um das Grab zweier nihillanischer Kinder.“ Ungläubig sah die Demetanerin ihre ehemalige Untergebene an. Cupernica kannte diesen Blick und seine Bedeutung. Deshalb sprach sie weiter: „Ich weiß auch, dass die Nihillaner aus Ihnen sicherlich bekannten Gründen ihre Toten nicht begraben, weil normalerweise nicht mehr viel von ihnen bleibt, wenn die Mediziner erst mal mit ihnen fertig sind. Aber …“ „Cupernica!“, ging Sedrin scharf dazwischen. „Verzeihen Sie.“, versuchte die Angesprochene ihre Vorgesetzte zu beschwichtigen. „Aber das ist die normale Verfahrensweise auf Nihilla.“ „Das kann ja sein.“, gab die Agentin zu. „Aber trotzdem muss ich nicht damit einverstanden sein.“ „Das war derjenige, der dieses Grab geschaufelt hat, sicher auch nicht. Anders lässt sich das hier nicht erklären.“, referierte Cupernica. „Sei’s, wie’s sei.“, erwiderte die demetanische Agentin. Dann zog sie einen ballistischen Hypor und forderte Cupernica auf, damit eine Probe zu nehmen, die später untersucht werden sollte. Die Androidin richtete den Hypor auf den Grabhügel und nahm einige Einstellungen vor. Dann beamte der Minitransporter des Gerätes eine Zellprobe der Leichen in die leere aufgesteckte Patrone. „Dieser Teil des Friedhofes gilt als Tatort. Er muss abgesperrt werden.“, erklärte Sedrin, bevor alle gingen.

Maron hatte Zirell von seinen Erlebnissen berichtet. Hierzu war er in ihr Quartier gegangen. Es kam selten genug vor, dass ihr erster Offizier sie hier aufsuchte, das wusste die tindaranische Kommandantin. Aber wenn es dann mal geschah, wusste sie, dass er den Kanal wohl ziemlich voll haben musste.

An der Tür hatte Zirell ihn bereits erwartet. Gemeinsam gingen sie nun den schlauchartigen Flur zum Wohnzimmer entlang. „Ich muss dringend reden, Zirell!“, stieß Maron hervor. „Was ich da gesehen habe! … Nein! … Wie kann Nugura nur so jemanden einbürgern wollen!“

Sie waren im Wohnzimmer vor einem kleinen runden Tisch, der wohl aus einem auf Tindara vorkommenden Mineral gehauen war, angekommen. Vor dem Tisch lagen zwei große etwa 80 cm große zylindrische Sitzkissen. Sie bestanden aus einem für Maron nicht identifizierbaren Stoff und waren mit einer elastischen Füllung gefüllt.

Verspielt kickte Zirell ihrem Untergebenen eines der Kissen zu und bedeutete ihm, sich neben sie zu setzen. Nachdem auch sie Platz genommen hatte, sagte sie auffordernd: „Nun mal los, raus mit der Sprache! Oder wollen wir hier den ganzen Abend Wände anstarren, bis wir uns einbilden, die Zukunft darauf zu sehen?“ Ihr letzter Satz, der sich auf einen tindaranischen Brauch zu Neujahr bezog, versetzte Maron einen Stich in die Magengegend. Sie hatte genau den Nerv getroffen. Wahrscheinlich war das nicht ungewöhnlich, da sie Telepathin war, aber etwas feinfühliger hätte sie, zumindest seiner Meinung nach, schon vorgehen können.

„Ich sehe schon.“, meinte Zirell nach einer weiteren fruchtlosen Pause. „Du brauchst einen Zungenlöser.“ Damit ging sie zum Replikator und befahl der IDUSA-Einheit der Station etwas auf Tindaranisch, das Maron nicht verstand. Aber er vertraute ihr. Für ihn war es ohnehin schon fünf vor zwölf und was sollte jetzt denn noch Schlimmeres passieren?

Maron sah zögernd zu, wie Zirell einen großen Schluck der quietschgrünen Flüssigkeit nahm und mit genießerischem Blick ihre Kehle herunter rinnen ließ. „Nur Mut!“, forderte sie Maron auf. „Ich dachte immer, ihr Föderationsoffiziere liebt die Herausforderung und das Neue.“ Maron sah auf die Flüssigkeit in seinem Glas. Von ihrer Konsistenz erinnerte sie ihn an sehr dicke Schokoladenmilch. Allerdings passte die grüne Farbe nicht zu dieser Theorie. Schließlich rang er sich dazu durch, doch einen kleinen Schluck zu nehmen. Der Geschmack erinnerte sehr an eine Mischung aus Minze, Erdbeeren und Karamell.

„Ach, die Föderation.“, seufzte Maron. „Am Liebsten würde ich dem Chief-Agent sagen, was IDUSA und ich gesehen haben. Auch, wenn wir es nicht wirklich beweisen können. Ich habe es zwar gesehen und könnte das Bild in IDUSA projizieren, wenn ich den Neurokoppler trage, aber wenn man dann ihre Speicherprotokolle ausliest, könnte man sehen, dass die Signale aus der falschen Region meines Gehirns gekommen sind. Ich hätte mir das Bild ja nur vorgestellt, verstehst du?“ Zirell nickte. Dann setzte sie aber einen tadelnden Blick auf und meinte: „Ich hoffe, du hast Jenna nicht befohlen, IDUSA zu manipulieren, damit sie diesen Umstand einfach mal vergisst.“ „Solche Aktionen habe ich mir schon lange abgewöhnt!“, entrüstete sich Maron. „Schon gut.“, lächelte Zirell. „Ich wollte ja nur mal testen, wie du reagierst.“ Auf den Schock leerte Maron sein Glas in einem Zug. Dann stand er auf und sagte: „Zirell, ich kann den Nihillanern zwar nicht beweisen, dass sie trojanische Pferde benutzen, aber dass Kriegsschiffe auf harmlose Zivilisten geschossen haben, das schon. Tamara wird das mit Sicherheit auch interessieren.“ Er setzte seinen mitgeführten Neurokoppler auf und wandte sich IDUSA zu: „IDUSA, verbinde mich mit Chief-Agent Tamara!“ Der Rechner folgte der Aufforderung und bald erschien das Gesicht der lockenköpfigen Halbklingonin vor Marons geistigem Auge auf IDUSAs virtuellem Bildschirm. „Was gibt es, Maron?“, lächelte Tamara ihrem ehemaligen Untergebenen zu. „Der Anlass, aus dem ich mich an Sie wende, Tamara.“, begann Maron ernst. „Ist leider kein erfreulicher. Die IDUSA-Shuttleeinheit dieser Station und ich können beweisen, dass die Nihillaner falsche Hunde sind!“ „Mäßigen Sie sich im Ton, Agent!“, gab Tamara zurück. „Das ist ein Befehl!“ „Sie haben mir lange keine Befehle mehr zu erteilen!“, schimpfte Maron. „Ich arbeite nicht mehr für Sie! Schon vergessen?!“

Als einer geschulten Telepathin war Zirell nicht entgangen, dass Maron jetzt sehr aufgeregt war. Sie befahl IDUSA eine Stummschaltung. Dann nahm sie geistigen Kontakt zu Maron auf: Ich bin hier. Lass mich dir helfen, dich auf deine Beweise zu konzentrieren. Gib mir deine Wut. Ich komme damit schon klar. Du musst einfach nur los und mich machen lassen. Maron spürte, wie sich ohne sein Zutun eine wohlige Entspannung über seinen Körper ausbreitete. „Oh, Zirell, was …“, stammelte er. Sie machte nur „Sch-scht-scht.“, ohne jedoch damit aufzuhören, ihn zu entspannen.

Sie hob die Schaltung wieder auf, nachdem sie zufrieden in ein ruhiges Demetanergesicht geblickt hatte. „Verzeihen Sie bitte, Tamara.“, entschuldigte sich Maron. „Ich habe mich wieder beruhigt. Aber die Nihillaner haben ein wahres Blutbad unter unschuldigen Zivilisten angerichtet. Ich habe den Verdacht, dass sie trojanische Pferde benutzen, kann es aber nicht beweisen.“ Da Tamara die Sendetaste ihres Sprechgerätes gedrückt hielt, konnte Maron sehen, dass sie den Kopf nach allen Seiten drehte, als wolle sie sich vergewissern, dass sie in dem Raum, von welchem sie sprach, allein war. Dann sagte sie: „Unter uns, Maron. Ich glaube auch, dass etwas faul ist im Staate Nihilla. Aber, solange wir nichts beweisen können, wird es unmöglich sein, Nugura davon zu überzeugen. Für sie zählt nur, dass die Nihillaner warpfähig sind. Für Nugura ist Warpfähigkeit gleich Fortschritt und das Gleiche wie eine integere Moral. Dass dies zwei verschiedene Paar Schuhe sein können, übersieht sie sehr gern.“ „Wenn das so ist.“, sagte Maron in einem ruhigen Ton, den er aber eigentlich gar nicht wollte. „Dann hätten wir uns ja damals mit Freuden von den Borg assimilieren lassen können. Immerhin waren die transwarpfähig.“ Tamara machte ein wütendes Gesicht, bevor sie zu einem konspirativen Lächeln überging und das Gespräch beendete. Im Augenblick beneidete Maron seine ehemalige Vorgesetzte um diese Fähigkeit. Er hatte ihr dies aufgebracht entgegenschmettern wollen. Aber seine Stimme hatte ihm irgendwie nicht so recht gehorchen wollen. „Hat doch prima funktioniert.“, lächelte Zirell. „Jetzt wissen wir zumindest, dass sie prinzipiell auf unserer Seite ist.“ „Allerdings.“, erwiderte Maron. „Könntest du mir jetzt bitte meine Fähigkeit zurückgeben, wütend zu werden?“ Zirell lächelte und löste den immer noch zu Maron bestehenden unbewussten telepathischen Kontakt.

Tabran flog hoch über der Ebene, auf der Shiranachs und sein Haus stand, mit seinem Schiff einige Kreise. „Dein Antrieb reagiert weich wie ein Kissen.“, flüsterte er. Dabei war er sehr stolz auf seine eigenen Künste, dieses Schiff zu warten und in Schuss zu halten. „Mal sehen, ob wir eine kleine Kunstflugeinlage hinkriegen.“ Er erinnerte sich an eine SITCH-Mail, die ihm Shimar bezüglich Kunstflug geschrieben hatte. Die Wächterin hatte nichts gegen den Kontakt der Beiden. Shimar würde ihn nie missbrauchen, um das Tembraâsh durch Feinde lokalisieren zu lassen. Das wusste die Mächtige. Deshalb ließ sie diesen Kontakt auch zu. Der tindaranische Patrouillenflieger hatte eine Kunstflugausbildung während seiner Kadettenzeit auf der tindaranischen Akademie genossen, weil er im normalen Flugunterricht der reinste Überflieger war und sogar einige Kurseinheiten gepflegt mit Einverständnis der Lehrer übersprungen hatte.

Tabran schaute jetzt über die Anzeigen auf dem Flugpult. Hier war rechts oben ein Bildschirm, auf dem untereinander der Höhenmesser, die Kursanzeige und die Geschwindigkeitsmessung angezeigt wurden. Darunter eine freie Fläche für variable Anzeigen wie zum Beispiel den Schleusenhorizont. Links daneben befand sich die Schalttafel mit der Sprechkonsole. Darunter befanden sich rechts der Geschwindigkeitsregler, ein Schieberegler und links neben ihm ein Joystick, den man nach vorn und hinten bewegen konnte, um die Höhe zu regulieren. Darunter einer mit Bewegungsmöglichkeit nach rechts und links für den Kurs und direkt vor Tabrans Nase das Computermikrofon, welches der Vendar auch gleich benutzte. „Mishar, elektronische Trimmung ausschalten.“ Es erfolgte ein kurzes Signal und aus dem Lautsprecher der Sprechkonsole, die bei Vendar-Schiffen auch die Antwort des Computers übermittelt, erklang dessen Stimme: „Elektronische Trimmung offline.“ Wenn Tabran jetzt die Höhe veränderte, das wusste er, würde die Nase des Schiffes wie normal zuerst herunter oder herauf gehen. Nur das Heck würde nicht folgen, weil der Impuls zum Ausgleich an den Antrieb nicht gegeben würde. Aber genau diesen Effekt brauchte Tabran jetzt. Vorsichtig schob er den Höhenregler nach vorn, so dass sich der Bug des Veshel senkte, bis dieses gewissermaßen einen Kopfstand hinlegte. Dann drehte er es mittels Kursregler um seine eigene Achse. Dabei ging es naturgemäß immer weiter abwärts.

„Halt den Höhenmesser im Auge.“, sprach er zu sich selbst. „Shimar hat gesagt, bei zwei Schiffslängen Abstand bis zum Boden musst du sie spätestens abfangen. Besser zu früh, als zu spät. Auch, wenn Shiranach zusieht, oder vielleicht gerade dann. Du bist schließlich kein leichtsinniger dummer Novize mehr. OK, jetzt abfangen.“ Er zog ruhig den Höhenregler wider zu sich, erhöhte die Geschwindigkeit und befahl dem Computer, die elektronische Trimmung wider einzuschalten. „Hat doch prima geklappt.“, lächelte Tabran. „Und jetzt ab nach Hause.“

Shiranach hatte zugesehen. Allerdings nur mit einem Auge. Mit dem zweiten hatte sie die Wächterin beobachtet, die sich in der Gestalt der jungen starken Vendar mit fuchsfarbenem Fell, in der sie alle kannten, langsam über die kleine Hügelkette hinter Tabrans und ihrem Haus näherte. Natürlich hätte sie auch mit Hilfe ihrer Macht direkt vor der Nase der alten grauen Vendar auftauchen können, aber die Mächtige zog es vor, derartige Demonstrationen nicht durchzuführen, denn sie wollte den Vendar gegenüber nicht als große Herrin auftreten. Das waren sie ja zur Genüge von ihren ehemaligen Gebietern gewohnt. Hier im Tembraâsh sollte alles anders sein. Die Vendar hier sprachen von Mächtigen, die diese Ansicht vertraten, auch respektvoll als: „Ishenn Medd“, also: „Freunden der Sterblichen“. Eine solche Freundin war die Wächterin ohne Zweifel für Tabran und Shiranach.

Langsam schritt die alte Vendar ihr entgegen. „Wächterin.“, begann sie verwundert. „Was ist der Grund, aus dem du uns mit deiner Anwesenheit beehrst?“ „Das will ich euch erst sagen, wenn dein Mann bei uns ist.“, erwiderte sie mit milder Stimme.

Shiranach drehte sich um. In der Ferne konnte sie jetzt die Landelichter des Veshel sehen. Auch erkannte sie am stetig tiefer werdenden Summen des Antriebes, dass Tabran das Schiff auf dessen angestammtem Platz gelandet haben musste. „Ich denke.“, meinte Shiranach. „Das wird gleich so weit sein.“

Tabran war aus dem Shuttle gestiegen und der beiden Frauen jetzt auch ansichtig geworden. Alle drei setzten sich in das von der Sonne warme Gras. „Logar El Imperia gibt eine Konferenz.“, begann die Wächterin in fließendem akzentfreien Vendarisch. „Jeder Mächtige, der daran Teil nimmt, soll einen oder eine Vendar-Vertraute mitbringen. Ich vertraue euch beiden sehr. Deshalb weiß ich nicht, wen ich wählen soll.“ „Nimm Shiranach mit.“, schlug Tabran vor. „Sie ist sehr besonnen und weise. Sie hat lange Jahre Dill von Zeitland treu gedient und weiß daher sicher am Besten Bescheid.“ „Nein.“, entgegnete die soeben über alle Maßen Gelobte. „Nimm Tabran. Er war langezeit ein großer Krieger Sytanias und ist daher sicher mit allen Wassern gewaschen. Wenn zum Beispiel eine Rosannium-Waffe deine Kräfte unwirksam macht, kann er sicher noch mit List und Tücke schlimmeres verhindern.“ „Aber, Telshanach.“, flüsterte Tabran seiner Frau zu. Er mochte es überhaupt nicht, wenn man ihm so schmeichelte. „Ich habe nur die Wahrheit gesprochen.“, entgegnete Shiranach. „Auch ich sagte nur die Wahrheit.“, verteidigte sich Tabran.

Die Wächterin verschränkte die Hände vor der Brust. „Ihr macht mir die Entscheidung wirklich nicht sehr leicht.“, sprach sie und nahm eine Haltung ein, als wolle sie ihre Fähigkeiten nutzen, um in die Zukunft zu sehen. Tabran und Shiranach verharrten still.

Nach einer ganzen Weile löste sich die Mächtige wieder aus ihrer Haltung und sah Shiranach traurig an. Die alte Vendar gab einen verständigen Blick zurück. „Ich muss Tabran wählen.“, gestand die Wächterin. „Er ist der bessere Pilot und angesichts der Gefahren …“ Sie seufzte. Zu viel wollte sie nicht verraten, denn sie wollte nicht, dass Shiranach sich zu große Sorgen um ihren Mann machen musste. „Ich habe schon verstanden.“, antwortete Shiranach. „Aber lass mich wenigstens dein Bündel schnüren.“ Diesen Satz hatte sie wohlweislich zu Tabran gesagt, denn sie wusste, wie unordentlich er manchmal sein konnte. „Das mache ich lieber selbst.“, lehnte Tabran ab. Er hatte Sorge, dass seine durchaus intelligente Ehefrau anhand der mitzunehmenden Dinge, die er ihr auftragen müsste, ins Bündel zu packen, Schlüsse darauf ziehen könnte, was die Wächterin und ihn dort erwartete und sich vielleicht doch zu stark sorgen könnte.

Die Wächterin zeigte auf die Haustür. „Gehen wir, Tabran.“, war ihre knappe und eindeutige Anweisung. „Noch etwas.“, fügte sie hinzu. „In den nächsten Nächten wirst du den Mishar das Schiff fliegen lassen. Du nämlich wirst schlafen und von Joran, deinem besten Schüler, träumen. So werdet ihr Kontakt haben. Dafür werde ich sorgen. Das ist sehr wichtig.“ Der alte Vendar nickte langsam.

Diran stand vor seinem gerade frisch überprüften Schiff. Er hatte es aber nicht nur überprüft, nein. Wie alle Vendar nahm er sich bei allen Tätigkeiten viel Zeit für Details. Dem Mishar hatte er befohlen, die Umweltkontrollen der Achterkabine auf ein angenehmes Frühlingsklima einzustellen. Auch sollten die Umweltkontrollen stets einen Rosenduft verbreiten. An der dem Cockpit zugewandten Wand hatte er eine Sänfte platziert, deren Einstieg ein roter Seidenvorhang zierte. Tolea mochte rote Seide, das wusste Diran. Die Sänfte war mit allerlei weichen Kissen und Decken ausgelegt. Neben ihr befand sich ein Tischchen mit Blumenschmuck und Süßem. Ein Zimmerbrunnen in runder Form aus glänzendem Kristall spendete einen angenehmen und fröhlichen Kontrast zum alltäglichen „Bssss“ der Schiffssysteme. Die Umweltkontrollen von Cockpit und Achterkabine hatte Diran getrennt. Vorn im Schiff sah es viel einfacher aus. Da waren nur die Sitze und Konsolen. Außerdem war dort die Standardeinstellung für die Luft programmiert. Diran ließ einen letzten Blick über alles schweifen, bevor er dem Mishar befahl, die Tür zu schließen.

Die Wahrnehmung des Näherkommens seiner Gebieterin ließ ihn sich plötzlich umdrehen. „Hier bist du.“, sagte Tolea freundlich. „Ich sehe, du hast … Oh, nein, nein, nein. So fangen wir gar nicht erst an.“ Sie schnippte mit den Fingern, worauf es einen weißen Blitz gab. Dann war alles wieder so eingerichtet, wie es auf einem Vendar-Schiff normal ist. Fassungslos sah Diran sie an. „Warum habt Ihr das getan?“, stammelte der blasse Vendar, dessen Gesichtshaare sich aufgestellt hatten, was ein Zeichen dafür ist, wenn es einem Vendar nicht gut geht. „Mag sein, dass deine ehemalige Gebieterin, Sytania, auf so etwas abgefahren ist.“, lächelte Tolea. „Aber ich will und brauche diesen Tand nicht. Er ist außerdem nur hinderlich und verbraucht unnütz viel Energie deines Schiffes. Wir werden in eine hochdichte-Atmosphärendimension fliegen und da wird sie mit dem ganzen zusätzlichen Gewicht sehr schwer zu kontrollieren sein. Merke dir: Solange ich mit dir auf diesem Schiff bin, werde ich auf dem Sitz schlafen, das Gleiche essen und die gleiche Luft atmen wie du. Das macht mir nichts!“ Diran ahnte, dass zu widersprechen keine gute Lösung war. Also nickte er nur. „Wenn sie ansonsten funktionsfähig ist.“, fuhr Tolea fort. „Dann lass uns starten.“ Diran nickte erneut und legte seinen Finger in die Sensorenmulde an der Tür, worauf diese sich öffnete. Beide stiegen ins Cockpit und Diran startete den Antrieb.

Mikor und ich schritten die Auffahrt des Kinderheimes herauf. Mit Mittana, der celsianischen Erzieherin, die heute Nachtdienst hatte, hatte ich unser Vorhaben abgesprochen. Sie wusste, dass Mikor später zurückkommen würde.

Wir betraten das Gebäude. Es unterschied sich total von der Atmosphäre von Internaten oder Heimen, die ich aus meinem Heimatjahrhundert gewohnt war. Da gab es nichts, das annähernd einer kalten sterilen Umgebung ähnelte. Bereits der Flur war mit hellen Teppichen und Wandbehängen geschmückt. Geradeaus kam man zum Turbolift, der einen in die oberen Etagen brachte. Links und rechts vom Flur führten Türen in die einzelnen Gruppen, die wie kuschelige kleine Familienwohnungen eingerichtet waren. Es gab jeweils fünf Schlafzimmer, von denen eines der zuständige Betreuer bewohnte, dann eine kleine Küche, ein Bad und einen Gemeinschaftsraum. Diese Appartements waren hell und einladend eingerichtet.

„Hier ist es.“, sagte Mikor nüchtern, als wir vor einer der Türen stehen geblieben waren. Ich aber wusste genau, dass er mir etwas vorspielte. Es wurmte ihn anscheinend immer noch, dass er nicht sofort gegenüber den Agenten aussagen konnte. Dass ich mich nicht sofort verabschiedete, hatte Mikor wohl bemerkt. „Oh.“, sagte er höflich. „Tut mir leid, Mrs. Scott. Sie finden ja gar nicht mehr allein raus. Das hier ist für Sie ja eine unbekannte Umgebung. Warten Sie, ich bringe Sie wieder zum Ausgang.“ Er hielt mir seinen Arm hin. „Das ist es nicht, Mikor.“, antwortete ich in einem verständigen Ton. „Ich weiß, glaube ich, was dich wirklich bedrückt.“ „Wissen Sie das?“, fragte er erstaunt. „Ja.“, antwortete ich. Überrascht ließ er sich auf den Rand eines Blumenkübels am Eingang sinken. Ich setzte mich daneben, schlug lässig die Beine übereinander und sagte: „Als Sternenflottenoffizierin lernt man so einiges. Du zum Beispiel, du bist Cardassianer. Ihr seid dafür bekannt, dass ihr von Natur aus sehr vorschriftentreu seid. Ihr wollt von euch aus gern mit Autoritäten zusammenarbeiten. Deshalb wolltest du auch so schnell wie möglich deine Aussage loswerden. Aber ich weiß auch, dass ihr Cardassianer ein gutes Gedächtnis für Details habt. Also, wenn du morgen Sedrin und ihrem Partner Bescheid sagst, was du gesehen hast, wird deine Aussage sicher keine geringere Qualität haben als heute.“ Zögernd nickte Mikor.

Die Tür hinter uns öffnete sich plötzlich und heraus trat Mittana. Sie war eine durchschnittlich gebaute Celsianerin mit den typischen herzförmigen Augäpfeln und von mittelmäßiger Statur und Größe. Sie trug ein weißes wollenes Nachthemd und rote Hausschuhe. „Warum kommst du nicht rein, Mikor.“, wendete sie sich an ihren Betreuten. „Wir mussten noch etwas klären.“, mischte ich mich ein. „Ich muss morgen eine Aussage machen, Mittana.“, erklärte Mikor seiner Erzieherin stolz die Situation. „Na, kannst mir ja gleich drinnen alles berichten.“, flapste die Celsianerin zurück. „Mrs. Scott muss sicher auch gehen.“ „OK.“, erklärte sich Mikor einverstanden und ging mit ihr in die Gruppe. „Übrigens!“, rief ich ihm noch hinterher. „Nenn mich Betsy!“ Ich fand das besser so, denn wir würden so sicher leichter ein Vertrauensverhältnis aufbauen können.

Kapitel 4: Aussagen

von Visitor

 

Cupernica war am nächsten Tag schon früh in ihrem Labor, das sich direkt an ihre Praxis anschloss. Sie war hier nicht allein. Oxilon, der sonst ihr Assistent war, hatte zwar frei, aber dafür assistierte ihr jetzt Data. Oxilon war, so fand sie, für die Aufgaben der Gerichtsmedizin, die sie jetzt für den Geheimdienst durchführte, zu redselig.

Das Labor war ein dunkler Raum mit allerlei Geräten, Tischen und Regalen. In einer Ecke stand ein Rechner. Daran war jetzt Cupernicas Erfasser angeschlossen. Auf einem Objektträger vor ihr auf dem Tisch befand sich die Zellprobe aus dem Grab. Cupernica sah gebannt auf den Bildschirm des Rechners. „Diese Zellkerne, Data, finde ich höchst faszinierend. Anscheinend verstecken sich in ihnen dreierlei DNS-Stränge. Es ist wie bei einer Zwiebel oder einem Rosenkohl. Irgendwann ist die erste Schicht durch Telumerase, also, Kürzung der Fasern im zellaren Alterungsprozess bedingt, verbraucht und ein neuer Bauplan schiebt sich nach vorn. Das bestätigt, dass es sich um nihillanische Zellen handelt.“ „Bestätigt.“, antwortete der Androide nüchtern. „Aber sind dir die Vergiftungserscheinungen aufgefallen?“ „Positiv.“, erwiderte die Androidin. „Wir sollten dies auf jeden Fall den Agenten mitteilen. Außerdem müssen wir ihnen sagen, dass die Erde, aus der das Grab besteht, nicht terranischen Ursprungs ist. Sie scheint, zumindest den Vergleichen zufolge, die ich angestellt habe, nihillanisch zu sein. Ich bin überzeugt, hier will uns jemand etwas sagen.“ Sie packte die Proben und einen Datenkristall mit den Ergebnissen ein und sagte dann: „Auf zum Geheimdienst.“

Böse Zungen hatten ohnehin schon manches Mal behauptet, dass Cupernica in dieser Androiden-Ehe eindeutig die Hosen an, beziehungsweise die Steuerung in der Hand hatte. Ich hatte dies nicht wirklich bestätigen können. Ich wusste nämlich genau, dass sich die Situation je nach Fachgebiet auch umgekehrt darstellen konnte. Cupernica würde Data nie in Entscheidungen seines Fachgebietes hineinreden und er ihr nicht in die Medizin. Hier handelte es sich jetzt aber um eine rein gerichtsmedizinische Sache.

Sedrin hatte mit einem Koffer in der Hand das Kinderheim betreten. Mikor war für seine Aussage von der Schule freigestellt worden und erwartete die Agentin bereits gemeinsam mit Mittana, die extra wegen ihm noch ein paar Überstunden dranhängen würde. Die Celsianerin genoss bei ihren Schützlingen eine außerordentliche Vertrauensstellung und da Mikor erst 14 Jahre alt war, musste auch immer noch ein Erziehungsberechtigter dabei sein. Das verlangte die Rechtsprechung der Föderation.

„Hallo, Mikor.“, begrüßte Sedrin den kleinen Cardassianer, der ihr stumm die Hand gab. Dann gingen beide in Mikors Zimmer. Mittana hielt sich im Hintergrund.

„Ich habe ein Modell mitgebracht.“, erklärte Sedrin, nachdem sich beide an Mikors Schreibtisch gesetzt hatten. „Ich möchte, dass du mir genau zeigst, was du gesehen hast.“ „Aber natürlich, Agent.“, erwiderte Mikor folgsam. Dann beobachtete er, wie die demetanische Agentin ein minimiertes Replikat des Grabes und seiner unmittelbaren Umgebung aus dem Koffer holte, und vor seiner Nase aufbaute. Als Nächstes entnahm sie dem Koffer noch Spielfiguren, die die Gesichter von Mikor und seinen Freunden trugen. „So.“, sagte Sedrin. „Dann leg mal los.“ Mikor sah über die Figuren und das Grab hinweg, als wollte er zuerst etwas überprüfen. „Wo ist Mrs. Scott?“, fragte er schließlich. Sedrin machte ein ertapptes Gesicht. „Ach du Schreck.“, schauspielerte sie schließlich. „Die hätte ich ja fast vergessen! Aber wenn sie dir so wichtig ist …“ Sie griff erneut in den Koffer. „Hier ist sie.“

Mittana lächelte. Sie wusste genau, dass Sedrin diesen Fehler mit Absicht eingebaut hatte. Als ausgebildete Erzieherin wusste sie, dass man mit kleinen psychologischen Tricks bei Kindern und Jugendlichen oft viel erreichen konnte. Auch in ihrer Ausbildung hatte Sedrin dieses Kapitel durchgenommen, um jugendliche Opfer oder Zeugen besser „Anfassen“ zu können. Dadurch, dass er sie quasi korrigiert hatte, hatte sie ihm das Gefühl vermittelt, dass extrem wichtig war, wie er die Situation erlebt hatte und dass nur er derjenige war, der sie richtig wiedergeben könnte.

Geduldig sah Sedrin zu, wie Mikor die Modelle des Grabes und der Figuren seiner Erinnerung nach platzierte. Dann nahm sie ihren Erfasser und fotografierte alles ab. „Mir fällt auf.“, begann die demetanische Agentin, nachdem sie die Szene noch einmal betrachtet hatte. „Dass du so zum Grab stehst, als würdest du genau wissen, wo es ist. Wärst du einfach nur zufällig dran vorbeigekommen, stündest du so da.“ Sie drehte den Plastik-Mikor so, dass er schräg mit dem Gesicht zum Grab stand. „Weißt du hiervon etwa schon länger?“ Ob ihres Verhörtons errötete Mikor. Sedrin legte verständig ihre Hand auf seine Schulter. „Ist schon gut.“, beschwichtigte sie ihn. „Auch ein Cardassianer darf mal vergessen, etwas zu melden. Ich weiß ja, wie gewissenhaft ihr sonst in solchen Dingen seid.“ „OK, Sie haben mich. Aber das ist noch nicht alles.“, entgegnete Mikor. „Jemand trauert dort heimlich.“ „Was!“, fragte Sedrin alarmiert. „Ja.“, bestätigte Mikor noch einmal. „Bitte kommen Sie heute Nacht wieder. Dann zeige ich es Ihnen.“ „Na gut.“, sagte Sedrin, bevor sie alles wieder einpackte. „Legen wir uns also heute Nacht auf die Lauer.“

Data und Cupernica hatten das Gebäude des Geheimdienstes betreten. Ihr Weg führte sie jetzt direkt zu Agent Sedrins und Agent Jones’ Büro. Der schnauzbärtige Agent erwartete sie bereits. Seine Partnerin hatte ihn darüber informiert, dass noch eine wissenschaftliche Auswertung anstand.

Jones öffnete die Tür. „Kommen Sie rein.“, flüsterte er. Lauter zu sprechen, vermied er mit Absicht, denn inzwischen hatten eine Menge Bürger von Little Federation von dem geheimen Grab Wind bekommen. Die Kids mussten sich gegenüber ihren Eltern verplappert haben. Zwar stimmte es schon, dass man ein Grab am Besten auf einem Friedhof versteckte, aber das ganze Drumherum musste ihnen sehr beängstigend vorkommen. Ihre Reaktion, alles brühwarm ihren Eltern zu servieren, war also irgendwie verständlich.

Diverse Bürger hatten sich daraufhin gemeldet und sagten jetzt aus. Die Agenten hatten so schon alle Hände voll damit zu tun, die Aussagen von Verrückten und Geltungssüchtigen von den wirklich wahren zu unterscheiden. Wenn jetzt noch jemand etwas von den Ergebnissen dieser Auswertung mitbekommen sollte, befürchteten sie, dass alles aus dem Ruder laufen könnte.

Jones, Data und Cupernica betraten ein leeres Verhörzimmer. Dort setzten sich alle drei um einen Tisch. Cupernica packte ihren Erfasser und die Proben aus. „Meinen Ergebnissen zufolge.“, begann sie einen sachlichen Vortrag. „Handelt es sich hier tatsächlich um ein nihillanisches Grab. Mir ist bekannt, dass die Nihillaner an sich ihre Toten nicht begraben, sondern von Staatswegen verordnet als Organbanken nutzen, da sie die Existenz einer Seele negieren und es somit keine moralischen Gründe gibt, die dagegen sprechen würden. Aus unserer Sicht mag das ein Frevel sein und so sehen das wohl auch die, die nicht mit dieser Handlung einverstanden sind. Es gibt diverse Flüchtlingsströme in Richtung Tindara, soweit ich gehört habe. Die Tindaraner verhalten sich in diesem Punkt neutral, da sie nicht wissen, warum die Flüchtlinge flüchten. Es gibt keine Beweise für diese Verstöße. Aber die tindaranische Regierung meint, dass ja irgendwas auf Nihilla nicht stimmen kann. Sonst würde ja niemand flüchten.“

Jones bekam einen roten Kopf, als würde er sich fremd schämen . „Was Sie da sagen, Cupernica, klingt sehr amoralisch. Glauben Sie diese Gerüchte ernsthaft? Ich meine, die Nihillaner sind warpfähig. Sie stehen mit uns auf einer technologischen Stufe. Denken Sie nicht, dass dies sie auch automatisch moralisch integer macht?“ Cupernica schüttelte den Kopf. Sie wusste genau, dass dies zwei verschiedene paar Schuhe waren.

„Aber nun zu Ihren Beweisen.“, sagte Jones und zog ein Pad, um alles zu protokollieren. „Einen kurzen Moment.“, sagte Data eifrig. Dann ging er zum Replikator und replizierte ein Rosenkohlröschen. Dieses legte er vor Jones auf dem Schreibtisch ab. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte der sichtlich verwirrte Agent. „Damit möchte ich Ihnen den Aufbau einer der Zellen demonstrieren, die wir aus dem Grab entnommen haben.“ Er blickte zu Cupernica herüber, die sogleich einen Vortrag zur nihillanischen Biologie begann, zu dem Data an den richtigen Stellen schichtweise die Blätter des Rosenkohls entfernte. Auch Details über die Vergiftung ließen die Androiden nicht aus.

Zoômell, die Chefin des tindaranischen Geheimdienstes, eine hagere Mittfünfzigerin mit praktischem blonden Kurzhaarschnitt, hatte Maron ganz schön abgewatscht. Ihr hatte gar nicht gefallen, dass der Demetaner gegenüber ihr vollmundige Behauptungen bezüglich der Beweisführung in Sachen nihillanische Waffen aufgestellt hatte. „Dass die Nihillaner Militärs in die Flüchtlingszüge einschmuggeln, ist schlimm genug.“, hatte Zoômell gesagt. „Aber das haben sie ja auch unumwunden zugegeben. Die Zusammenkunft hat Nugura auch dafür öffentlich gerügt, dass sie zulässt, dass jemand, der diese Praxis betreibt, in die Föderation kommt. Aber sie hat davon nicht abgelassen. Die letzte Konsequenz könnte zwar lauten, dass Tindara sich von der Föderation löst, sollte Nugura trotz allem weitere Verstöße dulden, aber die Flüchtlingslager werden immer voller und, wenn du nicht bald einen triftigen Beweis dafür anbringst, wie amoralisch die Nihillaner sind, könnten wir gezwungen sein, weitere Flüchtlinge abzuweisen, weil es einfach keinen Platz mehr für sie gibt.“ „Ich weiß auch, wie die politische Situation ist, Zoômell.“, hatte Maron versucht, sie zu beruhigen. „Aber ich hatte gehofft, du würdest mir das abnehmen.“ „Wie verzweifelt bist du eigentlich?“, hatte sie erwidert. „Als einem Ermittler deines Schlages sollte dir doch eigentlich klar sein, dass fingierte oder gar erfundene Beweise gar nichts bringen und alles nur auf uns zurückfallen wird.“ Maron hatte ihre Rüge zähneknirschend zur Kenntnis genommen.

Joran saß wartend vor einem reich gedeckten Tisch in Jennas und seinem Quartier. Die Zeitanzeige seines Sprechgerätes ließ er nicht aus den Augen. Wo blieb sie denn? Der Vendar wusste, dass Unpünktlichkeit eigentlich nicht zu seiner Freundin passte. Wenn sie später kam, gab es dafür sicher einen Grund.

Das plötzliche Piepen der Sprechanlage ließ ihn aufhorchen und zum Terminal hinüber sehen. Auf dem Display erkannte er das Rufzeichen von Jennas Arbeitsplatz. Er nahm das Mikrofon, drückte die Sendetaste und sagte mit abwartender fast fragender Betonung: „Telshanach?“ „Ja, ich bin’s.“, gab die Angesprochene etwas aufgeregt zurück. „Iss bitte ohne mich. Es wird heute wohl spät. IDUSA braucht mich. Jemand hat ein merkwürdiges Programm in Simulationskammer eins installiert. Es wurde mit dem Programmierassistenten verfasst. Es läuft gerade und IDUSA bittet mich, den Netzwerkbericht zu verfolgen. Sie glaubt, dass derjenige, der es verfasst hat, Hilfe braucht. Ihrer Ansicht nach ist es sehr merkwürdig und ich muss zugeben, das finde ich langsam auch.“ „Wenn du einen Anhaltspunkt dafür siehst, dass hier etwas nicht stimmt.“, begann der über alle Maßen pflichtbewusste Vendar. „Dann würde ich an deiner Stelle Agent Maron verständigen und vielleicht auch Ishan und Nidell.“ „Die Mediziner kann ich holen.“, antwortete die terranische Technikerin. „Aber mit Agent Maron sieht’s schlecht aus. Der ist nämlich der Nutzer des Programms.“

Joran wurde heiß und kalt. Maron war ihm manchmal als für seinen Geschmack zu starker Heißsporn aufgefallen. Der Vendar hatte sich oft im Stillen über die aus seiner Sicht zu impulsiven Entscheidungen seines demetanischen Vorgesetzten geärgert. Zwar waren die Dinge oft gut ausgegangen, aber Joran fand, dass dies oft sehr knapp war und seiner Meinung nach nur durch Glück zu erklären. Shannon und Joran hatten dies oft in einem ungestörten Moment diskutiert. Dabei hatte die blonde Irin stets gemeint: „Mach’ dir nich’ ins Höschen, Grizzly, der is’ halt schicksalsgläubig. Da muss das so.“ Joran hatten sich dann immer die Haare zu Berge gestellt. Als Telepathenjäger hatte er immer besonnen handeln müssen. Da durfte er sich derartige Eskapaden nicht leisten. Aber das war wohl der kleine aber feine Unterschied. Zum Schluss dieser Diskussionen hatte Shannon immer gesagt: „Ihr zwei erinnert mich mit eurem Verhältnis glatt an den Typen mit der Schlange im Bauch aus meinem Schmöker und seinen Vorgesetzten. Die hatten die gleichen Probleme.“ Dann war sie meistens wieder arbeiten gegangen.

Joran drückte die Sendetaste erneut und sagte: „Bin unterwegs, Telshanach!“ Dann stürmte er aus dem Raum, durch die Tür des Quartiers auf den Stationsflur, wo er den nächsten Turbolift aufsuchte, um damit in die technische Kapsel zu fahren.

Jenna saß mit einem Neurokoppler auf dem Kopf vor einer Konsole, als Joran ihren Arbeitsraum betrat. Ohne Umschweife kam er gleich zur Sache. „Du musst einen Weg finden, mich in das Programm zu lassen, Telshanach.“, begann er mit alarmierter Stimme. „Rasch! Bevor Maron Dummheiten macht!“ Die sehr intelligente Technikerin drehte sich langsam um, warf ihm einen beruhigenden Blick zu und sagte dann: „Die Sicherheitsprotokolle sind online. Es kann Maron gar nichts passieren.“ „Um seine körperliche Verfassung mache ich mir keine Sorgen.“, erwiderte Joran. „Eher um seine seelische. Hast du schon mal gesehen, wie frustriert er manchmal ist?“ Jenna nickte. „Und du meinst, dieses Programm könnte …“, vermutete sie weiter. „In der Tat.“, fiel er ihr ins Wort.

Während sie nachdachte, schaute sich Joran um, als wollte er sich versichern, dass niemand sonst ihnen zusah. Dann fragte er: „Wo ist deine Assistentin?“ „Shannon habe ich in den wohlverdienten Feierabend geschickt. Wir sind allein. Geh bitte in Simulationskammer zwei. Ich werde ein Uplink schreiben und das wird die Kammern miteinander verbinden. So kannst du an Marons Programm teilnehmen.“ Joran drückte sie an sich, als hätte sie gerade seinen Heiratsantrag bejaht und sagte: „Danke, Telshanach.“ Dann wandte er sich um und ging.

Joran bot sich in der Simulation ein merkwürdiges Bild. Er sah eine Art Boxring. In dessen Mitte hing ein mit Sägemehl gefüllter Sack von der Decke. Auf der einen Seite des Sackes befand sich ein Bild von Präsident Ethius und auf der anderen eines von Evain. Beide Gesichter kannte der Vendar aus den Nachrichten, die er auch immer interessiert verfolgt hatte. Maron stand in der einen Hälfte des Ringes und hatte einen Baseballschläger in der Hand. Damit versuchte er, den Sack zu treffen, was ihm selten genug gelang.

Joran waren die Unmengen von Fehlern, die sein Vorgesetzter und Freund machte, längst aufgefallen. Er ging näher und versuchte, die Aufmerksamkeit des Demetaners auf sich zu lenken. Er wusste, würde er offen Kritik äußern, würde Maron schon reagieren. Er dachte sich, dass die alte Sternenflottenmentalität ja immer noch in ihm steckte. Er wusste, dass offene Kritik an einem vorgesetzten Offizier zu üben, dort mindestens als verpönt galt, wenn nicht sogar noch Schlimmeres. Aber dieses Risiko war Joran gewillt einzugehen. „Du gehst das völlig falsch an, Maron El Demeta!“, rief er dem Agenten zu. „Deine Treffer kann eine platonische Ein-Zehen-Wühlmaus an ihren Pfoten abzählen! Aber keine Angst!“ Er überstieg die Seile. „Ich werde dir jetzt helfen! IDUSA, Schläger!“ Diesen knappen aber eindeutigen Befehl hatte der Rechner verstanden und simulierte ihm alsbald ebenfalls einen Baseballschläger. Damit stellte sich Joran jetzt Maron gegenüber und schlug derart heftig auf den Sack, dass dieser fast über die Seile hinaus pendelte. Gespannt sah er zu, wie Maron versuchte, ebenfalls den Sack zu treffen. „Ach nein!“, stellte Joran fest. „So wird das nichts.“ Mit tänzelnden Schritten bewegte er sich um den Sack herum auf Marons Seite, um im nächsten Moment mit seiner starken Hand das im Vergleich dazu schmächtige Handgelenk des Demetaners zu fassen. Maron wusste, dass es zwecklos war, sich gegen diesen eisenharten Griff zu wehren. Joran war fünf mal so stark wie ein durchschnittlich trainierter Terraner. Maron wusste, dass er chancenlos war.

Joran drehte seinen Freund zu sich, um ihm aus dieser Zwangshaltung heraus entgegenzuschmettern: „Du schlägst im falschen Moment zu! Wenn der Sack auf dich zu kommt, musst du zuschlagen! Nicht später! Du willst doch deinen Frust loswerden, oder?!“ „Sicher.“, jappte Maron. „Also!“, erwiderte Joran. „Dann trau dich endlich!“ „Du bist ganz schön unfair. Behandle mich gefälligst nicht wie einen deiner Novizen. Aus dem Alter bin ich nämlich lange raus.“, verteidigte sich Maron. „Das bezweifle ich.“, sagte Joran ruhig. „Du schlägst zu wie ein Kind, das Angst vor dem großen Sack hat.“ „Ich habe keine Angst.“, entgegnete Maron. „Dann beweise das!“, forderte Joran. „Und benimm dich nicht wie der Sohn eines windigen Aals und einer glitschigen Erdkröte.“

Dass die Vendar beim Fluchen das Tierreich bemühten und es dabei oft zu den abenteuerlichsten Kreuzungen kam, wusste Maron. Er dachte sich, dass der bekannte terranische Tierforscher, Bernhard Grzimek, sicher seine helle Freude an einem vendarischen Ehestreit haben müsste.

„Lass mich los!“, forderte Maron. „Jetzt gebe ich es diesem Ssssack!!!“ Kaum hatte Joran seinen Griff gelockert, nahm Maron Anlauf und zimmerte den Schläger derart auf den Sack, dass dieser mit einer solchen Energie gegen die Seile geschleudert wurde, dass er platzte. Dadurch spritzte das Sägemehl nach allen Seiten und Maron und Joran kriegten den Großteil ab.

Joran zog seinen Freund und Vorgesetzten anerkennend in eine Ecke und klopfte ihm mit seiner großen Hand auf die Schulter, was anständig staubte. „Na bitte.“, sagte der Vendar anerkennend und zufrieden. Beide setzten sich in den Sand.

Maron spürte, wie seine Gesichtszüge außer Kontrolle gerieten. Sein Mund formte gegen seinen Willen ein Grinsen. Eigentlich empfand der Demetaner die Situation als Beschämend. Man lachte als anständiger Offizier an sich nicht, wenn die Bilder eines Politikers und einer militärischen Führerin einer fremden Macht, die noch dazu bald zur Föderation gehören sollte, gerade in Sägemehl und Fetzen aufgegangen waren. Angestrengt versuchte Maron, seine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu bekommen. „Hör auf, dich zu wehren!“, sagte Joran schon fast im Kommandoton. „Sonst bringt es dir doch nichts!“ „Du hast gut Reden.“, nuschelte Maron mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich kann nicht … Ich darf nicht … Ich soll nicht …“ Er fühlte, wie ihm die Kontrolle jetzt völlig entglitt. Joran umfasste ihn, als wolle er ihn stützen und sagte ruhig: „Richtig so. Lass los. Lass einfach los. Lass es zu. Sonst kannst du dir dieses Programm 1000 Mal ansehen und es wird nie den gewünschten Effekt haben.“

Maron bekam einen Lachanfall, der wohl mehr als eine Stunde angedauert haben musste. „Du hattest Recht.“, flüsterte er völlig außer Atem. „Mutter Schicksal! Oh, hast du Recht gehabt! So verdammt Recht! Du triffst immer wieder den richtigen Nerv!“ „Muss ein schönes Gefühl sein, wenn einer so den Nerv trifft, nicht wahr?“, fragte Joran mit einem schelmischen Grinsen. „In der Tat.“, erwiderte Maron. „Das ist mein Spruch.“, grinste der Vendar. „Sorry.“, entschuldigte sich der Demetaner übertrieben kleinlaut. „Ich dachte nur, du würdest ihn mir vielleicht mal leihen.“ Joran musste lachen.

„Wir sollten das Programm beenden.“, schlug Joran vor. „Wird Zeit, dass wir uns von dem ganzen Sägemehl befreien.“ „Du hast schon wieder Recht.“, sagte Maron, stand auf und befahl: „IDUSA, Programm beenden!“

Das Sägemehl und die Umgebung verschwanden, aber der Schweiß, der sich auf ihren Körpern angesammelt hatte, der blieb. Er war echt und keine Simulation, denn beide waren ziemlich aufgeregt gewesen.

Jenna waren all diese Vorgänge nicht verborgen geblieben. Die Cheftechnikerin hatte dem Stationsrechner befohlen, den Netzwerkbericht vom Bildschirm zu nehmen. „Das ist harmlos, IDUSA.“, hatte sie gesagt. „Das ist nur Frustbewältigung. Ich bin sicher, Maron hat keine echten Mordgedanken gegenüber Ethius und Evain. Wäre das so, hätte er dir sicher befohlen, ein Programm zu schreiben, in welchem er sie direkt mit dem Phaser erledigt. Diese ganzen Verfremdungen und Bilder mit dem Sack und dem Sägemehl wären dann sicher nicht nötig gewesen.“ „Verstanden.“, antwortete der Rechner nüchtern. „Sie werden Zirell den Vorfall also nicht melden?“ Jenna schüttelte den Kopf.

Eine bekannte hohe Stimme hinter sich ließ Mc’Knight plötzlich aufhorchen. „Jenn’?“ Sie drehte sich um. „Ich bin’s, Shannon.“, gab sich Jennas Assistentin zu erkennen. „Schauen Sie mal auf die Uhr. Es ist Mitternacht. Ich komm’ zur Nachtschicht.“ „Ups!“, machte Jenna. Dabei verhielt sie sich fast wie ein scheues Reh, das den Geruch eines Jägers wahrgenommen hatte. „Is’ was?“, fragte Shannon in ihrer plumpen Art weiter. „Es ist alles in Ordnung, Assistant!“, log Jenna. Sie ahnte, würde Shannon von dem Ganzen erfahren, würde es bald die Runde auf der gesamten Station machen. Deshalb lenkte sie die Aufmerksamkeit der blonden Irin schnell auf die technische Übergabebesprechung, um dann so schnell es ging zu verschwinden. Sie hatte beschlossen, Joran abzuholen.

Maron und Joran hatten die Simulationskammer verlassen. Gemeinsam gingen sie jetzt den Korridor zur technischen Kapsel entlang, der sie auch zu den Turbolifts führte. Sie schritten nebeneinander her und sprachen immer noch über das gerade Erlebte. Es würde sie lange nicht loslassen. „Ich habe nie verstanden, Maron El Demeta, warum eine Geschwindigkeitsangabe eine Garantie für den Eintritt in deine Föderation sein soll.“, begann der Vendar mit absichtlich leicht provozierendem Wortlaut. Maron legte sein Gesicht in Falten. Er wusste längst, dass es nicht mehr seine Föderation war. Er drehte sich zu seinem Untergebenen um und sagte: „Du hast Recht. Wenn das so ist, müsste Nugura Sytania ja regelrecht umarmen. Sie erledigt alles mit der Geschwindigkeit eines Gedanken. Das ist viel schneller als sogar Transwarp oder eine Interdimensionsreise.“ „Wenn das so ist.“, entgegnete Joran. „Habe ich etwas für dich. Sagen dir die Zeichnungen von Nivar etwas?“ Maron grinste. Er hatte natürlich von jenem tindaranischen Karikaturisten gehört. „Der hat was Neues?“, fragte der Demetaner erstaunt. „Der hat was Neues.“, bestätigte Joran. „Komm doch mit, dann suche ich es dir heraus. Du wirst aber IDUSAs Hilfe brauchen. Dieses Mal ist es sogar animiert.“ Maron freute sich diebisch. Insgeheim hatte er die Wände seines Quartiers mit Nivars Bildern tapeziert. Er würde sich einen dieser Briefbeschwerer replizieren, die nur noch zur Zierde benutzt wurden, denn Briefe aus Papier gab es ja schon lange nicht mehr. Die Dinger hatten aber einen weiteren Nutzen. In sie konnte man Videosiquenzen laden. Das würde Maron mit der Animation machen. So hätte er sie immer zur Sicht, wenn er sich mal wieder über die Politik seiner ehemaligen Oberbefehlshaberin aufregte. Er fragte sich langsam, warum Nugura immer wieder gewählt wurde, obwohl sie schon so viele Fehler während ihrer Amtszeit gemacht hatte. Er konnte sich nur denken, dass der Grund dafür in der Einsatzbereitschaft gewisser Offiziere liegen musste, die immer wieder die Kastanien für Nugura aus dem Feuer holten. Die einfachen Leute würden ja so niemals erfahren, wie knapp man schon oft an der Katastrophe vorbeigeschrammt war.

Sie bogen zu den Lifts ab. Jetzt erblickte Joran Jenna, die bereits auf ihn wartete. Sie konnte gut sehen, dass er geschwitzt hatte, denn sein weiches Fell, das sonst locker um seinen Körper fluffte, lag jetzt eng an und machte jede Kontur sichtbar. Jenna entlockte dies einen Laut des Gefallens und sie setzte einen Blick auf, als sei Joran eine reife süße Frucht, die sie auf der Stelle verschlingen wollte. „Ich möchte ja nicht wissen, was ihr da gemacht habt.“, scherzte sie und zeigte auf die beiden verschwitzten Männer. „Seid froh, dass das nur eine Simulation war. Mit dem ganzen Sägemehl saht ihr aus wie zwei gut panierte Schnitzel.“ Sie stutzte, denn ihr selbst war aufgefallen, dass sie sich gerade verraten hatte. „Pfui, Mc’Knight!“, rief Maron aus. „Sie sind ja eine richtige Voyeurin!“ „Na ja.“, redete sich Jenna heraus. „Ich musste ja beobachten, ob mein Uplink stabil ist.“ „Das mussten Sie sicher, Techniker.“, grinste Maron. „Wenn es nicht stabil wäre, könnte es sicherlich zu schlimmen systemischen Fehlern kommen, nicht wahr?“ Der intelligenten Halbschottin war durchaus klar, dass ihr Vorgesetzter ihr hier gerade eine goldene Brücke gebaut hatte. Schön dumm wäre sie gewesen, wenn sie nicht hinübergegangen wäre. Da Dummheit aber nicht zu ihr passte, sagte sie: „Oh, ja, Sir. Sehr schlimme Fehler.“ Dabei grinste sie über beide Ohren.

„Telshanach.“, lenkte Joran das Gespräch wieder in eine andere Richtung. „Wir haben heute Abend einen Besucher. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn Agent Maron uns mit seiner Anwesenheit beehrt.“ „Natürlich nicht.“, erwiderte Jenna. „Und jetzt kommt mit! Ich habe Kohldampf! Den habt ihr doch nach der Aktion sicher auch!“ Maron und Joran nickten und schlappten lässig hinter ihr her.

Jones und Sedrin hatten sich in ihrem gemeinsamen Büro getroffen und sich über das Gehörte ausgetauscht. „Stell dir vor.“, sagte Jones, nachdem er sich einen starken Kaffee repliziert hatte. „Der Scientist geht davon aus, dass jemand mit Absicht die beiden Kinder, die in dem Grab liegen, vergiftet hat.“ „Wahrscheinlich wollte derjenige verhindern, dass ihre Organe zwangsgespendet werden und sie wie schrottreife Raumschiffe oder Jeeps ausgeschlachtet werden.“, entgegnete die Demetanerin. Jones schüttelte sich. „Wie kommst du auf das schmale Brett?“, fragte er, als hätte sie gerade die Grundfesten seines Glaubens erschüttert. Wenn man es genau nahm, hatte sie dies ja auch. „Glaubst du etwa die Gerüchte von Tindara?“ „Auch auf die Gefahr hin, dass du mir hier gleich vom Stuhl kippst.“, meinte Sedrin zynisch. „Ja, ich glaube sie.“ „Aber warum sollte der nihillanische Staat so etwas tun?“, fragte Jones. „Weil Leben keinen höheren Stellenwert bei denen hat, als Maschinen. Diese bestehen ja auch nur aus Materie und nicht anders sehen die Nihillaner Lebensformen. Sie machen keinen Unterschied. Für sie besteht alles aus rein chemischen Verbindungen und ist rationell erklärbar. Deshalb negieren sie jede Art von moralischer …“ Der untersetzte Terraner schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Allerdings nicht wegen der haarsträubenden Dinge, die sie ihm berichtet hatte, sondern wegen der Tatsache, dass er meinte, sie würde lügen. „Das ist noch nicht alles.“, fuhr Sedrin fort. „Gerüchten zufolge muss jedes Ei auf Erbkrankheiten untersucht werden, bevor es den Eltern zurückgegeben wird. Ist der Embryo krank oder behindert, wird er gleich getötet und die Eltern erhalten nur einen lieben Brief.“ Bei den Worten: “lieben Brief.“, machte sie ein besonders zynisches Gesicht. „ist der Embryo gesund.“, berichtete sie weiter. „Kriegen sie einen Brief und das Ei. Ach ja, mit Urkunde und Glückwunschkarte, weil sie ihrem Volk damit einen großen Nutzen erweisen.“ „Dass du so etwas glaubst!“, rief Jones aus und stieß seinen Kaffee um. „Ich nehme den Job als Ermittlerin eben ernst.“, erwiderte die Demetanerin mit einem tadelnden Blick in seine Richtung. „Und ich lasse mich eben nicht von Dingen wie Warpfähigkeit blenden. Warp ist eine Maßeinheit für Geschwindigkeit und nicht für Moral. Das sollte sich Nugura mal wieder in Erinnerung rufen. Und, ich muss es erst mal glauben, solange ich keine Gegenbeweise habe. Unser Job als Ermittler bringt das mit sich.“ Wieder sah sie ihn tadelnd an. „Warpfähigkeit.“, begann Jones, nachdem er aufgestanden war. „Ist seit Jahrhunderten der Maßstab für den Eintritt in die Föderation. Sie steht für die gleiche Stufe.“ „Leider.“, zischte Sedrin. Dann stand sie auf und zog ihren Mantel an. „Ich werde jetzt gehen. Heute Nacht habe ich noch eine Verabredung mit einem Zeugen.“ Sie warf ihm einen letzten abschätzigen Blick zu und verließ das Büro. Wer Sedrin kannte, wusste, dass sie schon zu ihrer Zeit als Huxleys erste Offizierin oft Kritik an der Schwarzweißpolitik der Föderation geübt hatte und das oft zu Recht!

Jenna, Joran und Maron hatten Jennas und Jorans Quartier betreten. Maron hatte sich rechts neben Joran gesetzt, der sich gleich daran machte, die IDUSA-Konsole nach der gewissen Animation zu durchsuchen. Dann warf er Jenna einen kurzen Blick zu, bei dem er leicht mit der rechten Augenbraue wippte. Die Terranerin verstand. Dieses Zeichen bedeutete: „Lenk ihn ab!“

Kennen Sie Tchalback?“, fragte Jenna. „Gehört habe ich davon.“, gab Maron zu. „Aber ich habe mich da nie so richtig dran getraut.“ „Dann wird es aber mal Zeit.“, sagte die terranische Technikerin ermunternd und türmte aus einer großen silbernen Metallschüssel, die in der Mitte des Tisches stand, einen großen Berg des Getreidebreis auf den Teller ihres neugierig dreinschauenden Vorgesetzten. Dann zeigte sie auf zwei weitere Teller, von denen der eine mit repliziertem Fleisch, der andere mit Fisch gefüllt war. „Joran mag es am liebsten mit Fisch.“, erklärte sie. „Ich glaube, ich teste das Zeug erst mal ohne alles, Mc’Knight.“, lehnte der Demetaner zunächst dankend ab. Dann nahm er seine Gabel und ließ sich etwas von dem Brei schmecken. Jenna beobachtete zufrieden, wie er sich danach sogar den Mund ableckte.

Joran biss leicht die Zähne aufeinander, öffnete seine Lippen einen kleinen Spalt und zog Luft durch den hierbei entstandenen Zwischenraum. Dabei machte er ein Geräusch, als würde er eine Katze oder einen Hund anlocken wollen. Für Jenna war dies das geheime Zeichen, welches sie vorher abgemacht hatten. Sie lernte seit geraumer Zeit Vendarisch und hatte sich so mit ihm absprechen können, ohne, dass Maron etwas verstanden hatte. Sie drehte sich zu ihrem Freund und nahm aus seinen Händen jenen Briefbeschwerer entgegen, den er gerade repliziert hatte. Auf den Datenkristall hatte Joran bereits das Video geladen. Der Briefbeschwerer hatte die Form eines der Modelle der Enterprise. Maron pfiff angesichts von Jorans Zynismus durch die Zähne. „Symbolträchtig hast du’s doch am liebsten, Agent Maron.“, sagte Joran nicht ohne einen gewissen Stolz. „Du hast Recht. Aber ich sollte mir das erst in meinem Quartier ansehen. Sonst verschlucke ich mich gleich noch vor Lachen.“, erwiderte Maron.

An einem Punkt weit weg vom Gebiet der Föderation hatte Diran das Schiff auf Toleas Geheiß aus dem Interdimensionalmodus genommen. Er wollte gerade auf Warpgeschwindigkeit umschalten, als seine Gebieterin ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Immer, wenn er die entsprechenden Schaltfelder erreichen wollte, schützte Tolea diese mit Hilfe ihres mentalen Schildes. „Warum tut Ihr das, Gebieterin?“, fragte der Vendar irritiert. „Weil es nicht in meinem Interesse liegt, schnell zum Ort der Konferenz zu kommen, sondern schön langsam.“, antwortete Tolea. Diran, der immer noch nicht verstanden hatte, fragte verwundert: „Aber die Anderen werden warten, oder etwa nicht?“

Sie sah ihn fest an und sagte: „Diran, tshê!“ Dieses Wort aus der eigenen Muttersprache kannte Diran sehr gut, also folgte er ihrem Befehl, ihr zuzuhören. „Du wirst den Antrieb auf ein Viertel Impuls schalten, nicht mehr. Du wirst einen Kurs setzen, der uns an so vielen bewohnten Planeten der Föderation wie möglich vorbeiführt, auch, wenn dies einen Umweg zu den Weltraumwirbeln bedeutet. Jedes Rufzeichen wirst du anSITCHen, das auf unserem Weg liegt. Die Rufzeichen liefert dir ja jeder Transponder frei Haus.“ Diran nickte und folgte ihrem Befehl, obwohl er ihn nicht ganz verstanden hatte.

Auch Tabran und die Wächterin hatten sich in der Zwischenzeit aufgemacht. Tabran war es bezüglich der Wahl der Geschwindigkeit seines Schiffes ähnlich ergangen wie Diran. Deshalb wandte er sich auch wenige Sekunden nach Eintritt ins Föderationsuniversum an die Wächterin: „In diesem Tempo benötigen wir Tage, wenn nicht gar Wochen bis zu den Wirbeln, Wächterin. Warum möchtest du, dass wir, mit Verlaub, so langsam durch den Weltraum tuckern?“ Die Mächtige drehte den Kopf zu ihm und lächelte. Dann erwiderte sie: „Das ist schon richtig. Aber je länger wir im Universum der Föderation bleiben, desto mehr Aufmerksamkeit können wir auf uns ziehen. Sprich jedes Rufzeichen an, das in Reichweite unseres Sprechgerätes kommt. Egal, ob Schiff, Planet, Raumstation oder Sonde. Sende von mir aus auch an jeden Rechner eine Botschaft, die enthält, warum und wohin wir unterwegs sind. Wir müssen die Föderation aufmerksam machen. Falls nötig, verbinde mit mir.“ Tabran stutzte. Dann fragte er: „Aber wenn du alle telepathisch informieren würdest, wäre dies doch viel effizienter, nicht wahr?“ „Effizienter vielleicht.“, antwortete die Wächterin. „Aber ich könnte mir vorstellen, dass dies nach hinten los gehen könnte. Wie würdest du dich fühlen, wenn dir plötzlich einer telepathisch dein Tun diktieren würde. Würdest du dann nicht denken, dass sich die Mächtigen zu sehr einmischen und dich nicht sogar aus purem Trotz für das genaue Gegenteil entscheiden?“

Tabran dachte eine Weile nach. Er selbst würde sicher nicht so reagieren. Er war ein Vendar und als solcher gewohnt, dass ein Mächtiger, dem er dienen würde, ihm auch telepathische Instruktionen oder Ermahnungen erteilen würde. Aber die Präsidentin der Föderation, die könnte sich dann schon auf den nicht vorhandenen Schlips getreten fühlen, denn die Föderation hatte auch keine so guten Erfahrungen mit Mächtigen. Ihm kamen diverse Situationen mit Q in den Sinn, die ein Föderationsoffizier Namens Picard erlebt hatte, bevor Q sich zum Guten gewandelt hatte. Nugura würde dies immer vor Augen haben und sich wahrscheinlich dann erst recht aus Trotz den Nihillanern anschließen. Würden die Wächterin, Tolea und Dill so vorgehen, das wusste der Vendar jetzt, würden sie die Föderation gerade in Ethius’ Arme treiben. „Du hast Recht, Wächterin.“, sagte Tabran, bevor er das Schiff in der gewünschten Geschwindigkeit den Flug fortsetzen ließ.

Sie trafen bald auch auf Tolea und Diran. Diese waren auf ein Schiff aus der Dimension Zeitland getroffen. An Bord dieses Schiffes befanden sich Dill, der Herrscher der genannten Dimension und eine Vendar, die weder Diran noch Tabran kannten. „Ich bin Crimach, Vertraute des Dill und der Messalina von Zeitland.“, stellte sich die Fremde am SITCH vor. Da Crimach die Rufzeichen beider Schiffe in einer Konferenzschaltung gemeinsam gerufen hatte, konnten sich alle gegenseitig hören. Nachdem man Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatte, ging es im Dreierzug weiter.

Jene Ereignisse waren Evain nicht verborgen geblieben. Sie war in eine Art Bunker im Präsidentenpalast gegangen, der auch ihr persönlicher Kommandostand war. Von hier aus hatte die Führerin des nihillanischen Militärs Kontakt zu einer Sonde aufgenommen, die die drei Schiffe jetzt verfolgte. Bei Evain waren einige einfache Soldaten.

Die Commandara wunderte sich sehr stark über die merkwürdigen Bilder, die ihr die Sonde lieferte. „Drei Schiffe mit Mächtigen an Bord, die durch den Weltraum schleichen. Was kann das bedeuten?“, fragte sie sich halblaut. Einer der Soldaten, der ihre Ratlosigkeit mitbekommen haben musste, trat mit ehrfürchtigem Blick an sie heran. Es handelte sich um einen jungen Mann mit silbrigem Schuppenkleid. Er war von schlanker drahtiger Statur und mit 1,90 m für einen Nihillaner auch nicht gerade klein.

Missmutig wandte sich die Commandara zu ihm um. „Was willst du?“, fragte sie mürrisch. „Bitte verzeihen Sie, Commandara, aber Soldat in Ausbildung Kassius aus der Familie des Lukullus und der Martia bittet um Erlaubnis, eine Theorie vorbringen zu dürfen.“ „Rede!“, befahl Evain. Sie hatte selbst keine Idee, was das mit diesen langsam fliegenden Schiffen sollte, aber sie wusste, ihr Präsident würde auf eine Antwort warten. Falls sie ihm keine liefern würde, würde sie vielleicht sogar Gefahr laufen, ihren Posten zu verlieren. Das wollte sie auf keinen Fall.

„Wie würden Sie sich fühlen, Commandara, wenn sich ständig ein Insekt in ihrer Nähe aufhielte und sie mit seinem Summen nerven würde?“, begann der Soldat. „Die Antwort hast du gerade selbst gegeben.“, antwortete Evain. „Ziemlich genervt.“ „Sehen Sie.“, gab Kassius zurück. „Ich denke, die werden alles anSITCHen, was in ihre Reichweite kommt. Was ist, wenn sie die Föderation warnen wollen vor dem, was wir mit ihr vorhaben?“

Evain fuhr herum und drehte sich zum Computermikrofon. „Computer, jede SITCH-Aktivität der Vendar-Schiffe melden! Anzeige mit Koordinaten auf Display!“

Bald zeigte sich auf dem Bildschirm vor Evains Augen eine Karte der Planetensysteme, welche die Schiffe bereits durchquert hatten. „Junge, du hast Recht gehabt!“, rief die Generalin außer sich. „Hol den Allverstehenden Präsidenten. Ich muss das weitere Vorgehen mit ihm besprechen!“ „Zu Befehl, Commandara!“, erwiderte der Kadett zackig, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte aus der Tür.

Sedrin und ich hatten uns bei einem Plausch am Gartenzaun getroffen. Unter Nachbarn in Little Federation war dies ja durchaus üblich. „Was macht Ihr neuer Fall?“, lächelte ich ihr zu. „Eigentlich darf ich Ihnen ja gar nichts sagen, Allrounder.“, gab die demetanische Agentin zurück. „Aber in diesem Fall mache ich einmal eine Ausnahme, weil ich vielleicht Ihre Hilfe benötigen werde.“ „Meine Hilfe?“, echote ich unsicher. Sie öffnete das kleine Tor, welches die beiden Gärten trennte und kam zu mir. „Ja, Betsy, Ihre Hilfe.“

Sie nahm meine Hand, zog mich auf einen Sack Blumenerde, der in einer Ecke lag und setzte sich dann selbst neben mich. „Meinen Sie im Zusammenhang mit Mikors Vernehmung, Ma’am.“, fragte ich irritiert. „Nein.“, sagte sie mit fester Stimme. „Ich meine eher als Undercover.“ Ich glaubte, nicht richtig zu hören und fragte: „Aber, Agent, ich habe doch gar keine Spionageausbildung. Wie kommen Sie darauf, dass ich für so etwas qualifiziert sein könnte.“ „Sie irren, Allrounder.“, erwiderte Sedrin ruhig. „Sie bringen zwar nicht die Ausbildung einer Agentin mit, aber Sie haben eine Qualifikation, die in diesem Fall weitaus besser geeignet ist. Sie haben Herz. Ich werde Ihnen alles heute Nacht erläutern. Sie werden mich nämlich zum Kinderheim begleiten. Mikor vertraut Ihnen. Deshalb ist das wohl besser.“ „Was würde Ihr Partner dazu sagen?“, erkundigte ich mich. „Jones hat da gar nichts mehr zu melden.“, entgegnete sie zynisch. „Er hat den Chief-Agent gebeten, ihn von dem Fall zu entbinden. Tamara hat eingewilligt.“ Jetzt erinnerte mich ihre Stimmlage etwas an T’Pol von der ersten Enterprise. Das passierte immer dann, wenn Sedrin zynisch wurde. „Na, da muss Jones schon ’ne verdammt gute Begründung gehabt haben.“, grinste ich. „Die gab es auch.“, antwortete sie mit einem gemeinen Grinsen. „Die Fakten des Falles haben ihn psychisch überfordert. Ich habe ihm nahe gelegt, seinen Hut zu nehmen. Jetzt bin ich die alleinige und somit die leitende Ermittlerin in diesem Fall und kann einbeziehen, wen ich will.“ Ich nickte verständig. Dann sagte ich: „Also, dann bis heute Nacht.“ „Bis heute Nacht.“, wiederholte sie und ging.

Der Kadett und Ethius hatten Evains Kommandostand betreten und standen nun gemeinsam mit ihr vor dem Bildschirm, auf dem sich ihnen das rätselhafte Schauspiel bot. „Mein Untergebener meint, dass sie unter Umständen die Föderation warnen könnten.“, erklärte die Generalin. „Das darf auf keinen Fall passieren!“, antwortete Ethius. „Sie haben Recht, Allverstehender Präsident.“, stimmte Evain zu. Ihr Schuppenkleid wechselte die Farbe von weiß zu schwarz, ein Zeichen, dass sie langsam aber sicher sehr aggressiv wurde. „Nugura vertraut den Mächtigen, die hier versammelt sind und ihren Dienern. Wenn die es hinkriegen, ihr die Zukunft zu zeigen, dann wird sie …“, begann Ethius, aber Evain fiel ihm ins Wort: „Nichts von dem wird geschehen, Allverstehender Präsident. Auf meine Truppe und mich können Sie sich wie immer verlassen. Wir werden mit Jagdfliegern aufbrechen und sie stellen. Wenn sie ihr Ziel nicht erreichen, wird es auch keine Warnung geben. Die Piloten werden auch rosannium-fähige Torpedos an Bord ihrer Schiffe haben. Wenn sie die abfeuern, verhindern sie, dass die Mächtigen ihre Kräfte einsetzen können. Mit den drei Vendar werden wir schon fertig.“ Ethius rieb sich die Hände. „Guter Plan, Evain.“, lobte er.

Kassius hatte sich inzwischen an ein Terminal gesetzt. Hier hatte er den Kurs der Vendar-Schiffe extrapoliert. „Es sieht aus, als wollten sie zu den Weltraumwirbeln. Die führen sie dann ins Dunkle Imperium, eine hochdichte-Atmosphärendimension. Dort sind sie sehr empfindlich, weil sie der Schwerkraft sei Dank hier leichter abstürzen könnten. Wir sollten warten, bis sie dort sind und sie erst dann angreifen.“, erklärte er. Ethius und Evain sahen sich an und nickten. „Sehr guter Vorschlag, Soldat in Ausbildung.“, lobte Evain. „Zur Belohnung darfst du sie von meinem Platz aus weiter beobachten. Melde mir, wenn sie durch die Wirbel gegangen sind.“ Sie winkte ihn zu ihrem Stuhl und verließ diesen. „Ich selbst werde die Jäger in Bereitschaft versetzen.“, erklärte sie noch im Gehen. Der wird mal ein guter Stratege., dachte Evain. Könnte einmal mein Nachfolger werden, wenn er sich weiter so gut anstellt.

Auf Toleas und Dirans Schiff hatte die Tagphase begonnen. Der Vendar war in das Fütterungsritual vertieft und der Mishar flog das Veshel. Tolea selbst saß beobachtend neben dem abwesend dreinschauenden Vendar. Sie hatte das Display des Sprechgerätes im Auge, um gegebenenfalls selbst mit einem Staatsoberhaupt oder einem Stationskommandanten sprechen zu können. Telepathisch hatte sie nachgesehen, was Diran während des Rituals sah. Dass Energiefelder mit Bewusstsein mit den Vendar, in deren Sifa sie sich befanden, kommunizieren konnten, war weder der Mächtigen noch dem Vendar fremd gewesen, aber Tolea interessierte auch, wie nah Diran an der Wahrheit war, die sie ihm noch nicht sagen durfte.

Kapitel 5: Am Beginn der Wahrheit

von Visitor

 

Langsam löste sich Diran jetzt aus seiner konzentrierten Haltung. „Wie geht es deinem Feld?“, fragte Tolea mild. „Ich nehme an, recht gut.“, antwortete Diran. Dann drehte er sich zum Computermikrofon: „Mishar, Steuerkontrolle übergeben!“ „Befehl wird ausgeführt.“, kam es nüchtern zurück.

Eine ganze Zeit waren sie jetzt schon geflogen. Tolea war nicht aus dem Kopf gegangen, was Diran gesagt hatte. Er nahm an, dass es seinem Feld gut ging. Was meinte er damit? Hatte er etwa schon einen Verdacht, den sie nicht bemerkt hatte? „Du sagtest, dass du annähmst, dass es deinem Feld gut gehe.“, sprach sie ihn an. „Was meinst du genau damit?“ „Die Nihillaner müssen in der Lage sein, Energiefelder nicht nur so zu erschaffen, dass sie sogar meine Sifa täuschen können, dass sie meint, das Feld sei echt, nein, sie müssen auch in der Lage sein, diese Felder so zu programmieren, dass sie kommunizieren können. Ich verstehe allerdings nicht, was es mir sagen will.“ „Was siehst du denn?“, wollte Tolea wissen. „Es zeigt mir einen Mann hinter Gittern. Er ist damit nicht zufrieden und läuft in seinem Käfig auf und ab wie ein gefangenes Tier. Wenn ich mich ihm zeige, Gebieterin, Ihr wisst, ich kann das während des Rituals kontrollieren, dann lächelt er mir aber zu. Wenn ich frage, wer ihn eingesperrt hat, sagt er nur, das würde ich noch früh genug erfahren.“ „Das ist wahrscheinlich nur ein Programm der Nihillaner.“, log Tolea. Es schmerzte sie, dass sie ihm die Wahrheit noch so lange vorenthalten musste. Sie war immer eine Freundin sterblicher Wesen gewesen und hasste es, wenn sie benutzt wurden. Sie wusste aber auch, dass es in diesem Fall nicht anders ging. Oh, mein armer Diran., dachte sie. Dass es gerade dich treffen musste. „Das war noch nicht alles.“, berichtete Diran weiter. „Ich sehe einen Schlüssel und ein Schloss. Wenn ich versuche, den Schlüssel zu nehmen und das Schloss zu öffnen, um ihn zu befreien, verschwindet beides hinter einer Nebelwand. Die habe ich schon versucht weg zu schieben. Aber es funktioniert nicht.“

Tolea überlegte, ob sie ihm nicht wenigstens einen kleinen Hinweis geben sollte. Sie wusste, sie würde damit gegen alle Grundsätze der Mächtigen verstoßen. Aber das war ihr jetzt egal. Auch wenn sie damit riskieren würde, dass Diran die Wahrheit zu früh herausfinden könnte. Sie wusste, dass wenn man Diran den kleinen Finger gab, er oft bald die ganze Hand hatte. So beharrlich konnte er sein. „Eines Tages wirst du ihn befreien können.“, sagte sie schließlich. „Sicher.“, entgegnete Diran. „Am Ende meines Sifa-Zyklus.“ Tolea atmete auf. Er schien ihren Hinweis doch nicht verstanden zu haben. Sie wusste aber auch, dass dies eine trügerische Sicherheit war. Was sie gesagt hatte, würde Diran nicht in Ruhe lassen und früher oder später würde er darauf kommen. Sie wünschte sich aber insgeheim, dass es eher später als früher passierte.

Sedrin hatte mich abgeholt. Wir saßen jetzt in ihrem Jeep und waren zum Kinderheim unterwegs. Die mitternächtliche Aktion, zu der uns Mikor eingeladen hatte, war mit Mittana abgesprochen. Die celsianische Erzieherin war im Augenblick die einzige Betreuerin, die Nachtbereitschaft machen konnte. Ston, der vulkanische Erzieher, für den sie eingesprungen war, war krank geschrieben. Für Mikor war das aber so ganz OK. Er wusste, dass man mit Mittana in der Hinsicht Pferde stehlen konnte. Außerdem empfand er seine Entdeckung als sehr wichtig.

Wir bogen auf den Parkplatz ab. „Will Mikor uns hier draußen treffen?“, fragte ich. „Soweit ich mich erinnere, ja.“, erwiderte Sedrin.

Wir stiegen aus dem Jeep und sie wies mich an, erst mal stehen zu bleiben. Dann hörte ich, wie sie den Kofferraum öffnete und etwas Raschelndes herausnahm. Dann hielt sie mir ihren Arm hin und ich hakte mich ein.

Mikor kam uns bereits auf dem Flur entgegen. „Hallo, Agent.“, begrüßte er Sedrin. „Ich bin nicht allein.“, erwiderte sie und wies auf mich. „Hi, Mrs. Scott.“, sagte Mikor. „Was habe ich dir denn gesagt?“, lächelte ich. „Sorry, Betsy.“, berichtigte er sich. Dann wuselte er in Richtung der Turbolifts. „Wir müssen bis in die letzte Etage und von da aus den Rest bis zum Dachboden laufen.“, erklärte Mikor. „Ich nehme an, der Lift fährt nicht bis ganz oben, weil es dort für Kinder im Allgemeinen zu gefährlich ist.“, schlussfolgerte Sedrin. „Stimmt.“, erwiderte Mikor. „Aber Sie beide sind ja bei mir. Eigentlich ist da ja auch nichts Interessantes. Nur die Haustechnik. Aber man kann von da aus alles prima sehen.“

Hinter dem aufgeregten Jungen her laufend kamen wir bald an einem Lift an, der uns in die oberste Etage brachte. Dann zeigte uns Mikor eine Wartungstreppe, die er vor uns hinauf lief. Sedrin und ich blieben erst mal stehen. „Wie machen wir das?“, überlegte sie halblaut. „Ganz einfach.“, löste ich die Situation. „Zeigen Sie mir, wo die Holme sind und ich halte mich einfach an beiden Seiten fest.“ „Na schön.“, erklärte sie sich einverstanden. „Ich gehe aber hinter Ihnen, falls sie abrutschen sollten. Die Stufen sind verdammt schmal.“ Ich nickte und sie führte meine Hände auf die Holme. „Warten Sie bitte noch kurz.“, instruierte sie mich, als ich schon losklettern wollte. Dann rief sie nach oben: „Mikor, Mrs. Scott und ich kommen jetzt! Kannst du ihre Hand nehmen und ihr helfen, wenn sie oben ist?“ „Natürlich!“, kam es zurück. Dass Cardassianer ein sehr großes Selbstbewusstsein haben, wusste ich. Und, dass Demetanerinnen sehr fürsorglich sind, war mir ebenfalls bekannt.

Mikor ergriff meine Hand, als ich fast oben war. Er bemühte sich sehr, mir exakte Informationen zu geben, wie ich meine Füße setzen sollte, damit der Aufstieg für mich so ungefährlich wie möglich wurde. Dass Cardassianer sehr genau waren, wusste ich als ausgebildete Sternenflottenoffizierin. Das machte sie auch zu guten Soldaten. Trotzdem waren sie manchmal zu vorschriftentreu.

Er führte mich zu einer umgedrehten Kiste, die er offensichtlich hier schon bereitgestellt hatte. „Ich nehme an, du hast alles schon vorbereitet.“, kombinierte Sedrin. Sie hatte nämlich noch zwei weitere Kisten gesehen, die rechts neben der standen, auf der ich saß. Mikor nickte. Dann sagte er: „Mir ist aufgefallen, Betsy, dass du Stufen zählst. Das lässt mich schließen, dass du auch sehr genau bist. Du könntest glatt Cardassianerin sein.“ Ich lächelte verlegen. Dann erklärte ich: „Das mache ich nicht aus Genauigkeit, sondern, weil es für mich notwendig ist. So kann ich mir die Zahl vom Hinweg merken und weiß auf dem Rückweg besser, wann die Treppe zu Ende ist. So vermeide ich, ins Leere zu treten oder den Fuß am Ende falsch zu setzen und zu fallen.“ „Interessant.“, bemerkte Mikor. Er hatte wohl nur mit Blinden aus seiner Zeit Kontakt gehabt. Die benutzten alle Visoren. Ich aber hatte dies aus bekannten Gründen abgelehnt.

Sedrin war jetzt auch zu uns gestoßen und hatte die große raschelnde Tüte zwischen uns gestellt. Daraus kamen jetzt mehrere Warmhaltekannen mit heißer Schokolade, Kaffee und Schlagsahne zum Vorschein. Auch einige Becher. Dann grinste sie Mikor an und steckte ihm etwas in den Mund. Das konnte sie, weil er gerade in die andere Richtung geschaut hatte und sie die Situation eiskalt ausgenutzt hatte. „Sie haben cardassianische Süßigkeiten?“, schmatzte Mikor. „Wo haben Sie die her?“ „Vitamin B.“, grinste sie.

Mikor schaute auf die Uhr. „Es geht gleich los!“, rief er aufgeregt. „Aber keine Sorge, Ladies, Sie haben einen Logenplatz!“

Dass Sedrins Andeutung mit dem Vitamin B für mich später noch eine Bedeutung haben sollte, ahnte ich noch nicht.

Sedrin stand jetzt mit Mikor vor einem Dachfenster. Beide sahen hinaus in die mondklare Nacht. Von fern konnten sie einen schwachen Schein wahrnehmen. Mikor ließ seine Uhr nicht aus den Augen, als wollte er von irgendwas die Zeit stoppen. „Ich sehe ein Licht.“, beschrieb mir Sedrin. „Es ist weiß und scheint jetzt bereits seit ...“ Sie drehte sich zu Mikor. „Seit einer Stunde.“, flüsterte dieser in ihr rechtes Ohr, das sie ihm zugewandt hatte. „Seit einer Stunde.“, wiederholte sie laut in meine Richtung.

Eine weitere Stunde später änderte sich die Farbe des Lichtes. Es schien auch irgendwie erhöht zu sein. Jetzt war es rot. „Der Lichtschein verändert sich immer im 2-Stunden-Takt.“, erklärte Mikor. „Interessant.“, entgegnete Sedrin. „Was kann man von hier aus sehen?“, erkundigte ich mich. „Den Friedhof.“, antwortete Sedrin. „Genauer, die Stelle, an der das nihillanische Grab … Kommt!!! Mikor, hilf Betsy bitte mit der Treppe!“

Sie musste eine Idee dessen haben, was dort vorgehen könnte. Jedenfalls waren wir ratz-fatz wieder unten im Erdgeschoss und Sedrin und ich waren unterwegs zu ihrem Jeep. Die Picknicktüte hatte sie in Windeseile zusammengepackt und in den Kofferraum geworfen. Einsteigen, Sicherheitskraftfelder aktivieren, Antrieb starten, Losfahren, das war alles eins. Mich erinnerte das an eine Szene aus einem Actionfilm.

Wir rasten durch die halbe Stadt, um abrupt am Friedhof zum Stehen zu kommen. Ich legte meine Hand auf den Türgriff. „Nicht aussteigen.“, zischte Sedrin. „Die Person darf uns nicht bemerken.“ „OK.“, gab ich unsicher zurück.

Sedrin hatte jetzt ihren Erfasser aus dem Handschuhfach geholt und hielt ihn in Richtung des Friedhofes. Jetzt konnte sie genau sehen, was sich dort abspielte. Im Schutze der Dunkelheit hatte sich eine kleine echsenartige Gestalt an dem fremden Grab zu schaffen gemacht. Sie hatte die Tongefäße, die um es herum standen, jetzt auf den Stufen abgestellt und in jedes Gefäß eine kleine flache Kerze gelegt, die sie der Reihe nach anzündete. Nach der weißen und der roten Kerze war jetzt eine braune dran. Sedrin konnte im Erfasserdisplay sehen, dass sie die Lippen bewegte.

Plötzlich legte sie den Erfasser weg. „Können Sie tolerieren, wenn ich Ihre Lippen berühre und bewege?“, fragte sie. Ich nickte. Dann fragte ich: „Wozu soll das gut sein?“ „Sie sind ausgebildete Kommunikationsoffizierin.“, erklärte sie. „Ich denke, Sie werden mir zumindest sagen können, ob sie Englisch spricht.“ „OK.“, sagte ich. „Versuchen wir es.“

Sie legte zwei Finger auf meine Unter- und zwei auf meine Oberlippe und begann, diese zu bewegen und zu verformen. Dabei zeichnete sie sozusagen nach, was der Erfasser ihr gezeigt hatte. Diese Methode war etwas ungewöhnlich, aber Sedrin war für ihre ungewöhnlichen Lösungen bekannt.

Nach einer Weile tippte ich sie an, denn mir war klar geworden, welche Sprache die Person am Grab sprechen musste. Sie ließ mich los und fragte: „Wissen Sie es?“ „Ja.“, bestätigte ich. „Es ist Nihillanisch.“

Alle Kommunikationsoffiziere mussten einen Kurs in Nihillanisch belegen, seit Nugura vorhatte, es in die Föderation zu holen. Deshalb wusste ich auch, welche Bewegungen die Lippen bei Lauten aus dieser Sprache machten.

„Sind Sie sicher?“, fragte sie. „Ja, Ma’am.“, antwortete ich. „Verdammt sicher.“ „OK.“, sagte sie. „Dann passen Sie jetzt mal auf.“

Sie öffnete das Handschuhfach und gab mir etwas in die Hand. „Das ist eine 2-Wege-Wanze.“, erklärte sie. „Ich möchte, dass Sie morgen Nacht hier her kommen. Aber tragen Sie Zivil. Wenn es stimmt, was ich vermute, dann wird sie sehr große Angst vor Uniformen haben. Vielleicht redet sie mit Ihnen. Über einen Kanal der Wanze kann ich Ihnen Instruktionen erteilen, was Ihr Vorgehen bezüglich Spionage angeht. Über den anderen höre ich alles.“ Sie zeigte mir den Empfänger. Dann gab sie mir noch etwas, was wie ein künstliches Ohr aussah. „Was ist denn das?“, fragte ich irritiert. „Passen Sie auf.“, flüsterte sie. Damit zog sie das Ding über mein eigenes rechtes Ohr. Es lag eng an, war aber weich. Sie ließ die Wanze, mit der es über ein fast unsichtbares Kabel verbunden war, ein kurzes Signal von sich geben. „Einen Stöpsel würde sie vielleicht sehen, auch, wenn er fleischfarben wäre.“, erklärte sie. „Verstehe.“, sagte ich.

Sie brachte mich noch nach Hause. Dann verabredeten wir uns für die kommende Nacht. Sie schien genau zu wissen, was für einen Effekt ich oft auf manche Leute hatte. Oft war beobachtet worden, dass manche in meinem Beisein plötzlich ihre Seele erleichterten, ohne, dass ich etwas dazu getan hatte. Diesen Wasserfalleffekt wollte sie jetzt wohl auch ausnutzen. Sie ahnte wohl schon, dass es sich um einen nihillanischen Flüchtling handelte, der sicher froh war, sich erleichtern zu können.

Maron hatte sich mit dem Briefbeschwerer in sein Quartier zurückgezogen. Hier hatte er das Video aktiviert. Er sah eine lesbische Hochzeit zwischen Sytania und Nugura auf einem x-beliebigen Standesamt. Die Borgqueen stand beleidigt vor der Tür. Der Standesbeamte war ein terranisches Schaf, die Protokollführerin eine Kuh, der Brautführer eine Schlange und die Trauzeugen ein Maulwurf und ein Fisch. Maron war der Zynismus durchaus klar, der hinter diesen Bildern steckte. Böse, böse, böse., dachte er. Dumm und Dümmer führen die Trauung durch und der Rest der Gesellschaft, na ja. Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Bin mal neugierig, was da noch kommt. Maron bewunderte den tindaranischen Zeichner für seine Art und Weise, Informationen von fremden Planeten einzuholen und zu nutzen. Er dachte sich, dass Nivar oft sehr gut dem Volk aufs Maul schaute und dass er genau wusste, welchen Stellenwert diese Tiere im Volksmund hatten.

Ein kurzer Ausschnitt stellte die Feier dar. Dann kam es zu einer Schlafzimmerszene. Gerade in diesem Moment piepte die Sprechanlage und Zirell begehrte Einlass. Maron versuchte, so schnell es ging den Ausknopf zu finden, aber das war ihm, weil er sehr nervös war, leider nicht möglich. Er stellte das Ding des Anstoßes nur schnell unter den Glastisch, an dem er saß. Leider hatte er nicht bedacht, dass dieser eine Spiegelwirkung hatte und alles voll auf die weiße Wand am anderen Ende des Raumes projiziert wurde. Unwissend dessen bat Maron seine Vorgesetzte herein. Diese blieb kurz im Türrahmen stehen. Ihr Blick streifte das Geschehen und dann sagte sie nur: „Interessant.“, bevor sie sich auf einen Stuhl neben ihm setzte. „Du hast kein Problem damit?“, wunderte sich Maron. „Ach was.“, erwiderte die Tindaranerin. „Ich sehe so etwas im Moment öfter. Ich bin mit dem Verursacher liiert. Wir haben uns in meinem letzten Heimaturlaub kennen gelernt. Ging ganz schön hoch her zwischen uns beiden.“ „Was?“, wunderte sich Maron und wurde blass. „Ja.“, gab Zirell zu. „Nächsten Sommer wird geheiratet.“ Maron fiel fast vom Stuhl. Von Zirell, die sonst immer so tugendhaft war, hätte er das nicht gedacht. „Aber, kommen wir zum Dienstlichen.“, sagte die Tindaranerin und zog ein Pad. „Ich habe etwas mit dir zu besprechen.“

Joran fand sich auf einer dicht bewaldeten Ebene wieder. Er verstand nicht, wie er dort hingekommen war. Er erinnerte sich nur, dass er ins Bett gegangen war. Er beschloss, sich hier einmal umzusehen, wählte eine Richtung und ging los. Alles hier erinnerte ihn irgendwie an die Heimatwelt der Vendar. Aber wie sollte er dort hingekommen sein?

„Warte, mein Schüler!“ Eine heisere Altherrenstimme hatte ihn von Fern angesprochen. Joran blieb stehen. Bald erkannte er die Gestalt von Tabran, seinem alten Lehrer, der sich jetzt langsamen Schrittes auf ihn zu bewegte.

Joran zog seine Schuhe aus, was bei den Vendar eine Bezeugung von Respekt Älteren gegenüber bedeutet. Dann wartete er, bis der Alte ihn erreicht hatte. „Was tun wir hier, alter Mann?“, wollte Joran wissen. „Die Wächterin ermöglicht mir im Traum Kontakt zu dir.“, antwortete Tabran. „Sie will, dass du informiert bist. Aber du darfst niemandem hiervon erzählen. Auch nicht deiner Telshanach. „Wir werden dir schon sagen, wann du mit der Sprache herausrücken kannst. Bitte vertrau mir, mein Schüler.“

Joran ließ die angenehm nach blühenden Pflanzen und Gräsern riechende Luft und das Gezwitscher der Vögel noch eine Weile auf sich wirken. Dann sagte er: „Das alles ist also das Werk der Wächterin?“ „Korrekt.“, antwortete Tabran. Dann fügte er hinzu: „Ich befinde mich an Bord eines Veshel. Die Wächterin ist bei mir. Wir fliegen in die Dimension Imperia, um dort an einer Konferenz teilzunehmen. Dies ist sehr wichtig. Aber, mein Schüler, du darfst noch nichts sagen, bevor du nicht von mir das Zeichen bekommen hast. Merke dir dies gut.“ Den Blick, den der Alte ihm zugeworfen hatte, kannte Joran gut. Er wusste, dass Tabran es verdammt ernst meinte.

Jenna stand vor Jorans Bett und hatte seine Schultern gefasst. Sie rüttelte und schüttelte ihn, aber er schien nicht zu erwachen. Sein Atem ging zwar ruhig, genau wie sein Herz, aber er hätte längst wach sein müssen. Sie hatte festgestellt, dass er im Schlaf geredet hatte.

„Jenna?!“ Die etwas aufgeregt anmutende Stimme des Stations-Avatars hatte sie aus ihrem Tun gelöst. IDUSA war nicht verborgen geblieben, was geschehen war. Mit den internen Sensoren hatte sie alles unter Beobachtung.

Die terranische Cheftechnikerin war froh, dass IDUSA so reagiert hatte. „Schick mir Ishan!“, befahl Jenna. IDUSA ließ ihren Avatar nicken und löschte Jennas Reaktionstabelle wieder. Sie fand es besser, wenn sie jetzt nicht mehr Mäuschen spielen würde.

Wenige Sekunden später betrat der androide Arzt das Schlafzimmer. „Ich bin jetzt hier, Jenna.“, sprach er beruhigend auf die völlig verstörte Terranerin ein. „Bitte geh zur Seite.“

Er holte einen mobilen Stimulator aus seinem Koffer und hielt ihn in Jorans Richtung. In diesem Moment wachte der Vendar auf. „Was ist los?“, fragte er mit unschuldigem Blick. Jenna gab einen erleichterten Seufzer von sich. „Du hast total tief geschlafen.“, sagte sie. „Deshalb habe ich Ishan holen lassen. Außerdem hast du im Schlaf geredet. Du hast Tabrans Namen gesagt.“ „Das hat keine Bedeutung.“, log Joran.

„Intensive Träume können auch eventuell mit deinem neuen vorgetäuschten Sifa-Zyklus zusammenhängen.“, spekulierte Ishan. „Wenn das so weiter geht und du deine Dienstfähigkeit einbüßen solltest, müssen wir ihn vorzeitig beenden. Ich habe dir ja so wie so immer verschiedene Mengen des Medikamentes mitgegeben, damit es einem natürlichen Zyklus so ähnlich wie möglich ist. Es hängt ja normalerweise auch davon ab, wann ihr ein Energiefeld übertragt. Außerdem vermeiden wir so eine Gewöhnung. Dein Körper darf schließlich nicht merken, dass wir ihm etwas vorspielen.“ „In der Tat.“, entgegnete Joran, dem Ishans Theorie ganz recht war.

Tabran erwachte auf dem Pilotensitz seines Schiffes. Ein kurzer Befehl an den Mishar und er hatte die Steuerkontrolle wieder übernommen. Die Wächterin, die neben ihm saß, lächelte ihm zu. „Habe ich mein Versprechen gehalten, oder nicht?“, fragte sie mit leicht schelmischem Blick. „Das hast du.“, erwiderte Tabran.

Er sah kurz auf die Instrumente, um sich zu orientieren. „Wir werden noch heute durch die Wirbel gehen.“, berichtete er dann. „Wahrscheinlich heute Abend.“ Die Wächterin nahm dies beruhigt zur Kenntnis.

Die drei Vendar hatten sich abgesprochen, was das AnSITCHen von Sternenflotten- oder Föderationsrufzeichen allgemein anging. Deshalb war jetzt auch die Reihe wieder an Tabran. „Der Mishar meldet eine letzte Station vor den Wirbeln.“, informierte Tabran seine mächtige Begleiterin. „Es ist die Basis von Commander Peter Time und Commander Cinia. Beide gelten als sehr zugänglich, was unsere Information angeht. Sie betrachten Nuguras Tun sehr oft mit Argwohn.“

Die Besatzung der 818 war Tabrans letzte Hoffnung. Bei allen anderen waren sie bisher abgeblitzt. Auch Kissara hatte ihnen gesagt, sie würde ohne Beweise erst mal nichts davon glauben. Aber das hatte sie wohl nur gesagt, um mich zu schützen. Deshalb „schnurrte“ sie Nugura besser noch eine Weile um die Beine und machte vor ihr den Bückling, um sie abzulenken. Davon wussten die Vendar aber nichts.

„Wenn sich diese Stationsbesatzung als unsere Verbündeten herausstellen könnten, ruf sie!“, befahl die Wächterin. Tabran führte den Cursor auf das inzwischen im Display erschienene Rufzeichen der Basis und drückte die Entertaste, was einen sofortigen Ruf auslöste. Alsbald erschien das lächelnde Gesicht einer Androidin auf dem Schirm. „Ich bin Allrounder Sulla von Sternenbasis 818.“, stellte sie sich vor. „Wie kann ich behilflich sein?“ „Sei gegrüßt, Allrounder Sulla.“, entgegnete Tabran. „Du kannst mir behilflich sein, indem du dir meine Informationen anhörst oder mich mit deinen Vorgesetzten verbindest, damit ich ihnen die Informationen direkt geben kann.“ „Commander Time und Commander Cinia sind leider gerade beschäftigt.“, entgegnete Sulla. „Aber ich kann dich mit Agent Yetron verbinden. Er ist Commander Times erster Offizier.“ Natürlich hatte Sulla erkannt, welcher Spezies Tabran angehörte und deshalb auch sofort die richtige Anredeweise auf den Lippen. „Dann tu das.“, sagte Tabran. „Einen kurzen Augenblick.“, lächelte Sulla und schaltete die Verbindung.

Geduldig hörte sich der Demetaner die Verdächtigungen gegen die Nihillaner an. Dann sagte er: „Deine Aussage, Tabran, passt exakt zu den Berichten der Tindaraner. Da du ein mächtiges Wesen bei dir hast, das im Zweifel alles mit Hilfe seiner Kräfte beweisen könnte, glaube ich dir. Ich werde das Ganze mit meiner Kollegin, Agent Indira, besprechen und mit Time und Cinia. Sie werden es sicher nicht anders sehen. Unsere Unterstützung hast du auf jeden Fall.“ „Ich danke dir, Agent Yetron.“, antwortete Tabran und beendete das Gespräch.

Zirell hatte auf einem Stuhl Platz genommen, den Maron ihr mit einem Fingerzeig angeboten hatte. Geduldig wartete der erste Offizier jetzt, bis sie die Datei auf ihrem tindaranisch eingestellten Pad gefunden hatte, nach der sie suchte. Peinlich berührt musste der Demetaner zugeben, dass er noch kein einziges Wort der Sprache seiner neuen Arbeitgeber gelernt hatte, also konnte er ihr auch nicht helfen. Bisher waren sie aber auch mit Englisch gut zurechtgekommen.

Endlich schien Zirell erfolgreich gewesen zu sein. Sie legte das Pad in die Mitte des Tisches. „Was sagt dir der Planet Mineria?“, fragte Zirell. Maron kratzte sich am Kopf und antwortete: „Liegt das nicht sehr weit außerhalb der Tindara-Galaxie?“ „Stimmt.“, bestätigte Zirell. „Die Minerianer sind ein zwergenartiges Volk, das vergleichsweise primitiv lebt. Aber das tun sie nicht, weil sie noch nicht so weit sind, sondern, weil sie sich aus religiösen Gründen dafür entschieden haben. Allerdings sind sie Telepathen wie wir. So konnten sie mit der Zusammenkunft Kontakt aufnehmen. Sie haben ihnen den Vorschlag gemacht, nihillanische Flüchtlinge aufzunehmen. Wir können das bald nicht mehr. Die Lager auf Tindara platzen jetzt schon aus allen Nähten. Hätten die Minerianer diesen Vorschlag nicht gemacht, hätten viele Flüchtlinge wieder nach Hause gemusst.“ „Puh!“, machte Maron. „Dann hoffe ich, dass unter denen mindestens einer ist, der endlich reden will. Wenn ich nicht bald mit physischen Beweisen oder einer stimmigen Aussage dienen kann, kann deine Zusammenkunft die Vorwürfe gegen die Nihillaner ja auch nicht mehr aufrecht halten und sie fallen zusammen wie ein Kartenhaus.“ Zirell nickte. Dann sagte sie: „Es gibt aber noch einen Haken. Die Minerianer wollen uns einer Prüfung unterziehen. Unser Team soll geprüft werden, ob es ohne Vorbehalte an einem ihrer religiösen Rituale teilnehmen wird, egal, wie lächerlich es erscheinen mag. Damit wollen sie herausfinden, ob wir tolerant genug sind, oder, ob wir über Religion genau so denken, wie unter Umständen die Nihillaner. Du hast mir berichtet, dass du vermutest, dass Religion auf Nihilla ein Grund für politische Verfolgung ist.“ „Das habe ich gesagt.“, seufzte Maron. Er erinnerte sich an die vielen fruchtlosen Vernehmungen nihillanischer Flüchtlinge, die solche Angst haben mussten, dass sie sich nicht trauten, selbst gegenüber ihm, der ihnen ja eigentlich helfen wollte, den Mund aufzumachen. „Wer soll gehen?“, fragte Maron. „Jenna und Joran.“, erwiderte seine tindaranische Vorgesetzte. „Warum schickst du gerade sie.“, wollte Maron wissen. Zirell, für die seine Gedanken jetzt ein offenes Buch waren, konnte sehr gut die beleidigten Gefühle lesen, die ihr entgegenschlugen. „Ich weiß, dass du ausgebildeter Sternenflottenoffizier bist.“, versuchte sie ihn zu beschwichtigen. „Aber gerade das könnte dir genau so gut im Weg sein.“ „Was meinst du damit?!“ Maron wurde ziemlich aufgeregt. Er hatte doch gelernt, sich auch primitiven Kulturen anzupassen. Warum schickte sie ihn nicht. Warum diesen ehemaligen Telepathenjäger und Jenna, die ursprünglich aus einem primitiven Jahrhundert gekommen war. Gut, Das mit Jenna konnte er noch tolerieren. Aber warum durfte er nicht an ihrer Seite sein. Seine Ausbildung würde ihn doch dazu befähigen. Unter seinen entsprechenden Instruktionen würden sie die Prüfung der Minerianer leicht bestehen. Ein Telepathenjäger jedoch würde denen vielleicht eher Angst machen. Was war nur los? Hatte sie denn kein Interesse daran, dass mehr Flüchtlinge kamen? Sollte die Sache mit Absicht in die Hose gehen?

„Ich weiß, was du denkst.“, sagte Zirell ruhig. Maron schrak zusammen. Diese Worte waren aus dem Mund einer Telepathin durchaus wörtlich zu nehmen. „Die Minerianer haben Jorans Seitenwechsel längst akzeptiert. Sie wissen, dass er es ehrlich meint. Dafür hat er unsere gesamte Dimension oft genug gerettet. Außerdem ist die Religion der Minerianer der vendarischen sehr ähnlich. Bei dir würden die Minerianer sehr schnell darauf kommen, dass du nur ein gelerntes Programm abspulst. Bei Joran käme es eher von hier.“ Vorsichtig berührte sie seine Brust. „Und Jenna, die ist meiner Meinung nach so wie so tolerant genug.“ „Entschuldige, Zirell.“, gab sich Maron einsichtig. „Das habe ich nicht berücksichtigt.“ „Schon gut.“, verzieh sie. „Aber jetzt weißt du, dass es ziemlich abträglich gewesen wäre, wenn sie gemerkt hätten, dass du nur Theater spielst.“ Maron nickte. Dann wünschten sich beide gegenseitig eine gute Nacht und Zirell ging. Schließlich war es weit nach Mitternacht.

Sedrin hatte mich am späten Abend des folgenden Tages abgeholt. Sie führte mich zu einer Bank in der Nähe des nihillanischen Grabes. „Bleiben Sie hier sitzen.“, instruierte sie mich. „Ich informiere Sie, sobald unsere Zielperson den Friedhof betritt.“

Sie betrachtete die Zivilkleidung, die ich angelegt hatte. „Hübsch.“, sagte sie. „Nur leider etwas unpassend für die Örtlichkeit.“ „Was meinen Sie damit?“, fragte ich etwas verwirrt. „Sie tragen eine weiße Bluse und eine bunt geblümte Hose.“, beschrieb sie. Ich machte ein peinliches Gesicht. „Schon gut.“, meinte sie. „Jetzt ist es eh zu spät. Wenn Sie mich brauchen, bin ich im Jeep.“ Damit drehte sie sich um und ging in Richtung Parkplatz.

Ich holte das künstliche Ohr aus meiner Blusentasche und zog es über mein rechtes. Dann schaltete ich die Wanze ein. Da diese laut Sedrin an den Empfänger dabei ein kurzes Signal sendete, wusste ich, dass sie dies bemerkt haben musste. Ich steckte die Wanze genau so an meine Bluse, wie Sedrin es mir am Vortag gezeigt hatte. „In Ordnung.“, hörte ich bald ihre beruhigende Stimme. „So kann ich alles gut sehen.“ Ich vermied eine verbale Antwort, denn ich musste vermuten, dass ich bereits nicht allein war. Verdacht erregen durfte ich nicht. Deshalb nickte ich nur kurz.

Kapitel 6: Agentin mit Herz

von Visitor

 

Ich biss mir auf die Finger. Kalt war es in dieser typisch nordamerikanischen Herbstnacht. Sedrin hatte es gut. Sie saß in ihrem gut geheizten Jeep.

„Piep“, machte die Wanze. Das hatte Sedrin vorher eingestellt, damit ich wusste, wann es Mitternacht war. Die Wanze konnte automatisch alle volle Stunde piepen. Auch ich hatte mir überlegt, wie ich diesen Piepeffekt nutzen könnte. Mikor hatte ja gesagt, dass die Kerzen alle zwei Stunden die Farbe wechselten. Das war nur dadurch zu erklären, dass die Eine ausgebrannt war und die Andere angezündet wurde. Ich würde mich im passenden Moment hilfreich geben.

„Achtung, Betsy.“, informierte mich Sedrin. „Zielperson hat Friedhof in östlicher Richtung betreten und kommt jetzt näher. Bezieht Position am Grab.“ Ich nickte kurz, um ihr zu zeigen, dass ich verstanden hatte. „Für die Kontaktaufnahme haben Sie freie Hand. Wiederhole, freie Hand.“, fügte Sedrin noch hinzu.

Langsam wurde ich richtig aufgeregt. Auf keinen Fall sollte meine erste Mission als „Agentin mit Herz“ schiefgehen.

„Piep“ Das bedeutete Mitternacht. Die Fremde war also äußerst pünktlich. Ich beobachtete, wie sie etwas aus ihrer Tasche holte. Es war ein Beutel mit Kerzen und einem Gerät zum Feueranzünden, das auf Basis eines Stromstoßes funktionierte, wie Sedrin, die durch die Wanze und meine Position bedingt alles sah, die Situation beschrieb.

Sechs Pieptöne später bemerkte ich, wie sie etwas zu suchen schien. Die vergangenen Stunden hatte die kleine zierliche Reptiloide nur genutzt, um alte nihillanische Gebete zu sprechen. Sie schien sich auch mit den Kindern im Grab quasi unterhalten zu haben. Oft hatte sie zwischendurch geweint. Die Nihillaner mussten also einmal eine Religion gehabt haben.

Jetzt schien sie, zumindest sagte mir das meine Logik, nach einer schwarzen Kerze zu suchen. Ich wusste nicht viel über Farben, aber mir war aufgefallen, dass die kleinen Kerzen, die in den Tongefäßen auf den Stufen des Grabes standen, immer dunkler wurden. Erst weiß, dann rot, dann braun und dann konnte jetzt ja nur noch schwarz folgen.

Vorsichtig schlich ich also näher und holte eine Kerze aus einer Schachtel im Beutel. Dabei wandte ich einen Trick an, um auch wirklich die Richtige zu finden. Ohne große Worte setzte ich sie in das letzte Gefäß, welches sich auf der obersten Stufe neben der Büste und den Statuetten befand. Erst jetzt hatte die Fremde mich bemerkt. „Danke.“, sagte sie. „Gern geschehen.“, erwiderte ich und hockte mich neben sie. Wieder sprach sie ein altes Gebet und zündete die Kerze an.

Als sie erneut bitterlich zu weinen begann, gab ich ihr ein Taschentuch und strich ihr über das tränennasse Gesicht. Dann zog ich sie zur nahen Bank. „Setzen wir uns.“, schlug ich vor. Die kleine zierliche Gestalt setzte sich rechts neben mich. „Ich bin Eludeh.“, stellte sie sich vor. „Betsy.“, erwiderte ich. „OK.“, sagte Eludeh. „Haben Sie auch jemanden verloren, Betsy?“ „Ja.“, überlegte ich. Mir war in den Sinn gekommen, dass heute vor drei Monaten ja der jährliche Todestag meines Großvaters gewesen war. Zwar lag er nicht in Little Federation, aber, er würde mir diese kleine Lüge sicher nachsehen, wenn es darum ging, etwas sehr Unmoralisches zu beweisen.

„Sehr gut.“, hörte ich Sedrins Stimme. „Weiter so.“ „Bei mir waren es meine Kinder! Oh, meine armen kleinen Kinder!“, rief Eludeh verzweifelt. Ich schlang meine Arme um sie. Sie fühlte sich so klein und zart an. Sicher hatte sie lange nichts mehr oder nur unzureichend gegessen. Ihre Tränen rannen über meine Kleidung, aber das machte mir nichts. Ich streichelte sie. „Was ist Ihren Kindern denn passiert?“, fragte ich mitleidig. „Ich habe sie vergiftet.“, schluchzte sie verzweifelt zurück. „Oh, ich habe erst sie und dann meinen Mann vergiftet. Wenn jemand vergiftet wird, kann man mit dessen Organen ja nichts mehr anfangen. Ich wollte vermeiden, dass der Staat meine Familie in die Finger kriegt und sie nach dem Tod ausschlachtet. Mein Mann war im Widerstand. Er hat das Gift besorgt. Haben Sie eine Ahnung, was geschieht, wenn jemand beim Beten oder Trauern auf Nihilla erwischt wird?“ Ich schüttelte den Kopf. „Sie stecken einen in ein Umerziehungslager. Dort bekommt man dann einen Texikutor eingesetzt“

Ich kramte meine dürftigen Lateinkenntnisse hervor. Ich wusste, dass dieses Wort eine Zusammensetzung aus den Worten: „Theos“, Griechisch für Gott, und „Exekutor“, Lateinisch für Henker, sein musste. Deshalb fragte ich: „Einen Gotteshenker?“ „Diese verdammten Dinger lesen die Gedanken von einem. Wenn man es nur wagt, sich die Frage zu stellen, ob es über den Nihillanern noch etwas Größeres gibt, versetzt es einem Schmerzen, die man seinem ärgsten Feind nicht gönnt. So wollen sie allen Glauben ausmerzen. Man soll nur noch an die Wissenschaft und ihre Errungenschaften glauben. Für Götter ist bei uns kein Platz mehr. Leider bleibt dabei auch die Moral auf der Strecke. Es dürfen nur Gesunde miteinander schlafen um Kinder zu zeugen. Das wird sogar kontrolliert. Andernfalls wird man sofort getötet, weil man sich eines Verbrechens an der Volksgesundheit schuldig gemacht hat. Das nennen sie Evolution. Nur das Starke darf überleben. Jemand, der durch einen Unfall oder eine Krankheit behindert wird, wird auch gleich getötet.“, berichtete sie.

Es wurde hell. „Ich muss fort!“, rief Eludeh fast panisch, befreite sich aus meinem Griff und war verschwunden. Ich hatte nur noch etwas gehört, das mich an das Programmieren eines Sprechgerätes erinnerte.

Mir stockte der Atem. Wie widerwärtig! So einen Staat wollte Nugura in die Föderation lassen?! In unsere freie demokratische Föderation!? Ich war Deutsche. Ich hatte mit dem Begriff „Volksgesundheit“ schon vorher genau das verbunden, was sie mir gerade geschildert hatte. Meiner Ansicht nach unterschied sich das, was ich gerade gehört hatte, nicht wirklich sehr von Hitlers Rassenwahn. Manchmal verfluchte ich mein Talent, durch pure Anwesenheit und freundliche Ausstrahlung die Leute zum Sprechen bringen zu können.

Sedrin fand mich in einem Gebüsch nahe der Bank wieder. Hier kauerte ich am Boden und war damit beschäftigt, den Inhalt meines Magens wieder von mir zu geben. Sie half mir auf. „Ist ja schon gut, Allrounder.“, tröstete sie. „Gar nichts ist gut, Agent.“, erwiderte ich. „Ich hoffe, Sie haben alles gehört.“ „Das habe ich.“, erwiderte sie, während sie mich mehr zum Jeep stützte als führte. „Mein Sprechgerät hat alles aufgezeichnet. Heute Mittag kriegen Sie die Datei. Ich nehme doch an, Ihre außereheliche Beziehung mit dem tindaranischen Piloten läuft noch.“ Jetzt begriff ich. Das hatte sie bereits auf dem Dachboden anzudeuten versucht. Ich sollte alles den Tindaranern in die Hände spielen. Dumm war Sedrin ja nicht. Sie wusste, dass die Sache bei ihren eigenen Vorgesetzten vom Föderationsgeheimdienst sofort unter den Teppich gekehrt werden würde, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Maron und der Rest seiner tindaranischen Agentenkollegen aber würden mir für die Infos die Füße küssen. Shimar würde sie ihnen sicher gern weitergeben, wenn ich eine kleine private SITCH-Mail an ihn schicken würde.

Jenna und Joran hatten sich von IDUSA an vorher ausgemachten Koordinaten absetzen lassen. Der Planet Mineria war dicht bewaldet. Das Klima erinnerte an einen Dschungel. Zirell selbst hatte Hannibal, das Staatsoberhaupt, telepathisch über die Ankunft des Außenteams informiert.

Sie brauchten nicht sehr lange zu warten. Joran, der eine 40 % höhere Sehschärfe besaß, konnte bald in der Ferne eine zwergenartige Gestalt in einem weiten Gewand ausmachen, die sich ihnen näherte. Auf sein Zeichen gingen Jenna und er in die Hocke, damit der Zwerg ihnen in die Augen sehen konnte. „Seid gegrüßt.“, begann der Zwerg feierlich. Seine Stimme war etwas quäkend und hell. Aber das lag wahrscheinlich an seiner geringen Größe. „Ich bin Hannibal, Regierungsoberhaupt der Minerianer und oberster Priester unserer Gottheiten.“ „Angenehm.“, entgegnete Jenna. „Das ist Joran Ed Namach und ich bin Techniker ehrenhalber Jenna Mc’Knight.“, stellte Jenna beide vor. „Was ist das für ein Ritual, an dem wir teilnehmen sollen?“, fragte Joran ungeduldig. Jenna knuffte ihn in die Seite. „Nicht so ungeduldig.“, zischte sie. „Ich gehe außerdem davon aus, dass uns Hannibal diese Information nicht so einfach geben wird. Wenn wir wüssten, dass es das Ritual ist, könnten wir eine Maske aufsetzen, indem wir uns besondere Mühe geben. Ich denke, er will verhindern, dass wir uns verstellen.“ „Genau so ist es.“, kicherte Hannibal. „Du kennst dich doch mit Diensten an Mächtigen und Göttern aus, Vendar. Von daher denke ich, dass du schon erkennen wirst, wann das Ritual beginnt und deine Freundin ist dafür auch klug genug. Wer mir so auf die Schliche kommen kann, muss das sein. Jetzt aber bitte ich euch, mir zum Tempel zu folgen. Hier wollen wir nichts weiter tun, als gemeinsam zu essen.“ „Na gut .“, erwiderte Joran. „Aber darf ich dich wenigstens tragen, damit ich nicht aus Versehen auf dich trete?“ „Aber du kennst doch den Weg nicht.“, erklärte Hannibal. „Du darfst mich gern dirigieren.“, antwortete Joran. Der Zwerg nickte und Joran setzte ihn auf seine Schulter.

„Wie um alles in der Welt haben Sie das mit den Kerzen gemacht?“, fragte Sedrin erstaunt. „Sie können doch nicht sehen, welches die schwarze Kerze ist.“ „Nein.“, gab ich zurück. „Aber ich kann zählen und die Gewichte von Schachteln ertasten.“ „Erklären Sie mir das.“, brachte Sedrin ihre Verwirrung zum Ausdruck. „Ganz einfach.“, begann ich. „Es musste vier Arten von Kerzen geben. Also gab es auch vier Schachteln. In dreien davon musste eine fehlen. Sie waren also leichter als die Letzte. Diesen Umstand habe ich genutzt.“ Sie pfiff durch die Zähne.

„Bitte fahr los, Jinyia.“ Die ernste Stimme, die Sedrin dies von der Rückbank ihres Jeeps zugeflüstert hatte, kannten wir beide. „Jaden!“, rief die Demetanerin. „Was machst du hier? Und, warum bist du so ernst? Ist etwas passiert?“ „Das kann man wohl sagen.“, antwortete der Amerikaner und fuhr fort: „Dein Expartner ist auf dem Weg nach Nihilla. Mrs. Jones hatte mich gebeten, ihr beim Beladen des Jeeps zu helfen. Sie hat gesagt, es sei nur eine Urlaubsreise, aber ihr 5-jähriger Sohn hat sich verplappert. Er hat gesagt, sein Daddy müsse denen dort ganz wichtige Informationen geben.“

Sedrin fluchte sehr undamenhaft, als sie den Jeep in Bewegung setzte. „Dieser verdammte Verräter!“, rief sie. „Auf Nihilla haben sie Interdimensionstransporter. Wenn er die Informationen über das Grab weitergibt, werden sie es einfach wieder zu sich beamen und die arme Eludeh wird verzweifeln!“ „Wer zur Hölle ist Eludeh.“, fragte Huxley. Sie nahm von seiner Frage keine Notiz. „Betsy, Sie müssen heute Nacht noch einmal da raus. Verständigen Sie Ihre Freunde. Eludeh muss aufgefangen werden, bevor sie sich noch etwas antut.“

Elvis Jones war inzwischen auf Nihilla eingetroffen. Frei nach dem Motto: „Frechheit siegt“ hatte er sich zum Büro des Präsidenten aufgemacht und sich wie ein Aal durch die Reihen der Leibwächter geschlängelt. Jetzt stand er wahrhaftig vor Ethius. „Was soll der Auftritt?“, schäumte der Präsident. „Ganz einfach, Allverstehender Präsident.“, antwortete Jones mit einem dreckigen Grinsen. „Ich will Neubürger auf Nihilla werden. Als Gegenleistung habe ich etwas anzubieten, das Sie sicher interessieren wird. Ihnen ist doch neulich ein Flüchtling mit zwei Leichen abhanden gekommen, nicht wahr?“ Er machte eine genießerische Pause und leckte sich die Lippen. Dann fuhr er fort: „Der gute Elvis weiß, wo sie sind.“ „Reden Sie.“, erwiderte Ethius und schloss die Bürotür.

Hannibal, Jenna und Joran waren im Tempel angekommen. Hier standen sie vor einem gedeckten Tischchen, von dem man allenfalls im Sitzen auf dem Boden essen könnte. „Verzeiht.“, entschuldigte Hannibal dies, nachdem Joran ihn abgesetzt hatte. „Unsere Stühle wären wohl etwas klein. Wir bekommen selten Besuch in eurer Größe.“ „Macht nichts.“, lächelte Jenna. „Ich finde es so eh viel praktischer.“ Sie setzte sich auf den Boden. „Halt.“, versuchte Hannibal ihre Aufmerksamkeit wiederzuerlangen. „Es ist bei uns üblich, dass wir uns bei den Spendern der Speisen quasi entschuldigen, dass wir das Tier töten mussten, dessen Fleisch wir essen werden und auch bei den Pflanzen werden wir uns entschuldigen, dass wir sie töten beziehungsweise ihre Kinder, denn die Kerne im Obst werden sicher nicht vorher aussortiert.“ „Verstehe.“, sagte Joran. „Aus den Kernen, die der Pflanzensahmen sind, würden ja neue Pflanzen entstehen.“ „Es ist üblich.“, setzte Hannibal fort, dass die Gäste das übernehmen. Ich sage selbstverständlich vor. Also, wer von euch tut es?“ Jenna hob die Hand. „Dann, Techniker ehrenhalber Jenna Mc’Knight, bist du heute Abend meine Vorbeterin.“, erklärte der Zwerg. „Oh.“, entgegnete Jenna. „Nenn mich einfach nur Jenna.“

Auf Hannibals Zeichen kam jemand mit einem ausgestopften Tierkopf in den Raum. Dieser wurde vor Jenna hingestellt. „Du streichst ihm über sein Fell und sprichst dabei diese Worte: „Verzeih bitte, dass wir dich getötet haben, um uns selbst zu ernähren. Als Wiedergutmachung werden wir deine Seele ein Stück ins Jenseits begleiten und dafür Sorge tragen, dass du dort einen guten Platz erhältst.“ Ohne Argwohn, sogar mit einem liebevollen Blick, strich Jenna mit beiden Händen über das Fell und sprach: „„Verzeih bitte, dass wir dich getötet haben, um uns selbst zu ernähren. Als Wiedergutmachung werden wir deine Seele ein Stück ins Jenseits begleiten und dafür Sorge tragen, dass du dort einen guten Platz erhältst.“ Ähnliches spielte sich bei den Pflanzen und Früchten ab. Dann hob eine Sängerin zu einem schnellen Lied an, nach dem alle einen anstrengenden Hüpftanz vollführten, bei dem über eine gedachte Linie gesprungen wurde. Jenna tanzte neben Hannibal allen voran. Erst, als alle zu erschöpft waren, um weiter zu tanzen, verkündete Hannibal: „Ihre Seelen sind gut im Jenseits angekommen. Lasst uns nun speisen.“

Sedrin hatte Wort gehalten und mir noch am gleichen Tag die Datei geschickt. Ich hatte sie sofort an Shimars Rufzeichen gesendet.

Shimar schlief allerdings tief und fest, als IDUSA ihn aufmerksam machte. „Eine Nachricht von Ihrer Freundin.“, erklärte der Stationsrechner. „Lass hören.“, murmelte der immer noch sehr schlaftrunkene Patrouillenflieger.

Shimar strahlte, als er mein Gesicht auf dem Schirm sah. „Hallo, Shimar.“, begann die Nachricht. „Leite diese Nachricht und vor allem ihre Anlage an Agent Maron weiter. Es ist echt wichtig. Es wird ihm bestimmt sehr helfen.“ „IDUSA.“, ging Shimar dazwischen. Er ahnte, wenn ich das verlangte, konnte das nichts Gutes bedeuten. „Nachricht und Anlage an Agent Marons Rufzeichen weiterleiten!“

Joran hatte es nicht gewagt, Jenna anzusehen. Er war extrem ergriffen von der Tatsache, dass er gesehen hatte, wie sie über ihren Schatten gesprungen war. Nach dem Essen hatte Hannibal sie mit den Worten: „Seid gewiss, dass ihr alles zu unserer Zufriedenheit gelöst habt.“, nach Hause geschickt. „Ich werde Commander Zirell persönlich sagen, dass ihr das Ritual sehr gut abgeleistet habt. Unsere Götter waren mit euch sehr zufrieden. Deshalb werden wir nihillanische Flüchtlinge aufnehmen, denn ihr habt bewiesen, dass ihr andere Religionen toleriert wie wir.“, hatte er noch hinzugefügt.

Jetzt saßen sie in IDUSAs Cockpit und Joran vergrub seinen Blick in den Instrumenten. Shannon hatte unrecht. Seine Telshanach war nicht wie Major Carter. Die blonde Irin hatte ihm die Passage aus ihrem Unterhaltungsschmöker vorgelesen, in der Carter einmal einen Wolf, der eine Gottheit symbolisierte, nach dem Aufenthaltsort ihrer Freunde fragen sollte und dies sehr lächerlich fand. Jenna war nicht so. Nein! Sie war nicht nur den Regeln der Physik verhaftet, sondern konnte auch ganz naturnah. Oh, wie hatte er sie bewundert. Wie hatte er sie für die Art, mit der Religion der Minerianer umzugehen, bewundert. Dieses Wesen durfte er seine Freundin nennen! Sie, die es ermöglicht hatte, dass bald viele Geschundene mehr in den Armen der Tindaraner Schutz finden würden.

Jenna fand sein Verhalten reichlich übertrieben. Allerdings reagierte er nicht auf Ansprache und wenn, dann sah er sie nicht an. Jetzt reichte es ihr! Jetzt reichte es ihr wirklich! Sie nahm ihren Neurokoppler und gab per Gedankenbefehl über ihre von IDUSA geladene Reaktionstabelle ein: IDUSA, Antrieb aus und System sperren. Wartungscode: Jenna, J, 5, 8, 7, 2. Wenn sie den Antrieb gesperrt hatte, das wusste sie, würden sie keinen Parsec mehr weit kommen, bevor sie die Sperrung nicht aufgehoben hatte. Als Cheftechnikerin hatte sie die Berechtigung dafür. Zwar durfte sie ein System eigentlich nur dann sperren, wenn es funktionsgestört war, aber in diesem Fall heiligte der Zweck die Mittel.

Endlich drehte sich Joran zu ihr. „Kannst du mir mal verraten, warum du dich benimmst, als hätte ich eine Blendgranate im Gesicht, die losgeht, sobald du mich ansiehst!“, schrie sie ihn an. „Tut mir leid, Telshanach.“, entschuldigte er sich. „Ich habe es nur nicht gewagt, dich anzusehen, weil ich an dir gezweifelt hatte.“ „Gezweifelt?“, fragte Jenna, nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte. „Ja, Telshanach, ich habe an dir gezweifelt. Daran ist deine Assistentin schuld.“ „Shannon.“, zischte Jenna. „Was hat sie wieder angestellt?“ „Sie hat gesagt, dass unsere Mission in die Hose gehen würde, weil du, wie Major Carter auch, zu wissenschaftlich wärst, um …“ Weitersprechen konnte er nicht, denn sie übersäte ihn mit einem Schwall Küsse. „Merke dir eins.“, flüsterte sie. „Ich bin nicht Samantha Carter. Mag sein, dass sie nicht so tolerant war, aber du hast dich ja schließlich in mich verliebt und nicht in sie. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass Zirell sie mit dir auf Mission geschickt hat, sondern mich. Hast du das verstanden?“ Joran nickte und versuchte tatsächlich, sie anzusehen. „Na geht doch.“, lächelte Jenna und gab den Antrieb wieder frei, damit sie nach Hause fliegen konnten.

In Logars Palast schritt eine etwa 40-jährige Vendar den Gang zum Thronsaal entlang. Sie hatte fuchsfarbenes Fell und war mit ca. 2,20 m Größe für eine Frau ihres Volkes recht groß. Vor der Tür zum Thronsaal erwarteten sie bereits Logars zwei geflügelte Löwen, die, wie die Einhörner auch, pandimensionale Existenzen waren. Als sie die Vendar, die ein langes schwarzes Kleid und schwarze Stiefel trug, erblickten, begannen beide zu schnurren und legten sich vor ihr hin. Sie wussten genau, wer sie war. Besonders die Kätzin hatte eine sehr gute Beziehung zu ihr. Der Kater war, wie bei Löwen im Allgemeinen üblich, eher Einzelgänger und für Streicheleinheiten nicht immer zu haben.

Die Vendar, die übrigens Logars Vertraute namens Iranach war, liebte dieses Schnurren. Es klang im Prinzip ähnlich wie bei Hauskatzen, nur war es um ein Vielfaches lauter.

Die Löwin hob erst ihren Schwanz vor Freude und dann ihren gesamten massigen Körper, um zu Iranach zu schleichen und sich mit einem lauten Schnurrer vor ihr auf den Rücken zu werfen. Dann streckte sie alle Viere von sich und präsentierte der mild lächelnden Vendar ihren Bauch zum Kraulen. „Ja, meine kleine Meeshach.“, sagte Iranach. „Ich kraule dich ja gleich.“ Sie hockte sich vor die wartende Löwin und begann, ihren Bauch zu streicheln und zu kraulen. Dabei bemerkte sie, dass die Kätzin zugenommen haben musste. Aber da war noch etwas. Etwas schien ihr Kraulen von drinnen zu beantworten. „Du siehst Mutterfreuden entgegen, Meeshach, nicht wahr?“, flüsterte Iranach.

Den Begriff: „Meeshach“ konnte man übrigens frei mit Schmusekatze übersetzen.

Iranach., hörte selbige bald Logars Stimme in ihrem Geist. Komm bitte her. Ich muss dringend mit dir sprechen.

Iranach stand auf und verabschiedete sich mit einem letzten kräftigen Krauler von ihrer Löwenfreundin. „Ich muss gehen.“, flüsterte sie. „Seine Majestät braucht mich dringend.“

Sie öffnete die schwere Tür zum Thronsaal. Hier wartete Logar bereits an einem Tischchen in der Ecke auf sie. Er bedeutete ihr, zu seiner Rechten Platz zu nehmen. Dann sagte er: „Ich habe durch den Kontaktkelch gesehen. Er hat mir die Zukunft offenbart. Es wird schreckliches Unheil auf uns zukommen und du kannst einen Teil davon verhindern.“ Iranach sah den König fragend an. „Was meint Ihr damit?“, fragte sie. „Es sind drei Veshels mit drei Vendar und drei Mächtigen auf dem Weg hier her. Wir müssen etwas gemeinsam besprechen. Auch du wirst dabei sein, genau wie die Vendar-Begleiter meiner Gevattern.“

Iranach wusste auch, dass nicht alle Mächtigen wirklich auf familiärer Ebene miteinander verwandt sind. Ihr war klar, dass diese Verwandtschaft eher in der Art zu sehen war, wie die Seekuh mit dem Elefanten verwandt ist. Also eher eine Artverwandtschaft.

Die Vendar beobachtete, wie sich das Gesicht ihres Herren in sorgenvolle Falten legte. „Ist es so schlimm, mein Gebieter?“, fragte sie mit mitleidiger Stimme, die für ihr Alter noch sehr hell war. „Ach, Iranach.“, seufzte Logar. „Wenn du wüsstest.“ „Was kann ich tun, Majestät, um Euch aufzuheitern?“, fragte sie. „Nimm dein Veshel und flieg ihnen entgegen.“, erwiderte Logar. „Wenn ich dich in ihrer Nähe weiß, geht es mir viel besser.“ Sie nickte und stand auf, um zu gehen. Dabei vergas sie nicht zu erwähnen, dass Logars geflügelte Löwin schwanger war. Diese Information zauberte tatsächlich ein Lächeln auf das bis dahin traurige Gesicht des Herrschers.

Maron hatte sich die Datei, die meiner Nachricht beilag, angesehen. Was er hier sehen musste, empörte ihn. „Nugura muss komplett den Verstand verloren haben.“, schlussfolgerte der Demetaner. „Wenn es heutzutage ausreicht, warpfähig zu sein, um ein Ticket in die Föderation zu lösen, dann gute Nacht. Bald bestehen wir nur noch aus Raumpiraten, Diktaturen usw. Dann gute Nacht!“ Er wendete sich zum Computermikrofon: „IDUSA, wo ist Shimar?“

Nach dem Andocken hatte Jenna die technische Kapsel verlassen. Jetzt standen sich Shannon und Joran gegenüber. „Du weißt, was ich von dir will.“, begann der Vendar. „Ne, weiß ich nich’.“, entgegnete die blonde Irin. „Dann überleg mal.“, antwortete Joran.

Geraume Zeit verging, ohne dass beide etwas sagten. Dann meinte Shannon: „Du willst wohl, dass ich mich entschuldige, was?“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Na schön.“, stieß Shannon zwischen leicht zusammengebissenen Zähnen hervor. „Sorry, Grizzly. Habe Jenn’ wohl falsch eingeschätzt. Aber, sie hat dich wohl nicht ganz aussprechen lassen, als du ihr gesagt hast, was ich gesagt habe. Ich meinte nämlich, sie sei eine gute Mischung aus Samantha Carter und Daniel Jackson. Käme nur drauf an, welcher Teil gerade die Oberhand hätte.“ Joran grinste: „Na gut, lassen wir das noch mal durchgehen. Hast noch mal die Kurve gekriegt. Aber, wenn das noch einmal vorkommt, lässt meine Telshanach dich sicher IDUSAs Warpgondeln mit der Zahnbürste schrubben.“ Dann ging er grinsend.

Von IDUSA hatte Maron die Information bekommen, dass sich Shimar im Aufenthaltsraum befand. Hier hin war er jetzt auch unterwegs. Allerdings ging er nicht sofort zu dem Tisch, an welchem er den jungen Patrouillenpiloten erspäht hatte, sondern bog zunächst zu einem öffentlichen Replikator ab. Von dort kam er dann mit einem (entschuldigt bitte) Rieseneimer voll mit einer bunten Flüssigkeit zurück, den er vor Shimar abstellte.

Shimar betrachtete das große Glas und meinte dann: „Bist du verrückt! Ich muss gleich auf Patrouille und wenn ich mir vorher anständig einen zwitschere, ist meine Lizenz schneller futsch, als du futsch sagen kannst!“ „Reg dich gefälligst ab.“, meinte Maron lässig, als er sich Shimar gegenüber setzte. „Das ist nur der Misch-Frucht-Shake, auf den du so stehst. Zumindest meint das Allrounder Betsy. Man wird doch wohl mal einem Untergebenen einen ausgeben dürfen. Erst war mir nicht klar, was ich mit deinen Liebesgrüßen von Terra soll. Aber dann habe ich die Anlage gesehen. Deine Freundin ist ein Goldstück. Lasst euch ja nicht einfallen, miteinander Schluss zu machen. Zumindest so lange nicht, bis das hier vorbei ist. Das wäre extrem schädlich für den Informationsfluss.“, grinste Maron. „Wenn das so ist.“, erwiderte Shimar und zog einen großen Schluck durch den Strohhalm. „Dann entschuldige, dass ich dich für verrückt gehalten habe. Ich dachte nur, es wäre Alkohol.“ „Schon OK.“, meinte Maron. „Aber du solltest wissen, dass ich so etwas als verantwortungsvoller Vorgesetzter nie tun würde.“

Pflichtgemäß hatte Kassius Evain das Passieren der Wirbel gemeldet. „Haben unsere Truppen schon Sichtkontakt zu den Vendar-Schiffen?“, fragte die Generalin. „Nein, Commandara.“, antwortete der Kadett. „Laut ihrem letzten SITCH ist noch kein Sensorkontakt zustande gekommen, aber ich denke, das lässt nicht mehr lange auf sich warten. Wir wissen, wohin sie wollen und dort haben sich unsere Schiffe postiert.“ Er rief ein Schema auf. „Hier können Sie es sehen.“ Evain warf einen Blick auf den Bildschirm. „Ausgezeichnet!“, lobte sie. „Wer hat diese Positionierung ausgearbeitet?“ Kassius setzte einen Blick auf, der eine gewisse Bescheidenheit durchblicken ließ. „Mit Verlaub, Commandara, das war ich.“ Evain staunte.

„Ich finde es besser, wenn wir zuerst die rosannium-fähigen Torpedos einsetzen.“, schlug er nach einer Weile des Beobachtens vor. „Dann können die Mächtigen nichts machen und die Vendar sind mit der, nennen wir es Krankenpflege, abgelenkt.“ „Einverstanden.“, entgegnete Evain mit einem gemeinen Lachen. „Du hast jetzt schon mein Strategieverständnis.“, schmeichelte sie. „Ich bin überzeugt, am Ende deiner Ausbildung wirst du mich darin noch überragen.“

Fröhlich war Maron mit den neuen Ergebnissen zu Zirell gegangen. Diese hatte sich die Datei auch angesehen. Nachdem die Tindaranerin IDUSA bedeutet hatte, den Bildschirm zu löschen, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. „Wie kann deine ehemalige Oberbefehlshaberin so etwas zulassen?“, fragte sie außer sich. „Ich kann mir das nur so erklären, Zirell.“, begann Maron, der ziemlich kämpfen musste, um seine Wut über das Gesehene im Zaum zu halten, dass die Föderation im Laufe der Zeit sehr verwöhnt worden ist, was Kandidaten angeht. Alle, die in den letzten Jahrhunderten hinzugekommen sind, waren warpfähig und moralisch in Ordnung. Deshalb kontrollieren wir das wohl heute nicht mehr und setzen voraus, dass jemand, der warpfähig ist, auch moralisch einwandfrei ist.“ Zirell sträubten sich die Haare. „Was hat denn das Eine mit dem Anderen zu tun?“, wollte sie wissen. „Gar nichts.“, antwortete Maron. „Das ist es ja gerade. Und ich halte dies alles nicht für die falschen Behauptungen von einigen Unzufriedenen, sondern für die Wahrheit. Die Verzweiflung dieser Frau war echt. Aber ich denke auch, dass die Nihillaner sicher nicht untätig geblieben sind. Wir sollten Shimar besser in die Föderationsdimension schicken. Ich habe wieder Schmerzen im rechten großen Zeh, den ich mir als Junge mal gebrochen hatte.“ Zirell wusste, dass dies ein untrügliches Zeichen für Probleme war. Maron hatte dies des Öfteren beklagt, wenn es Schwierigkeiten gegeben hatte. In 80 % der Fälle entsprach es der Wahrheit.

„Reden wir von etwas Erfreulicherem.“, versuchte sie ihren zerknirschten ersten Offizier aufzuheitern. „Hannibal hat mir telepathisch mitgeteilt, dass Jenna und Joran die Prüfung bestanden haben. Die Minerianer werden also Flüchtlinge aufnehmen. Das wäre sicher auch gut für diese Zeugin. Sie ist ja endlich jemand, den du dir immer gewünscht hast. Jemand, der den Mund aufmacht. So jemandem sollten wir einen besonderen Schutz gewähren.“

Diran hatte erneut das Fütterungsritual hinter sich gebracht. Zwar hatte er im Prinzip nichts Neues erfahren, war aber um eine Erfahrung reicher geworden. Sein Unterbewusstsein musste Toleas Information verarbeitet haben. Er hatte gesehen, dass ein Zipfel des Schlosses aus der Nebelwand hervorschaute. „So ist das also.“, hatte er zu sich gesagt. „Je mehr ich weiß, desto größer ist die Chance, dass ich ihn irgendwann aus dem Käfig befreien kann.“

Plötzlich wurde er durch ein Alarmsignal aufgeschreckt. Der Mishar meldete den Abschuss mehrerer rosannium-fähiger Torpedos. Tolea brach neben ihm zusammen. Jetzt durfte er keine Zeit verlieren. Er legte die bewusstlose Mächtige über seine Schulter, ging mit ihr in die Achterkabine und legte sie dort auf den zwei nebeneinander liegenden Sitzen ab. Dann zog er sein Sprechgerät, rief damit den Computer und befahl: „Mishar, Achterkabine nach meinem Verlassen hermetisch abriegeln und Atmosphäre reinigen!“ „Befehl wird ausgeführt.“, antwortete eine nüchterne männliche Computerstimme.

Diran eilte zurück ins Cockpit. Was war hier geschehen. Wo kamen diese verdammten Torpedos plötzlich her?

Diran befahl zunächst dem Mishar eine Sprechverbindung mit den beiden anderen Veshels. Crimach und Tabran bestätigten zu seiner Erleichterung, dass auch sie die Mächtigen in Sicherheit gebracht hatten.

Kapitel 7: Die Konferenz

von Visitor

 

„Ich sehe eine Menge feindlicher Schiffe.“, meldete Crimach. „Wahrscheinlich kamen die Torpedos von denen. Wir werden uns verteidigen müssen. Das bedeutet, Tabran, dass du als ältester Krieger die Führung übernimmst.“ „Einverstanden.“, erwiderte der alte besonnene Vendar. Er wusste allerdings auch nicht so genau, wie er eine erfolgreiche Verteidigung auf die Beine stellen sollte. Da draußen waren hunderte von Nihillanern und sie waren nur zu dritt. Logar würde auch nicht eingreifen können, das wusste der Vendar. Wenn er seine Fähigkeiten in einer mit Rosannium verseuchten Atmosphäre nutzte, dann würden sie ihm auch genommen, oder er würde zumindest in ihrer Benutzung eingeschränkt. Er hatte zwar einen Plan, aber für den mussten sie mindestens zu viert sein.

Plötzlich meldete ihm sein Mishar das Näherkommen eines weiteren Veshels. Das Rufzeichen, das ihm über dessen Transponder übermittelt wurde, kannte er gut. Er ließ den Computer einen Ruf auslösen und begrüßte Iranach erleichtert. „Du kommst genau im richtigen Moment.“, stellte er fest. „Woher wusstest du …“ Iranach drückte die Break-Taste und erwiderte, ihm ins Wort fallend: „Mein Gebieter hat das alles vorausgesehen. Er hat mich geschickt. Wir sollten jetzt aber wirklich etwas tun.“ „Und das werden wir auch!“, sagte Tabran entschlossen. Er ließ den Mishar einen Sammelruf starten. „Verteilt euch so, dass wir sie aus allen vier Himmelsrichtungen unter Feuer nehmen können!“, befahl Tabran. „Diran, du fliegst nach Osten. Crimach, du übernimmst den Süden. Iranach, du fliegst nach Norden. Ich übernehme den Westen. Wenn wir alle die Position erreicht haben, fliegen wir feuernd wieder aufeinander zu. Dadurch bilden wir einen Ring um sie, der immer enger wird. Wenn einer versucht, nach oben oder nach unten abzuhauen, muss dies vorher erkannt werden und derjenige wird mit einem gezielten Schuss in den Antrieb zur Strecke gebracht. Ihre Überzahl wird ihnen dann zum Verhängnis. Aber, behaltet ihre Antriebsimmissionen im Auge, um Steig- oder Sinkflüge rechtzeitig zu erkennen. Wer unseren Gebietern etwas antut, tut es uns an. Also, auf Position!“

Die Veshels stoben auseinander. Evain, die das Ganze aus ihrem Kommandostand beobachtete, sagte abschätzig: „Da seht sie euch an. Ein Haufen aufgescheuchter Hühner.“ „Hoffentlich irren Sie da nicht, Commandara.“, versuchte Kassius, ihren Hochmut zu bremsen.

Mit feuernden Waffen näherten sich die Vendar-Schiffe jetzt den Nihillanern. Da die Kommandanten erst Ausweichmanöver befahlen, gelang es ihnen tatsächlich, sie in die Enge zu treiben. Der Ring um sie wurde enger und enger und irgendwann konnten sie, weil sie zu viele waren, nicht mehr manövrieren, ohne einander zu rammen, oder versehendlich aufeinander zu schießen, statt die Veshels zu treffen. Zu steigen oder zu sinken, um zu entkommen, wagten die Piloten nicht, denn derjenige, der es versucht hatte, war von Iranach derart heftig unter Feuer genommen worden, dass sein Schiff auf der Stelle explodiert war und es ihn ebenfalls in Stücke gerissen hatte.

Blass schaltete Evain den Bildschirm ab. Sie konnte dem Debakel nicht länger zusehen. Diese verdammten Vendar hatten alle Vorteile für sich genutzt, die sie eigentlich auf ihrer Seite wähnte. Durch Atmosphäre und Schwerkraft waren die ohnehin auf so engem Raum schwer zu kontrollierenden schweren Schlachtkreuzer der Nihillaner quasi gelähmt. Die kleinen wendigen Shuttles der Vendar hatten einen Ring um sie gezogen wie Hütehunde um eine Schafherde. So war ihnen auch noch ihre große Zahl, wie Tabran gesagt hatte, zum Verhängnis geworden. „Computer, Ruf an die letzten verbliebenen Schiffe senden!“, befahl sie mit zitternder Stimme. „Verbindung steht.“, kam es sachlich zurück. „An alle.“, begann Evain. „Wir ergeben uns. Rückzug! Wiederhole: Rückzug!“ Sie wusste nicht, wie sie es Ethius beichten sollte. Andererseits waren diese Vendar ja lange Jahre die Elitekrieger der Mächtigen gewesen. Es war also kein Wunder, dass sie solche Strategien drauf hatten. Das würde sie zu ihrer Verteidigung vorbringen.

Sedrin hatte sich mit der Datei ins Wohnzimmer ihres Hauses zurückgezogen, um sie sich dort noch einmal anzusehen. Froh war sie, dass ihr Mann, von dem sie diese geistige Leistung eigentlich nicht erwartet hatte, ihr die Sache mit ihrem Expartner gesagt hatte. Auch Huxley war dieses mal bei der Ansicht des Materials zugegen. „Eigentlich darf ich dir das gar nicht zeigen.“, meinte die Agentin ernst. „Als ob das jetzt noch eine Rolle spielt.“, antwortete Huxley. „Allrounder Betsy weiß doch auch Bescheid und sie ist keine Agentin.“ „Das stimmt.“, räumte Sedrin ein. „Aber ich benötigte ihre Hilfe.“ Sie drehte sich zum Computermikrofon: „Computer, Standbild!“ Dann zeigte sie auf mein Bild auf dem Schirm und erklärte: „Diese Frau hat in nur einer Nacht das geschafft, woran sich der tindaranische Geheimdienst seit Monaten die Zähne ausbeißt. Ohne sie wüssten wir heute nicht, was wir eben heute wissen. Vielleicht bedurfte es auch mal jemandem von außen. Wir ausgebildeten Agenten sind vielleicht manchmal zu betriebsblind.“ „Dann wird dir jetzt mal noch ein Außenstehender etwas sagen.“, erwiderte Huxley. „Nugura muss nicht mehr alle Latten am Zaun haben, wenn sie zulässt, dass Nihilla in die Föderation kommt.“ „So krass wollte ich es zwar nicht gesagt haben.“, begann Sedrin. „Aber du hast Recht. Deshalb ist die Info ja auch schon längst auf dem Weg nach Tindara. Die Tindaraner sind zwar die Verbündeten der Föderation, aber sie können sich durchaus von ihr lösen, sollte Nugura den Vertrag unterschreiben. Commander Zirell hat mal mir gegenüber so etwas angedeutet.“ „Das war wegen Sytania.“, versuchte Huxley die Situation zu verharmlosen. „Ob nun Sytania oder Ethius.“, verglich Sedrin. „Die Grundsituation ist die gleiche. Beide wollen etwas, das sich nicht mit unseren Prinzipien vereinbaren lässt.“ „Mit einem Prinzip schon.“, meinte Huxley zynisch. „Wir nehmen alles auf, was schnelle Schiffe unter dem Hintern hat.“ „Jineron!“, rief Sedrin fast bewundernd aus. „Du lernst dazu. Bisher dachte ich immer, im Punkto Zynismus sei ich ungeschlagen. Aber ich muss mich wohl warm anziehen.“ Sie klopfte ihm auf die Schulter.

Auf Tabrans Bitten hin hatte die Wächterin, die sich in der Zwischenzeit wieder von dem Rosannium-Anschlag erholt hatte, ihn noch einmal im Traum mit Joran zusammengebracht. Diesem hatte Tabran von der glorreichen Schlacht berichtet. „Nicht schlecht, alter Mann.“, lobte Joran seinen Lehrer. „Du hast das Führen einer Streitmacht immer noch nicht verlernt, obwohl du jetzt im friedlichen Tembraâsh lebst.“ „Ein Vendar-Krieger verlernt das Kämpfen nicht, mein Schüler.“, erwiderte Tabran. „Das wirst du später, wenn du einmal so alt bist wie ich, auch noch erfahren.“

Joran wechselte das Thema: „Wie soll es jetzt weiter gehen?“ „Wir werden wie geplant zu Logar fliegen und mit ihm beratschlagen.“, erläuterte Tabran. „Von so einem Zwischenfällchen lassen wir uns nicht schrecken.“

Das Wecksignal der IDUSA-Einheit holte Joran aus seinem Traum. Er erkannte, dass er einen Neurokoppler trug. Neben seinem Bett standen Jenna und Ishan. „Ich gestehe besser gleich.“, sagte die Cheftechnikerin. „IDUSA hat ein Traumprotokoll von dir angefertigt, Joran.“ „Wir wissen.“, fügte der androide Arzt hinzu, „dass du von Tabran träumst und, dass die Wächterin des Tembraâsh das ermöglicht.“ „Ich hatte mir nur solche Sorgen gemacht.“, nahm Jenna alle Verantwortung auf sich. Eigentlich erwartete sie jetzt ein Donnerwetter. Um so erstaunter war sie, als er sie an sich zog und zärtlich sagte: „Meine kleine besorgte Telshanach. Dass du mir früher oder später draufkommen würdest, habe ich mir schon gedacht. Außerdem ist das ja genau genommen nicht wirklich schlimm. Tabran hat mir nämlich nur verboten, etwas zu sagen. Dass du mir nicht von allein draufkommen darfst, davon hat er nie etwas gesagt.“ „Haarspalter.“, lächelte Jenna. „Wir müssen nur noch abwarten, wann wir Zirell und die Anderen informieren dürfen. Ishan, bei dir ist das Geheimnis ja so wie so sicher. Du stehst unter ärztlicher Schweigepflicht.“ „Und ich sage erst mal auch nichts.“, erwiderte Jenna.

„Drei Schiffe!!!“, brüllte Ethius so laut durch sein Büro, als Evain ihm ihr Debakel mitteilte, dass die Kaffeetassen im Schrank barsten. „Da waren nur drei Schiffe und Ihre Truppen, die zu hunderten waren, werden mit denen noch nicht mal fertig!!! Eher umgekehrt!!! Was für eine Offizierin sind Sie eigentlich?!!!“ „Genau genommen, Allverstehender Präsident.“, versuchte Evain, sich kleinlaut zu verteidigen. „Genau genommen waren es vier Schiffe.“ „Ob nun drei oder vier!!!“, schrie Ethius voller Zorn. „Laut mathematischer Wahrscheinlichkeit hätten wir sie mindestens viertausend mal besiegen müssen. Das ist aber nicht geschehen. Sie haben uns besiegt. Wessen Fehler war das wohl, he?!!! Sie können froh sein, wenn ich Sie nicht Ihres Postens enthebe und Sie zum Müllfliegerkommando versetze!!!“ Ich will ja noch mal gnädig sein und erlaube Ihnen, das selbst wieder gut zu machen. Nehmen Sie ein Schiff, suchen Sie sich eine Truppe zusammen und dann fliegen Sie in die Dimension der Föderation und fangen Sie diese Eludeh ein. Sie muss auf jeden Fall mundtot gemacht werden!!!“ „Ja, Allverstehender Präsident.“, antwortete Evain.

Sedrin hatte mich erneut abgeholt und wir waren zum Friedhof gefahren. In der Nähe des Grabes stellte sie den Jeep ab. Dann stiegen wir aus. Auch Sedrin hatte Zivilkleidung angelegt, wie ich dem weichen Stoff, der ihren Arm umschmeichelte, an dem ich mich eingehakt hatte, entnehmen konnte. Sie trug rote geländetaugliche Schuhe, eine braune Winterhose und eben jenen braunen weichen Pullover, über den ich gestolpert war und der so rein gar nichts mit dem üblichen Stoff, aus dem Sternenflottenuniformen sind, gemeinsam hatte.

Sie blieb plötzlich stehen und nahm eine angespannte Haltung ein. „Was ist?“, entgegnete ich alarmiert. „Fühlen Sie.“, zischte sie und zog mich in die Hocke. Vor mir im Boden klaffte ein großes Loch. „Ist das die richtige Stelle?“, fragte ich ungläubig. „Ja.“, bestätigte sie. „Leider.“ „Denken Sie, die haben das Grab samt Inhalt?“, fragte ich. „Was denn sonst.“, flüsterte sie zurück. In mir breitete sich eine riesige Wut aus. „Dann hätten die zumindest ihre Spuren besser verwischen sollen. Finden Sie nicht?“, fragte ich frustriert. Sedrin nickte.

Evain hatte sich eine Crew zusammengestellt und war mit einem der Schlachtschiffe nun auf dem Weg in unsere Dimension. Kassius hatte sie zu ihrem ersten Offizier gemacht, obwohl er sich noch in der Ausbildung befand. Aber sie hatte ja schon gesagt, dass er bereits jetzt ihr Strategieverständnis hätte. Also stand dem ja nichts im Wege.

Kassius und seine Freundin Kalpurnia waren auf die Brücke gekommen. Kalpurnia arbeitete in der technischen Abteilung von Evains Schiff. Hier hatte sie etwas gebaut, das sie nun voller Stolz ihrer Commandara präsentierte. „Es ist eine Sonde mit fataler Wirkung.“, erklärte die rotschuppige Jugendliche. „Was soll so fatal an dieser kleinen Sonde sein, die nicht größer als meine Hand ist?“, lachte Evain. Kalpurnia wollte antworten, aber Kassius drängte sich dazwischen: „Dieser Flüchtling, den wir suchen, hat sicher ein Schiff im terranischen Orbit. Wenn wir dieses Schiff unschädlich machen wollen, oder verhindern wollen, dass sie damit flüchtet, brauchen wir diese kleine Sonde. Das Baby wird es finden und sich an seinen Antrieb heften. Dort beamt es einen Sprengsatz direkt an den Warpantrieb. Wenn sie es nach außerhalb des Sonnensystems schaffen sollte, bevor wir sie kriegen, geht die Bombe hoch und dann hatten die Tindaraner mal eine Zeugin.“ „Vorausgesetzt.“, fügte Kalpurnia noch hinzu. „Wir erschießen sie nicht vorher.“ „Gute Arbeit.“, grinste Evain. „Weitermachen!“ Kassius setzte sich auf seinen Platz neben Evain und Kalpurnia verließ lächelnd wieder die Brücke.

Shimar und IDUSA hatten das terranische Sonnensystem erreicht. Gerade hatten sie den Interdimensionsflug hinter sich. „Warum glauben Sie, hat uns Agent Maron hierher geschickt?“, fragte das Schiff. „Ich weiß es nicht.“, antwortete der tindaranische Patrouillenflieger. „Ist es richtig, dass er zu Ihnen am SITCH gesagt hat, dass er wegen Schmerzen im großen Onkel vermutet, dass wir bald Schwierigkeiten bekommen werden?“, vergewisserte sich IDUSA. „Ja, das stimmt.“, erwiderte Shimar. „Eine höchst merkwürdige Art, einen Alarm anzukündigen, finden Sie nicht?“, fragte IDUSA. „Das ist schon wahr.“, gab Shimar zu. „Und es gibt sicher keine verifizierten Daten über die zusammenhänge von Zehenschmerzen bei Demetanern und dem Befehl für Alarmstufen, aber, zu 80 % müssten die Daten dir doch auch sagen, dass er Recht haben könnte.“ „Sie haben mir gerade den Wind aus den Segeln genommen.“, beschuldigte IDUSA ihn. „Schuldig im Sinne der Anklage.“, lachte Shimar und stutzte, denn er hatte mich telepathisch wahrgenommen. Das Schiff, für welches seine Gedanken durch den Neurokoppler und die geladene Tabelle wahrnehmbar waren, hatte dies durchaus mitbekommen. „Was macht sie hier?“, wunderte sich Shimar halblaut. „Vielleicht hat sie Heimaturlaub.“, vermutete IDUSA. „Das kann nicht sein.“, korrigierte Shimar. „Darüber hätte sie mich informiert.“

Er begann, sich darauf zu konzentrieren, mir das Gefühl zu übersenden, wenn man mich im Nacken kraulte. Dies war unser kleines geheimes Zeichen, mit dem er ankündigte, wenn er Verbindung zu mir aufnahm. Piep, piep! Kann dich hören., dachte ich und lächelte. Noch wusste ich nicht, warum er hier war.

Sedrin war mein Verhalten aufgefallen. „Sagen Sie bitte nicht, er ist hier.“, sagte sie. „Doch.“, antwortete ich. „Er ist …“

Sie zerrte mich so schnell beiseite, dass ich fast hinfiel. „Ich sehe Eludeh.“, flüsterte sie mir zu. „Sie darf nicht zum Grab gehen. Mutter Schicksal, nein!“

Es war zu spät. Eludeh hatte gesehen, was das nihillanische Militär angerichtet hatte. Verzweifelt sank sie neben dem Loch nieder. „Nein, nein!“, hörte ich sie schluchzen. „Nicht das Grab meiner Kinder! Oh, meine armen Kinder! Jetzt ist es zu spät! Jetzt darf ich auch nicht mehr leben! Oh, ihr Götter, wenn es so etwas wie das Jenseits gibt, dann gebt mir einen Platz bei meinen Kindern!“

Ich hörte Geräusche, die mir sehr bekannt waren. „Agent, sie hat ein Sprechgerät.“, informierte ich Sedrin. „Ich denke, dass sie damit irgendwas fernsteuern kann .“ „Wie kommen Sie darauf?“, fragte Sedrin hektisch. „Ich höre so etwas.“, erwiderte ich. Sie wusste, dass ich nicht das absolute Gehör hatte, aber, dass ich doch einiges interpretieren konnte. Schließlich bestand meine gesamte Welt aus Gerüchen, Tasteindrücken und akustischen Reizen. Ich war also darin geübt. „Wenn Sie mir jetzt noch sagen, was sie eingegeben hat, fresse ich einen Besen.“, staunte Sedrin. „Ihre Beißerchen können heil bleiben.“, versuchte ich einen Scherz zu machen. „Die müssen Sie sich nicht an einem Holzstiel kaputtmachen. Ich weiß nur, dass sie eine Reihe von Befehlen eingegeben und dann abgeschickt hat. Alle Tasten machen piep. Außer die Sendetaste, die macht klick.“ „Was können das für Befehle sein?“, fragte Sedrin. Dann sah sie auf die Stelle, an der sie Eludeh zunächst noch gesehen hatte. „Verdammt, wo ist sie!“

Jetzt schoss es mir durch den Kopf. Eludeh musste irgendwo ein Schiff haben. Bei Tag war sie nie in Little Federation gesehen worden. Wenn sie sich also nicht unsichtbar machen konnte, musste sie sich irgendwo verstecken. Und der beste Ort hierfür war ein im terranischen Orbit verstecktes Schiff. Wahrscheinlich lag es hinter unserem Mond. Aber es gab noch ein Problem. Wenn sie ein Schiff hatte, dann könnte sie damit in die Sonne fliegen wollen. Schließlich hatte sie gerade ihren Selbstmord angekündigt.

Auf Evains Schiff hatte man durchaus gesehen, dass sich Eludeh mit ihrem kleinen Shuttle aufgemacht hatte. Auch der Kurs, den sie gesetzt hatte, war Kassius und Evain nicht verborgen geblieben. „Sehen Sie, Commandara, sie fliegt in die Sonne!“, frohlockte Kassius. „Damit macht sie sich selbst ein Ende. Dann müssen wir ja unsere Waffen gar nicht benutzen.“ „Nein.“, entgegnete Evain schadenfroh. „Sie richtet sich schließlich selbst.“

„Verdammt, Allrounder!“, fluchte Sedrin. „Wenn sie ein Schiff hat, brauchen wir auch eines. Aber so schnell können Sie doch die Tindaraner auch nicht verständigen!“ Ratlos sah sie mich an.

Kleines, ich bin hier. Wisch über deine Stirn, wenn du mich brauchst. IDUSA sieht das. Shimars Stimme in meinem Geist ließ mich ein extremes Gefühl der Erleichterung empfinden. „Ein Raumschiff?“, lächelte ich Sedrin zu. „Gut, wie Madam wünschen.“ Damit wischte ich mir über die Stirn. Augenblicklich wurden wir an Bord von IDUSA gebeamt.

Irritiert sah Sedrin sich um. Ich konnte nicht sagen, ob sie Flugkonsolen und anderes erwartet hatte, oder, was sie sonst so irritiert hatte.

Shimar griff meine Hand und zog mich neben sich auf den Sitz. Sedrin drehte sich zur Tür der Achterkabine. „Ich störe Sie beide sicher nur.“, erklärte die demetanische Agentin ihr Verhalten. Da IDUSA aber Sedrins DNS nicht kannte, blieb die Tür verschlossen.

„Wie soll ich verfahren.“, fragte der verwirrte Schiffsavatar. „Lass den Agent in die Achterkabine!“, befahl Shimar. „Aber lass die Tür offen, damit sie hören kann, was hier vorn geschieht!“ „Verstanden.“, gab IDUSA zurück und öffnete die Tür.

Shimar reichte mir einen Neurokoppler und schloss ihn an den zweiten Port an. Dann befahl er IDUSA, meine Reaktionstabelle zu laden. Jetzt konnte auch ich mich mit ihr verständigen, ohne das Mikrofon benutzen zu müssen. „Hast du das Schiff eures Flüchtlings schon mal gesehen, Kleines?“, fragte Shimar mich. Ich schüttelte den Kopf.

Sedrin hatte in der Zwischenzeit ihre Verwirrung verdaut und kam zurück ins Cockpit. „Ihr Tindara-Flieger ist immer da, wenn man ihn braucht, nicht wahr?“, flüsterte sie mir ins Ohr. Ich nickte nur verschämt.

„IDUSA, such nach Schiffen nihillanischer Bauart.“, befahl Shimar. „Ausgezeichnet, Mister!“, lobte Sedrin. „Damit decken wir auch gleich eine eventuelle Feindberührung ab.“ „Dass Sie das sagen, Agent.“, wunderte sich Shimar. „Ich dachte, die nihillanischen Militärs wären Ihre Verbündeten.“ Sedrin wurde blass. „Allrounder, bitte sagen Sie mir, dass er gerade gescherzt hat.“ „Er hat gescherzt, Ma’am.“, erwiderte ich.

„Ich habe zwei nihillanische Schiffe wahrgenommen.“, meldete IDUSA. „Eines ist ein kleines Shuttle. Das Andere ist ein Schlachtkreuzer, der das Shuttle verfolgt.“ „Oh, nein!“, begann Sedrin. „Eludeh! Sie dürfen sie nicht kriegen! Kann Ihr Schiff noch einen Zahn zulegen, Shimar?“ „Allerdings.“, erwiderte Shimar und befahl IDUSA einige wilde Manöver, an deren Ende wir direkt hinter Eludehs Schiff auftauchten. „Wir müssen Eludeh warnen.“, erläuterte die demetanische Agentin ihren weiteren Schlachtplan. „Allrounder, Ihnen vertraut sie. Ihr Freund soll irgendwie ermöglichen, dass Sie mit ihr sprechen können.“

IDUSA, die alles mitbekommen hatte, hatte bereits einen Ruf an Eludehs Schiff gesendet und mir die Sprechkonsole gezeigt. „Eludeh.“, begann ich. „Wir wollen Ihnen helfen. Wir beamen Sie jetzt gleich auf unser Schiff und …“ Die Verbindung war zusammengebrochen. „Wir sind zu nah an der Sonne.“, erklärte IDUSA dieses Phänomen. „Sie muss umkehren!“, skandierte Sedrin. „Lasst euch verdammt noch mal etwas einfallen!“ „Ich wüsste schon etwas.“, sagte Shimar und an seiner Stimme konnte ich gut hören, dass er damit selbst erhebliche Bauchschmerzen haben musste. Aber was sein musste, musste nun mal sein. „Festhalten, Ladies!“, rief er Sedrin und mir zu, bevor er IDUSA den Befehl erteilte, auf Warp eins zu gehen und unmittelbar vor Eludehs Schiff wieder zu verlangsamen. „Donnerwetter!“, staunte die Agentin. „Das kriegen die meisten unserer Piloten nicht hin.“ „Ist kein Wunder, Ma’am.“, erklärte ich. „Sternenflottenschiffe werden mit den Händen geflogen. Das bedeutet, wenn man ein Manöver fliegen will, muss der Gedanke zur Hand und von dort quasi zum Schiff über Joysticks oder Tastaturen. Bei tindaranischen Schiffen geht der Gedanke des Piloten den direkten Weg. Das macht Operationen um ein Vielfaches schneller.“ Mit vor Staunen offenem Mund setzte sich Sedrin in der Achterkabine auf einen Sitz. „Ich glaube, es ist besser, wenn ich sitze, falls noch einmal so etwas passiert.“, gab sie zu.

Evain hatte unser Manöver, das Eludeh tatsächlich zum Wenden gezwungen hatte, durchaus registriert. „Na schön.“, meinte sie und betätigte den Sprechanlagenknopf, der sie mit der technischen Kapsel verband. „Startet die Sonde!“, befahl sie.

„Shimar.“, meldete IDUSA. „Eludeh ruft uns.“ „Verbinde mit Allrounder Betsy.“, gab Shimar zurück. „Warum haben Sie mich geschnitten?!“, hörte ich Eludeh ernst fragen. „Ich werde nicht zulassen, dass Sie sich töten, Eludeh!“, antwortete ich bestimmt. „Denken Sie an Ihre Flucht und an den Grund, warum Sie all diese Mühen auf sich genommen haben. Soll das alles umsonst gewesen sein?“

Eludeh vollführte ein paar wilde Manöver, um uns abzuschütteln. „Dranbleiben, Shimar!“, befahl Sedrin von hinten. „Lassen Sie sich nicht abschütteln!“ „Ich werde tun, was ich kann.“, entgegnete Shimar.

Gegen seinen Befehl verlangsamte IDUSA plötzlich. „Ich nehme an, dafür hast du einen guten Grund.“, forderte der Tindaraner sein Schiff auf, ihr Verhalten zu erklären. „Den habe ich.“, sagte IDUSA sachlich und zeigte ihm die kleine fiese Sonde, die ihr Ziel inzwischen erreicht hatte. „Wenn wir sie drängen, geht sie auf Warp und dann geht die Bombe los.“, erklärte das Schiff nach eingehender technischer Analyse des Sprengkörpers.

„Kannst du die Bombe fortbeamen, IDUSA?“, mischte ich mich ein. „Die Sonnenflecken erlauben mir zwar die Erfassung und die Dematerialisierung, aber ich kann sie nirgendwo wieder materialisieren.“, antwortete das Schiff. „Das sollst du ja auch nicht.“, erwiderte ich. „Wenn du sie hast, leerst du deinen Puffer einfach in den Weltraum. Energie kann ja nicht explodieren.“ „Verstanden.“, sagte IDUSA und führte meinen Befehl aus. „Ein Transporter ist ein gutes Mittel zur Bombenentschärfung.“, stellte Sedrin fest.

„Eludeh kann jetzt auf Warp gehen.“, analysierte IDUSA. „Aber wir sollten dafür sorgen, dass ihre Verfolger das nicht können.“ „Wie stellst du dir das vor?“, wollte Shimar wissen. „Das ist ein waffenstarrendes Militärschiff. Bevor wir schießen können, haben die uns drei mal zerstört. Du glaubst doch wohl nicht, dass sie uns einfach so auf ihren kostbaren Warpantrieb feuern lassen.“ „An Waffen hatte sie, glaube ich, weniger gedacht.“, erklärte ich. „Sie haben Recht, Betsy.“, fuhr das Schiff fort. „Wenn sich ein Gegenstand in einem werdenden Warpfeld befindet, kann es sich nicht aufbauen, oder die Fluglage des Schiffes wird instabil. Wir müssten in dem Moment in ihr Feld fliegen, wenn sie versuchen, auf Warp zu gehen. So wirken wir wie ein Stolperstein. Bin mal gespannt, wie der Pilot damit klar kommt. Damit wir nicht zu Schaden kommen, müssen wir rechtzeitig abtauchen. Das machen wir solange, bis Eludeh weit genug weg ist, um den Interdimensionsantrieb gefahrlos zünden zu können. Aber ich brauche dabei Ihre Hilfe, Shimar. Meine Sensoren könnten durcheinander geraten und ich brauche jemanden, der auch mal nach Hosenboden und Gefühl fliegen kann. Eigentlich benötige ich eine Mischung aus Ihnen beiden. Sie, Shimar, haben funktionierende Augen und der Allrounder ein exzellentes Tastempfinden.“ „Ich weiß schon, was du meinst.“, erwiderte Shimar. „Kleines, bist du bereit?“ Ich nickte und er vertiefte die geistige Verbindung zwischen uns so weit, dass ich sah, was er sah und er fühlte, was ich fühlte. So gelang es uns tatsächlich, das feindliche Schiff aufzuhalten. Ich hoffte, dass Eludeh ihren Vorsprung genutzt hatte.

„Wir können nicht auf Warp gehen, Commandara.“, erklärte der völlig fertige Pilot des Schlachtkreuzers seiner Vorgesetzten. „Immer, wenn ich es versuche, wird unser Schiff instabil und macht fast einen Überschlag. Dieser verfluchte Tindaraner traut sich was. Eludeh ist längst außer Sensorenreichweite. wir sollten uns ergeben. Es ergibt sich sicher noch eine Gelegenheit, bei der er nicht zugegen ist.“ „Na schön.“, schnarrte Evain missmutig. „Fliegen wir erst mal nach Hause.“

Auch wir hatten außerhalb des Sonnensystems gestoppt und IDUSA hatte uns gemeldet, dass Eludeh in die tindaranische Dimension geflogen war. Auch den Abzug des feindlichen Schiffes hatten wir mit Genugtuung zur Kenntnis genommen.

„Alles Weitere ist Ihr Job.“, sagte Sedrin noch zum Abschied, bevor IDUSA sie wieder auf die Erde beamte. „Meine Befugnis endet hier. Ich bin wenigstens so anständig und sehe ein, wann für mich Schluss ist. Jetzt fällt Eludeh in tindaranische Zuständigkeit. Passen Sie mir gut auf sie auf, Shimar und Sie helfen ihm dabei, Allrounder! Das ist ein Befehl!“ Dann bedeutete sie Shimar, IDUSAs Transporter zu aktivieren.

Die Mächtigen und die Vendar hatten in der Zwischenzeit ihren Zielort erreicht. Sie hatten einen großen Konferenzraum betreten, der wie eine Art Amphitheater aufgebaut war. In der Mitte befand sich ein großer schwerer Holztisch mit allerlei Verzierungen. Daran standen vier Stühle. Rund um den Tisch gab es eine Art Stufen, vor denen sich kleine weniger prunkvolle Tischchen befanden.

Logar, Tolea, Dill und die Wächterin nahmen an dem großen Tisch in der Mitte Platz. Die Vendar setzten sich auf die Stufen an die kleineren Tischchen und das jeweils so, dass sie ihren jeweiligen mächtigen Begleiter jederzeit im Auge hatten und gut auf ihn achten konnten.

Logar ließ seinen Mundschenk Getränke und Kleinigkeiten zum Essen für alle darreichen. Dann fragte er: „Hat irgendjemand von euch schon etwas erreichen können, was die Föderation angeht?“ Dill und Tolea schüttelten die Köpfe. Nur die Wächterin stand auf und sagte: „Meinem Vertrauten ist es gelungen, die Aufmerksamkeit von Commander Peter Time und seinem ersten Offizier zu erlangen.“ Logar schaute gelangweilt in die Runde. Das war für ihn nichts Neues. Time und Yetron waren dafür bekannt, Nugura ab und zu im richtigen Moment auf die Finger zu klopfen.

„Nun gut.“, meinte der Herrscher nach einer Weile des Nachdenkens. „Lasst uns sehen, ob dies bereits positiven Einfluss auf die Zukunft hatte.“

Er winkte einem seiner Diener, der mit einem großen Kontaktkelch den Raum betrat und diesen vor den Mächtigen abstellte, die sich alle an den Händen fassten. Nur Logar und Tolea, die jeweils ein Ende der Kette bildeten, legten ihre zweite Hand auf den Fuß des Kelches, wodurch der Kreis geschlossen wurde. Dann konzentrierten sich alle darauf, die Zukunft sehen zu wollen.

Die Vendar beobachteten jede Regung. Trauer und Bestürzung konnten sie in den Gesichtern ihrer Gebieter sehen. Dennoch trauten sie sich nicht, diese direkt darauf anzusprechen. Nur Iranach hatte ihren Gefährten etwas in ihrer gemeinsamen Muttersprache zugeflüstert, worauf sie schleichend den Raum verließen, um die Schiffe startbereit zu machen. Sie kannte ihren Herrscher und wusste, wenn er so schaute, wie er jetzt eben schaute, war anständig was im Busch.

„Es hilft wohl nichts, edle Gevattern.“, meinte Logar, als sie ihre Hände wieder vom Kelch genommen und einander losgelassen hatten. „Wenn wir Schlimmeres verhindern wollen, werden wir die Föderation massiver warnen müssen. „Heute Nacht wird Nugura von mir träumen.“ Tolea schrak zusammen. „Um Himmels Willen, teurer Gevatter, tut das nicht! Ihr werdet die Föderation dann erst recht in die Arme der Nihillaner treiben. Die Sterblichen lassen sich heute nicht mehr so einfach diktieren, was sie tun sollen. Das ist ja auch prinzipiell richtig so. Sie sollen ja auch selbstständig sein. Aber wenn ihr Nugura sagt, dass sie die Nihillaner nicht einbürgern soll, erreicht ihr genau das Gegenteil. Die Sterblichen der Föderation sind keine primitiven Bauern, Kaufleute und Handwerker wie hier. Sie sind viel zu selbstbewusst, als dass ihnen ein Traum von Euch eine Weisung sein könnte. Wie ich Euch bereits sagte: Ihr erreicht damit nur das genaue Gegenteil!“ Ihre flammende Rede beeindruckte Logar nicht wirklich. Solange Ihr keine bessere Idee habt, Gevatterin, wird es genau so sein, wie ich gesagt habe.“, erklärte Logar. Dill und die Wächterin stellten sich geschlossen neben Tolea. „Harte Zeiten erfordern nun mal harte Maßnahmen.“, rechtfertigte Logar sich. „Hiermit ist diese Konferenz beendet.“

Niedergeschlagen verließen die drei Gäste den Raum, um im richtigen Moment von ihren Vendar in Empfang genommen zu werden.

„Er ist so halsstarrig!“, sprach sich Tolea gegenüber Diran aus. „Er behauptet, ein Freund der Sterblichen zu sein. Dabei hat er immer noch nicht gelernt, dass es auch zwischen ihnen große Unterschiede gibt.“ „Seid ohne Sorge, Gebieterin.“, tröstete Diran. „Jenna Mc’Knight sagt immer, dass sich ein falsches System irgendwann selbst reinigt. Logar wird sehen, was er von seinem Tun hat und die Nihillaner sicher auch.“ „Hoffentlich irren du und Techniker Mc’Knight da nicht.“, sorgte sich die Mächtige.

„Vielleicht wird es Zeit, dass wir uns alle ein Bisschen entspannen.“, schlug Diran vor. „Mein Volk feiert in einer Woche die Jahreswende. Wenn ich darf, wäre ich gern dabei.“ Tolea nickte. „Du würdest ja sicher auch gern einmal deine Frau wiedersehen.“, lächelte sie, bevor sie in einem weißen Blitz verschwand. Ähnliches hatte sich auch auf den anderen Schiffen abgespielt. Die Veshels formierten sich und flogen geschlossen in Richtung Wirbel.

Kapitel 8: Marons Lüge

von Visitor

 

Evain hatte ihrem Präsidenten die erneute Niederlage gebeichtet. Ethius, der sonst eigentlich nach außen den wissenschaftlichen Rationellen gab, war auf einmal gar nicht mehr so beherrscht. „Wie konnte das passieren?!!!“, brüllte er. „Dieser Tindaraner … Er … Ich meine, wer traut sich schon, in ein sich aufbauendes Warpfeld zu fliegen?“, stammelte Evain. „Anscheinend dieser verdammte Tindaraner.“, antwortete Ethius entrüstet. „Aber bald ist Schluss mit Vendar und Tindaranern, die uns an der Nase herumführen können. Wenn Nugura unterschrieben hat, steht uns das gesamte Wissen der Föderation zur Verfügung. Also auch das über die Schwachstellen ihrer Verbündeten.“ „Sie versetzen mich doch wohl nicht wirklich zu den Müllfliegern, Allverstehender Präsident?“, sah Evain ihre Felle bereits davonschwimmen. Ethius zog die Stirn kraus. „Nein, noch nicht.“, sagte er dann. „Den Tindaraner hatte ja noch nicht mal ich auf der Rechnung. Es war also nicht Ihre Schuld. Aber beim nächsten Mal …“ „Ich versichere, Allverstehender Präsident, begann Evain. „Ein nächstes Mal wird es nicht geben.“ Sie verließ niedergeschlagen das Büro.

Wir waren bei den letzten Koordinaten, die uns IDUSA gegeben hatte, aus dem Interdimensionsmodus gegangen. „Wer war diese Häuptlingstochter Haariges Gebiss aus dem Stamme der Xanthippen, Kleines?“, wollte Shimar von mir wissen. „Oh.“, antwortete ich. „Das war Agent Sedrin Taleris-Huxley. Sie war die erste Offizierin an Bord der Eclypse.“ „Erste Offizierin.“, murmelte Shimar. „Wenn der Commander mal nicht konnte, hatte die Besatzung sicher nicht viel zu lachen. Die hat ja nicht nur Haare auf den Zähnen, bei ihr wachsen ja sogar noch Haare auf den Haaren, die auf den Zähnen sind. Dabei dachte ich immer, die Demetaner seien so nett und freundlich.“ „Nicht gegenüber ihren Feinden“, korrigierte ich sein Wissen. „Sedrin hat dich nur so getriezt, weil wir Eludeh vor den Nihillanern, also, Feinden, retten mussten. Sie wollte nur, dass du anständig mithilfst. Denen lässt sie nämlich nichts durchgehen. Auch Sytania hatte ihre helle Freude an Sedrin.“ Bei meinem letzten Satz grinste ich verschmitzt.

IDUSAs Avatar räusperte sich. „Ich sehe Eludehs Schiff.“, sagte sie. „Ruf sie.“, erwiderte ich.

„Da seit ihr ja endlich, ihr lahmen Enten.“, begrüßte uns Eludeh mit einem Lächeln. „Sie haben Nerven.“, antwortete ich. „Die habe ich allerdings.“, gab sie zurück. „Ich muss gegenüber dem tindaranischen Geheimdienst aussagen. Lässt sich da was machen?“ „Sicher.“, sagte ich. „Wenn Sie uns folgen, können wir das arrangieren.“ „In Ordnung.“, sagte sie und flog einen Bogen um uns, um sich hinter IDUSA einzureihen.

Die Vendar hatten die Weltraumwirbel hinter sich gebracht. Man war übereingekommen, erst nach ihrem Passieren den Interdimensionsantrieb zu nutzen. Das brachte ihnen auch noch die Gelegenheit, sich über SITCH noch einmal auszutauschen. „Ich werde Dill wieder nach Zeitland begleiten.“, meinte Crimach. „Und ich werde Shiranach abholen und sie dann zum Jahreswendfest mitbringen, wenn die Wächterin es erlaubt.“, erklärte Tabran. „Ist mir recht.“, sagte Diran dazu. „Treffen wir uns danach einfach im Universum der Tindaraner bei New-Vendar-Prime.“ Er beendete das Gespräch und befahl dem Mishar, nach Durchquerung der Wirbel den Interdimensionsantrieb zu aktivieren. Allerdings hatte er Zielkoordinaten eingegeben, die weit weg von New-Vendar-Prime waren. Genauer so weit weg, dass er selbst mit der maximalen Warpgeschwindigkeit seines Veshel mindestens eine Woche bis dort hin brauchen würde. Diese Zeit würde er aber gut nutzen. Er hatte schon lange angezweifelt, dass sein Energiefeld ein künstliches war. Es fühlte sich nicht so an und seine Sifa hätte ein künstliches Feld sicherlich erkannt. Auch die Theorie seiner Gebieterin glaubte er nicht. Vielleicht hatte sie diese nur aufgestellt, um ihn zu schützen. Vielleicht war es besser, wenn er gar nicht wüsste, wo sein Feld herkam. Vielleicht hatten die Nihillaner die Föderation auch betrogen und es war tatsächlich ein echtes Feld. Ein Feld, das irgendwo eingefangen wurde und eigentlich die unsterbliche Seele eines Wesens enthielt. Vielleicht war diese jetzt in ihm gefangen und versuchte, ihm dies deutlich zu machen. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.

Diran waren das zu viele Vielleicht. Er beschloss, der Sache beim Fütterungsritual dieses Mal auf den Grund zu gehen. Sonst hatte er immer abgewartet, bis der Mann sich am Gitter gezeigt hatte. Jetzt würde er ihn gezielt suchen, sobald er den Käfig sah. Wenn es ein Programm war, konnte es auf so eine spontane Änderung sicher nicht reagieren und es würden Dinge geschehen, die Diran zeigen würden, dass es eine Art Fehlermeldung gab. Ein lebendes Wesen jedoch könnte spontan reagieren.

„Mishar, Steuerkontrolle übernehmen!“, befahl Diran dem Schiffsrechner. „Kurs, Höhe und Geschwindigkeit halten!“ Dann vertiefte er sich ins Fütterungsritual.

Tatsächlich sah Diran bald die karge Ebene, auf der der Käfig stand. Ein scharfer kalter Wind pfiff ihm um die Nase und auch durch die Gitterstäbe, durch welche Diran jetzt immer und immer wieder in den Käfig schaute, als würde er gezielt nach etwas suchen. Tatsächlich erblickte er bald den Gefangenen. „Diran.“, begrüßte dieser ihn mit einem Lächeln. „Ich hatte schon gehofft, dass du eines Tages die Initiative zu unserer Kommunikation ergreifen würdest.“ „Vergib mir.“, bat Diran. „Aber ich muss etwas erfahren. Bist du die Seele eines nihillanischen Toten?“ „Nicht so schnell.“, lächelte der Mann im Käfig. Das erfährst du noch früh genug. Aber, wenn du so neugierig bist, dann geh zur Käfigtür und schau dir Schloss und Schlüssel an. Dann wirst du sehen, ob du auf dem richtigen Weg bist.“

Diran folgte dem Vorschlag und stellte fest, dass eine weitere Ecke des Schlosses unter dem Nebel zum Vorschein gekommen war. Das Schlüsselloch konnte er zwar immer noch nicht sehen, aber ihm war jetzt eines klar. Je näher er dem Geheimnis kam, desto weiter schnurrte die Nebelwand zusammen. Toleas Satz hallte in seinem Kopf nach. Irgendwann wirst du ihn befreien können.

Noch einmal drehte sich Diran zu dem Mann um und fragte: „Wer bist du?“ „Wer ich bin?“, entgegnete dieser lächelnd. „Ich bin Ethius’ Albtraum.“

Die Umgebung löste sich auf. Diran versuchte mit aller Willenskraft, im Zustand des Fütterungsrituals zu verbleiben, aber seine Konzentrationsfähigkeit reichte nicht mehr aus. Schließlich musste er aufgeben. „Na gut.“, sagte er zu sich. „Morgen ist auch noch ein Tag. Du hast noch eine ganze Woche, wenn nicht so gar noch mehr. Irgendwann findest du es heraus. Lenk dich jetzt erst mal ab.“ Er setzte sich auf und befahl dem Computer: „Mishar, Steuerkontrolle übergeben!“

Mit leuchtenden Augen sah Shiranach zu, wie Tabrans Schiff landete. So schnell sie ihre alten Beine tragen konnten, lief sie ihm entgegen. Beide umarmten und küssten sich leidenschaftlich. „Oh, Tabran.“, begann Shiranach erleichtert. „Ist jetzt wieder alles in Ordnung? Habt ihr einen Weg gefunden?“ „Leider muss ich dich enttäuschen, meine Shiranach.“, sagte Tabran langsam und strich ihr dabei tröstend über den Kopf. „Wir haben keinen Weg gefunden, die Föderation angemessen zu warnen. Logar will Nugura von sich träumen lassen. Aber ich glaube, damit erreicht er genau das Gegenteil. Tolea aus dem Raum-Zeit-Kontinuum kennt die Sterblichen aus der Föderation und sie hat versucht, ihn davon abzubringen. Aber leider war sie damit nicht erfolgreich.“

Die kluge Vendar erkannte ebenfalls das Problem und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Oh nein.“, erschrak sie. „Er wird die Föderation erst recht ins Verderben treiben. Was können wir denn nur tun?“ „Wir können gar nichts tun, meine Shiranach.“, erwiderte Tabran. „Aber Diran hat vorgeschlagen, dass wir uns zunächst bei der Jahreswendfeier auf New-Vendar-Prime zerstreuen sollten. Ich habe bereits mit der Wächterin gesprochen. Sie ermöglicht uns eine Passage in die tindaranische Dimension.“ „Dann werde ich mal besser gleich packen.“, antwortete Shiranach.

Sianach hatte Maron und Nidell mit ihrem eigenen Veshel abgeholt. Sie waren auf dem Weg nach Tindara. Hier wollte Maron ein Flüchtlingslager besuchen. Einer der Flüchtlinge hatte signalisiert, dass er eventuell doch reden würde, aber nur dann, wenn er wüsste, dass es definitiv jemand geschafft hatte, dem langen Arm des nihillanischen Militärs zu entkommen. Maron hatte vor, ihm gegenüber zu erwähnen, dass er für eben diesen Umstand gesorgt hatte.

Sie schwenkten in die Umlaufbahn. Für Sianach war es nicht schlimm, Taxipilotin zu spielen. Auf diese Weise konnte sie auch gleich etwas loswerden. „Ich möchte gern die gesamte Besatzung der tindaranischen Station zu unserem Jahreswendfest einladen.“, sagte die Vendar-Führerin feierlich. „Von mir aus gern.“, erwiderte Maron. „Ich muss nur wissen, was Zirell dazu meint. Aber, sie wird nichts dagegen haben, denke ich.“ Er winkte Nidell und die junge medizinische Assistentin folgte ihm auf die Transporterplattform. Dann beamte Sianach sie herunter.

Am Tor des Lagers wurden Maron und Nidell bereits von Meddar, einem der Flüchtlingsbetreuer, erwartet. Der tindaranische Mittdreißiger mit schwarzem kurzem Haar führte sie an unzähligen Wohneinheiten vorbei. Diese waren in ähnlicher Bauweise errichtet, wie es auch die Häuser der Tindaraner waren. Es gab ein großzügig eingerichtetes Wohnzimmer, Schlafzimmer für Kinder und Eltern, eine Küche mit Replikator und ein Bad. Die Flüchtlinge sollten nicht das Gefühl haben, schlechter leben zu müssen, als die, in deren Obhut sie waren.

„Alle hier haben wahnsinnige Angst.“, flüsterte die etwas schüchterne junge Telepathin ihrem demetanischen Begleiter zu. „Was hast du erwartet?“, entgegnete Maron gereizt. „Das hier ist ein Flüchtlingslager und kein Urlaubscamp!“ Er schien seinen Fehler allerdings gleich selbst einzusehen und entschuldigte sich sofort. „Ich wollte damit ja nur verhindern, dass du einen Fehler machst.“, rechtfertigte sich Nidell. „Lass das mal meine Sorge sein.“, antwortete Maron. „Ich weiß schon, wie man mit verängstigten Opfern umgehen muss. Nichts Anderes sind die Flüchtlinge ja. Sie sind Opfer ihres eigenen Staates.“ Nidell schaute skeptisch. Sie schien schon die Vorboten jenes Ereignisses in Marons Geist zu sehen, das noch schwerwiegende Folgen haben sollte.

Sie erreichten ein Bürogebäude. Hier führte sie Meddar in eine Sitzgruppe. „Ich hole jetzt Marcellus.“, sagte er. Nidell setzte einen mahnenden Blick auf, als der Tindaraner gegangen war. „Bitte pass auf, was du tust, Maron.“, flüsterte sie. Der Demetaner winkte nur mit einem fast arroganten Blick ab.

Bald kam der Betreuer mit einem alten Mann zurück, der sich nur noch mit Hilfe einer magnetgestützten Gehhilfe auf den Beinen halten konnte. Er hatte bereits menschliche Gestalt. Das konnte Maron sehen. Er war sehr gebrechlich und hatte schlohweißes Haar.

Meddar half seinem nihillanischen Schutzbefohlenen auf einen Stuhl und schaltete die Gehhilfe zunächst ab. Dann setzte er sich selbst dazu. „Er möchte, dass ich dabei bleibe.“, erklärte er dieses. Maron nickte.

Maron zog ein Pad und begann: „OK, Marcellus. Ich bin Agent Maron vom tindaranischen Geheimdienst. Das ist Medical Assistant Nidell. Sie wird aufpassen, dass ich Sie gesundheitlich nicht überfordere und sie wird Sie auch noch untersuchen, damit wir erfahren, ob Ihnen in Ihrer Heimat körperliches Leid zugefügt wurde. Wenn Sie mit unseren Maßnahmen nicht einverstanden sind, haben Sie jederzeit das Recht, nein zu sagen. Wir brechen die entsprechende Maßnahme dann sofort ab. Haben Sie das verstanden?“ Der Alte nickte. „Gut.“, sagte Maron und rief ein Formular auf dem Pad auf. „Kommen wir zu Ihren Personalien. Nennen Sie bitte Ihren vollen Namen, Ihr Geburts- … Pardon Schlupfdatum und den Ort ihres Schlupfes.“ „Ich bin Marcellus, Ehemann der Livia. Nach der neuen Zeitrechnung bin ich am mittleren Tag des dritten Frühlingsmonats im Jahre 30 in der Stadt Sadria geschlüpft.“ Maron notierte dies eilig. „Mehr sage ich aber nur, wenn Sie mir versprechen können, dass Eludeh in Sicherheit ist. Sie ist meine über alles geliebte einzige Tochter.“ „Eludeh ist in Sicherheit.“, schwindelte Maron.

Nidell telepathierte Meddar etwas in ihrer gemeinsamen Muttersprache zu. Der Betreuer legte seine rechte Hand auf Marcellus’ Rücken. „Also gut.“, sagte Marcellus. „Bitte lassen Sie sich von mir berühren, dann zeige ich Ihnen alles.“ Maron nickte und der Alte legte ihm seine knochigen Hände auf beide Schultern. Jetzt sah der Demetaner, wie sehr Marcellus und seine Familie aufgrund ihres Glaubens unter Repressalien zu leiden hatten. Nirgendwo konnten sie sich mehr sicher fühlen. Bei Nacht und Nebel wurden sogar Hausdurchsuchungen durchgeführt. Jede heilige Figur oder jedes Götterbild wurden zerstört. Die Familie musste wie verhaftete Gangster mit gespreizten Beinen an der Wand stehen und dabei zusehen, wie Polizisten lästernd und spottend ihren Hausrat zertraten. Aber das war noch lange nicht alles. Sie wurden gefesselt, als so genannte Rückständler bezeichnet und ihnen wurde mit Umerziehungslagern gedroht, wenn sie ihrem Glauben nicht abschworen und hier vor allen erklärten, dass er Unsinn sei und sie nur noch die Erklärungen der hohen Wissenschaft zuließen. Als er sich einmal geweigert hatte, hatten zwei Agenten seiner Frau die Kleider vom Leib gerissen und gedroht, sie zu vergewaltigen, sollte er sich nicht einverstanden erklären. Angeblich war jedes Mittel recht, um den Rückständigen Hirngespinsten ein Ende zu machen.

Plötzlich wich der Alte zurück und begann, bitterlich zu weinen. In seine Tränen mischte sich aber auch Wut. „Sie haben mich belogen!“, schrie er. „Sie wissen nicht, wo Eludeh ist! Sie sind nicht besser, als unsere Behörden! Ich sage nichts mehr! Gar nichts mehr!“

Jetzt ging alles ganz schnell. Meddar zog den völlig fertigen alten Mann mit sich aus dem Zimmer und versuchte noch auf dem Weg, ihn irgendwie zu trösten, während Nidell ihr Sprechgerät nahm, um Sianach zu bedeuten, dass sie die Beiden schnellstens raufbeamen sollte.

Den ganzen Flug über hatte Nidell Maron nicht angesehen. Die zierliche Telepathin war sehr enttäuscht von ihm. „Komm schon, Nidell.“, versuchte Maron, ein Gespräch zu beginnen. „Was habe ich denn falsch gemacht, dass du mich nicht …“ „Was du falsch gemacht hast?!“, fragte die kleine Tindaranerin wütend. „Du hast alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Ich habe dich gewarnt. Du hättest ihn nicht belügen dürfen!“ „Was ist denn da unten passiert?“, fragte Sianach. Bevor Nidell oder Maron allerdings antworten konnten, musste sie einen Ruf von der Station beantworten. „Hier ist Zirell!“, meldete sich die energische Stimme der Kommandantin im Sprechgerät des Vendar-Schiffes. „Flieg bitte nicht zur Andockbucht, Sianach, sondern beame Maron direkt in mein Büro. Ich habe ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Bei mir ist Zoômell. Nidell kannst du von mir aus an der Bucht rauslassen. Sie hat mit dem allen ja nichts zu tun. Aber, Sianach, Maron gehört mir!“ „Habe verstanden, Anführerin Zirell.“, erwiderte die junge Vendar. Dann flüsterte sie Nidell zu: „Ich glaube, bei euch gibt’s gleich gegrillten Agenten.“

Maron wurde tatsächlich bereits von Zirell und Zoômell erwartet. Die Frauen nahmen ihn in die Mitte und Zoômell zeigte ihm eine Anzeige auf einem Pad. Hier konnte Maron Meddars Aussage gut lesen.

Zirell stand auf, näherte sich ihm mit erhobenem Zeigefinger und fragte: „Was hast du zu diesem Vorwurf zu sagen?“ „Es war eine notwendige Lüge, Zirell.“, verteidigte sich Maron. „Notwendige Lügen sind vielleicht Bluffs gegenüber Tätern, um an Informationen zu gelangen.“, erklärte Zoômell, die sich ihm jetzt ebenso streng genähert hatte. „Aber ein Opfer zu belügen, ein Opfer, Maron, das eh schon genug Angst hat, das würde selbst einem Anfänger nicht einfallen.“ „Ich denke.“, fügte Zirell noch hinzu. „Du bist überarbeitet und brauchst dringend mal Urlaub. Sianach hat uns zum vendarischen Jahreswendfest eingeladen und danach gehst du in Urlaub. Ja, in den Urlaub nach Demeta!“ „Zirell, ich …“, versuchte Maron, sich zu verteidigen. Zirell aber schaute nur streng und sagte: „Das ist ein Befehl! Wegtreten!“

Wie ein begossener Pudel verließ Maron das Büro und zog sich in sein Quartier zurück. Hier wollte er mit seiner Schmach allein sein. „IDUSA, ich bin nicht erreichbar!“, schnippte er dem Stationsrechner zu.

Nugura konnte sich erinnern, dass sie ins Bett gegangen war. Deshalb verstand sie auch nicht, warum sie sich plötzlich im Dunklen Imperium fand. Wohin immer die Politikerin auch versuchte zu entkommen, es war unmöglich. Schließlich blieb sie auf einem Hügel stehen. Was immer hier auch gleich passieren möge, von hier aus hatte sie die beste Aussicht.

Bald hörte sie Hufgetrappel und Schellengeläut. Auch das Geräusch typischer Klappern, wie sie im Mittelalter von so genannten Aussätzigen benutzt wurden, drang an ihr Ohr. Noch konnte sie nicht sehen, was da auf sie zu kam. Trotzdem beschlich das Staatsoberhaupt der Föderation eine schreckliche Angst. Sie traute sich nicht, sich zu bewegen.

Alsbald gab es einen weißen Blitz und Nugura konnte jetzt alles genauer sehen. Logar ritt einem Zug Nihillaner, die alle zu Fuß unterwegs waren, auf Kipana voran. Dicht an Nugura vorbei ging es. So dicht, dass die Präsidentin die ausgemergelten und verängstigten Gestalten gut sehen konnte. „Sehen Sie, was uns unsere Oberen angetan haben.“, klagten die Gestalten. Einer hielt den Stumpf seiner abgeschlagenen rechten Hand genau in ihre Richtung und sagte: „Meine andere Hand sieht nicht viel anders aus. Das haben sie getan, weil ich gebetet habe.“ Eine Frau hielt ihr kleines Kind auf dem Arm, dem man die Zunge herausgeschnitten hatte. „Das haben sie getan, weil mein armes Kind es gewagt hat, zu fragen, ob es einen Gott gibt.“

Nugura fiel vor Logar nieder. Ihr waren diese grausamen Bilder zu viel geworden. „Ich bitte Euch, Majestät, hört auf, mir dies zu zeigen!“, flehte sie. „Das werde ich erst dann tun, wenn Sie das schändliche Tun der nihillanischen Obrigkeit begreifen und auch begreifen, dass der Föderation die gleiche Art der Beschneidung ihrer Freiheit droht, wenn die Nihillaner eingebürgert werden. Bis dahin, Sehen Sie ruhig noch einmal hin.“ Logar setzte sein Pferd in Bewegung und alle geschundenen Nihillaner folgten. Noch einmal ging es im Schritttempo an Nugura vorbei. „Aufhören!!!“, schrie Nugura. „Bitte, bitte, aufhören!!!“

Das Nächste, was die Präsidentin spürte, war ein fester Griff um ihre Schulter und dass jemand sie schüttelte. „Madam President, wachen Sie auf! Aufwachen!“ Nugura schlug die Augen auf und blickte in das Gesicht ihres aldanischen Leibarztes und Sarons, ihres treuen demetanischen Sekretärs. „Oh, Saron.“, sagte Nugura erleichtert. „Ich hatte einen furchtbaren Albtraum. Deshalb habe ich heute wohl auch verschlafen.“

Sie gab dem Demetaner ein Zeichen, auf welches dieser den aldanischen Mediziner fortschickte. Dann sagte sie: „Saron, Sie bleiben. Ich möchte Ihnen berichten, wovon ich geträumt habe.“ „Soll ich mitschreiben, Madam President?“, fragte der Demetaner und zog ein Pad. „Wäre gut.“, erwiderte Nugura. „Dann habe ich zumindest etwas gegen Logar in der Hand. Ach, Saron, Sie kennen mich doch zu gut.“

Detailgenau berichtete sie jetzt ihren Traum. Saron war fassungslos. „Unfassbar!“, rief der Sekretär aus. „Warum will Logar Sie so ängstigen, Madam President.“ Er überlegte eine Weile und sagte dann: „Moment, ich glaube, ich weiß warum. Unsere neuen baldigen Mitbürger wollen doch erreichen, dass niemand mehr krank wird oder sterben muss. Das können die nihillanischen Wissenschaftler aber nur, wenn Gene von Mächtigen in die normale DNS eines Wesens eingekreuzt werden. Kein Wunder, dass die Mächtigen es nicht gut finden, wenn die Nihillaner zum Wohl aller Gott spielen.“ „Sie spielen nicht, Mr. Saron.“, korrigierte sie ihn. „Wollen Sie damit sagen, sie seien …?“, fragte Saron irritiert. „Nein, mein Lieber.“, entgegnete Nugura. „Götter oder höhere Mächte gibt es nicht. Sie sind nur eine faule Ausrede für die, die sich weigern, sich für den Fortschritt anzustrengen oder die altmodische moralische Bedenken haben. Denken Sie nur, Mr. Saron. Bisher konnten wir nur dann reagieren, wenn jemand schon krank war und den Tod konnten wir nach wie vor nicht überwinden. Gut, wir hatten zwar gute Medizin. Aber der Vorschlag der Nihillaner würde den Beruf des Arztes und den des Totengräbers quasi unnötig machen. Stellen Sie sich vor, alle würden immer gesund sein und ewig leben. Ein riesiger Traum wird wahr und das in meiner Amtszeit.“

Saron speicherte die Datei mit seinen Notizen sorgfältig ab. Dann wechselte er das Fenster. „Sie haben in einer Stunde eine Sitzung mit dem nihillanischen Gesandten.“, machte er seine Chefin aufmerksam. „Denken Sie, dass Sie dem gewachsen sind?“ „Es wird schon gehen, Mr. Saron.“, erwiderte Nugura und schickte ihn fort, um sich in Ruhe sitzungsfein machen zu können.

IDUSA und Eludehs Shuttle zogen nebeneinander ihre Bahn. Shimar hatte sie nicht aus den Augen gelassen. „Sie fliegt ziemlich gut für eine Zivilistin, nicht wahr, Kleines.“, fragte er mich nach einer Weile, in der wir nur geschwiegen hatten. Mir war all das, was sie in Little Federation gesagt hatte, wieder durch den Kopf gegangen. All diese haarsträubenden Dinge! All das, warum ich, wenn ich Nugura gewesen wäre, diese Nihillaner niemals in die Föderation gelassen hätte. Was konnte der Grund sein, aus dem sie es trotzdem tat? Die mussten uns ja schon die Unsterblichkeit oder so was versprochen haben. Wissenschaft und Fortschritt waren ja OK. Aber bitte in moralischen Grenzen. Die waren meiner Meinung nach bei den Nihillanern total auf der Strecke geblieben. Aber das war ja auch kein Wunder. Ich musste an einen Ausspruch Tabrans denken, den mir Shimar einmal gemailt hatte, nachdem er ihn von ihm selbst gehört hatte: „Die Moral ist die Tochter des Glaubens und nicht der Wissenschaft, denn diese ist selbst wie ein neugieriges Kind.“ Damals hatte ich nicht wirklich verstanden, was der Vendar damit meinen könnte. Aber heute passte dieser Spruch exakt zu unserer Situation.

„Woran denkst du, Kleines?“, fragte Shimar. Ich musste lächeln, denn ich empfand die Frage für einen Telepathen ziemlich witzig. „Du weißt, ich würde niemals ohne deine Erlaubnis …“, erklärte er, aber ich unterbrach ihn: „Ich weiß. Aber ich habe gerade nur an einen Spruch von Tabran gedacht. Ich meine, er steht in Kontakt mit der Wächterin. Könnte es sein, dass er uns schon vor der Zukunft warnen wollte, weil sie ihn gewarnt hat?“ „Möglich ist alles.“, entgegnete Shimar.

Wir hatten die Basis erreicht und Shimar hatte mich gebeten, uns anzumelden, weil er auch noch ein Auge auf Eludeh halten wollte.

Joran beantwortete meinen Ruf. „Hier ist Joran Ed Namach an Bord von Tindaranerbasis 281 Alpha.“, meldete er sich korrekt, nachdem er mein Gesicht im Display erkannt hatte. Ich fand sein Stolperenglisch zwar irgendwie süß, aber das ging bestimmt nicht jedem so. Deshalb hatte ich ihm angeboten, ihm einige Floskeln aus dem Englisch für Kommunikationsoffiziere der Sternenflotte beizubringen. Mit Feuereifer hatte er sich alles notiert (Rechtschreibfehler inklusive), aber das war ja für seine eigene Kladde nicht so schlimm. Hauptsache, er konnte es lesen. Und solange er es mündlich richtig wiedergab, war ja dagegen nichts einzuwenden.

„Bitte gib mir Agent Maron.“, sagte ich. „Tut mir leid, Allrounder Betsy, Agent Maron ist nicht erreichbar.“, antwortete er. „Das kann nicht sein.“, drängte ich. „Laut IDUSA ist er auf der Station und erfreut sich bester Gesundheit.“ „Unter uns.“, erwiderte Joran. „Er ist etwas in seiner Agentenehre getroffen. Zirell hat ihn ziemlich abgestraft und die tindaranische Geheimdienstchefin hat sie dabei sogar noch trefflich unterstützet.“ Wieder war er in jenes leicht mittelalterlich anmutende Englisch abgeglitten, das ich bereits von ihm kannte und das mich stark an das Englisch des schwarzen Außerirdischen aus Shannons Unterhaltungsschmöker erinnerte. Wenn man bedachte, wem Joran gedient hatte, war dies allerdings kein Wunder.

„Wir haben jemanden, die ihn bestimmt aufheitern kann.“, sagte ich selbstbewusst. „Sie heißt Eludeh und möchte gern aussagen. Also, versuch Maron irgendwie zu kriegen. Sonst geht ihm das noch durch die Lappen!“ „Ich glaube, bei der Strafaktion ging es auch um jemanden, die Eludeh heißt.“, antwortete der Vendar. „Na um so besser.“, entgegnete ich. „Also, du besorgst mir jetzt Maron und wir halten Eludeh warm, kapisch?“ „Kapisch, Allrounder Betsy.“, erwiderte Joran und beendete das Gespräch.

Joran wusste nicht genau, wie er jetzt vorgehen sollte. Er wusste, wenn ein Terminal auf nicht erreichbar geschaltet war, konnte IDUSA keinen Ruf dorthin auslösen. Er würde selbst zum Quartier des Agent gehen müssen und, wenn es nötig war, ihn so lange nerven, bis Maron endlich antworten würde. Dann würde Joran uns wieder rufen und quasi per Rückaufbau die Verbindung initiieren.

Er verließ also die Kontrollzentrale der Basis, nicht ohne sich vorher pflichtgemäß bei IDUSA abzumelden und stieg in einen Turbolift, der ihn in die Wohnkapsel brachte. Hier schlug er den Weg zu Marons Quartier ein.

Joran wusste, dass er auch über die Türsprechanlage, die ja ebenfalls mit dem rauminternen Terminal verbunden war, nichts erreichen konnte. Aber es gab ja noch das gute alte Handsprechgerät. Wenn Maron seinen Kommunikator nicht ausgeschaltet hatte, das wusste er, hatte er über diesen noch eine Chance. Er schaltete also sein Gerät auf Rufwiederholung und gab auf dessen Anfrage Marons Rufzeichen ein. Jetzt würde sein Transceaver Maron solange nerven, bis dieser endlich antworten würde.

Maron saß im Inneren seines Quartiers und versuchte krampfhaft, das Piepen seines Sprechgerätes zu ignorieren. Er war im Flur am Garderobenspiegel vorbeigekommen. Dort hatte er sein eigenes Spiegelbild ziemlich heftig auf Demetanisch angeschrieen, denn es war ihm durchaus bewusst, was er angestellt hatte. Geknickt saß er jetzt auf seinem Sofa und dachte nach. Wie konnte mir nur so etwas passieren., dachte er. Jetzt habe ich das Vertrauen der Flüchtlinge vollends verspielt. Tolles Eigentor, Maron, wirklich! Ach, verdammtes Sprechgerät!

Maron hob das Gerät vom Schreibtisch auf. Im Display erkannte er Jorans Rufzeichen. Statt zu antworten aber drückte er nur die 88-Taste und stellte das Gerät wieder hin. Er hatte jetzt wirklich keine Lust auf Gespräche. Wenn jemand was von ihm wollte, musste derjenige warten, bis sich sein Frust wieder gelegt hatte. Er würde jetzt ohnehin nur alle anschreien.

In seinem Versteck in einer Nische hatte Joran zunächst geduldig abgewartet. Warum wollte Maron nicht mit ihm sprechen? Was hatte er denn mit seinem Frust zu tun? Er fand, dass sich sein Vorgesetzter lieber an die Tatsache erinnern sollte, dass er ihm schon einmal aus einer sehr frustrierenden Situation geholfen hatte. Maron hatte das damals sehr genossen. Ähnlich wäre es ihm jetzt bestimmt auch gegangen. Er hätte sich ja nur auf seine Hilfe einlassen müssen.

Zehn weitere Minuten vergingen, ohne dass etwas passierte. Joran konnte im Display seines Sprechgerätes gut sehen, dass Maron ihn immer wieder weggedrückt hatte. „Na schön.“, flüsterte der Vendar. „Manchmal muss man dich anscheinend zu deinem Glück zwingen.“

Er wusste, jetzt konnten ihm eigentlich nur noch die Technikerinnen helfen. Sie hatten ein Werkzeug, mit dem im Notfall blockierte Türstromkreise leicht überwunden werden konnten. Aber Jenna wollte er damit nicht belästigen. Die Weste seiner Telshanach sollte rein bleiben. Immerhin wäre dies ja eine Art Einbruch. Shannon würde sicher auch leichter zu überzeugen sein. „IDUSA!“, wendete er sich über das Flurmikrofon an den Stationsrechner. „Wo ist Shannon O’Riley?“

Shannon saß mit Nidell in einem der Aufenthaltsräume. Die medizinische und die technische Assistentin hatten sich angefreundet. Nidell berichtete ihrer Freundin haarklein, was sie im Flüchtlingslager erlebt hatte. „Na supi!!!“, sagte die blonde Irin ironisch. „Da hat sich unser Superspion wohl echt in die Nesseln gesetzt. Glaub’ kaum, dass sich noch einer trauen wird, bei ihm auszusagen.“ „Glaube ich auch nicht.“, antwortete die zierliche Tindaranerin, bevor sie in Tränen ausbrach: „Oh, Shannon, kannst du dir vorstellen, was diese Leute Schreckliches erlebt haben müssen? Und dann kommt noch einer und lügt sie an. Das Schlimmste ist, so einen Staat, der diese schlimmen Dinge zulässt, will die Präsidentin der Föderation aufnehmen. Wie kann denn so etwas sein?“ „Na ja.“, flapste Shannon, nachdem sie für ihre Verhältnisse wirklich lange nachgedacht hatte. „Manche Leute, insbesondere Politiker, sind manchmal dumm wie’n Eimer und würden selbst dann nichts dazu lernen, wenn man es ihnen telepathisch direkt ins Gehirn tackern würde.“ Nidell musste grinsen.

Kapitel 9: Trügerische Ruhe

von Visitor

 

Joran betrat den Raum. Seine Augen suchten sofort nach der Statur der blonden irischen technischen Assistentin, die er an einem Ecktisch erspäht hatte. Langsam ging er näher und setzte sich zu ihr. Nidell hatte den Raum mit einem Blick auf ihre Uhr verlassen. Shannon wusste, dass dies nur bedeuten konnte, dass ihr Dienst wieder anfing.

„Was is’ kaputt, Grizzly?“, flapste Shannon. “Die Seele von Agent Maron, Shannon O’Riley, wenn wir nicht eingreifen.“, sagte der Vendar mit konspirativem Unterton. „Watt soll ich dabei?“, fragte Shannon und schaute gelangweilt an ihm vorbei. „Ich bin technische Assistentin und keine Seelenklemptnerin.“ „Das würde ja auch ich übernehmen.“, erklärte Joran. „Du sollst mir ja nur helfen, Zutritt zu seinem Quartier zu erlangen.“ „Wie jetz’?“, entgegnete Shannon. „Du sollst in gewisser Weise einbrechen.“, beantwortete Joran ihre Frage. „Was!“, schrillte Shannon. „Wenn ich das mach’, Grizzly. Dann zieht mir Jenn’ die Ohren so lang, dass ich ohne Probleme die Staatsbürgerschaft auf Vulkan kriegen würde, weil Zirell das Anspitzen übernehmen würde!“

Sie sprang auf und wollte gehen, aber Joran konnte ihre Hand greifen und hielt sie fest. „Wenn wir nichts tun, Shannon O’Riley!“, begann er alarmiert. „Wird er sich noch selbst gefährden.“ „Oh, Mann.“, rief sie aus. „Das will ich uns allen wirklich ersparen. Warte hier. Ich hole mein Werkzeug.“

Shimar hatte IDUSA gedockt und war gemeinsam mit mir ausgestiegen. Wir warteten jetzt auf Eludeh, die ihr Schiff am benachbarten Port gedockt hatte. „Maron wird sich sicher freuen, was, Kleines?“, fragte Shimar mich mit einem schelmischen Grinsen. Er gab zu, dass er auf unseren gemeinsamen Erfolg nicht gerade unstolz war. „Das denke ich auch, Mister Gänsehaut.“, entgegnete ich und zwinkerte ihm zu. „Aber Kleines, bitte nenn mich nicht in der Öffentlichkeit so.“, antwortete er peinlich berührt. Warum ihm das peinlich war, konnte ich mir denken. Ich wusste ja, dass Kribbeln am ganzen Körper bei Tindaranern andere Assoziationen weckt, als bei manch anderem. Gegenüber einem terranischen Mann würde ich mich ja auch nicht unbedingt mitten auf der Straße darüber auslassen, wie reichlich er im Schritt bestückt war, also entschuldigte ich mich sofort.

Eludeh erschien mit einem großen Gegenstand. Es handelte sich um einen würfelartigen Behälter, dessen Flächen je 40 cm in der Länge und in der Breite maßen. Shimar ließ mich kurz los, um ihr den Gegenstand abzunehmen. „Ich muss damit zu Techniker Mc’Knight.“, lehnte sie seine Hilfe ab. „Sie muss mir sagen, ob die Stasekammer mit den Systemen der Station kompatibel ist.“ „Stasekammer?“, fragte ich verwirrt. „Was ist in der Kammer, Eludeh?“ „Ein Ei.“, antwortete sie. „Mein Mann und ich haben, bevor ich meine ganze Familie vergiften musste, noch einmal miteinander geschlafen. In der ganzen Aufregung hatte ich nur nicht bemerkt, dass ich ein befruchtetes Ei in mir trug. Ich war jeden Tag am Grab meiner toten Kinder, Allrounder Betsy. Jeden Tag bis auf einen.“ Ich machte ein verständiges Gesicht. Ich konnte mir denken, was an diesem Tag geschehen war und jetzt hatte sie das Ei nach dessen Ablage in Stase versetzt, da sie ja nicht gewusst hatte, wie ihr Leben weiter gehen würde. „Ich bleibe mit Eludeh hier, Shimar.“, sagte ich mit bestimmtem Ton. „Hol du bitte Jenna und besser auch Ishan.“ „OK.“, erwiderte er und war um die Ecke verschwunden.

Shannon und Joran waren inzwischen zu Marons Quartier geschlichen. „Bist du dir wirklich sicher, Grizzly, dass es ’ne gute Idee is’, bei ihm einzubrechen?“, wollte die blonde Irin, der ganz schön das Herz in die Hose gerutscht war, von ihm wissen. „Das bin ich.“, entgegnete der Vendar. „Und jetzt fang schon an. Ich übernehme alle Verantwortung.“ „Na, wenn de meenst.“, entgegnete Shannon. Dann entfernte sie eine Abdeckung an der Wand und schloss ein Gerät, das sie aus ihrer Tasche geholt hatte, an zwei Modulen an. Danach gab sie eine Kette von Befehlen in das Gerät ein. Alsbald öffnete sich die Tür. „Nach dir.“, sagte Shannon und gab Joran einen leichten Klaps auf den Rücken. Höher kam sie bei dem Größenunterschied ja nicht.

Maron saß vor seinem Schreibtisch und hatte vor sich eine Flasche Cola mit ordentlich Kohlensäure stehen. Für uns wäre das nichts Ungewöhnliches. Da aber Kohlensäure auf Demetaner wirkt, wie auf uns Alkohol, war das schon bedenklich.

Joran stellte sich rechts neben den sitzenden Demetaner und setzte einen bedrohlichen Blick auf. Dann zeigte er auf die Flasche und sagte langsam: „Stell sie hin. Du weißt, dass das keine Lösung ist.“ Maron fuhr zusammen. Dabei fiel ihm die Flasche aus der Hand und landete klirrend auf dem Boden. „Wie verdammt noch mal bist du hier rein gekommen?“, lallte der Demetaner, der schon mindestens die Hälfte der Flasche intus hatte. Auf Jorans Zeichen trat Shannon kurz hinter ihm hervor. „Es war aber alles meine Idee.“, nahm der Vendar die Verantwortung auf sich, wie er es seiner irischen Komplizin versprochen hatte. „Ist mir egal, wer Schuld hat.“, äußerte sich Maron. Dabei versuchte er, so deutlich wie möglich zu sprechen. „Mir ist eh alles egal. Zirell hat mich quasi beurlaubt. War ja auch nicht anders zu erwarten nach dem Bockmist, den ich gebaut habe.“ „Shimar ist zurück.“, versuchte Joran, ihn aufzuheitern. „Er hat Allrounder Betsy und die Zeugin Eludeh bei sich.“ „Wie war das?“, erwiderte Maron. „Wie kann denn das sein? Wie ist er an Eludeh dran gekommen und was macht Allrounder Betsy bei ihm?“ „Wird er dir sicher alles noch erklären.“, sagte Joran. „Aber erst mal wird es Zeit, dass du wieder nüchtern wirst. IDUSA, repliziere einen Eimer kaltes Wasser!“ Der Rechner führte Jorans Befehl aus. Dann tunkte dieser Maron unvermittelt in den gerade replizierten Eimer. „Was du jetzt wieder für eine gesunde Gesichtsfarbe hast.“, lästerte er. „Wer den Schaden hat …“ entgegnete Maron beleidigt. „Aber an meinem Zustand ändert das leider wenig. Die Kohlensäure ist immer noch in meinem Blut. So darf ich niemanden vernehmen. Wir sollten zur Krankenstation gehen. Ach, hätte Eludeh nicht früher auftauchen können, dann hätte ich sicher nicht lügen müssen.“ „Verdammt mieses Timing, he.“, meinte Shannon. „Stimmt, Technical Assistant.“, meinte Maron. „Verdammt mieses Timing. Aber jetzt müssen wir erst mal dafür sorgen, dass ich wieder klar im Kopf werde.“ „Geht klar.“, flapste Shannon. „Grizzly, du rechts, ich links.“ Sie nahmen den immer noch bedenklich schwankenden Maron in die Mitte und ab ging’s zur Krankenstation.

Hier waren in der Zwischenzeit auch Shimar, Eludeh und ich eingetroffen. Eludeh und ich waren Shimar doch gefolgt, denn einfach an der Andockrampe herumzustehen fand sie langweilig. Jenna, die wir unterwegs verständigt hatten, war schon da. Wir erklärten ihr kurz alles. Dann sagte sie: „OK, lasst mal sehen.“, und entfernte eine Abdeckung an der Außenwand der Kammer. Zwei Anschlussmodule kamen zum Vorschein. Jennas fachkundiger Blick verriet ihr sofort, dass die Anschlüsse zumindest passen müssten. Sie schloss die Einheit an den Energiekreislauf der Station an. Dann wandte sie sich an IDUSA: „IDUSA, Energiemenge und Spannung langsam von null an so weit erhöhen, bis das angeschlossene Gerät leistungsfähig ist.“ „Ich überlege, ob wir die Stase nicht bald aufheben sollten.“, meldete sich Ishan, der Jenna über die Schulter geschaut hatte. „Du meinst, wir sollten das Ei ausbrüten lassen?“, fragte ich. „Natürlich.“, antwortete der Arzt. „Wenn das Kind auf tindaranischem Grund und Boden zur Welt kommt, hat es automatisch die tindaranische Staatsbürgerschaft und in diesem Alter braucht es ja auch noch seine Mutter. Vertraut mir. Ich bin Arzt.“ „Ishan!“, rief ich aus. „Du ultrafieser Rechtsverdreher!“ Eludeh lächelte und nickte ihm zu. „Dann ist ja alles geritzt.“, sagte Ishan und wandte sich an Nidell: „Bereite einen Brutschrank vor.“ Die medizinische Assistentin nickte und tat, worum er sie gerade gebeten hatte, nachdem sie Maron, der zwischenzeitlich auch eingetroffen war, eine Tablette zur Entgiftung gegeben hatte. Eludeh zeigte Ishan noch, wie das Staseprotokoll aufgehoben wurde. Dann gingen Shimar sie und ich.

Zirell saß regungslos in ihrem Quartier. Sie war von der Zusammenkunft kontaktiert worden. Diese hatte ihr gerade telepathisch die neuesten politischen Entwicklungen mitgeteilt. Von ihnen hatte Zirell erfahren, dass man sich von der Föderation als Verbündeter lösen würde, würde diese es wagen, sich mit den Nihillanern zusammenzuschließen beziehungsweise, diese einzubürgern.

Sie hatte die Sprechanlage zuerst nicht wahrgenommen, aber dann ließ sie doch zu, dass IDUSA dem Besucher die Tür öffnete. Entgeistert blickte sie in das immer noch sehr blasse Gesicht ihres ersten Offiziers. „Bevor du fragst.“, begann Maron. „Ich hatte mir die Kante gegeben und war auf der Krankenstation zur Entgiftung. Eigentlich verdanken wir Technical Assistant O’Riley und Joran, dass ich überhaupt wieder gerade stehen kann. Die Beiden sind in mein Quartier eingebrochen, als ich mir gerade den Kopf zugesoffen habe.“ „Maron!“, tadelte sie ihn für seine Ausdrucksweise. „Entschuldige bitte.“, erwiderte er. „Aber anders kann ich es nicht bezeichnen, mein idiotisches Verhalten. Morgen vernehme ich Eludeh. Dann haben wir hoffentlich bald etwas gegen die Nihillaner in der Hand.“ „Gerade darüber wollte ich ohnehin mit dir reden.“, setzte Zirell an. „Die Zusammenkunft hat mir gerade eröffnet, sie wird sich von der Föderation trennen, wenn Nugura die Nihillaner einbürgert. Das hieße, sie hätte im Notfall einen Verbündeten weniger.“ „Wie verhalten sich eigentlich die Aldaner in der Sache?“, wollte Maron wissen. „Laut der Zusammenkunft, die ihnen nahe gelegt hat, das Gleiche zu tun, verhalten sich die Aldaner eher neutral. Wahrscheinlich warten sie noch auf physische Beweise.“ „Wenn ich mit Eludehs Vernehmung fertig bin.“, begann Maron darauf. „Werden wir wahrscheinlich mehr physische Beweise haben, als uns lieb sein kann. Du weißt, Zirell, dass die Aufnahmen der Wanze nicht genügen, weil theoretisch jede technische Aufzeichnung manipulierbar ist. Deshalb muss Eludeh auch alles noch mal schildern. Aber, ich bin da ganz zuversichtlich.“

Auf New-Vendar-Prime standen Sianach und Tchiach neben einer Boje, die den Shuttlelandeplatz markierte. Über SITCH hatte sich Diran bereits bei seiner Frau und seiner Ziehtochter angekündigt. „Ich bin ganz aufgeregt, Ziehmutter!“, quietschte die kleine Vendar und trippelte nervös von einem Kinderfüßchen auf das andere. Die 11-Jährige hatte ihren Ziehvater lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Eigentlich nicht mehr, seitdem er sich in Toleas Dienste begeben hatte.

Bald war das Bild des Veshel am Himmel sichtbar. „Er kommt!“, rief Tchiach und wollte schon in den Kreis laufen. Sianach aber hielt sie zurück, denn die erwachsene Vendar wusste durchaus, dass es gefährlich war, einem landenden Shuttle so nahe zu kommen. „Bleib hier, Sashnachi.“, sprach sie ruhig auf Tchiach ein. Dieser Begriff bedeutete übrigens: „Kleine Maulwürfin“ und war durchaus als Kompliment zu verstehen. In der Mythologie der Vendar ist der Maulwurf nämlich das heiligste Tier. Er soll der Göttertochter Nimoshep geholfen haben, wieder ans Tageslicht zu finden, nachdem diese sich aus verschmähter Liebe tief unter die Erde gewünscht hatte und nicht wieder nach oben fand.

Zitternd vor Aufregung blieb Tchiach dann doch stehen und beobachtete gemeinsam mit Sianach, wie Dirans Schiff landete und er ihm entstieg. „Jetzt dürfen wir.“, erklärte Sianach und führte die Kleine langsam näher. „Telshanach!“, rief Diran aus und drückte seine Frau an sich. Sianach wollte dies erwidern, wich aber fast erschrocken zurück. Das, was sie von ihm spürte, kannte sie lange nicht mehr. Das Medikament der Tindaraner sorgte zwar dafür, dass dem eigenen Körper des Vendar, der es nahm, vorgespielt wurde, dass man ein Energiefeld trüge, jene geistige Wahrnehmung dessen, die es gab, wenn es sich um ein echtes Feld handelte, blieb aber aus. „Was ist dir, Telshanach?“, fragte Diran erstaunt, aber doch verständnisvoll. „Du trägst Energie.“, stellte Sianach fest. „Ist es Toleas Schöpfung?“ „Nein.“, erwiderte Diran. „Es ist ein künstliches Feld, das ich auf Sternenbasis 818 bekommen habe. Ich beteilige mich an einem Experiment, das unseren Brüdern und Schwestern helfen soll, die allergisch auf das tindaranische Medikament reagieren. Ich bin zwar in der Hinsicht gesund, kann aber gerade deswegen auch Komplikationen besser wegstecken, als ein Allergiker. Die Sternenflotte hat das Feld von den Nihillanern. Sie sagen, es sei künstlich.“

Erneut berührte Sianach ihn, als wollte sie für etwas die Bestätigung einholen. Dann drehte sie sich zu Tchiach: „Geh und sieh nach, wie weit die Priesterinnen mit den Vorbereitungen für die Jahreswendfeier sind. Du kannst deinen Ziehvater später begrüßen.“ „Aber …“, widersprach das Kind. „Nein!“, beharrte Sianach. „Es ist sicher besser so.“ Traurig ging Tchiach.

Sianach und ihr Mann setzten sich ins feuchte Gras. „Warum hast du sie fortgeschickt?“, erkundigte sich Diran. „Was ich dir sagen, oder besser dich fragen muss.“, begann Sianach. „Ist nichts für Kinderohren, denn deine Antwort könnte Tchiach sehr ängstigen. Bist du sicher, dass es ein künstliches Feld ist?“ „Nein.“, erwiderte Diran. „Nein, ich bin sicher, es ist kein künstliches Feld. Alle versuchen zwar, mir das weiß zu machen, aber ich bin sicher, ich trage in Wahrheit die Seele eines toten Nihillaners.“ „Das würde ja bedeuten.“, setzte Sianach an. „Dass die Föderation und die Nihillaner dich betrogen haben. Ich weiß nicht wie, aber sie müssen diese arme Person eingefangen haben und sie daran gehindert haben, in die Welt der Toten zu gehen, nur, um uns etwas vorzuspielen und eventuell unser Vertrauen zu gewinnen.“ „Das sehe ich genau so.“, bestätigte Diran. „Ich will ihn nicht hier gefangen halten. Bis zum natürlichen Ende meines Sifa-Zyklus sind es noch über zehn Monate. Leider bin ich schon einige Tage über die zehnwöchige Frist hinweg, in der ich noch willentlich ein Feld mit Bewusstsein in etwas übertragen könnte. Das bedeutet, dass er noch fast ein Jahr …“ „Ich verstehe dich.“, sagte Sianach und strich ihm über die Schulter. „Aber tu bitte nichts Unüberlegtes.“

Shimar und ich hatten das Gästezimmer in unserem gemeinsamen Quartier für Eludeh hergerichtet. Zirell hatte angeordnet, dass sie jetzt auf keinen Fall allein wohnen sollte. Sie war psychisch extrem mitgenommen und die tindaranische Kommandantin hatte die Befürchtung, dass sich die einzige und mutigste Zeugin vielleicht etwas antun könnte, wenn niemand auf sie aufpassen würde. „Ich habe ein ungutes Gefühl, Kleines.“, flüsterte mir Shimar zu. „Warum denn?“, fragte ich. „Maron wird sie auf die gemeinen Sachen ansprechen, die sie erlebt hat.“, erklärte sich der Tindaraner. „Das wird sie ziemlich aufwühlen.“ „Dafür sind wir ja jetzt da.“, entgegnete ich. „Wir sollen sie ja auch …“ Das Piepen der Sprechanlage unterbrach mich. „Ich werde antworten.“, sagte ich bestimmt und drehte mich zum Mikrofon. „Irgendwas sagt mir, dass es für mich ist.“ „Piept die Anlage dann anders.“, lachte Shimar. „Ja.“, scherzte ich zurück. „Du magst das zwar nicht hören, aber ich kriege solche Dinge durchaus mit. Vertrau mir. Ich kann nicht sehen.“ Hätte ich geahnt, was ich noch erleben sollte, wäre ich mit der Situation sicher nicht so locker umgegangen. „Hier Allrounder Betsy.“, sprach ich ins Mikrofon. „Allrounder, hier ist Agent Maron.“, kam es ziemlich aufgeregt zurück. „Bitte kommen Sie her. Ich benötige Ihre Hilfe bei Eludehs Vernehmung. Ihnen vertraut sie. Wir brauchen Sie sozusagen als psychologischen Beistand.“ Im Hintergrund hörte ich Eludeh schluchzen und fortwährend: „Es tut mir leid, tut mir leid.“, flüstern. „Wäre da nicht Nidell besser geeignet oder sogar Ishan?“, fragte ich zurück. „Ich meine, beide haben eine medizinische Ausbildung und ein Teil davon war ja auch Psychologie. Ich bin nur eine einfache Kommunikationsoffizierin und Raumschiffpilotin. Wie soll ich …“ „Ich brauche Sie!“, unterbrach er mich harsch. „Damit basta!“ Ich hängte das Mikrofon wieder ein. Shimar musste aufgefallen sein, dass ich immer aufgeregter wurde. „Was ist los, Kleines?“, fragte er. „Irgendwas ist mit Eludeh.“, stieß ich hervor. „Maron braucht mich beim Verhör. Nur, ich kriege wahrscheinlich vor Aufregung den Weg nicht hin. Bitte hilf mir.“ „Na komm.“, erwiderte er und hielt mir seinen Arm hin.

Maron war ständig damit beschäftigt, für die verzweifelte Eludeh Taschentücher zu replizieren. „Ich will es ja sagen.“, schluchzte Eludeh. „Aber wenn ich es versuche, zerreißt es mir das Herz.“ „Ist ja gut.“, tröstete Maron und strich ihr über den Kopf.

Mit Erleichterung nahm er bald jenes Sprechanlagenpiepen zur Kenntnis, das Shimar und mich ankündigte. „Bring sie rein und warte draußen!“, befahl der Spionageoffizier in Richtung des jungen Patrouillenfliegers. Shimar nickte und schob mich durch die Tür, die sich nach meinem Eintritt leise schloss. „Eludeh, hey.“, flüsterte ich, während ich auf sie zu ging und sie umarmte. „Der Knackpunkt ist, Allrounder, ich darf als vernehmender Agent ihr keine Suggestivfragen stellen. Am Ende meint ein findiger Jurist noch, ich hätte ihr die Worte in den Mund gelegt. Sie, als psychologischer Beistand, dürften dies schon. Ich würde ja dann nur alles protokollieren müssen. Oh, sie hat mir alles erzählt. Alle kranken Sachen, die der nihillanische Staat so macht. Sie hat sie mir alle erzählt. Sie hat alles bestätigt, was sie auch Ihnen am Grab gesagt hat. Nur scheint es noch etwas viel Schlimmeres zu geben, vor dem sie wahnsinnige Angst haben muss. Es hat wohl mit einer Art von Designerbabies zu tun.“ Als Maron dieses Wort benutzt hatte, begann Eludeh noch einmal, herzzerreißend zu weinen. In mir keimte ein Verdacht. „Können Sie mir zuhören, Eludeh?“, fragte ich. Sie holte ein paar mal tief Luft und sagte dann: „Ja.“ „Bei der natürlichen Fortpflanzung.“, begann ich. „Weiß man ja nie so genau, was dabei rauskommt, nicht wahr?“ Sie nickte. „Könnte das bedeuten, dass der nihillanische Staat das Geschäft der Fortpflanzung ganz der Natur entreißen will und dass nur noch Babies im Reagenzglas gezüchtet werden, die einem gewissen Standard entsprechen, um für bestimmte Arbeiten oder auch geweblich für alle kompatibel zu sein?“ Eludeh nickte erneut. „Sie sagen, dafür sei ich der Grund. Ich habe einen extrem seltenen Gewebetypus, der zu keinem anderen Nihillaner passt. Wenn ich sterbe, ist mein Körper quasi nicht zu gebrauchen und ist damit praktisch Müll. Um das mit den Kindern aus der Fabrik durchzusetzen, werden sie wieder das Militär und die Folter bemühen. Bevor ich in den Widerstand ging, war ich Laborassistentin. Ich könnte Ihnen noch viel mehr sagen.“

Ich musste lachen. „Wie ironisch.“, sagte ich. „Da behauptet ein Volk, hoch entwickelt zu sein und benutzt, um seine Ziele durchzusetzen, Methoden wie im finstersten Mittelalter.“ „Wenn man denkt, wie der nihillanische Staat, Allrounder, dann ist das kein Widerspruch.“, entgegnete Maron. „Folter ist nun mal das effizienteste Mittel, wenn man alle Moral über Bord wirft und genau das haben die Nihillaner ja schon vor langer Zeit getan. Jemand, dem Schmerzen angedroht oder zugefügt werden, wird sich nicht gegen sie stellen.“ Der Gedanke daran schüttelte mich.

Shiranach und Tabran hatten mit ihrem Schiff ebenfalls New-Vendar-Prime erreicht. Sie waren gerade in die Atmosphäre eingetreten und Tabran war im Begriff, das Schiff zu landen. „Hat eigentlich Sytania an dieser Konferenz der Mächtigen teilgenommen?“, fragte Shiranach interessiert. „Nein.“, antwortete Tabran. „Warum kann ich dir allerdings auch nicht sagen. Ich weiß, dass du argumentieren wirst, dass sie ja auch die Zukunft kennen müsste und daher auf ihrer Seite ebenfalls ein großes Interesse bestehen müsste, am Leben zu bleiben.“ Shiranach nickte nur zustimmend. Dann sagte sie: „Sei’s, wie’s sei. Was ihre Motive sind oder nicht werden wir nie ergründen. Lass uns unser Augenmerk nun auf die Jahreswende richten. Ich freue mich besonders schon auf den alten Brauch, mir von den vier Elementen die Zukunft voraussagen zu lassen.“

Spaceforce One hatte sich auf den Weg nach Khitomer begeben. An Bord der Raumjacht, die der Präsidentin gehörte, befanden sich neben der Crew und Nugura selbst auch einige Diplomaten und Saron. Dieser war in seinem Quartier damit beschäftigt, die eilig verfassten Notizen über Nuguras Albtraum ins Reine zu schreiben. Dabei stolperte er über Fehler, die er sonst nie gemacht hatte. „Mutter Schicksal!“, rief er aus. „Jeder Schuljunge kann das besser. Was für eine Sauklaue. Hätte ich doch nur den akustischen Aufnahmemodus eingeschaltet.“

Er legte das Pad beiseite und dachte nach. All diese Dinge, die Logar Nugura gezeigt hatte, waren im Grunde schon erschreckend. Seine Chefin hatte zwar gesagt, dass diese Art der Illustration sehr mittelalterlich gefärbt gewesen sei und, dass die Nihillaner in Wahrheit viel feinsinnigere Wege kannten, ihre Ziele durchzusetzen. Aber – und dabei hatte sie noch mitleidig geschaut – Logar konnte ja nichts dafür. Er war eben Herrscher einer Dimension mit recht mittelalterlicher, ja fast märchenartiger, Struktur.

Irgendwie wollte aber alles nicht so richtig zusammenpassen. Gab es das denn wirklich? Gab es wirklich feinsinnige Wege, die ein Staat nutzen konnte, um sogar in die intimsten Dinge seiner Bewohner einzugreifen? Gab es eine feinsinnige Art, jemandem den Glauben zu verbieten? War es feinsinnig, genetische Experimente ohne moralische und gewissentliche Hinterfragung durchzuführen, nur weil man wissenschaftlich dazu in der Lage war? Und, war es vor allem feinsinnig, das alles mit Gewalt, wie auch immer diese geartet war, durchzusetzen? Auch, wenn die Nihillaner keine Äxte, sondern Phaser benutzten, oder keine Sägen und Schwerter, sondern Laserskalpelle, es war und blieb Gewalt. Zweifel nagten sich von unten durch den Bauch des demetanischen Sekretärs, bis sie oben im Kopf angelangt waren. Zweifel an der Richtigkeit dessen, was Nugura vorhatte. Nein! Er musste noch einmal mit ihr reden. Er musste versuchen, sie von diesem Schritt abzubringen. Sie war ja so begeistert von der Politik Ethius’. Sie wollte diese ja am Liebsten für die gesamte Föderation. Nein! Das durfte nicht geschehen! Sicher, die Nihillaner hatten hoch entwickelte Technologie und waren bereit, diese mit der Föderation zu teilen, aber zu welchem Preis? Waren diese Technik und neue Errungenschaften der Wissenschaft es wirklich wert, dafür sämtliche Freiheit aufzugeben? Was hatte dieser Ethius nur versprochen, auf das Nugura so blind hereingefallen war?!

Saron trat aus der Tür des eher unscheinbar eingerichteten Raumes auf einen schmalen Gang, der ihn zu einem Turbolift führte. Das Pad mit den Informationen aus Nuguras Albtraum hatte er bei sich. Noch einmal wollte er sie damit konfrontieren. Noch einmal wollte er ihr verdeutlichen, was Logar ihr hatte zeigen wollen. Saron hatte im Gegensatz zu ihr verstanden, dass es Logar nicht um Haarspalterei im Sinne von: Benutzt man eine Axt oder ein Laserskalpell ging. Dem Demetaner war klar, dass dies nur als Metapher gemeint sein konnte.

Einige Decks weiter oben stieg er wieder aus dem Lift. Er orientierte sich kurz und bog dann in den Gang zum Aussichtsraum ein. Hier würde er Nugura finden, das wusste er. Immer, wenn Spaceforce One nach Khitomer flog, hielt sich die Präsidentin dort auf, sobald dass Schiff im Sonnensystem angekommen war. Diese Marotte seiner Chefin erinnerte Saron an die ihm nur aus Geschichtsbüchern bekannten Verhaltensweisen mittelalterlicher Herrscher, die oft auch bei der Ankunft in einem ihnen gehörenden Gebiet aus dem Kutschfenster geblickt hatten und ihren Blick ungefähr in der Art schweifen ließen, wie Nugura es selbst tat. Saron fand, dass dies aussah, als wollte sie sagen: „Seht her, das ist alles meins.“ Allerdings hatte sie sich dies erst angewöhnt, so hatte er beobachtet, seit sie mit Nihilla verhandelte.

Er legte einen Finger auf den Türsensor, worauf die Türen des Aussichtsraumes auseinander glitten. Dann betrat er den Raum langsam.

Nugura saß an einem der großen Fenster auf einem mit kompliziertem Rankenmuster versehenen blauen Sofa. Ihr Blick war starr auf Khitomer gerichtet, das jetzt langsam in Sicht kam.

Saron ging mit fast ehrfürchtigen Schritten näher. „Madam President?“, sprach er sie leise an. Nugura drehte sich um. „Saron.“, entgegnete sie fast überrascht. „Was führt Sie zu mir? Setzen Sie sich doch.“ Sie rückte zur Seite und überließ ihm den angewärmten Platz, als wäre er gerade aus Eiseskälte gekommen. Was war nur mit ihr passiert, seit sie Ethius kannte? Hielt sie denn seither alle Anderen für dumme Kinder, um die nur sie sich kümmern konnte, weil Ethius und sie als einzige das Wissen und die Macht dazu hatten?

Saron beschloss, ein Zeichen zu setzen. Er ging demonstrativ zu einem anderen Sessel und setzte sich darauf. Das würde er ja wohl noch dürfen. Schließlich war er lediglich Nuguras Sekretär und nicht ihr Leibeigener. Überrascht von seinem Verhalten schaute Nugura ihn fragend an. „Ich habe meine Gründe, Madam President!“, erklärte Saron, nachdem er einige Male tief Luft holen musste, bevor er diese Worte aus seinem Mund bekam. Noch nie hatte er ihr so offen widersprochen. „Es geht doch nicht etwa um meinen Traum, oder?“, fragte Nugura mit einem Sarons Meinung nach geheuchelten Verständnis.

Saron stand auf und erwiderte: „Doch, Madam President, genau um den geht es.“ Er machte einige feste Schritte in die Mitte des Raumes wie ein Redner, der unbedingt vor etwas warnen muss. „Sicher ist der Traum nicht ganz wörtlich zu nehmen, aber die von Logar benutzten Metaphern haben durchaus ihren Sinn.“, begann er, aber sie fiel ihm ins Wort: „Lassen Sie gefälligst Ihre Unkenrufe, Mr. Saron. Logar kann mit seinem Verhalten vielleicht die Bauern in seiner Dimension erschrecken. Aber mich, eine gestandene Präsidentin einer warpfähigen Macht, mich nicht.“ Da war sie wieder! Die Warpfähigkeit schwebte wie der heilige Gral über allem. Aber Saron war sicher, dass dieser sich irgendwann in ein Damoklesschwert verwandeln würde. Dieser Augenblick war, seiner Meinung nach, gar nicht mehr so fern.

Evain selbst hatte es sich nicht nehmen lassen, ihren Präsidenten mit einem Shuttle nach Khitomer zu fliegen. Das Shuttle war nicht sehr luxuriös ausgestattet. Es handelte sich um ein normales Militärshuttle. Ethius saß neben ihr auf dem Sitz, den eigentlich sonst der Waffenoffizier besetzte.

„Es gibt Besorgnis erregende SITCH-Mails zwischen den Verbündeten der Föderation und ihr selbst.“, stellte Ethius fest. „Was steht in diesen Mails, dass Sie mich darauf ansprechen, Allverstehender Präsident?“, fragte Evain zurück. „Die Verbündeten, besonders diese Tindaraner.“, begann Ethius. „Warnen die Föderation vor uns. Sie sagen, wir würden alle soziale Entwicklung, die die Föderation bisher gemacht hatte, zerstören.“

Evain lachte auf. „Wir werden sie nicht nur zerstören, Allverstehender Präsident, wir werden sie vernichten. Behinderte und Kranke mitzuschleppen ist nicht effizient. Die Evolution zeigt das. Jede Rasse, die schwach ist, stirbt aus. Die Föderation ist mit ihrem Sozialgetue auf dem Holzweg und es sieht aus, als würde Nugura das eingesehen haben.“ „Warum ich Sie darauf angesprochen habe, will ich Ihnen jetzt erklären.“, sagte Ethius. „Ich benötige eine Strategie, wie wir mit diesen Leuten umgehen sollen. Es darf ihnen nicht gelingen, Misstrauen zu sähen.“ „Wir sollten diesen Leuten das Maul stopfen, indem wir sie überraschen.“, antwortete Evain. „Beispielsweise sollten wir das Töten von Kranken und Behinderten solange aussetzen, bis sie nicht mehr hinschauen.“ „Evain!“, unterbrach Ethius. Sie aber sprach weiter: „Ich weiß, es ist auf den ersten Blick nicht effizient, aber wenn die Tindaraner denken, wir hätten uns geändert, haben wir ziemlich viel gewonnen. Wenn sie nicht mehr hinsehen, werden wir wieder nach dem alten Muster verfahren.“ Ethius pfiff durch die Zähne: „Evain, oh, Evain! Ich weiß schon, warum ich Sie zu meiner obersten Generalin gemacht habe.“ Wie sehr die Beiden mir damit noch in die Hand spielen sollten, ahnten sie nicht.

Noch einmal war Maron die Aufzeichnungen der Wanze und Eludehs Aussage mit Zirell durchgegangen. „Unfassbar!“, rief die Tindaranerin aus. „Besonders stört mich dieser Sex-TÜV und die Art, wie mit Andersdenkenden verfahren wird. Die Zusammenkunft kennt die Ergebnisse auch. Falls Nugura den Vertrag unterzeichnen wird, werden wir uns von der Föderation lösen.“ „Zirell!“, entgegnete Maron erschrocken. Wenn das geschieht, während ich beurlaubt bin, kann ich nicht zurückkehren. Bitte überlege dir deinen Entschluss noch einmal.“ „Da gibt es nichts zu überlegen.“, entgegnete sie hart. „Das hast du dir selbst zuzuschreiben.“

Shimar, Eludeh und ich waren wieder in unserem gemeinsamen Quartier angekommen. Shimar hatte uns abgeholt, weil ich ihm gesagt hatte, wie fertig Eludeh war. Sie hatte sich ins Gästezimmer zurückgezogen. Hier hatte sie das Ei, welches sie von nun an ständig in ihrer Kleidung verbarg, bei sich und war dabei, es selbst auszubrüten. Shimar und ich hatten sie nicht überzeugen können, dies einem Brutschrank auf der sicheren Krankenstation zu überlassen.

„Ich hätte euch ohnehin abgeholt, Kleines.“, erklärte Shimar. „Ich habe euch nämlich gesehen.“ „Gesehen?“, fragte ich irritiert. „Tindaraner bauen eine unterbewusste telepathische Verbindung zu jemandem auf, wenn sie mit demjenigen eine positive Beziehung haben. Wenn wir mit dieser Person dann in der gleichen Dimension sind, können wir diese Verbindung nutzen, um sie notfalls beschützen zu können.“ „Srinadar!“, entgegnete ich. „Das ist ja echt süß von dir.“ „Bedank dich bei Mutter Natur.“, meinte Shimar bescheiden. Dann fiel ihm auf, wie ich ihn genannt hatte. „Warum nennst du mich Seelenheld.“, fragte er. „Nun.“, erwiderte ich. „Du hast mir einen Kosenamen in meiner Sprache gegeben. Du nennst mich Kleines. Da wollte ich dir eben einen Kosenamen in deiner Sprache geben. IDUSA war meine Komplizin.“ „Hättest du dir nicht etwas Bescheideneres ausdenken können?“, fragte er und ich konnte gut heraushören, dass es ihm peinlich war. „Nein, eben nicht, weil es die Wahrheit ist.“, antwortete ich. „Du hast meine Angst vor Telepathie besiegt und …“

Ein plötzliches Signal ließ uns aufhorchen. Shimar warf einen kurzen Blick zum Display der Sprechanlagenkonsole, auf der auch IDUSAs Meldungen angezeigt wurden. „Die Station ist auf Alarm gelb.“, erklärte er. „Kümmere dich bitte um Eludeh, Kleines. Bring sie in die Bunkerkapsel. Sag IDUSA, sie soll dich mit Hilfe deines Sprechgerätes dort hin dirigieren. Ich muss leider gehen. Zirell will mich sprechen.“ Er witschte aus der Tür.

Ich begab mich ins Gästezimmer und holte Eludeh ab. Dann befahl ich IDUSA, mich über mein Sprechgerät zur Bunkerkapsel zu dirigieren. Ihre Ausdrucksweise hierbei erinnerte mich stark an die Formulierungen bekannter Navigationssysteme aus meinem Heimatjahrhundert, die von Autofahrern benutzt wurden.

Shimar hatte Zirells Bereitschaftsraum erreicht. „Du wolltest mich sprechen?“, wendete er sich an seine Vorgesetzte. Ohne Umschweife kam Zirell gleich zur Sache: „Bring Maron mit IDUSA in die Dimension der Föderation. Dort findet gerade die Vertragsunterzeichnung auf Camp Khitomer statt. Ihr müsst verhindern, dass es dazu kommt. Maron hat die Beweise bei sich. Jenna hat IDUSA bereits gewartet. Sie ist abflugbereit. Schnell!“ Shimar nickte und winkte Maron, der ihm sofort folgte.

Kapitel 10: Aufregende Ereignisse

von Visitor

 

Eludeh und ich waren in der Bunkerkapsel angekommen. Sie war relativ spartanisch eingerichtet, zumindest im Vergleich zu einem normalen Quartier. Außerdem gab es keine Sprechanlage, denn jede elektronische Aktivität hätte einem Feind ja verraten können, dass sich jemand darin befände. Biozeichen wurden durch die spezielle Bauweise nach außen abgeschirmt. „Warum will Zirell, dass wir uns hier aufhalten, Allrounder?“, fragte Eludeh. „Hier sind Sie am sichersten.“, entgegnete ich. „Sie befürchtet wohl, dass Ihre Leute sie holen kommen könnten.“

Maron und Shimar waren unterwegs. Der Tindaraner hatte das Shuttle auf Marons Befehl dicht bei Khitomer aus dem Interdimensionsmodus genommen. So dicht, wie es sich noch niemand vor ihm getraut hatte. „Jetzt weißt du, warum sie mich mitgeschickt hat.“, sagte Shimar. „Allerdings.“, entgegnete Maron. „Du bist der einzige Pilot, der sich solche halsbrecherischen Dinge traut. Sag IDUSA, sie soll mich direkt in den Konferenzraum beamen.“ „Das kann sie nicht.“, entgegnete Shimar. „Was soll das heißen?“, fragte Maron empört.

Shimar nahm einen zweiten Neurokoppler aus einem Fach unter IDUSAs Steuerkonsole, gab ihn Maron und befahl dem Schiff, dessen Reaktionstabelle zu laden. „Über dem Gebäude.“, begann IDUSA. „Befindet sich ein nihillanisches Militärshuttle mit einem aktiven Transporterscrambler an Bord. Ich kann Sie aber in eine Jeffriesröhre in der Nähe beamen.“ „Auch gut.“, antwortete Maron. „Solange ich dort in einem Stück ankomme, soll es mir recht sein. Den Weg finde ich dann schon.“

Diverse Politiker von Rang und Namen hatten sich im großen Saal eingefunden. Auch Ethius war von Evain dort hin gebeamt worden. Selbstverständlich hatte sie zu diesem Zweck den Transporterscrambler kurzzeitig deaktiviert. Jetzt hatte sie Befehl, mit dem Schiff über Khitomer zu warten. Die Interdimensionsminen, die das nihillanische Militär in der interdimensionalen Schicht ausgelegt hatte, sollte sie nur dann aktivieren, wenn etwas nicht nach Plan lief.

Nugura stand am Rednerpult. „Heute ist ein denkwürdiger Tag.“, begann sie eine Rede. „Heute werden wir Nihilla in die Föderation aufnehmen. Ich bitte daher jetzt Präsident Ethius von Nihilla zu mir, damit wir gemeinsam den Vertrag unterzeichnen können. Lange Verhandlungen liegen hinter uns. Ja, sehr lange, in denen es sicher auch große Klüfte zu überwinden gab. Aber das ist uns jetzt ja gelungen.“

Dass Nugura mit ihrem letzten Satz eigentlich gelogen hatte, war Maron, der inzwischen sehr nah am Ort des Geschehens war, bewusst. Er wusste, dass Nugura sich Ethius geradezu angebiedert hatte. „Beeil dich, verdammt noch mal!“, motivierte er sich. „Zu dieser verdammten Unterzeichnung darf es nicht kommen! Los, such endlich diese verdammte Einstiegsluke!“

Ängstlich saß Eludeh neben mir im Bunker. Sie hielt das Ei fest an sich geschmiegt. Es hatte die Größe eines Straußeneies und seine Schale entsprach auch dieser Dicke.

Plötzlich stieß sie mich an. „Ich glaube, das Kleine will raus!“, rief sie mit sorgenvoller Stimme. Ich überlegte, wie ich das verifizieren konnte. Meinen Erfasser hatte ich nicht bei mir. Aber Gott sei Dank hatte ich ja zwei gesunde Ohren. „Geben Sie mir das Ei.“, sagte ich freundlich aber bestimmt. Eludeh übergab es vorsichtig an mich. Ich legte mein rechtes Ohr an die Schale. Jetzt hörte ich ein gleichmäßiges Ticken. „Eludeh?“, wandte ich mich an sie. „Wo ist bei euren Eiern die dünnste Stelle?“ „An der stumpfen Seite.“, antwortete sie. Dann fügte sie hinzu: „Hören Sie es etwa dort?“ Ich nickte und sie gab einen Angstschrei von sich. „Es ist zu früh!“, rief sie sorgenvoll. „Es ist eine ganze Woche zu früh!“ Ishan., dachte ich. Du musst irgendwie Ishan erreichen. „Hören Sie zu, Eludeh.“, erklärte ich. „Wir haben zwar keine Sprechanlage und IDUSA hat die Türen des Bunkers protokollgemäß verriegelt, aber ich habe mein Handsprechgerät. Damit werde ich jetzt versuchen, Ishan zu erreichen, damit er uns Anweisungen geben kann.“ „OK.“, antwortete Eludeh.

Unter tosendem Applaus war Ethius zu Nugura auf die Bühne vor das Rednerpult getreten. Hier hatte er von Saron das Pad mit dem Vertrag entgegengenommen. „Ethius, Staatsoberhaupt der Nihillaner.“, hatte er seine akustische Unterschrift darunter gesetzt.

Atemlos zwängte sich Maron unter großen Anstrengungen aus der Jeffriesröhre. Morgen fange ich eine Diät an., dachte er. Dann stürzte er auf Nugura, die inzwischen das Pad in der Hand hielt, zu. „Nein, Madam President!“, begann er. „Die Nihillaner wollen unsere Grundordnung vernichten. Sie sind Terroristen, Feinde. Nein, Nugura, nein, unterschreiben Sie nicht! Ich habe Beweise! Bitte, un-ter-schrei-ben-Sie-nicht!“ „Nugura, Präsidentin der Föderation der vereinten Planeten.“, hörte Maron sie sagen. Jetzt wusste er, dass seine und Shimars Mission gescheitert war.

Er hörte das Surren eines Transporters und stand bald im Cockpit neben dem auf seinem Platz sitzenden Shimar. „Die Nihillaner haben den Scrambler abgeschaltet.“, erklärte der tindaranische Pilot. „Warum nicht.“, entgegnete der demetanische Spionageoffizier niedergeschlagen, bevor er sich setzte. „Jetzt haben sie ja, was sie wollen.“ „Soll das heißen …“, setzte Shimar an. „Ja verdammt!“, bestätigte Maron. „Sie hat unterschrieben. Unsere Mission ist gescheitert. Bring uns nach Hause.“

Ich hatte Ishan erreicht, allerdings hatte mich mein Sprechgerät darauf aufmerksam gemacht, dass die Verbindung sehr schlecht sein würde. Durch die vielen Panzerungen, die den Bunker umgaben, war dies aber kein Wunder. Der Computer hatte mir außerdem mitgeteilt, dass eine Bildverbindung gar nicht möglich sei und mich gefragt, ob ich die Verbindung trotzdem aufbauen möchte. Dies hatte ich bejaht. Mir war es ohnehin egal, ob Bild oder nicht Bild und das, was wichtig war, würde ich Ishan schon beschreiben können. Das Rauschen und Knacken der Verbindung erinnerte mich tatsächlich an die alten Funkgeräte in meinem Jahrhundert und nicht an unsere hier im 30. Jahrhundert verbreitete SITCH-Kommunikation. Als gelernte Kommunikationsoffizierin wusste ich aber, wie ich mich jetzt verhalten musste. Langsames und deutliches Sprechen war jetzt angesagt, jawohl. Außerdem würde ich Zahlen Ziffernweise durchgeben müssen. „Was ist, wenn es zwischen Ishan und Ihnen Missverständnisse gibt?“, fragte Eludeh besorgt. „Dazu werde ich es nicht kommen lassen, haben Sie verstanden?“, entgegnete ich.

„Welche Art ist Ihr medizinisches Problem?“, hörte ich Ishan fragen. „Eludehs Kind schlüpft!“, erklärte ich bestimmt. „Sie sagt, es sei noch eine ganze Woche zu früh.“ „Meinen Berechnungen zufolge ist das korrekt.“, erwiderte der Androide. „Finden Sie heraus, ob es bereits die Schale mit seinem Eizahn bearbeitet.“ „Tut es.“, bestätigte ich. „Suchen Sie die angefangene Fuge. Sagen Sie mir, ob sie einen regelmäßigen Kreis bildet und wie viel Grad dieser bereits beträgt. Wenn Sie die Fuge nicht ertasten können, soll Eludeh Ihnen optisch helfen.“, wies er mich an. Die ruhige Stimme des Arztes hatte auch Eludeh etwas beruhigt. Sie führte meine Hand auf die Fuge an der flachen Seite des Eies. Ich folgte der Fuge mit meinem Finger. Sie war bereits zu drei Vierteln geschlossen, aber regelmäßig. Ich nahm das Mikrofon meines Sprechgerätes wieder in die Hand und sagte: „Ishan, der Kreis beträgt 270 Grad und ist regelmäßig. Wiederhole: 2, 7, 0 und regelmäßig.“ „Sehr schön.“, entgegnete Ishan ruhig. „Wie ist die Aktivität des Kleinen?“ „Rege!“, antwortete ich. „Es macht weiter und weiter.“ „In Ordnung.“, erwiderte Ishan. „Sagen Sie sofort Bescheid, wenn sich etwas verändert.“

Evain und Ethius warteten in der interdimensionalen Schicht. Die Generalin hatte die Minen aktiviert. „Durch diese hohle Gasse müssen sie kommen.“, lachte sie schadenfroh. „Nach Hause kommen sie nicht. Wir werden sie vernichten und die Beweise gegen uns obendrein.“

Ein jäher Ruck ging durch IDUSA, gleich nachdem Shimar den interdimensionalen Antrieb aktiviert hatte. Er musste sämtliche Fliegertricks aus dem Ärmel zaubern, um das Schiff zu stabilisieren. „Was war das denn?“, erkundigte sich Maron. „Wir sind auf eine Interdimensionsmine gelaufen.“, erklärte IDUSA. „50 % meines Interdimensionsantriebes sind zerstört. Die anderen 50 werden durch eine Sonde, die sich daran geheftet hat, so mit Energie versorgt, dass eine Hälfte von mir außer Phase ist und die andere nicht, egal, ob Shimar den Antrieb deaktiviert oder nicht. Fortbeamen kann ich die Sonde nicht, weil die Auflösung meines Transporters nicht ausreicht. Ich würde Gefahr laufen, einen Teil der Spule mitzunehmen. Bitte lassen Sie sich etwas einfallen. Sonst erledigen die Scherkräfte meine Hülle.“

Eludeh hielt das Ei, aber ich hatte, wie Ishan es mir gesagt hatte, immer eine Hand auf der Fuge. Plötzlich fiel mir auf, dass der Kreis sich nicht weiter schloss. Ich erkannte aber, dass das Kleine versuchen musste, die Kappe abzusprengen, obwohl dies noch gar nicht funktionieren konnte. Dies teilte ich Ishan mit. „Erinnern Sie Eludeh, dass sie Berührungstelepathin ist!“, befahl Ishan mir. Ich war zwar eigentlich Brückenoffizierin, aber in medizinischen Angelegenheiten hatte automatisch der anwesende Arzt den höchsten Rang. „Sie muss dem Kleinen Ruhe vermitteln. Das geht, wenn sie das Ei hält.“ „Aye, Sir.“, erwiderte ich. Dann wendete ich mich an Eludeh: „Sie sind Berührungstelepathin und Sie halten das Ei. Sie müssen versuchen, Ihre Angst weg zu schieben und ihrem Kind Ruhe zu vermitteln. Im Augenblick hat es selbst solche Panik, dass es nicht weiß, was es tut. Die vergebliche Anstrengung kann es töten. Es verbraucht zu viel Sauerstoff, von dem es im Ei ohnehin nur etwas in der Luftblase über seinem Kopf hat.“ „Ich versuche es.“, antwortete Eludeh.

„Es gibt nur eine Möglichkeit.“, erklärte Shimar. „IDUSA muss den Interdimensionsantrieb abkoppeln.“ „Bist du wahnsinnig!“, empörte sich Maron. „Wenn sie das tut, fallen wir ins Föderationsuniversum zurück und verglühen in der Atmosphäre von Khitomer, weil du es mit Sicherheit nicht schaffst, den normalen Antrieb rechtzeitig zu aktivieren. Die Vorlaufzeit ist zu lang.“ „Nicht für die Atmosphärentriebwerke.“, antwortete Shimar. „Das klappt nie!“, rief Maron aus. „Dazu müssten wir ja in der Atmosphäre sein und ich habe gerade gesagt, dass wir verglühen werden, wenn wir …“ „Nicht, wenn ich die Trägheitsdämpfer hochdrehe, sobald wir anfangen zu fallen.“, fiel ihm Shimar ins Wort. „Das verlangsamt uns. Wenn wir hier noch lange diskutieren, brauchen wir das so wie so nicht mehr zu versuchen. IDUSAs Hülle weist bereits Mikrorisse auf. Also, entscheide dich! Sterben, oder mir vertrauen!“ „Ich hasse es, wenn man mich unter Druck setzt!“, erwiderte Maron. „IDUSA, was meinst du dazu?“ „In 99,999 % der Fälle.“, begann das Schiff. „Haben Shimars Manöver funktioniert, auch, wenn sie sicher in keinem Flughandbuch stehen. Aber ich finde, man sollte sie reinschreiben. Deshalb stimme ich zu.“ „Na gut.“, sagte Maron. „Geht doch.“, entgegnete Shimar. „IDUSA, Magnetverriegelungen für Interdimensionsantrieb freigeben. Befehlscode: Shimar, S, 6, 5, 3, 2, 9, 0, Freigabe.“ Klickend löste sich das Schiff von ihrem interdimensionalen Antriebsmodul, von dem bald in der Atmosphäre von Khitomer nur noch ein heller Feuerschein übrig war. „Dann will ich mal dafür sorgen, dass es uns nicht genau so geht.“, sagte Shimar motivierend und erhöhte langsam die Leistung der Trägheitsdämpfer.

Beruhigt hatte ich festgestellt, dass Eludehs Kind sich angeschickt hatte, doch lieber die Fuge zu Ende zu picken. „Es ist fast rum, Eludeh.“, informierte ich sie. „Wenn es anfängt, die Schale abzusprengen, müssen wir …“ Eludeh begann zu weinen. „Es ist dafür zu erschöpft, Allrounder.“, schluchzte sie. „Es wird sterben. Oh, es wird sterben.“ Ich nahm das Mikrofon meines Sprechgerätes: „Ishan, wir benötigen Hilfe. Ishan, Ishan!“ Die ohnehin schlechte Verbindung war zusammengebrochen. Jetzt waren Eludeh und ich auf uns gestellt, denn der Computer würde sie nicht wieder aufbauen können.

Shimar hatte konzentriert auf einen Punkt gesehen, um durch den plötzlichen schnellen Fall nicht die Orientierung zu verlieren. Die G-Kräfte drückten beide so sehr in den Sitz, dass Maron sich eine Tüte replizierte, in die er seinen gesamten Mageninhalt entließ. „Hochziehen!“, befahl er. „Zieh sie endlich hoch, verdammt. Wir treffen gleich auf die Atmosphäre! Mach was!“ „Es ist noch zu früh!“, erwiderte Shimar konzentriert. „Und hör gefälligst auf, hier so eine Hektik zu verbreiten. Wer hat denn hier wohl Ahnung vom Fliegen, he, ich oder du?!“ Maron deutete in seine Richtung. „Na also. Finde ich gut, dass du das einsiehst!“

„OK, Eludeh.“, sagte ich, nachdem ich erneut über die Fuge getastet hatte. „Der Kreis ist geschlossen. Leider macht das Kleine keine Versuche, die Kappe abzusprengen. Ich habe auch keinen Gegenstand, mit dem ich unter die Kappe haken könnte.“

Sie setzte das Ei ab und gab einen verzweifelten Schrei von sich, nach dem sie mich fest umarmte. „Bitte, bitte sorgen Sie dafür, Allrounder, dass mein Kind auf Tindara beerdigt werden kann!“, schluchzte sie. „Dort wäre es zumindest sicher.

Maron hatte das Gefühl, als sei er auf einem Trampolin gelandet. Shimar hatte endlich IDUSAs Atmosphärentriebwerke gezündet und das Schiff mit einer großen ruhigen Aufwärtsbewegung abgefangen. Jetzt steuerte er es langsam in den Weltraum zurück. „Na Glückwunsch.“, gratulierte Maron. „Aber, wie kommen wir jetzt nach Hause. Es gibt keine interdimensionale Pforte in die Tindara-Dimension.“ „IDUSAs Interdimensionstransceaver funktioniert.“, antwortete der völlig abgekämpfte Shimar. „Ich werde einen Notruf absetzen.“

Eludeh stieß mich plötzlich weg. „Das Ei bewegt sich.“, begründete sie. Laut meinem physikalischen Verständnis konnte dies nur zwei Dinge bedeuten. Eludehs Baby lebte und hatte noch nicht aufgegeben. Die Physik würde uns jetzt auch eine große Hilfe sein. Ich griff nach dem Ei und hielt es so, dass die stumpfe Seite schräg nach unten zeigte. „Was machen Sie da!“, rief Eludeh entsetzt. „Ich sorge dafür, dass die Schwerkraft dem Kleinen hilft, die Kappe abzusprengen.“, erklärte ich. „Halten Sie Ihre Hände drunter. Sie müssen es auffangen, sonst landet es Kopf voran auf dem Boden und bricht sich vielleicht noch das Genick.“ Kaum hatte ich ausgesprochen, drang ein Knacken an mein Ohr. Dieses verriet mir, dass die Kappe abgesprengt war. Eludeh fing das kleine amphibische Wesen, das dem Ei entschlüpft war, auf. „Ich habe einen Sohn.“, lächelte sie. „Oh, Sie waren eine wunderbare Schlupfhelferin, Allrounder.“

Die Bunkertüren entriegelten sich. Herein kam Zirell. Ihrer Miene nach war sie nicht sehr fröhlich gestimmt. „Ich habe schlechte Nachrichten.“, begann sie. „Maron und Shimar konnten nicht verhindern, dass Nugura den Vertrag unterschreibt. IDUSA musste ihren interdimensionalen Antrieb opfern. Sie wird von einem Rettungsschiff nach Hause geschleppt. Es gibt noch eine kurze Frist, dann löst sich Tindara offiziell von der Föderation.“ Ihr Blick fiel auf das, was gerade geschehen war. „Na, euch bringe ich erst mal auf die Krankenstation.“, sagte sie.

IDUSA kreiste in der Umlaufbahn um Khitomer. Hier waren sie mit dem Schleppschiff verabredet. „Danke.“, sagte Maron. „Für was bedankst du dich?“, fragte Shimar verwundert. „Ich bedanke mich dafür, dass du dich nicht von meiner Panik hast anstecken lassen, sondern dein Ding durchgezogen hast. Wir haben zwar IDUSAs Interdimensionsantrieb verloren, aber das kriegt Mc’Knight schon wieder hin. Sie hat schließlich guten Kontakt zu Werften.“ „Das stimmt.“, bestätigte Shimar.

Eine kurze Zeit verging, als IDUSA plötzlich beide Tabellen lud und sagte: „Gentlemen, da kommt was auf uns zu.“ Shimar saß auf der Stelle kerzengrade in seinem Sitz. „Was siehst du?“, fragte er. „Ist es das Schleppschiff?“, „Nicht direkt.“, antwortete der Schiffsavatar und zeigte ihm die Sensorenbilder. „Das sieht aus wie ein Wurmloch, das sich auf uns zu bewegt.“, stellte Maron, der auch alles sehen konnte, was das Schiff ihnen zeigte, fest. „Es ist ein interdimensionales Wurmloch.“, analysierte IDUSA. „Es scheint von einer Neuralsignatur gesteuert zu werden.“ „Kannst du sie identifizieren, IDUSA?“, wendete sich Maron an das Schiff. „Sie nicht.“, erwiderte Shimar und gab IDUSA den Gedankenbefehl zum Aktivieren ihres Antriebs. „Aber ich schon.“ „Warte mal!“, rief Maron. „Das Schleppschiff wird uns doch suchen.“ „Das werden sie.“, erwiderte Shimar. „Aber wir müssen auf jeden Fall diesem Ding entkommen.“ „Warum?“, fragte der Demetaner. „Weil es sich um Sytanias Signatur handelt.“, sagte der telepathische Patrouillenpilot erschauernd. „Das hat uns gerade noch gefehlt.“, stellte der Ermittler fest. „Hol alles aus IDUSA raus, was geht!“

Wieder ging ein Ruck durch das Schiff. „Das Phänomen hat mein Heck erfasst.“, erklärte IDUSA. „Schon gut.“, entgegnete Shimar und drosselte ihren Antrieb. „Was machst du denn?!“, entsetzte sich Maron. „Das will ich dir sagen.“, erwiderte der Tindaraner. „Ich rette unser Leben. Sich mit einem Phänomen anzulegen, ist der falsche Weg. Ich kann nur versuchen, IDUSA stabil zu halten. Alles andere wäre glatter Selbstmord. Ihre Hülle würde das nicht aushalten, geschweige denn ihr Antrieb. Drück mir bloß die Daumen, dass ich sie in diesem Wirbel halten kann, jetzt, wo ihr etwas von ihrem Rumpf fehlt.“ „Ich wünschte, ich wäre Lione.“, entgegnete Maron. „Dann hätte ich vier Daumen, die ich dir drücken könnte.“ „Deine zwei demetanischen müssen reichen.“, sagte Shimar und fügte hinzu: „Festgehalten!“

IDUSA schlängelte sich durch die Wirbelspirale. Dabei versuchte Shimar, keine schnellen oder hektischen Steuerbewegungen zu machen. Mit langsamen großen Bewegungen ließ er das Schiff den Windungen folgen. Er wusste, zu schnell zu steuern, oder gar das genaue Gegenteil der Windungsrichtung zu wollen, würde in die Hose gehen. Endlich gab der Interdimensionswirbel sie wieder frei. „Koordinatenfeststellung, IDUSA.“, befahl Maron. „Wo sind wir?“ „Laut dem grundenergetischen Level, das hier herrscht, sind wir in der tindaranischen Dimension.“, antwortete das Schiff. „Kannst du dir vorstellen, dass Sytania uns geholfen hat?“, fragte Maron Shimar. „Eigentlich nicht.“, erwiderte dieser. „Aber es scheint ja so gewesen zu sein. Über ihre Motive kann man sicher spekulieren, aber …“ „Wir sollten Zirell nichts davon sagen.“, schlug der Demetaner vor. „Sie würde uns sicher nicht glauben.“ Shimar nickte.

Zirell, Eludeh und ich waren auf dem Weg zur Krankenstation. Zirell marschierte uns voran, dann kam Eludeh mit ihrem Kind auf dem Arm, das in seiner Gestalt leicht an einen Salamander erinnerte, nur eben um einiges größer. Ich bildete das Schlusslicht mit der Eierschale in der Hand. Dass Zirell uns persönlich in der Bunkerkapsel aufgesucht hatte, wunderte mich nicht wirklich. Wahrscheinlich war dieses Verhalten bei tindaranischen Stationskommandanten normal. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Sternenflottencommander – auch in der heutigen Zeit – so etwas tun würde.

Wir betraten Ishans Sprechzimmer. Der androide Arzt warf einen kurzen Blick auf die Prozession, die seinen Arbeitsraum betreten hatte. „Dann haben Sie es ja wohl allein hingekriegt, Allrounder.“, wendete sich Ishan an mich, bevor er zu Eludeh sagte: „Legen Sie den Kleinen bitte auf diesen Behandlungstisch.“ Meine nihillanische Freundin tat, was Ishan ihr gesagt hatte. Dieser begann auch sofort, den Kleinen zu untersuchen. „Sie haben einen gesunden kleinen Jungen, Eludeh.“, erklärte er. „Die Woche, die er zu früh geschlüpft ist, scheint ihm nicht wirklich etwas ausgemacht zu haben, aber ich werde ihn in jedem Fall noch diese Nacht zur Beobachtung hier behalten.“ Eludeh nickte verständig.

„Ich muss euch leider allein lassen.“, sagte Zirell, nachdem sie auf ein Signal ihres Sprechgerätes reagiert hatte. „Aber ich denke, ihr kommt schon zurecht.“ Damit verließ sie die Krankenstation.

Mir war aufgefallen, dass der Kleine eine Unmenge hoher kurzer Quaklaute von sich gab. „Wie süß er quakt!“, rief ich entzückt aus. „Ja!“, bestätigte Eludeh nicht weniger angetan. „Das ist so etwas wie bei euch Babygeschrei.“ „Solange er das tut.“, klärte mich Ishan auf. „Ist er bei Bewusstsein und das heißt, sein Zustand ist unkritisch.“ „Möchten Sie ihn mal halten, Betsy?“, fragte Eludeh. „Wenn ich darf?“, fragte ich höflich zurück. „Wenn Sie nicht dürften, hätte ich es sicher nicht angeboten.“, lächelte Eludeh. Dann gab sie mir das kleine Wesen auf den Arm. Seine Haut war kühl und feucht, wie es eben bei Amphibien der Fall ist. Sein Aussehen erinnerte mich wie gesagt an einen übergroßen terranischen Salamander. Einige würden sicherlich meinen nächsten Ausspruch befremdlich finden, aber ich konnte nicht anders als „Wie süß!“ zu rufen. „Sie sind eine echte Sternenflottenoffizierin.“, stellte Ishan fest. „Sie können sich so gut in andere Kulturen einfinden, dass eigene Befindlichkeiten in den Hintergrund geraten. Gerade bei Terranern ist dies statistisch gesehen wirklich sehr selten beobachtet worden.“ Aus dem Mund des Androiden klang dies wie ein großes Kompliment und ich war sicher, er hatte es auch als ein solches gemeint.

Ich gab Eludeh vorsichtig den Kleinen zurück. Nidell war mit einem Pad, in dem sie bereits ein Formular geladen hatte, an ihren Vorgesetzten herangetreten und hatte es ihm übergeben. „Ach ja. Der gute alte Papierkrieg.“, sagte Ishan darauf. „Danke, Nidell.“ Er machte einige Eintragungen. Dann fragte er: „Wie soll Ihr Sohn denn heißen, Eludeh?“ Die Angesprochene überlegte angestrengt. Dann fragte sie: „Gibt es eine männliche Form von Betsy?“ Auch ich musste jetzt scharf nachdenken. „Mhm, tja, nein.“, stammelte ich. „Nicht, dass ich wüsste. Warum?“ Eludeh setzte ein Grinsen auf. Dann entgegnete sie: „Sind Sie so begriffsstutzig, oder tun Sie nur so. Ohne Sie wäre der Kleine jetzt sicher nicht mehr am Leben und ich erst recht nicht. Sie, Betsy, haben mich vor dem Selbstmord bewahrt und Sie waren auch diejenige, die das Richtige getan hatte, als mein Sohn Gefahr lief, im Ei zu ersticken.“ „Da hatte ich wohl einfach nur ein glückliches Händchen.“, antwortete ich bescheiden. „Ich habe so etwas nie gelernt. Ich bin gelernte Kommunikationsoffizierin und Raumschiffpilotin. Ich bin weder Psychologin noch Schlupfhelferin. Das waren alles Zufallstreffer. Ich weiß nicht, ob ich mir da wirklich so sehr was drauf einbilden sollte.“ „Tut mir leid.“, mischte sich Ishan ein. „Das mit dem Zufallstreffer ist O’Rileys Spruch. Außerdem, was ist gegen Glück eigentlich zu sagen. Sie waren eben zur richtigen Zeit am richtigen Ort und taten das Richtige. Das ist doch nichts, für das man sich schämen müsste.“ „Er hat Recht.“, stimmte Eludeh zu. „Na schön.“, lächelte ich. „Ich gebe mich geschlagen. Aber trotzdem glaube ich nicht, dass es zu Betsy einen männlichen Namen gibt.“

„In jeder Familie gab es bei uns, als wir noch eine Tradition haben durften, traditionelle Namen, die den Kindern gegeben wurden. Einer davon ist Centus. Das wird sein erster Name sein. Nur wegen eines zweiten Namens bin ich am Überlegen.“, erklärte Eludeh. Dann flüsterte sie plötzlich: „Centus-Shimar aus der Familie der Eludeh und des Gajus.“ Sie fuhr in normaler Lautstärke fort: „Ja, Centus-Shimar aus der Familie der Eludeh und des Gajus. So soll er heißen.“ Ich sah sie erstaunt an. „Sie wollen Ihren Sohn nach meinem Freund benennen?“, fragte ich. „Oh ja!“, erwiderte Eludeh bestimmt. „Schließlich hat er ihnen dabei geholfen, mich vom Selbstmord abzubringen. Er hat schließlich das Raumschiff gesteuert, mit dem ich geschnitten wurde und dem ich ausweichen musste. Wären Shimar und Sie nicht gewesen, wären Centus-Shimar und ich jetzt tot, weil ich in die Sonne geflogen wäre.“

Langsam flog IDUSA auf die Station zu. „Ich kann es immer noch nicht glauben.“, äußerte Maron. Sytania sollte uns geholfen haben, das wäre ja was ganz Neues.“ „Ich kann nichts anderes sagen, als das, was ich telepathisch wahrgenommen habe.“, verteidigte sich Shimar. „Wenn ich nur wüsste, wie ich es beweisen soll.“ „Diese so genannte Schutzverbindung zwischen Allrounder Betsy und dir.“, schlug der demetanische Spionageoffizier vor. „Versuch doch mal, ob du sie spüren kannst.“ „Das muss auch nichts bedeuten.“, erwiderte Shimar. „Wenn Sytania sie gefangen genommen hat, und uns jetzt in die gleiche Dimension gezogen hat, nehme ich Betsy trotzdem wahr.“ „Wenn Sie sich schon gegenseitig nicht glauben, Gentlemen, dann glauben sie doch wohl hoffentlich mir, einer Maschine, die nicht für telepathische Trugbilder empfänglich ist.“, mischte sich IDUSA ein und zeigte ihnen wiederholt ihre Sensorenbilder. „Sytania kann Dimensionen erschaffen.“, erklärte Maron skeptisch. „Sie könnte eine erschaffen haben, die auf den ersten Blick wie die tindaranische aussieht.“ „Meinen Daten zufolge.“, widersprach IDUSA. „Hätte sie sich dann schon längst bei Ihnen gemeldet und schadenfroh über ihren Triumph abgelästert. Die Disziplin, sich dann zurückzuhalten, besitzt sie nämlich nicht. Dafür freut sie sich zu sehr, wenn ihr jemand in die Falle gegangen ist.“ „Du wirst bestimmt Recht haben.“, sagte Shimar. „Moment.“, wandte Maron ein. „Was ist, wenn …“ „Das haben wir gleich.“, fiel ihm Shimar ins Wort. Dann befahl er dem Schiff, auf Automatik zu schalten. „Was hast du vor?!“, fragte Maron alarmiert, als er Shimars konzentrierten Blickes ansichtig wurde. „Ich werde meinen Geist jetzt für alle Eindrücke öffnen, die es in dieser Dimension gibt. Dann nehme ich Sytania bestimmt wahr, wenn sie hieran Schuld haben sollte. Würde ich sie gezielt suchen, könnte sie sich sicher verbergen, aber ich suche ja nur nach ihrer Prägung.“ Damit holte er tief Luft und entspannte sich. Den Neurokoppler hatte er nicht abgenommen, um dem Schiff die Möglichkeit zu lassen, im Notfall Störwellen in sein Gehirn schicken zu können und um dafür Sorge zu tragen, dass sie seinen Gesundheitszustand überwachen konnte. Er konnte sich auf IDUSA verlassen. Sie würde schon das Richtige tun.

Zirell hatte die Kommandozentrale betreten. Hier erwartete sie bereits Joran, der ein trauriges Gesicht machte. „Was ist los?“, fragte die tindaranische Kommandantin. „Ich habe eine traurige Mitteilung für dich, Anführerin Zirell.“, antwortete der Vendar.

Zirell setzte sich auf ihren Platz. „Nun rede schon.“, drängte sie. Wortlos stellte Joran ein SITCH-Gespräch an sie durch. Zirell erkannte das Gesicht einer Tindaranerin auf dem virtuellen Bildschirm, nachdem sie ihren Neurokoppler aufgesetzt hatte und IDUSA ihre Reaktionstabelle geladen hatte. „Ich bin Commander Marell vom tindaranischen Schleppschiff Tindara II.“, sagte die Fremde. „Es tut mir leid, aber eure vermissten Offiziere sind nicht mehr auffindbar. Meine Leute und ich haben alles im Umkreis der vereinbarten Koordinaten abgesucht, aber wir konnten weder eure IDUSA-Einheit noch Rettungskapseln finden. Es gibt allerdings Hinweise, dass etwas in der Atmosphäre von Khitomer verglüht ist. Sie haben es wohl nicht geschafft. Ich gebe zu, wir haben nur einen Schlepper, dessen Sensorenleistung sicher nicht mit der eines Patrouillenschiffes zu vergleichen ist, aber wenn deine Offiziere noch leben würden, hätten meine Crew und ich sie bestimmt telepathisch wahrgenommen. Es tut mir leid, Zirell.“ Sie drückte die 88-Taste. Niedergeschlagen sah Zirell Joran an. Der Vendar stand auf und legte ihr seine große pelzige Hand auf die Schulter. „Gräme dich nicht, Anführerin. Ich könnte meinen Leuten Bescheid sagen. Unsere Schiffe haben mit Sicherheit bessere Sensoren als ein Schlepper und noch dürfen wir uns ja im Universum der Föderation aufhalten. Wie lang ist die Frist, die man gesetzt hat?“ „Drei Wochen.“, antwortete Zirell traurig. „Aber ihr dürftet ja ohnehin hinfliegen, wo ihr wollt. Ihr liegt ja nicht mit der Föderation im Streit.“ „In der Tat.“, grinste Joran. „Also, was denkst du über meinen Vorschlag, Anführerin Zirell?“ Sie nickte langsam. Hoffnung hatte sie keine mehr. Wenn Shimar und Maron selbst telepathisch nicht mehr wahrzunehmen waren, so meinte sie, wären sie sicher längst tot. Dennoch rechnete sie es Joran hoch an, dass er sie trösten wollte.

Es war mir gelungen, Eludeh von der Krankenstation loszueisen. Wir waren wieder in unser Quartier gegangen. „Ishan und Nidell achten gut auf Ihren Sohn.“, hatte ich ihr gesagt. „Sie wollen nur sicher gehen, dass alles in Ordnung ist.“ „Schon gut, Betsy.“, antwortete Eludeh. „Ich dachte nur, weil er ja eine Woche zu früh geschlüpft ist.“ „Wenn da etwas wäre, dann hätte Ishan sicher schon längst Bescheid gesagt.“, tröstete ich. „Kann ich mir denken.“, bestätigte sie. „Ich finde es nur erstaunlich, dass er so gut drauf ist.“ „Ihr Sohn ist eben ein kleiner Kämpfer.“, erwiderte ich lächelnd.

Ich ging zum Replikator und replizierte zur Feier des Tages erst mal eine Flasche Sekt und zwei Gläser. Dann ging ich zu Eludeh zurück. „Ihre Spezies stillt ja meines Wissens nach nicht.“, stellte ich fest. „Stimmt.“, erwiderte Eludeh. „Na also.“, entgegnete ich. „Dann dürfen Sie ja auch.“ Damit öffnete ich die Flasche, die ich absichtlich geschlossen replizieren lassen hatte, um sie sicherer transportieren zu können. Dabei gab es leider eine heftige Fontäne, die mir direkt ins Gesicht sprühte. „Igitt!“, quietschte ich. „Verdammtes Kribbelwasser!“ Kleines, bitte benimm dich. Was war das denn?! Ich hatte den Eindruck, Shimars Stimme in meinem Geist gehört zu haben. Hatte er etwa doch überlebt? Hatte Zirell falsche Informationen? Was war hier los?

Eludeh hatte mein verdutztes Gesicht gesehen. „Was haben Sie, Allrounder?“, fragte sie. „Nichts, oder, doch, irgendwas ist … Oh, Shimar lebt!“, stammelte ich. „Das kann nicht sein.“, erwiderte sie. „Commander Zirell hat doch gesagt …“ „Ich weiß.“, fiel ich ihr ins Wort. „Aber das eben war ganz sicher er. Die Schutzverbindung. Berühren Sie mich bitte, Eludeh. Dann werden Sie es auch spüren!“ Die Nihillanerin nahm meine Hand. „Tatsächlich.“, wunderte sie sich. „Der letzte Kontakt zwischen Ihnen ist noch total frisch. Wir müssen zu Zirell. Kommen Sie!“ Sie zerrte mich aus dem Raum.

Geduldig hatte Maron neben Shimar ausgeharrt. Wenn sein Untergebener und Freund schon etwas von Sytania wahrgenommen hätte, dann hätte er es ihm sicher schon gesagt. Maron hatte nur gesehen, dass Shimar einmal über beide Ohren gegrinst hatte. Der Demetaner wunderte sich, wer ihm wohl telepathisch einen Witz erzählt haben könnte. „Lass dich nicht ablenken!“, versuchte Maron, Shimar zu motivieren. „Vielleicht war es ja sogar Sytania höchst persönlich, die sich dir als charmante tindaranische Witze-Erzählerin gezeigt hat, aber du darfst dich davon nicht reinlegen lassen! Du musst hinter die Fassade blicken! Streng dich an!“

IDUSA sendete eine massive Salve von Störwellen in Shimars Gehirn. Blitzschnell danach lud sie auch Marons Tabelle und sagte bestimmt: „Shimar, Sie übernehmen sich noch, wenn ich jetzt nicht einschreite und für Sie, Agent Maron, habe ich auch noch etwas. Er kann nichts wahrnehmen, das es nicht gibt! Lassen Sie mich versuchen, an der Station zu docken. Dann werde ich diese kurz mit einer Mini-Phaser-Salve aus meinem Rosannium-Phaser beschießen. Wenn es sich um eine Schöpfung Sytanias handeln sollte, wird sie leicht an Integrität einbüßen. Keine Angst. Die Salve wird noch nicht mal Manöverstärke haben.“ „Also gut.“, meinte Maron. „Mach es so, IDUSA!“

Joran hatte sich nach Beendigung seines Dienstes in Jennas und seinem Quartier mit seiner Freundin getroffen. Die Beiden wollten etwas ausprobieren und waren zur Vorbesprechung zunächst mal dort geblieben. Joran hatte Jenna vor langer Zeit einmal gebeten, für ihn ein Programm zu schreiben, an dem er das Leben auf einem Planeten in dessen Gesellschaft und Kultur trainieren konnte. Irgendwann, so hoffte der Vendar, würde Sytania die Tindaraner ja in Ruhe lassen und sein Dienst als Informant würde dann nicht mehr benötigt. Dann müsse er nicht mehr auf Zirells Station sein und könnte sich in eine Gesellschaft integrieren. Da er durch das tindaranische Medikament auch keine Gefahr mehr für Telepathen darstellte, musste es auch nicht zwingend eine Gesellschaft von Nicht-Telepathen sein. Shannon hatte Jenna beim Schreiben des Programms über die Schulter geschaut. Sie hatte gewitzelt: „Na, wenn Major Carter für den Typen mit der Schlange im Bauch auch so ein Trainingsprogramm geschrieben hätte, wäre die Sache sicher nicht so schief gegangen.“ Jenna hatte erwidert: „In Ihrem Lieblingsroman, Assistant, gab es mit Sicherheit noch keine Simulationskammern.“

In selbige waren Joran und Jenna jetzt gegangen und Jenna hatte ihr Programm gestartet. In der Simulation war Joran zunächst allein in einer terranischen Wohnung in einem durchschnittlichen Wohnhaus des 30. Jahrhunderts. Ihm wurde eine Situation gezeigt, als sei er gerade aufgestanden. Jenna würde gleich von der Nachtschicht in einem Energieversorgungswerk nach Hause kommen. Das wusste er.

Er ging in die Küche und replizierte erst mal ein reichhaltiges Frühstück, bei dem man von allem etwas finden konnte. Ausgehungert würde sie sein, oh ja.

Jenna, der alles im so genannten Zuschauermodus gezeigt wurde, konnte sich schon jetzt ein Grinsen nicht verkneifen, aber sie beschloss, noch nicht einzugreifen. Gelassen sah sie zu, wie Joran einen Korb mit mindestens 20 Brötchen, eine riesige Schüssel mit Butter, zwei riesige Dosen mit Wurst und Käse, Eine 10-Liter-Kanne mit Kaffee, eine weitere mit heißem Tee, eine mit heißer Schokolade und eine mit Orangensaft auf dem Tisch verteilte. Darauf folgten drei Riesenteller mit geschnittenem Obst, Flaschen mit Milch und zwei dicke Schüsseln mit Frühstücksflocken sowie ein Eimer Joghurt, zum Schluss zwei Teller, Tassen und Besteck. Zufrieden ließ der Vendar seinen Blick noch einmal über den Tisch schweifen. Dabei kreuzte dieser auch das Display des Sprechgerätes auf dem Regal, das ihm anzeigte, dass es bereits sechs Uhr war. Jetzt würde Jenna die Übergabebesprechung mit der Tagesschicht durchführen und dann nach Hause kommen.

Er trat auf den Balkon. Von hier würde er sie gut sehen können, wenn sie die Straße herunter kam. In der Ferne konnte er sie bereits erspähen. „Guten Morgen, meine über alles geliebte, wunderbare, hart arbeitende Telshanach!“, rief er erfreut aus.

In der Wohnung unter seiner öffnete sich ein Fenster und ein Nachbar schrie: „Verfatz dich!!!“ Joran, der diesen Begriff für einen englischen Freudenschrei hielt, rief freudig zurück: „Ja, Verfatz dich auch!“

Jenna konnte nicht mehr. Sie schaffte es gerade noch, IDUSA deutlich zu machen, dass diese das Programm einfrieren sollte. Dann platzte es aus ihr heraus: „Oh, nein! Du bist so ein witziges liebes Wesen!“ „Habe ich etwas falsch gemacht, Telshanach?“, fragte Joran unsicher. „Jein.“, lachte Jenna. „Eigentlich nicht, wenn man berücksichtigt, dass Joran Ed Namach eben so ist. Aber von dem Frühstück könnten locker 20 Mann satt werden und Verfatz dich ist kein Freudenschrei, sondern eine nicht gerade höfliche Aufforderung zum gehen. Mein Volk schätzt leider keine Fröhlichkeit am frühen Morgen, obwohl ich persönlich finde, dass sich dies grundlegend ändern sollte.“ Sie küsste ihn und fügte hinzu: „Aber das ist alles nicht so schlimm. Das lernst du schon noch.“

Kapitel 11: Annäherung, Streiche und Auferstehung

von Visitor

 

IDUSA hatte an ihrem Stammplatz gedockt. „OK, Gentlemen, es geht los.“, sagte sie und aktivierte ihren Rosannium-Phaser. Wie vereinbart hielt sie sich aber an eine Dosis, die selbst dem schwächsten Telepathen oder Mächtigen eigentlich noch nicht mal Kopfschmerzen, allerhöchstens ein leichtes Unbehagen, bereiten würde. Auf Geschöpfe von Mächtigen, auch auf gegenständliche, würde es aber schon die vom Schiffsavatar vorausgesagte Wirkung geben.

Gespannt sahen sich Shimar und Maron die Sensorenbilder an, die ihnen das Schiff zeigte. „Soll ich es in Zeitlupe wiederholen?“, fragte IDUSA. „Nicht nötig.“, antworteten die Männer wie aus einem Mund. „Nichts ist nichts und bleibt nichts, auch wenn du es in Zeitlupe abspielst. Die Station ist also genau so echt wie du oder wir.“

Mit einem leisen Bsssss fuhr IDUSAs Antrieb herunter. „Da wären wir also, Gentlemen.“, sagte sie. „Home, sweet Home.“ „Ich hätte nicht übel Lust, mich hier zu verstecken.“, meinte Shimar. „Am Liebsten würde ich abwarten, bis man uns offiziell für tot erklärt und dann plötzlich auf meiner eigenen Beerdigung auftauchen. Das wird bestimmt ein Spaß!“ „Ganz deiner Meinung.“, entgegnete Maron. Seine Aussage überraschte den jungen Patrouillenpiloten. Shimar hatte gedacht, sein Vorgesetzter würde jetzt eben diesen raushängen lassen und diesen kleinen Streich verbieten. „Stimmst du zu, um Zirell eins auszuwischen?“, fragte Shimar. „Ihr Tindaraner seid doch Telepathen.“, grinste Maron. „Also, krieg’s raus.“ „Solange es keine Notsituation gibt.“, mischte sich auch IDUSA ein. „Werde ich Ihnen beiden helfen, so gut ich kann. Ich werde meine Systeme auf Sparflamme laufen lassen, so sende ich kaum elektrische Immissionen aus. Ich rate Ihnen auch, in den Frachtraum zu gehen. Dort kann ich Ihre Biozeichen am Allerbesten abschirmen, damit die Sensoren der Station Sie zwei nicht entdecken können.“ „IDUSA!“, zischte Shimar. Ihm war inzwischen klar geworden, dass Maron diesen Plan nur gefasst hatte, um Zirell einen einzuschenken, weil sie ihn immer noch beurlauben wollte, obwohl er seinen Bockmist längst eingesehen hatte und sich sogar bei Marcellus über SITCH dafür entschuldigt hatte. „Also, dann los!“, forderte der Demetaner seinen tindaranischen Mitstreiter auf. Dann gingen beide durch IDUSAs Achterkabine in den Frachtraum. Hier war es sehr eng, aber es würde schon eine Weile gehen. IDUSA würde die Lebenserhaltung nur auf Minimum fahren. Sie würde aber die Geschicke auf der Station genau beobachten, um ihnen sagen zu können, wann es Zeit wäre. Dann würde sie die Männer einfach vor Zirells Nase beamen.

Eludeh und ich waren in der Kommandozentrale bei Zirell angekommen. Die Tindaranerin hatte unser hektisches und fast nervös anmutendes Auftreten durchaus registriert und fragte: „Was ist denn mit euch los? Ihr benehmt euch ja, als hättet ihr terranische Hummeln im …“ „Shimar lebt!“, stieß ich hervor. „Das kann nicht sein!“, entgegnete sie mit fester Stimme. „Wenn es so wäre, hätten Nidell oder ich Maron und ihn sicher längst telepathisch wahrgenommen. Aber das können wir nicht. Ich habe Nidell gefragt und bei mir selbst sieht es auch nicht anders aus.“ „Sie weiß aber, dass sie leben.“, verteidigte Eludeh meine Argumente. „Sie fühlt die Wolldecke!“ Ich stieß sie an und zischte ihren Namen. „Ich finde, Commander Zirell darf ruhig wissen, dass zwischen euch eine Schutzverbindung existiert.“, erwiderte Eludeh darauf. „Für Tindaraner ist das ja normal.“ „Das schon.“, entgegnete ich. „Aber wie es sich für mich anfühlt, habe ich Ihnen im Vertrauen erzählt. Shimar hat gesagt, es kann sich für jeden anders darstellen und bei ihm und mir ist es halt eine warme weiche Wolldecke.“ „Jetzt haben Sie es selbst gesagt, Betsy.“, stellte Eludeh fest.

„Egal.“, sagte Zirell, nachdem sie ein Formular studiert hatte. „Ich muss noch 24 Stunden warten, dann kann ich die Beiden offiziell für tot erklären. Wenn sich bis dahin nichts ändert, werde ich das auch tun.“

Unverrichteter Dinge gingen Eludeh und ich. Was war nur mit Zirell los? Sonst war sie doch auch immer für jeden Hinweis dankbar gewesen, der einen Funken Hoffnung in ihr schürte, dass ein vermisstes Besatzungsmitglied noch am Leben war. War sie denn so nervös wegen der Sache mit Nihilla? Den letzten Krieg gegen Sytania hatte sie doch auch durchgestanden, obwohl sich Tindara von der Föderation gelöst hatte. Sie selbst hatte doch gesagt, dass eine Freundschaft auch mal einen Sturm aushalten müsse.

Plötzlich ließ Eludeh, die mich bis dahin geführt hatte, meine Hand los und drehte sich demonstrativ zu mir. „Gegen das, was Ihre Föderation erleben wird, wenn Nihilla eingebürgert ist, ist die Sklaverei bei Sytania ein Erholungsurlaub!“, sagte sie ernst. Natürlich! Sie hatte mich berührt! Meine Gedanken mussten für sie ein offenes Buch gewesen sein. „Das glaube ich gern.“, beschwichtigte ich sie. „Sie sind ja nicht aus reinem Spaß an der Freude geflüchtet und haben das mit dem Grab ihrer Kinder sicher auch nicht umsonst getan.“ „Stimmt!“, sagte sie mit leicht wütendem Unterton. „Und es wird noch viel schlimmer werden. Wissen Sie, seit unser Staat die Natur nicht mehr als Schöpfung sieht, sondern nur noch als reine Ansammlung von Physik und Chemie, haben sie komplett den Respekt vor ihr verloren. Ich würde mich ja nicht schwer wundern, wenn sie eines schönen Tages darauf kämen, das Universum, wie es die Natur geschaffen hat, als fehlerhaft zu bezeichnen und zu versuchen, ein völlig neues zu erschaffen.“ „Ruhig.“, versuchte ich, ihre Wortflut einzudämmen, denn ich fühlte an der angespannten Haltung, die sie eingenommen hatte, wie sehr ihr das ans Herz gehen musste. „Könnte Ihre Regierung das denn?“, fragte ich und hoffte, sie würde mit Nein antworten, denn meines Wissens war dies völlig unmöglich. Sie aber sagte: „Zumindest haben sie eine Urknall-Maschine.“ Mir stockte der Atem. Vieles hatte ich den Nihillanern zugetraut, aber das nicht! Ich beschloss aber, dieses Gespräch nicht weiter zu vertiefen, denn mir war klar, dass es auch sie schmerzte. Vor allem vor ihrem Sohn, den wir jetzt von der Krankenstation holen würden, sollte sie etwas gelösterer Stimmung sein.

Evain und Ethius waren lange daheim angekommen. Sie saßen gemeinsam vor einem Bildschirm in Ethius’ Büro, wo sich beide wissenschaftliche Berichte der Föderation ansahen. „Warum, Allverstehender Präsident.“, begann Evain. „Wollten Sie, dass ich hierbei anwesend bin?“, fragte sie. Insgeheim war ihr das Ganze extrem langweilig. Sie war eine Frau der Waffen und nicht des Laboratoriums. „Die Föderation.“, erklärte Ethius. „Hat längst ein Bild und Replikatordaten über die DNS von Mächtigen. Wir können die entsprechenden Gene replizieren.“ „Ja, ja.“, erwiderte Evain ungeduldig. „Aber was soll ich dabei?“ „Sie sollen einige Soldaten für freiwillige Tests rekrutieren.“, sprach der Präsident weiter. „Stellen Sie sich vor, wenn unsere Soldaten unverwundbar und unsterblich wären. Kein Feind könnte uns mehr besiegen und das haben wir wieder nur der Wissenschaft zu verdanken!“ Evain lächelte verbrecherisch. „Ich werde das gleich an die entsprechenden Stäbe weiterleiten.“

Eludeh und ich waren mit ihrem Sohn von der Krankenstation gekommen und hatten uns in unserem Quartier auf das bunte Sofa im Wohnzimmer gesetzt. „Ich wollte Sie noch etwas fragen, Betsy.“, hob die Nihillanerin an. „Nur raus damit.“, ermunterte ich sie. „Ich wüsste gern, ob Sie vielleicht Lust hätten, Centus-Shimars Patentante zu werden. Shimar könnte, sollte er wirklich noch leben, ja sein Patenonkel werden.“ Ich strahlte über das ganze Gesicht. Leider bekam ich kein Wort heraus, weil sich meine vor Grinsen weit offenen Mundwinkel völlig meiner Kontrolle entzogen. „Ich werte das als ein Ja.“, freute sich Eludeh. „Möchten Sie ihn gemeinsam mit mir baden?“, fragte sie weiter. „Er muss bis zu seiner ersten Transformation, in der er das Reptilienstadium erreicht, alle zehn Stunden gebadet werden, damit seine jetzt noch amphibische Haut feucht bleibt. Das Bad dauert zwei Stunden.“ „OK.“, erklärte ich mich einverstanden. „Aber wir müssen eine Babywanne replizieren. Für die große Wanne ist er noch zu klein.“ Eludeh nickte. „Sie sind sehr umsichtig.“, lobte sie. „Heißt Ihr Name zufällig die Umsichtige?“ „Ich weiß eigentlich nicht, was Betsy bedeutet.“, gab ich zu.

Ich replizierte die Wanne und Wasser in angemessener Temperatur. Dann legte Eludeh den Kleinen hinein. Aufgrund der Tatsache, dass er amphibisch war, konnte er sich sehr gut allein über Wasser halten. „Schade, Centus-Shimar, dass du deine großen Schwestern nicht mehr kennen lernen kannst.“, flüsterte Eludeh und wurde wieder sehr traurig.

Ich befahl IDUSA, die Tür zum Bad im offenen Zustand zu blockieren, damit wir ein Ohr auf dem kleinen Jungen in der Wanne halten konnten. Dann setzte ich mich mit Eludeh wieder auf das Sofa. „Erzählen Sie mir doch von Ihren Mädchen.“, schlug ich vor.

Eludeh senkte traurig den Kopf. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, fragte ich verunsichert. „Nein.“, beschwichtigte sie. „Es ist nur alles so traurig.“ „Kann ich mir denken.“, antwortete ich und strich über ihre schuppige Schulter. „Nur, es wird besser sein, wenn Sie sich mal alles von der Seele reden. Ich bin zwar keine ausgebildete Therapeutin, aber ich hoffe, dass meine Küchenpsychologie ausreicht.“

Sie lehnte sich wieder zurück. „Alijena und Sereta.“, begann sie mit Wehmut in der Stimme. „Sie waren 2-eiige Zwillinge. Alijena ist mit den Füßen zuerst geschlüpft und hatte eine Zeit lang keinen Sauerstoff. Sie mussten die Eierschale zerstören, damit sie atmen konnte. Sie haben zu mir gesagt, dass sie eventuell behindert sein könnte und …“ „Und das hätte ihren sofortigen Tod bedeutet.“, brachte ich Eludehs Satz zu Ende. Ich merkte, wie sehr es sie in ihrem Mutterherzen schmerzte, darüber zu sprechen, zumal sie ihre Kinder ja dann selbst hatte töten müssen, um sie den staatlichen Organhändlern zu entreißen. Wieder fragte ich mich, wie Nugura so einen Staat in die Föderation lassen konnte.

Ich zog Eludeh an meine Schulter. „Sie haben alles getan, was in Ihrer Macht stand.“, tröstete ich sie. „Eine andere Möglichkeit gab es für Sie nicht. Die Tindaraner werden alles tun, um zu verhindern, dass der Föderation das gleiche Schicksal blüht und dazu haben Sie beigetragen! Jawohl, mit Ihrer Flucht und Ihrer mutigen Aussage haben Sie dazu beigetragen. Was Ihr Volk angeht, dürfen wir leider nicht so einfach Ihren Regierenden absetzen. So eine Art von Revolution muss von innen kommen. Aber, Sie haben jetzt bestimmt ganz andere Sorgen.“ Sie nickte. „Wenn unserem Staat massenweise die Bürger weglaufen.“, entgegnete sie. „Dann wird Ethius schon sehen, was er von seiner Politik hat.“ Natürlich! Auch das war eine Art von Protest, die vielleicht sogar noch perfider und effizienter war, als jede Straßendemo. Geisterstädte konnten einen Planeten nicht aufrecht erhalten. Die gesellschaftliche Struktur würde über kurz oder lang völlig zusammenbrechen. Da hatten wir ja schon die Revolution von innen. Die Widerständler, so dachte ich, würden sicher viele zur Flucht ermutigt haben.

Shannon stand an der Luke, die zu IDUSA an Bord führte. „Was machen Sie da, Assistant?“, fragte Jenna sie, als sie des seltsamen Verhaltens ihrer Assistentin ansichtig wurde. „Oh, nix.“, flapste die blonde Irin zurück. „Lauschen wird Ihnen nicht viel bringen.“, erklärte Jenna. „Sie wissen doch, dass IDUSAs Türen schalldicht sind.“ „Ich weiß.“, entgegnete Shannon. „Aber mir kommt an IDUSAs Aussage was merkwürdig vor. Laut ihr selbst hat sie sich aus einer Situation retten können, in der sie sonst immer das Bauchgefühl eines biologischen Piloten brauchte.“ „IDUSA ist lernfähig.“, argumentierte Jenna. „Sie wird irgendeine ähnliche Situation abgespeichert haben und danach verfahren sein.“ „Sie haben es gerade selbst gesagt.“, sagte die technische Assistentin. „Eine ähnliche Situation. Wenn das auch dieses Mal gepasst hat, hat sie tierisches Schwein gehabt.“ „Kann ja sein.“, meinte Jenna. „Warum soll nicht auch mal eine künstliche Intelligenz einfach Glück haben.“ „Aber …“, wollte Shannon erneut ansetzen. Aber Jenna fuhr ihr über den Mund: „Es war wie ich gesagt habe und damit basta. Solange Sie keine andere Erklärung vorweisen können, müssen wir es dabei bewenden lassen.“

Ich hatte eine ganze Zeit damit verbracht, Eludeh, die herzzerreißend weinte, einfach nur zu streicheln. Ich wusste, ich konnte ihr ihre toten Kinder nicht zurückgeben, oder gar ungeschehen machen, weshalb sie die armen Kleinen hatte töten müssen. Aber ich hoffte, sie zumindest etwas trösten zu können. Diese Frau war so mutig! Vielleicht war es der Mut der Verzweiflung, aber sie war mutig.

Ich beschloss, einen weiteren Schritt auf sie zuzugehen, der unser Vertrauensverhältnis noch sehr festigen sollte. „Wenn Sie mich zu Centus-Shimars Patentante machen.“, begann ich. „Dann gehören wir ja quasi zu einer Familie. Sollten wir uns dann nicht besser mit Du ansprechen?“ „Sie haben … Nein, du hast Recht.“, bestätigte sie.

Ich sah auf die Uhr. „Die zwei Stunden sind um, Eludeh.“, sagte ich. „Willst du den Kleinen aus der Wanne holen, oder soll Tante Betsy.“ „Ich schlage vor, Tante Betsy.“, lachte sie. „Das machen wir gemeinsam. Dann kannst du gleich sicher noch etwas lernen. Sicherlich bist du mit dem Umgang mit Babys deiner Spezies vertraut, aber es gibt sicher Unterschiede.“ „Gut.“, erwiderte ich.

„Verdammt, langsam wird’s echt schwer!“, fluchte Shimar leise. Maron reckte fast schlaftrunken den Kopf. „Was hast du gesagt?“, fragte er noch immer sehr weit weg. „Ich habe gesagt, dass ich mich langsam ziemlich anstrengen muss, um uns telepathisch vor Nidell oder Zirell abzuschirmen. Die Schutzverbindung mit Betsy tut ihr Übriges dazu.“ Mitleidig sah der Demetaner seinen Freund an. „Kannst du die nicht unterbrechen?“, fragte er unwissend. „Nein.“, antwortete Shimar ruhig. „Sie ist unbewusst und wird nur unterbrochen, wenn Betsy und ich Schluss machen würden. Aber das werde ich ihr nicht antun nur wegen eines Streiches.“ „Das habe ich ja auch nicht verlangt.“, erwiderte Maron.

Während ihres Augenkontaktes war Shimar aufgefallen, dass sein demetanischer Vorgesetzter einen verträumten Blick aufgesetzt hatte. „Woran hast du gerade gedacht?“, fragte er. Dabei verhehlte Shimar nicht, dass er Maron insgeheim beneidete. Als Nicht-Telepath konnte er seinen Gedanken freien Lauf lassen und Tagträumen hinterher hängen. Das war ihm selbst leider nicht vergönnt. Shimar hatte eindeutig den schlechteren Job bei diesem Unterfangen.

Ein Geräusch, das Shimar leicht an ein Blubbern oder Knurren, oder eine Mischung aus beidem erinnerte, ließ ihn aufhorchen. „Was war das?“, wunderte er sich. „Du musst schon entschuldigen, das war mein Magen.“, erklärte Maron. „Ich habe ziemlich extremen Kohldampf und nicht minder heftige Fantasien.“ Shimar sah ihn irritiert an. „Nicht, was du jetzt denkst.“, beschwichtigte Maron. Dabei musste er an eine Menge schlechter Telepathenwitze denken, die an demetanischen Stammtischen die Runde machten. Er hasste diese Art von Witzen, denn sie waren oft sehr dumm und inhaltslos. Maron mochte lieber die Art von Witzen, deren Verständnis eine gewisse Allgemeinbildung voraussetzte. „Ich habe nur davon geträumt, in der Nacht vor der Beerdigung in die Offiziersmesse einzubrechen und von meinem eigenen Leichenschmaus zu naschen. Aber allein träumen macht keinen Spaß.“ „Du meinst, ich soll …“, stammelte Shimar. „Ja.“, erwiderte Maron. „Häng dich dran und surf mit. Ich führe dich. Du brauchst nichts aktiv zu machen, wenn du nicht willst.“ „Das Angebot nehme ich an.“, lächelte der junge Patrouillenflieger und initiierte die Verbindung.

Maron entspannte sich und ließ vor seinem geistigen Auge den Gang vor der Offiziersmesse entstehen. Er nahm sogar den noch etwas abseits stehenden Shimar bei der Hand und zog ihn zu sich. Er wollte seinem telepathischen Freund so gut er konnte helfen, die Verbindung zu ihm aufzubauen und zu halten. Alle weiteren „Gespräche“ würden sie ab jetzt in Gedanken führen. Nicht schlecht für einen Nicht-Telepathen!, dachte Shimar anerkennend. Lernt man das auf eurer Sternenflottenakademie? In gewisser Weise schon., erwiderte Maron. Wir lernen den Umgang mit Telepathen, aber ich habe auch meine ganz eigenen privaten Maron-Tricks. Das wirst du noch sehen. Ich freue mich schon drauf., schmunzelte Shimar.

Sie schlichen weiter und standen bald vor der Tür der Offiziersmesse, die sich langsam öffnete. Bis hier ist ja noch alles öffentlich., bemerkte Maron. Aber ab jetzt werden wir wohl anfangen müssen zu tricksen. Was genau meinst du damit?, wollte Shimar wissen. Ihm war die tief morbide Einrichtung der Messe aufgefallen. Links und rechts an der Wand standen Tische mit schwarzen Tischtüchern und schwarzem Geschirr. In der Mitte des Raumes befand sich ein schwarzer Vorhang. Shimar schlich näher und lüpfte eine Ecke davon, wich aber sofort wieder zurück, als er die beiden Särge mit den typischen Banderolen sah. Er fand, dass der Satz: „Er starb in Erfüllung seiner Pflicht.“, nichtssagend war und Angehörigen sicher keine große Hilfe sein würde. Diese würden doch wissen wollen, wie die genauen Todesumstände ihres Angehörigen waren. Bist du makaber!, dachte Shimar. So geht es auf Sternenflottenbeerdigungen zu., entgegnete Maron. Bei den tindaranischen Streitkräften ist es nicht viel anders., gab Shimar zu. Aber ich hatte gehofft, dass … Dass was., fiel Maron ihm sozusagen ins Wort. Du hast gehofft, dass ich als Nicht-Telepath nicht so detailreiche Tagträume zaubern kann? Wenn du das schon heftig findest, dann pass mal auf!

Er drehte sich in Richtung einer Sensorenmulde an der Wand und holte etwas aus seiner Tasche. Das ist eine Tarnfolie., erklärte er. Damit werden wir der armen IDUSA jetzt leider die Augen verbinden müssen. Wie habe ich das denn zu verstehen?, fragte Shimar. Die Folie ist strahlungsdicht., erklärte Maron. Das Einzige, was man später erkennen wird, sind zwei Gestalten, die sich über das Essen hermachen. Unsere Gesichter sind nicht zu sehen.

Er zog ein etwa handgroßes quadratisches Stück von der Rolle, die er aus der Tasche gezogen hatte, ab und klebte die selbst haftende Folie auf den Sensor. Sorry, IDUSA., entschuldigte er sich. Aber was du nicht weißt, macht dich nicht heiß. Ähnlich ging er an noch weiteren Stellen vor.

Shimar, der das Ganze staunend beobachtet hatte, fragte: Woher hast du die Folie? Sag bitte nicht, ihr Geheimagenten hättet so etwas immer in der Tasche. Nein, nein., entgegnete Maron. Aber das hier ist mein Tagtraum und in meiner Fantasie kann ich haben, was und wann ich es will.

Er drehte sich in Richtung des Replikators und befahl: IDUSA, den Leichenschmaus für die anstehende Begräbnisfeier replizieren! Bedaure., gab der Rechner zurück. Dieser Befehl ist durch Commander Zirells persönliche DNS geschützt. So ein Mist!, dachte Shimar. Abwarten., meinte Maron und zog ein ballistisches Röhrchen aus seiner Tasche. Daraus ließ er unter schelmischem Pfeifen ein Tuch zum Vorschein kommen, das er unter den Sicherheitssensor hielt. Code akzeptiert., erklärte IDUSA. Führe Befehl aus. Tja, Zirell., dachte Maron. Das hättest du besser mit deiner Stimme oder deinem Netzhautscan gesichert. Der wäre nicht so leicht zu besorgen gewesen wie deine DNS. Verkohlen kann ich mich allein., erwiderte Shimar. Das hier ist doch nicht real und alles auf deinem demetanischen Mist gewachsen. Du machst das doch mit Absicht, um es spannend zu machen. Du hast es erfasst., lächelte Maron. Schuldig im Sinne der Anklage.

IDUSA hatte inzwischen alles repliziert und die Männer sahen eine Menge von Schalen, Töpfen, Flaschen, Kannen und Gläsern vor sich. Das Meiste davon kannten sie, denn bedingt durch die Tatsache, dass die Föderation und Tindara Verbündete waren, gab es neben Informationen über politische Dinge auch Austausch über die gegenseitigen Koch- und Essgewohnheiten.

Shimar hob einen Deckel auf, ließ ihn aber gleich angewidert wieder fallen. Was bitte soll … Igitt!, empörte er sich. Maron, dem sein angeekeltes Gesicht nicht entgangen war, grinste fies: Was meinst du denn? In dem Topf ist Tindara-Küche vom Allerfeinsten., meinte Shimar ironisch. Wachsbaumblütensuppe! Ich hasse Wachsbaumblütensuppe! Dieses graue fiese Zeug! Und wie das schon aussieht! Und dann auch noch mit ganzen Blüten. Hast du so’n Ding schon mal im Mund gehabt? Ich sage dir, da kannst du auch gleich an ner Kerze nagen.

Maron trat hinzu und schob Shimar etwas unsanft zur Seite. Dann nahm er sich einen Löffel und tauchte ihn tief in den Topf, um im nächsten Moment mit vollen Backen und einem verzückten Gesicht an einem der Tische Platz zu nehmen. Mc’Knight muss die Replikatoren nachjustiert haben. Die Würzung ist erster Güte., stellte er fest. Na dann guten Appetit., erwiderte Shimar. Ich suche mir was anderes.

Er ging weiter am Buffet entlang und stieß unter einer der unzähligen Hauben auf etwas, das er nicht einordnen konnte. Maron, Komm mal bitte her!, forderte er seinen Vorgesetzten und Freund auf. Was bitte ist das? Die Terraner nennen es Pizza., erklärte der Demetaner. Mann, ist die platt, Mann., witzelte Shimar. Sprüche zu klopfen ist O’Rileys Job., klärte Maron Shimar auf. Darin ist sie die absolute Meisterin hier und duldet sicher keine Konkurrenz. Aber sie hätte sicher nichts gegen einen tindaranischen Lehrling., verteidigte sich Shimar, während er die Pizza anschnitt. Wenn du das so siehst., entgegnete Maron. Dann war das aber mit Sicherheit schon dein Gesellenstück.

Shimar musste grinsen, denn das Gefühl von sich ziehendem überbackenen Käse auf seiner tindaranischen Zunge war ihm völlig unbekannt. Er mochte es aber sehr. Auch die Geschmäcker der ihm fremden Kräuter, des Belages und des Teiges selbst fand er höchst faszinierend. Ich muss mein Kleines mal fragen, ob sie sich mit Pizza auskennt., dachte er bei sich. Sicher kann sie mir noch viel mehr davon zeigen. Pudelsatt verließen beide bald die Messe.

Shimar beendete die Verbindung. „Wie war ich?“, fragte Maron jetzt wieder verbal. „Wow.“, machte Shimar nur beeindruckt. „Und das als Nichttelepath. Du hast eine ziemlich kontrastreiche Fantasie.“ „Danke für das Kompliment.“, erwiderte Maron. „Aber das gebe ich auch gern zurück. Du achtest auch total auf Details. Du bist besonders klasse darin, Geschmäcker und Empfindungen rüber zu bringen.“ „Ich habe eine Eins-A-Trainerin.“, meinte Shimar. „Du meinst Allrounder Betsy, nicht wahr?“, fragte Maron. „Stimmt.“, bestätigte Shimar. „Sie kann ja nichts mit Farben anfangen, deshalb helfen wir uns so.“ „Ich würde das nicht nur als sich Helfen bezeichnen.“, sagte Maron. „Andere Telepathen werden dich bestimmt um die Perfektion beneiden, mit der du das beherrschst.“ „Oh.“, antwortete Shimar. „Ich gebe dieses Wissen gern weiter.“ Beide lehnten sich entspannt zurück.

Nidell hatte ihren Dienst auf der Krankenstation beendet. Die ganze Zeit war sie nicht richtig bei der Arbeit gewesen und ihr androider Vorgesetzter hatte überlegt, sie nach Hause zu schicken. Er hatte sie zwar beordert, die vorläufigen Totenscheine für Maron und Shimar auszustellen, aber das hatte die junge Tindaranerin nur sehr widerstrebend getan. Etwas in ihr hatte sich strikt geweigert, IDUSA den Befehl zum Aufruf des Formulars zu erteilen. Schließlich hatte Ishan es selbst tun müssen.

Jetzt war Nidell auf dem Weg in einen der Aufenthaltsräume. Hier wollte sie Shannon treffen, mit der sie sich angefreundet hatte. Die medizinische Assistentin schien aufgrund ihrer verständigen Art die einzige zu sein, die mit der für irische Frauen im Allgemeinen sehr typischen nassforschen Art Shannons zurechtkam.

„Hey, Nidell!“, schallte es ihr bereits an der Tür entgegen. „Hier her! Komm an meine grüne Seite!“ Nidell nickte und schlug die Richtung zu dem Tisch ein, von dem sie die schrille hohe Stimme ihrer Freundin wahrgenommen hatte. Die junge Tindaranerin lächelte, denn der Spruch mit der grünen Seite, das wusste sie, hatte für Shannon sicher in doppelter Hinsicht eine positive Bedeutung. Einerseits war für die Terraner der Begriff der grünen Seite allgemein positiv besetzt, zum Anderen bestand Irland aus einer Menge grün, weshalb Shannon wohl noch einen Grund mehr hatte, die grüne Seite eben positiv zu finden.

Die zierliche Außerirdische warf einen kurzen Blick auf die Tischplatte vor Shannon und befahl dem Tischreplikator dann etwas in ihrer Muttersprache, das Shannon nicht verstand. Bald stand aber ein großes Tablett mit zwei Gläsern und einer Flasche Saft, der eine orangebraune Färbung hatte, vor ihnen. Der dickflüssige, fast sirupartige, Inhalt der Flasche war Shannon bekannt. Es handelte sich um den Saft der so genannten Schokoladenfrucht, die auf New-Vendar-Prime wuchs. Sie hatte eine glatte Schale und konnte spielend die Ausmaße eines terranischen Medizinballes erreichen. Um an ihren Saft zu kommen, musste man sie aufbohren wie eine Kokosnuss. Das Fruchtfleisch war von eher breiiger Konsistenz. Die Frucht wuchs am Boden an Staudenpflanzen. Sie sollte auch noch eine andere große Rolle spielen.

Nidell goss die Gläser halb mit dem Saft voll. Die andere Hälfte füllte sie mit Wasser, das sich in einer weiteren Flasche befand, auf. Dann schob sie Shannon eines der Gläser hin und nahm sich selbst das zweite. Verzückt sah die blonde Irin den Inhalt ihres Glases an. „Fehlt eigentlich nur noch das Schirmchen.“, frotzelte sie. „Warte.“, wuselte Nidell und wollte sich wieder zum Replikator drehen. „War’n Witz.“, meinte Shannon. „Woher du weißt, dass ich auf das Zeug stehe, kann ich mir denken.“, fügte sie noch hinzu. „Du bist Telepathin.“ „Dass du für den Saft sogar deinen Frühstückskaffee stehen lässt, ist ein offenes Geheimnis.“, lächelte Nidell. „Aber, wo wir schon von Telepathie reden, ich habe ein kleines Problem.“

Shannon nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas. „Schieß los!“, ermunterte sie Nidell. „Ich habe ab und zu das Gefühl, dass Shimar und Maron noch leben. Ich glaube, dass ich sie wirklich spüren kann. Ich habe darüber schon mit Zirell gesprochen, aber sie hat gesagt, dass ich mir vielleicht nur wünsche, dass es so ist und meine telepathische Wahrnehmung nicht von meiner Einbildung unterscheiden könnte.“ „Warte mal.“, spekulierte die technische Assistentin. „IDUSA hat ausgesagt, dass sie sich retten konnte, aber was hat sie mit Shimar und Maron gemacht? In ihrer Aussage stand nichts davon, dass sie die Jungs von Bord gebeamt hat. Also, wo sind sie?“ „Habe ich mich auch schon gefragt.“, bestätigte Nidell. „Damit war ich auch bei Zirell. Sie fand es zwar auch extrem merkwürdig, aber sie hat dem keine wirkliche Bedeutung beigemessen.“ „Du, Nidell.“, flüsterte Shannon konspirativ. „Ich würde mich ja nicht schwer wundern, wenn die Jungs uns irgendwie verarschen.“ „Shannon!“, entrüstete sich Nidell. „Du kennst doch mich und meine große Schnauze.“, verteidigte sich die blonde Irin. Dann zeigte sie auf die Tür und fügte hinzu: „Da kommt der Grizzly. Ich hol’ ihn mal her. Vielleicht kann er dich auf andere Gedanken bringen, du kleine Grübelmaus.“

Zirell saß in ihrem Quartier und kämpfte mit einem Brief an Shimars Familie. Irgendwie wollte ihr keine richtige Formulierung einfallen, obwohl sie das eigentlich schon oft genug durchgegangen sein sollte. Als Kommandantin einer Station sollte sie eigentlich wissen, wie man der Familie den Tod eines ihrer Mitglieder, das Offizier auf ihrer Station war, schriftlich mitteilte. Aber da war ihr etwas im Weg. Bei dem Etwas handelte es sich um die telepathische Wahrnehmung von Shimar, die sie einfach nicht in Ruhe ließ und die immer stärker wurde, da, wie wir ja jetzt wissen, die geistige Mauer, die Shimar aufgebaut hatte, zu bröckeln begann. „Schon gut, Zirell.“, sagte sie zu sich. „Bei dir ist im Moment wohl eher der Wunsch der Vater des Gedanken. Wenn IDUSA sagt, sie war die Einzige, die sich retten konnte, dann ist es so. Also, bilde dir nichts ein.“

Eludeh und ich waren mit Centus-Shimar beschäftigt. Ich hatte ihn auf dem Schoß, denn Eludeh fand, er sollte zu mir als seiner Patentante eine Beziehung aufbauen. „Hi, kleiner Mann.“, lächelte ich und strich über sein Gesicht. Dabei fiel mir auf, dass seine kleine klebrige Zunge immer aus dem Mund und wieder hinein glitt. „Eludeh, was heißt das, wenn er züngelt?“, fragte ich.

Sie stand auf und ging zum Replikator. „Er hat Hunger.“, erklärte sie. Dann befahl sie dem Rechner: „IDUSA, repliziere zwei lebende Heuschrecken!“ „Laut tindaranischer Rechtsprechung darf ich das nicht.“, antwortete IDUSA. „Warte.“, erwiderte Eludeh und sah mich fragend an. „Das stimmt.“, bestätigte ich. „Tindaranische Rechner machen sich strafbar, wenn sie ein lebendiges Wesen replizieren, damit es zum Nahrungserwerb getötet werden kann. Ihnen droht dann die Reprogrammierung oder gar die Demontage. Sie sind genau so zur Verantwortung zu ziehen wie wir auch. Auf Tindara sind künstliche Intelligenzen den Lebensformen juristisch gleichgestellt.“ „Jetzt weiß ich, warum es auf Tindara keine Klingonen gibt.“, witzelte Eludeh. „Die hätten wahnsinnige Probleme mit der Ernährung. Aber was machen wir jetzt? Die Nahrung für Centus-Shimar muss sich bewegen, damit der Fangreflex ausgelöst wird. In seinem jetzigen Alter kann er das noch nicht willentlich steuern.“ „Gib mir mal bitte die Pinzette, mit der du ihn füttern wolltest.“, überlegte ich. Sie führte aus, worum ich sie gebeten hatte.

Ich bewegte die Pinzette vor dem Mund des Babys hin und her. Der Kleine ließ seine Zunge hervorschnellen und wickelte sie darum. Er ließ erst wieder los, als er bemerkte, dass kein Insekt daran war. „Geht doch.“, lächelte ich. „So, und nun befiehlst du IDUSA einfach, tote Heuschrecken zu replizieren. Das darf sie nämlich. Das wäre ja nichts anderes, als die Replikation von einem Stück Fleisch. Etwas Totes kann ja keine Schmerzen oder Qual mehr empfinden.“ „Danke, Betsy.“, strahlte Eludeh. Dann sagte sie: „IDUSA, den auf Warten gestellten Befehl wandeln. Repliziere zwei tote Heuschrecken!“ IDUSA führte den Befehl aus und bald lagen die beiden Insekten im Auswurffach des Replikators. Eludeh nahm sie mit der Pinzette einzeln auf und bewegte diese vor dem Mund ihres Sohnes, wie sie es bei mir gesehen hatte. Der Kleine wickelte sie zielsicher in seine Zunge und verschlang sie schmatzend, um gleich darauf ein zünftiges Bäuerchen zu machen. „Klasse!“, rief ich aus. „Allerdings.“, bestätigte Eludeh. „Wir müssen ihn jetzt schlafen legen. Damit absolute Ruhe herrschen kann, sollten wir gehen. IDUSA kann uns ja sicher Bescheid sagen, wenn etwas ist.“ „OK.“, erwiderte ich. „Ich weiß auch schon, was wir machen. Ich wollte schon immer mal Joran verwirren. Komm mit.“

Ich drehte mich zum Mikrofon und fragte: „IDUSA, wo ist Joran?“ „Joran befindet sich in Aufenthaltsraum zwei.“, kam es gewohnt sachlich zurück. Dann winkte ich Eludeh, mir zu folgen.

Auf New-Vendar-Prime waren die Vorbereitungen für das Jahreswendfest in vollem Gange. Die Priesterinnen hatten den religiösen Teil abgeschlossen und jetzt kam langsam das, was jeder selbst tun sollte. Dazu gehörte auch das Schnitzen eines Gesichtes aus einer ausgehöhlten Schale der Schokoladenfrucht, das aber ruhig extrem hässlich aussehen konnte, ja sogar sollte, denn in diesen Kopf wurden später Tonscherben gefüllt, die das vergangene Jahr repräsentierten. Diese Köpfe mussten später einiges über sich ergehen lassen.

Diran hatte den Zeitpunkt, an dem sich das ganze Dorf hierzu einfinden sollte, wohl einfach verschlafen, allerdings schlief er nicht wirklich, sondern widmete sich dem Fütterungsritual. Dieses führte er, wenn es möglich war, jetzt mehrmals täglich durch. Zwar hätte einmal durchaus gereicht, aber während des Rituals konnte er mit dem Bewusstsein in seinem Energiefeld ja auch kommunizieren und es gab ja noch ein Rätsel für ihn zu lösen.

Immer hatte es nicht funktioniert, denn auch ein Energiefeld war irgendwann mal satt. Heute aber fiel ihm bereits der Einstieg sehr leicht. Schnell, so schnell, wie er es nie gedacht hatte, war der gewünschte Zustand erreicht. Diran spürte, heute würde er die fehlenden Puzzlestücke erhalten.

Kapitel 12: Rätsel und Lösungen

von Visitor

 

Diran stand erneut auf der ihm schon bekannten zugigen Ebene dem Mann im Käfig gegenüber. „Ach, du bist es, Diran.“, lächelte dieser. „Ja.“, erwiderte der Vendar, den zu dem Bewusstsein in seinem Energiefeld bereits eine tiefe Freundschaft verband.

Vorsichtig schaute Diran sich um. Allerdings blieb sein Blick an den Gitterstäben haften, bis er das Schloss sehen konnte. Die Nebelwand war kaum mehr zu sehen. Nur ein Teil des Schlüssellochs war noch eingehüllt.

„Ich kann nicht vergessen, was du zuletzt zu mir gesagt hast.“, gestand Diran. „Was genau meinst du?“, fragte der Fremde. „Ich spreche von der Sache mit Ethius’ Albtraum. Warum erhebst du den Anspruch, dieser zu sein?“ Der Fremde lachte: „Ich erhebe nicht nur diesen Anspruch, Diran Ed Sianach. Ich bin Ethius’ Albtraum. Ich verkörpere alles, was er verleugnet. Nach meinem Tod spürte ich, dass ich zwar meinen Körper verlassen hatte, aber immer noch hier in dieser Dimension beziehungsweise in der von Nihilla und der Föderation war. Ich erkannte meine Gelegenheit, denn ich konnte durch einen bloßen Wunsch überall sein, wo ich wollte. Ich beschloss, die Regierungen etwas zu veralbern, damit sie langsam mal von ihrem hohen Ross heruntersteigen würden. Ich ging in diesen Kristall, der benutzt wurde, um mich dir einzusetzen. Diese nihillanischen Wissenschaftler haben doch wirklich geglaubt, sie hätten ein Feld geschaffen, das einem echten so ähnlich ist. Zu Lebzeiten war ich im Widerstand. Ich weiß mehr über die Vorhaben der Regierung auf Nihilla, als du dir je träumen lassen kannst.“

„Diran! Diran!“ Eine Frauenstimme, die seinen Namen rief, hatte ihn aus dem Ritual geholt. Diran drehte sich um und erkannte im gedimmten Licht seines Hauses Sianach. „Was gibt es, Telshanach?“, fragte er. „Warum störst du mich?“ „Du musst anfangen, dein Sündengesicht zu schnitzen.“, antwortete sie. „Sonst wird es nicht mehr rechtzeitig fertig und du musst deine ganzen schlimmen Erlebnisse und Missetaten mit ins neue Jahr nehmen. Das ist nicht gut!“ „Ich komme ja, Telshanach.“, erwiderte Diran und stand benommen auf.

Eludeh und ich hatten den Aufenthaltsraum betreten. „Bitte bring mich zu einem Tisch, von dem aus uns Joran gut sehen kann und du ihn auch gut siehst.“, bat ich. „Sicher.“, gab sie zurück, obwohl sie nicht wirklich wusste, was ich vorhatte.

Wir setzten uns an einen Tisch in der Mitte des Raumes. „Joran ist nicht allein.“, erklärte Eludeh leise. „Bei ihm sitzen zwei Frauen. Eine ist Tindaranerin mit schwarzen langen Haaren und die Andere scheint Terranerin zu sein.“ „Hat die Terranerin blondes Haar?“, fragte ich. „Ja.“, erwiderte Eludeh. „Dann ist es Shannon.“, erkannte ich. „Das ist sehr gut. Sie wird Joran schon im richtigen Moment aufmerksam machen. Sie wird wahrscheinlich ähnlich fasziniert von dem sein, was ich jetzt vorhabe wie Joran selbst.“

„Weiß eigentlich dein Commander, dass du hier bist?“, erkundigte sich Eludeh. „Nein.“, lachte ich. „Sie denkt immer noch, ich bekämpfe den Aberglauben eines kleinen Mädchens auf der Erde. Aber das kann sie ruhig noch eine weitere Weile denken. Was Kissara nicht weiß, macht sie nicht heiß.“ Eludeh grinste.

Ich drehte mich zum Tischreplikator und replizierte einen ganzen Eimer voller Kapseln, wie ich sie aus terranischen Überraschungseiern kannte. Allerdings machte ich zur Bedingung, dass alle Teile zum Zusammenbauen sein mussten. Danach replizierte ich mir noch ein leeres Tablett.

Ich hielt Eludeh den Eimer hin. „Spiel mal bitte Glücksfee.“, bat ich. Meine nihillanische Freundin, die wohl nicht ganz verstanden hatte, schaute mich verwirrt an. „Ich meine, zieh mal eine Kapsel und gib sie mir. Wir wollen ja schließlich nicht das Gefühl aufkommen lassen, ich würde schummeln.“, erklärte ich. „Also schön.“, entgegnete Eludeh und griff tief in den Eimer. Die Kapsel, die sie herausgeholt hatte, legte sie in meine offene Hand.

Fasziniert staunte sie über den Umstand, dass ich die Kapsel geöffnet hatte und ihren Inhalt jetzt feinsäuberlich sortierte. Noch cooler schien sie es allerdings zu finden, dass ich ohne die Beschreibung lesen zu können wusste, um was es sich später handeln sollte, denn sie sah, wie ich mit fast schlafwandlerischer Sicherheit eine Figur nach der Anderen komplett richtig zusammen baute. „Du hast eine unheimlich gute Kombinationsgabe.“, flüsterte sie mir zu. „Und dein Ziel scheinst du auch erreicht zu haben.“

Joran schaute zu uns herüber. Er bekam aber vor Staunen den Mund nicht mehr zu. Die angeregte Unterhaltung, die er mit Shannon geführt hatte, konnte er nicht mehr zu Ende führen. Sein Mund stand weit offen und seine rechte Hand zeigte unentwegt in meine Richtung. „Mach’n Mund zu, Grizzly!“, flapste die blonde Irin. „Deine letzte Mahlzeit kriegt Frostbeulen!“ Jeder hätte sich jetzt über diesen Spruch schlapp gelacht, außer Joran. Der konnte es nämlich gerade nicht. „Oh, ha, da braucht einer Hilfe.“, stellte Shannon fest und hielt Joran eigenhändig die Augen zu. Erst jetzt gelang es diesem, seinen Mund wieder unter Kontrolle zu bringen. „Wie macht sie das, Shannon O’Riley?“, flüsterte Joran ehrfürchtig. „Keine Ahnung.“, brummelte Shannon zurück. „Frach s’e doch mal.“ „Das werde ich.“, versicherte Joran und stand auf. Dabei bekam man aber immer mehr den Eindruck, er sei so hin und weg, dass er sogar seine Füße nicht mehr unter Kontrolle hatte. „Langsam, Grizzly.“, kommentierte Shannon das Unterfangen schadenfroh. „Immer schön einen Fuß vor den anderen. Nie beide gleichzeitig, sonst fliegst du auf deine große Nase.“

Irgendwie hatte Joran es geschafft, bei uns anzukommen. „Wie machst du das, Allrounder.“, wollte er wissen. „Du kannst doch das Bild in der Beschreibung nicht sehen. Spaßeshalber hatte ich auf Eludehs Anregung mir mal einen der kleinen Zettel vor die Augen gehalten. „Sie fühlt die Teile und dann erkennt sie, was es werden soll.“, erklärte Eludeh. „Du besitzt großes handwerkliches Geschick, Allrounder Betsy.“, meinte Joran und strich mir anerkennend über die Schulter. „Vielleicht unterschätze ich dich immer wieder, wenn ich denke, dass du viel mehr Hilfe brauchst, als in Wirklichkeit.“ Ich atmete auf. Mit diesem Experiment hatte ich genau das erreichen wollen. Es ging mir nämlich gewaltig auf die Nerven, dass Joran, wenn immer er in meiner Nähe war, mich geradezu bemuttern wollte und jeden ziemlich zusammenstauchte, der mir seiner Meinung nach nicht schnell genug bei diesem oder jenem helfen wollte.

Das Piepen der Sprechanlage beendete unser Experiment. „Hier ist Commander Zirell.“, schallte es aus dem Lautsprecher. „Die gesamte Besatzung wird gebeten, sich in der Offiziersmesse einzufinden.“ Was das bedeutete, wusste ich.

Evain hatte ihrem Staatsoberhaupt eine lange Liste mit Namen vorgelegt. „Das sind also die Freiwilligen?“, fragte Ethius. „Ja, Allverstehender Präsident.“, antwortete Evain stolz. „All diese Leute, es sind zumeist noch Rekruten, wollen unsterblich werden.“ Ethius warf einen kurzen Blick auf die Liste. Er erkannte den Namen seiner eigenen Tochter an erster Stelle. Es erfüllte ihn mit großer Freude, dass Flavia sich so für ihren Staat einsetzen wollte. Evain, der nicht entgangen war, wo der Finger ihres Präsidenten fast rastete, sagte nur: „Sie ist allen Kindern ein Beispiel, Allverstehender Präsident. Das liegt nur an Ihrer guten Erziehung und natürlich auch an der Ihrer Gemahlin.“ Sie wusste, dass Ethius ein paar Schmeicheleien gegenüber nie abgeneigt war. Dafür gefiel er sich zu sehr in seiner Rolle des Allwissenden. „Verständigen Sie die Kliniken!“, befahl Ethius. „Ja, Allverstehender Präsident.“, erwiderte Evain.

Wir hatten uns alle, wie Zirell es befohlen hatte, in der Offiziersmesse eingefunden. Eludeh, die ich zuerst in unser Quartier bringen wollte, hatte dankend abgelehnt. „Ich mag keine Angehörige irgendeiner Streitkraft sein.“, hatte sie gemeint. „Aber ich bin eine Freundin Shimars und Maron hat sich als sehr verständig und auf meiner Seite herausgestellt. Irgendwie habe ich das Gefühl, es den Beiden zu schulden, auf ihrer Beerdigung dabei zu sein.“ Dem konnte ich nur zustimmen und hatte sie deshalb mitgebracht.

Die Messe war mit schwarzen Tüchern verhangen. Links und rechts an den Wänden standen lange Tische mit schwarzen Tüchern und ebensolchem Geschirr. In der Mitte des Raumes befanden sich hinter einem schwarzen Vorhang zwei Särge auf einer Plattform, die IDUSA mit den Sensoren ihres Transporters bereits erfasst hielt. Um die Deckel waren schwarze Banderolen mit der Aufschrift: „Er starb in Erfüllung seiner Pflicht.“, gelegt. Die Särge sollten symbolisch in den Weltraum gebeamt werden, denn von Shimars und Marons Leichen fehlte weiterhin jede Spur.

Jeder, der schießen konnte, stand mit einem Phaser in der Hand vor den Särgen. Die Waffen hatten aber nur Salutstärke, konnten also nicht wirklich etwas bewirken. Der Nutzen wäre nur optischer Natur gewesen. Wir bildeten eine V-Formation, der Zirell als Spitze vorangestellt war.

Eludeh hatte ich abseits auf einem Stuhl lassen müssen. Als einer Zivilistin durfte ich ihr keinen Phaser in die Hand geben und Zirell hätte dies ohnehin nicht zugelassen. Jetzt stand die gerade Erwähnte vor uns allen und begann eine Rede: „Wir sind heute hier zusammengekommen, um uns von zwei sehr guten Kameraden zu verabschieden. Shimar und Maron waren uns allen zwei gute Freunde und haben stets nie ihre Pflicht vergessen, wenn es darum ging, für uns alle ein zu stehen. Trotz all unserer Trauer sollten wir jene glorreichen Momente nie vergessen, in denen sie uns allen das Leben gerettet haben. Wer außer mir jetzt noch etwas sagen möchte, möge bitte vortreten.“

IDUSA hatte die Leistung ihrer Energiesysteme erhöht, um Shimars und Marons Reaktionstabellen laden zu können. Für die Simulation benötigte sie mehr Energie als im Sleepmodus, auf den sie ja auf eigene Initiative geschaltet hatte. „Es gibt einen psychologischen Notfall, Gentlemen.“, sagte der Schiffsavatar. „Was ist los, IDUSA?“, erkundigte sich Shimar. „Ihre Freundin wird wahrscheinlich gleich die Grabrede halten. Es wird ihr wahrscheinlich das Herz zerreißen. Bitte erlauben Sie mir, Sie in die Offiziersmesse zu beamen!“ „Zeig mir, was du siehst.“, entgegnete der junge Patrouillenflieger.

Statt mir kam allerdings Eludeh nach vorn. „Jetzt ist Schluss!“, begann sie. „Viele von euch sind telepathisch. Ihr müsstet doch längst gespürt haben, dass sie noch leben. Es gibt Lücken in der Aussage des Schiffes. Außerdem ist da die Wahrnehmung von Allrounder Betsy, die aufgrund ihrer Beziehung mit Shimar eine so genannte Schutzverbindung mit ihm hat. Diese besteht immer noch. Das würde sie nicht tun, wenn Shimar tot wäre. Für mich sind das einige Ungereimtheiten zu viel. Wir sollten noch einmal intensiver nachforschen, bevor wir sie für tot erklären.“

Damit hatte sie die Beerdigung gesprengt, das wusste ich. Aber ich konnte mir auch denken, warum sie so mutig war. Jemand, der Jahre lang im Widerstand gegen die eigene Staatsmacht war, wusste genau, wie man Schwachstellen bei Autoritäten herausfinden und zum eigenen Vorteil nutzen konnte. Ich bewunderte Eludeh für ihren Mut. Ich selbst hätte mich das nicht getraut, obwohl ich ja eigentlich diejenige war, in deren Namen sie jetzt sprach. Wahrscheinlich war ich aber zu betriebsblind und nahm alles, was ein kommandierender Offizier sagte, für bare Münze. Wenn Zirell behauptete, sie waren tot, dann war das sicher so.

Erleichtert hatte Shimar zur Kenntnis genommen, dass nun doch nicht ich die Grabrede gehalten hatte. „Warte noch, IDUSA, bis Zirell die Särge ins All beamen lassen hat!“, befahl er dem Schiff. „Dann beamst du uns hin. Ich würde gern ihr Gesicht sehen.“ „Wie Sie wünschen.“, antwortete der Schiffsavatar.

„Was für ein Unsinn!“, rief Zirell. „Ich kann mir vorstellen, dass für viele von euch der Tod der Beiden sehr schmerzlich ist. Aber es ist nun einmal passiert. Wir sollten deshalb auch nicht mehr lange um den heißen Brei herumreden.“ Sie wandte sich an die Schützen. „Salutschützen, nehmt Ziel!“ Alle visierten wir einen Punkt in der Luft an. Dabei bekam ich natürlich Hilfe von meinem Spezialprogramm. Zirell befahl: „Salut Feuer!“ Wir schossen das erste Mal. Dieser Vorgang wiederholte sich insgesamt drei mal. Ich versuchte zu verbergen, dass ich an der ganzen Beerdigung zweifelte.

Zirell drehte sich zum Mikrofon: „IDUSA, die beiden Särge ins All beamen. Dabei die Hymne der Föderation und Tindaras in genannter Reihenfolge abspielen. Das bin ich Maron schuldig.“ Alle stellten sich in einer Reihe auf und hoben die rechte Hand, als wollten sie schwören.

„Bitte halten Sie sich bereit, Gentlemen.“, informierte IDUSA Maron und Shimar. „Ich beame Sie jetzt gleich in die Messe.“ „Es geht los.“, zischte Shimar dem demetanischen Agenten zu. „Habe ich wohl mitbekommen.“, antwortete Maron. „Mal schauen, wie Zirell reagiert.“

IDUSAs Transporter summte und die Beiden standen vor der völlig perplexen Zirell. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“, staunte die Tindaranerin und wusste nicht, ob sie lachen oder zornig sein sollte. Einerseits fand sie es höchst beruhigend, dass ihr erster Offizier und ihr bester Flieger nun doch noch am Leben waren, andererseits fand sie es extrem gemein, dass die Beiden so mit der Trauer ihrer Kameraden gespielt hatten, nur um ihr eins auszuwischen. Insgeheim hatte Zirell den Braten längst gerochen und wusste, dass Maron ihr einen Streich spielen wollte und er Shimar dazu angestiftet hatte.

„Komm her, Kleines.“ Shimar war zu mir herüber gegangen und hatte mich mit diesen Worten an sich gezogen. „Alles ist gut. Ich lebe.“ „Daran habe ich nie gezweifelt.“, flüsterte ich zurück. „Habe ich wohl bemerkt.“, sagte er. „Eludeh und du, ihr habt alles versucht, um Zirell zu überzeugen. Ich hatte ziemlich zu tun, ihre telepathische Suche abzuwehren. Beinahe wäre Marons Streich in die Hose gegangen.“

„Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?!“, verhörte Zirell Maron. Sie hoffte, dass wenn sie ihn vor versammelter Crew dazu bringen könnte, ein Geständnis abzulegen, er sicher die Wahrheit sagen würde. „Ich möchte, dass du noch einmal nachdenkst!“, erwiderte Maron ziemlich leidenschaftlich. „Du brauchst mich, Sea Tindarana. Du brauchst mich jetzt sicher mehr als zuvor. Ich bin der Einzige, der über die Zusammenhänge mit Eludehs Heimatregierung am Besten Bescheid weiß. Falls es Krieg zwischen der Föderation und Nihilla auf der einen und uns auf der anderen Seite geben sollte, kann ich dir als erster Offizier besser mit Rat und Tat zur Seite stehen als jeder Andere.“ „Wenn es nach mir ginge.“, antwortete Zirell. „Dann könntest du bleiben. Aber das entscheidet leider in erster Linie Chief-Agent Zoômell. Sie findet, dein Fauxpas ist unverzeihlich. Wenn die Jahreswendfeier der Vendar vorüber ist, wirst du von Joran mit IDUSA nach Tindara gebracht. Dann bringt dich eines der letzten Shuttles nach Demeta, bevor das Embargo endgültig greift.“ Maron widersprach nicht mehr. An ihrem Gesicht konnte er gut sehen, dass es ihr ernst war. Von der Frist, die beide Seiten zum gegenseitigen Truppen- und Technologieabzug vereinbart hatten, war bereits eine Woche verstrichen. Maron hoffte, dass die Feierlichkeiten der Vendar, die eigentlich traditionsgemäß eine Woche dauerten, vielleicht ausnahmsweise mal zwei Wochen dauern könnten, denn dann wäre die Frist überschritten und er könnte bleiben. Aber wie er das Schicksal kannte, das sich seiner Meinung nach komplett gegen ihn gewendet hatte, würde dies nicht passieren.

Eludeh Shimar und ich hatten uns aus dem Raum geschlichen. Wir zwei Weibsen hatten unseren wieder von den Toten Auferstandenen in die Mitte genommen und waren jetzt auf dem Weg zu uns. „Wir müssen dir einiges erklären.“, begann ich an Shimar gewandt. „Darauf bin ich gespannt, Kleines.“, erwiderte er und strich mit zweien seiner Finger über meine Hand.

Wir gingen durch die Tür und Eludeh witschte sofort ins Gästezimmer. „Ich lasse euch zwei dann mal allein!“, hatte sie uns noch hinterher gerufen.

Shimar und ich setzten uns auf das Sofa im Wohnzimmer. „Was ist das, was du mir erklären musst, Kleines?“, fragte er. „Du bist Patenonkel.“, antwortete ich. Shimar setzte einen erschrockenen Blick auf. „OK.“, sagte er, nachdem er sich hörbar zusammengenommen hatte. „Und du bist sicher die Patentante.“ „Ja.“, erwiderte ich, als sei es das Normalste der Welt. „Wir sind Paten deines Namensvetters. Zumindest mit zweitem Namen und Bindestrich. Darauf hat Eludeh bestanden.“ Shimar grinste. „Ich glaube, Kleines.“, entgegnete er dann. „Du erzählst besser von Anfang an.“ „OK.“, begann ich. „Also, das war so. Nachdem die Station auf Alarm gelb gegangen war, hatte ich Eludeh, wie du mir gesagt hattest, in den Bunker gebracht. Du weißt ja, dass sie das Ei bei sich hatte. Wegen der ganzen Panik ist der Kleine zu früh geschlüpft. Deshalb habe ich Ishan Bescheid gesagt. Aber er konnte nicht bis zum Ende dabei sein, weil die SITCH-Verbindung zusammengebrochen ist. Dann gab es auch noch Komplikationen. Der Kleine war zu schwach, um die Kappe allein abzusprengen, weil er damit eigentlich zu früh angefangen hatte und Eludeh ihn beruhigen musste. Ich hatte keinen Gegenstand, um unter die Kappe zu haken. Also habe ich das Ei schräg gehalten, um zu erreichen, dass die Schwerkraft ihm hilft, weil er von ihr ja gegen die Kappe gedrückt würde. Eludeh hat ihn aufgefangen und …“

Shimar zog mich an sich und küsste mich. Mit freudig hoch erregter Stimme sagte er: „Ich bin stolz! Oh, Kleines, ich bin so stolz auf dich!“ „Ich war ja nicht allein.“, versuchte ich, ihn zu beschwichtigen. „Ishan war doch da. Wenn auch nur am SITCH, aber er war da.“ „War er nicht.“, widersprach Shimar. „Gerade hast du gesagt, dass die Verbindung im entscheidenden Moment zusammengebrochen war. Also warst du dann allein und hast völlig selbstständig die richtige Entscheidung getroffen.“ „Ich gebe mich geschlagen.“, lächelte ich. „Wie war’s bei dir?“ „Nur etwas Fliegerei um einigen bösen Jungs zu entkommen.“, spielte Shimar seine Leistung herunter. „Aber gegen das, was du geleistet hast, war das gar nichts. Du hast total gute Instinkte. Die solltest du unbedingt kultivieren. Immerhin hätte das Baby durch eine falsche Entscheidung von dir auch sterben können. Aber das ist ja nicht geschehen. Nein so was. Kaum ist man mal ’ne Weile tot, passieren Sachen, die man sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte.“ Er grinste.

Eludeh hatte den Raum betreten. Sie hatte Centus-Shimar auf dem Arm. „Ja, ja.“, lächelte sie. „Ist der Kater aus dem Haus, tanzen die Ratten auf dem Tisch.“ „Es sind zwar nur die Mäuse.“, berichtigte ich. „Aber im Prinzip hast du Recht.“ „Ihr duzt euch also auch.“, stellte Shimar fest. „Sicher.“, erwiderte Eludeh. „Wir sind doch jetzt quasi eine Familie.“ „Na schön.“, fügte sich Shimar in sein Schicksal. „Ich nehme an, du und Betsy, ihr habt dann schon alle Formalitäten geregelt.“ Das Du hatte er extra betont. „Aber natürlich.“, spaßte Eludeh. „Wenn du nicht in die Puschen kommst.“

Sie setzte sich mit ihrem Kind zu uns. „Da gibt es nur noch eins.“, sagte sie nachdenklich. „Dass mein Sohn tindaranischer Staatsbürger ist, ergibt sich automatisch aus der Tatsache, dass er auf tindaranischem Grund und Boden zur Welt gekommen ist. Aber ich würde gern auch wollen, dass er tindaranisch getauft würde. Ließe sich da was machen?“

Shimar schnellte zum nächsten Mikrofon. Jetzt würde er sich es nicht nehmen lassen, in dieser Angelegenheit auch etwas zu unternehmen. „IDUSA, findet in nächster Zeit auf dieser Basis ein tindaranischer Gottesdienst statt?“, fragte er. „Korrekt.“, erwiderte der Rechner. „Heute um 14:00 Uhr. Er ist sogar in englischer Sprache.“ „Warum machen die das denn?“, wollte ich wissen. „Das ist hauptsächlich wegen deiner Kameraden.“, erwiderte er. Dann witschte er aus der Tür.

„Erklär mir das bitte, Betsy.“, bat Eludeh. „Es gibt Föderationsoffiziere, die den tindaranischen Glauben angenommen haben?“ „Warum nicht.“, erwiderte ich. „Jeder darf doch glauben, was er will.“

Sie begann zu zittern und zu weinen. Ich nahm ihr den Kleinen ab. Wenn er ihre Angst gespürt hätte, wäre das sicher nicht gut gewesen. „Glauben.“, schluchzte Eludeh. „Ihr wisst gar nicht, was für ein Glück ihr habt. Ihr dürft ja noch glauben. Ihr dürft an etwas glauben, das größer ist als ihr. Aber bald wird das wohl auch vorbei sein. Eure Nugura will die Politik von Ethius ja komplett übernehmen.“ Etwas schnürte mir die Kehle zu. Ich konnte nur noch ein leises: „Entschuldige bitte.“, hervorbringen.

Shimar kam bald darauf mit stolz geschwellter Brust zurück. „Ich hab’s einrichten können!“, erklärte er. „Zirell redet mit der Priesterin und dann wird dein Sohn tindaranisch getauft, Eludeh.“ „Mein Held.“, lächelte ich, während ich ihn fest umarmte. „Wahrscheinlich kannst du froh sein, Shimar, dass Zirell dir diese Bitte überhaupt erfüllt hat.“, sagte Eludeh. „Ich könnte mir vorstellen, dass sie total sauer auf dich ist.“ „I wo.“, meinte Shimar. „Die schiebt nur ’nen Hass auf Maron. Mit der Aktion hat er sich selbst abgeschossen.“ „Du kennst Zirell doch schon länger.“, mischte ich mich ein. „Hättest du Maron nicht abraten können?“ „Sicher, Kleines.“, sagte Shimar. „Aber er ist für sein Tun selbst verantwortlich. Hätte ich ihm abgeraten, hätte er die Konsequenzen ja nie gespürt.“ „Ach, so ist das.“, verstand ich.

Eludehs Gedanken waren die ganze Zeit bei der Taufe. „Muss ich da eigentlich etwas wissen?“, fragte sie. „Die Priesterin steht hinter einer weißen Linie und wird dich auffordern, ihr den Kleinen zu geben.“, erklärte Shimar. „Dann wird sie dich fragen, wie er heißen soll. Sobald du laut seinen Namen ausgesprochen hast, tragen Betsy und ich ihn gemeinsam in einer Decke zu dir. Du wickelst ihn aus.“ „Alles verstanden.“, sagte Eludeh. Dann sah sie auf die Uhr. „Ich glaube, wir müssen gehen.“, sagte sie bestimmt. „Schließlich will ich nicht zur Taufe meines eigenen Kindes zu spät kommen.“

Auf dem Weg in den Raum, der extra als Tempel zurechtgemacht war, machte mich eines stutzig. Über unsere permanente Verbindung hatte Shimar mich wissen lassen, dass die Initiative zumindest in verbaler Hinsicht von ihm gekommen war. Deshalb verstand ich auch nicht, warum Zirell Maron so fertig gemacht hatte. „Gesagt habe ich es, Kleines.“, erklärte Shimar. „Aber dran gedacht hat er zuerst.“ Ich nickte. Deshalb also. Deshalb hatte Zirell als geschulte Telepathin natürlich Bescheid gewusst. Shimar hatte Maron also auflaufen lassen.

Unterwegs trafen wir noch auf Jenna und Joran, die sich einen tindaranischen Gottesdienst auch mal aus der Nähe ansehen wollten. „Hoffen wir, dass es dieses Mal nicht ganz so anrührend wird.“, sagte Jenna. „Ich fange nämlich bei Taufen immer tierisch an zu heulen.“ „Dann müssen wir Sie wohl ablenken.“, schlug ich vor. „Wie geht es eigentlich IDUSA?“ „IDUSA geht es gut.“, antwortete die Cheftechnikerin. „Ich hatte das neue Modul für den Interdimensionsantrieb bereits bestellt, als ich die Nachricht erhalten hatte, dass sie ihres hat opfern müssen. Deshalb konnte ich es auch schon einsetzen. IDUSA ist wieder voll dienstfähig.“

Wir betraten den Tempel. Hier gab es spiralförmig angeordnete Sitzreihen, die alle zu einem Zentrum wiesen, in dem es eine Art von Empore gab. Hier stand eine Tindaranerin von ca. 150 cm Größe, die lockiges rotes Haar hatte. Sie trug ein langes weißes Kleid, das ihr aber trotzdem sie offensichtlich eine Priesterin war, locker und gar nicht streng um die Hüften spielte.

Shimar, Eludeh, Joran, Jenna und ich setzten uns nebeneinander. „Das heutige Thema ist: Das werdende Leben.“, begann die Priesterin und holte eine alte Steintafel hervor. Jetzt liest sie gleich die Schöpfungsgeschichte, Kleines., gab mir Shimar telepathisch zu verstehen. Tatsächlich begann die Priesterin, nachdem es im ganzen Raum still geworden war: „Lange vor dem Anbeginn der Zeiten lebten in der Vorwelt die Göttin Astra und ihr Gemahl Absolus. Viele Kinder hatten sie bekommen und einige von ihnen hatten sich entschieden, zu Welten zu werden und sterblichen Wesen eine Heimstadt zu sein.

Als Letztes bekamen Astra und Absolus noch drei Töchter. Sie waren Drillinge und wurden Lucia, Helia und Tindara genannt. Lucia und Helia waren schön und von großer und schlanker Gestalt. Ihre Köpfe zierten lange blonde Haare. Tindara hingegen war schmächtig, klein und hatte nur spärliches dünnes schwarzes Haar. Doch war sie der drei Schwestern Klügste und Besonnenste. Wenn sie gemeinsam durch die Welten wandelten, sah Tindara oft zu, wie sich ihre Schwestern mit viel Tand umgaben und nichts mehr zu tun hatten, als sich in den Gewässern der Welten zu spiegeln und die eigene Schönheit zu bewundern. Tindara hörte den Spott und Hohn ihrer Schwestern. „Schau uns an.“, meinte Helia und Lucia fügte hinzu: „Wir sind die schönsten aller Wesen, ob Sterbliche oder unsterbliche Götter. Ach, wie hässlich du doch im Gegensatz zu uns bist!“

Zwar war Tindara über diese Worte nicht gerade froh, aber sie schreckten sie nicht wirklich, denn sie wusste, dass sie diejenige war, die sich um die Schöpfung sorgte. Sie hatte viel Leid von sterblichen Wesen genommen, ja, sogar geholfen, ihre Streitigkeiten zu lösen, wenn sie selbst nicht weiterkamen und sich an Tindara gewendet hatten. Sie hatte oft lang grübeln müssen, aber immer eine Lösung gefunden. Sie wusste, ihre eitlen Schwestern würden dies nicht zuwege bringen.

Doch Astra blutete das Mutterherz. Tag für Tag klagte sie Absolus ihr Leid. „Oh, mein Gemahl.“, klagte sie. „Was können wir noch tun? Lucia und Helia fühlen keine Liebe für ihre Schwester. Wie können wir dafür sorgen, dass sie aufhören, ihr so arg zu spotten? Alles, was wir bis jetzt getan haben, war umsonst.“ „Verzage nicht.“, tröstete Absolus sie.

Nun kam also der Tag, an dem sich die drei Töchter entscheiden mussten, ob sie auch als Erwachsene lieber Welten werden wollten, oder als Geistwesen das Universum durchstreifen wollten. Der weise Absolus wandte sich zuerst an Tindara. „Nun, mein Kind.“, begann er. „Wie hast du entschieden?“ „Wenn ich darf, Vater.“, antwortete Tindara zögernd. „Dann möchte ich eine Welt werden, die vielen Sterblichen eine Heimat ist. Immer will ich gut für sie sorgen und …“ „Du!!“, lachten Helia und Lucia wie aus einem Munde. Ohnehin konnten sie nicht verstehen, warum sich ihr Vater zuerst an Tindara, die in ihren Augen hässliche Schwester, gewandt hatte. Sie fanden, sie als wahre Schönheiten, hätten das Recht, zuerst gefragt zu werden.

„Nun denn.“, sprach Absolus. „Es sei.“ Auf sein Wort verwandelte sich Tindara in eine Welt und gab vielen sterblichen Wesen eine Heimat.

Helia und Lucia blickten mit garstigen Augen, Neid und Missgunst auf die Geschicke ihrer Schwester. Sie sahen, wie aufgehoben und gut sich die Sterblichen bei Tindara fühlten. Gekränkt suchten sie wieder ihren Vater auf und sagten: „Vater, warum hast du ihr diesen Wunsch gewährt. Hättest du nicht uns eine Aufgabe geben müssen, die unserer Schönheit gebührt?“ „Ihr wollt eine Aufgabe, die eurer Schönheit gebührt?“, fragte Absolus. Die Schwestern nickten. „Nun gut.“, sprach Absolus. „Es sei!“ Und er verwandelte Helia und Lucia in zwei Sonnen. „Für eure Schwester.“, so sprach er dann. „Sollt ihr nun ewig mit eurer Schönheit dienlich sein. Ihr werdet ihr mit eurem Glanze helfen, das Leben, das sie beherbergt, zu erhalten. Auf ewig sollt ihr sie beschützen und beschirmen und ihr Licht sein. Schatten habt ihr lang genug auf eure Seelen geladen!“

So kam es, dass das Tindaranische bis heute das Schimpfwort: „Helucis“ verwendet, wenn eine eitle Frau beschrieben wird.“

Während der Lesung hatte Joran Eludeh nicht aus den Augen gelassen. Er hatte beobachtet, wie aufgeregt sie war. Offensichtlich schien diese Geschichte etwas in ihr anzurühren. Der Vendar hatte förmlich ihren Puls schlagen sehen. Dies hatte ihn an ein Erlebnis aus seiner eigenen Kindheit erinnert. Seine beiden Brüder und er waren in das Alter gekommen, in dem sie ihre Ausbildung zum Telepathenjäger beginnen sollten. Tabran war der damalige oberste Ausbilder und durch seine Schule sollten nur die Besten gehen. Jorans Vater hatte ihm und seinen Brüdern bereits einige Prüfungen abverlangt, in denen sie ihre Stärke im Kampf und anderes beweisen sollten. Alle drei seiner Söhne hatten dies mit Bravur gemeistert, aber Niran, Jorans Vater, konnte nur einen seiner Söhne zu Tabran schicken. Eines Abends hatte ihn Sanach, seine Frau, nachdenklich vor dem Haus gefunden. „Wie soll ich herausfinden, welcher meiner Söhne Tabrans Unterricht würdig ist?“, hatte Niran geklagt. „Was soll ich tun? Was soll ich tun, Sanach?“ „Du solltest nicht nur herausfinden, wer der Stärkste ist, sondern auch, wer der Geschickteste ist.“, hatte Sanach entgegnet. „Pflücke drei frische Blätter des Peshal-Baumes und lege sie je eines in das Nest eines Singvogelpaares. Die Nesselfäden der giftigen Blätter werden Eier und Vögel einhüllen. Gib unseren Söhnen die Aufgabe, sie davon zu befreien. Wer es schafft, dass dabei weder ein Ei, noch das Nest beschädigt wird, oder einer der Vögel verletzt wird oder gar stirbt, soll Tabrans Schüler werden.“ Damit hatte sich Niran einverstanden erklärt und so war verfahren worden.

Wie heute erinnerte sich Joran an das Schlagen der kleinen Herzen in seinen Händen, als er die ängstlichen Vögel von den Nesseln befreite. Auch seine Worte waren ihm noch immer im Gedächtnis: „Habt keine Angst.“, hatte er getröstet. „Alles wird wieder gut.“ Je mehr giftigen Schleim er aus dem Gefieder geholt hatte, desto schneller beruhigten sich auch die kleinen Herzen. Schließlich war er der Einzige, bei dem alles heil geblieben war und der es laut seinem Vater dann auch verdiente, in Tabrans Schule zu gehen. Seine Brüder würden von niederen Ausbildern trainiert werden.

Dieses Mal würde er jenes kleine Herz aber nicht beruhigen können, das wusste Joran. Er konnte nur zusehen. Aber er wusste, Eludeh empfand ja auch keine Angst, sondern pure Freude darüber, dass sie hier an etwas Größeres glauben durfte, ohne Repressalien befürchten zu müssen. Ihre Angst und die Gründe dafür waren uns allen ja hinlänglich bekannt.

Einige Zeit später, in der alle, die es konnten, tindaranische Gebete gesprochen hatten, kam die Priesterin zu uns und gab uns eine Art Hängematte. Dort hinein legte Eludeh Centus-Shimar. Dann gingen Shimar und ich mit der Priesterin in die Mitte des Raumes hinter die schon von Shimar erwähnte weiße Linie. Eludeh stand auf deren anderer Seite. „Eludeh, Tochter des Marcellus und der Livia, sage uns nun, wie dein Sohn heißen soll.“, forderte die Priesterin sie auf. „Centus-Shimar soll er heißen, Priesterin!“, sagte Eludeh deutlich, wenn auch mit etwas zitternder Stimme. „Wer gibt dieses namenlose Kind in sein Leben als Centus-Shimar im Schutze der tindaranischen Gottheiten?“, fragte die Priesterin in den Raum. Shimar und ich stellten uns nach vorn. Die Priesterin gab uns je eine Trageschlaufe der Taufdecke in die Hand und wir überschritten die Linie. „Ich, Shimar, übergebe dir, Eludeh, Centus-Shimar in sein Leben im Schutze der tindaranischen Gottheiten.“, sagte Shimar feierlich und übergab Eludeh seine Schlaufe. „Ich, Betsy, übergebe dir, Eludeh, Centus-Shimar in sein Leben im Schutze der tindaranischen Gottheiten.“, sagte auch ich und übergab meine Schlaufe. Eludeh wickelte den Kleinen aus der Decke und zog ihm seine normalen Kleider an. Dann sagte sie: „Ich danke euch, Shimar und Betsy.“

Von den hinteren Bänken nahm ich ein Schnäuzen wahr. Ich ahnte, dass die sonst so taffe Jenna ihre Gefühle nicht mehr hatte zurückhalten können. „Sobald das hier zu Ende ist, sollten wir machen, dass wir hier raus kommen.“, zischte Jenna. „Ich habe keine Lust darauf, dass mich jemand so sieht.“

Kapitel 13: Pläne

von Visitor

 

Shimar und ich hatten Eludeh in unsere Mitte genommen und waren mit ihr aus dem Tempel gegangen. „Du zitterst ja.“, bemerkte ich. „Es ist nichts.“, beruhigte sie mich. „Es tut nur so gut zu wissen, dass da noch etwas Größeres als man selbst sein könnte.“

Nicht alle Planeten der Föderation waren Nuguras Kurs gefolgt. Naru Tjana, die erste Elektorine von Celsius, hatte diesen sogar als Hinrichtung der Demokratie und der Freiheit im Allgemeinen bezeichnet. Deshalb hatte auch sie gedroht, ihren Planeten aus der Föderation zu nehmen. Viele celsianische Sternenflottenoffiziere hätten dann kündigen müssen. Da die meisten von ihnen die fähigsten Techniker waren, welche die Föderation hatte, hoffte Naru, damit ein Druckmittel in der Hand zu haben.

Cenda und Scotty waren Nachbarn. Deshalb hielten sie auch oft einen Plausch über den Gartenzaun. Auch heute trafen sie sich wieder. „Hast du dir schon ’nen zivilen Job gesucht?“, wollte die etwa 1,70 m messende schwarzhaarige Celsianerin mit den für ihre Rasse typischen herzförmigen Augäpfeln in graubrauner Färbung wissen. „Ne.“, schnodderte Scotty zurück. „Kenne mich da ja nich’ so richtig aus.“ „Ich hätte da vielleicht was für uns beiden.“, flapste Cenda. „’n Freund von mir arbeitet bei der Firma, die für die Wartung der öffentlichen Transporter zuständig ist. Das wär’ doch sicher was für dich.“ Scotty nickte. „Na das is’n Wort.“, lobte Cenda und verschwand in ihrer Haustür, um alles zu regeln. Wie wichtig das noch werden würde, ahnte Scotty noch nicht.

Joran tigerte in Jennas und seinem Quartier auf und ab. „Könntest du dich bitte hinsetzen!“, insistierte Jenna. „Du machst mich total nervös.“ Joran drehte sich um und setzte sich neben sie auf das Wohnzimmersofa. „Vergib mir, Telshanach.“, sagte er. „Aber es ist wegen Eludeh. Hast du gesehen, wie sie sich verhalten hat?“, „Allerdings.“, erwiderte Jenna. „Es muss schrecklich sein auf Nihilla. Wenn man einen bestimmten Glauben nicht haben darf, das kennen wir ja alle. Aber wenn man an gar nichts glauben darf, was bleibt einem da noch, bevor man völlig verzweifelt, oder gar größenwahnsinnig wird? Ich musste vorhin zu Maron und er hat mich um meine Expertenmeinung gebeten. Eludeh hat ausgesagt, dass ihre Regierung im Besitz einer so genannten Urknall-Maschine sei und dass Eludeh befürchte, dass sie das gesamte Universum als fehlerhaft ansehen könnten und es vielleicht völlig neu erschaffen wollen könnten.“ „Was hast du ihm gesagt?“, erkundigte sich der sichtlich geschockte Vendar. „Ich habe gesagt, dass es dazu einer extrem hohen Menge an Energie bedürfte, und dass ich mir nicht vorstellen könne, dass diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Besitz der Nihillaner sei. Trotzdem sollten wir vorsichtig sein. Die Nihillaner haben schließlich alle Skrupel über Bord geworfen und man weiß nie, zu was sie fähig sein könnten.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Aber ich habe auch gesagt.“, fuhr Jenna fort. „Dass die Nihillaner etwas übersehen haben. Wenn sie das Universum neu erschaffen wollen, müssen sie das Alte ja erst zerstören. Aber wohin flüchten sie selbst dann?“

Angesichts der politischen Situation musste ich an Scotty denken. Wie würde es ihm jetzt wohl ergehen? Shimar hatte bemerkt, wie aufgeregt ich war. „Ist irgendwas nicht in Ordnung, Kleines?“, fragte er. „Ich würde gern mit Scotty reden.“, entgegnete ich. „Sicher.“, erwiderte er. „Noch geht das ja. Noch zwei Wochen und dann greift das Embargo. Dann sind alle Leitungen in die Föderation dicht. Außerdem, warum fragst du mich, ob du mit deinem Mann sprechen darfst?“ „Ich meinte nur, weil …“, begann ich. „Ach was.“, erwiderte er. „Du weißt doch, dass Scotty und ich sogar befreundet sind und uns wegen dir keine Hahnenkämpfe liefern. Du weißt doch, dass wir alle drei ja zu unserer Dreiecksbeziehung gesagt haben.“ Ich atmete auf. Dann wandte ich mich an IDUSA: „IDUSA, stell mir eine interdimensionale Verbindung mit dem Rufzeichen mbs13, 2, 19.ce her!“ Der tindaranische Rechner führte meinen Befehl aus und bald hörte ich Scottys Stimme. „Hey, Darling! Was verschafft mir die Ehre?“, fragte er gewohnt flapsig. „Ich wollte einfach mal wissen, wie es dir geht.“, antwortete ich. „Wie soll’s einem schon gehen, wenn man demnächst an einen Haufen gottloser Narzissten verhökert wird.“, beschrieb Scotty die Situation zwar schnoddrig aber treffend. „Aber wenigstens du bist in Sicherheit.“, sprach er weiter und zeigte auf das Rufzeichen im Display seines Sprechgerätes. „Du bist bei ihm, aber das macht nichts. „Lass dir bloß was einfallen, um da bleiben zu können, so lange es geht. Komm ja nicht zurück, bevor Naru Celsius nicht endgültig aus der Föderation losgeeist hat. Nugura will natürlich unbedingt, dass wir bleiben. Kein Wunder, wir stellen die meisten und fähigsten Techniker.“ Mir fiel auf, wie sehr Scotty bereits mit seiner Wahlheimat verbunden war. „Keine Angst.“, lächelte ich. „Ich muss dir nur auch noch etwas sagen. Einer der Offiziere hier hat Mist gebaut und ist beurlaubt. Er soll bald zurück nach Demeta. Aber wenn er einmal dort ist, kann er auf legalem Wege nicht nach Tindara zurück. Er ist aber der Einzige, der Bescheid weiß. Kannst du da nicht was drehen?“ „Bets’.“, antwortete Scotty. „Verlass dich auf den alten Scotty! Den alten Problemlöser. Mir fällt bestimmt was ein.“ Damit drückte er die 88-Taste.

Shimar war mein gelöster Gesichtsausdruck nicht entgangen. „Na.“, lächelte er. „Alles in Butter auf Celsius?“ „Jein.“, antwortete ich. „Der Planet wird die Föderation verlassen. Ich habe mit Scotty wegen Maron gesprochen. Ich meine, irgendwann muss Zirell ihm doch mal verzeihen.“ „So weit ich das verstanden habe.“, erwiderte Shimar. „Liegt das nicht mehr in Zirells Entscheidungsgewalt. Chief-Agent Zoômell hat da das letzte Wort und sie ist nicht so leicht umzustimmen.“ „Aber.“, widersprach ich. „Jeder kann doch einmal einen Fehler machen.“ „Kommt wohl ganz drauf an, wie schwerwiegend der ist.“, argumentierte Shimar. „Wenn du ein verzweifelter nihillanischer Flüchtling wärst und dich würde jemand belügen, nur um an Informationen zu kommen. Würdest du dann noch einem Geheimagenten trauen? Zumal dann, wenn du ohnehin keine guten Erfahrungen mit Staatsorganen hast?“ Ich überlegte eine Weile und lenkte dann ein: „Sicherlich nicht.“

Eludeh war nach der Versorgung ihres Sohnes wieder aus dem Gästezimmer gekommen und hatte unser Gespräch am Rande mitbekommen. „Das müsst ihr mir jetzt mal erklären.“, lächelte sie. „Du, Betsy, bist also verheiratet und unterhältst trotzdem eine Beziehung mit Shimar und der ist auch noch einverstanden, beziehungsweise, ihr alle drei seid mit der Sache, wie sie läuft, einverstanden?“ „Lange Geschichte.“, erwiderte ich. „Auf die bin ich gespannt.“, schmunzelte Eludeh.

Bevor ich aber beginnen konnte, machte die Sprechanlage diesem Vorhaben ein abruptes Ende. „Ich antworte schon.“, sagte Shimar und nahm das Mikrofon: „Shimar hier.“ „Hier ist Zirell.“, kam es zurück. „Ich muss euch über etwas informieren.“ „Komm rein.“, erwiderte er.

Die Türen glitten auseinander und die Kommandantin betrat den Flur, um gleich darauf ins Wohnzimmer abzubiegen. „Die Vendar möchten, dass wir jetzt schon auf ihren Planeten kommen.“, begann Zirell. „Es gibt einen alten Brauch, nach dem jeder ein so genanntes Sündengesicht aus der Schale der Schokoladenfrucht schnitzen muss. Dann werden Tonscherben hineingefüllt. Mehr hat Sianach noch nicht verraten.“ Ihr Blick fiel auf mich und ihre nächsten Worte bekamen einen leicht sorgenvollen Ausdruck. „Jeder muss sein Sündengesicht selbst schnitzen.“ „Ich denke.“, bemerkte Eludeh, die verstanden zu haben schien, was Zirell so bedrückte. „Dass man in Allrounder Betsys Fall auch mal eine Ausnahme machen kann. Schließlich würden die Vendar ja auch nicht von einem Kleinkind verlangen, mit den scharfen traditionellen Werkzeugen umzugehen. Gut, Betsy ist keine zwei Jahre alt, aber sie ist nun mal gefährdet.“ „Ich könnte die Schnitzerei übernehmen.“, schlug Shimar vor. „OK.“, erklärte ich mich einverstanden. „Dann mache ich die Tonscherben für uns beide.“ Zirell ließ hörbar erleichtert die Luft aus ihren Lungen entweichen. „Ich sag’s gleich Sianach.“, sagte sie. „Die hat nämlich echt Bedenken gehabt.“ „Wenn wir keine Lösung gefunden hätten.“, scherzte Shimar. „Hätte ich Jenn’ geholt.“ Zirell sah den Patrouillenpiloten fragend an. „Du weißt doch wie es heißt.“, erklärte dieser. „Mc’Knight findet einen Weg.“ Wir alle vier mussten lachen.

„Einige Vendar sind mit ihren Schiffen auf dem Weg hier her, um uns abzuholen.“, erklärte Zirell das weitere Vorgehen. „Jenna wartet IDUSA. In zwei Stunden sind sie hier. Shimar, du nimmst Betsy, Eludeh, Jenna, Shannon, Maron, Joran, Nidell und mich mit IDUSA mit …“ „Halt.“, mischte sich Eludeh ein. „Ich fliege mit meinem eigenen Schiff, wenn niemand etwas dagegen hat.“ „Eludeh.“, entgegnete Zirell. „Wir haben wirklich nichts dagegen, Sie mitzunehmen.“ „Trotzdem.“, widersprach Eludeh. „Ich möchte einfach niemandem zur Last fallen.“ „Aber das tun Sie nicht.“, bekräftigte Zirell ihre Absicht. „Bitte, Commander, glauben Sie mir.“, fuhr Eludeh fort. „Es wird besser so sein.“ „Na gut.“, lenkte Zirell doch ein. „Ich sage es Jenna.“ Was wirklich hinter Eludehs Plan steckte, sollte noch für ziemlichen Wirbel sorgen.

Jenna und Shannon waren mit der Wartung der IDUSA-Einheit beschäftigt, als Zirell die technische Kapsel betrat. „Jenn’!“, rief sie der Cheftechnikerin zu. „Bitte kümmere dich auch noch um das nihillanische Schiff. Eludeh möchte gern mit ihrem eigenen Schiff fliegen.“ „Das habe ich schon längst überprüft.“, entgegnete die hoch intelligente Halbschottin. „Dann ist ja gut.“, erwiderte Zirell. „IDUSA is’ ihr wohl nich’ fein genuch, he?“, flapste Shannon dazwischen. „Assistant.“, zischte Jenna. „Über Eludehs Motive können wir spekulieren.“, versuchte Zirell die aufkommenden Wogen zu glätten. „Die kenne ich auch nicht. Tut bitte einfach nur, was ich euch gesagt habe. Ich denke, irgendwann kriegen wir es schon raus.“ „OK.“, sagte Jenna und winkte ihrer Assistentin, ihr zum Andockplatz von Eludehs Schiff zu folgen.

Wenig später waren wir alle unterwegs. Shimar und ich hatten in IDUSAs Cockpit eine ziemlich heiße Unterhaltung über Eludehs Motiv. Vor allem mussten wir IDUSA eines Besseren belehren, die, wenn wir es nicht besser gewusst hätten, glatt den Eindruck vermittelte, auf Eludehs Schiff eifersüchtig zu sein. „Es liegt sicher nicht an dir, IDUSA.“, beruhigte Shimar sie. „Vielleicht will sie uns auch einfach nur etwas beweisen.“, pflichtete ich ihm bei. Shimar sah mich fragend an. „Was meinst du damit, Kleines?“, fragte er. Ich machte große Augen und bekam vor Staunen den Mund nicht mehr zu. „Fliegerehre.“, half ich ihm auf die Sprünge. „Eludeh denkt vielleicht, dass sie als Zivilistin uns Militärfutzis zeigen muss, dass sie nicht bemuttert werden braucht. Immerhin hat sie es als Einzige geschafft, einigen fiesen faulen Äpfeln in dem Flüchtlingszug zu entkommen, den das nihillanische Militär unterwandert hatte. Ich gebe zu, daran waren IDUSA und Maron nicht ganz unschuldig, aber trotzdem.“

Shimar bekam plötzlich einen unglaublichen Lachanfall. „Militärfutzis, nein, Kleines!“, prustete er. „Die Sprechweise deines Mannes scheint schon auf dich abzufärben.“ Ich ließ meine letzten Sätze im Kopf durchlaufen. Dann erwiderte ich: „Ups.“

Bald darauf landeten wir auf der Lichtung, die von den Vendar als Raumflughafen genutzt wurde. Nach dem Aussteigen ließ Shimar seinen Blick über die Schiffe schweifen. „OK, sie ist hier.“, sagte er darauf zufrieden, bevor er meine Hand nahm, um mich hinter den Anderen her zu einem großen Platz in der Mitte des Vendar-Dorfes zu führen.

„Könntest du wohl aufhören, Eludeh zu bemuttern?“, flüsterte ich ihm zu, während wir unseren gemeinsamen Weg fortsetzten. „Was hättest du denn gemacht, wenn du ihr Schiff nicht gesehen hättest?“, „Dann hätte ich Zirell um Erlaubnis gebeten, die Strecke noch einmal mit IDUSA abfliegen zu dürfen und nach ihr gesucht.“ „Aber du hast doch selber festgestellt, dass sie prima klar kommt.“, argumentierte ich.

„Betsy!!!“ Eine kleine schrille Kinderstimme, die laut meinen Namen gequietscht hatte, wuselte auf uns zu. Dann warf sich ein weiches Fellknäuel in meine Arme. „Hey, Tchiach-Maus!“, lächelte ich. „Wolltest uns wohl unbedingt begrüßen, was?“ „Ja.“, quietschte Tchiach völlig atemlos. Dann fiel ihr Blick auf Shimar, dem sie nur ein nüchternes: „Hi.“, zuwarf. „Was haben die Kleinen nur mit dir, Kleines?“, fragte Shimar etwas enttäuscht. „Weiß ich auch nicht.“, erwiderte ich etwas peinlich berührt.

„Kommt schon!“, rief Tchiach und wuselte los. „Die Anderen warten schon!“ „Wir kommen ja, kleiner Weißwirbel.“, lächelte ich. Tchiach drehte sich um. Sie schien etwas traurig. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“, wandte ich mich unsicher an Shimar. „Sie ist nicht mehr weiß.“, erklärte er.

Langsam schritt ich auf Tchiach zu und umarmte sie. „Sorry, Süße.“, entschuldigte ich mich. „Ich weiß ja, wie sehr du an deinem schönen weichen Kinderfell gehangen hast. Aber dein neues Fell ist auch genau so schön weich. Lass dir das von jemandem sagen, die tagtäglich Sachen fühlt.“ „Echt?“, schluchzte Tchiach. „Sicher.“, erwiderte ich und drückte sie an mich. Weil mir gerade nichts anderes einfiel, machte ich: „Mooz.“ Tchiach lachte glucksend. „Na also.“, grinste ich. „Genau das wollte ich.“

Auf dem Dorfplatz herrschte bereits geschäftiges Treiben, als wir ankamen. Einige waren dabei, aus den vorher gepflückten Schokoladenfrüchten durch ein Bohrloch das Fruchtfleisch und den Saft zu entfernen, andere saßen an Töpferscheiben und wieder andere schnitzten bereits an den Gesichtern. „Da seid ihr ja, ihr Nachzügler.“, grinste uns Eludeh zu, die gerade von Shiranach in den Umgang mit den alten vendarischen Schnitzwerkzeugen eingewiesen wurde. „Ich hatte mir schon Sorgen um euch gemacht.“ „Wir haben uns welche um dich gemacht.“, erklärte Shimar. „Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst, ’ne Zivilistin kann das nicht.“, begann Eludeh zu singen. Ich grinste. Ich wusste genau, woher sie das hatte. Dieses, oder zumindest ein ähnliches Lied, war mir des Öfteren durch den Kopf gegangen.

„Komm mit, Allrounder Betsy.“, sprach mich eine bekannte Frauenstimme an. „Ich zeige dir, wie das mit den Scherben geht. Alles Andere ist für dich zu gefährlich.“ Ich hatte Sianach erkannt. „OK, Sianach.“, nickte ich. „Ich töpfere dann aber für zwei. Shimar schnitzt für zwei.“ „Na gut .“, meinte sie. „Aber dann hast du ganz schön was zu zählen. Eure Erdenjahre haben 365 Tage und das tindaranische Jahr hat doppelt so viele, weil Tindara um zwei Sonnen wandern muss. Viel Spaß!“ „Den werde ich haben.“, entgegnete ich.

Sie führte mich zu einem Arbeitsplatz, der aus einem Holzstoß bestand. Davor stand ein Stuhl, der ebenfalls aus Holz war und eine aus Schilf geflochtene Sitzfläche und Lehne hatte. „Setz dich.“, sagte sie und ging kurz weg, um bald darauf mit einem riesigen Klumpen Ton zurückzukehren. Diesen ließ sie mit einem großen lauten: „Flatsch!“ auf das Brett fallen, welches als Tischplatte diente. Dann gab sie mir einen dicken Stiel in die Hand, an dessen unterem Ende sich eine große runde Platte befand. „Den wirst du später brauchen.“, erklärte Sianach. „Aber jetzt stell ihn bitte erst mal dort hin, wo du es dir am Besten merken kannst.“ Ich stellte den Stiel neben meinen Stuhl.

„OK.“, begann ich bald danach und zeigte auf den Tonklumpen. „Was mache ich mit dem Klops?“ „Daraus rollst du jetzt erst mal eine dicke Kugel.“, dozierte Sianach. Das tat ich dann auch, allerdings musste Sianach mir helfen, denn meine Hände waren bei Weitem nicht groß genug, den dicken Klumpen zu umfassen und zu rollen. „Verzeih mir bitte.“, bat sie. „Das habe ich nicht bedacht.“ „Macht nichts.“, erwiderte ich. „Ich habe eben nicht die Riesenpratzen einer Vendar.“ „Dafür sind deine geschickter, Betsy El Taria.“, schmeichelte sie. Wahrscheinlich spielte sie auf die Sache mit meiner Hilfe bei Centus-Shimars Schlupf an, über die inzwischen jeder Bescheid wusste.

Die Kugel, die bereits die Größe eines mittleren Kürbis erreicht hatte, war fertig. Sianach hob sie auf den Holzstoß. „Nimm jetzt bitte den Stiel mit der Scheibe.“, instruierte sie mich freundlich. Das tat ich und sie führte meine Hand direkt in die Mitte der Kugel. „Jetzt drückst du das Ganze herunter.“, erklärte sie weiter. Der Tonklumpen gab ein nasses: „Matschschsch!“ von sich, als er dem Druck nachgab. Das, was ich bald vor mir liegen hatte, konnte man getrost als Riesenpizza bezeichnen. Sianach gab mir einen in Form eines Tortenstückes gebogenen Metallstreifen. „Die Spitze muss zur Mitte des Fladens zeigen.“, erklärte sie. „Achte außerdem bitte darauf, dass der Kreisbogen genau am Rand ist. Dann hast du später keinen Abfall.“ Ich nickte und drückte das Metall in den Ton. Dies erinnerte mich an das Backen mit meiner Mutter in meiner Kindheit. Die dabei entstehenden Stücke legte ich feinsäuberlich auf einen Haufen und zählte sie dabei. Eigentlich machte ich viele kleine Häufchen zu je zehn Stück, von denen ich auch wieder jeweils zehn in einer Reihe aufschichtete. Dann zehn Reihen untereinander. So würde ich sicher gehen können, dass später auch die Menge ausreichte. Sianach konnte ihren Blick kaum von meinen Stapeln lösen. „Ich habe dich wohl unterschätzt.“, meinte sie mit einem fast ehrfürchtigen Tonfall. „Hast du echt geglaubt, ich zähle die Dinger einzeln?“, schnodderte ich nicht ganz ernst gemeint zurück.

„Ach.“, meinte Sianach nach einer Weile. „Wo ist eigentlich Ishan?“ „Der ist auf der Station geblieben.“, antwortete ich. „Als Androide hat er ja nichts mehr von Feierlichkeiten und hat, soweit ich Zirell verstanden habe, freiwillig Dienst auf der Station schieben wollen.“ „Schon klar.“, lächelte Sianach.

Einige Stunden danach waren alle mit dem Schnitzen ihrer Gesichter fertig. Zumindest dachte ich das, denn die provisorischen Arbeitstische waren weggeräumt worden.

Shimar holte mich ab. Wir spazierten durch die Wälder und tauschten unsere Erfahrungen aus. „Wie hat sich eigentlich Maron angestellt?“, wollte ich wissen. Mir war bekannt, dass er in handwerklichen Dingen oft zwei linke Hände hatte. Shimar lachte laut auf. „Der? Oh, Backe!“, rief er aus. „Der hat mehr Früchte verschnitzt, als du zählen kannst. Wenn nicht die Verletzungsgefahr für dich so groß wäre, Kleines, dann hättest du das sogar noch besser hingekriegt. Aber alle seine Versuche hatten irgendwie Ähnlichkeit mit Ethius.“ „O-O.“, machte ich. „Ja.“, erwiderte Shimar. „Das Ganze mutiert für ihn zu so ’ner Art Therapiesitzung.“ „Wer hat denn dann für ihn weiter gemacht?“, erkundigte ich mich. „Tabran.“, entgegnete Shimar nüchtern. „Oh, ha.“, meinte ich. „Das hat ihm bestimmt nicht geschmeckt, dass ihm ein alter Mann helfen musste und vielleicht sogar noch besser war, als er selbst.“ „So schlimm fand Maron das gar nicht.“, beschwichtigte Shimar. „Er weiß ja, dass er zwei linke Hände hat.“

Diran saß vor seinem Haus. Er war nicht gerade fröhlich gestimmt. Immer noch hatte er das Gefühl, die Seele seines Energiefeldes gefangen zu halten. Leider war aber der Zeitraum, in dem er es noch willentlich irgendwohin übertragen konnte, überschritten und er hätte warten müssen, bis sein Sifa-Zyklus ein natürliches Ende fand. Er dachte sich aber, dass er trotzdem einen Weg finden müsste, dieses Martyrium für das Bewusstsein zu beenden, denn in der Welt der Lebenden zu bleiben, so dachte Diran, würde es sehr viel Energie kosten und ihm sicherlich auch Schmerzen bereiten. Diran überlegte hin und her, wie er es doch noch befreien konnte. Wenn es nicht anders ging, würde er sich sogar selbst verletzen müssen.

Shimar und ich saßen auf einem Baumstumpf und waren in ein Gespräch vertieft. „Hast du vielleicht in der Zwischenzeit rausbekommen können, warum Eludeh so gut mit Schiffen umgehen kann?“, fragte er. „Ja.“, entgegnete ich. „Sie ist Hobbypilotin.“ „Interessant.“, erwiderte Shimar.

In der Ferne wurde er eines näher kommenden Schattens ansichtig. „Da kommt Jenn’.“, erklärte er. „Sie hat’s ziemlich eilig.“ Jetzt hörte auch ich die rasch näher kommenden Schritte der Cheftechnikerin. „Da seid ihr also, ihr zwei hoffnungslosen Romantiker.“, schmunzelte sie uns zu. „Sianach schickt mich. Ich soll euch holen, damit wir gemeinsam die Samenkapseln des Kugelgrases auspulen können, um etwas zu haben, mit dem der Wind uns die Zukunft vorhersagen kann.“

Shimar zog mich auf die Beine und wir folgten Jenna. „Glauben Sie an so etwas, Jenn’?“, fragte ich neugierig. „Ob ich daran glaube, ist unwichtig.“, lächelte sie zurück. „Die Vendar glauben daran und das allein zählt. Wenn es Sie zufrieden stellt, Betsy, dann denken Sie doch einfach, dass ich um Jorans Willen mitmache.“ Da war er wieder, der rote Faden um Glauben, Aberglauben und Glaubensfreiheit, der sich im Moment durch mein ganzes Leben zu schlängeln schien.

Wir kamen wieder auf dem Dorfplatz an. Hier lag auf einem Holzstoß, um den alle herumsaßen, ein großer Sack. Dieser war voll mit den genannten Samenkapseln. Wie alle anderen auch bekamen wir drei von Sianach je eine Tonschüssel und wurden aufgefordert, uns einen Platz zu suchen. Während des Laufens knirschte es unter den Füßen, denn die Reste der Kapseln wurden einfach auf den Boden geworfen, wo sie dann langsam verrotten sollten. Die Samenkörner wurden in den Schüsseln aufgefangen. „Ich liebe Fisseln!“, rief ich aus und schnappte mir eine Kapsel aus dem Sack. Diese hatte die Größe einer durchschnittlichen irdischen Pflaume und war grün und weich. Nur in der Mitte hatte sie eine leichte Taille, an der sie sich leicht auseinander ziehen ließ. Jetzt konnte ich die Kerne, die dreieckig und braun waren, aus den Hälften pulen.

Eines der kleineren Vendar-Kinder, ein kleiner Junge von ca. fünf Jahren, kam zu uns und schaute mir fasziniert auf die Hände. Dass ich mit denen eine Menge anfangen konnte, hatten die Vendar-Kinder schon längst festgestellt. Während meiner ganzen Anwesenheit hatten sie unentwegt mit mir: „Sag wer das ist“, spielen wollen. Das war ein Tastspiel, das Tchiach sich ausgedacht hatte. Alle Kinder stellten sich hierzu in einen Kreis. Nur eines stand in der Mitte und forderte ein anderes stumm durch Anticken dazu auf, mir seine Hand hinzustrecken. Das Kind in der Mitte sagte dann: „Sag wer das ist.“ Hatte ich die kleine Hand dem richtigen Namen zugeordnet, musste das erkannte Kind den Platz in der Mitte einnehmen. Das konnten sie Stunden lang mit mir spielen. Ich hatte erkannt, dass jedes Fell eine eigene Struktur hatte. Daran hätte ich auch die erwachsenen Vendar voneinander unterscheiden können. Jorans Fell zum Beispiel erinnerte mich an einen Teddybären. Sianach hingegen hatte ein Fell wie eine Hauskatze. Dirans Fell erinnerte mich an einen Schäferhund und so weiter.

Shimar hatte plötzlich aufgehört, an seiner Kapsel zu pulen. Er musste etwas Interessantes beobachtet haben. „Der kleine Knopf hat die Augen zu und versucht, so eine Kapsel auszupulen.“, flüsterte er mir zu. „Knuffig.“, flüsterte ich zurück.

Eine Vendar mittleren Alters kam auf uns zu. Sie schien die Mutter des Kleinen zu sein. Jedenfalls wandte sie sich zu ihm, sagte ihm etwas in ihrer Muttersprache, das ich nicht verstand und nahm ihn mit sich fort. Sie schien aber nicht argwöhnisch zu sein. „Der Kleine wird jetzt sicher ’ne Menge zu erzählen haben.“, lächelte Shimar. „Das glaube ich auch.“, pflichtete ich ihm bei.

Zirell und Maron hatten sich etwas abseits getroffen, um sich über Dienstliches zu unterhalten. „Ich habe gerade mit Ishan gesprochen.“, begann die Tindaranerin mit betrübtem Gesicht. „Er sagt, dass die Föderation wohl auseinander brechen wird.“ Irritiert sah ihr erster Offizier sie an. „Was genau meint Ishan damit?!“, fragte Maron etwas alarmiert. „Ishan sagt, viele Planeten hätten sie bereits verlassen. Darunter Terra, Celsius, Platonien und Zeon. Demeta wird unter Umständen noch folgen, aber Nitrin will versuchen, Nugura zuerst umzustimmen. Die Stationen 818 und 817 haben sich für unabhängig erklärt und noch etwas: Die Zusammenkunft geht davon aus, dass es Krieg geben wird. Sie haben der Restföderation ein Ultimatum gestellt. Entweder, sie löst sich wieder von Nihilla, oder Tindara ist gezwungen, dieses in seine Schranken zu weisen.“ Maron senkte den Kopf und schlug die Augen nieder. „So weit ist es also gekommen.“, seufzte er. „Kannst du mir mal verraten, was Ethius Nugura versprochen haben könnte, dass sie nihillanische Zustände auch in der Föderation einführen will?“, erkundigte sich Zirell. Der demetanische Agent überlegte eine Weile. „Ich kann mir nur denken, dass die Nihillaner irgendeinen uralten Traum verwirklichen wollen. Irgendwas, das so groß ist, dass sie sofort angebissen hat.“, vermutete er dann. „Was kann das sein?“, fragte Zirell. „Ich kann mir etwas denken, Sea Tindarana.“, fuhr Maron fort, allerdings sah er sie dabei in einer Weise an, die ihr signalisierte: „Ich werde dich auffangen.“ „Ich denke, dass die Nihillaner der Föderation die Unsterblichkeit versprochen haben. Das ist meines Wissens noch der einzige uralte Traum, der noch immer einer ist. Zu den Sternen fliegen, das können wir längst. Auch haben wir den Hunger und die Krankheit im Griff. Nur den Sensenmann, den konnten wir bisher nicht überwinden.“ Zirell schrak zusammen. „Um Himmels Willen!“, stieß sie hervor. „Wenn sie das auf wissenschaftlichem Wege erreichen wollen, gibt es dafür meines Wissens nach nur eine Lösung und die könnte unerwünschte Nebenwirkungen haben!“ Maron nickte. Er wusste genau, welche unerwünschten Nebenwirkungen seine Vorgesetzte meinte. „Ich muss bleiben.“, plädierte er. „Bitte, Zirell. Ich bin der Einzige, der dir in dieser Situation helfen kann. Ich bin der einzige mit den richtigen Kontakten. Die Föderation hat seit mehr als 800 Jahren gute Beziehungen zu guten Mächtigen. Ich kann …“ „Leider entscheide das nicht ich.“, unterbrach Zirell ihn. „Das letzte Wort hat Zoômell.“ „Dann sprich bitte mit ihr.“, bat Maron. „Das habe ich schon.“, erklärte Zirell. „Sie hat abgelehnt.“

Weder die tindaranische Kommandantin noch der demetanische Spionageoffizier hatten Eludeh bemerkt, die sich leise hinzu geschlichen hatte. Sie hatte das ganze Gespräch mit angehört und schloss daraus, dass der Vorkriegszustand, in dem sich Tindara jetzt befinden musste, wohl ihre Schuld war. Nur durch sie hatten die Geheimdienste ja überhaupt erst die Bestätigung der grausigen Informationen bekommen. Sie beschloss, in ihre Heimat zurückzukehren und sich den dortigen Behörden zu stellen, egal welche Konsequenzen das für sie haben würde. Einen Krieg wollte sie auf keinen Fall verursachen. Die Tindaraner waren so gut zu ihr und den anderen Flüchtlingen gewesen! Auf keinen Fall wollte sie, dass sie jetzt dafür so etwas Grausames wie einen Krieg führen mussten. Nur richtig anstellen musste sie es. Würde sie mit ihrem eigenen Schiff türmen, würde jeder Verdacht schöpfen. Außerdem war sie auch dem nihillanischen Widerstand noch etwas schuldig. Wenn sie denen ein heißes schnelles waffenstarrendes Vendar-Schiff besorgen könnte, würden sie sich auch besser gegen das Militär wehren können. Aber welcher der Vendar wäre am Wenigsten argwöhnisch, wenn sie ihn um Flugstunden bitten würde? Um für Verwirrung zu sorgen, würde sie aber später auch nicht sein Schiff, sondern irgendeins stehlen. Schließlich fiel ihre Wahl auf Tabran. Der alte Mann würde sicher keinen Verdacht hegen. Dazu hatten sich die Beiden zu gut verstanden und er gehörte zu den gutmütigsten Wesen, die Eludeh je kennen gelernt hatte.

Shimar und ich befassten uns gerade mit Centus-Shimar. Shimar hatte mir erklärt, dass er immer noch Schwierigkeiten damit hatte, den Kleinen zu füttern. Allerdings lag das nicht daran, dass der Kleine nicht essen wollte, wie manche leidgeprüfte Mütter jetzt vielleicht denken könnten, nein, es lag viel mehr daran, dass Shimar selbst sein Ekelgefühl gegenüber der Insektennahrung nicht überwinden konnte. Er konnte die Heuschrecken und Käfer einfach nicht ansehen, ohne auf der Stelle leichenblass zu werden und sich fortdrehen zu müssen, um den Inhalt des eigenen Magens gleich wieder von sich zu geben. Ich hingegen konnte die Tiere sogar anfassen, was ja auch notwendig war, damit ich sie in die Pinzette schieben konnte, da ich sie ja nicht sah. Im Stillen beneidete mich Shimar wohl um diese Fähigkeit. „Wieder ein Vorteil auf deiner Seite, Kleines.“, lächelte er. „Ist schon manchmal echt gut, wenn man nichts sehen kann, was?“, grinste ich.

Eludeh kam zu uns herüber. „Könntet ihr wohl noch eine Weile auf den Kleinen aufpassen?“, fragte sie. „Ich habe gleich eine Verabredung.“ „Oh, klar.“, entgegnete ich freundlich und Shimar fügte hinzu: „Dann werde ich hoffentlich ein noch besserer Patenonkel.“

Eludeh ging zu der Stelle hinüber, an der sie Tabran zuletzt gesehen hatte. Tatsächlich saß er noch immer in dem kleinen Wäldchen auf dem Baumstumpf. Aufmerksam beobachtete der Vendar die kleine zierliche Gestalt, die sich ihm näherte. „Hallo, Eludeh El Nihilla.“, lächelte er. „Was führt dich zu mir?“ Sie blieb vor ihm stehen und begann: „Eigentlich habe ich eine etwas ungewöhnliche Bitte. Ich möchte wissen, wie es ist, ein Vendar-Schiff zu fliegen.“

Tabran nahm vorsichtig ihre Hand und zog sie neben sich. Er fühlte sich geehrt, dass sie gerade ihn als Fluglehrer ausgesucht hatte. „Und du glaubst, dass ein alter Mann wie ich das noch hinkriegt, dir so etwas beizubringen?“, fragte Tabran. „Ach, hör auf zu kokettieren.“, grinste Eludeh. „So schwer kann das ja wohl nicht sein und dein Augenlicht und Gehör sind ja wohl auch noch gut genug. Außerdem habe ich im Fliegen von Raumschiffen im Allgemeinen schon Erfahrung. Das wird also ein Sonntagsspaziergang, wenn du mich fragst. Außerdem hast du Erfahrung im Ausbilden von Leuten. Joran ist sehr redselig.“

Tabran stand behäbig auf. „In der Tat.“, sagte er. „Erfahrung darin, meinen Schülern etwas beizubringen, die habe ich.“

Er kramte in seiner Tasche und holte einen glänzenden Schaltschlüssel hervor. „Dann lass uns gehen, meine Schülerin.“, lächelte er. „Noch ist etwas Zeit. Sianach will uns heute Nacht das erste Mal versammeln, damit uns das Element Luft die Zukunft deuten kann. Sie sagt, es gebe heute Nacht sicher einen Frühjahrssturm. Das sind die besten Voraussetzungen. Aber bis dahin können wir noch ein Paar Platzrunden mit meinem Schiff drehen.“ Um so besser., dachte Eludeh. Dann ist heute Nacht sicher niemand bei den Schiffen.

Sie betraten die Lichtung, die jetzt als Massenparkplatz für die Schiffe diente. Zwar hatte jedes Schiff noch genug Platz, im Notfall starten zu können, aber trotzdem hätte ein Laie nicht unbedingt das eine Schiff vom anderen unterscheiden können. Tabran aber steuerte zielsicher auf eines zu.

Eludeh wollte auf die andere Seite gehen, aber Tabran hielt sie zurück. „Nein, nein.“, sagte er. „Links ist dein Platz. „Ich gebe mich gern damit zufrieden, die zweite Geige zu spielen. Lass mich nur noch vorher etwas programmieren, damit ich im absoluten Notfall eingreifen kann.“

Beide stiegen ins Cockpit und Tabran gab dem Mishar einige Befehle auf Vendarisch, die Eludeh nicht verstehen konnte. Aber sie wusste, dass er den Schiffsrechner nur auf Flugschulmodus programmiert haben konnte. Zuletzt stellte er das Bedienmenü noch auf Englisch um. Diese Sätze merkte sich Eludeh allerdings genau. Sie würde sie später noch brauchen.

Mittels Symbolen auf der Tastatur stellte Tabran einen Menüpunkt ein. Dann drehte er vorsichtig Eludehs Kopf zum Bildschirm. „Ich darf nicht laut mit dir sprechen.“, flüsterte er in ihr rechtes Ohr. „Sonst ist der Rechner verwirrt. Lies jetzt bitte einfach die Worte, die auf dem Bildschirm stehen, laut ins Mikrofon. Sprich aber normal, wie du sonst auch sprichst. Nicht übertrieben deutlich, aber auch nicht zu leise oder nuschelig.“ Eludeh nickte und begann: „Eins zwei drei vier fünf sechs sieben acht neun zehn. Finale, Frühling, Sommer, Herbst, Winter, Umsicht, Sofa, Suppentopf, Schulanfang.“ Auf den ersten Blick machten diese Worte vielleicht keinen Sinn, aber Eludeh wusste, dass die in ihnen enthaltenen Laute die meisten Befehle abdeckten und sie sich somit gut zum Anfertigen eines Stimmabdruckes eigneten. „Stimmabdruck erstellt.“, meldete der Rechner. „Bitte nennen Sie den Erkennungsnamen.“ „Eludeh.“, sagte diese. „Stimmabdruck mit Frequenzprofil gekoppelt und gespeichert.“, erwiderte der Rechner. „Du kennst dich ja gut aus.“, lobte Tabran.

Er steckte den Schaltschlüssel auf einen Zapfen über den Joysticks. „Das ist ein Drehschalter, mit dem das Hauptenergiesystem aktiviert wird.“, erklärte er. „Bis jetzt lief das Schiff nur auf Reserveenergie, um den Rechner in Bereitschaft zu halten. Der Antrieb braucht davon aber etwas mehr.“ „Schon klar.“, lächelte Eludeh. „Das ist bei allen Veshels standardisiert.“, erklärte Tabran weiter. Er ahnte nicht, was Eludeh mit dieser Information noch anfangen sollte.

„Darf ich jetzt den Antrieb starten, oder wollen wir hier noch länger Maulaffen feilhalten?“, fragte Eludeh forsch. Dabei erinnerte sie Tabran stark an Joran während dessen Jugend. Joran war gar nicht zögerlich gewesen. Er hatte auch immer alles auf einmal lernen wollen. „Wenn du dir das schon zutraust.“, lächelte Tabran. „Wirst du ja gleich sehen.“, antwortete Eludeh, grinste und drehte den Schaltschlüssel nach rechts. Das Schiff vibrierte leicht und gab ein leises fast wohlig anmutendes: „Bsss“, von sich, das langsam lauter und höher wurde und schließlich Tonhöhe und Lautstärke in einem angemessenen Rahmen hielt. Gleich darauf drang aber ein nervöses Piepen an Eludehs Ohren. Sie sah Tabran alarmiert an. „Sie weiß nicht, ob du da bist.“, übersetzte er lächelnd. „Leg deine rechte Hand auf den Höhenjoystick und deine linke auf den für die Richtung. So. Siehst du?“ Das Piepen verstummte und die nervösen Blinklichter auf der Instrumententafel erloschen.

Kapitel 14: Flugstunden und Weissagungen

von Visitor

 

Eludeh zog langsam den Höhenregler zu sich und schob den Schieberegler für die Geschwindigkeit etwas nach vorn. Mit einem leichten Ruck erhob sich das Schiff vom Boden. „Langsam, Mädchen.“, lächelte Eludeh und verringerte die Geschwindigkeit. „Das habe ich vergessen, dir zu sagen.“, entschuldigte sich Tabran. „Beim Start und bei der Landung ist sie etwas temperamentvoll. Ich mag es so. Das wird die Wächterin gewusst haben, als sie das Schiff für mich erschaffen hatte.“ Noch ein Argument, dieses Schiff nicht zu stehlen., dachte Eludeh. Wenn sich da irgendeine Mächtige einmischt, kann es sein, dass sie das noch verhindert.

„Zieh sie jetzt ruhig mal langsam hoch.“, schlug Tabran vor. „Oder willst du diesen schönen Planeten nicht mal von oben sehen.“ „Doch.“, lächelte Eludeh. Dann zog sie erneut den Höhenregler zu sich. Das Schiff, dessen Geschwindigkeit gerade mal ein Viertel Impuls betrug, stieg langsam auf und der Rechner schaltete nach Verlassen der Atmosphäre selbstständig die Atmosphärentriebwerke ab, um die für den Weltraum geeigneten einzuschalten. „Machen das alle Veshels?“, wollte Eludeh wissen. „Oder ist das sozusagen ein Service des Hauses.“ Bei ihren letzten Worten grinste sie. „Das tun alle.“, erklärte Tabran.

Eludeh schlug eine weite Umlaufbahn um den Planeten ein. „Witzige rote Kugel.“, kommentierte sie das Gesehene. Auch Tabran schaute auf den Schirm und bestätigte: „In der Tat.“

„Was meinst du?“, fragte Eludeh. „Wollen wir mal einen Trip durch das Sonnensystem wagen?“ „Wenn du möchtest?“, erklärte sich Tabran einverstanden.

Eludeh drehte das Schiff vom Planeten weg. Langsam kam sie, wie Tabran fand, sehr gut damit zurecht. „Du bist ein Naturtalent.“, lobte er. „Danke.“, lächelte Eludeh.

„Sag mal.“, wechselte sie das Thema, nachdem sie in einigen waghalsigen Kurven die Reaktionsfähigkeit des Schiffes getestet hatte. „Sind alle Vendar-Schiffe so reaktionsfreudig?“ „In der Tat.“, erwiderte Tabran stolz. „Wir waren für Jahrhunderte die Elitekrieger der Mächtigen. Also brauchten wir schnelle und manövrierfähige Schiffe.“ „Aber.“, fragte Eludeh. „Wofür haben die Mächtigen euch denn überhaupt gebraucht? Ich meine, die haben doch ihre Schlachten viel besser selbst mit Hilfe ihrer eigenen Fähigkeiten schlagen können.“ „Nicht unbedingt.“, antwortete Tabran. ER schien nicht zu merken, dass Eludeh mit ihren Fragen ein ganz spezielles Ziel verfolgte. „Unsere spezielle Fähigkeit, Telepathen Energie nehmen zu können, hat dafür gesorgt, dass wir manchmal auch in bedrohliche Situationen gekommen sind und dann mussten wir uns ja gut verteidigen oder schnell flüchten können.“ „Ich kann mir vorstellen.“, erwiderte Eludeh verständig, „Dass so mancher geschädigte Mächtige echt sauer war, wenn ihn ein Vendar, der seinem Feind diente, gerade ausgesaugt hatte.“ „Dass es nur so zischte!“, bestätigte Tabran stolz. „Dann hat der seine Vendar hinterher geschickt und schon war der schönste Weltraumkampf im Gange.“, spekulierte Eludeh weiter. Tabran nickte.

„Ich würde gern wissen, wie sie sich im Anflug auf ein Ziel verhält.“, erklärte Eludeh, nachdem sie das Sonnensystem sogar verlassen hatten. „Laut Sensoren gibt es da vorn einen schönen Meteoriten. Könnten wir auf den mal mit dem Phaser oder einem Torpedo schießen?“ „Du willst wissen, ob sie beim Abfeuern einer Waffe ein so genanntes Rückstoßverhalten zeigt.“, vermutete Tabran. Eludeh lächelte und nickte. „Na schön.“, meinte Tabran. „Dann fang mal mit dem Zielanflug an.“

Rückstoßverhalten war sowohl unter Piloten als auch unter Waffenoffizieren nicht gern gesehen. Manche Schiffe zeigten nämlich bei langsamer Geschwindigkeit und dem Abfeuern einer Waffe ein so genanntes „Nicken“. Da sie aufgrund der physikalischen Gegebenheiten der Antriebsfelder nicht nach hinten ausweichen konnten, ging der Bug statt dessen kurz nach unten. Das hatte oft eine leichte Instabilität der Fluglage und oft auch den kurzzeitigen Verlust des Zieles zur Folge. Sternenflottentechniker hatten das Problem zwar längst im Griff, aber Eludeh hatte es hier ja nicht mit einem Föderationsschiff zu tun. Zu gerade heraus durfte sie ja auch nicht fragen, denn Tabran durfte ja auch keinen Verdacht hegen. Würde das Schiff „nicken“, müsste sie dies aber rechtzeitig wissen, um es durch Steuerbewegungen auszugleichen und auch die Widerständler entsprechend instruieren zu können.

Eludeh verlangsamte das Veshel. „Beginne Zielanflug.“, informierte sie Tabran. „Gut.“, erwiderte dieser, der bereits den Mittelpunkt des Meteoriten mit dem Fadenkreuz des Zielgerätes für die Phaser anvisiert hatte. „Haben optimale Schussposition erreicht.“, meldete Tabran. „Na dann Feuer!“, lächelte Eludeh.

Tabran feuerte den vorderen Phaser auf den Meteoriten ab. Eludeh ließ den Höhenregler nicht los. Aber zu ihrem Erstaunen lag das Schiff wie ein Brett. Kein Nicken., dachte sie. Wie schön.

Eludeh war nicht entgangen, dass sie jetzt aus einem zwei gemacht hatten. „Lass uns den Rest doch noch mit einem schönen Torpedo erledigen.“, schlug sie vor. „Das wäre doch sicher ein cooler Knalleffekt zu Silvester.“ „Na gut.“, lachte Tabran. „Dann bring uns mal hin.“ Auch hierbei zeigte das Schiff kein Rückstoßverhalten, wie Eludeh zufrieden feststellte.

„Wir sollten jetzt aber zurück fliegen.“, schlug Tabran vor, nachdem er auf die Zeitanzeige auf der Instrumententafel gezeigt hatte. „Sonst bekommen wir noch Ärger mit Sianach. Sie ist in der Einhaltung von Zeremonien sehr streng.“ „Na OK.“, lachte Eludeh. „Aber du lässt mich das Schiff doch sicher landen, oder?“ „Du hast bewiesen, dass du ein sehr gutes Gefühl für sie hast.“, schmeichelte Tabran. „Also, warum nicht.“

Nach der Landung und dem Aussteigen wollte Eludeh sich schon zum Gehen wenden, aber Tabran hielt sie auf und übergab ihr den Schaltschlüssel. „Behalte ihn als Andenken.“, sagte er fast feierlich, als er ihn ihr überreichte. Er ahnte ja nicht, was er damit in Gang gesetzt hatte.

Alle gemeinsam gingen wir in dieser Nacht zu einer Anhöhe. Der Wind hatte tatsächlich zugenommen. Sianach hatte in einem großen Sack die Schüsseln, die sie jetzt mit Stofftüchern, welche um die Schüsseln geknotet waren, verschlossen hatte. Auf dem Gipfel der Anhöhe angekommen gab sie jedem seine Schüssel zurück. In jeder Schüssel befand sich eine Hand voll Samenkörner. Allerdings war das mit der Handvoll relativ, je nachdem ob man in Vendar-Größe oder in der Größe einer durchschnittlichen normalen terranischen Hand maß.

Joran hatte sich in Shimars und meiner Nähe aufgehalten. Er hatte das starke Gefühl, darauf achten zu müssen, dass ich auch ja alle notwendigen Informationen erhielt. „Wenn die Reihe an dir ist, Betsy El Taria, dann nimmst du den Inhalt deiner Schüssel und streust ihn in den Wind, sobald eine Böe auf dich zu kommt. Das Bild, das die Körner zeigen, wenn sie wieder auf den Boden treffen, werden wir dann für dich interpretieren.“, erklärte er. Dabei sah er heimlich zu Shimar hinüber. Er wusste, dass ich natürlich ihm in dieser Hinsicht mein Vertrauen aussprechen würde.

Sianach kam zu uns. „Ich werde dir jetzt noch etwas erklären, Allrounder Betsy.“, sagte sie. „Oh, danke, Sianach.“, erwiderte ich freundlich. „Aber Joran hat mir schon gesagt, wie es geht.“ „Das meine ich nicht.“, erwiderte die Anführerin der Vendar. „Ihr Terraner feiert doch Silvester im Winter, nicht wahr?“ Ich nickte. „Wir Vendar feiern den Beginn des neuen Jahres mit dem ersten Grün im Frühling.“, referierte sie weiter. „Von heute an wird uns jeden Tag ein Element die Zukunft deuten, wenn die Götter gnädig sind und die Natur dies zulässt. Es steht dir selbstverständlich frei, ob du daran glauben willst, oder ob nicht.“ Ich musste an meinen Großvater denken, der sehr abergläubisch war. Der hätte bestimmt daran geglaubt.

Alle stellten sich auf Sianachs Geheiß in einer Reihe auf. Dann rief sie der Reihe nach die Namen auf. Plötzlich stieß mich Shimar an. Zirell war gerade dran gewesen und schaute wohl ziemlich verwirrt. „Was ist los?“, flüsterte ich ihm zu. „Was hat die Zukunft ihr versprochen? Etwa ’ne Riesenfamilie mit ’nem Stall voll Kinder?“ „Keine Ahnung.“, flüsterte Shimar zurück. „Jedenfalls guckt sie total bedient.“

„Betsy El Taria, tritt zu uns.“, sagte Sianach. Shimar führte mich nach vorn. Ich nahm den gesamten Inhalt meiner Schüssel aus eben dieser. Dann wartete ich, bis ich das Rauschen einer Windböe hörte und warf die Körner mit voller Wucht hinein. Nachdem sie wieder auf den Boden getroffen waren, schaute sich Shimar das Bild an. Dann sagte er: „Hm, schwierig zu sagen.“ Ratlos blickte er sich um. „Was siehst du denn?“, fragte ich neugierig. „Kann ich dir nicht erklären, Kleines.“, flapste er zurück. „Dann zeig es mir.“, entgegnete ich. „OK.“, sagte er. „Gib mir deine Handfläche.“ „Nein.“, verweigerte ich. „Ich meinte, zeig es mir.“ „Ach so.“, verstand er. „Du meinst telepathisch.“ „Was sonst.“, grinste ich. „Na gut.“, sagte er. „Hoffentlich bist du nachher nicht genau so verwirrt wie ich.“

Er sendete das Bild eines merkwürdigen Dreiecks in meinen Geist, das an allen drei Seiten seltsame Unterbrechungen aufwies und auf dem Kopf stand. „Kann mir irgendeiner von euch Vendar sagen, ob es in eurer Symbolik ein umgekehrtes unterbrochenes Dreieck gibt und was das bedeutet?“, fragte ich in die Runde. Shiranach trat vor. „Das kann ich dir sagen, Betsy El Taria“, sagte die alte Vendar. „Das Symbol des umgekehrten Dreiecks bedeutet, dass jemand in deinem Umkreis den Tod findet. Würde das Dreieck nicht auf dem Kopf stehen, würde es deinen eigenen Tod bedeuten.“ „Na ja, sterben müssen wir alle mal.“, flapste ich. „Aber was heißen die Unterbrechungen?“ „Sie bedeuten, dass du jemandes Tod verhindern wirst.“, erklärte Shiranach weiter. „Natürlich.“, bemerkte ich. „Wenn das Todessymbol zerbrochen ist, wird der Tod verhindert.“, schloss ich. „Da hätte ich auch selbst drauf kommen können. Sorry, dass ich dich damit belästigt habe.“ „Du hast mich nicht belästigt.“, erklärte Shiranach. „Die wenigsten jungen Leute kennen noch die alten Symbole und von dir als einer Außenstehenden hätte das doch ohnehin niemand verlangt.“

Shimar und ich gingen nach Ende der Zeremonie noch einmal auf einen kleinen Mitternachtsspaziergang. Obwohl es rings um total still war, hatte ich nicht schlafen können. Sianach hatte uns erlaubt, in ihrem Haus zu schlafen, aber wir wollten aufgrund der hohen Außentemperaturen lieber die Nacht im Freien verbringen. Hierzu hatte Shimar uns extra Schlafsäcke repliziert, die wir aber wahrscheinlich heute Nacht nicht brauchen würden.

„Was treibt dich denn um, Kleines.“, fragte er mich fast mitleidig, nachdem wir uns an einen kleinen Bach gesetzt hatten. „Ich weiß nicht.“, antwortete ich. „Irgendwas ist nicht in Ordnung. Das spüre ich wie Liebeskummer im kleinen Zeh.“ „Es ist doch nicht etwa wegen der Weissagung.“, frotzelte er. „Zu Silvester wird doch viel gesagt. Diesen Brauch gibt es doch auch in deiner Kultur. Du willst mir doch nicht wirklich sagen, dass …“

Ich machte mich plötzlich stocksteif und lauschte in eine bestimmte Richtung. „Hey, was ist los?“, fragte er. „Ich glaube, ich habe einen Schrei gehört!“, sagte ich erschrocken. „Einen Schrei?“, erkundigte sich Shimar. „Was für einen Schrei.“ „Einen Kinderschrei!“, sagte ich, stand auf und zeigte in Richtung des Hauses. „Ich glaube, es war Tchiach.“

Über unsere Schutzverbindung hatte Shimar jetzt auch gesehen, was ich gehört hatte. Mehr noch konnte er die Notlage des kleinen Vendar-Mädchens jetzt vor sich sehen, weil ich ihn quasi darauf gelenkt hatte. „Es ist Diran.“, sagte er. „Er will sich umbringen oder so was. Nimm meine Hand, Kleines. Ich teleportiere uns hin. Dann wird er total überrascht sein. Er hat ein Messer, wie wir es zum Schnitzen benutzt haben. Ich werde dich sozusagen fernsteuern, während du ihm das Ding abnimmst. Dazu darfst du aber nicht versuchen, selbst deinen Körper zu bewegen.“ Ich nickte und griff seine Hand.

Whush waren wir vor Diran aufgetaucht. Shimar ließ meine Hände die Seinen packen und zur Seite drehen, so, dass er das Messer fallen lassen musste. Mir war aufgefallen, dass dieses in Richtung seines Nackens gezeigt hatte. Er wollte sich wohl in seine Sifa stechen, aber warum? „Was in aller Welt hattest du vor?!“, schrie ich ihn an. „Wenn du das gemacht hättest, hätte das böse ausgehen können! Auch Vendar haben hinten keine Augen! Du hättest also nicht gewusst, wohin du stichst! Du hättest genau so gut dein Kleinhirn treffen können und dann wäre alles aus gewesen! Abgesehen von der Tatsache, dass du dich damit praktizierunfähig gemacht hättest! Noch mal: Was hast du dir dabei gedacht!?“

Diran begann zu zittern. Er drehte sich um und drückte mich an sich. „Allrounder Betsy.“, flüsterte er. „Das hätte ich von dir nie gedacht. Aber ich danke dir. Es war nur, weil ich seit geraumer Zeit wohl jemanden hier gefangen halte, der eigentlich längst in die Welt der Toten gehört.“ Ich setzte mich neben ihn. Dann erzählte er mir die ganze Geschichte. „Denkst du nicht, dass dein Feld sich längst mit der Situation arrangiert hat und vielleicht das Ganze sogar seine Absicht war?“, fragte ich. „Was meinst du damit?“, fragte Diran. „Ganz einfach.“, erwiderte ich. „Er wird gemerkt haben, dass er durch einen Umstand, den wir nicht kennen, dazu befähigt worden ist, hier zu bleiben. Was ist, wenn er eine Mission hat, bei der wir ihm helfen müssen. Du kannst ihm während des Fütterungsrituals Energie geben und ihr könnt sogar kommunizieren. Frag ihn doch einfach mal nach seinen Plänen.“

Tchiach, die ich ganz übersehen hatte, kuschelte sich plötzlich an mich. „Geht es meinem Ziehvater wieder besser, Allrounder Betsy?“, fragte sie leise. „Aber ja.“, antwortete ich.

Schreiend kam Sianach hinzu. Sie hatte von dem ganzen Tumult in der Zwischenzeit auch Wind bekommen. „Du einfältiger Sohn eines Rindviehs und einer Ziege!“, fluchte sie in Richtung ihres Mannes. „Verrate mir sofort, was das sollte! Betsy, bitte nimm Tchiach mit dir. Was die Kleine gleich zu sehen bekommen könnte, ist nicht schön!“ Ich nickte und griff Tchiachs Hand. Dann gingen Shimar und ich mit ihr zu unserem Schlafplatz.

„Sie ist ganz verstört, Kleines.“, stellte Shimar fest. „Kann ich mir vorstellen.“, antwortete ich leise. „Setzt euch erst mal hier hin.“, sagte Shimar, während er sich mit den Schlafsäcken befasste und irgendwelche Experimente mit den Verschlüssen machte. Tchiach und ich setzten uns auf den Waldboden. „Ich hatte solche Angst um meinen Ziehvater, Allrounder Betsy.“, sagte Tchiach. „Kann ich mir vorstellen.“, erwiderte ich.

Shimar hielt die Öffnung eines Riesenschlafsackes, der offensichtlich aus zwei normalen bestand, vor mich. „Darf ich bitten?“, fragte er mit einem Grinsen. Ich kroch in den Sack und dann folgte Tchiach, der Shimar folgte. Wir nahmen beide Tchiachs Hände. „Du zitterst ja immer noch, Maus.“, bemerkte Shimar. Dann telepathierte er mir zu: Kleines, wie ging das Geräusch noch mal, mit dem du sie das letzte Mal beruhigt hast? Mooz., gab ich zurück. Da könnte man doch., spekulierte Shimar und fing an zu singen: „Mooz, mooz, ramooz, moozi, ramooz, ramooz. Mooz, mooz, ramooz, moozi, ramooz, ramooz, ramooz. Mooz, mooz, ramooz, moozi ramooz ramooz. Moozi, ramoozi, ramooz, ramooz, moozi, ramooz, ramooz.“ Dabei zog er alberne Fratzen und beim letzten: „Ramooz“, wuschelte er ihr kräftig durchs Fell. Tchiach bog sich vor Lachen. „Bist du albern!“, rief ich aus, die ich mich vor Lachen selbst kaum halten konnte, denn Tchiachs Lachen war irgendwie ansteckend. „Lass mich doch auch mal.“, entgegnete Shimar lässig. Bald waren wir vom Lachen alle drei so müde, dass wir einschliefen.

Joran weckte uns am nächsten Morgen sehr aufgeregt. Er hatte Eludehs Kind auf dem Arm und ein Pad in der Tasche, das er mir sogleich übergab. „Eludeh ist verschwunden.“, sagte er. „Sie hat sich einfach verfatzt.“ „Was hat sie gemacht?“, fragte ich irritiert ob seiner Sprechweise. „Sie hat sich verfatzt.“, wiederholte Joran unbedarft, denn er wusste wohl nicht, was er damit genau sagte. „Du meinst, sie ist gegangen.“, übersetzte ich. „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Das sage ich doch die ganze Zeit. Jenna Mc’Knight sagt, in eurer Sprache heißt das so viel wie, dass jemand fort gegangen ist.“ „Das stimmt schon.“, erklärte ich. „Nur ist es eher abfällig gemeint.“ „Verstehe.“, sagte Joran.

Shimar hatte mir das Pad abgenommen. „Es reagiert offensichtlich nur auf Betsys oder meinen biologischen Fingerabdruck.“, sagte er. Dann ließ er den Inhalt des im Pad befindlichen Datenkristalls abspielen. Im Display erschien Eludehs Gesicht und ihre Stimme erklang: „Bitte sorgt euch nicht um mich. Ich muss tun, was ich tun muss. Sorgt bitte gut für Centus-Shimar. Wo ich hingehe, ist keine Welt für ein Kind. Das Schiff, das ich entwendet habe, gebe ich euch bei Gelegenheit sicher zurück. Seid mir bitte nicht böse.“ Die Nachricht endete. Ich sprang auf: „Wir müssen Zirell und Sianach informieren!“

Zirell führte gerade ein letztes Gespräch mit Maron. „Joran wird dich nach dem Fest nach Tindara bringen.“, informierte sie ihn. „Kann das nicht Shimar machen?“, fragte der Demetaner nicht ohne Hintergedanken zurück. „Nein.“, bestand die Tindaranerin. „Joran ist der richtige Mann für diesen Job. Shimar könntest du viel zu leicht überreden, dich doch wieder zurückzubringen. Damit basta!“

So schnell ich konnte lief ich vor Shimar und Joran her in Richtung des Platzes, wo wir Zirell zuletzt gesehen hatten. „Zirell!“, rief ich. „Wir müssen dir etwas …“ In diesem Moment bemerkte ich nicht, dass ich einen Holzstoß, auf dem ein noch nicht ganz fertiges Gesicht lag, umgeworfen hatte. Scheppernd fiel alles zusammen und von dem mühevoll geschnitzten Gesicht blieben nur noch Scherben. „Oh, nein.“, sagte ich traurig. „Wessen Gesicht war das?“ „Meins.“, schluchzte Tchiach, die uns gefolgt war.

Ich legte das Pad auf den Trümmerhaufen und drückte die kleine Vendar, die dieses Jahr das erste mal am Schnitzen hatte teilnehmen dürfen, an mich. „Sorry.“, entschuldigte ich mich. „Dich trifft es dieses Mal aber echt hart, Süße. Erst will sich dein Ziehvater wegen seines Energiefeldes verletzen und dann mache ich dir auch noch dein Gesicht kaputt.“ „Ein Neues kriege ich doch nie in drei Tagen fertig.“, weinte Tchiach. Da die Schnitzarbeit sehr konzentrationsintensiv war, konnte ich mir das sehr gut vorstellen. Zumal Tchiach ja ohnehin ein kleiner Wirbelwind war, der Stillsitzen echt blöd fand. „Aber ich.“, lächelte ich. Shimar erschrak. „Das kannst du nicht wirklich wollen, Kleines. Hast du eine Ahnung, wie scharf die Messer sind? Wenn du damit abrutscht, kannst du dir die Pulsadern aufschneiden!“ „Wir werden einen Weg finden müssen.“, widersprach ich. „Ich habe das Gesicht zerstört, also muss auch ich den Fehler wieder ausbügeln und dabei will ich keine telekinetischen Tricks, Shimar.“ Bei meinem letzten Satz sah ich ihn ernst an. „Aber du kannst doch nicht … Jenn’!“ Selbige hatte er vorbeigehen sehen.

Die Cheftechnikerin trat zu uns und ließ sich die Situation erklären. „Mal sehen, was sich da machen lässt.“, lächelte sie und zog sich mit Zirells Erlaubnis an Bord von IDUSA zurück. „Was will sie denn tun, Shimar?“, wollte Tchiach wissen. „Sie kann Allrounder Betsy doch auch nicht sehend machen.“ „Nein.“, erwiderte der Patrouillenflieger. „Aber sie hat schon aus ganz anderen Situationen Auswege gefunden. Shannon hat manchmal Recht. Sie ist ähnlich gut wie diese Sam Carter, wenn es um die Lösung scheinbar auswegloser Situationen geht. Laut eurem Glauben dürfen wir die Frucht ja auch nicht einfach kleben, weil sie dann nicht mehr intakt wäre und …“

Vom Stellplatz der Schiffe her hörten wir jemanden eine kleine Melodie summen. Das Summen kam näher und bald erblickten wir Jenna, die eine merkwürdige Vorrichtung vor mir abstellte. Diese bestand aus einem liegenden Metallreifen, über den ein stehender gespannt war. An den Reifen befanden sich kleine Stellschrauben, mit denen sie auf die Größe jeder Frucht einzustellen waren. An dem liegenden Reifen befand sich außerdem eine horizontale Schiene, auf der eine Art Klappe hin und her bewegt werden konnte, um an der richtigen Stelle ebenfalls mit einer Stellschraube fixiert zu werden. An der Innenseite der Klappe befand sich eine Klemme, in die ein Messer gespannt werden konnte. Diese ließ sich mit einer Art Drehknopf an der Außenseite drehen. Ähnliche Klappen, und davon gleich drei, befanden sich an einer vertikalen Schiene am stehenden Reifen. Die dritte in der Mitte ließ sich noch einmal mittels einer Ratsche in der Höhe verstellen. „Wow, Jenn’.“, machte ich. „Damit kann mir ja nun wirklich nichts passieren.“

Sianach holte eine Frucht und vier Messer. Wir spannten alles in die Vorrichtung und dann kurbelte ich los. „Du stellst noch mal das Universum auf den Kopf, Jenna.“, staunte Zirell. „Mag sein.“, grinste die intelligente Halbschottin. „Wenn ich Zugang zu entsprechender Technologie erhalte.“

„Fertig!“, rief ich stolz, nachdem das letzte Messer durch ein leises: „Plopp“ angezeigt hatte, dass es die Schale durchdrungen hatte. Wozu die Schnitzer in reiner Handarbeit einen Tag gebraucht hätten, hatte ich mit der Vorrichtung in drei Stunden geschafft. Ich spannte die Frucht aus der Vorrichtung und zeigte sie Tchiach. Diese gab ein erneutes: „Wow!“, von sich, aber wies mich gleichzeitig darauf hin, dass das eine Auge höher lag als das andere. Anscheinend hatte ich mich beim Einstellen leicht vertan. „Hier hast du zwar einen kleinen Fehler gemacht, aber das macht nichts.“, meinte sie. „Die Gesichter sollen ja auch hässlich sein.“ „Schon klar.“, lächelte ich. „Sie sollen ja nicht umsonst für eure Missetaten herhalten.“ „Das ist korrekt.“, antwortete Tchiach.

Über diesen Vorfall hatten wir Eludehs Nachricht und alles, was mit ihr zusammenhing, total vergessen. „Was wolltet ihr mir denn nun zeigen oder sagen?“, fragte Zirell. Shimar aktivierte die Nachricht. Nachdem Zirell sie sich angehört hatte, sagte sie: „Um Himmels Willen! Eludeh kann sich nicht stellen. Nicht nach allem, was wir über die Zustände auf Nihilla wissen. Die werden sie foltern und töten. Sie muss doch kein schlechtes Gewissen haben. Shimar, Betsy, euch vertraut sie. Nehmt IDUSA und fliegt hinter ihr her. Versucht sie umzustimmen und zurückzubringen.“ Sie sah Jenna an, die ihr zunickte. Das hieß: „IDUSA ist bereit.“ „Machen wir, Zirell.“, sagte Shimar und zog mich mit sich fort.

Diran hatte beschlossen, sich bei seinem Energiefeld zu entschuldigen. Sicherlich hatte meine „Standpauke“ etwas zu diesem Entschluss beigetragen. Er vertiefte sich also ins Fütterungsritual, in der Hoffnung, dass das Wesen ihm noch einmal verzeihen würde.

Erneut sah Diran die Ebene vor sich, auf der der Käfig stand. Heute aber war etwas anders. Auch total anders, als er es erwartet hatte. Seiner Meinung nach wäre es nicht verwunderlich gewesen, wenn sich das Wesen jetzt noch mehr verbarrikadiert hätte, aber im Gegenteil!

Diran ging zum Schloss, um zu sehen, ob dieses noch immer von der Nebelwand bedeckt war. Aber weit gefehlt. Diran konnte das Schlüsselloch jetzt gut erkennen. Auch bemerkte er, dass er den Schlüssel in der Hand hielt, obwohl er diesen gar nicht vom Haken genommen hatte. Er steckte ihn ins Schloss und drehte ihn um. Die Käfigtür öffnete sich tatsächlich. Aber als Diran auf den Gefangenen zugehen wollte, verschwand der ganze Käfig und der Fremde und Diran standen sich beide als freie Männer gegenüber. „Bitte vergib, was ich dir tun wollte.“, bat Diran den Fremden um Verzeihung. „In erster Linie hättest du dir ja wohl selbst geschadet.“, erwiderte der Fremde mit einem Lächeln. „Ich wäre, hätte ich deine Sifa verlassen müssen, allenfalls in die Totenwelt gelangt. Dort wäre es mir sicher gut ergangen. Aber du, du wärst dann für immer praktizierunfähig oder sogar noch Schlimmeres. Allrounder Betsy hatte Recht. Das weißt du. Wenn ich in der Totenwelt gewesen wäre, wäre zwar meine Mission gescheitert, aber einen Schaden hätte ich nicht davongetragen. Ich verzeihe dir und verrate dir sogar meinen Namen. Ich bin Gajus, Ehemann der Eludeh. Meine arme Frau hat unsere beiden Töchter und mich getötet, um uns vor den staatlichen Organhändlern in Sicherheit zu bringen. Aber ich hatte damals noch einiges zu tun. Jetzt denke ich aber, dass ich es noch viel besser tun kann. Du stabilisierst mich sehr gut. Deine Energiefütterungen vertrage ich prima. Wenn die Zeit des Endes deines Zyklus naht, musst du einen neuen Körper für mich finden. Noch einmal: Ich vergebe dir. Du konntest es ja nicht wissen.“

Überglücklich beendete Diran das Ritual. Gleich würde er alles seiner Frau sagen. Er ging zu Sianach, die er am Fluss im Gespräch mit Mallach, der obersten Priesterin der Vendar-Rebellen, am Fluss fand. „Oh, Telshanach.“, begann er. „Du hattest so Recht. Ich war so einfältig. Gajus hat mir gesagt, warum er hier ist. Ich muss alles tun, um ihn zu …“ „Langsam.“, unterbrach die Vendar-Anführerin ihren Mann. „Sortier bitte erst mal. Wer ist Gajus und was meinst du überhaupt damit?“ „Gajus ist der Name meines Feldes.“, erklärte sich Diran. „Er sagt, er sei ein toter Nihillaner, der seine Häscher genarrt hätte und jetzt eine Mission hätte. Ich muss ihn bis zum Ende meines Sifa-Zyklus stabilisieren und dann muss ich einen geeigneten Körper für ihn finden, damit er seine Mission fortsetzen kann. Jetzt weiß ich auch, warum Tolea mir nicht die Wahrheit gesagt hat. Hätte ich sie noch früher erfahren, hätte ich mir unter Umständen viel früher versucht, etwas anzutun, um ihn zu befreien.“ „Deine Herrin hat das wohl vorausgesehen.“, entgegnete Sianach.

Shimar und ich waren bei IDUSA angekommen. Der tindaranische Patrouillenflieger hatte mit geübtem Blick festgestellt, welches der Schiffe Eludeh entwendet hatte. „Sie hat Dirans Schiff!“, erklärte er hektisch, während wir in IDUSAs Cockpit stiegen. „Unter Umständen ist sie schon in ihrer Heimatdimension. Immerhin hat auch Dirans Schiff einen interdimensionalen Antrieb.“ Er startete den Antrieb. „Hätte sie nicht wenigstens mich stehlen können!“, beschwerte sich IDUSA, nachdem sie auf Shimars Befehl unserer beider Reaktionstabellen geladen hatte. „Ich hätte sicher eine Möglichkeit gefunden, Sie zu verständigen, auch ohne, dass Eludeh etwas davon mitbekommen hätte.“ „Genau auf diese Art von Scherereien kann sie glaube ich gut verzichten.“, erklärte Shimar, während er uns in die interdimensionäre Schicht brachte.

Evain hatte von ihrem Kommandostand im Präsidentenpalast wohl bemerkt, dass ein fremdes Schiff in das Universum Nihillas und der Föderation eingetreten war. Auch die Biozeichen hatte sie erkannt. „Wie rührend.“, meinte sie zynisch. „Die verlorene Tochter will heimkehren. Sie hofft sicher, einen Krieg zu verhindern, indem sie sich stellt. Aber da hat sie sich geschnitten. Außerdem wartet schon ein schönes Zellchen in einem Umerziehungslager auf sie. Dort wird sie sehen, was sie von ihrer ach so heldenhaften Geste hat.“ Sie lachte dreckig, bevor sie zum Präsidentenbüro ging, um sich die Erlaubnis zu besorgen, selbst den Trupp anzuführen, der Eludeh einen ihrer Meinung nach würdigen Empfang bereiten sollte.

„Ich habe sie.“, meldete IDUSA uns. „Sie ist in der nihillanischen Dimension.“ „Hat sie schon in die Umlaufbahn von Nihilla eingeschwenkt?“, wollte Shimar wissen. „Nein.“, erwiderte das Schiff. „Dann hinterher!“, befahl Shimar.

Wir traten in die Dimension ein. IDUSA zeigte mir alles, was auch Shimar sehen konnte. „Dirans Schiff liegt vor uns.“, stellte ich fest. „Denkst du, Kleines, dass sie dir noch vertraut?“, fragte Shimar. „Warum nicht?“, erwiderte ich und befahl in IDUSAs Richtung: „Verbinde mich mit Eludeh!“

Evain und ihre Truppe waren jetzt auch aufgestiegen. „Wir werden sie umringen und dann die gleiche Strategie benutzen, die auch dieser Tindaraner damals gegen uns benutzt hatte, um sie zum Landen zu zwingen.“, erläuterte Evain ihrer Truppe über SITCH ihren Plan. „Außerdem habe ich noch etwas ganz Besonderes vorbereitet. Schaltet die Systeme frei.“ Damit überspielte sie an alle Rechner der übrigen Shuttles eine Software.

„Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe?“, fragte Eludeh, nachdem es IDUSA gelungen war, die Verbindung aufzubauen. „Weil wir wissen, dass es nichts bringt, wenn du dich stellst, Eludeh.“, erwiderte ich. „Sie werden dich nur in ein Umerziehungslager stecken.“ „Ich stelle mich, weil alles meine Schuld ist.“, erklärte Eludeh. „Hätte ich euch die Informationen nicht gegeben, hätte die Regierung von Tindara jetzt keine Handhabe für einen Krieg.“ „Den wirst du so nicht verhindern.“, redete ich ihr ins Gewissen. „Noch mal: Es ist nicht deine Schuld.“

Shimar riss das Schiff plötzlich so schnell herum, dass ich gegen die Wand geschleudert wurde. „Was ist los?“, fragte ich. „Aus der Atmosphäre sind gerade eine Menge Militärschiffe aufgestiegen.“, erklärte Shimar. „Die hätten uns ohne Rücksicht auf Verluste gerammt. Schilde hoch, IDUSA!“

„Kommandara.“, meldete ein niederer Soldat, der eines der zu Evains Truppe gehörenden Schiffe flog. „Den Tindaraner haben wir wohl ziemlich erschreckt. Der ist ausgewichen und so haben wir ihn von Eludeh getrennt.“ „Das ist richtig.“, gab Evain zurück. „Und jetzt alle Mann Manöver Stolperstein. Wollen ja nicht riskieren, dass sie es sich noch überlegt.“ Immer wieder stießen die Shuttles mit erhobenen Schilden in das Antriebsfeld von Eludehs Schiff, was dessen Fluglage zunehmend destabilisierte. Das bedeutete aber auch eine immer größer werdende Gefahr für sie, denn sie kam der Atmosphäre und Schwerkraft Nihillas immer näher.

Auch uns war dies nicht verborgen geblieben. „Wir müssen Eludeh helfen.“, schlug ich vor. „Genau das habe ich vor, Kleines.“, erwiderte Shimar. „IDUSA, zeig Allrounder Betsy die Waffenkonsole!“ Über den Neurokoppler konnte IDUSA mir jedes Ziel direkt in mein Gehirn projizieren. Deshalb sah ich sehr genau, wohin ich sie feuern ließ. Damit hatten die Nihillaner wohl nicht gerechnet. Diverse Shuttles hatten nur noch Schrottwert, als IDUSA und ich mit ihnen fertig waren. „Oh, Backe, Kleines.“, staunte Shimar. „Wenn du das Waffensystem eines tindaranischen Schiffes unter deiner Kontrolle hast, sollte man dich wohl auf gar keinen Fall wütend machen.“

Schließlich waren nur noch Evains Schiff und zwei weitere auf nihillanischer Seite übrig. „Das macht gar nichts.“, meinte Evain kalt. „Die werden auf keinen Fall auf uns schießen, wenn sie uns nicht mehr vom Schiff ihrer Freundin unterscheiden können. Startet das neue Programm und löst die Formation auf!“

Ein Schleier blendete IDUSAs Sensoren. „Ich kann die Form von Eludehs Schiff nicht mehr ausmachen.“, meldete sie uns. „Was ist mit der Antriebssignatur?“, fragte Shimar. „Ich kann sie nicht mehr von der von den nihillanischen Schiffen unterscheiden.“, sagte IDUSA. „Es sieht für mich so aus, als hätten alle vier Schiffe einen vendarischen Antrieb. Ich werde nicht riskieren, aufs gerade Wohl auf eines der Schiffe zu feuern. Am Ende treffe ich noch Eludeh und das ist genau das, was unsere Gegner beabsichtigen.“ „Wie kann denn so etwas passieren, Kleines?“, wunderte sich Shimar. Ich überlegte und sagte dann: „Ich kann mir nur vorstellen, dass sie das Antriebsmuster von Dirans Schiff aufgezeichnet haben und es jetzt über ihren Deflektor wieder ausstrahlen.“, mutmaßte ich. „Dann gibt es jetzt nur noch eine Möglichkeit.“, sagte Shimar und sah konzentriert in eine Richtung. „IDUSA.“, instruierte er das Schiff noch. „Übergib Betsy die Steuerkontrolle und übernimm die Waffen selbst!“

IDUSA änderte die Anzeige. Jetzt sah ich die Flugkonsole vor mir. „Was hast du vor?!“, fragte ich den regungslos neben mir sitzenden Shimar. Leider erhielt ich von ihm keine Antwort. „Auch ich kann Ihnen nicht sagen, was er tut.“, sagte der Schiffsavatar, für den meine Gedanken durch die geladene Reaktionstabelle bedingt jetzt ein offenes Buch waren. „Er hat den Neurokoppler abgenommen.“ „Clever clever.“, erwiderte ich. „Dann kannst du ihn nicht verpetzen.“ „Leider kann ich auch immer noch nicht Freund von Feind unterscheiden.“, erklärte das Schiff weiter. „Ich weiß, ich weiß.“, überlegte ich. Mir war klar, dass Eludeh auch nicht auf SITCH-Rufe reagieren würde. Alle Versuche, sie zur Umkehr zu bewegen, waren ja fehlgeschlagen und sie war ja der Ansicht, alles verschuldet zu haben.

Plötzlich fiel mir ein, dass das Sprechgerät ja von irgendwo her wissen musste, dass der Gerufene den Ruf ignorierte. Das bedeutete ja zwangsläufig, dass die beiden Computer eine Verbindung aufbauen mussten, damit der eine dem anderen dies mitteilen konnte. „Kannst du ein Computersignal orten, IDUSA?“, fragte ich. „Selbstredend.“, entgegnete das Schiff. „Dann ruf Eludeh! Ich weiß, dass sie nicht mit mir sprechen wollen wird, aber wenn du sie immer und immer wieder rufst, kannst du doch sicher irgendwann ihre Position zuordnen und sie von den anderen trennen. Dann schießt du auf die drei anderen Signaturen.“ „Wie Sie wünschen.“, meinte IDUSA nüchtern.

Kapitel 15: Diebstähle und Geheimoperationen

von Visitor

 

Ich drehte mich zu Shimar. „Was zur Hölle versuchst du da?!“, schrie ich ihn an. „Du siehst doch, dass es nichts bringt. Wenn Telepathen über einen längeren Zeitraum etwas versuchen, das nicht funktioniert, können sie Hirnschäden riskieren. Also, hör auf! Hör in Gottes Namen auf!“ „Festhalten, Allrounder!“, warnte mich IDUSA, bevor sie in den Steigflug ging, um von oben aus allen Rohren auf drei der vier gleichen Signaturen zu feuern. Bald darauf empfingen wir einen SITCH von Evain. „Hier ist Kommandara Evain, Kommandantin der nihillanischen Streitkräfte. Mir ist schleierhaft, wie Sie uns von Eludehs Signatur unterschieden haben. Aber mein Shuttle und die meiner Kameraden sind hin. Bitte stellen Sie das Feuer ein, damit wir um Abholung bitten können.“ „Das wird für immer mein süßes Geheimnis bleiben.“, flapste ich zurück. „Aber das Feuer stelle ich gern ein. Ich fliege sogar weg. Ich halte mich nämlich an Kriegskonventionen.“ Damit drückte ich die 88-Taste und befahl IDUSA, den interdimensionären Antrieb zu aktivieren und uns nach Hause zu bringen.

„Was ist geschehen, Kleines.“, hörte ich eine völlig abgekämpfte Stimme neben mir. „Das sollte ich lieber dich fragen.“, entgegnete ich. „Du hast sicher versucht, Eludeh mit Hilfe deiner Fähigkeiten zu beschützen. Aber du hast mir doch mal erklärt, dass ihr das nicht könnt, wenn der zu Beschützende es nicht will.“ Ich strich ihm mitleidig über die Schulter. „Du hast Recht, Kleines.“, sagte Shimar. „Aber ich hatte gehofft, sie sagt es nur so.“ „Anscheinend hat sie gemeint, was sie gesagt hat.“, erwiderte ich. Dann wandte ich mich an IDUSA: „Wir wollen nach Hause!“

Evain war gebeutelt von einem Schleppschiff an Bord genommen und nach Nihilla gebracht worden. Auch ihren beiden Kameraden war es nicht viel besser ergangen. Jetzt musste sie wohl oder übel Ethius Rede und Antwort stehen. „Wieso hat dieser Tindaraner Sie besiegen können, he?“, wollte Ethius wissen, der langsam mit seiner Geduld am Ende war. „Eigentlich war das nicht er.“, verteidigte sich Evain. „Er hatte eine Komplizin. Eine Terranerin. Sie hat mit mir gesprochen. Sie hat über mich gespottet und das Unglaublichste ist, dass sie laut Biozeichen eine Behinderung hat. Trotzdem konnten sie und das tindaranische Schiff, über das sie gerade die Kontrolle hatte, mich besiegen und sie konnte trotz des Täuschprogrammes Eludehs Schiff von unseren Schiffen unterscheiden. Sie haben unsere Schiffe ja gesehen, Allverstehender Präsident. Sie waren und sind schrottreif.“ „Hören Sie auf mit ihren Ausreden, Evain!“, schrie Ethius außer sich. „So etwas kann nicht sein. Eine Behinderte kann keinen Gesunden besiegen. So etwas gibt es nicht. Das beweist die Evolution. Behinderte Mitglieder einer jeden Rasse sind und bleiben schwach. Im Tierreich werden sie getötet. Das ist das Effizienteste und so werden wir es auch wieder mit unseren Leuten machen, wenn die verdammten Tindaraner nicht mehr so genau hinsehen. Ich habe es satt, Evain! Ich habe Ihre Ausreden gründlich satt. Sie versuchen, Ihre eigene Inkompetenz zu verdecken. Aber jetzt ist Schluss! Hiermit versetze ich sie zu den Müllfliegern! An Ihre Stelle wird Elvis Jones treten. Der hat sich um unsere Streitkräfte verdient gemacht!“ Er riss ihr das Zeichen, das sie als Kommandara auswies, von den Schultern.

Wir schwenkten in die Umlaufbahn von New-Vendar-Prime ein. Von hier aus konnte IDUSA jetzt bereits ihren Landeplatz sehen. „Es sieht aus, als wäre kurz ein anderes Schiff hier gewesen.“, sagte sie. „Ich erkenne eine tindaranische Energiesignatur.“ „Die haben bestimmt den Kleinen abgeholt.“, mutmaßte ich. „Gut, wir sind zwar seine Paten, aber im Augenblick ist die Situation für ein Kind in unserer Gegenwart viel zu gefährlich.“ „Du wirst Recht haben, Kleines.“, erwiderte Shimar, während er das Schiff landete.

Zirell empfing uns bereits an der Luke. „Bitte wundert euch nicht.“, begann sie. „Ein Schiff hat auf meine Veranlassung Centus-Shimar abgeholt. Er wird zunächst der tindaranischen Jugendfürsorge übergeben. Dort ist er am sichersten. Ich sehe nämlich keine friedlichen Zeiten auf uns zu kommen.“ Sie sah ins Innere des Schiffes. „Wo ist Eludeh?“ „Wir konnten sie nicht retten.“, gab Shimar zu. „Die Nihillaner haben IDUSAs Technik lahm gelegt.“, erklärte ich. „Sie haben Täuschprogramme und einen Blendschleier benutzt. Eludeh wollte nicht beschützt werden, deshalb konnte Shimar auch nicht wirklich etwas machen.“ „Sie hat aber irgendwann einen Weg gefunden, denen trotzdem noch einen gehörigen Dämpfer zu verpassen.“, mischte sich Shimar ein. Ich knuffte ihn in die Seite. „Warum?“, fragte er. „Ich finde, sie darf ruhig wissen, was du mit den nihillanischen Schiffen gemacht hast.“ „Da bin ich aber gespannt.“, meinte Zirell.

Wir hatten uns mit ihr in eine stille Ecke zurückgezogen und ihr dort berichtet. „So leicht werden wir Eludeh wohl nicht wieder finden.“, stellte sie fest. „Es bedürfte wohl einer neuerlichen Geheimdienstaktion, aber damit müssen wir warten, bis mein neuer erster Offizier da ist. Sie wird uns da hoffentlich helfen können.“ „Du nimmst Maron also nicht zurück?“, fragte Shimar. „Das darf ich nicht.“, entgegnete Zirell. „Zoômell hat ihn beurlaubt und sie ist seine direkte Vorgesetzte. Sie entscheidet, wann und ob er wiederkommen darf.“ „Wer wird denn dein neuer erster Offizier?“, fragte ich. „Hoffentlich nicht irgend so’n ahnungsloser Tindaraner vom Lande, den du erst mal anlernen musst.“ Shimar grinste. „Oh, nein.“, erwiderte Zirell. „Keine Angst. Es handelt sich um eine vollwertige Geheimdienstlerin. Eine Demetanerin, die es rechtzeitig geschafft hat, bei der Föderation zu kündigen, um beim tindaranischen Geheimdienst neu anzufangen. Über diesen Fall weiß sie mehr als wir alle.“ Ich atmete auf. Es gab meiner Ansicht nach nur eine Person, auf die all diese Eigenschaften zutrafen, Agent Sedrin Taleris-Huxley. „Sie kommt auf die Station, sobald die Feier hier vorbei ist und wir auch wieder zurück sind. Dann wird ja auch Maron nach Demeta gebracht.“, erklärte Zirell.

Sianach versammelte uns in dieser Nacht alle am Fluss. Jeder von uns bekam einen Kieselstein in die Hand. Dann rief Sianach wieder der Reihe nach die Namen auf. Dieses Mal aber wurden allen, die vortreten sollten, die Augen verbunden. Nach Gefühl sollte jetzt jeder entscheiden, wann der Stein fallen gelassen wurde. Aus den dabei entstehenden Kräuseln sollte dann die Zukunft interpretiert werden.

„Mach das aber bitte nicht noch mal.“, zischte mir Shimar grinsend zu. „Ich weiß nicht, wovon du redest.“, erwiderte ich. „Na, wovon soll ich schon reden. Ich rede von der Sache, dass dir kaum etwas geweissagt wird und du machst es schon wahr.“, erklärte er. „Ach.“, machte ich. „Das war bestimmt nur ein dummer Zufall.“ „Das glaube ich nicht.“, sagte Shimar. „Es sind zu viele seltsame Dinge in letzter Zeit passiert, als dass ich noch an Zufälle glauben könnte.“

Sianach hatte meinen Namen aufgerufen. Eine Priester-Novizin wollte mir die Augen verbinden, aber Sianach sagte etwas Strenges in ihrer Muttersprache, das ich zwar nicht verstehen konnte, von dem ich mir aber denken konnte, dass es soviel wie: „Du dummes Ding, bei ihr brauchen wir das doch nicht. Sie kann doch ohnehin nichts sehen und wir sollten sie nicht noch daran erinnern.“ „Geht schon OK.“, flapste ich. „Wenn, dann gleiches Recht für alle. Her mit der Binde!“ Ich ließ mir also die Augenbinde umknoten und Shimar dirigierte mich zum Flussufer, wo ich nach einigen Sekunden meinen Stein fallen ließ. Gerade in diesem Moment spiegelte sich der Mond im Wasser, dessen Spiegelbild der fallende Stein in eine Schar von Scherben verwandelte. „Also, raus damit!“, forderte ich. „Was wird mir die Zukunft bringen?“ „Du wirst ein falsches Bild zerstören.“, antwortete Tabran aus dem Hintergrund.

Viel konnte ich mit dieser Aussage nicht anfangen, als Shimar und ich wieder in Richtung von Sianachs und Dirans Haus gingen. „Was kann damit gemeint sein?“, fragte ich Shimar. Ihm lief die pure Gänsehaut über. „Daran möchte ich jetzt gar nicht denken, Kleines. Nein, das möchte ich jetzt nicht.“ „Warum denn?“, lächelte ich. „Etwa nur, weil das mit dem Tod so schnell wahr geworden ist?“ „Genau deshalb.“, erwiderte Shimar und musste sich erst mal setzen.

Diran hatte sein Sprechgerät in der Hand und ließ sich über das Interdimensionsrelais mit Scientist Ketna von der Station 818 verbinden. Bei ihr musste er sich jeden Morgen melden, um ihr über seinen Gesundheitszustand und die Auswirkungen des Feldes auf diesen zu berichten.

Im Display des Gerätes erschien das Gesicht der gelbhaarigen Zeon-Frau. „Hallo, Diran.“, sagte sie freundlich. „Ich grüße auch dich, Ketna El Zeon.“, antwortete Diran. „Ich muss dir etwas mitteilen. Mein Feld ist nicht künstlich. Die Nihillaner haben euch belogen.“ „Das dachte ich mir schon.“, antwortete Ketna. „Das Feld ist einfach zu unregelmäßig. Künstliche Felder, und seien sie noch so sehr der Natur nachempfunden, sind nicht so.“ „Du wusstest also von Anfang an, dass ich ein natürliches Feld trage?“, fragte Diran. „Sagen wir, ich ahnte es.“, lächelte Ketna zurück. „Aber damit haben wir einen Beweis. Einen Beweis dafür, dass die Nihillaner sogar lügen und betrügen würden, nur um ihre Ziele zu erreichen. Ich werde gleich mit Commander Time und Agent Yetron darüber sprechen.“

Tchiach war zu uns gekommen. Sie hatte das angeregte Gespräch zwischen Shimar und mir mitbekommen. „Was für ein falsches Bild könnte gemeint sein, Allrounder Betsy?“, fragte sie mit fast ehrfürchtigem Tonfall. „Ich weiß es nicht.“, erwiderte ich. „Das kann vieles bedeuten. Vielleicht ist es ja auch wieder nur symbolisch zu sehen wie die meisten Weissagungen.“ „Das glaube ich nicht.“, entgegnete sie. „Wenn du nicht gewesen wärst, dann wäre mein Ziehvater jetzt tot.“ Sie drückte mich an sich und gab mir einen nassen Kinderschmatzer auf die Wange.

Der Rest des Tages verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle. Am Abend versammelte uns Sianach erneut, aber dieses Mal vor einer Felsnase. Jeder bekam einen Beutel mit Erde. Diese sollten wir, wenn wir an der Reihe waren, über die Felsnase, die eine Kugelform hatte, streuen. Mich erinnerte das an eine Station zum Ausprobieren in einem Museum in meinem Heimatjahrhundert. Mit einem ähnlichen Experiment sollte hier der Magnetismus der Erde verdeutlicht werden. Aber den Vendar ging es mehr um das Bild, welches aus der fallenden Erde entstand.

Shimar und ich waren übereingekommen, dass er mir jedes Bild telepathisch zeigte. Jetzt zeigte er mir eines, das mich an einen Kreis oder Reifen erinnerte, durch dessen Mitte ein Pfeil geschossen war. Da ich wusste, dass dieser Reifen in der Symbolik der Vendar Freundschaft bedeutete, sagte ich: „Sagt mir jetzt bitte nicht, dass ich eine Freundschaft zerstören werde.“ „Genau das heißt es aber.“, erwiderte Shiranach.“

In dieser Nacht lag ich wieder Stunden lang wach. Wie negativ sollte meine Zukunft denn noch aussehen? Gut, dass ich Dirans Tod und den seines Feldes verhindert hatte, war ja ganz OK, aber dass ich eine Freundschaft zerstören würde, gefiel mir gar nicht. Dazu war ich auch eigentlich nicht der Typ Mensch. Das mit dem falschen Bild konnte ich überhaupt nicht einordnen. Um was für ein falsches Bild sollte es hier denn gehen?

Ich musste an Melissa denken. Ihr hatte ich wegen ihres Aberglaubens helfen wollen. Ich hatte ihr zeigen wollen, dass man auf Friedhöfen keine Angst haben muss und jetzt begann ich, selbst an Weissagungen zu Silvester zu glauben.

Ich nahm mein Sprechgerät und gab IDUSAs Rufzeichen ein. „IDUSA, wo ist Commander Zirell?“, flüsterte ich. „Commander Zirell befindet sich im Wald in westlicher Richtung.“, kam es zurück. „Dirigiere mich hin.“, gab ich zurück.

Nach IDUSAs Wegbeschreibung ging ich in Richtung des Wäldchens. „Betsy.“, staunte Zirell. „Was machst du denn noch zu nachtschlafender Zeit hier?“ „Ich muss dringend mit dir reden.“, sagte ich.

Sie rückte auf dem Baumstumpf, auf dem sie saß, ein Stück nach rechts und griff meine Hand, um mich auf den frei gewordenen Platz zu ziehen. „Na, was ist denn los?“, fragte sie. Dabei erinnerte sie mich zunehmend an meinen Commander. Kissara hatte auch immer ein offenes Ohr für ihre Untergebenen. „Es geht um diese Zukunftsdeutung.“, begann ich. Sie lächelte. „Glaubst du ernsthaft, dass dies alles buchstabengetreu wahr wird?“, fragte sie. „Nach neulich schon.“, gab ich zu und verhehlte nicht, dass es mir sehr unheimlich war. „Was genau meinst du denn?“, fragte Zirell Anteil nehmend. „Ich rede von der Sache mit dem verhinderten Tod.“, sprach ich mit zitternder Stimme weiter. „Ich meine, Shiranach deutet das Bild so und kurz danach versucht Diran, sich und sein Feld zu töten. Was soll ich denn davon halten?“ „Ich dachte, ihr abgeklärten Sternenflottenoffiziere haltet so etwas für Humbug.“, sagte Zirell mit einem ironischen Grinsen. „Das mag bei einigen sicher hinkommen.“, sagte ich. „Speziell bei den Vulkaniern vielleicht. Deren Silvesterparties stelle ich mir sehr trocken vor.“ Zirell grinste hörbar. Dabei gab sie einen Laut von sich, der mich an eine Figur aus einer bekannten Kindersendung erinnerte. „Wer weiß, ob die überhaupt Silvester feiern.“, sagte sie.

„Übrigens.“, lenkte ich sie auf unser Thema zurück, nachdem wir eine Weile geschwiegen hatten. „Was hatte dir eigentlich der Wind vorausgesagt? Shimar hat behauptet, du hast geguckt wie ein kaputtes Shuttle, nur nicht so schrottreif.“ „Hat er das.“, lachte Zirell. „Aber gut. Ich sage es dir. Ich würde eine Entscheidung noch einmal überdenken müssen.“ Ich musste an Maron denken. „Wer weiß, Zirell.“, fühlte ich vorsichtig vor. „Vielleicht bezieht sich das ja auf Maron.“ „Das habe ich lange nicht mehr zu entscheiden.“, erwiderte sie. „Ich habe schon versucht, mit Zoômell darüber zu reden, aber sie ist nicht davon abzubringen. Maron wird für ca. drei Monate beurlaubt.“ „Drei Monate?“, schrak ich zusammen. „Dann sind doch alle Fristen verstrichen. Maron kann doch dann nie mehr zurück. Sonst hat er sich doch immer vorbildlich verhalten und nur aus dieser einen Sache dreht sie ihm jetzt einen Strick?“ „Die eine Sache.“, sagte Zirell und stand auf. „Ist wohl zu schwerwiegend. Aber vielleicht hat sich ja bis in drei Monaten auch die Sache mit Nihilla wieder eingerenkt.“

Sie griff meine Hand. „Komm, ich bringe dich zurück zu Shimar. Außerdem will Sianach noch in dieser Nacht, dass das Feuer die Weissagungen komplettiert.“

Eludeh war mit Dirans Schiff entkommen, während Shimar und ich die Soldaten beschäftigt hatten. Sie war nun im Schutz des Nordpols des Planeten Nihilla auf dem Weg zu einem Höhlensystem, das sich im Untergrund befand. Hier gab es einen Eingang, durch den ein findiger Flieger durchaus mit einem leicht reagierenden Schiff hinein fliegen konnte. Diese Höhlen waren der Treffpunkt der Widerständler. Sie hatte aber eine von ihnen jetzt als Hangar für das Schiff ausgeguckt.

Der Höhleneingang kam in Sensorenreichweite. Eludeh schaltete die elektronische Trimmung ab. So konnte sie das Schiff schräg stellen, was jetzt auch notwendig war, denn der Eingang wäre zu schmal gewesen, als dass sie mit dem Schiff der Länge nach hätte hindurch fliegen können.

Sie verlangsamte das Schiff erheblich, bis es nur noch die Fluggeschwindigkeit eines durchschnittlichen Flugzeuges des 21. Jahrhunderts hatte, um dann Bug voran in das kleine Loch zu fliegen. Eludeh wartete, bis auch das Heck gefolgt war und stellte erst dann das Schiff wieder gerade, nachdem sie die elektronische Trimmung wieder eingeschaltet hatte. Zwischen Boden und den Antriebsspulen waren nur 50 cm Platz, das wusste sie, aber es hielt sie nicht von ihrem Vorhaben ab. Da sie das Schiff rechtzeitig verlangsamt hatte, waren auch die ein oder zwei Kurven, die sie umfliegen musste, nicht wirklich ein Problem.

Noch durch einen schmalen Durchgang und sie war in der verhältnismäßig großen Höhle angekommen. Hier landete sie das Schiff nun an der hinteren Wand.

Sie stieg aus und erblickte Artus, ein weiteres Mitglied des Widerstandes. Er musste wohl auf sie gewartet haben. Artus hatte bereits menschliche Gestalt. Er war mit 60 Jahren der Älteste und somit auch der Anführer von Eludehs Widerstandsnest. Der ca. 1,70 m messende alte Mann kam auf Eludeh zu. „Du hast Nerven.“, sagte er mit blassem Gesicht, während er sein rotes Hemd zurechtzupfte, mit dessen Zipfeln er aus Nervosität gespielt hatte. Jetzt lag es wieder glatt über der weißen Hose, die kurz über einem paar blauer Schuhe endete, in dem gelbe Socken steckten. „Was genau meinst du?“, grinste Eludeh und sah den hageren alten Mann grinsend an. „Du weißt genau, wovon ich rede.“, erwiderte Artus. „Ich mache mir Monate lang Gedanken darüber, wie wir ein Schiff hier rein kriegen sollen, falls wir eines bekommen und du besorgst uns eines und fliegst es einfach hier rein.“ „Die einfachste Lösung ist oft die beste.“, grinste Eludeh. Dann wurde ihr Gesicht plötzlich sehr ernst. „Ich muss dir etwas sagen.“, begann sie langsam. „Ich werde mich stellen, um euch zu retten.“ Wie vom Donner gerührt stand Artus da. „Was möchtest du tun?!“, fragte er alarmiert. „Das hast du doch gerade gehört.“, antwortete Eludeh. „Der Geheimdienst hat uns doch ein Angebot gemacht. Für jeden, der sich stellt, kommt ein anderer aus den Umerziehungslagern frei.“ „Und das glaubst du?!“, fuhr Artus sie an. „Nicht wirklich.“, beschwichtigte ihn Eludeh. „Aber es hat noch einen anderen Grund, dass ich mich stellen möchte. Aufgrund meiner Aussage wollen die Tindaraner eventuell Krieg gegen unsere Regierung führen. Ich hoffe, Ethius versöhnen zu können, wenn er die in Gewahrsam hat, die für den Krieg verantwortlich ist. Die Tindaraner waren so gut zu mir! Ich kann nicht verlangen, dass sie meinetwegen in den Krieg ziehen.“ „Dass Ethius’ Leute in den Krieg gegen deine neuen Freunde ziehen müssen, ist doch gut.“, erwiderte Artus. „Dann müssen wir sie nur auch noch beschäftigen. Dann müssen sie an zwei Fronten kämpfen und werden zwischen den Tindaranern und uns aufgerieben.“ „Aber was ist, wenn Ethius’ Truppen die Tindaraner besiegen?“, fragte Eludeh. „Das wird nicht passieren.“, antwortete Artus zuversichtlich. „Oh, doch.“, entgegnete Eludeh. „Die Chance steht 50 zu 50. Das möchte ich nicht riskieren.“ Damit verließ sie die Höhle.

Zirell und ich waren wieder bei den Anderen angekommen. Alle saßen wir um einen großen steinernen Ring herum, in dem die zuerst als Arbeitstische verwendeten Holzpflöcke jetzt aufgestapelt waren. Tabran nahm seinen Phaser und zündete den Stapel an. Neben dem Steinkreis stand ein riesiger Bottich mit Pech.

Shimar gab mir mein geschnitztes Sündengesicht und einen Sack mit inzwischen getrockneten Tonscherben. Dann gingen wir in eine stille Ecke. Hier waren auch Jenna und Joran. „Du musst die Scherben durch den Mund in das Gesicht stopfen, Allrounder Betsy.“, erklärte Joran. „Interessant.“, bemerkte ich. „Und dann?“, „Dat kriejen wir später.“, flapste Shimar, der bereits dabei war, seinem Gesicht den Mund zu stopfen, wie dieser Brauch in der Mythologie der Vendar praktiziert wurde. Laut ihr sollte das Gesicht den Göttern nicht über die vergangenen schlechten Erlebnisse seines Besitzers im vergangenen Jahr berichten können. Es sollte diese auch weder sehen noch riechen oder hören können, aber das würden wir ja später erledigen.

Auch ich stopfte nun eine Hand voll Scherben nach der anderen durch den Mund in den Kopf. Dann gingen wir wieder zu den Anderen zurück. Hier drückte uns Mallach, die oberste Priesterin, jetzt allen der Reihe nach eine große Zange in die Hand, mit der wir den Kopf unter Beschimpfungen tief in das Fass mit dem Pech tauchten. „Du fieses Stück Scheiße!“, schrie ich, während ich mein Sündengesicht in die schwarze Brühe tauchte. „Lass dir ja nicht einfallen, das ganze Schlechte, was ich im letzten Jahr erlebt habe, wieder aufflammen zu lassen!“ Jetzt waren auch alle anderen Öffnungen des Gesichtes zugeschmiert.

Mit der gleichen Zange, mit der wir es auch ins Pech geworfen hatten, nahmen wir es der Reihe nach und warfen es in die Flammen des inzwischen gut brennenden Feuers. Shimar musste dies allerdings für mich übernehmen, denn ich traute mich nicht nahe genug an den Steinkreis heran. „Die Götter werden das sicher nicht übel nehmen.“, sagte Mallach. „Sie wissen ja, dass ihr eine permanente telepathische Verbindung habt.“

Ein lautes Zischen und ein darauf folgendes Knistern verrieten mir, dass die ausgehöhlte Frucht im Feuer gelandet war. Jetzt war ich auf Shimars Übermittlung gespannt. Er zeigte mir eine Art von Labyrinth, in dem sich zwei Frauengestalten befanden. Eine sah durchschnittlich gekleidet aus, die andere aber trug ein wallendes Kleid und eine Krone. Außerdem trug sie Schnabelschuhe und eine Schleppe. Wie eine Königin sah sie aus. Es sah aus, als hielten sich die beiden Gestalten an den Händen und die schlicht Gekleidete würde die Königin aus dem Labyrinth führen. Dass Flammen Geschichten erzählten, wenn man lang genug hinsah, war mir bekannt. Aber so offensichtliche Bilder? War das möglich, oder hatte Shimar doch ein Bisschen seine eigene Fantasie spielen lassen?

Shiranach kam zu mir. Die alte Vendar-Frau schien bemerkt zu haben, dass mich etwas bewegte. „Was ist dir?“, fragte sie mit einem fast mitleidigen Ton. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Shimar das wirklich so gesehen hat.“, entgegnete ich. „Dass sich zwei gleichzeitig irren, ist höchst unwahrscheinlich.“, lächelte die Alte. „Sag bitte nicht, du hättest das Gleiche wie er gesehen.“, sagte ich. „Doch.“, erwiderte Shiranach. „Auch ich sah die Königin und die Frau aus dem Volke. Da du keine Krone trägst, Allrounder Betsy, kannst du ja nur die einfache Frau sein, die eine irrende Königin wieder auf den rechten Weg führt.“ „Aber wer ist diese Königin?“, fragte ich. Sie lächelte nur geheimnisvoll wie eine Sphinx.

Die Bilder, die Aussagen über meine Zukunft enthalten sollten, ließen mich nicht los. Am Unheimlichsten war mir die Tatsache, dass bereits eines dieser Bilder in der gleichen Nacht noch wahr geworden war. Wenn ich mir allerdings vorstellte, dass das Gleiche auch mit den anderen Bildern passieren konnte, lief es mir eiskalt den Rücken herunter. Irgendwie machte das alles für mich auch keinen Sinn. Erst sollte ich einen Tod verhindern. OK, das war erledigt. Danach ein falsches Bild zerstören, eine Freundschaft zerstören und dann eine irrende Königin auf den rechten Pfad zurückführen. Was hatte das zu bedeuten?

Zum Ende des Festes hin hatten die Vendar aus dem Fruchtfleisch der Schokoladenfrüchte und einigen Gewürzen eine Art festen Teig zusammengerührt, aus dem wir jetzt Würste rollten, die wir dann um Holzstöcke schlangen. Diese hielten wir dann so lange in die Hitze des Feuers, bis der Teig durch gebacken war. Dann wurde das stockbrotähnliche Gebäck aufgegessen.

Mit Staunen hatte Shimar beobachtet, dass ich seiner Hilfe kaum noch bedurfte, um festzustellen, wann meine Teigwurst gar war. „Riecht man doch.“, schmatzte ich ihm zu. „Mach mal die Augen zu, dann merkst du’s auch.“

Ein Shuttle der tindaranischen Flugbereitschaft hatte an der Station angedockt. Ishan, der durch den Stationsrechner über diese Tatsache informiert worden war, ging zur Andockrampe, um den bereits angekündigten Besuch zu empfangen.

Die dem Shuttle entstiegene Demetanerin war ihm nur aus Berichten bekannt. Er hatte sie nie gesehen, obwohl Joran ihm einmal berichtet hatte, mit ihr erfolgreich zusammengearbeitet zu haben.

Jetzt drehte sich der Mediziner zu ihr und sagte: „Agent Sedrin Taleris-Huxley, willkommen an Bord!“ Sedrin sah ihn von oben bis unten an. Dann erwiderte sie: „Danke, Mr. Ishan. Ich finde es sehr ungewöhnlich, dass mich der medizinische Offizier begrüßt, aber das ist bestimmt ein Tribut an die momentan herrschende Situation, nicht wahr?“ Ishan nickte. „Die Anderen sind noch nicht von der Jahreswendfeier der Vendar zurück.“, erklärte er. „Seit ich in diesem Körper stecke, habe ich ja von Feierlichkeiten nichts mehr und bin deshalb freiwillig hier geblieben.“ „Verstehe.“, entgegnete Sedrin, der Ishans Lebensgeschichte durchaus bekannt war.

„Dann können wir ja auch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.“, schlug die Demetanerin vor, nachdem sie sich in Richtung eines Turboliftes gedreht hatte. „Sie nehmen mich mit auf die Krankenstation und wir machen dort meine Eingangsuntersuchung. Dann können Sie mich ja auch in mein Quartier bringen, vorausgesetzt, es ist alles in Ordnung.“ „Also gut.“, stimmte Ishan zu. „Dann folgen Sie mir bitte.“

Missmutig war Maron damit beschäftigt, seine Koffer zu packen. Noch immer konnte er nicht einsehen, warum Zoômell ihn trotz seiner Entschuldigung beurlauben wollte. Er hatte tindaranische Frauen in hohen Positionen eigentlich nicht so streng in Erinnerung. Aber vielleicht war Zoômell eine Ausnahme.

„Bist du fertig mit Packen, Agent Maron?“, hörte er plötzlich eine tiefe bärige Stimme neben sich. Er sah auf und entdeckte Joran, der an seiner rechten Seite stand. „Bin gleich so weit.“, sagte der Demetaner beiläufig. „Hat Jenna schon IDUSA überprüft?“ Mit dieser Frage hoffte Maron, noch etwas Zeit schinden zu können. Joran aber machte dies zunichte, indem er sagte: „Das hat sie. IDUSA erfreut sich größter Funktionalität.“ Nein., dachte Maron. Dann geht es wohl doch schneller, als ich dachte.

Sie gingen zu IDUSAs Landeplatz und stiegen in ihr Cockpit. Dann startete Joran den Antrieb des Schiffes. Maron sah traurig zu, wie die rote Kugel, als die sich New-Vendar-Prime darstellte, immer kleiner und kleiner wurde und schließlich ganz verschwand.

„Bitte, Joran, kehr um.“, bat Maron, nachdem sie das Sonnensystem bereits verlassen hatten. „Es tut mir leid, Agent Maron.“, entschuldigte sich Joran. „Aber ich muss tun, was Anführerin Zirell gesagt hat.“ Maron wusste, dass sein Freund sehr vorschriftentreu war, hoffte aber in diesem Fall, dass Joran ein Einsehen haben würde. „Ich frage mich, was ich noch tun kann.“, sinnierte Maron laut. „Ich habe mich bei Marcellus entschuldigt. Du warst dabei. Zirell hat dir ja sogar befohlen, mich persönlich rauszustellen und dabei zu bleiben, um jedes meiner Worte schriftlich zu protokollieren.“ „In der Tat.“, bestätigte der Vendar. „An Zirell El Tindara liegt es ja auch nicht. Ich musste die Protokolle auch Zoômell El Tindara zur Verfügung stellen. Sie hat geurteilt, dass du nicht bleiben darfst. Aber so weit ich das verstanden habe, hat dein Strafurlaub ja irgendwann ein Ende. Genau nach vier Wochen, nicht wahr?“ „Stimmt.“, meinte Maron. „Aber dann ist es zu spät. Dann kann ich ohnehin nicht mehr zurück.“ „Denkst du nicht, dass sich die Situation mit Nihilla bis dahin eingerenkt haben könnte?“, fragte Joran. „Das glaube ich nicht.“, erwiderte Maron. „Nugura wird an ihrer Entscheidung festhalten. Ich glaube nicht, dass ihr sie dazu kriegt, sie zu revidieren.“ „Abwarten.“, grinste Joran und aktivierte den Interdimensionsantrieb.

Im Dunklen Imperium, genauer auf Logars Seite, saß der genannte Herrscher vor seinem Kontaktkelch. Iranach, seine oberste Vendar und persönliche Vertraute, war mit ihm im gleichen Raum. Logar gefiel nicht, was er durch den Kelch sah. Er konnte es sich einfach nicht erklären.

Iranach hatte den fragenden Blick ihres Herren bemerkt und schlich neugierig näher. Sie tippte Logars rechte Hand an. Der Herrscher drehte sich langsam zu ihr um. „Was gibt es, Iranach?“, fragte er freundlich. „Bitte vergebt mir.“, bat die junge Vendar. „Aber darf ich wissen, was Euch betrübt?“

Logar deckte den Kelch mit einem Tuch zu, bevor er sagte: „Nun gut. Setz dich zu mir, Iranach. Ich werde es dir berichten.“ Die Vendar holte sich einen Stuhl aus einer Ecke des Thronsaales und setzte sich zu ihrem König an den Tisch. Dann sah sie ihn erwartungsvoll, aber gleichzeitig mit einem Trösten in den Augen an. „Kannst du dir vorstellen, Iranach, dass meine Tochter dem tindaranischen Piloten und dem demetanischen Spionageoffizier geholfen hat, ohne eine Gegenleistung zu verlangen?“, fragte er. „Nein, Gebieter, das kann ich nicht.“, erwiderte die junge und kluge Vendar. „Genau das irritiert mich.“, antwortete Logar. „Ich beobachte Sytania jetzt schon sehr lange durch den Kelch und habe nicht bemerkt, dass sie den Tindaranern irgendeine Forderung gestellt hat. Aber ich kenne meine Tochter und weiß, dass sie nie jemandem helfen würde, ohne von ihm absoluten Gehorsam oder gar irgendeine böse Tat zu verlangen.“

Iranach überlegte. „Ihr habt Recht, mein König.“, sagte sie dann. „Die Prinzessin würde niemals freiwillig den Tindaranern helfen. Aber Ihr wisst auch, dass sie eine geschulte Telepathin ist und mit Sicherheit spüren wird, wenn Ihr sie beobachtet. Sie wird dann erst recht nichts tun.“ „Ich habe sie aber lange nicht beobachtet.“, erwiderte Logar. „Also hatte sie genug Zeit, die Tindaraner zu knechten. Aber nichts dergleichen ist geschehen. Wenn ich nur wüsste, was sie im Schilde führt.“

Iranach lächelte. „Sie führt mit Sicherheit gar nichts im Schilde.“, sagte sie dann. „Meinst du wirklich, dass sie sich geändert hat?“, entrüstete sich Logar. „Davon habe ich nicht gesprochen.“, antwortete Iranach. „Aber du hast doch gerade gesagt, dass sie gar nichts im Schilde führe. Das heißt doch, dass sie es freiwillig getan hat.“, versicherte sich Logar, dem noch immer nicht klar war, worauf seine Dienerin hinaus wollte. „Sicher hat sie es freiwillig getan.“, beharrte Iranach. „Aber, bitte vergebt meine Anmaßung, Ihr habt mir nicht zugehört. Ich habe gesagt, dass Sytania niemals freiwillig den Tindaranern geholfen haben wird. Aber sie wird sich höchst freiwillig selbst geholfen haben. Jenna El Taria hat gesagt, dass die Dimensionen, wenn eine aus dem Gleichgewicht gerät, alle aus dem Gleichgewicht geraten können. Das würde auch Sytanias Tod bedeuten. Das wird sie nicht wollen. Deshalb wird sie auch nicht an der Konferenz der Mächtigen teilgenommen haben. Sie wird als Heldin da stehen wollen, der man einen Eingriff nicht zugetraut hätte. Sie hofft, dass alle vergessen, dass sie es nur aus Eigennutz getan hat, weil sie so überrascht sind. Aber wenn ich das sagen darf, mein König, dann sind wir doch noch so am Besten dran. Wenn es hart auf hart kommt, wird Sytania auch mithelfen, die Dimensionen am Leben zu halten. Was auch immer ihre Motive sein mögen.“ „Du magst Recht haben.“, entgegnete Logar, dem ihre Einlassung schließlich doch einleuchtete.

Joran hatte Maron einer Pilotin der tindaranischen Flugbereitschaft übergeben und war zurückgekehrt. „Wie hat er es aufgenommen.“, erkundigte sich Zirell. „Nicht wirklich gut, Anführerin.“, antwortete Joran. „Aber du kannst ja nichts dafür. Zoômell hat das entschieden.“ „Das stimmt.“, erwiderte Zirell. Sie sah durchaus, dass er sie in gewisser Weise trösten wollte. Natürlich war ihr auch klar, dass Maron alle Informationen über die Sache hatte, die er durch Eludehs Aussagen bekommen konnte, aber Sedrin würde ähnlich gut informiert sein. Das wusste die Kommandantin.

Eludeh war inzwischen im Büro des Geheimdienstes vorstellig geworden und hatte sich selbst des widerständlichen Gedankengutes und dessen Verbreitung angezeigt, was ihr den Aufenthalt in einem Umerziehungslager eingebracht hatte. Ethius und Elvis Jones, der als neuer Kommandarus über alles informiert war, hatten selbstverständlich auch davon erfahren. „Das sind sehr gute Nachrichten.“, grinste Ethius zynisch. „Bitte verzeihen Sie, Allverstehender Präsident, aber was genau meinen Sie damit? Sie ist doch nur eine kleine Widerständlerin.“, erkundigte sich Jones. „Ganz einfach, Elvis.“, entgegnete Ethius. „Eludeh ist zwar nicht die Führerin ihrer Truppe, hat in dieser aber trotzdem eine Art Schlüsselposition. Sie ist logistisch sehr wichtig gewesen, weil sie Schiffe fliegen kann und auch andere darin ausgebildet hat. Ohne Eludeh können die nicht mehr viel tun. Jetzt brauchen wir nur noch zu warten, bis sich der Rest freiwillig ergibt.“ „Ach so.“, antwortete Jones. „Deshalb werden Sie die Truppe um Artus wohl auch scheinbar verschonen, nicht wahr?“ Ethius nickte.

Eludehs Situation hatte mir keine Ruhe gelassen. Warum hatte sie das getan? Warum vertraute sie uns nicht mehr? Ihre Verzweiflung musste unheimlich groß sein. Ich hatte das Gefühl, mir dringend einen Plan zu ihrer Rettung überlegen zu müssen. Ich hatte ihr damals im Bunker versprochen, auf sie aufzupassen. Aber wie sollte ich das anstellen? Ich hatte keine geheimdienstliche Ausbildung und Evain würde auf jeden Fall mein Gesicht erkennen, würde ich mich nach Nihilla schleichen. Auf eigene Faust konnte ich es also vergessen.

Zirell hatte uns alle versammelt und wir hatten uns von den Vendar verabschiedet. Auf dem ganzen Flug zurück sinnierte ich über Eludehs Sinneswandel. „Was beschäftigt dich, Kleines?“, wollte Shimar wissen. „Ich überlege, wie wir Eludeh retten können.“, entgegnete ich. „Sie hat uns bestimmt nicht aus kalter Berechnung verlassen, sondern nur aus purer Verzweiflung. Sie hat so oft in ihrem Leben die Erfahrung gemacht, dass sie nicht sicher ist, dass sie gar nicht mehr weiß, was Sicherheit bedeutet.“ „Warte am Besten ab, Kleines, bis wir wieder auf der Station sind.“, grinste Shimar. „Dann vermittle ich dir was.“ Ich nickte erleichtert. Ich ahnte, er würde irgendeine Möglichkeit finden.

Kapitel 16: Verdeckte Missionen

von Visitor

 

Sedrin und Zirell trafen sich gleich nach unserem Eintreffen in Zirells Bereitschaftsraum. „Ich bin angenehm überrascht.“, gab die Tindaranerin zu. „Wie haben Sie geahnt, wie sich die Situation entwickeln würde?“ „Zuerst einmal.“, begann die Demetanerin. „Sollte ich mich deinen Gesetzen anpassen und wir sollten uns mit du anreden, wie es auf Tindara üblich ist. Dann werde ich gern alles erklären.“ Dabei betonte sie das Du und das Deinen besonders. „Na gut.“, sagte Zirell. „Ich meinte nur, weil du Sternenflottenoffizierin bist.“ „Gerade dann.“, referierte Sedrin. „Müsste ich mich um so williger euren Gesetzen beugen, wenn ich noch dazu jetzt für deine Regierung arbeite. Aber jetzt genug des Geplänkels. Ich bin eben politisch interessiert und konnte mir daher schon denken, wie die Situation sich entwickeln würde.“ „Ich liebe es, wenn mein erster Offizier so mitdenkt!“, lächelte Zirell.

Wie von Shimar vorgeschlagen wartete ich in unserem Quartier auf die Dinge, die da noch kommen sollten. Tatsächlich piepte nach einer Weile die Sprechanlage. Neugierig nahm ich das Mikrofon und sagte: „Hier Allrounder Betsy.“ „Hier ist Joran.“, kam eine ruhige tiefe Stimme zurück. „Darf ich hereinkommen?“ „Sicher.“, lächelte ich zurück und entriegelte die Tür.

Ich führte ihn auf das Sofa im Wohnzimmer. Dann fragte ich: „Was führt dich zu mir?“ „Eludeh.“, erwiderte er. „Was meinst du damit?“, fragte ich irritiert. „Hast du etwa einen Plan, wie wir sie befreien könnten?“ „In der Tat.“, grinste der Vendar. „Aber es ist nicht nur ein Plan zur Befreiung Eludehs, sondern auch, um eine Menge mehr über die genauen Pläne der nihillanischen Regierung zu erfahren und gegebenenfalls diese zu sabotieren.“ „Warte mal.“, ging ich dazwischen. „Sollten wir darüber nicht mit Zirell und dem neuen Agent sprechen?“ „Das werden wir.“, beschwichtigte mich Joran. „Aber zunächst muss ich mit dir reden. Du und ich, wir sind als Einzige in der Lage, meinen Plan durchzuführen.“ Ich sah ihn fragend an. „Das ist ganz einfach.“, erklärte er. „Du bist Terranerin. Dein Planet gehört noch zur Föderation, bis alle Fristen verstrichen sind. Dir, als einer Bürgerin der Föderation, würde die nihillanische Regierung keine Steine in den Weg legen, wenn du nach Nihilla ziehen wolltest und ich könnte mit einigen Gesichtsoperationen glatt als Klingone durchgehen. Die Klingonen sind ja auch Verbündete der Föderation, oder nicht?“ Ich nickte und strahlte ihn an, als hätte er mir gerade die Welt zu Füßen gelegt. Eludeh war eine meiner besten Freundinnen geworden und ich wollte versuchen, alles Leid von ihr zu nehmen. Von diesem Leid hatte sie mir ja genug berichtet. „Dein Plan ist irre!“, rief ich aus. „Aber ich glaube, wir könnten das hinkriegen. Wir sollten wegen der Details aber wirklich mit einer ausgebildeten Agentin sprechen.“ „Wie du wünschst.“, sagte Joran und nahm meine Hand.

Per SITCH-Mail hatte Joran IDUSA angewiesen, uns bei Zirell anzumelden. Das hatte sie auch getan. Deshalb wusste die Kommandantin auch, wer vor der Tür ihres Bereitschaftsraumes stand, als wir Einlass begehrten. „Wie kann ich euch zweien denn behilflich sein?“, lächelte Zirell uns zu. „Vergib mir, Anführerin.“, entgegnete Joran. „Aber dieses Mal bist es nicht du, die uns helfen kann. IDUSA sagt, Agent Sedrin sei noch bei dir und …“

Die Angesprochene trat aus Zirells Schatten. „Gerade ist mein Name gefallen.“, lächelte sie. „Können Allrounder Betsy und ich irgendwo allein mit dir sprechen, Agent Sedrin?“, fragte Joran. „Sicher.“, antwortete die Demetanerin. Dann warf sie den Kopf nach hinten und schaute Zirell fragend an. Diese aber winkte nur ab. „Na dann los.“, sagte Sedrin dann und winkte Joran und mir, ihr zu folgen.

Wir stiegen in einen Turbolift, der uns in einen im Moment nicht genutzten Bereich der Station brachte, zu dem Sedrin, durch ihren Kommandocode bedingt, aber durchaus Zugang erlangen konnte. „So geheim muss es nun auch nicht sein.“, lachte ich. Eine ähnliche Situation hatte es laut einer Erzählung von Tressa auch mal auf der Eclypse gegeben. Sedrin hatte sich mit Allrounder St. John in einem verlassenen Frachtraum getroffen, um mit ihr eine Geheimoperation, bei der sie mithelfen sollte, zu besprechen. Jetzt würde es wohl ähnlich ablaufen.

Sedrin führte mich zu einer Kiste und forderte mich auf, mich zu setzen. Joran setzte sich, nachdem sich auch Sedrin gesetzt hatte, neben uns. „Nun mal raus mit der Sprache.“, forderte sie mich auf. „Eigentlich ist es Jorans Plan.“, gab ich das Heft weiter. Sie sah ihn auffordernd an. „Allrounder Betsy und ich wollen versuchen, Eludeh zu befreien, Agent Sedrin.“, begann der Vendar. „Sie ist Bürgerin der Föderation und ich könnte mit ein paar leichten chirurgischen Veränderungen als Klingone durchgehen. So könnten wir uns unerkannt nach Nihilla schleichen und könnten sicher nicht nur Eludeh zurückholen, sondern auch noch einiges mehr über die nihillanischen Pläne erfahren. Vielleicht sogar einige sabotieren, wenn sie zu einer Gefahr werden sollten. Wir brauchen dabei aber deine Hilfe.“

Sedrin dachte eine Weile nach, bevor sie schließlich sagte: „Aber natürlich. Ihr beide seid die Richtigen für den Job. Sie, Allrounder, sind Laienschauspielerin und können als solche sicher gut eine überzeugte Nihilistin spielen. Sie haben es ja ohnehin nicht so mit der Religion ihres Volkes. Wenn Sie sich das vor Augen halten, dann müsste das eigentlich gehen. Da sehe ich keine Schwierigkeiten. Sie gelten eh als sehr brav und anpassungswillig. Sie könnten sich also schnell eine Schlüsselposition erarbeiten, von der aus Sie sicher gut an Informationen kommen könnten. Und du, Joran.“ Sie musterte ihn. Dann rief sie sein Profil auf. „Die Sache mit dem klingonischen Krieger ist dir wie auf den Leib geschneidert. Du könntest versuchen, in den Widerstand zu gelangen und so könnten wir vielleicht Ansatzpunkte finden, diesen zu unterstützen. Das mit den falschen Papieren und so weiter mache ich schon. Ich muss schon sagen. Du weißt eine ganze Menge über Geheimoperationen. Ich besorge dir auch gleich einen Termin bei Ishan.“ „Danke, Agent.“, lächelte ich und Joran sagte: „Auch ich danke dir, Agent Sedrin.“ „Nicht der Rede wert.“, erwiderte sie. „Geht am Besten erst mal ganz normal eurer Freizeit oder eurem Dienst nach. Ich sage Bescheid, wenn ich Euch brauche.“ Wir nickten beide und gingen. Warum ich die Brave und er der „Böse Bube“ sein sollte, war uns klar. Würden wir beide versuchen, das Gleiche zu tun, würde das auffallen. Es durfte auf keinen Fall zu glatt aussehen, damit wir keinen Verdacht erregten, Spione zu sein.

Diran interessierte sich jetzt immer stärker für die Pläne seines Feldes. Er wusste, dass es sich um ein natürliches Feld handelte, das alle genarrt hatte. Aber er wusste auch, dass dieses Feld, würde es seine Pläne ausführen wollen, eines lebenden Körpers bedurfte, um in der Welt der Lebenden bleiben zu können. An jedem Tag, an dem er jetzt das Fütterungsritual durchführte, freute er sich regelrecht darauf. Er würde fast immer etwas Neues erfahren und es würde irgendwann dazu führen, dass er über alles Bescheid wusste und denjenigen, in dessen Körper Gajus gepflanzt werden sollte, über alles informieren könnte. Er selbst konnte diese Aufgabe nicht übernehmen, denn wegen ihrer speziellen Gehirnphysiologie können Vendar nicht von einem anderen Geist kontrolliert werden. Er konnte nur dafür sorgen, dass Gajus die notwendige Energie erhielt, um hier bleiben zu können. Dass eine schwierige Aufgabe vor ihm lag, wusste Diran. Wer würde schon gern seinen Körper in die Kontrolle eines fremden Wesens geben?

Wieder sah Diran die Ebene vor sich. Aber dieses Mal war es eine grüne Wiese im Frühling. Im Hintergrund floss ein kleiner Bach, an dessen Ufern er sich jetzt mit Gajus traf. „Warum hast du die Umgebung verändert?“, fragte Diran. Gajus lachte: „Ich soll die Umgebung verändert haben? Nein. Das warst ja wohl eher du. Deine Stimmung hat sich enorm aufgehellt, seitdem du über mich Bescheid weißt. Du magst die Nihillaner und ihre Politik auch nicht. Das weiß ich genau. Und seitdem du mir hilfst und seitdem dir klar ist, was oder besser wer ich bin, hat sich einiges bei dir getan.“ „Aber ich dachte immer, du kontrollierst unsere Kommunikation.“, staunte Diran. „Kontrollieren.“, entgegnete Gajus. „Mhm, vielleicht in der Hinsicht, dass ich dir unterbewusst mitteile, wann ich das Fütterungsritual benötige. Aber eigentlich kannst du genau so Einfluss auf unsere Kommunikation nehmen wie ich.“ „Verstehe.“, erwiderte Diran. „Müssen an den Körper, den ich für dich finden soll, bestimmte Anforderungen gestellt werden?“, wollte er wissen. „Es sollte ein Sternenflottenoffizier oder ein Angehöriger der tindaranischen Streitkräfte sein.“, antwortete Gajus. Nachdenklich runzelte Diran die Stirn. „Ich weiß, das ist schwierig.“, sagte Gajus. „Aber du kriegst das hin. Ich muss dir aber noch etwas viel Wichtigeres sagen. Die Nihillaner werden die Propheten töten wollen. Die Bajoraner halten nach wie vor an ihrem Glauben an Gottheiten fest. Aber wenn die Nihillaner eine Möglichkeit finden, die Propheten als ebenfalls verwundbar und sterblich darzustellen, dann gibt es ein Problem. Informiere deine Frau unbedingt darüber. Sie, als eure Anführerin, muss eine Möglichkeit für den Fall der Fälle ersinnen und Vorbereitungen treffen. Unter Umständen seit ihr Vendar die Einzigen, die ihnen noch helfen können.“ Gajus’ letzte Worte waren sehr eindringlich.

Diran beendete das Fütterungsritual. Er konnte sich allerdings nicht vorstellen, wie die Nihillaner die Propheten töten könnten. Gegen Phaser und Photonentorpedos waren sie immun. Trotzdem berichtete er Sianach davon, wie es ihm Gajus aufgetragen hatte. „Sicher können sie die Propheten töten.“, erklärte die Anführerin der Vendar ihrem Ehemann. „Sie müssen nur Rosannium in die Hände bekommen und über dessen Wirkung informiert sein. Aber ich weiß, was wir tun werden. Zu allererst werde ich mit Ishan sprechen. Er muss mir eine medizinische Frage beantworten, ohne die das Unternehmen nicht funktionieren kann.“

Joran lag auf der Krankenstation auf einem der vier Behandlungstische. Nidell stand rechts neben dem Tisch und stellte etwas an einer Konsole ein. „Das ist ein Betäubungsfeld.“, erklärte sie. „Du wirst bei Bewusstsein sein, aber du wirst keinen Schmerz spüren können, weil die Schmerzsignale durch ein Störsignal mit der genauen Gegenamplitude geblockt werden.“ „Ich habe kein Wort verstanden, Nidell El Tindara, aber ich vertraue dir.“, erwiderte Joran. „Dann zeige ich es dir.“, entgegnete die junge Tindaranerin und strich über sein Gesicht. Das spürte Joran sehr gut. Als sie ihn aber dann in die rechte Wange kniff, merkte er gar nichts. Fasziniert sah er sie an. „Siehst du?“, lächelte Nidell. „Schmerzsignale kommen nicht mehr in deinem Gehirn an.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran.

Nidell winkte Ishan, der hinzutrat, um mit der eigentlichen Operation zu beginnen. Hierzu beamte er die entsprechenden Partien von Jorans Gesicht in den chirurgischen Transporter, um sie dort mit Hilfe einer Programmierung zu verändern und einfach an der entsprechenden Stelle zu rematerialisieren. Joran konnte also zusehen, wie er sich langsam aber sicher - zumindest rein optisch - in einen Klingonen verwandelte. „Deine Sifa erklären wir als alte Kriegsverletzung.“, erklärte Ishan. Der androide Arzt konnte sich denken, dass dies seinen Patienten sicher interessieren würde.

Aus einem mir nicht ganz klaren Grund hatte Sedrin auch mich auf die Krankenstation zitiert. Im Wartezimmer wartete sie bereits auf mich. „Wenn Joran fertig ist.“, begann sie. „Müssen Nidell und Ishan auch noch etwas mit Ihnen besprechen.“ „Was kann das sein?“, fragte ich. „Zeigen Sie nicht manchmal allergische Reaktionen gegen jede Art von Implantaten?“, fragte die Agentin mit konspirativem Unterton. „In gewisser Weise.“, gab ich zu. Mir fiel ein, dass ich keine Ohrringe tragen konnte. Nach kürzester Zeit begannen meine Ohrläppchen zu schwellen und sich zu entzünden. „Ishan wird Ihnen ein Attest ausstellen, das dieses bescheinigt.“, sagte Sedrin. „Sie werden also keine Angst haben müssen, dass man Ihnen zwangsweise einen Visor verpasst, wenn Sie auf Nihilla sind. Sie, meine Liebe, werden auf Ihre guten alten Hilfsmittel zurückgreifen müssen. Ach, wo wir gerade davon reden. Würden Sie mir wohl freundlicherweise den Spezialzeitmesser geben, den Sie am Arm tragen?“ Natürlich konnte ich die Zeit auch von meinem Sprechgerät erfahren, fand es aber lästig, dieses jedes Mal aus der Tasche kramen zu müssen. Deshalb hatte ich meine sprechende Uhr aus dem 21. Jahrhundert immer noch bei mir. Die nahm ich jetzt ab und legte sie vertrauensvoll auf den Tisch. „Bedienen Sie sich.“, lächelte ich Sedrin zu. Diese nahm die Uhr kurz an sich, um sie mir aber im gleichen Moment wieder hinzuschieben. „Was war das denn für ein Zaubertrick?“, wollte ich wissen. „Nehmen Sie die Uhr und drücken Sie die Menütaste.“, wies sie mich an. „Sie werden sehen, dass es einen Punkt gibt, den Sie vorher noch nicht hatten.“ Tatsächlich gab es einen neuen Punkt, nämlich: „Wanze aktivieren“. „Das Gerät ruft die interdimensionäre Sensorenplattform.“, erklärte Sedrin. „Mit der ist IDUSA verbunden. Am Ende der Strippe hänge ich mit meinem Sprechgerät.“ „Woher haben Sie …“, stammelte ich. „Ich hatte mir die Freiheit genommen, Ihre Uhr mit meinem ballistischen Erfasser zu scannen, als wir neulich zusammen saßen. Mit diesen Informationen habe ich den Replikator gefüttert und dann mit Techniker Mc’Knights Hilfe diese kleine Wanze dem Programm hinzugefügt.“ „Wow.“, machte ich.

Die Tür zum Behandlungsraum öffnete sich. Heraus trat Joran. Sedrin schaute ihn sich von oben bis unten an. Dann pfiff sie durch die Zähne, schnalzte und setzte einen genießerischen Blick auf. „Ich nehme an, ich gefalle dir, Agent Sedrin El Demeta.“, lächelte Joran. „In der Tat.“, lächelte Sedrin zurück. „Pass auf, dass du nicht noch auf eine Klingonin triffst. Ich glaube, die würde dich vom Fleck weg heiraten wollen.“ „Sorge dich nicht darum.“, versicherte Joran. „Ich werde Jenna Mc’Knight auf ewig treu bleiben.“

Sedrin griff in ihre Tasche, aus der sie auch die verwanzte Uhr geholt hatte. „Ich habe ja noch etwas für dich.“, sagte sie und holte einen klingonischen Halsschmuck hervor. „Jeder Klingone, der etwas auf sich hält, hat doch so etwas.“, erklärte sie. Joran bückte sich zu ihr herunter, damit sie ihm den Halsschmuck anlegen konnte. „Wenn du den Verschluss nach dem Schließen noch drei mal antippst, ist die Wanze aktiv.“, erklärte sie. „Deine neue Identität ist übrigens: Kain, Sohn des Khaless, aus dem Hause des Kodus.“ „Leicht zu merken.“, sagte Joran. „Und wie heiße ich?“, wollte ich wissen. „Sie sind Starfleet Allrounder Josephine Connors.“, erklärte sie. Dann überreichte sie uns Datenkristalle mit unseren neuen Identitäten. „Schön auswendig lernen.“, sagte sie. „Morgen höre ich euch beide ab. Übrigens, Allrounder, wir beide haben noch eine spezielle Verabredung mit Shimar und Mc’Knight. Bitte folgen Sie mir. Ach, das hätte ich ja fast vergessen. Hier ist Ihr Attest.“ Sie schob mir einen weiteren Kristall zu.

Ich hatte mir nichts anmerken lassen, aber ich hatte in Wahrheit nicht verstanden, was Shimar mit der ganzen Angelegenheit zu tun haben sollte. Er schien allerdings wenig beeindruckt, als ich ihn nach dem Grund fragte. „Ich soll helfen, dich vorzubereiten.“, erklärte er. Ich schaute ihn fragend an. „Die Nihillaner sind Berührungstelepathen, das weißt du.“, fuhr er fort. „Sie können nur dann deine Gedanken lesen, wenn sie Körperkontakt mit dir haben. Sich dagegen zu wehren, hast du im Sternenflottentraining gelernt. Das wissen Sedrin und ich. Aber wenn es doch mal passieren sollte, wollen wir dir etwas beibringen, wie du denjenigen verwirren kannst, und zwar so sehr, dass er von deinem Geist ablassen muss.“ „Wie geht denn so was?“, fragte ich in einer Mischung aus Neugier und dem Gefühl, dass er mir gerade einen vom Pferd erzählte. Allgemein galt die Prämisse, dass es nur gegen Telepathie half, eine imaginäre Mauer aufzubauen. Diesen Trick wandten bisher alle an, die ich kannte. „Du wirst schon sehen.“, grinste Shimar. „Aber.“, forschte ich weiter. „Was hat denn Jenna damit zu tun?“ „Sie wird dir etwas an einem Modell zeigen.“, erklärte er, während er mich aus dem Raum führte. Ich vertraute Shimar. Schließlich liebte ich ihn.

Sedrin und Jenna warteten bereits auf uns in Sedrins Quartier. Wir setzten uns an den Wohnzimmertisch. „Bevor ich Sie losschicken kann.“, begann Sedrin. „Müssen Sie noch lernen, ihre Gedanken vor unerwünschtem Lesen zu schützen, auch, wenn Sie kein Rosannium dabei haben.“ „Das haben die uns auf der Akademie doch auch gezeigt.“, erwiderte ich und versuchte, dabei so cool wie möglich zu wirken. „Sie meinen das mit der Mauer.“, ertappte mich Sedrin. „Das ist doch viel zu anstrengend.“ Sie wandte sich zu Jenna: „Mc’Knight, das Modell bitte.“ Die Cheftechnikerin schob mir einen kleinen Behälter mit Wasser hin. Dann gab sie mir einen Beutel mit bunten Plastikfischchen in die Hand. Diesen sollte ich zunächst auf dem Tisch ausschütten, um mir die Fischchen besser ansehen zu können. „Haben Sie sich die Fische angeschaut?“, fragte Sedrin nach einer Weile. „Ja.“, antwortete ich zögerlich, denn mittlerweile war mir die ganze Sache extrem unheimlich geworden. „Vertrauen Sie uns?“, wollte Sedrin wissen. Ich nickte, obwohl mir immer noch nicht klar war, was das Ganze werden sollte.

Die demetanische Agentin klaubte alle Fische zusammen und warf sie ins Wasser. Dann sagte sie zu mir: „Finden Sie das Seepferdchen.“ Ich griff in den Behälter und angelte mit sicherem Griff das Seepferdchen heraus. „Vertrauen Sie uns?“, fragte Sedrin erneut. Ich nickte wieder. Sedrin hatte mir nie etwas Böses getan und das würde sich jetzt sicher nicht plötzlich ändern.

Sie nahm mir das Seepferdchen wieder ab und ließ es ins Wasser zurückfallen. Dann legte sie mit einigen künstlichen Steinen eine Art Mauer um einen Platz im Becken. „Finden Sie das Seepferdchen jetzt!“, forderte sie mich erneut auf. „Suchen Sie aber nur im nicht eingemauerten Bereich!“ Das tat ich, konnte das Seepferdchen aber nicht finden. „Agent?“, fragte ich. „Kann es sein, dass es hinter der Mauer ist?“ „Sehen Sie nach.“, sagte Sedrin. „Tun Sie sich keinen Zwang an.“

Ich griff über die Mauer und da war es. „Also.“, referierte Sedrin. „Was tut eine Mauer?“ „Sie macht neugierig.“, erwiderte ich. „Korrekt.“, meinte sie. „Und sie lädt geradezu zum Versuch ein, sie zu überwinden.“, fügte ich noch hinzu. Sedrin nickte. Dann entfernte sie die künstlichen Steine wieder. „Genau das versucht ein Telepath.“, erklärte sie dann. „Er versucht, Sie zu fokussieren. Damit Sie nur noch an das denken, was er sucht. Ein Telepath, der etwas in Ihrem Geist sucht, mag kein Chaos.“ Damit drehte sie sich zu Jenna: „Mc’Knight, Ihr Stichwort!“ Jenna legte einen Schalter am Modell um, worauf die Pumpe zu surren begann. Durch das sich jetzt stark bewegende Wasser wurden alle Fische durcheinander gewirbelt. Sedrin aktivierte eine Stoppuhr. „Finden Sie das Seepferdchen jetzt!“, forderte sie mich erneut auf. „Aber beeilen Sie sich.“ Ich legte meine Hände ins Wasser, aber das bewegte sich so schnell, dass die Fische in alle Richtungen verstreut wurden und ich keine wirklich ertasten geschweige denn herausnehmen konnte. „Schon zehn Minuten.“, gab mir Sedrin die Zeit durch. „Beeilung, sonst fällt gleich der Deckel.“

Demonstrativ nahm ich die Hände aus dem Becken. „Das kann nicht funktionieren.“, sagte ich. „Da drin schwimmt alles durcheinander. Da kann man ja nichts finden.“ Sedrin atmete auf: „Ich wusste, Sie würden es verstehen.“ „Was würde ich verstehen?“, fragte ich.

„Wann sind deine Gedanken am Chaotischsten, Kleines?“, mischte sich jetzt auch Shimar ein. „Wenn ich nicht kontrolliert an etwas denke.“, antwortete ich. „Und wann denkst du nicht kontrolliert an etwas?“, fragte er weiter. „Wenn ich total entspannt bin.“, antwortete ich.

„Feindliche Telepathen.“, begann Sedrin. „Wollen ihr Ziel möglichst schnell erreichen, um nicht erwischt zu werden. Deshalb mögen sie kein Chaos. Im Chaos muss man nämlich suchen und die Zeit haben sie nicht. Wollen mal sehen, ob Sie wirklich verstanden haben.“

Auf ihr Geheiß entspannte ich mich. Shimar sollte dann in meinem Geist nach einer bestimmten Erinnerung suchen. Ich ließ mich aber nicht fokussieren, sondern blieb entspannt. Meine umher treibenden Gedanken mussten für ihn wie eine Überlastung wirken, denn plötzlich sagte er nur: „Mir ist schwindelig.“, und kippte zur Seite. „IDUSA.“, wandte sich Sedrin völlig unbeeindruckt an den Rechner. „Schicke die Mediziner her!“

„Was habe ich getan!“, rief ich aus. „Er wird wieder in Ordnung kommen.“, tröstete mich Sedrin. „Das bezweifle ich nicht.“, sagte ich schluchzend. „Aber hätten wir nicht jemanden nehmen können, den ich nicht liebe?“ „Nidell hatte sich das nicht zugetraut und Zirell hatte zu tun.“, erwiderte Sedrin. „Also blieb nur Shimar. Aber er wird Ihnen sicher verzeihen.“ „Ich sollte mit ihr einen kleinen Spaziergang machen, Agent.“, schlug Jenna vor. Sedrin nickte einwilligend.

Jenna und ich spazierten also über die Station. Sie hatte ihr Sprechgerät in Bereitschaft. Zwar hatte sie dienstfrei, denn Shannon hatte die Schicht übernommen, aber sie stand in Kontakt mit Ishan, der ihr melden würde, wenn Shimar aufgewacht wäre. „Wer hat Sedrin das beigebracht.“, fragte ich. „Soweit ich weiß, lernt man das nicht auf der Akademie in Selbstverteidigung.“

Sie blieb stehen. „Kennen Sie Meroola Sylenne?“, fragte sie. Ich schüttelte den Kopf. „Sie war eine ehemalige Kriminelle, die plötzlich ehrlich werden wollte. Dazu hatte sie sich ausgerechnet unsere Station ausgesucht.“, erklärte die Cheftechnikerin. Das erinnerte mich an etwas. In Shannons Unterhaltungsschmöker gab es einen ähnlichen Fall. „Meroola hatte diesen Trick drauf und hat ihn uns allen beigebracht.“, erklärte Jenna weiter. „Wo ist sie jetzt?“, fragte ich. „Umständehalber in einer fremden Dimension.“, antwortete Jenna, die im gleichen Moment eine Nachricht über ihr Sprechgerät bekam. „Er ist wach!“, lächelte sie. „Kommen Sie.“

Auf der Krankenstation erwartete uns bereits Shimar, der tatsächlich wohl wieder aufstehen durfte. Ich nahm ihn fest in die Arme und sagte mit zitternder Stimme: „Es tut mir leid.“ Er küsste mich und erwiderte nur: „Hey, schon gut, Kleines. Unkraut vergeht nicht. Außerdem habe ich genau gewusst, worauf ich mich einlasse. Ich wusste, dass das passieren würde.“ „Ich wollte dich nicht verletzen.“, flüsterte ich. „Ach, Schwamm drüber.“, meinte er. „An irgendwem musstest du’s ja ausprobieren und von keiner wäre ich lieber KO-gedacht worden.“ Ich musste grinsen. „Aber ich habe doch.“, stellte ich mich selbst an den Pranger. „Du hast gar nichts.“, erwiderte er. „Ich hätte eher Bescheid sagen müssen. Ich alter Draufgänger. Aber ich musste es ja unbedingt drauf ankommen lassen. Du bist nicht für mich verantwortlich, Kleines.“ Er zog mich erneut an sich und wir gingen, nachdem er sich das OK von den Medizinern geholt hatte, zu uns.

Auf Celsius saßen Cenda und Yel zusammen und berieten über ihren nächsten Urlaub. Die zivile Wartungsfirma hatte sie tatsächlich eingestellt. Aber nicht nur sie, auch Scotty. Bevor sie allerdings dort anfangen sollten, wollten sie sich noch einmal einen richtigen schönen Urlaub mit allem Drum und Dran gönnen.

Scotty wollte beide überraschen und war von hinten ins Haus geschlichen. Cenda staunte nicht schlecht, als sie seiner ansichtig wurde. „Hey, Nachbar!“, rief sie aus. „Was machst du denn hier?“ „Ich wollte fragen, ob ihr mich vielleicht mit in den Urlaub nehmen könntet.“, erklärte Scotty. „So’n Urlaub unter Freunden, das wäre doch mal was.“ „Klärchen.“, grinste Yel. Dann schob er Scotty einen Stuhl hin: „Setz dich doch. Wir wollten gerade schauen, auf welchen Planeten wir könnten.“ „Demeta wäre ein gutes Ziel.“, schlug Scotty vor, ohne erahnen zu lassen, dass er damit ein bestimmtes Ziel verfolgte.

Cenda und Yel überlegten eine Weile. Dann sagte Cenda: „Demeta, warum nicht. Da ist ja jetzt Sommer und der soll total schön sein. Außerdem stehe ich auf die demetanische Küche.“ „Äää ja.“, stammelte Scotty. „Die kochen ganz gut, die Demetaner.“

Yel kam ein Verdacht. Er ahnte, dass Scotty diesen Vorschlag nicht ohne Hintergedanken gemacht hatte. „Raus mit der Sprache, Kumpel.“, sagte er. „Warum willst du unbedingt nach Demeta. Sag uns jetzt aber bitte die volle Wahrheit.“ „Na gut.“, antwortete Scotty. „Ihr habt mich erwischt. Meine Frau hat mich gebeten, Agent Maron, der sich im Strafurlaub befindet, zurückzuholen. Sie meint, der tindaranische Geheimdienst müsste ihm langsam mal verzeihen. Gut, er hat ziemlichen Bockmist gebaut, aber das ist jetzt ja schon eine ganze Zeit her. Betsy denkt, dass wir Marons Hilfe noch brauchen werden.“ „Daher weht also der Wind.“, grinste Cenda. „Ich nehme an, dass ich für drei auf dem Hinweg buchen soll und für vier auf dem Rückweg.“, vermutete Yel, der sich an den Rechner gesetzt hatte. „Genau.“, erwiderte Scotty. „Ich wusste, auf euch zwei beiden kann man sich verlassen.“

Cenda hatte nachgedacht. „Sekunde mal, Herr Nachbar.“, flapste sie. „Wie wollen wir den denn überhaupt finden? Maron ist auf Demeta ein sehr verbreiteter männlicher Vorname. Einer ihrer Präsidenten, der sehr große Berühmtheit erlangt hat, hieß mal so. Von dem Starrummel haben diverse Eltern sicher versucht, was ab zu bekommen.“ „Du hast Recht, Liebes.“, meinte Yel. „Also, was machen wir?“ „Erst mal würde ich nachfragen, wie viele Marons es tatsächlich auf Demeta gibt. Yel, du sitzt gerade so günstig.“, sagte Scotty.

Die interstellare SITCH-Auskunft übersendete ihnen eine 1000-seitige Liste mit Namen, SITCH-Mailadressen und Wohnadressen. „Uff.“, meinte Cenda. „Das müssen wir unbedingt eingrenzen. Scotty, hat Betsy dir zufällig mal gesagt, wo Maron eventuell wohnen könnte?“ „Ich glaube, sie hat mal Demetanya erwähnt.“, antwortete Scotty. „Das ist doch schon mal was.“, sagte Yel und suchte alle Marons aus der Liste, die in Demetanya und der näheren Umgebung der Hauptstadt wohnten. „Da waren es nur noch 100.“, sagte er zufrieden. „Trotzdem noch ganz schön viele, wenn man nur einen bestimmten Maron sucht.“, entgegnete Cenda. „Ich meine, dass er Agent ist, steht ja nicht unbedingt in seinem Adresseintrag. Wäre ja echt schlecht für die Tarnung.“ Sie grinste breit.

Wieder steckten die drei die Köpfe zusammen. „Ich glaube, ich hab’s!“, rief Yel plötzlich aus. „Wir schicken all diesen Marons eine SITCH-Mail, in der wir behaupten, dass die Einladung zur Hochzeit einer guten Bekannten Namens Zirell versehentlich auf einem unserer Rufzeichen gelandet sei und wir gern wüssten, wem wir den Irrläufer denn nun zustellen sollen. Mal sehen, wie sie reagieren.“

In Ermangelung einer besseren Idee ging man so vor. Scotty, Cenda und Yel hofften sehr, dass der richtige Maron merken würde, dass man seiner Vorgesetzten einen Fehler unterstellte, den sie wahrscheinlich nie machen würde. Zirell war für die Genauigkeit, mit der sie SITCH-Mails bearbeitete, sehr bekannt.

Zwei Tage verstrichen ohne Ergebnis. Dann erreichte Yels und Cendas Anschluss tatsächlich eine Antwortmail mit folgendem Wortlaut: „Ich habe zwar keine Ahnung, wer Sie sind und wie mein Ex-Commander an Ihr Rufzeichen geraten sein soll, aber Zirells Hochzeit ist erst nächsten Sommer. Ich schreibe Ihnen dies so detailliert, weil ich sicher bin, dass Sie mich mit dieser Mail ködern wollten. Sie wollten sicher gehen, dass Sie den richtigen Maron haben. Sie wollten mir bestimmt helfen. Vielen Dank. Ich warte auf Sie.“ Dann folgte die Wohnadresse, die Yel sofort den anderen Beiden mitteilte. „Es hat also funktioniert.“, meinte Cenda. „Wie du siehst, Liebes.“, erwiderte Yel siegesgewiss. „Ich bin sicher.“, meinte Scotty. „Die Hälfte konnte mit unserer Mail gar nichts anfangen und hat sie ignoriert. Aber das war ja auch beabsichtigt.“ „Dann besorge ich mal das mit der Buchung.“, meinte Yel.

Unruhig wälzte sich Logar in dieser Nacht auf seinem Lager hin und her. Der imperianische König kannte die Zukunft und wusste, dass bald etwas sehr Schlimmes auf alle Dimensionen zukommen sollte. Wenn er dann nicht dafür sorgte, dass diese aufrecht erhalten wurden, dann würde es zu einer Katastrophe kommen. Schließlich wurde er aber doch von der Müdigkeit übermannt.

Er fand sich kurz darauf auf einer Grasebene wieder. In der Ferne konnte er eine Bergkette erkennen, die ihm sagte, dass er sich auf der Seite seiner Tochter befinden musste.

Logar sah sich um und bemerkte, dass er allein war. Im gleichen Moment sah er seine Tochter, die auf ihrem Lieblingshengst heran geritten kam. Vor ihm hielt sie an und stieg sogar ab. Dieses Verhalten war Logar von der an sich sehr hochmütigen Prinzessin nicht gewohnt. „Bitte seid nicht erschrocken, Vater.“, begann Sytania mit ihrer hohen schrillen Stimme. „Ihr träumt und ich träume auch. Ich habe Euch hergeholt, um Euch ein Angebot zu machen.“ Logar versuchte zu erwachen. Wie alle Mächtigen konnte auch er licht träumen, also auch bewusst über seine Träume bestimmen. Aber das gelang ihm nicht. „Nun.“, lachte Sytania. „Das habe ich vorausgesehen. Ein Teil von Euch, Vater, scheint sehr begierig darauf zu sein, was ich vorzuschlagen habe. Wenn Ihr es wirklich gewollt hättet, dann wärt Ihr mir entkommen. Aber, wie gesagt. Ein Teil von Euch ist so vernünftig und will unbedingt hören, was ich zu sagen habe. Ihr wisst, dass Ihr ohne mich nichts ausrichten könnt. Wir beide kennen die Zukunft, Vater. Natürlich tue ich es nicht aus reiner Nächstenliebe, auch, wenn ich die dummen Sterblichen das gern glauben machen würde. Jeder hat schließlich einen gesunden Selbsterhaltungstrieb.“ Sie lachte hell auf. „Schluss mit dem Theater!“, entrüstete sich Logar. „Sage mir endlich, was du zu sagen hast!“ „Wie Ihr wünscht.“, erwiderte Sytania. „Alle Mächtigen sollten zur Erhaltung der Dimensionen beitragen, indem wir alle unsere Energien zu einem alles umspannenden geistigen Schild vereinen. Ihr wisst, was auf uns zu kommen wird. Überlegt Euch mein Angebot.“ Damit stieg sie in den Sattel und ritt fort.

Logar erwachte durch eine weibliche Stimme und eine starke Hand, die ihn sanft schüttelte. „Wacht auf, Gebieter.“, flüsterte sie. „Bitte, wacht auf.“ Logar öffnete die Augen und erkannte Iranach, die ihm etwas Weiches Kleines und Warmes auf die Bettdecke legte, das sogleich zu schnurren begann. „Das ist eines der vier Jungen Eurer geflügelten Löwin.“, erklärte die Vendar. „Ich durfte dabei sein.“ Logar berührte die kleine Kätzin. „Wie süß du bist.“, sagte er. „Aber das wird mich leider auch nicht über das hinwegtrösten, von dem ich gerade geträumt habe.“

Iranach nahm das Kleine wieder auf den Arm und fragte: „Darf ich wissen, wovon Ihr geträumt habt, Majestät?“ „Ich träumte von Prinzessin Sytania.“, erklärte Logar. „Sie hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht abschlagen kann. Nur, wie sollte ich es, würde ich es annehmen, meinen sterblichen Freunden erklären?“ Er erzählte ihr die ganze Geschichte. „Ihr solltet es annehmen.“, schlug Iranach vor. „Es ist das Beste für alle Dimensionen. Ich bin sicher, Eure sterblichen Freunde, wie Ihr Euch ausdrückt, werden es verstehen.“

Logar überlegte kurz. Dann sagte er: „Nun gut. Ich werde es annehmen. Schicke nach Argus. Er soll für mich Kipana und für dich auch ein Pferd deiner Wahl satteln, sobald der Morgen graut. Dann werden wir meiner Tochter mein Ja überbringen.“

Sedrin hatte mir berichtet, dass sie Joran schon mit einem Shuttle der Flugbereitschaft vorgeschickt hatte. „Sie beide werden getrennt nach Nihilla einreisen, damit Sie keinen Verdacht erregen.“, erklärte sie. „Kann ich mir schon denken, Agent.“, erwiderte ich. „Ich bin ja schließlich kein Dummkopf.“ „Nein, das sind Sie bei Weitem nicht.“, gestand sie ein. „Sonst würde ich Sie ja auch nicht auf diese Mission schicken. Sie werden wahrscheinlich auch bald auf Joran treffen. Alle Neubürger werden zunächst in so genannten Integrationssiedlungen untergebracht. Vielleicht werden Sie beide ja sogar Nachbarn. Falls Sie sich austauschen wollen und ich das hören soll, gibt es ein Codewort, das ich auch mit Joran ausgemacht habe. Es lautet: eine Tasse Zucker.“ „OK.“, sagte ich. „Leicht zu merken.“ „Shimar wird Sie gleich mit IDUSA nach Tindara bringen.“, erklärte sie weiter. „Dort nimmt Sie jemand vom Geheimdienst in Empfang und regelt mit Ihnen alles Weitere. Zwei Tage nach Joran werden dann auch Sie nach Nihilla einreisen.“ Ich nickte. Dann drehte ich mich zum Kleiderschrank und sagte: „Dann werde ich mal packen.“

Sie hatte verstanden und war im Begriff, mein Quartier zu verlassen. In der Tür wandte sie sich noch einmal kurz um. „Solange Shimar noch bei Ihnen ist und so lange Sie noch auf Tindara sind, können Sie sich alles noch einmal überlegen. Wenn Ihnen die Mission zu heiß werden sollte, können wir immer noch jemanden anders …“ „Ma’am.“, unterbrach ich sie. „Es ist schon in Ordnung. Ich habe das Gefühl, ich schulde Eludeh was.“ „Dann ist ja gut.“, entgegnete sie, bevor sie endgültig ging. Merkwürdig., dachte ich. Denn wieder hatte ich mich dabei ertappt, wie ich eine Assoziation hergestellt hatte, die wohl etwas merkwürdig anmutete, wenn man die Hintergründe nicht wirklich kannte. Da Sedrin Huxley des öfteren auf Dinge hingewiesen hatte, war sie von ihm und der ganzen Crew der Eclypse manchmal aufgezogen worden, dass sie viel mit T’Pol gemeinsam hatte. Das Einzige, was die beiden Ladies aber einte war, dass beide eine Ausbildung zur Agentin hatten. Sedrins Stimmlage hatte mich wieder daran erinnert. Oh, Mann., dachte ich. Wäre sie keine Demetanerin, würde ich glatt meinen, T’Pol in fürsorglich stünde vor mir.

Kapitel 17: Spione wie wir

von Visitor

 

Plötzlich hörte ich ein männliches mitteltiefes Lachen hinter mir. „Oh, Kleines.“, schüttete er sich aus. „Weiß sie, wie du über sie denkst?“ Ich drehte mich um. „Shimar.“, sagte ich. „Ich habe dich gar nicht bemerkt.“ „Das war auch mein Ziel.“, grinste er. „Bist du so weit?“ „Von mir aus können wir.“, sagte ich und griff nach meinem Koffer.

Die Gänge der Station waren wie ausgestorben. Diese gespenstisch anmutende Stille war mir unheimlich. Ich versuchte aber mir nichts anmerken zu lassen. Endlich waren Shimar und ich bei IDUSA angekommen.

Wir stiegen ein, er meldete uns ab und los ging’s. „Bist du wirklich sicher, dass du das willst, Kleines?“, fragte Shimar, kaum, dass wir die Station verlassen hatten. „Ich meine, du könntest, wenn du es wirklich schaffen willst, eine Schlüsselposition im nihillanischen Militär zu erlangen, Dinge tun müssen, die sich weiß Gott nicht mit deinem moralischen Standard vertragen. Ist dir das bewusst?“ „Das wird schon gehen.“, erwiderte ich, aber auch ein Nicht-Telepath konnte heraushören, dass ein Teil von mir mit den Foltermaßnahmen der Nihillaner auch nicht einverstanden war und dass es mich schmerzte, diese vielleicht anwenden zu müssen. Ich hatte nur einen Trost. Sedrin würde alles mitbekommen und wir würden dann der Föderation zeigen können, was für ein gewissenloser Haufen die Nihillaner wirklich waren. Dass ich mich verlieren würde, also, dass ich ohne Gewissen von dieser Mission zurückkehren würde, glaubte ich nicht. Dazu war ich zu sehr in den moralischen Grundprinzipien der Föderation und auch in meinen eigenen verhaftet. Das würde nicht passieren. Ich wusste, wenn die Nihillaner untergehen würden, würde ich der Mühlstein um ihren Hals sein, der sie hinunterzog. Joran würde mir mit dem größten Vergnügen dabei helfen.

Wir erreichten die tindaranische Umlaufbahn. „Ich kann noch umkehren.“, bot Shimar an. Energisch schüttelte ich den Kopf. Dann sagte ich: „Warum fragst du mich das immer wieder?!“ „Sie will das.“, entgegnete er. „Wer ist sie?“, fragte ich. „Zirell oder Sedrin.“ „Sedrin.“, antwortete er. „Demetanerinnen sind extrem fürsorglich.“, erklärte ich. „Das merkt man.“, grinste er. „Aber wahrscheinlich möchte sie einfach nur sicher gehen. Nicht, das bei der Mission etwas schiefgeht, das dich enttarnt.“ „Du redest schon wie sie.“, flapste ich zurück. „Außerdem ist sie doch immer in meinem Hintergrund, zumindest so quasi. Sie kann sowohl Joran als auch mir über die Wanzen Anweisungen zukommen lassen. Sie weiß ja auch, dass wir keine gelernten Agenten sind. Und jetzt melde uns schon an! Oder glaubst du, der tindaranische Agent, der mich betreuen soll, will warten bis zum Sanktnimmerleinstag.“ „Dir scheint es ja wirklich ernst zu sein.“, stellte Shimar fest. „Es ist mein voller Ernst.“, entgegnete ich.

Scotty, Cenda und Yel waren in der Zwischenzeit mit einem Passagierschiff unterwegs nach Demeta. „Angenommen, wir finden Maron und können ihn tatsächlich mit nach Celsius nehmen.“, spekulierte Yel. „Wie kriegen wir ihn dann nach Tindara oder besser auf Zirells Station?“ „Das lass mal meine Sorge sein.“, schnodderte Scotty zurück. Auf dem Schiff wollte er darüber nicht reden, denn er hatte Sorge, es könnte jemand zu viel mitbekommen, den das alles wirklich nichts anging, oder der unter Umständen noch alles an die falschen Leute verraten konnte. Das durfte auf keinen Fall geschehen.

Unauffällig versuchten sich die drei nach der Ankunft in die unzähligen Schlangen von Touristen einzureihen, um nicht aufzufallen. Sie hatten zwar per SITCH-Mail mit Maron ein Erkennungszeichen ausgemacht, aber es musste ja nicht jeder mitkriegen, dass sie auf geheimer Mission waren.

Plötzlich wurde Cenda, die das geheime Zeichen, eine Energiemodulattrappe, an einer Kette um den Hals trug, von jemandem angetippt. „Kommen Sie.“, flüsterte der fremde Demetaner in ihr linkes Ohr. „Verschwinden wir in der Menge, solange das Gedränge noch groß genug ist. „Kommt Jungs.“, schnippte Cenda Scotty und Yel zu, als sie sicher war, dass es sich um den erwarteten Abholer handelte.

Alle vier verließen das Raumflughafengebäude durch die große Schwingtür. Auf dem Parkplatz stand Marons Jeep. „Ich muss euch was sagen.“, begann Yel. „Ich konnte nicht am gleichen Tag einen Rückflug bekommen. Wir müssen wohl einen Tag warten. Können wir hier irgendwo …“ „Sie übernachten bei mir.“, sagte Maron bestimmt. „Für solche Eventualitäten habe ich vorgesorgt. Jetzt ist schließlich Urlaubszeit und da ist das manchmal echt schwierig mit dem Rückflug.“

Sie bogen auf ein kleines Gässchen ein. An dessen Ende befand sich ein freistehendes Haus. Maron stellte den Jeep ab und bat die drei Celsianer, ihm zu folgen. Alle vier setzten sich zunächst im Wohnzimmer aufs Sofa. „Ich war ja wirklich überrascht.“, gab Maron zu. „Sie wollen mich also wirklich wieder zurück auf Zirells Station bringen?“ „Genau das haben wir vor.“, quietschte Cenda und setzte ein breites Grinsen auf. „Woher wissen ein mir völlig fremdes celsianisches Ehepaar und ein Wahlcelsianer von meiner Misere?“, fragte Maron weiter. „Schönen Gruß von meiner Frau.“, flapste Scotty. „Allrounder Betsy Scott?“, fragte der Demetaner ungläubig. „Genau die.“, antwortete Scotty. „Wer sonst. Oder glauben Sie, ich fahre mehrgleisig, Mister, he?“ „Davon habe ich nicht gesprochen.“, verteidigte sich Maron. „Aber ich hätte es Allrounder Betsy Scott bei Weitem nicht zugetraut, so eine Geheimaktion auf die Beine zu stellen. Aber dieses kleine stille Wesen hat doch mehr drauf, als man am Anfang vielleicht denken mag.“ Cenda, Yel und Scotty nickten synchron.

„Wir sollten dann mal die Schlafsäcke auspacken.“, schlug Yel nach eingehender Inspektion seiner Uhr vor. „Morgen müssen wir früh hoch. Der Flug, der geht schon morgen früh um acht.“ „Wenn Sie wollen, helfe ich Ihnen.“, sagte Maron. „Dann geht es schneller.“ Müde erklärten sich alle drei einverstanden.

Zirell hatte Sedrin zu einer Besprechung in ihren Bereitschaftsraum gebeten. „Denkst du wirklich, dass Allrounder Betsy das durchsteht?“, fragte die Tindaranerin besorgt. „Dieses kleine nach außen hin vielleicht sehr zerbrechlich wirkende Ding hat es faustdick hinter den Ohren, wenn sie die Gelegenheit bekommt. Sie kann manchmal besser die Achillesferse eines Staates oder einer Person finden, als jemand, der nach außen hin stärker wirkt.“ „Weil ihr niemand Hinterlist zutraut.“, schloss Zirell. „Genau deshalb.“, bestätigte Sedrin. „Außerdem hat sie schon einmal einen Spionageeinsatz unter meiner Führung erfolgreich beendet. Sie weiß und ich weiß, dass sie das kann. Also wird es auch funktionieren. Außerdem hat sie Joran.“ Zirell atmete auf. Sie wusste, dass ich mich bei Joran sehr sicher fühlen würde und dass er mir in Ermangelung von Shimars Anwesenheit ebenso gut helfen würde, wenn es zu Situationen kommen sollte, die ich nicht aushielt oder nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte.

Logar und Iranach waren auf dem Weg zu Sytanias Palast. Beide wussten, dass sie sich quasi in die Höhle der Löwin begaben und sie ihr unter normalen Umständen sicher nie vertraut hätten. Aber Logar hatte Iranach sein Wissen anvertraut und so wusste auch die junge Vendar, was auf alle Dimensionen zukommen würde, wenn nicht eingeschritten würde. Natürlich wussten Logar und Iranach, dass Sytania das nicht aus reiner Nettigkeit tat. Aber immerhin war es besser so, als wenn sie alle Versuche, die Dimensionen zu retten, blockieren würde.

Vor dem Schlossgraben, der Sytanias Schloss umgab, hielten sie an. „Ich wundere mich, warum Eure Tochter noch nicht den Befehl zum Herunterlassen der Zugbrücke erteilt hat.“, erklärte Iranach. „Sie wird doch längst wissen, dass wir kommen.“ Logar deutete nach oben zu einem der Fenster. „Sieh dort!“, befahl er. „Dort steht sie. Wahrscheinlich möchte sie wissen, ob es wirklich meine wahre Absicht ist.“ „Aber sie hat den Vorschlag doch selbst gemacht.“, versicherte sich Iranach. „Das stimmt.“, entgegnete Logar. „Aber trotzdem kann sie sich ihrer nicht so sicher sein. Ich hätte ja auch nein sagen können.“

Auf der anderen Seite des Grabens erspähte Iranach einige Gestalten, die sich daran machten, die Zugbrücke nun doch herunterzulassen. Dann rief ein Wächter: „Passiert!“

Logar und Iranach ritten in den Schlosshof, wo ihnen ihre Pferde von zwei geschäftigen Stallburschen abgenommen wurden. Sie selbst wurden von einem Soldaten in glänzender Rüstung ins Schloss begleitet.

„Traut Ihr Euch ohne Beistand nicht zu mir, oder was soll die Vendar bei Euch, Vater?“, lästerte Sytania, als sie den Thronsaal betraten. Iranach warf ihr einen strengen Blick zu. „Lass dich nicht provozieren.“, flüsterte Logar ihr zu. „Ich werde mich bemühen, mein König.“, flüsterte sie zurück. „Ich denke.“, wandte sich Logar an seine Tochter. „Einen Begleiter zu wählen ist nicht mein Recht allein. Auch Ihr, Tochter, könntet jemanden an Eure Seite rufen, wenn Ihr es denn wünscht.“ „Nun gut.“, sagte Sytania. Dann wandte sie sich an einen der umstehenden Diener: „Schick nach Telzan.“

Nachdem der Anführer von Sytanias Vendar nun auch eingetroffen war, setzte man sich gemeinsam an einen kleinen Tisch. Die Herrscher und die Vendar saßen sich jeweils gegenüber. „Wie habt Ihr Euch das mit dem alles umspannenden Schild denn nun vorgestellt, Tochter.“, wandte sich Logar an die ihm gegenüber sitzende Prinzessin. „Ganz einfach.“, erwiderte Sytania. „Ihr, Vater, Ihr gebt mir Eure Hände und wir vereinen unsere Energie. Von allen Anderen habe ich bereits das OK und auch ihre Energien mit meiner vereint. Das werdet Ihr dann sehen. Glaubt mir, es ist das Beste für alle.“

Logar überlegte eine Weile. Er wusste, dass seine Tochter ihn oft hintergangen hatte, um sich einen eigenen Vorteil zu erschleichen. Er wusste aber auch, wie die Zukunft aussah und dass er über seinen Schatten springen musste, würde er dazu beitragen wollen, sie zu retten. Aber ausgerechnet Sytania? Konnte er ihr wirklich vertrauen?

Es war schließlich Iranach, die ihm das richtige Argument lieferte. „Sie tut so etwas sicher nicht gern, mein Gebieter.“, flüsterte sie ihm in ihrer Muttersprache zu, die Logar, wie alle Mächtigen auch, ohnehin verstand. „Also wird sie, wenn sie es denn tut, sicher einen triftigen Grund haben. Würde sie Euch hintergehen, würde sie sich doch ins eigene Fleisch schneiden.“ „Du hast Recht.“, flüsterte Logar ebenfalls in Vendarisch zurück. Dann drehte er sich zu Sytania und streckte ihr die Hände hin: „Nun gut. Tun wir, was Ihr vorgeschlagen habt.“

Der Raum füllte sich mit schwarzen und weißen Blitzen, die jeweils paarweise miteinander verschmolzen und dann alle zusammen zu einer großen Kugel aus Energie wurden, die durch die Wand aus dem Schloss schwebte und sich in der Atmosphäre ausbreitete. Iranach und Telzan kannten dieses Schauspiel. Sie hatten davor keine Furcht. Im Gegenteil. Es erfüllte sie sogar mit Freude, als sie sahen, wie reibungslos die Vereinigung der Energien vonstatten gegangen war.

„Nun, Vater?“, fragte Sytania, nachdem sich alles wieder aufgeklart hatte. „Habe ich die Wahrheit gesprochen?“ „Das habt Ihr für wahr, Tochter.“, erwiderte Logar. Er hatte in Sytanias Geist gut sehen können, wie es mit den Anderen gelaufen war. Weder Dill noch Tolea oder jemand anders hatten Zweifel an ihren Absichten gehabt, denn alle wussten, dass sie es nur für sich getan hatte, aber das war angesichts der Dinge, die noch kommen sollten, egal. Die Nihillaner waren zwar sterblich, aber sie durften auch nicht unterschätzt werden.

Mein tindaranischer Betreuer, der mich noch etwas auf meine Tätigkeit als Spionin vorbereiten sollte, hatte über meine Fortschritte sehr gestaunt. „Du scheinst es wirklich zu wollen.“, meinte er. „Ja.“, erwiderte ich. „Ich tue es für Eludeh und für alle, denen etwas an ihrer Freiheit liegt.“

Bald darauf wurde ich in ein Shuttle gesetzt, das mich nach Nihilla brachte. Hier meldete ich mich, wie alle Neubürger sonst auch, zunächst in der Einwanderungsbehörde. Der Beamte dort warf einen kurzen Blick auf meinen Lebenslauf. Dann sagte er: „Sie sind also vorher bei der Sternenflotte gewesen, Miss Connors.“ „Das ist richtig.“, sagte ich. „Sie haben ausgezeichnete Zeugnisse und eine sehr gute fliegerische Ausbildung trotz Ihrer Behinderung und tragen keinen Visor. Ah, ich sehe, Sie sind gegen die Implantate allergisch. Aber hier steht auch, dass Sie im Besitz eines Hilfsprogramms sind, das auf jedes Shuttle gespielt werden kann.“ Ich nickte und zeigte ihm den Datenkristall. „So genau brauche ich das auch nicht.“, lächelte er. „Davon verstehe ich nichts. Sie könnten mir ebenso gut die Erinnerungen Ihrer Großmutter zeigen. Ich bin nur ein Bürohengst und kein Techniker. Ich glaube Ihnen das auch so.“ Ich steckte den Kristall wieder ein. „Sie könnten sicher in unserem Militär weit kommen.“, warf er noch ein, bevor er mir einen Schlüsselcode sagte, mit dem ich eine Wohnung in einer der Integrationssiedlungen beziehen konnte. „Ihr direkter Nachbar ist ein Klingone. Er ist auch erst vor vier Tagen hier her gezogen.“, sagte er noch. „Ich hoffe, das stört Sie nicht.“ „Ich war Sternenflottenoffizierin.“, lächelte ich. „Warum sollte mich eine fremde Kultur stören?“ Dann dachte ich: Den wahren Grund musst de ja nich’ wissen, Männeken. Ich konnte mir schon denken, wer dieser Klingone war.

Von einer der Angestellten war ich zu meiner Wohnung gebracht worden, die ich dann sofort bezogen hatte. Mir war aufgefallen, dass die Raumgestaltung sehr gradlinig war. Für Schnörkel war hier kein Platz. Aber anscheinend war das in der nihillanischen Kultur, in der die reine Sachlichkeit und Wissenschaft ja die obersten Regeln waren, normal. Die Nihillaner behaupteten zwar, sie hätten keine Religion, aber ich war der Meinung, dass dies nicht stimmte. Den Nihilismus hatten sie zu ihrer Religion erklärt und die Wissenschaft war ihre oberste Göttin, auch, wenn das jetzt sicher sehr merkwürdig klang.

Die Türsprechanlage piepte und störte mich somit beim Auspacken. Ich nahm das Mikrofon in die Hand und sagte mit klopfendem Herzen: „Hier Allrounder Josephine Connors.“ „Hier ist Kain, Ihr neuer Nachbar.“, kam es zurück. „Ich wollte mich nur vorstellen.“

Wortlos entriegelte ich die Tür und zog ihn mit mir in die Wohnung. „Bin ich froh, dass wir Nachbarn sind.“, sagte ich. Dann aktivierte ich meine Wanze, denn ich dachte mir, dass Sedrin sicher auch interessieren würde, dass wir uns gefunden hatten. Überzeugend genug mussten wir auf die nihillanischen Behörden gewirkt haben, denn keine der beiden Wohnungen wurde überwacht, deshalb würden wir uns jetzt auch ruhig mit unseren richtigen Namen ansprechen können. „Ich bin auch froh, dich gefunden zu haben, Allrounder Betsy.“, sagte Joran. „Ich denke, dass du meine Hilfe oft brauchen wirst, wenn du wirklich tun willst, was du tun willst.“ „Ich habe keine Wahl.“, erwiderte ich. „Ich werde für dich da sein.“, erwiderte er und streckte mir seine weiche Hand hin. Eine Weile lang hielt ich diese und war überrascht, wie weich stark sein konnte.

Sedrin war über eine Aussage Shimars gestolpert, die er gegenüber einem ihrer tindaranischen Kollegen gemacht hatte. Nach dem Rückflug aus der Föderationsdimension war er damals noch von einem Agenten, der ihn nicht kannte, dazu vernommen worden, wie es sein konnte, dass Maron und er ohne eigenen interdimensionären Antrieb ihres Schiffes zurückkommen konnten. Eine interdimensionäre Pforte zwischen den beiden Universen gab es nämlich nicht. Der vernehmende Agent hatte festgestellt, dass Shimar mit etwas hinter dem Berg gehalten hatte. Als Telepath war ihm das sicher nicht verborgen geblieben, aber Shimar konnte sich ebenfalls gut abschirmen und so kamen die Beiden irgendwie auf keinen Nenner. Nur Nidell hatte Sedrin einen versteckten Hinweis gegeben. Shimar hatte sich auf der Krankenstation gemeldet und sein Telepathiezentrum untersuchen lassen. Wenn jemand das tat, musste das medizinische Personal dies dem Kommandanten melden, denn das Telepathiezentrum eines Tindaraners ist sehr wichtig. Sie hatte aber nichts feststellen können.

Mit diesen Informationen im Gepäck befand sich Sedrin jetzt vor der Tür von Shimars und meinem Quartier. Shimar schien etwas nervös, als er die Sprechanlage beantwortete. Das konnte die ausgebildete und psychologisch geschulte Agentin an seiner Stimme hören. „Es ist alles in Ordnung.“, beruhigte sie ihn. „Ich muss nur mit dir über einige Ungereimtheiten reden.“ Sie hatte sich die korrekte Anredeweise für Tindaraner längst angewöhnt. „Also gut.“, erklärte sich Shimar bereit und öffnete die Tür.

Sie setzten sich ins Wohnzimmer und Sedrin holte ein Pad hervor. „Laut deiner Aussage von vor einigen Wochen.“, begann sie. „Sind Maron und du auf ein Phänomen getroffen, das euch wieder hier her zurückgebracht hat. Soweit der Sternenflotte und auch tindaranischen Forschern aber bekannt ist, gibt es keine natürliche interdimensionale Pforte zwischen dem Universum der Föderation und dem der Tindaraner.“ „Dann irrt sich die Forschung.“, antwortete der sichtlich nervöser werdende Patrouillenflieger. „Das Phänomen war da. Ich hatte ziemlich zu tun, uns da heil durchzubringen. Schließlich fehlte IDUSA ein Teil ihres Rumpfes und sie war dadurch instabil. Weißt du, ihre Aerodynamik war …“ Auch wenn die Agentin keine Telepathin war, war ihr doch klar, dass er sie von vorn bis hinten belog. Sie hatte längst sein Spiel durchschaut. Sie wusste, er würde sie gleich mit dem feinsten Fliegerlatein bombardieren in der Hoffnung, dass er ihr damit Sand in die Augen streuen könnte. Deshalb sagte sie listig: „Wenn es dieses Ding da draußen gibt, dann wäre es sicher eine Erforschung wert. Warum nehmen wir zwei uns nicht IDUSA und fliegen hin? Das Ding könnte sogar nach dir benannt werden.“ Lass dir jetzt nichts anmerken, Junge., dachte Shimar, während er sagte: „OK.“ „Na dann los.“, lächelte Sedrin.

Eine SITCH-Nachricht unterbrach Jorans und mein schweigendes Händchenhalten. Der Vendar drehte sich zum Display und öffnete per Touchscreen die Nachricht, um sie sich kurz durchzulesen und mir danach einen Abriss zu geben. „Heute wird in der öffentlichen Simulationskammer eine Simulation über eine Naturkatastrophe gezeigt. Alle Neubürger werden sie sich ansehen müssen.“, sagte er. „Warum müssen?“, fragte ich. „Du scheinst vergessen zu haben, Allrounder, dass wir uns in einem totalitären Staat befinden. Sicher hat die Simulation propagandistische Inhalte und auch die müssen wir entlarven. Gehen wir nicht hin, könnte man uns vorwerfen, dem Widerstand anzugehören. Ich kann dich nicht schützen, wenn du es nicht auch ein Stück weit tust. Schließlich sollst du ja im nihillanischen Militär weit kommen und das wird nicht gehen, wenn du unter Verdacht bist, eine Widerständlerin zu sein. Außerdem brauche ich deine Hilfe. Du hast ein feines Gespür für das Psychologische. Du erkennst Propaganda drei Meilen gegen den Wind. Ich bin darin sehr grobschlächtig.“ „Du hast gewonnen.“, lächelte ich. „Gehen wir.“

Vor dem Haus stand ein elektrischer Jeep, der Joran ebenfalls zur Verfügung gestellt worden sein musste. „Die nihillanische Regierung ist sehr nett zu ihren Neubürgern.“, bemerkte ich zynisch, während ich auf der Beifahrerseite des schwarzen Jeeps Platz nahm. „In der Tat.“, bestätigte er, während er den Antrieb startete und uns langsam und bedächtig aus der Parklücke brachte. „Wenn ihnen massenweise die Bürger weglaufen, müssen sie sich schon was einfallen lassen.“, flapste ich. „Du hast Recht.“, flüsterte er.

Wir waren die Letzten, die an diesem Abend die öffentliche Simulationskammer betraten. Gleich nach dem wir uns gesetzt hatten und alle die Simulatoren bekommen hatten, ging es los. Viel war über die Story der Simulation nicht zu sagen. Es handelte sich um eine der üblichen Stories über Erdbeben, wie ich sie auch schon in diversen Filmen auf der Erde gesehen hatte. Das Einzige, was an dieser anders war, waren die sehr schwarzweiß anmutenden Unterschiede zwischen denen, die an eine Gottheit glaubten und den Anhängern der Wissenschaft, die natürlich am Ende das Problem lösten. Die Gläubigen aber wurden fast wie Neandertaler dargestellt. Verzweifelte Tag aus Tag ein betende Kreaturen mit minderem Geist, die in ihrem Aussehen eher an Affen statt an Menschen erinnerten. Auch ein Jugendlicher, der erst zu den Gläubigen gehörte, in deren Kindererziehung auch Schläge noch auf der Tagesordnung standen, um sie noch rückständiger erscheinen zu lassen, wurde plötzlich, nachdem er der Religion abgeschworen und sich der Wissenschaft zugewandt hatte, von einem stirnwülstigen Primaten zu einem reptiloiden Wesen, wie es sich für einen Nihillaner seines Alters gehörte.

Endlich war die Simulation zu Ende. Joran führte mich an die frische Luft. Er hatte schon die ganze Zeit bemerkt, dass es mir mit der Sache nicht gut ging. „Was ist los, Allrounder Betsy?“, fragte er. „Ist alles in Ordnung?“ „Gar nichts ist in Ordnung!“, zischte ich ihm zu. „Aber lass uns das bitte auf der Fahrt klären.“

Wir stiegen in den Jeep und er startete diesen, um uns so schnell es ging von diesem Ort des Grauens zu entfernen. Wissend um meine Aufgeregtheit fuhr er aber nicht gleich wieder zurück zu unserem Wohnblock, sondern machte einen riesigen Umweg. „Sieht aus, als hätte in einigen dieser Häuser lange niemand mehr gewohnt.“, sagte er, als wir durch eine Gartenkolonie kamen. „Kein Wunder.“, sagte ich und bedeutete ihm, den Jeep anzuhalten. Er fuhr rechts ran und deaktivierte den Antrieb. „Die Simulation war Propaganda vom Feinsten!“, platzte es aus mir heraus. „Ich hatte die ganze Zeit meine Wanze an!“ „Auch ich hatte die Meine aktiviert, Allrounder Betsy.“, versuchte er, mich zu beruhigen. „Agent Sedrin hat es uns ja so aufgetragen.“ „Ich schwöre dir eins!“, sagte ich wütend. „Ich werde nicht länger auf diesem Planeten bleiben, als es unsere Mission erfordert. Uff, jetzt muss ich erst mal was trinken.“

Er schlug etwas im Navigationscomputer des Jeeps nach. „Es gibt in der Nähe ein Gasthaus, das sogar noch geöffnet hat.“, sagte er dann, bevor er den Jeep wieder in Bewegung setzte.

Sedrin hatte Jenna eine SITCH-Nachricht geschickt, während sie mit Shimar auf dem Weg zur Shuttlerampe war. Die Cheftechnikerin hatte sich diese durchgelesen und ihrer Assistentin den Inhalt mitgeteilt. „Wir sollen IDUSA nicht nur warten, Shannon.“, hatte die hoch intelligente Halbschottin ihrer irischen Assistentin erklärt. „Wir sollen uns auch an ihre Telemetrie hängen, damit wir rauskriegen können, ob Shimar ein falsches Spiel mit dem Agent spielt.“ „Warum sollte er das?“, fragte die blonde Irin flapsig. „Herr Gott, Shannon!“, rief Jenna aus. „Tun Sie doch nicht immer so begriffsstutzig. Er wird denken, dass sie ihm nicht glaubt, wenn er ihr erzählt, was da passiert ist. Er wird versuchen, IDUSA zu manipulieren, damit es so aussieht, als gebe es ein Phänomen, dass eine Pforte zwischen diesem Universum und dem der Föderation darstellt. Er weiß ja nicht, dass er ihr ruhig die Wahrheit sagen kann. Aber dazu sollen wir beitragen. Ich soll Sedrin informieren, sobald er krumme Dinger dreht.“

Shimar und Sedrin hatten die technische Kapsel betreten. Jenna lächelte beiden zu, während sie Shimar den Schaltschlüssel gab. „Ist IDUSA bereit, Jenn’?“, fragte Shimar freundlich. „Das ist sie.“, entgegnete Jenna. Sedrin sah sie nur an und sagte: „Mc’Knight, Sie wissen, was Sie zu tun haben.“ Jenna nickte und nahm wieder hinter ihrer Arbeitskonsole Platz.

Sie brauchten nicht weit zu fliegen, bis sie an dem Punkt angelangt waren, an dem die interdimensionale Pforte Shimar, Maron und IDUSA angeblich ausgespuckt hatte. Du suchst das Bild einer Anomalie aus deiner Datenbank und stellst es auf unsere Neurokoppler., gab Shimar IDUSA per Gedankenbefehl zu verstehen. Das Schiff führte seinen Befehl zwar aus, konnte sich aber denken, dass Sedrin, die in SITCH-Kontakt mit Jenna stand, sicher von ihr über die Manipulation informiert werden würde, denn Jenna würde genau sehen, dass die Sensoren keinen Input bekämen und IDUSA nur ihre Datenbank konsultieren würde. „Siehst du, Sedrin.“, sagte Shimar. „Da ist die Pforte.“ Die demetanische Agentin beschloss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und entgegnete: „Faszinierend. Mich wundert nur, dass von Seiten der Föderation noch niemand auf diese Anomalie gestoßen ist. Dabei ist sie so nah an Khitomer. Da kommen doch fast täglich Schiffe vorbei. Sei’s drum. Ich finde, man sollte sie einmal erforschen und mit man meine ich wir. Flieg hinein!“

Shimar fühlte sich ertappt. Wie sollte er diese Situation jetzt lösen? „Na los.“, setzte Sedrin nach und gab ihm einen kleinen aufmunternden Klaps auf die Schulter. „Wir können doch nirgendwo anders rauskommen, als bei Khitomer, nicht wahr?“ Shimar nickte. „Also dann.“, bekräftigte Sedrin ihren Befehl erneut. Ruf das Antriebsschema von dem Flug durch den Wirbel auf und vollführe die gleichen Manöver., befahl Shimar IDUSA per Gedankenbefehl. Das Schiff hatte zwar auch Sedrins Reaktionstabelle geladen, aber war nicht im Flugschulmodus, das bedeutete, zwischen Shimar und Sedrin gab es keine Verbindung. Das wiegte den Patrouillenpiloten zunächst in Sicherheit. Wenn er die Befehle, die er dem Schiff gab, nur dachte und nicht laut aussprach, so hoffte er, würde die Agentin auf sein Spiel hereinfallen. Scheinbar willig folgte IDUSA seinem Befehl.

Sedrin hatte die Station als Fixpunkt nicht aus den Augen gelassen. Durch Jenna war sie über alles informiert, was IDUSA tat. Die Technikerin hatte ihr auch die Sache mit dem Antrieb per SITCH-Mail gesteckt.

Nach dem merkwürdigen Schlingerflug, den IDUSA hingelegt hatte, sagte Shimar: „Siehst du, Sedrin, dort ist Khitomer.“ „Interessant.“, erwiderte Sedrin. „Ja, nicht wahr.“, lachte Shimar. „Ratzfatz ist man dort.“ „Das meinte ich nicht.“, sagte die Agentin sicher und als ob sie gerade einen Verbrecher dingfest gemacht hätte. „Ich meine, dass die Station uns scheinbar begleitet hat und du der Einzige bist, der Khitomer sieht.“ Sie präsentierte ihm ihren abgenommenen Neurokoppler. „IDUSA kann mich nicht mehr mit falschen Informationen füttern.“ Aber vielleicht ich., dachte Shimar und versuchte, ihr telepathisch das Bild von Khitomer einzuimpfen. Aber leider ohne Erfolg. „Ich habe vor unserem Abflug zellaren Peptidsenker genommen.“, erklärte die Demetanerin. „Ich bin unempfänglich. Ich dachte mir schon, dass du so etwas versuchen würdest.“

Sie wandte sich zum Mikrofon und befahl dem Schiff: „IDUSA, Antrieb aus und Ankerstrahl setzen!“ IDUSA führte die Befehle der einen Rang über Shimar stehenden Offizierin bereitwillig aus. Dann drehte sich Sedrin zu Shimar: „Warum versuchst du, mir Sand in die Augen zu streuen?“, fragte die Agentin ernst. „Weil ich glaube, dass du mir nicht glaubst, wenn ich die Wahrheit sage.“, antwortete der sichtlich irritierte Pilot. „Warum sollte ich dir eher glauben, wenn du offensichtlich lügst?“, fragte Sedrin zurück. „Weil … Weil …“, stammelte Shimar, der sich bereits als erwischt betrachtet hatte und keinen Weg mehr sah, ihr zu entkommen. „Weil nicht sein kann, was nicht sein darf?“, fragte Sedrin mit sicherer energischer Stimme weiter. Shimar nickte nur zustimmend. „Ich will dir mal was sagen.“, erklärte Sedrin weiter. „Wenn du mir erzählt hättest, Sytania hätte dir geholfen, weil sie plötzlich ihre soziale Ader entdeckt hat, hätte ich dir kein Wort geglaubt. Aber du hast lediglich gesagt, dass sie Maron und dir geholfen hat. Über ihr Motiv hast du Mutter Schicksal sei Dank kein einziges Wort verloren. Ich glaube, dass dies auch sehr eigennützig ist. Wenn sie euch nach Hause bringt, könnt ihr alle über das schändliche Tun der Nihillaner informieren und ihre eigenen bösen Taten geraten dabei in den Hintergrund. Außerdem würde sie bestimmt gern am Leben bleiben und rettet die Dimensionen vielleicht nur deshalb. Ich denke, die Nihillaner haben, wie Eludeh bereits ausgesagt hatte, komplett den Respekt vor der Natur verloren und betrachten sie als etwas, das man nach Belieben verändern kann, nur weil man es kann. Ich bin sicher, die haben irgendwann auch noch einen Anschlag auf die Grundfesten der Dimensionen vor. Sytania ist eine Mächtige. Sie kann hellsehen. Sie weiß bestimmt, was in der Zukunft auf sie zukommen wird.“ „Und auf uns.“, unterbrach Shimar ihren Vortrag. „Das ist für sie aber unerheblich.“, erwiderte Sedrin. „Für sie zählt nur das eigene Überleben. Dafür tut sie alles. Mit uns kleinen Plagegeistern, deren Überleben sie als lästige Nebenwirkung in Kauf nehmen wird, würde sie schon fertig, wenn es an der Zeit ist . Aber ich denke, wir dürfen ihre Versuche auch nicht blockieren. Wenn wir das tun, schneiden wir uns ins eigene Fleisch. Was immer sie tut, um ihre Seite des Dunklen Imperiums zu retten, rettet auch alle anderen Dimensionen.“ „Der Dominoeffekt.“, atmete Shimar auf. „Ich verstehe. Oh, Sedrin, ich bin so froh, dass du mir glaubst.“ „Ich glaube dir, weil ich Sytania besser kenne als jeder Andere.“, entgegnete sie. Dann wandte sie sich an IDUSA: „Ab nach Hause!“

Joran und ich waren vor der Kneipe, die er gemeint hatte, angekommen. Er stellte den Jeep ab und wir gingen hinein. Über die Inneneinrichtung der Kneipe blieb nicht viel zu sagen, denn sie war, wie alles auf Nihilla, auf das Nötigste beschränkt.

Wir nahmen an einem der Tische Platz und Joran studierte sofort das Angebot des Tischreplikators. Meine Ohren hatten etwas weitaus Interessanteres ausgemacht. An einem Tisch in einer Ecke schienen zwei Nihillaner lebhaft über etwas zu diskutieren. Ich erkannte, dass es sich um einen Mann und eine Frau mittleren Alters handeln musste. „Der neue Kurs, den Ethius eingeschlagen hat, um die Tindaraner zu beruhigen, gefällt mir nicht.“, sagte die Frau. „Behinderte behindern den Fortschritt und das Überleben. Das Schwache stirbt. Das ist schon im Tierreich so. Das zeigt die Evolution.“ „Aber ist es nicht auch Evolution, über das Stadium der Tiere hinausgewachsen zu sein und mit dem Verstand eine Gesellschaft zu schaffen, in der jeder anerkannt wird?“, fragte der Mann. „Unerheblich!“, entrüstete sich die Frau. „Und rückständig obendrein. Du siehst doch, was moralische Bedenken aus der Föderation gemacht haben. Sie hat so viel Potential, aber noch lange nicht die Entwicklungsstufe, auf der wir sind und das nur, weil ihr ihre ach so hoch entwickelte Moral im Wege ist. Die ist aber wissenschaftlich unbegründet und entspringt nur den archaischen Vorstellungen albernen Glaubens. Schäm dich für deine Rückständigen Gedanken, Bruder. Jawohl, schäme dich. Ich bin kurz davor, dich anzuzeigen!“ Damit verließ sie die Kneipe.

Ich erkannte unsere Gelegenheit. Offensichtlich war sie eine glühende Verfechterin des nihillanischen Lebenswandels und er spielte mit dem Gedanken, in den Widerstand zu gehen oder war schon längst drin. „Ich folge ihr, du tröstest ihn.“, zischte ich Joran zu. „Guter Plan.“, flüsterte er zurück, nahm meine Hand und führte sie in die Himmelsrichtung, in die sie gegangen war.

Ich hatte die Kneipe verlassen und war der Frau, einer Reptiloiden von ca. 160 cm Größe, schlanker Statur und einem silbernen Schuppenkleid, gefolgt. Auf dem Parkplatz begegneten wir uns. „Bitte warten Sie.“, versuchte ich sie aufzuhalten, was mir offensichtlich auch gelungen war, denn sie drehte sich zu mir um. „Ich habe die rückständigen Ansichten Ihres Bruders wohl mitbekommen.“, schauspielerte ich. „Sie tun mir leid, aber seine Verwandtschaft kann man sich leider nicht aussuchen.“ Bei meinen letzten Worten versuchte ich, eine Mischung aus einem konspirativen und einem mitleidigen Blick aufzusetzen.

Sie ließ von ihrem Fahrzeug ab. „Wie Recht sie haben.“, seufzte sie. Anscheinend hatte sie mir die Verbündete abgekauft. „Sie sind mit dem Klingonen gekommen.“, stellte sie fest. „Ach der.“, sagte ich abschätzig. „Der hat die gleichen Ansichten wie Ihr Bruder. Als ich das gemerkt habe, bin ich sofort zu ihm auf Distanz gegangen. Stellen Sie sich vor, so was ist mein Nachbar!“ „Ich kann Sie mitnehmen.“, schlug sie vor. „Sicher wollen Sie mal einen Abend bei vernünftigen Leuten verbringen, um unsere Kultur näher kennen zu lernen. Sicher, auf den ersten Blick wirken wir vielleicht hart und skrupellos. Aber Ihre Föderation hat sich ja auch die Vulkanier ins Boot geholt. Wir träumen davon, eines Tages zu werden wie sie.“ Ich nickte ihr zu und sie öffnete auch die Beifahrertür des Jeeps.

Die Straßen von Sadria, der Hauptstadt Nihillas, waren menschenleer, als wir hindurch fuhren. An einer Ampel wandte sich meine neue „Freundin“ zu mir um. „Ich bin Ustane.“, stellte sie sich vor. „Ich bin die Verlobte des neuen Kommandarus.“ Die Tatsache, dass sie nicht ihren ganzen Familienanhang beigefügt hatte, verriet mir, dass sie mir wohl das Du anbieten wollte. „Ich bin Josephine.“, erwiderte ich. Dann stutzte ich und fragte: „Kommandarus? Ist Evain nicht …“ „Evain?“, lachte Ustane. „Die hat Ethius längst zu den Müllfliegern versetzt. Es war ihm zu viel geworden, dass sie so oft versagt hat. Aber Elvis wird das nicht passieren. Er ist zuverlässig.“ Sie musterte mich und fuhr fort: „Ethius mag Terraner. Er sagt, ihr seid sehr befehlstreu. Außerdem sehr präzise. Solltest du vorhaben, in unser Militär einzusteigen, nimmt Elvis dich sicher gern. Schließlich bist du eine Landsmännin von ihm. Aber auch Ethius würde aus genannten Gründen sicher nicht nein sagen.“

Kapitel 18: Die Geister, die Ethius rief

von Visitor

 

Der SITCH riss uns aus unserer Unterhaltung. Ustane fuhr rechts ran, um ihn zu beantworten. „Es wird später, Darling.“, sagte die atemlose Stimme eines Terraners. „Hier ist alles durcheinander. Die Rekruten, in deren DNS die Gene der Mächtigen eingekreuzt worden sind. Oh, nein, es ist alles außer Kontrolle. Die haben Kräfte bekommen, die sie nicht kontrollieren können. Es hat diverse Unfälle gegeben. Jetzt sind sie in einem Bunker in der Wüste. Dort haben sie sich freiwillig selbst eingesperrt. Aber das nützt auch nicht viel. Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen. Wir wollten die DNS wieder entfernen, aber sie sind ja auch gegen jedes Betäubungsmittel resistent. Du bringst dich besser in Sicherheit!“

Ustane startete den Jeep und wendete ihn. Ich hatte meine Chance erneut gesehen. „Bring mich zu deinem Freund!“, sagte ich energisch. „Ich glaube, ich kann helfen.“ „Was willst du denn machen?“, fragte Ustane. „Es gibt einen Stoff, der Rosannium heißt. Er kann Mächtige außer Gefecht setzen. Er zerstört keine Materie, aber er reagiert mit der telepathischen Energie so eines Wesens. Gebt mir ein Shuttle und einen Torpedo mit einem solchen Sprengkopf und ich fliege über den Bunker, beame den Torpedo hinein und lasse ihn per Fernzündung detonieren. Dann können eure Ärzte die Versuchskaninchen in aller Ruhe einsammeln. Sie sind dann zwar bewusstlos, aber werden nichts zurückbehalten.“ „Ich vertraue dir.“, sagte Ustane und schlug den Weg zum Präsidentenpalast ein.

Ustane zeigte am Tor ihren Ausweis und ließ ihre Identität durch den Computer bestätigen. „Ist Ihre Begleitung autorisiert?“, fragte der Rechner. „Verbinde mich mit dem Kommandarus!“, befahl Ustane.

Bald erschien das Gesicht des eingebürgerten Terraners auf dem Schirm. „Ustane, ich hatte dir doch gesagt, dich in Sicherheit …“, begann der verdutzte General. „Ich habe hier jemanden, die uns helfen kann.“, erklärte die nicht gerade schüchterne Nihillanerin. „Sie ist auch eine Neubürgerin. Ihr Name ist Josephine Connors. Sie ist eine ehemalige Sternenflottenoffizierin. Sie sagt, sie weiß etwas, das uns helfen kann.“ „Schon gut.“, erwiderte der sichtlich nervöse Jones. „Ich regele alles von hier und dann dürft ihr rein.“

Das Kraftfeld, das uns am Weiterfahren gehindert hatte, wurde fallen gelassen. Ustane setzte den Jeep wieder in Bewegung und dann fuhren wir auf das Gelände. Hier zerrte sie mich aus dem Jeep und wir betraten den Präsidentenpalast.

In Ethius’ Büro, wo auch der blasse Jones auf uns wartete, ließ ich mir einen Abriss der Situation geben. „Lassen Sie mich mal an den Replikator!“, forderte ich. „Und, Ihre Techniker sollen ein Shuttle vorbereiten. Damit fliege ich über den Bunker und beame einen Torpedo mit Rosannium-Sprengkopf hinein. Den lasse ich dann per Fernsteuerung detonieren.“, erklärte ich meinen Plan. „Wäre es nicht besser, den Torpedo direkt hinein zu schießen?“, fragte Jones. „Nein.“, sagte ich. „Der Torpedo würde die Struktur des Bunkers zerstören und die Strahlung könnte sich unkontrolliert verbreiten. Auch Sie sind Telepathen, wenn auch nur dann, wenn Sie jemanden direkt berühren. Aber auch auf Sie oder unschuldige Zivilisten könnte das Rosannium wirken.“ „Rosannium.“, überlegte Ethius halblaut. „Das ist also eine Waffe.“ „Ja.“, sagte ich. Dann ging ich zum Replikator und setzte den Replikationsvorgang in Gang. Das klappte aber nicht ohne Ethius’ und Jones’ Autorisation, weil ohne diese niemand mit einem normalen Büroreplikator Waffen replizieren durfte.

Ethius’ Sekretärin hatte in der Zwischenzeit alles in die Wege geleitet und so wurde ich bald zu einem Hangar geführt, in dem ein Shuttle stand. Zunächst hatte ich mich gewundert, warum Jones dies selbst übernommen hatte. Dann aber sagte er: „Ich begleite Sie. Ich werde Ihr Waffenoffizier sein.“ Ich nickte und wir stiegen in das Shuttle, dem ich schnell mein Hilfsprogramm aufspielte. Dann flogen wir los.

„Hoffen wir, dass diese verzweifelten Rekruten uns und der Wissenschaft vertrauen.“, meinte Jones zu mir, als wir uns dem Zielpunkt näherten. „Könnte schwierig werden.“, pflichtete ich bei. „Immerhin sind es noch halbe Kinder. Da kann man schon mal in ein rückständiges Verhalten zurückfallen.“ „Sie gefallen mir.“, lächelte mir Jones zu. „Sie halten es wohl auch nicht gerade gut mit der Religion.“ „Nein.“, sagte ich und versuchte, ein angeekeltes Gesicht zu machen. Ich hatte ja wirklich ein gespaltenes Verhältnis zur Kirche. Das bedeutete aber nicht, dass ich an nichts glaubte. Mein gespaltenes Verhältnis machte es mir nur leichter, eine überzeugte Nihilistin zu spielen. „Im Namen der Religion sind so viele Lügen verbreitet worden und Verbrechen geschehen.“, erklärte ich. „Die Wissenschaft hat so etwas nicht nötig, weil die Wahrheit auf ihrer Seite ist. Sie ist an sich eine gerechte Sache, was die Religion nicht ist.“ Ich zählte sämtliche Verbrechen der Kirche auf, die im Mittelalter im Namen der Religionen auf der Erde begangen worden waren. Die hatte ich für meine Mission extra auswendig lernen müssen. „Die Wissenschaft hat so etwas nie getan, weil sie es nicht nötig hat. Im Gegenteil. Wissenschaftler waren sogar oft die Opfer dieser Verbrechen. Denken Sie nur mal an Galileo …“

Der Computer unterbrach mich mit einem Signal, das uns anzeigte, dass wir die Zielkoordinaten erreicht hatten. „Ich aktiviere den Transporter.“, sagte Jones. „Halten Sie das Schiff ruhig.“

Der Torpedo wurde ins Innere des Bunkers gebeamt und Jones ließ ihn per Fernsteuerung detonieren. „Laut Biozeichen sind alle bewusstlos.“, stellte ich fest. „Geben wir den Sanitätern die Koordinaten.“, sagte Jones. „Dann fliegen wir zurück. Übrigens, ab heute sind Sie nicht mehr Allrounder Josephine Connors. Ab heute sind Sie Wachoffizierin zweiter Klasse Josephine Connors. Das ermächtigt Sie auch zum Fliegen von Schiffen. Aber Ihre primäre Aufgabe wird sein, im Umerziehungslager in der Hauptstadt auf die Gefangenen aufzupassen und bei der Umerziehung zu helfen. So etwas zu dürfen ist eine große Ehre.“ So schnell wird man hier also befördert., dachte ich. Kaum befreit man sie von den Geistern, die sie riefen, schon fressen sie einem aus der Hand. Na ja, haben sich ja mit der Gensache auch reichlich übernommen.

Ich ließ mir nichts anmerken und sagte nur, während ich das Schiff zurück flog: „Danke, Kommandarus.“

Auch Joran hatte Glück. Er hatte sich zu dem sichtlich geknickten Mann an den Tisch gesetzt und ihm einen Drink spendiert. „Ist schon heftig, wenn man eine so auf den Prinzipien herum reitende Schwester hat.“, begann Joran. Damit hoffte er, ihm zu signalisieren, dass er auf seiner Seite war. „Stimmt.“, meinte der Fremde und schaute gedankenverloren über den Rand seines Glases. Dann schaute er nervös zur Tür. „Die Terranerin, mit der du gekommen bist.“, begann er. „Ist sie weg?“ „Das ist sie.“, versicherte Joran. Der Fremde atmete auf. „Ich muss dir was zeigen.“, sagte er dann und stand auf.

Joran folgte ihm aus der Kneipe und winkte ihn dann in Richtung des Parkplatzes. „Wir müssen nicht laufen.“, sagte er und deutete auf den Jeep. „Was ist, wenn sie wiederkommt?“, fragte der Fremde etwas ängstlich. „Dann wird sie sehen müssen, wie sie nach Hause kommt.“, sagte Joran hart. „Vielleicht klärt ein Spaziergang an frischer Luft auch ihre Gedanken. Dann wird ihr hoffentlich klar, was die nihillanische Regierung für einen Bockmist verzapft. Ach, wie heißt du eigentlich?“ „Ich heiße Vitus.“, antwortete der Fremde. „Gut.“, antwortete Joran. „Ich bin Kain.“

Sie fuhren eine lange Straße entlang. Vitus dirigierte Joran zu einem Platz außerhalb der Stadt. „Lass den Jeep stehen, Kain.“, sagte er dann. „Den Rest machen wir zu Fuß.“

Ein ausgetretener Trampelpfad führte sie zu jenem Höhleneingang, den auch Eludeh benutzt hatte. „Ist das der Treffpunkt des Widerstandes?“, fragte Joran, als sie die Höhlen betreten hatten. „Ja.“, flüsterte Vitus. „Wir dürfen nicht …“ „Vitus.“, unterbrach ihn eine ältere Männerstimme. „Wen bringst du da mit?“

Aus dem Halbdunkel trat Artus. Er musterte Joran genau. „Sieh an, sieh an.“, sagte er. „Ein Neubürger. Hoffentlich ist er wirklich auf unserer Seite und tut nicht nur so. Ich meine, die meisten Neubürger, die aus der Föderation kommen, tun das, weil sie Feuer und Flamme für Ethius’ Politik sind. Hoffentlich ist er kein Spion.“ „Wir Klingonen gelten als sehr mutig.“, verteidigte sich Joran. „Ich bin hergekommen, um den Widerstand zu unterstützen. Mein Kriegerwissen könnte euch sicher helfen.“ „Na schön.“, meinte Artus. „Wir sind im Moment etwas unterbesetzt. Kannst du ein Schiff fliegen?“ „Das kann ich.“, antwortete Joran. „Dann komm mit.“, forderte ihn Artus auf, bevor er forschen Schrittes voran ging, um in den unzähligen Gängen und Höhlen genau die Abzweigung zu finden, die in die Höhle führte, die Eludeh als Stellplatz für Dirans Schiff ausgesucht hatte.

Joran versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, als er Dirans Schiff sah. Er versuchte, so zu tun, als sähe er es zum ersten Mal. „Das ist ja ein Veshel!“, rief er aus. „Ein Vendar-Schiff! Wo habt ihr das her?“ „Eludeh.“, erwiderte Artus trocken. „Manchmal überrascht sie einen doch sehr. Sie tut zerbrechlich und schüchtern, aber sie hat Sachen drauf, von denen man nur träumen kann. Leider werden wir sie nicht wieder sehen. Sie hat sich für uns geopfert. Die Regierung hat die Mär verbreitet, dass jeder Widerständler, der sich stellt, einem anderen die Freiheit schenken kann. Sozusagen ein Tausch. Aber das glaube ich nicht. Ich bin sicher, die foltern sie jetzt und versuchen, sie umzudrehen. Wir müssen sie befreien.“

Joran wusste, das würde nicht funktionieren. Die Widerständler würden sich damit ins eigene Fleisch schneiden. Wenn sie in ein Umerziehungslager einbrächen, würden sie Gefahr laufen, alle gemeinsam festgenommen zu werden. Er würde schon für Eludehs Befreiung sorgen, aber anders, als sie dachten. „So etwas will gut geplant sein.“, sagte er schließlich. „Dann lass uns damit am Besten gleich anfangen.“, sagte Artus und trommelte den Rest des Widerstandes zusammen, um ihnen das neue Mitglied vorzustellen.

Zirell hatte sich mit Shimar und Sedrin getroffen. In der Kommandozentrale erklärte die Agentin, was sie bisher aus den Übertragungen der Wanzen ersehen konnte. „Beide scheinen die Positionen erreicht zu haben, auf denen wir sie haben wollten.“, sagte sie zufrieden. „Besonders Allrounder Betsy hat einen furiosen Start hingelegt. Sie hat bereits einen Offiziersrang im nihillanischen Militär erreicht. Unter Umständen kommt sie sogar an Eludeh ran.“ „Das könnte passieren.“, bestätigte Zirell, nachdem sie den Bericht überflogen hatte. „Wenn Eludeh wirklich in demselben Lager inhaftiert ist, in dem sie eingesetzt wird.“ „Davon gehe ich aus.“, antwortete die Agentin.

Shimar warf Sedrin plötzlich einen Seitenblick zu. Dann sagte er: „Kann ich dich mal unter vier Augen sprechen?“ „Sicher.“, erwiderte Sedrin. Dann sah sie Zirell an, die nur nickend abwinkte. Sedrin winkte Shimar und beide verließen die Kommandozentrale.

Ihr Weg führte sie zunächst in einen der Aufenthaltsräume, in dem sich im Augenblick niemand weiteres befand. Sedrin und Shimar setzten sich an einem der leeren Tische gegenüber. „Raus mit der Sprache!“, forderte die demetanische Agentin den tindaranischen Piloten auf. „Du hast schon die ganze Zeit so sorgenvoll geschaut.“ „Ich mache mir Sorgen um Betsy.“, sagte Shimar leise. „Sie wird vielleicht Dinge tun müssen, die ihr zuwider sind. Das wird sie ziemlich mitnehmen. Wäre es nicht besser gewesen, die Beiden hätten die Rollen getauscht?“ „Nein.“, erklärte Sedrin entschieden. „Alles ist so gut, wie es ist. Deine Freundin wirkt zu brav, um eine Rebellin zu sein und Joran ist zu rebellisch, um bei etwas Unrechtem mitzumachen. Betsy weiß, dass ich nicht von ihr verlange, die moralische Überzeugung der Nihillaner anzunehmen. Sie soll ja nur so tun. Ich leugne nicht, dass sie damit den schwierigeren Job von beiden hat, aber sie ist darin auch die Beste. Joran ist kein guter Schauspieler. Deshalb soll er sich auch zeigen, wie er ist. Im Absoluten Notfall haben die zwei noch einander. Betsy kann mit Joran reden, wenn es ihr zu viel wird. Dieser Vendar hat irgendwie ein Talent, einen wieder aufzubauen.“ „Hoffentlich täuschst du dich da nicht.“, meinte Shimar skeptisch. „Dessen bin ich sicher.“, entgegnete Sedrin.

Ustane hatte mich nach Hause gebracht. Über das Erlebte musste ich mich unbedingt mit Joran austauschen. Wir mussten unsere weitere Strategie absprechen.

Ich ging zum Replikator und replizierte eine riesige Schüssel Tchalback. Allerdings verfeinerte ich das sehr geschmacklose Rezept, das im Gerät vorhanden war, noch mit etwas Schafskäse. Ich ahnte, Joran würde dazu sicher nicht nein sagen.

Ich nahm also die Schüssel und ging in Richtung seiner Wohnung, die im gleichen Stockwerk wie meine lag. Es dauerte ein Bisschen, bis er die Türsprechanlage beantwortete. „Kain?“, fragte ich. „Mein Replikator ist kaputt. Hätten Sie wohl eine Tasse Zucker?“ Wortlos öffnete er die Tür und zog mich hinein.

Wir landeten auf seinem Sofa und ich stellte die Schüssel auf dem Tisch ab. Aufgeregt setzte ich mich neben ihn, nachdem er zwei Teller und Bestecke aus einem Schrank geholt hatte. „Ich habe es geschafft, ins nihillanische Militär einzusteigen!“, erklärte ich etwas hektisch. „Auch ich konnte in den Widerstand gelangen.“, sagte er mit im Vergleich zu mir ruhiger Stimme.

Er zog die Schüssel zu sich heran und türmte eine große Portion auf einen der beiden Teller, den er mir hinschob. Dann nahm er sich selbst etwas. „Ich soll wohl das Gebräu, das ich mitgebracht habe, selbst vorkosten.“, scherzte ich. „Natürlich.“, scherzte er zurück. „Man will ja schließlich am Leben bleiben. Wenn du umkippst, weiß ich was los ist.“ Ich lachte und zupfte ihn an seinem Bart, den er mir hinhielt. Dann prustete ich: „Du bist mir schon so einer!“

Während des Essens wurde ich auf ein Geräusch aufmerksam, das immer wieder aus seiner Richtung zu hören war. Das Geräusch erinnerte mich stark an jenes, das Hunde von sich geben, wenn sie sich mit der Zunge über die Schnauze fahren. Nur dieses war um einiges lauter. „Ja, ja.“, grinste ich ihm zu. „Schlapf, schlapf, schlapf.“ „Vergib mir bitte.“, entschuldigte sich Joran. „Das ist meine Zunge. Wenn mir etwas schmeckt, entwickelt sie ein Eigenleben.“ „Wer’s glaubt.“, grinste ich.

Er schluckte den letzten Bissen herunter und schaute mich an. „Sprich!“, forderte er mich auf. „Was hast du erfahren können?“ „Ich bin als Wachoffizierin im Umerziehungslager in der Hauptstadt eingeteilt. Ich bin Wachoffizierin zweiter Klasse, das bedeutet, ich stehe direkt unter dem Kommandanten, wer immer das auch ist. Ich denke, dass Eludeh dort ist. Vielleicht kann ich beim Wachdienst was drehen, damit ihr vom Widerstand sie befreien könnt.“ „Ich kann zumindest bestätigen, dass Eludeh in einem Umerziehungslager sein muss.“, sagte Joran. „Ob es das ist, in dem du arbeitest, weiß ich allerdings nicht.“ „Das hoffe ich.“, entgegnete ich. „Als Wachoffizierin zweiter Klasse habe ich auch Zugriff auf die Alarmsysteme. Ich könnte sicher für Ablenkung sorgen, während ihr …“ „Die einzige Möglichkeit wäre wohl, dass wir Eludeh befreien, indem wir sie töten.“, schlug Joran vor. Ich schrak zusammen.

Er griff meine Hand und führte sie in seinen Nacken. „Alles ist gut.“, tröstete er. „Erinnere dich bitte, was ich bin. Oder hältst du mich wahrhaftig für einen Klingonen?“ „Verstehe.“, flüsterte ich konspirativ. „Aber wie bringen wir Körper und Geist am Ende wieder zusammen?“ „Du könntest vorschlagen, dass du ihren Körper persönlich entsorgst.“, überlegte er weiter. „Sie hat dir doch gesagt, ihr Gewebetypus passe auf sonst niemanden. Dass bedeutet, sie werden ihre Organe nicht verwenden können. Da die Nihillaner ihre Toten nicht begraben, werden sie Eludehs Körper folglich als Müll deklarieren und der wird bekanntlich im Weltraum abgeladen. Dort warte ich dann mit Dirans Schiff.“ „Du hast Dirans Schiff gefunden?“, fragte ich. „In der Tat.“, erwiderte er. „Es ist in einer Höhle im Untergrund des Planeten. Hier trifft sich auch der Widerstand. Versuche, ob du Befehl erhalten kannst, mich zu verfolgen, nachdem du Alarm geschlagen hast und dann übergibst du mir Eludehs Körper. Wir werden es aussehen lassen, als hätte ich dich im Kampf besiegt, damit deine neuen Kameraden keinen Verdacht schöpfen.“ „OK.“, sagte ich. „Aber über mehr sollten wir nicht reden. Du hast, denke ich, schon zu viel gesagt.“ „Du musst eine Möglichkeit finden, Eludeh unseren Plan zu übermitteln.“, fuhr er unbeirrt fort. „Du weißt, Allrounder, dass die Nihillaner nur die Gedanken von jemandem lesen können, wenn sie denjenigen direkt berühren.“ „Das dürfte hinzukriegen sein.“, entgegnete ich. Mir war eingefallen, dass die Gefangenen in den Umerziehungslagern ja sicher Tag aus Tag ein Leibesvisitationen und anderes über sich ergehen lassen mussten. Wenn Eludeh schlau war, würde sie diese Gelegenheit nutzen.

Mir war aufgefallen, dass Joran sich bereits das dritte Mal nachgenommen hatte. „Dir scheint’s ja zu schmecken.“, grinste ich. „In der Tat.“, gab er mit vollen Backen zurück. „Was immer du auch benutzt hast, um das Tchalback zu verfeinern, ist wirklich lecker.“ Ich grinste ihn an und sagte: „Sag mal Puffreis.“ Er leerte seinen Mund und grinste zurück: „Puffreis.“ Dann lachte er sich fast scheckig. „Um mich reinzulegen, musst du schon etwas früher aufstehen, Allrounder Betsy.“, meinte er dann.

Ich sah zur Uhr. „Ich muss gehen, Joran.“, erklärte ich und stand auf. „Morgen muss ich früh raus.“ „Was hältst du davon.“, hielt er mich auf. „Wenn wir uns morgen wieder treffen. Ich bin sicher, du wirst eine Tasse Zucker benötigen.“ Ich nickte und ging.

Logar und Iranach hatten sich ein weiteres Mal getroffen. Der Vendar war nicht entgangen, dass Kipana, die Lieblingsstute ihres Herren, sehr nervös war, seit sie aus Sytanias Schloss zurückgekehrt waren. Iranach wusste, dass Kipana sehr wohl spüren konnte, dass Logar und Sytania ihre Kräfte vereint hatten. Die kluge und hoch sensible Stute musste in einem extremen Zwiespalt zwischen Angst und Vertrauen sein. Angst vor Sytanias schwarzer Macht, die sie, wie jedes Tier im Allgemeinen, spüren konnte und dem Vertrauen zu Logar, von dem sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas Böses erwarten musste. Iranach hatte die ganze Zeit Kipanas Ohrenspiel beobachtet, während sie nach Hause geritten waren. Sie wusste, würde Logar versuchen, die Vereinigung der Kräfte gegenüber Sterblichen zu leugnen, würde es einen Trumpf geben, den sie in der Hand hatte und mit dem sie alles beweisen könnte.

Sedrin hatte Zirell auch ihre Ermittlungsergebnisse vorgelegt, die sie erlangt hatte, während sie mit Shimar auf der Suche nach dem angeblichen Phänomen war. „Das erklärt einiges.“, bemerkte die Tindaranerin. „Allerdings gibt es ein Problem. Logar hat gegenüber Commander Time und gegenüber Commander Kissara, die auf unserer Seite sind, geleugnet, seine Kräfte mit denen seiner Tochter vereint zu haben. Allerdings spüren wir alle, dass es so sein muss. Außerdem sagt Sytania, dass sie sowohl Shimar und Maron geholfen hat, als auch ihre Kräfte mit denen ihres Vaters vereint hat.“ „Jetzt steht Aussage gegen Aussage.“, stellte die demetanische Agentin mit geübtem Gehör fest. „So ist es.“, bestätigte Zirell. „Deshalb bekommst du von der Zusammenkunft Befehl, in dieser Sache vor Ort zu ermitteln. Du kennst die Umstände im Dunklen Imperium wie deine Westentasche.“ „Was ist mit den verdeckten Ermittlern, auf die ich aufpassen soll?“, fragte Sedrin. „Oh, das kannst du doch weiterhin.“, sagte Zirell. „IDUSA muss die Verbindungen nur auf dein Handsprechgerät umlegen.“ „Stimmt.“, gab Sedrin zu. „Wie ich dich kenne.“, fuhr Zirell fort, „werden deine Ermittlungen dort ja nicht sehr lange dauern. Du weißt sicher schon, welche Verbindungen du anzapfen musst.“ „Allerdings.“, sagte Sedrin zuversichtlich. „Ich nehme an, du wirst mir jemanden Kompetentes mitgeben wollen.“ „Das stimmt.“, erwiderte Zirell und gab IDUSA einige Befehle auf Tindaranisch.

Wenig später betraten Jenna und Shimar die Kommandozentrale. „Shimar wird Jenna und dich mit IDUSA hinbringen und dann von oben auf euch achten.“, erklärte Zirell. Sedrin musterte ihre beiden Begleiter. „Was sollen Sie dabei, Mc’Knight?“, wandte sie sich an Jenna. „In meiner Jugend bin ich oft geritten.“, sagte die Cheftechnikerin. „Allrounder Betsy steht nicht zur Verfügung, um unter Umständen das Verhalten von Pferden oder auch anderen Tieren interpretieren zu können. Aber ich kriege das auch einigermaßen hin. Ich bin sicher nicht so gut wie Betsy, aber in Kombination mit Ihrem Wissen, Farmerstochter, wird es schon gehen. Ich schätze die Situation nämlich so ein, dass kein Mensch mit uns reden wird, beziehungsweise uns die Wahrheit sagen wird. Denen allen wird Logar einen verbalen Maulkorb verpasst haben.“ „Genau so ist es, Jenn’.“, sagte Zirell. „Ich weiß ja, zu was Logar fähig ist, wenn er meint, seine Ehre verteidigen zu müssen, oder wenn er denkt, dass wir dummen Sterblichen eine seiner Entscheidungen nicht nachvollziehen können. Jenn’, ist IDUSA bereit?“ Jenna nickte. „Dann werden wir mal unsere Sachen holen und abfliegen.“, sagte Shimar.

Am nächsten Tag meldete ich mich im Umerziehungslager, um meine Arbeit anzutreten. Ich staunte nicht schlecht, als ich erkannte, wem ich gegenüber stand. Elvis Jones! Genau der hatte jetzt also hier das ganze Militär unter sich. Was hatte er getan, um so schnell die Treppe herauf zu fallen? Ich wusste, er war es auch, der veranlasst hatte, was mit dem Grab von Eludehs Kindern geschehen war. Ich schwor mir, würde sich die Gelegenheit ergeben, würde ich ihn in einen Sumpf hinabziehen, aus dem er nicht wieder heraus käme.

Er führte mich, nachdem ich meine Uniform angelegt hatte, in den Zellentrakt. Hier blieben wir vor einer der Zellen stehen. „Hier sitzt eine äußerst störrische Gefangene.“, erklärte er mit sarkastischem Unterton. Dann gab er auf einer Konsole seinen Sicherheitscode ein, worauf sich die Tür öffnete.

Wir betraten die Zelle. Diese war sehr spartanisch eingerichtet. Es gab einen Sanitärbereich und eine Pritsche, auf der jemand lag. Es war eine Nihillanerin ,die offensichtlich durch Kraftfelder daran gehindert wurde, aufzustehen. „Haben wir uns besonnen?“, fragte Jones zynisch. „Ich werde meinen Werten nicht abschwören.“, sagte die Frau auf der Pritsche. Mir wurde heiß und kalt, denn ich hatte Eludehs Stimme erkannt. „Na gut!“, rief Jones und stellte etwas am Computer ein, worauf die Kraftfelder sich so verlagerten, dass Eludeh in eine andere Haltung gezwungen wurde. Die Schmerzen, die sie dabei erlitt, mussten unheimlich stark sein. Das konnte ich ihren Schreien entnehmen. Jones lachte nur. Was war mit ihm geschehen? Er war ein Mensch! Wir waren doch schon lange über diese Entwicklung hinausgewachsen! Was für einen Sadisten hatte ich hier vor mir? Ich wusste aus Sedrins Berichten, dass er aus freien Stücken die Überzeugungen der Nihillaner teilte. Das machte mich sehr wütend. Ich wusste, ich würde einen Weg finden müssen, ihn irgendwie zu Fall zu bringen. Aber dafür musste ich sein Spiel wohl noch eine Weile mitspielen.

„Connors, Leibesvisitation!“, kommandierte Jones. „Dann Einsetzen eines Texikutors!“ „Ich lasse mich aber nur von einer Frau untersuchen.“, versuchte Eludeh, sich zu wehren. „Eine Frau! Aber sicher!“, lachte Jones und winkte mir. „Aber ich sehe zu.“

Ich ging auf die Pritsche zu, auf der die Wehrlose lag. „Ausziehen!“, schimpfte ich. „Los! Sonst tue ich es und das ist nicht sehr angenehm!“ Es fiel mir verdammt schwer, meine Wut unter Kontrolle zu halten. Wie gern hätte ich ihr gesagt, dass wir zusammenarbeiten müssen, um diesen Spuk zu beenden?! Aber vielleicht hatte ich ja gleich dazu die Gelegenheit.

Während sie sich auszog, konnte sie auch Jones sehen, der sich, während er zu sah, unablässig in den Schritt fasste. „Erlauben Sie mir bitte die Frage, Sir, warum Sie das tun.“, bat ich um eine Erklärung. „Sexuelle Belästigung gehört zu unserem Folterprogramm.“, sagte er, als sei es das Normalste von der Welt. Ich begriff. Er wollte Eludeh damit demütigen, dass er sich vor ihren Augen unten herum entblößte und an sich entsprechende Handlungen vornahm, während er sie dabei nackt sah. „Das ist effizienter, als jeder körperliche Schmerz, nicht wahr?“, begriff ich. „Erst müssen die Gefangenen schließlich gebrochen werden, bevor wir sie in unserem Sinne wieder aufbauen können.“ „Korrekt!“, lobte Jones. „Sie werden es weit bringen, Connors, sehr weit.“

Meine Hände wanderten über Eludehs nackten Körper. Eludeh, bitte lies meine Gedanken., dachte ich. Ich mache das nicht mit Absicht. Ich will dich hier raus holen, aber dazu muss ich sie erst in falscher Sicherheit wiegen. Sie sprühte mir nur kalten Hass entgegen. Warum tust du das, Betsy? Ich dachte, du bist meine Freundin, aber so kann man sich täuschen!

Jones gab mir eine lange Pinzette, in die etwas Zapfenförmiges Rundes eingespannt war. „Durch ihre Nase in ihr Gehirn!“, befahl er knapp. Ich nickte und sah zu, wie die Kraftfelder die laut schreiende Eludeh in die richtige Haltung zwangen. Dann stieß ich den Gegenstand durch ihr linkes Nasenloch in ihre Stirnhöhle, wo ich ihn ausklinkte und die Pinzette wieder heraus zog. „Texikutor eingesetzt, Sir.“, meldete ich. „Jetzt wirst du schon sehen, was du von deinem Glauben hast.“, grinste Jones noch, als wir die Zelle verließen.

Joran war in den Höhlen unterwegs. Er suchte eigentlich nach Artus, um ihm unseren Plan mitzuteilen. Aber auch Dirans Schiff wollte er finden. Er musste es ja schließlich für die Flucht vorbereiten. Er war fest entschlossen, Artus von seiner wahren Identität zu erzählen. Ohne das würde der Anführer der Widerständler ihm sicher nicht vertrauen, was den Plan anging.

Den Eingang zu den Höhlen zu finden, war nicht so schwer, aber wie ging es jetzt noch mal weiter? Eine Höhle sah wie die andere aus.

Joran machte einen beherzten Schritt in eine bestimmte Richtung, dann noch einen und war unterwegs. In der Ferne sah er eine große Höhle, die eventuell der provisorische Hangar für das Schiff sein konnte. Joran konnte zwar aufgrund seiner vendar-typischen 40 % höheren Sehschärfe das geringe Licht in den Höhlen besser nutzen, als jeder normale Humanoide, der aus der Föderation bekannt war, dennoch war er erst ein Mal hier gewesen.

Er betrat die Höhle. In ihrem Inneren fand er aber nicht das Schiff vor. Hier war alles ganz anders. Es gab steinerne Bänke, die sehr alt sein mussten. Sie waren nämlich extrem verwittert. Außerdem fand Joran eine Art Altar vor, um den unzählige Statuetten standen. In der Mitte auf dem Altar direkt stand eine große Büste, die einen Frauenkopf mit lächelndem Gesicht darstellte.

Joran sah sich alles genau an. Er entdeckte auch Spuren davon, dass vor Kurzem noch jemand hier gewesen sein musste. Offensichtlich waren die Nihillaner nicht so religionslos, wie es Ethius gern behauptete. Sie hatten offensichtlich einmal eine Religion gehabt und die Widerständler praktizierten sie noch immer. Das hier musste eine uralte Tempelanlage sein!

Er nahm eine der Statuetten hoch und hielt sie fast liebevoll in seinen Händen, während er sie gegen das bisschen Licht, das eine vergessene Lampe bot, hielt. An der Art, wie sich das Licht in dem Material brach, aus dem die Statuette bestand, sah Joran, dass es sich um ein sehr kostbares Material handeln musste. Vorsichtig stellte er die Statuette wieder ab. Den Nihillanern musste ihre Religion einmal sehr am Herzen gelegen haben.

Er wandte sich zum Gehen. Dieser kurze Abstecher war ja schön und gut, aber jetzt musste er Artus und das Schiff finden. Er ging zum Eingang zurück und setzte sich dort auf einen Felsvorsprung, um seine Gedanken zu ordnen. Er musste sich doch erinnern können, welchen Weg er und Vitus genommen hatten!

„Hier bist du.“ Die ruhige Stimme eines alten Mannes hatte ihn aus seinen Gedanken geholt. Joran sah auf. „Artus!“, rief er erleichtert, denn ihm war klar geworden, dass er ohne Hilfe wohl nicht in diesem Labyrinth zurechtkommen würde. „Ich hätte nicht geahnt, dass du noch einmal zurückkommst.“, äußerte der alte Nihillaner. „Warum sollte ich das nicht.“, erwiderte Joran lächelnd. Dann stand er auf und fuhr fort: „Wo sind die Anderen? Wir müssen beraten. Ich weiß, wie wir Eludeh befreien können.“ „Gut, dass wenigstens du das weißt.“, lächelte Artus. „Wir zerbrechen uns die Köpfe darüber und die Beratung ist bis jetzt ziemlich fruchtlos verlaufen. Aber wenn du eine Idee hast, dann raus damit.“

Joran überlegte eine Weile. Wenn er dem Alten seine Idee ohne Umschweife präsentieren würde, könnte es sein, dass dieser einen Herzanfall erlitt und auf der Stelle tot umfiel. „Setzen wir uns.“, schlug er deshalb vor und führte seinen neuen Freund zu dem Felsvorsprung. Hier setzten sich beide. „Na nun.“, drängte Artus. „Ist es so schlimm?“ Joran holte einige Male tief Luft und setzte dann an: „Wir werden Eludeh befreien, indem wir sie töten.“ „Hast du den Verstand verloren?!!!“, schrie Artus zurück. Mit dieser Reaktion hatte Joran gerechnet, deshalb blieb sein Gesichtsausdruck neutral. „Aber das war ja nicht anders zu erwarten.“, meinte Artus dann schon etwas gemäßigter. „Ihr Klingonen, ihr tötet und sterbt ja so gern.“ Joran konnte die Ironie aus Artus’ Sätzen gut heraushören. Er entblößte seinen Nacken. Dann sagte er: „Ich bin kein echter Klingone. Ich sehe nur so aus. Das hat der tindaranische Geheimdienst arrangiert, für den ich arbeite. Ich bin ein Vendar. Wir können die geistige Energie eines Wesens in uns aufnehmen. Normalerweise verhindert ein Organ Namens Nashach, dass wir ein Bewusstsein aufnehmen können, aber, das kann ich kontrollieren. Das können die Meisten von uns. Nur, meine Ex-Gebieterin, Sytania, hat uns diese Fähigkeit aberzogen. Ich habe sie aber wieder neu erlernt. Sytania wollte nur die telepathische Energie haben. Wäre da ein Bewusstsein gewesen, das sich wehren hätte können, hätte ihr das nicht gefallen. Ich erzähle dir das alles nur, damit du weißt, dass ich die Wahrheit spreche.“ „Ich glaube dir.“, sagte Artus. „Aber selbst, wenn du an Eludehs Geist kommen kannst, wie bringen wir Körper und Geist wieder zusammen? Eludehs Körper wird im Weltraum abgeladen. Die Müllflieger sind da nicht zimperlich. Sie hat einen so seltenen Gewebetypus, dass die staatlichen Organhändler mit ihr nichts anfangen können.“ „Vitus hat mich mit einer Terranerin gesehen.“, begann Joran, seine Frage zu beantworten. „Sie ist ebenfalls eine Spionin. Sie hat Eludeh gefunden. Sie wird versuchen, uns ins Lager zu lassen und auch für genug Ablenkung sorgen. Sie wird auch Eludehs Körper hinter mir her bringen, wenn ich mit ihrem Geist und dem Veshel flüchte. Tief im Raum bringen wir Körper und Geist dann wieder zusammen. Je nach Situation werden wir dann entscheiden, ob wir zurückkehren oder ob ich Eludeh wo anders in Sicherheit bringe. Ihr bekommt auf jeden Fall Nachricht. Übrigens, das Ding in meinem Nacken heißt Sifa. Hierin bewahre ich Eludehs Geist so lange auf.“ Artus staunte: „Das würde auch erklären, warum du so viel über das Schiff weißt. Das fanden wir von Anfang an für einen Klingonen sehr merkwürdig. Aber jetzt klärt sich ja alles auf. Komm mit, wir gehen zu den Anderen und erklären ihnen deinen Plan. Die werden staunen!“

Scottys, Cendas und Yels Plan hatte einigen Vorbereitungen bedurft. Aber jetzt waren alle wieder auf Celsius eingetroffen. Scotty und Yel waren allein zur Arbeit gegangen und Cenda würde später nachkommen, damit kein Verdacht entstehen konnte, dass hier etwas am Laufen war. Sie würde Maron mitbringen. Jetzt wartete sie auf ein Zeichen der Männer, das aus einem dreimaligen Ruf an das heimatliche Sprechgerät bestehen würde. „Was wird genau geschehen, Techniker?“, wandte sich der Demetaner an die celsianische Technikerin. „Bei allem Respekt, Agent, darüber werde ich so lange eisern schweigen, bis die Sache über die Bühne ist.“, frotzelte Cenda zurück. „Verstehe schon.“, sagte Maron mit verständigem Tonfall. „Jeder soll nur so viel wissen, wie unbedingt notwendig ist.“ „Jenaustens.“, meinte Cenda.

Das Sprechgerät piepte. „Eins, zwei, drei.“, zählte Cenda. Dann sagte sie: „Schnappen Sie sich Ihren Koffer, Sir! Es ist so weit!“

Maron tat, was Cenda gesagt hatte. Dann gingen beide zum Jeep, den die Männer vor dem Haus gelassen hatten. Scotty und Yel hatten sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln an ihr Ziel begeben.

Kapitel 19: Heimlichkeiten

von Visitor

 

Maron hatte seinen Koffer in den Kofferraum gewuchtet und hatte sich neben Cenda gesetzt, die den Jeep sofort in Gang setzte. „Wohin fahren wir, Techniker?“, fragte Maron. „Mann, sind Sie neugierig.“, schnodderte die Celsianerin zurück. „Ich will ja nur wissen, ob ich demnächst ein paar Wochen in einer engen Sonde verbringen muss oder so etwas. Dazu hätte ich nämlich auf Garantie noch abnehmen müssen. Außerdem leide ich unter Platzangst.“ Keine Panik, Specki., dachte Cenda. Sie wollte das besser nicht laut sagen, denn schließlich hätte Maron rein vom Rang her ihr Vorgesetzter sein können. Auch Celsianerinnen können respektvoll sein. Statt dessen sagte sie nur: „Keine Angst, Sir. Auf solche speziellen Bedürfnisse nehmen wir natürlich Rücksicht.“

Sie kamen auf einem menschenleeren Parkplatz an. Hier stiegen sie aus und Cenda schaute sich nervös nach den beiden Männern um. „Hier sind wir.“, hörte sie bald Scottys Stimme. Sie drehte sich in die Richtung und sah seine Gestalt etwas schemenhaft in der Ferne. „Gehen wir.“, wandte sie sich an Maron, der seinen Koffer griff und hinter ihr her ging.

Sie kamen an eine Transporterkonsole, die eigentlich für das Beamen von Planet zu Planet bestimmt war. Es gab ja auch noch Leute, die unter Flugangst litten. Vor der Konsole saß Scotty. Er hatte einen Datenkristall in das entsprechende Laufwerk gesteckt, an das man normalerweise nur mit Spezialwerkzeug kommen konnte, damit eine Manipulation des Systems verhindert werden konnte. Aber Scotty, Yel und Cenda waren ja im Besitz von solchem Werkzeug, seit sie für die Wartungsfirma arbeiteten. „Auf die Plattform mit Ihnen.“, zischte Cenda Maron zu. „Es ist vier Uhr morgens und in einer Stunde kommt der erste Schub Pendler und die Frau, die den Transporter eigentlich bedient. Ich möchte unserer Kollegin keine unangenehmen Fragen beantworten müssen.“ „Wie wollen Sie mich denn nach Tindara kriegen?“, fragte Maron. „Die Fristen sind um und ein Beaming dorthin ist nicht mehr legal. Tindara wird von der Föderation als Feind …“ „Quatschen Sie keine Opern!“, drängte Yel und schob Maron in Richtung Plattform. „Scotty hat ein Virus geschrieben, das die Sicherheitsprotokolle umgeht. Sie werden schneller auf Zirells Station sein, als Sie Zirells Station sagen können und jetzt los!“

Yel schob von hinten und Cenda zog von vorn und so beförderten sie den sichtlich verwirrten Maron samt Koffer auf die Plattform. „Danke für das, was Sie für mich getan haben, Technikers.“, wandte sich Maron an Cenda und Scotty. „Und natürlich auch ein Dank an Sie, Yel. Ich hätte nie gedacht, dass ein Zivilist so mutig ist. Und Sie zwei: Lassen Sie sich nicht erwischen, Technikers! Das ist ein Befehl!“ „Eye, eye, Sir!“, riefen Cenda und Scotty wie aus einem Mund. „So will ich das hören!“, gab Maron lobend zurück. Dann nickte er Scotty zu, der den Transporter aktivierte.

Maron fand sich in einem verlassenen Teil der Station wieder. Viel Zeit, sich umzusehen, hatte er aber nicht, denn im selben Moment warf ihn ein Kraftfeld nieder. An der Wand konnte der Demetaner ein Computermikrofon sehen. Er versuchte aufzustehen, um sich IDUSA gegenüber zu erkennen zu geben. Aber immer, wenn er es fast geschafft hatte, warf ihn das Kraftfeld erneut zu Boden. „Komm schon, IDUSA!“, schrie er in Richtung des Mikrofons. „Du musst mich doch erkennen! Jenna wird doch hoffentlich nicht alle meine Daten gelöscht haben! Vergleiche meinen Stimmabdruck! Mach schon!“ „Tut mir leid.“, gab die Computerstimme des Stationsrechners nüchtern zurück. „Ich darf von Ihnen keine Befehle entgegennehmen.“ „Dann hol Zirell.“, schlug Maron vor. „Ich werde ihr alles erklären.“ In der Zwischenzeit hatte er es aufgegeben, sich gegen das Kraftfeld zur Wehr zu setzen.

„IDUSA, lass ihn aufstehen!“ Die weibliche Stimme, die dem Rechner gerade diesen Befehl erteilt hatte, kannte Maron nicht. erst als das Kraftfeld inaktiv war und sich die Frau mit festem Schritt Marons Position näherte und ihn auf demetanisch ansprach, erkannte er sie. „Wie kommst du hier her?“, fragte sie ernst, während sie auf ihn herabschaute. „Sagen wir so, ich hatte Hilfe.“, erwiderte Maron ebenfalls in seiner Muttersprache. Dann richtete er sich schwerfällig auf. Erst jetzt sah er ihr Gesicht. „Wer bist du?“, fragte er. „Ich bin es.“, lachte sie. „Sedrin. Erinnerst du dich nicht mehr an mich?“ Maron musterte sie erneut. „Sicher, aber die tindaranische Uniform verkleidet dich total.“, sagte er. „Findest du?“, grinste Sedrin. „Ja.“, meinte Maron. „Wie es aussieht, bist du jetzt Commander Zirells erste Offizierin.“ „Das stimmt.“, sagte Sedrin. Dann wandte sie sich erneut an das Mikrofon, in das sie den Befehl von gerade gesprochen hatte. „IDUSA, sag Commander Zirell Bescheid! Sag ihr, wir haben einen Gast und sie soll herkommen!“ Sie drehte sich in Richtung Shuttlerampe. „Ich muss los.“, sagte sie. „Techniker Mc’Knight und Shimar warten auf mich. Rühr dich nicht vom Fleck. Zirell kümmert sich.“ Damit ging sie. Die hat ganz schön Mumm., dachte Maron. Erledigt einen Eindringlingsalarm zwischen Frühstück und Außenmission.

Zirell staunte nicht schlecht, als sie Maron sah. „Wie zur Hölle kommst du hier her?!“, fragte sie ernst. „Ich hatte Hilfe. Mehr sage ich nicht.“, gab Maron nüchtern zurück. Er sagte zwar nichts weiter laut, aber Zirell konnte als geübte Telepathin den gesamten Vorgang in Marons Kopf nachlesen. Er hatte nichts dagegen, wollte mit seinem Verhalten aber auch nur IDUSA schützen. Er wusste, dass der Rechner alles, was auf der Station geschah, aufzeichnen musste. Wenn die falsche Person dann die Daten auslesen würde, könnte alles herauskommen. Das wollte er auf keinen Fall!

„Na komm.“, sagte Zirell und half ihm auf. „Wir werden dich erst mal im Gästequartier unterbringen. Dann sehen wir weiter.“

Ich fand mich auf meinem Bett in meiner Wohnung wieder. Neben mir saß Joran. Wie ich hier her gekommen war, wusste ich nicht. Ich erinnerte mich nur daran, dass ich nach meinem Dienst in einen Park gegangen war, um in Ruhe abzuschalten. Er musste mich dort gefunden haben.

„Sieh an.“, lächelte er mir zu. „Du bist ja wach, Allrounder.“ „Das bin ich wohl.“, sagte ich noch etwas benommen. „Wie hast du diese Tür aufgekriegt?“ „Nachdem du den Sicherheitscode einmal eingegeben hast, den dir die Behörden gegeben haben, musstest du ihn doch ändern.“, erklärte er. „Dabei konntest du auch wählen, ob die Tür weiterhin durch Stimmabdruck oder durch deinen biologischen Fingerabdruck gesichert werden sollte. Du hattest dich für Letzteres entschieden. Das hast du mir neulich Abend gesagt. Also war es, weil ich dich ja praktisch bei mir trug, für mich ein Leichtes, deine Hand auf den Sensor zu legen.

Unwillkürlich musste ich an das denken, was im Lager geschehen war. Vor allem meine Äußerung gegenüber Jones bezüglich der Gefangenen kam mir wieder in den Sinn. Angesichts der Rohheit, die diese zum Ausdruck gebracht hatte, wurde mir übel. „Ich brauch’ ’ne Tüte.“, sagte ich. Er zog eine Tüte aus seiner Tasche, die er schon vorsorglich repliziert haben musste. Dann hielt er mir den Kopf, während ich mich meines Frühstücks entledigte. „Familie Reiher wohnt im Zoo.“, scherzte er. Ich lachte. „Sorry, Joran.“, sagte ich dann. „Passiert mir oft, wenn ich Stress habe.“ „Und jetzt hast du in der Tat großen Stress.“, erkannte der Vendar und strich mir über den Kopf. Dabei gab er ein rhythmisches: „Sch-sch, sch-sch.“, von sich. Ich genoss seine „Behandlung“ und fragte mich, ob der Typ mit der Schlange im Bauch aus Shannons Schmöker etwas Ähnliches mit jemandem gemacht hätte. Jedenfalls würde Shannon bestimmt so etwas äußern, wenn sie uns jetzt sehen könnte. Ich lachte und Joran sagte grinsend: „Geht doch.“ Dann drehte er mich herum und legte meinen Kopf an seine Brust. Ich begann zu weinen. „Oh, Joran.“, schluchzte ich. „Ich habe tatsächlich meine Freundschaft zu Eludeh zerstört. Ich wollte ihr unseren Plan mitteilen. Aber sie hasst mich jetzt. Das war dann wohl die Freundschaft, die ich zerstören sollte. Lange halte ich das nicht mehr aus. Die Nihillaner haben wirklich keinerlei Moral. Das kommt wohl daher, weil sie auch ein Lebewesen als einen Klumpen Materie sehen und als nichts weiter. Der Mensch ist nicht mehr als die Summe seiner Teile. Das ist ihr Leitspruch. Das, was wir als Bewusstsein bezeichnen, also die neurale Energie, ist für sie wohl nicht mehr als elektrischer Strom.“ Er sah mich mitleidig an. „Das Schlimmste ist.“, fuhr ich fort. „Die tun Dinge, die bei uns als Verbrechen gelten, um die Gefangenen gefügig zu machen. Sexuelle Belästigung zum Beispiel. Sie sagen, es ist das Effizienteste. Damit haben sie wohl leider oft Erfolg gehabt. So etwas kann doch die Föderation nicht zulassen! Pfui Teufel!“

Er richtete mich auf. „Du hast dich als sehr moralisch fest erwiesen.“, sagte er. „Du hast dich nicht von ihren Lügen und ihrem amoralischen Verhalten verführen lassen. Auch, wenn du etwas gesagt oder getan hast, dann geschah es in der Rolle, die du spielen musst, um sie zu entlarven. Wenn dir das zu viel wird, können wir versuchen, ob du die Mission abbrechen kannst. Willst du die Mission abbrechen?“ Ich zögerte. Er wiederholte seine Frage: „Willst du die Mission abbrechen?“

Ich holte tief Luft, nachdem ich eine Weile überlegt hatte. Dann sagte ich: „Nein! Jetzt erst recht nicht! Ich kann heute Nacht dafür sorgen, dass ihr ins Lager gelangen könnt. Ich manipuliere das Alarmsystem und dann ziehst du die Sache mit Eludeh durch. Später werde ich um Erlaubnis bitten, dich verfolgen zu dürfen. Du wirst mir im Kampf Eludehs Körper entwenden und dann werde ich später aussagen, dass der Kommandarus mir diesen Befehl erteilt hat, obwohl er genau wusste, dass du viel stärker bist als ich und ich rein rechnerisch keine Chance gegen dich habe. Ethius steht auf Zahlen und Wahrscheinlichkeiten. Er wird Jones zu den Müllfliegern versetzen. Vielleicht sehnt er sich ja sogar so nach Evain, dass er sie zurückholt.“ „Wie intrigant du sein kannst, Allrounder.“, lobte Joran. „Ich kann nichts dafür.“, erwiderte ich. „Ich bin eine Frau.“

Er legte mich wieder auf das Kissen zurück, um die Wohnung zu verlassen und wenig später mit einem Gegenstand in der Hand zurückzukehren. Er gab mir das Ding in die Hand. Ich erkannte es. „Das ist doch deine Medizinpatrone für den Hypor, mit dem du dir das tindaranische Medikament spritzen musst.“, stellte ich fest. „In der Tat.“, erwiderte er. „Was fällt dir auf?“

Ich betastete die Patrone genauer. „Schüttele sie doch mal.“, schlug er vor. Das tat ich. „Sie ist nicht mehr ganz voll.“, sagte ich dann. Danach überlegte und rechnete ich. Joran war am Anfang eines Sifa-Zyklus, als wir hier hergekommen waren. Die Patrone müsste viel leerer sein. „Hast du deinen Zyklus mit Absicht unterbrochen?“, fragte ich leicht unsicher. „In der Tat.“, sagte Joran. „Die Scheinübertragung war vor drei Tagen. Morgen wird meine Sifa bereit sein, Eludehs Geist aufzunehmen. Oder besser, schon heute Nacht.“ „Du hast das alles längst geplant.“, stellte ich fest. „Was hättest du gemacht, wenn der Widerstand zu unserem Plan nein gesagt hätte?“ „Dann hätte ich die Scheinübertragung abgewartet, dann die Ruhezeit und hätte ganz normal weiter gemacht.“, entgegnete er. „OK.“, sagte ich. „Dann bis heute Nacht.

In Sytanias Palast war inzwischen auch angekommen, dass die Tindaraner wussten, dass Logar seine Kräfte mit denen der Prinzessin vereint hatte, aber es nur nicht zugeben wollte.

Sytania und Telzan saßen vor dem Kontaktkelch und beobachteten die sich für ihre Verhältnisse langsam nähernde IDUSA. „Sie kommen her, Milady.“, sagte Telzan. „Ja.“, entgegnete Sytania. „Sie kommen her, weil mein dummer Vater sich in Widersprüche verwickelt hat. Sedrin Taleris will herausfinden, was Wahrheit und was Lüge ist. Aber sie haben auch den tindaranischen Piloten bei sich. Den werde ich auch brauchen.“ „Wozu braucht Ihr Shimar?“, fragte der etwas irritierte Vendar. „Ganz einfach.“, erwiderte die Prinzessin. „Wir brauchen eine Menge telepathischer Energie für den Schild. Die kann die bloße Vereinigung unserer Kräfte nicht bringen. Vor allem müssen wir immer nachladen können. Ich habe eine Menge schwächerer Telepathen von euch gefangen nehmen lassen, dass wissen du und deine Männer. Sie sollen Energiekristalle mit ihrer Energie füllen. Das tun auch alle sehr bereitwillig. Sicherlich würden sie es unter anderen Umständen nie für mich tun. Aber jetzt ist es höchste Eisenbahn. Ich selbst hätte ja nie gedacht, dass ich mal mit meinem Vater zusammenarbeite, aber besser der Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach, wie die Terraner sagen. Angesichts dessen, was die Nihillaner vorhaben, ist es besser so. Ich bin sicher, niemand von uns will sterben. Wenn seine Begleiterinnen weg sind, bringe ich dich zu ihm und du erklärst ihm die Sache. Mal sehen, was er sagt.“

Shimar, Sedrin und Jenna hatten den Interdimensionsflug hinter sich. „Wo wollt ihr anfangen.“, erkundigte sich Shimar. „Wir werden in Logars Wolkenburg beginnen.“, sagte Sedrin. „Bring uns dorthin und warte mit IDUSA in einer geostationären Umlaufbahn. Wir sagen dir Bescheid, wenn wir wieder heraufgebeamt werden wollen.“ „Denken Sie wirklich, Logar wird reden?“, mischte sich das Schiff ein. „Laut meiner Datenbank besteht eine Wahrscheinlichkeit von 89,445 %, dass er das nicht tun wird.“ „89,445?“, wiederholte Sedrin. „Na, da haben wir ja noch einige paar Prozente, auf die ich bauen kann.“ „Sie scheinen nicht zu verstehen.“, erklärte das Schiff. „Die Wahrscheinlichkeit ist größer, dass Logar nicht redet, als dass er redet.“ „Sie ist größer, IDUSA.“, sagte Sedrin. „Aber sie ist nicht gen null.“ „Haarspalterei wird Ihnen nichts nützen.“, argumentierte IDUSA. „Ich muss Sie nur vor einer großen Enttäuschung bewahren. Ich bin ein Beschützerschiff und muss daher alles für das Wohl meiner Crew …“

Shimar gab IDUSA mit strenger Stimme ein Kommando auf Tindaranisch, worauf sie verstummte und einen Schwenk vollführte. „Da wären wir, Ladies.“, sagte Shimar dann und deutete hinaus. Sedrin und Jenna sahen die Wolkenburg, Logars Schloss, direkt unter sich. „Beamen wir runter, Techniker.“, sagte Sedrin und griff die Tasche mit ihrer Ausrüstung. Jenna nickte und tat das Gleiche. Shimar aktivierte IDUSAs Transporter und wünschte beiden viel Glück.

Ishan war bei Zirell vorstellig geworden. Dem androiden Mediziner waren einige Ungereimtheiten aufgefallen. Außerdem wollte er Zirell noch sagen, dass er einige Ergebnisse der Untersuchungen von Eludehs Kind bekommen hatte. Der Kleine würde aufgrund seines einwöchigen Brutdefizites keine Schäden zurückbehalten. Das hatte man im Rahmen der Untersuchungen im Auftrag der tindaranischen Jugendfürsorge bereits festgestellt. Während der Kleine noch auf der Station war, war er für diese Art von Untersuchungen noch nicht alt genug gewesen.

„Setz dich.“, forderte Zirell ihn auf, als er ihren Bereitschaftsraum betreten hatte. Der Androide folgte der Aufforderung. „Ich hoffe.“, begann die tindaranische Kommandantin, du hast nichts dagegen, wenn ich mir etwas zum Trinken repliziere.“ „Vom medizinischen Standpunkt aus habe ich sicher nichts dagegen.“, sagte der Arzt. „Trinken ist gesund und ich nehme nicht an, dass du dir Alkoholika replizieren wirst.“ „Keine Sorge.“, wiegelte die Tindaranerin ab. „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.“ Damit holte sie ein riesiges Glas terranischer Kuhmilch aus dem Replikator und präsentierte es Ishan. „Zufrieden?“, fragte sie knapp. Der Androide nickte.

Beide setzten sich an Zirells Schreibtisch. „Also.“, sagte sie. „Was ist los?“ „Es erfreut mich, dir mitteilen zu können, dass Centus-Shimar keine Schäden aufgrund seines frühen Schlupfes davongetragen hat. Der Kinderarzt in dem Heim, in dem er jetzt ist, hat mit mir gesprochen und mir dies mitgeteilt. Die normale Brutdauer für ein nihillanisches Ei beträgt 30 Tage. Er ist also rund ein Viertel der Zeit zu kurz im Ei gewesen. Das ist genau so, als würde eine Terranerin ungefähr im siebten Monat eine Frühgeburt erleiden. Oder …“ „Ishan!“, unterbrach ihn seine Vorgesetzte scharf. „Ich habe schon verstanden. Mir ist klar, dass du noch zig andere Beispiele von diversen Spezies aufzählen könntest, aber das ist nicht notwendig. Wichtig ist, dass es dem Kleinen gut geht. Falls Joran und Betsy Eludeh befreien können, wird sie das sicher freuen. Aber was ist denn noch? Du hast von mehreren Dingen gesprochen, als du um einen Termin bei mir gebeten hast.“

Der Androide zog ein Pad aus seiner Tasche und hielt es ihr vor die Nase. „Eine Mail von Sianach.“, stellte Zirell fest. „Lies sie dir bitte durch.“, erklärte Ishan. „Wie kann ich den Sifa-Zyklus aller Vendar auf New-Vendar-Prime synchronisieren?“, las Zirell laut. „Was hat sie vor?“ „Keine Ahnung.“, sagte Ishan. „Ich habe mit ihr gesprochen, aber sie wollte gegenüber mir nicht raus mit der Sprache. Ich habe ihr aber die Informationen gegeben, die sie haben wollte. Ich denke nicht, dass sie etwas Böses vorhat. Sianach ist unsere Freundin und wenn sie etwas tut, dann ist das sicher nichts Schädliches. Wenn sie vorgehabt hätte, die anderen Vendar zu schädigen, dann hätte sie sicher nicht mich ins Boot geholt. Ich habe ihr gesagt, dass sie allen sagen muss, dass sie am gleichen Tag das Medikament absetzen müssen. Dann kommen alle gleichzeitig in die Scheinübertragung und die Ruhephase und dann in einen neuen Sifa-Zyklus.“ „Trotzdem wüsste ich gern, was sie will.“, erwiderte Zirell ob seiner Erklärung. „IDUSA, verbinde mich mit Sianachs Rufzeichen!“

Joran und ich wussten in dieser Nacht genau, was wir zu tun hatten. Ich war auf meinem Posten und würde auf ihn warten, das wusste er, als er den Weg in die Höhlen antrat, um Dirans Schiff in die Planetenumlaufbahn zu schaffen. Würde er erst nach dem Aufnehmen von Eludehs Geist in seine Sifa hierher zurückkehren, würde die Gefahr bestehen, dass man ihn vorher erwischen könnte. Wenn er sich aber vom Computer des Schiffes direkt in Eludehs Zelle beamen lassen würde und auch wieder hinaus, würde ihm nichts geschehen können. Für den Ausfall der Transporterscrambler würde ich sorgen, das wusste er. Wir hatten ja erst meine Motivation überprüft und er konnte sich meiner sicher sein.

„Sie ist bereit.“, hörte Joran eine bekannte Stimme, als er die Höhle, in der sich das Schiff befand, betrat. Er erkannte Artus, der in letzter Zeit sehr viel über die Technik des Veshel gelernt hatte. So viel, dass er es bereits warten konnte. Joran hatte ihn dafür bewundert. Er war zwar ein alter Mann, aber anscheinend war sein Geist noch sehr rege.

„Das Hauptsystem läuft!“, teilte Artus dem staunenden Vendar stolz mit, als sich dieser langsam näherte. „Du kannst sofort starten.“ „Ich danke dir, Artus.“, sagte Joran, während er ins Cockpit stieg. „Es kann sein, dass Eludeh und ich nicht zurückkehren.“, rief er Artus noch einmal in Erinnerung. „Das macht nichts.“, entgegnete der Alte. „Ich hörte, sie hat jetzt auch noch einen kleinen Sohn, für den sie sorgen muss. Da ist es nichts mehr mit gefährlichem Widerständlerleben. Bring sie in Sicherheit, hörst du?“ Joran nickte ihm noch einmal freundlich zu und schloss die Luke, um gleich darauf zu starten.

Er hielt das Schiff nur wenige Zentimeter über dem Boden. 30, um genau zu sein. Er wusste, dass es rund herum nur ebenfalls genau so viel an Platz gab. Er wusste auch, dass er das Schiff früh genug schräg stellen musste, um aus dem engen Höhleneingang unbeschadet herausfliegen zu können. Ihm kamen wieder die Lästereien anderer Vendar-Piloten in den Sinn, für die Dirans Schiff starke Ähnlichkeit mit einem hoch schwangeren Walross hatte. Diran hatte den Antrieb auf sehr unempfindlich eingestellt, denn er war im Vergleich zu einigen Anderen ein recht unsicherer Flieger. Deshalb mochte er es nicht, wenn der Antrieb beim kleinsten Streicheln der Steuerkontrollen schon reagierte. Joran aber wusste dies und wusste auch, damit umzugehen. 200 Meter vor dem Höhlenausgang schaltete er die elektronische Trimmung, die für die gleichzeitige Ansprache aller Antriebsspulen sorgte, ab. Eigentlich war das sehr früh, aber er wusste, dass die Antriebsfelder verzögert reagieren würden. 100 Meter vor dem Ausgang begann er dann , das Schiff leicht schräg zu stellen. Mit Freude stellte er bald fest, dass die schräg nach aufwärts gerichtete Nase des Schiffes tatsächlich den Weg mitten durch den Eingang fand. Jetzt einfach nur halten., dachte er. Dann wartete er, bis das Heck gefolgt war und schaltete die elektronische Trimmung wider ein, um den Steigflug in die Umlaufbahn fortzusetzen. „Gut gemacht.“, flüsterte er dem Schiff zu. „Du bist kein hoch schwangeres Walross. Man muss nur wissen, wie man mit dir umzugehen hat. Zärtlich, aber bestimmt. Du magst es eben nicht, wenn man an dir herumzerrt und auch nicht, wenn man zu spät ein Manöver ankündigt.“

Ich hatte meinen Posten in der Wachzentrale eingenommen. Ich war etwas nervös, versuchte aber, mir nichts anmerken zu lassen. Wenn der Computer mich über den Eindringlingsalarm informieren würde, würde ich eine Beschreibung erbitten. Dann würde ich das System so manipulieren, dass die Anderen zum komplett falschen Ende des Geländes geschickt wurden. Das Umerziehungslager war groß. Selbst wenn sie merken würden, dass sie am falschen Ende waren, würde es noch ziemlich lange dauern, bis sie zurück waren. Das würde Joran alle Zeit geben, die er brauchte. Später würde ich dann überraschend Eludehs Tod melden und so weiter. Ich hoffte, dass Eludeh wenigstens Joran noch vertraute. Das Vertrauen zu mir hatte sie ja wohl gänzlich verloren. Mann, musste ich eine gute Schauspielerin sein, dass sogar eine Telepathin wie Eludeh auf mich hereinfiel. Aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt. Meine so genannten Kameraden vom nihillanischen Militär, die hatte ich narren wollen, aber nicht Eludeh! Aber das war wohl wirklich und wahrhaftig die Freundschaft, die ich laut der Weissagung zerstören sollte.

Ein Alarmsignal riss mich aus meinen Überlegungen. „Computer, was ist der Grund für den Alarm?!“, fragte ich mit Befehlston ins Mikrofon. „Eindringling in Zellenblock C, Zelle 2225.“, kam es zurück. „Beschreiben!“, befahl ich. „Geschlecht: männlich, Spezies: klingonisch, Größe: 2,30 m …“, begann der Computer. „Beschreibung halt!“, fiel ich ihm ins Wort. Dann gab ich meinen Sicherheitscode ein und sendete eine Nachricht an alle Patrouillen, die ich wie angekündigt zu einem ganz anderen Ort schickte. Als momentane oberste Wachhabende war mir das durchaus möglich.

Joran hatte Eludeh geweckt. Sie hatte geschlafen, aber sie erkannte ihn sofort. „Ich bin hier, um dich zu befreien.“, flüsterte der Vendar ihr zu. „Wie willst du das machen?“, flüsterte sie zurück. „Ich bin nicht allein.“, flüsterte Joran. „Betsy ist hier. Sie lenkt die Wachen ab, aber das geht sicher nicht für lange. Wir müssen uns beeilen. Ich muss dich jetzt leider töten, aber nicht so, wie du denkst.“ „Tu, was immer du tun musst.“, flüsterte Eludeh. „Dir vertraue ich noch. Mit Betsy sieht das schon anders aus. Sie hat mich erst in diese Lage gebracht und hat auch noch aus freien Stücken mitgemacht. Sie war es, die mir einen Texikutor eingesetzt hat. Gestern habe ich gebetet, weil ich so verzweifelt war. Das Ding hat meine Gedanken gelesen und mir Schmerzen bereitet, die ich meinem ärgsten Feind nicht wünsche.“ „Das musste sie tun, um glaubwürdig zu wirken.“, entschuldigte mich Joran. „Aber jetzt ist gleich alles vorbei, wenn du mich machen lässt.“ „Na schön.“, sagte Eludeh. „Tu, was du vorgeschlagen hast.“

Joran legte seine Hände auf Eludehs Schläfen. Er spürte die Anwesenheit ihres Geistes und die Reaktion seiner Sifa. Das Organ war zur Aufnahme von Eludehs Energie bereit. Oh, ja! Joran visualisierte seine Hände, wie sie Eludehs Geist umfassten und in seine Sifa zogen. Es hatte funktioniert und war sogar sehr schnell und leicht gewesen. Dann nahm Joran sein Sprechgerät und gab eine Abfolge von Befehlen ein, auf die der Mishar ihn heraufbeamte.

Die Patrouillen hatten mir gemeldet, dass sie keinen Eindringling gesehen hatten. „Da hat wohl mal wieder ein Sensor verrückt gespielt.“, sagte ich abschätzig und zeigte auf zwei Soldaten. „Sie und Sie, Mitkommen!“ Einem Dritten machte ich per Fingerzeig unmissverständlich klar, dass er meinen Posten übernehmen sollte.

Wir anderen drei machten uns auf den Weg in den Zellentrakt. Per Sicherheitscode öffnete ich die Tür von Eludehs Zelle. Reglos lag sie vor mir, aber damit hatte ich gerechnet. Nur durfte ich das nicht zeigen. Deshalb zog ich meinen Erfasser und scannte sie. „Sie ist tot.“, stellte ich fest. „Sieht aus, als hätte jemand ihre neurale Energie einfach abgesaugt.“

Ich ging zurück zu meinem Wachhäuschen, um die Sache per SITCH an Jones zu melden. „Wie konnte das passieren?“, fragte er mich. „Ich weiß nur, dass es einen Eindringlingsalarm gegeben hat.“, log ich. „Mehr nicht.“ „Na ja.“, sagte Jones. „Ist ja auch egal. Jeder tote Widerständler ist ein guter Widerständler. Die Müllflieger werden sich um ihren Körper kümmern. Eine andere Verwendung gibt es nicht. Ihr Gewebetypus ist zu selten. Es ist schon jemand aufgestiegen und beamt sie gerade aufs Schiff. Die Entsorger sind immer sehr schnell.“ Jetzt musste ich meinen Plan etwas ändern, deshalb sagte ich: „Lassen Sie es mich wieder gut machen, Kommandarus, indem ich den, der das getan hat, verfolge. Ich habe einen Verdacht.“ „Also gut.“, schnaubte Jones. „Kommen Sie zur Basis und nehmen Sie sich ein Shuttle. Hoffentlich kriegen Sie ihn!“ „Zu Befehl, Kommandarus!“, erwiderte ich zackig und war aus der Tür.

Joran wartete am verabredeten Platz im Weltraum auf mich. Er war sichtlich überrascht, als sich ihm ein nihillanisches Shuttle näherte, das aber so gar nichts mit der Bauart nihillanischer Kampfschiffe zu tun hatte. Wie ein Frachter sah es aus und laut Sensoren war Eludehs Körper an Bord, aber die Pilotin, deren Bild Joran nach Aufforderung an den Mishar, das Innere des Cockpits zu scannen, gut sehen konnte, kannte er nicht. Er beschloss, sich zunächst hinter einem nahen Mond zu verstecken und abzuwarten.

Auch ich hatte mir ein Shuttle besorgt und war der Antriebsspur von Dirans Schiff gefolgt. Laut Computer gab es dort aber noch eine zweite von einem durchaus größeren und langsameren Schiff. Das musste der Müllflieger sein. Wie wir jetzt noch unseren Plan verwirklichen sollten, wusste ich nicht.

Joran war über die Langstreckensensoren jetzt auch meines Shuttles ansichtig geworden. Da kam ihm eine Idee. Wenn er auf das Müllshuttle feuern würde, würde die fremde Pilotin militärische Hilfe anfordern. Und wer war mit einem Kampfschiff in der Nähe? Ich. Joran würde auf den Hauptenergieverteiler des Müllschiffes schießen, damit es nicht mehr manövrieren könnte. Dann würde sie mir Eludehs Leiche übergeben müssen.

Er stieg in der Deckung des Mondes auf und stieß dann wie ein Raubvogel auf das Müllschiff nieder, um im nächsten Moment aus allen Rohren auf dessen Energieverteiler zu schießen und dann genau so schnell wieder zu verschwinden. So., dachte er. Dann warten wir mal ab.

Der Computer meldete mir einen eingehenden Notruf. „Durchstellen!“, befahl ich. „Hier ist Zivilpilotin Evain an Bord von Entsorgungsschiff 322. Ich bin beschossen worden und benötige Hilfe.“, sagte eine mir wohl bekannte Stimme. Evain! Ausgerechnet Evain! Ob sie meine Stimme wohl erkennen würde? Aber Moment mal, das ließ sich doch verhindern! Im Stimmeverstellen war ich ziemlich gut! Außerdem tat die schlechte SITCH-Verbindung das Übrige. Ich legte also einen leichten irischen Akzent in mein Englisch und machte meine Stimme etwas höher. Da aufgrund der schlechten Verbindung kein Visokom möglich war, würde sie mein Gesicht nicht erkennen können. Dann sagte ich: „Hier ist Wachoffizierin zweiter Klasse Josephine Connors. Machen Sie sich keine Sorgen, ich kümmere mich.“

Joran sah, dass ich auf ihn zu flog und die Waffen geladen hatte. Im gleichen Moment, in dem ich feuerte, drehte er sein Schiff weg und simulierte einen Treffer im Antrieb. Ich befahl meinem Schiffsrechner, eine Verbindung mit Evain herzustellen. „Entsorger 322, Sie sind außer Gefahr, Wiederhole, außer Gefahr.“ „Danke, Wachoffizierin zweiter Klasse Josephine Connors.“, sagte Evain. „Ich habe aber noch ein weiteres Problem. Die Hauptenergie muss in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Ich habe eine Leiche an Bord und der Frachtraum lässt sich nicht hermetisch abriegeln. Verwesungsgase sind giftig. Die Umweltkontrollen funktionieren nicht mehr.“ „Keine Angst.“, entgegnete ich. „Ich übernehme Ihre Fracht. Ich beame sie in meinen Frachtraum. Ich werde sie zu den Zielkoordinaten bringen. Ich werde auch für Sie technische Unterstützung anfordern.“

Ich erfasste Eludehs Leiche mit dem Transporter meines Schiffes und beamte sie in dessen Frachtraum. Dann flog ich aus dem Sonnensystem in den leeren Raum. Dies war Joran nicht verborgen geblieben, der mir folgte. Wenig später hatte er Eludeh und mich an Bord seines Schiffes gebeamt. „Haben wir’s ja doch noch geschafft.“, sagte ich erleichtert. „In der Tat.“, bestätigte Joran. Dann legte er seine Hände in Eludehs. „Warte!“, hielt ich ihn zurück. „In ihrer Nase befindet sich ein Texikutor. Den müssen wir erst entfernen. Sonst ist sie unfrei in ihren Gedanken und auch körperlich. Das verdammte Ding hilft auch dabei, sie zu lokalisieren. Sag dem Replikator, er soll mir eine lange Pinzette geben.“ „Bist du sicher, Allrounder, dass du so etwas hinbekommst?“, fragte Joran. „Ich meine, in der Nasenhöhle ist es dunkel und man sieht nicht, was man tut.“ „Wieder ein Vorteil für mich.“, lächelte ich. „Und jetzt mach schon.“

Er tat, worum ich ihn gebeten hatte und ich zog den Texikutor aus Eludehs Nase. „Den wirst du jetzt brav eintüten und gut aufheben als Beweis.“, sagte ich. „Wenn sie das Ding bei mir finden, mache ich mich verdächtig.“ „Schon gut.“, sagte Joran. Dann sah er mich traurig an. „Damit unser Plan wirklich funktionieren kann, werde ich dich verletzen müssen und dich dann auf dein Schiff beamen, auf das ich ein paar mal feuern werde.“ „Schon gut.“, sagte ich und biss die Zähne zusammen. „Ich werde so vorsichtig vorgehen wie möglich.“, versprach Joran. „Tu das bitte nicht.“, bat ich. „Wir dürfen nicht den kleinsten Verdacht …“ weiter kam ich nicht. Er hatte mit seinem Phaser, der auf Betäubung stand, auf mich gefeuert.

Ich erwachte in einem Militärkrankenhaus auf Nihilla. Neben meinem Bett stand Ustane. „Ich wusste gar nicht, dass sie jetzt hier auch Zivilisten beschäftigen.“, sagte ich benommen. „Das ist, weil es Notstand bei den Sanitätern gibt.“, erklärte Ustane. „Notstand?“, fragte ich. „Warum?“ „Weil die Tindaraner uns den Krieg erklärt haben. Stell dir vor, sie bezeichnen uns als Lügner, Betrüger und amoralisches Gesindel. Angeblich wollen sie der Föderation beweisen, was wirklich in uns steckt und das wir nicht die Wohltäter sind, für die sie uns halten.“

Ich versuchte, mich zu drehen. Dabei spürte ich einen rasenden Schmerz in meiner linken Seite. Joran musste mir noch einige blaue Flecke zugefügt haben, nachdem ich bewusstlos war. „Bleib liegen, Josephine.“, sagte Ustane und schob mich mit sanfter Hand wieder in die alte Position zurück. „Wie ist denn das überhaupt passiert?“, wollte sie wissen. Ich witterte meine Chance. Jetzt würde ich Elvis Jones’ kometenartigen Aufstieg beenden können. Er kannte mich zu gut und wenn er seine einflussreiche Position verlöre, würde ich auch mehr Spielraum haben. Ich musste jetzt dafür sorgen, dass ich bald hier weg konnte. „Jones hat mir die Erlaubnis erteilt, hinter dem Mörder einer Gefangenen her zu fliegen. Aber das war alles nicht so, wie es ausgesehen hat. Alle dachten, er sei Klingone, aber er war ein Vendar. Stell dir das vor, ein Vendar!“ Ich legte etwas mehr Drama in meine Stimme, als ich fort fuhr, „Oh, Ustane, Jones hätte sich doch ausrechnen müssen, dass ich gegen so einen im Nahkampf keine Chance habe. Jetzt hat er auch Eludehs Körper und ist mit ihr auf und davon.“

Sie überlegte und schien etwas auszurechnen. „Du hast Recht.“, sagte sie dann. „Für so ein unmathematisches und somit unwissenschaftliches Verhalten wird seine Laufbahn beendet werden, wenn der Allverstehende Präsident davon erfährt. Ich werde das melden müssen.“ Ich nickte und sie verließ mein Zimmer.

Kapitel 20: Versteckte Wahrheiten

von Visitor

 

Sedrin und Jenna hatten sich inzwischen auf den Weg zu den Stallungen gemacht. „Was erwarten Sie hier, Agent.“, wollte Jenna wissen. „Ganz einfach.“, erklärte die zwei Schritte vor ihr gehende Sedrin. „Von den Adeligen und Logar selbst, geschweige denn von den Höflingen können wir nichts erwarten. Die sind zu loyal gegenüber ihrem König. Der Einzige, der eigentlich immer redet, ist Argus. Er ist Logars Stallbursche. Und wo findet man einen Stallburschen meistens, Mc’Knight? Im Stall.“ „Scharfsinnig kombiniert.“, lachte Jenna.

Ein Tumult bei den Pferdekoppeln ließ die Frauen umkehren. Sie hörten die verzweifelte Stimme von Argus, der wohl gerade dabei war, ein entlaufenes Pferd einzufangen. Kurz entschlossen gingen sie näher. Sedrin sah sofort, dass es sich bei dem Pferd um Kipana handelte, der Argus verzweifelt versuchte, ein Halfter anzulegen. Am Koppelzaun stand auch Logar.

Sedrin stellte sich auf die Seite des Zaunes, die der, auf der Logar stand, gegenüberlag. Dann rief sie: „Kipana, hier! Komm hier her! Ist ja gut, Jinya Equidana! Ganz ruhig! Was hast du denn?“

Kipana, die bisher ziellos auf der Koppel umher gerannt war, schien Sedrin zu erkennen und folgte ihren Rufen. Sie blieb vor ihr stehen und schnupperte aufgeregt an ihrer Hand. Sedrin begann, sie unter dem Kinn zu kraulen und flüsterte ihr einige demetanische Worte ins Ohr. Sie wusste, dass ihre Muttersprache auf die meisten Wesen sehr beruhigend wirkte.

Jetzt kam auch Argus mit dem Halfter um die Ecke geflitzt. „Mensch, danke, Sedrin.“, pustete der völlig außer Atem geratene Junge. „Hi erst mal. Bist du allein?“ „Nein.“, sagte Sedrin und winkte Jenna. Die Technikerin hatte ein breites Grinsen im Gesicht, als sie sich näherte. „Haben Sie Kipana gerade Pferdemäuschen genannt?“, fragte sie. „Ich meine, mein Demetanisch ist etwas eingerostet, aber …“ „Genau das habe ich getan.“, gab Sedrin zu. „Aber eigentlich meinte ich Pferdeschatz.“ „Haarspalterin.“, lachte Jenna. „Ich weiß doch, dass Jinya sowohl das Eine, als auch das Andere bedeuten kann.“

Sedrin beobachtete Kipanas Verhalten genau, während ihr Argus das Halfter anlegte. Die Demetanerin sah genau, dass sich die Stute zwar jetzt gefügt hatte, ihre Angst aber keines Falls fort war. Kipanas weite Nüstern, ihre aufgerissenen Augen, die steife Haltung, ihr nervöses Ohrenspiel und ihre schnelle Flankenatmung verrieten genug.

Sedrin sah zu, wie Argus das verängstigte Pferd sattelte und dann, wie Logar fortritt. Jetzt würde sie in der Lage sein, Argus ohne das Beisein seines Königs vernehmen zu können. Sie nahm ihn zur Seite und ging mit ihm hinter einen Stapel Heuballen. „Vertraust du mir?“, fragte die Agentin. „Natürlich vertraue ich dir.“, antwortete der kleine Junge. „Dann kannst du mir doch sicher sagen, vor was Kipana solche Angst hat.“ Argus’ Gesicht verriet seine Anspannung. Dann rollten ihm dicke Tränen über die Wangen. „Ich darf es nicht.“, schluchzte er. „Seine Majestät hat gesagt, ihr würdet es nicht verstehen und wenn ich etwas sage, lässt Logar mich töten. Nur so viel. Seit Logar und Iranach von Sytania wiedergekommen sind, ist Kipana ganz komisch. Sie hat Angst vor Logar, dabei hat sie ihm doch immer vertraut. Was haben die nur mit ihr gemacht?“ Wieder schluchzte Argus laut. „Deine liebe Kipana.“, sagte Sedrin tröstend und legte den Arm um ihn. „Weißt du was, Argus.“, sagte sie dann. „Ich glaube, Kipana ist die Einzige, die uns sagen kann, was hier passiert ist.“ „Wie denn?“, wollte Argus wissen, dem sie gerade ein demetanisches Taschentuch gereicht hatte. „Warte, bis dein Herr zurück ist. Dann wirst du schon sehen.“, erwiderte Sedrin listig.

Jenna kam um die Ecke. „Agent, ich habe gerade mit Iranach gesprochen. Keine Angst, es hat uns niemand verstanden, weil mein Vendarisch mittlerweile echt gut ist. Sie hat gesagt, dass Logar und Sytania ihre Kräfte vereint haben. Aber sie ist die Einzige, die das sagt. Alle anderen Höflinge schweigen sich aus oder behaupten das reine Gegenteil.“, erklärte die intelligente Halbschottin. „Wie nützlich ist es dann und wann, wenn man ’ne fremde Sprache kann.“, grinste Sedrin. „Ich werde ohnehin noch Ihre Hilfe brauchen, Mc’Knight.“

Am Abend hörte ich über ein Terminal Nachrichten. Tatsächlich hatte es einen Wechsel in der Struktur des Oberkommandos gegeben. Man konnte sagen, es war wieder alles beim Alten bis auf die Tatsache, dass ein gewisser Elvis Jones jetzt den Müllfliegern angehörte und eine gewisse Evain wieder die oberste Generalin war. Wie schnell hatte Ustane die Sache gemeldet? Sie war doch Jones’ Verlobte gewesen. War sie denn so skrupellos? Liebte sie ihn denn nicht?

Jemand betätigte die Türsprechanlage. „Herein.“, sagte ich. Die Tür ging auf und Ustane trat ein, um mir im nächsten Moment etwas Schweres in die Hand zu legen. Der Gegenstand war oval und hatte eine Kordel. „Ich habe heute die Medaille für außerordentliche Dienste im Namen der Wissenschaft bekommen.“, lächelte sie. „Was für Dienste?“, wollte ich wissen. „Na, dass ich Elvis’ unmathematisches und somit unwissenschaftliches Verhalten angezeigt habe. Er hat dich dadurch gefährdet. Das darf ein Kommandant nicht.“ „Hattest du denn keine Bedenken?“, fragte ich. „Ich meine, immerhin liebt ihr euch.“ „Liebe?“, fragte Ustane und sah mich an, als hätte ich von etwas gesprochen, dass sie nicht kannte. „Nein.“, sagte sie dann. „Wir sind verlobt worden, weil ein Computerprogramm herausgefunden hat, dass unser genetischer Code einmal gut zusammenpassen wird. Immerhin gibt es auch in der nihillanischen DNS einen humanoiden Strang.“ „Schon verstanden.“, sagte ich und tat, als wolle ich unbedingt schlafen. „Bitte geh, Ustane.“, bat ich. „Wir reden morgen weiter.“ Sie löschte das Licht und ging.

Wie merkwürdig war diese Gesellschaft? Da bestimmte ein Computer, wer wen heiraten durfte und Liebe war ein Fremdwort. Man verpfiff sich fröhlich gegenseitig beim Staate wegen unmathematischen und unwissenschaftlichen Verhaltens ohne Rücksicht auf Verluste oder, dass der Andere in Umerziehungslagern gefoltert wurde und erwartete auch noch, dass das Gegenüber dies verstand. Wahrscheinlich diente eine Beziehung auf Nihilla nur der Fortpflanzung. Ich war ängstlich, aber gleichzeitig merkwürdig amüsiert. Diese Gesellschaft wollte Nugura also in der Föderation. Aber warum hielt sie daran immer noch fest? Den Zahn mit der Unsterblichkeit hatte ich ihr ja ziehen müssen. Was hinderte sie jetzt noch daran, die Nihillaner wieder im hohen Bogen rauszuschmeißen? Eines stand für mich fest. Wenn sich mir die Gelegenheit bot, musste ich schnell hier raus und wenn ich als tindaranische Kriegsgefangene enden würde, das war mir auch egal. Alles war besser als das hier.

Joran hatte Eludeh ihren Geist zurückgegeben. Lächelnd stellte er fest, dass sie bald die Augen aufschlug. „Danke, Joran.“, lächelte Eludeh. „Das war ich nicht allein.“, stellte der Vendar klar. „Allrounder Betsy hat dir deinen Körper zurückgegeben.“ „Betsy?“, fragte Eludeh ungläubig. „Das glaube ich nicht. Betsy hat zugesehen, wie ich gefoltert wurde und sie hat mitgemacht. Warum sollte sie …“ „Versuche, zu deinen Göttern zu beten.“, schlug Joran vor. „Dann wirst du sehen, ob ich die Wahrheit spreche.“

Ängstlich und mit klopfendem Herzen ging Eludeh in Gebetshaltung. „Oh, große Göttin, Mutter aller Wesen.“, begann sie und spürte, dass sie nichts spürte. Keinen Schmerz! Irritiert sah sie Joran an, der ihr die Tüte mit dem Texikutor präsentierte. „Den hat Betsy entfernt.“, sagte der Vendar. „Dann ist es wahr.“, sagte Eludeh. „Dann hat sie wirklich nur so getan, als hätte sie den Nihillanern in die Hände gearbeitet. Es tut mir so leid. Ich wünschte, ich …“

Die Stimme des Mishar sagte etwas auf Vendarisch, worauf Joran sofort hinter den Steuerkontrollen Platz nahm. „Was ist los?“, fragte Eludeh hektisch. „Wir werden verfolgt.“, erklärte Joran. „Das nihillanische Militär ist hinter uns. Ich werde versuchen, uns nach Tindara …“ Ein lauter Knall und das Sprühen einiger Funken verrieten Joran, dass der interdimensionale Antrieb des Schiffes getroffen worden war. „Kelbesh.“, fluchte er. „Ich nehme an, das heißt, wir sitzen in der Tinte.“, vermutete Eludeh. „Kannst du Antriebe reparieren?“, fragte Joran. „Ich kann es versuchen.“, erwiderte Eludeh und sah sich um. Dabei fiel ihr Blick auf den Bildschirm, auf dem ein sich formierender Energiewirbel zu sehen war. „Kriegst du uns mit dem normalen Antrieb da rein?“, wollte sie wissen und zeigte auf das Bild. „Ich denke schon.“, sagte Joran. „Wo immer wir auch landen, es ist besser als hier.“ Er setzte Kurs und bemerkte, dass der Wirbel hinter ihnen zusammenbrach. Die Soldaten würden ihnen nicht folgen können.

Wie von Sedrin angeordnet waren Shimar und IDUSA in eine Umlaufbahn über Logars Schloss gegangen, als das Schiff versuchte, ihren Piloten in ein Gespräch zu verwickeln. „Wie denken Sie über die Tatsache, dass Sytania offensichtlich ein Interesse daran hat, dass wir alle am Leben bleiben?“, fragte sie. „Eins ist sicher.“, stellte Shimar fest. „Das tut sie sicher nicht unseretwegen. Der Agent hat, denke ich, schon Recht mit ihrer Vermutung. Sytania will selbst am Leben bleiben. Falls Jennas Theorie auch stimmen sollte und die Nihillaner versuchen wollen, alle Dimensionen zu zerstören, um sie danach neu zu erschaffen, täte sie gut daran, uns zu helfen und wenn es nur wäre, um den eigenen Tod zu verhindern, aber wichtig ist, dass sie uns hilft und uns nicht blockiert. Über ihr Motiv ließe sich sicher trefflich spekulieren, aber …“

IDUSA stellte ihm ein Sensorenbild auf den Neurokoppler. „Shimar, da kommt was auf uns zu.“, sagte sie. „Was ist das?“, fragte der Tindaraner, der das Etwas nur unscharf wahrnehmen konnte. „Ist es ein fremdes Schiff?“ „Nicht direkt.“, antwortete IDUSA. Im gleichen Augenblick durchzuckte ihre Hülle ein schwarzer Blitz. Dann stand Telzan vor Shimar. Er stand aber nicht lange, denn in der Sekunde, in der er auf dem Schiff gelandet war, hatte IDUSA ein Kraftfeld aufgebaut, das ihn hart zu Boden warf. Gleichzeitig flog seine Waffe durch die Gegend, die das Schiff blitzschnell mit ihrem Transporter erfasste und in einen der Puffer beamte. Durch das Kraftfeld und die Überraschung zu einem Knäuel zusammengerollt, kullerte der Anführer von Sytanias Vendar durch IDUSAs Cockpit. Endlich war es ihm gelungen, sich zu entknoten, aber jeden Versuch des Aufstehens vereitelte IDUSA mit einem neuen Kraftfeld. Dazu hatte sie überall in ihren Wänden entsprechende Emitter. Sie aktivierte ihren Bordlautsprecher und ließ ihre Computerstimme zu Telzan sagen: „Sie werden meinem Piloten und mir nichts tun. Dafür werde ich sorgen. Ihr hinterhältiger Überfall auf uns wurde von mir vereitelt. Na, wie fühlt man sich so, wenn man von einem Schiff in den Schwitzkasten genommen wird?“

Telzan war direkt vor Shimar auf dem Bauch zum Liegen gekommen. „Sag deinem Schiff, es soll mich in Ruhe lassen, Tindaraner!“, keuchte er. „Ich komme in friedlicher Absicht!“ „Sie werden ihm doch nicht etwa glauben, Shimar.“, mischte sich IDUSA ein. „Es besteht eine 99,99 prozentige Wahrscheinlichkeit, dass er lügt.“ „Dann gibt es immer noch ein kleines Zehntel, das mir sagt, dass er die Wahrheit sagen könnte und angesichts der Situation glaube ich das. Also, lass ihn in Ruhe.“ „Na schön.“, sagte IDUSA. „Sie sind mein Stammpilot. Ihre Befehle sind für mich bindend.“ Sie deaktivierte das Kraftfeld.

Shimar stand auf, drehte sich und versuchte, den vor ihm auf dem Bauch liegenden Telzan neben sich auf den Sitz zu ziehen, was aufgrund des signifikanten Größenunterschiedes aber nicht gelingen konnte. „Na komm schon, du Riesen-Pelz-Etwas.“, sagte er frustriert. „IDUSA, du könntest mir ruhig mal helfen.“ „Sicher.“, antwortete die freundliche Stimme des Schiffsavatars. „Gehen Sie bitte einen Schritt zur Seite, damit ich eine klare Erfassung bekomme.“

Shimar tat, worum sie ihn gebeten hatte. Bald darauf fand er Telzan neben sich wieder. „Hat dir der Anblick gefallen, Tindaraner?“, wollte der arg gebeutelte Vendar wissen. „Welchen Anblick meinst du?“, fragte der Patrouillenpilot mit unschuldiger Mine. „Der Anblick, dass Sytanias größter Vendar vor dir im Staub liegt, niedergerungen von deinem Schiff und ihren Kraftfeldern.“ „Ich gebe zu, das hatte schon was.“, gestand Shimar. „Aber sie hat nur getan, worauf sie programmiert ist. Sie hat mich nur beschützen wollen. Immerhin bist du Vendar und ich Telepath. Sie ging wohl davon aus, dass du feindliche Absichten hast. Aber das kann ich beim besten Willen nicht bei dir spüren. Eher glaube ich, dass du und deine Herrin in Not sind.“ „Wenn du mir wirklich glaubst.“, begann Telzan. „Dann befiehl deinem Schiff, mir meine Waffe zurückzugeben. Du kannst meine Absicht sehen, ohne dass ich dich gleich aussauge. Das sollte dir als Absichtserklärung genügen.“

Shimar drehte sich in Richtung der Simulation, die sich ihnen über den in einer der Wände befindlichen Emitter zeigte. „IDUSA, gib ihm seine Waffe wieder!“, befahl Shimar mit fester Stimme. „Ein Vendar ohne Waffe ist ein nackter Mann und ich habe nun wirklich kein sexuelles Interesse an ihm.“ Bei seinem letzten Satz, der sich wohl eher auf ein Wortspiel gründete, musste Shimar grinsen. „Sie sind sicher, dass er die Wahrheit sagt?“, vergewisserte sich das Schiff. „Ich bin sicher.“, sagte Shimar ruhig. „Komm, lade meine Tabelle über den Port für den Neurokoppler. Dann zeige ich dir, was ich in seinen Gedanken gesehen habe.“

IDUSA tat, was er ihr gesagt hatte. Jetzt war sie sicher. Ihrem Piloten würde aus Telzans Hand kein Unheil drohen, auch wenn sie ihm seine Waffe geben würde. Deshalb beamte sie diese vor Telzan auf den Boden. Der Vendar nahm sie auf und steckte sie ein.

„Warum bist du jetzt eigentlich genau hier?“, wandte sich der Tindaraner einige Zeit danach an Telzan. „Meine Herrin und auch alle anderen Mächtigen, die sich an dem Schutzschild für die Dimensionen beteiligen, benötigen deine Hilfe.“, gab Telzan zu. Shimar musste innerlich lachen, denn er hätte nie gedacht, dass die große Sytania sich mit anderen Mächtigen, die noch dazu im Normalfall ihre Feinde sind, zum gemeinsamen Aufbau eines Schildes zusammenschließen würde. Er kämpfte seine Schadenfreude nieder und meinte dann: „So, so. Darf ich erfahren, wie genau ich helfen soll?“ „Das darfst du.“, sagte Telzan und holte einen Energiekristall aus seiner Tasche, den er Shimar in die Hand legte. „Der Kristall ist leer.“, stellte Shimar fest. „Das ist korrekt.“, antwortete Telzan. „In Sytanias Kerker befinden sich eine Menge Telepathen, die diese Kristalle mit ihrer Energie befüllen sollen, damit meine Herrin und ihre Verbündeten genug Energie zum Nachladen bekommen. Sie machen alle freiwillig mit, da sie wissen, was die Nihillaner tun werden. Solltest du bereit sein, uns zu helfen, werde ich dich auch in dieses Geheimnis einweihen.“

Shimar spürte, dass er etwas zurückhielt. Dieses Etwas musste sehr bedrohlich sein. „Gut.“, sagte er. „Nimm mich mit.“ „Ich wusste, dass du vernünftig bist.“, entgegnete Telzan. „Sie werden das doch nicht wirklich tun.“, mischte sich IDUSA ein. „Doch, das werde ich.“, entgegnete Shimar mit fester Stimme. „Du kannst ja in der Umlaufbahn warten und mich beobachten. Falls Jenna und Sedrin nach Hause wollen, bring sie. Sag ihnen, ich muss etwas Wichtiges erledigen. Zeig ihnen, was hier gerade passiert ist.“ Damit griff er Telzans Hand und beide wurden durch einen schwarzen Blitz vom Schiff getragen.

Jenna, Sedrin und Argus standen vor einem kleinen Stück der Koppel, das sie gemeinsam mit einem Stück Zaun vom Rest abgetrennt hatten. Argus hatte Kipanas Halfter in der Hand, an dem sich ein Führstrick befand. Jenna und Sedrin waren mit einer Art Textproben beschäftigt.

Wenig später kam Logar von seinem Ausritt zurück. Argus nahm ihm Kipana ab, sattelte sie ab und legte ihr das Halfter an. Dann führte er sie in den abgeteilten Teil der Koppel. „Was hat dein Gebaren zu bedeuten?“, fragte Logar empört. Argus zeigte auf die Frauen, wie er es mit ihnen abgesprochen hatte. „Was hat das zu bedeuten?“, wandte Logar sich an Sedrin, die die Ranghöhere von beiden war. „Ich möchte Euch zeigen, dass wir mehr verstehen, als Ihr glaubt.“, sagte die Agentin. „Kipana hat aus irgendeinem Grund Angst vor Euch.“, fügte Jenna hinzu. „Sobald sie ein Halfter trägt, weiß sie, dass sie keine Wahl hat.“, erklärte jetzt wieder Sedrin. „Aber, lässt man ihr diese, wird sie, denke ich, zögern, zu Euch zu kommen, wenn Ihr sie ruft.“, sagte Jenna. „Davon gehe ich auch aus, Mc’Knight.“, sagte Sedrin. „Ich glaube, der Grund für ihre Angst ist die geistige Vereinigung zwischen Logar und Sytania.“, sagte Jenna. „So etwas würde ich nie tun!“, entrüstete sich Logar. „Ihr habt keine Möglichkeit, mir irgendwas zu beweisen. Terranische Katzen sind dafür bekannt, dass sie Telepathie spüren können. Nur ist eine Katze nie da, wenn man eine braucht.“ „Wir haben zwar keine Katze.“, begann Sedrin. „Aber ein hoch sensibles Ross.“, ergänzte Jenna. „Aber Ihr habt ja nichts zu verbergen.“, sagte Sedrin und bedeutete Argus, Kipana das Halfter abzunehmen. Der Junge tat dies. „Na los!“, forderte Sedrin Logar auf. „Ruft sie. Wir werden ja sehen, ob sie kommt.“ Nervös stieß Logar hervor: „Kipana, komm her!“

Zögernden Schrittes näherte sich die Stute auf halbem Wege, um dann verängstigt zurückzuweichen. „Ich habe genug gesehen.“, sagte Sedrin. Sie winkte Argus, der Kipana abholte. „Ich gebe es zu.“, gestand Logar. „Aber ich hatte gedacht, ihr würdet es nicht verstehen.“ „Wir Sterblichen.“, begann Sedrin. „Verstehen oft besser, als Ihr denkt. Wir wissen auch, dass Eure Tochter nur aus reinem Eigennutz tut, was sie tut. Keine Angst, wir machen uns keine falschen Hoffnungen.“ Logar atmete auf. „Wohlan denn.“, sagte er. „Kommt mit ins Schloss. Ich will euch trefflich entschädigen.“ „Bedaure, dass wir das ablehnen müssen.“, erwiderte Sedrin. „Aber wir haben zu tun. Mc’Knight, verständigen Sie IDUSA und Shimar.“

Zirell hatte sich zu Maron ins Gästequartier begeben. Sie wollte nun ganz genau wissen, wie es dazu gekommen war, dass ihr ehemaliger erster Offizier jetzt wieder da war, obwohl die Chefagentin und sie selbst ihn beurlaubt hatten und eine Rückkehr aus politischen Gründen für ihn eigentlich unmöglich war. Deshalb stand sie jetzt in der Tür und sah dem wohl selbst sichtlich überraschten Maron ins Gesicht. „Komm erst mal rein.“, bat Maron sie höflich. „Dann reden wir.“ Zirell folgte seiner Aufforderung.

Sie setzten sich auf das Sofa und Maron replizierte für beide Zirells Lieblingsgetränk. „Wie bist du hier her gekommen?“, fragte Zirell. „Das habe ich im Prinzip Allrounder Betsy Scott und Techniker Montgomery Scott zu verdanken.“, antwortete Maron. „Ferner verdanke ich es Techniker Cenda Nia und ihrem Ehemann Yel.“ „Was für eine merkwürdige Geschichte ist das?!“, rief Zirell aus und setzte ihr Glas ab. Maron erzählte ihr die ganze Geschichte. Dann fügte er hinzu: „Ihr habt mich völlig zu Recht beurlaubt, Zirell. Ich meine Zoômell und du. Ich hätte Marcellus nicht belügen dürfen, nur weil ich so begierig auf Informationen war. Es wird sicher auch noch andere Wege geben, das Spiel der Nihillaner aufzudecken. Ich hörte, dein neuer erster Offizier ist da an was dran. Sie soll zwei verdeckte Ermittler nach Nihilla geschickt haben. Ist da was dran?“ „Darüber darf ich mit dir nicht reden.“, sagte Zirell. „Aber wenn du willst, kann ich vielleicht arrangieren, dass du mit Sedrin …“

Ein Signal ertönte und IDUSA zeigte sich den Beiden über den Simulator. „Ich habe Sianach am SITCH.“, erklärte der Avatar des Stationsrechners nüchtern. „Sie bittet um eine Notfallandockerlaubnis. Sie sagt, es gehe um Diran und das Feld, was er trägt.“ „Weise sie nach Andockport 3 und verständige Ishan und Nidell!“, befahl Zirell. Dann stand sie auf und schickte sich an, das Quartier zu verlassen. Auch Maron folgte ihr. „Du bleibst, wo du bist!“, ordnete sie an. „Schließlich bist du im Augenblick nicht mehr als ein Zivilist.“ „Tut mir leid.“, entschuldigte sich der Demetaner. „Die Macht der Gewohnheit.“ Er drehte sich um und tat so, als wolle er sich wieder setzen, aber bei der nächsten Gelegenheit würde er ihr folgen.

Zirell nahm einen Turbolift und begab sich zur genannten Rampe. Dort kamen ihr Sianach und Diran bereits entgegen. Genau konnte die tindaranische Kommandantin hören, wie die Vendar beruhigend auf ihren Mann einsprach. Zwar konnte sie kein Wort verstehen, da sich alles auf Vendarisch abspielte, aber die Kommandantin konnte sich den Inhalt ungefähr denken. Zirell beobachtete jeden Schritt der Beiden. Dabei fiel ihr auf, wie verkrampft Dirans Körperhaltung war. Sein Sifa-Zyklus ist zu Ende., dachte sie. Allen Informationen nach, die ich habe, müssen wir schleunigst einen Körper finden.

Sie ging auf Sianach zu. „Es kommt alles in Ordnung.“, sagte sie. „Ich habe Ishan und Nidell verständigen lassen. Sie sind schon auf dem Weg.“ „Wir müssen uns beeilen, Zirell El Tindara.“, bat Sianach und zeigte auf das Display ihres Erfassers. „Die Schleimhaut seiner Sifa hat sich schon fast abgebaut. Wenn das passiert ist, wird sich die Energie verflüchtigen und dann kann Gajus El Nihilla nicht mehr in der Welt der Lebenden verweilen. Er muss uns noch so viel sagen.“ Ratlos sah sich Zirell um. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es aus dieser Situation noch einen Ausweg geben sollte.

„Zirell!“ Eine männliche Stimme hatte ihren Namen gerufen. Die Kommandantin wandte sich um und erkannte Maron, der sich sicheren Schrittes auf die kleine Gruppe zu bewegte. Er schob sie zur Seite und stand nun genau vor Diran. „Nimm mich!“, forderte er. „Eine bessere Möglichkeit hast du im Moment nicht.“ „Bist du sicher, Maron El Demeta, dass du deinen Körper mit jemandem teilen willst und ihm vielleicht sogar die Kontrolle überlassen möchtest?“, fragte Sianach. „Ich meine, du musst dir bewusst sein, dass da immer etwas ist.“ „Darüber habe ich längst entschieden.“, wischte der Demetaner ihre Bedenken weg. „Ich weiß, dass ich Nicht-Telepath bin und dass es daher vielleicht auf natürlichem Wege nicht geht. Aber, Zirell, wenn du auch nur für eine Sekunde telepathischen Kontakt mit mir aufnimmst, ist telepathische Energie in meinem Geist und Dirans Sifa wird reagieren. Wenn das alles nichts bringt, kann Ishan die Energie immer noch mit dem chirurgischen Transporter beamen. Aber wir versuchen es erst mal so.“

Er schaute Zirell an, die ihm ein Bild sendete. „Das wird hoffentlich reichen.“, sagte er, bevor er sich zu Diran drehte. „Komm schon, Diran, gib mir deine Hände.“, sagte er. „Du scheinst alles wohl bedacht zu haben, Maron El Demeta.“, stieß Diran atemlos hervor. Die Konzentration, die er aufbringen musste, um Gajus trotz sich immer weiter abbauender Schleimhaut in seiner Sifa zu halten, hatte ihn sehr angestrengt. „Ruhig, nur ruhig.“, flüsterte Maron. „Wenn du spürst, dass deine Sifa reagiert und Gajus in mich übertreten will, lass ihn.“ „Sag mir nicht, wie ich das hier zu machen habe.“, scherzte Diran. „Ich mache das schon seit …“

Eine Art Krampf ging gleichzeitig durch Marons und Dirans Körper. Dann standen beide mit entspanntem Gesicht vor Zirell, Ishan und Nidell, die inzwischen eingetroffen waren. „Habt Dank.“, ließ sich Marons Stimme vernehmen. „Ihr habt es gerade noch rechtzeitig geschafft. Marons Idee mit der telepathischen Energie war genau richtig.“ „Gajus?“, versicherte sich Zirell, die zwar aufgrund ihrer telepathischen Wahrnehmung längst mitbekommen hatte, was geschehen war, wegen Ishan aber absolut sicher sein wollte. Der Androide konnte das Geschehene ja nicht wahrnehmen. „Ganz genau.“, bestätigte Gajus. „Ich muss auf der Stelle mit einem zuständigen Agenten sprechen!“, verlangte er. „Ich bin zwar jetzt im Körper von einem, aber ich kann mich ja wohl schlecht selbst vernehmen.“ „Ich leite alles in die Wege.“, sagte Zirell.

Eludeh stand am Heckfenster des Veshel. Von hier aus hatte sie genau gesehen, wie sich der Wirbel hinter ihnen aufgelöst hatte. Jetzt konnte sie ihn nicht mehr wahrnehmen. Sie war froh, dass die Soldaten ihnen nicht gefolgt waren, dennoch konnte sie nicht einordnen, wo sie waren. Sie hatte erkannt, dass sich das Veshel in einer Atmosphäre befinden musste, denn die Triebwerke waren auf Atmosphäre geschaltet. Diesen akustischen Unterschied kannte Eludeh. Wenn sie zum Himmel sah, konnte sie eine Sonne erkennen, aber keine Planeten. Sie waren also in einer Pangäa-Dimension. Das Dunkle Imperium konnte es aber nicht sein. Dazu war die Ebene, die sie sah, wenn sie nach unten schaute, nicht blau genug. Im Gegenteil! Eludeh sah die schönste und reichhaltigste Natur, die sie je in ihrem ganzen Leben gesehen hatte.

Die Tür der Kabine öffnete sich. „Ist alles in Ordnung, Eludeh El Nihilla?“, fragte eine männliche Stimme. Eludeh drehte sich um. „Ja, Joran, es ist alles OK.“, sagte sie. „Ich wüsste nur gern, wo wir sind.“ „Dies ist Tembraâsh.“, sagte Joran ehrfürchtig. „Moment.“, sagte Eludeh. „Du bist doch noch praktizierfähig. Das habe ich genau gemerkt. Warum holt uns die Wächterin her und wer hat hinter uns die Tür zu gemacht, damit die Soldaten nicht …“ „Das alles war die mächtige Wächterin des Tembraâsh.“, erklärte Joran. „Sie will uns in Sicherheit wissen. Sie kann den Eingang der Dimension verbergen.“

Er fasste in seine Tasche, aus der ein leises Piepen zu vernehmen war. Der Mishar, der auch die Steuerung übernommen hatte, meldete die Sichtung eines Positionslichtes. „Positionslicht lokalisieren und Kurs setzen.“, befahl Joran dem Schiffscomputer. „Ich übernehme in einer Minute.“ Er winkte Eludeh und beide gingen ins Cockpit zurück. Hier setzte sich Joran wieder hinter das Flugpult, während Eludeh neben ihm Platz nahm. „Wer könnte uns einweisen wollen?“, fragte Eludeh. „Ich vermute, es ist Tabran.“, spekulierte Joran. „Er und Shiranach sind sehr früh wieder abgeflogen. Ich denke aber, sie stehen in Kontakt mit der Wächterin und die hat alles geregelt.“ „Dann ist diese Mächtige ja eine richtige Freundin der Sterblichen.“, stellte Eludeh fest. „In der Tat.“, lächelte Joran.

Gemäß Shimars Befehl hatte IDUSA Sedrin und Jenna an Bord genommen und war mit ihnen auf dem Weg in die tindaranische Dimension. Sedrin hatte sich zwar gewundert, wo Shimar war, aber das Schiff hatte ihr die Aufzeichnung, die ihre Sensoren von der Situation gemacht hatten, vorgespielt. „Hoffentlich gerät er in keine Falle.“, sagte Sedrin mit einem sorgenvollen Unterton. „Ich kann das nicht zulassen. IDUSA, kehr um!“ „Bedaure.“, sagte das Schiff freundlich. „Shimars Befehl lautete eindeutig, Sie nach Hause zu bringen, wenn Sie möchten. Er ist mein Stammpilot, deshalb sind seine Befehle für mich bindend.“ „Ich stehe im Rang über Shimar.“, erklärte die demetanische Agentin. „Ich kann seine Befehle aufheben. Also, kehr um!“

IDUSA flog einen Bogen und aktivierte den interdimensionalen Antrieb, um ins Dunkle Imperium zurückfliegen zu können. „Aber Shimar ist ein geschulter Telepath, Agent.“, mischte sich jetzt auch Jenna ein. „Falls er in Schwierigkeiten gerät, kommt er da auch gut wieder raus. Aber, wenn Sytania IDUSA sieht, könnte es passieren, dass sie ihm etwas antut. Sie weiß, dass wir ihr misstrauen und dass wir vielleicht versuchen wollen, Shimar zurückzuholen. In ihrer momentanen Situation halte ich sie für unberechenbar. Sie hat ihr Verhalten völlig geändert, auch wenn ihre Motive eigennützig sind. Wir sollten tun, was Shimar gesagt hat, um ihn nicht zu gefährden. IDUSA, bring uns nach Hause!“

So ging es eine Weile hin und her. IDUSA wusste zwar, dass Jenna in der Rangfolge unter Sedrin stand, ihr war aber auch klar, dass sie als Beschützerschiff kein Mitglied ihrer Crew einer Gefahr aussetzen durfte und sei diese noch so hypothetisch. Sie wusste, dass auch Jenna in der Sache Recht haben könnte. Also flog sie hin und zurück, hin und zurück, hin und zurück, solange Jenna und Sedrin die Sache diskutierten. Natürlich hätte die Demetanerin einfach ihren Rang ausspielen können und der terranischen Technikerin einfach per Befehl den Wind aus den Segeln nehmen können. Sie war allerdings auch eine Freundin von Sicherheit und wollte alle Eventualitäten in der Sache bereinigt haben. Die Sache verzieh, wie Sedrin fand, keine Fehler und es würde auf sie zurückfallen, würde sie nur aufgrund ihres höheren Ranges eine Entscheidung treffen, die in der Sache am Ende falsch war.

„Sie können froh sein, dass mir nicht schwindelig werden kann.“, beschwerte sich das Schiff nach einer Weile. „Außerdem können Sie froh sein, dass ich die künstliche Gravitation und die Umweltkontrollen so konfiguriert habe, dass es Ihnen auch nicht schummerig wird. Diese Einstellung werde ich allerdings wieder aufheben, wenn Sie nicht bald zu einer Entscheidung kommen.“ „Na gut.“, lenkte Sedrin angesichts der Drohung des Schiffes ein. „Tu, was Shimar dir gesagt hat.“ „Na endlich.“, zischte der Schiffsavatar. „Es wäre wahrscheinlich ohnehin darauf hinausgelaufen.“, fügte sie dann etwas lauter hinzu. „Ich empfange einen dringenden SITCH von Commander Zirell. Der SITCH ist für Sie, Agent.“ „Stell durch, IDUSA.“, sagte Sedrin.

Sedrin, die ihren Neurokoppler aufgesetzt hatte, sah bald das Gesicht der Tindaranerin vor ihrem geistigen Auge. Allerdings wurde sie auch Maron ansichtig. „Wo immer ihr seid.“, sagte Zirell. „Ihr müsst sofort zurückkommen. Ich habe hier jemanden, der dringend aussagen muss.“ „Wo ist derjenige?“, fragte Sedrin verwirrt. „Und was macht Maron neben dir? Wolltest du ihn nicht ins Gästequartier bringen?“ „Das ist nicht Maron.“, erklärte die tindaranische Kommandantin. „Hör auf, mich zu veralbern.“, grinste Sedrin. „Ich sehe ihn doch.“ „Du siehst seinen Körper.“, sagte Zirell. Dabei legte sie eine besondere Betonung auf Körper. Dann fuhr sie fort: „Aber den hat Maron einem Nihillaner geliehen, der sonst nicht mehr in der Welt der Lebenden bleiben könnte. Aber das ist extrem wichtig.“ „Kaum ist man mal von der Station weg …“, seufzte Sedrin. „Na.“, erwiderte Jenna. „In Ihrer Zeit auf der Eclypse, Ma’am, haben Sie doch sicher viel heftigere Sachen erlebt.“ „Kann schon sein.“, sagte Sedrin. „Aber ich bin gespannt, was der Grund hierfür ist.“

Auch ich war in der Zwischenzeit wieder genesen und ging nun an Evains Arm ins Büro des Allverstehenden Präsidenten. „Müssten mich nicht eigentlich auch Konsequenzen erwarten, weil ich diesen Vorschlag überhaupt gemacht habe?“, tat ich unwissend. Natürlich kannte ich ihre Antwort schon. In allen mir bekannten militärischen Strukturen hatte der Befehlsgeber alle Verantwortung und der Befehlsempfänger so gut wie keine. Das bedeutete, Jones würde alle Schuld zugesprochen. Genau darauf hatte ich mit meiner Aktion ja auch abgezielt, aber das durfte ja niemand wissen. Dass ich Ustane auch als Schachfigur benutzt hatte, tat mir irgendwo leid. Sie war sicher nur eine harmlose Bürgerin, die nur geringes Wissen über die Machenschaften ihres Staatsoberhauptes hatte. Aber es musste sein.

Evain drehte sich zu mir. Meine Frage musste sie aufhorchen lassen haben. „Ich weiß nicht, wie es die Sternenflotte handhabt.“, erklärte sie dann. „Aber bei uns hat der Kommandant alle Verantwortung über die ihm unterstehenden Soldaten. Jones hätte Ihrem Antrag nicht zustimmen dürfen, Josephine.“ „Ach so.“, täuschte ich ein Aha-Erlebnis vor.

Wir betraten das Büro. Ethius saß an seinem Schreibtisch. Er grinste, als er mich sah. „Wachoffizierin zweiter Klasse Josephine Connors, wenn ich nicht irre.“, begrüßte er mich. „Ja, Allverstehender Präsident.“, bestätigte ich meine Identität. „Setzen! Sie auch, Evain!“, befahl er und schob uns zwei Stühle hin. „Ich möchte mich für das unwissenschaftliche und unmathematische Verhalten Ihres ehemaligen Kommandanten entschuldigen.“, sagte er zu mir gewandt und strich fast liebevoll über eine der verbliebenen Narben an meiner rechten Hand. „Es tut nicht mehr weh, Allverstehender Präsident.“, sagte ich fast tröstend. „Nein, nein.“, wiegelte er ab. „Ich bin noch nicht fertig. Sehen Sie, der Körper dieser Gefangenen, der uns abhanden gekommen ist, war fehlerhaft, weil er nicht zu verwenden war. Das heißt, die Natur ist fehlerhaft. Ja, das ganze Universum ist fehlerhaft. Wenn wir es lassen, wie es ist, werden noch mehr Fehler vorkommen. Aber wir wissen, wie es entstanden ist. Also können wir es auch neu erschaffen. Dazu müssten wir zwar das Vorhandene zerstören, aber das macht nichts. Hier kommen Sie ins Spiel, meine Liebe. Sie sind eine gute Fliegerin. Sie könnten sicher auch eine der zerstörerischen Bojen, die in unseren Labors bereits fleißig produziert werden, in die interdimensionale Schicht bringen. Wenn wir das Netzwerk dann etabliert haben, werde ich es persönlich aktivieren. Das wird auf Khitomer geschehen, damit Nugura selbst dem feierlichen Geschehen ansichtig werden kann. Wir werden ein Universum, ja alle Dimensionen neu erschaffen, dass sie keine Romulaner, Genesianer und andere Feinde mehr fürchten muss, weil diese in unserer neuen Schöpfung gar nicht vorgesehen sind.“

Glaubte er wirklich, was er da sagte? Na, ja. Für mich enthielt sein schon an Größenwahn grenzender Vortrag zwei wichtige Dinge, würde ich einschlagen. Zum Einen könnte ich eine Fahrkarte nach Hause erhalten und zum Zweiten könnte ich den Tindaranern endlich einen Beweis bringen. Den Zweiten hatte Joran ja wohl verwahrt. Ich würde einwilligen. Später würde ich desertieren und ein technisches Problem an meinem Schiff simulieren. Dann würde ich mich den Tindaranern als Kriegsgefangene stellen. Die Boje würde ich dem Geheimdienst übergeben.

Ich setzte ein Lächeln auf, stand auf und sagte salutierend: „Allverstehender Präsident, Wachoffizierin zweiter Klasse Josephine Connors freut sich darauf, an so einem denkwürdigen Ereignis teilhaben zu dürfen.“ „Gut, Connors.“, sagte Ethius. „Melden Sie sich nächste Woche auf Fliegerbasis 229. Ich schätze, bis dahin sind die mit den Bojen fertig.“

Kapitel 21: Der Spatz in der Hand

von Visitor

 

Eludeh und Joran waren aus dem Shuttle gestiegen, nachdem der Vendar dieses auf dem zugewiesenen Platz gelandet hatte. „Es ist schön hier.“, stellte die Nihillanerin fest. „In der Tat.“, lächelte Joran, während er mit ihr über die Wiese ging, die sich zwischen dem Landeplatz und einem Joran fremden Haus befand. Joran war jetzt sicher, dass nur Tabran sie eingewiesen haben konnte. Er hatte, als er Dirans Schiff gelandet hatte, Tabrans Schiff nebenan gesehen.

„Seid gegrüßt!“, rief ihnen die Stimme eines alten Mannes aus dem Hauseingang zu. Joran blieb stehen und bedeutete Eludeh, dies auch zu tun. Dann sahen beide Tabran näher kommen, der sich in Begleitung zweier Frauen befand. Eine war Shiranach. Das konnte Joran erkennen. Bei der zweiten Frau musste es sich um die Wächterin handeln. „Willkommen.“, sagte die Mächtige mild. „Ich habe euch erwartet. Hier seid ihr erst mal sicher.“

Eludehs Gesichtsfarbe änderte sich plötzlich. Für Joran sah es aus, als würde ihr gesamtes Gesicht mit einer Art bläulichem Schimmer überzogen. Mit besorgtem Blick deutete er hin. „Das ist Mutarin.“, erklärte Eludeh. „Meine zweite Verwandlung beginnt. Das wird bald auf meiner gesamten Haut sein. Wir müssen mich in eine Wanne oder etwas Ähnliches legen und mir die Kleider ausziehen. Während der Verwandlung bin ich bewusstlos. Später werde ich wie ein Mensch aussehen.“ „Ruhig.“, beruhigte sie Tabran. „Wir wissen das alles. Fass an, mein Schüler. Wir bringen sie ins Bad. Shiranach, du bleibst am Besten bei ihr.“ Joran und Tabran fassten Eludeh und hoben sie hoch. Dann gingen sie mit ihr ins Haus.

Shimar war Telzan einen langen Gang entlang gefolgt. Dieser führte die Männer durch Sytanias Kerkergewölbe. Der Tindaraner hatte sich dieses aber ganz anders vorgestellt, als es sich jetzt für ihn in der Wirklichkeit darstellte. Er sah keine Ketten, keine vergitterten Türen und keine Fesseln. Aber wahrscheinlich war so etwas in Sytanias Augen Primitives ja auch nicht nötig. Schließlich konnte sie als geschulte Telekinetikerin und Telepathin ja einfach die Tür verschwinden lassen, wenn jemand auch nur an Flucht dachte.

Im Vorbeigehen sah Shimar die angestrengten und verzweifelten Gesichter der Zelleninsassen. Er erkannte Telepathen aus sämtlichen Völkern, mit denen die Tindaraner und die Föderation Kontakt hatten. Selbst Aldaner waren darunter, was den tindaranischen Piloten sehr in Erstaunen versetzte. Normalerweise, das wusste er, würden sie sich niemals Sytania unterwerfen, aber die Situation ließ es nicht anders zu und es war in gewisser Weise sicher vernünftig, hier mitzumachen. Shimar wusste, dass die Aldaner sehr vernunftsbetont waren. Er wusste, dass dies nicht ganz so stark bei ihnen ausgeprägt war wie bei den Vulkaniern, aber doch waren sich die beiden Spezies sehr ähnlich.

In seiner Muttersprache rief Telzan einen weiteren Vendar herbei und beide öffneten die schwere Tür zu einer Zelle. Einer von denen ist fünf mal so stark wie ein durchschnittlicher Terraner., rechnete Shimar. Wenn es schon zwei von denen braucht, um diese Tür zu öffnen, möchte ich nicht wirklich einen Fluchtversuch wagen.

Er witschte vor den beiden Männern in die Zelle, die sein Verhalten wohl ziemlich in Erstaunen versetzt hatte. „Vernünftig so.“, lobte Telzan. Dann zog er einen großen Sack mit leeren Kristallen hinter seinem Rücken hervor und legte ihn vor Shimar auf dem kleinen Tischchen, das außer einer Pritsche mit Strohsack das einzige Möbelstück war, ab. Er löste noch den Strick und grinste dann hämisch: „Deine Aufgabe für heute.“ Dann zählten die beiden Vendar auf Telzans Geheiß bis drei und ließen die Tür ins Schloss fallen.

Shimar sah sich an, was in dem Sack war. „Wenn ich die alle mit Energie füllen soll, bin ich morgen tot.“, flüsterte er. Aber im gleichen Moment erinnerte er sich an eine seiner Missionen mit IDUSA und daran, dass das Schiff damals durch ein ca. 5000 Jahre altes zeitländisches Computervirus bedingt ihm etwas beigebracht hatte. Damals hatte er in seinem Geist Energie sammeln sollen, um sie auf einmal gezielt abgeben zu können. Außerdem erinnerte er sich an eine der unzähligen Physikstunden mit Jenna, die ihnen allen immer wieder Weisheiten zum Thema Energie mitgegeben hatte. Eine dieser Weisheiten war: „Energie fließt immer dort hin, wo keine ist.“ Wie IDUSA es ihm damals gesagt hatte, musste er sich also nur vorstellen, einen Feind bekämpfen zu wollen, dem er noch nicht, aber wohl bald, gegenüber stehen würde. Erst wenn er es nicht mehr aushielt, würde er sich einen Kristall schnappen und die überschüssige Energie in seinem Geist einfach hineinfließen lassen. Energie, die zu viel war, würde er für das nächste Mal verwenden. So hatte er schon wieder einen Grundstock. Jetzt musste das mit dem Energieerzeugen und -sammeln nur noch klappen. Bei dem Rest würde ihm die gute alte Physik helfen.

Shimar stellte sich vor, bald einem bösen mächtigen Wesen gegenüber zu treten. Noch war dieses Wesen nicht da. Aber es würde bald da sein, was Energie in seinem Telepathiezentrum notwendig machte. Er fühlte, wie sich sein Zentrum auflud. „Du kannst es ja doch noch.“, motivierte er sich halblaut. Er versuchte, den Moment der Entladung so weit wie möglich herauszuzögern. Schließlich aber bemerkte er, dass es keinen Zweck mehr hatte. In diesem Augenblick legte er beide Hände auf einen vorher bereit gelegten Kristall aus dem Sack und entspannte sich. Zuerst überkam ihn das Gefühl, als würde der Kristall ihn aussaugen. Aber gleichzeitig fühlte Shimar eine große Erleichterung. „Das ist es.“, flüsterte er atemlos. „Lass sie fließen. Lass die Energie einfach fließen. Oh, Gott, IDUSA, wenn du wüsstest, wenn du wüsstest, Jenn’, ich werde nie deine Vorträge schwänzen, niemals.“

Auf diese Weise hatte Shimar bereits zehn Kristalle innerhalb von fünf Stunden gefüllt, als die Wächter zurückkehrten. „Hofgang.“, erklärte Telzan knapp und führte ihn aus der Zelle. Der Vendar schien überrascht, weil sein Gegenüber nicht die gleichen Erschöpfungssymptome aufwies, die er bei allen Anderen gesehen hatte. Trotzdem hatte er weitaus mehr Kristalle gefüllt. „Du machst dich gut, Tindaraner.“, sagte Telzan in seiner süffisanten Art. „Das wird dir bessere Verpflegung einbringen.“ „Wenn du meinst.“, erwiderte Shimar bescheiden. Er hatte keineswegs vor, seinen Trick für sich zu behalten. Er musste nur noch jemanden unter den Telepathen finden, der bereit war, ihn von ihm zu lernen und ihn den Anderen beizubringen.

Telzans Kollege zeigte auf eine Lithianische Jugendliche, die in der Ecke des Gefängnishofes saß und einen Kristall in der Hand hielt. Dann sagte er etwas auf Vendarisch, wonach Telzan und er in schallendes Gelächter ausbrachen. Die ist ja noch ein halbes Kind., dachte Shimar. Aber vielleicht ist sie ja lernwilliger als so mancher Erwachsene hier.

Die Wächter ließen Shimar los. „Du darfst dich hier im Hof frei bewegen.“, erklärte Telzan. Dann reihten er und sein Kollege sich in die Wachen ein, die rings umher standen. Shimar wusste, dass eine Flucht unmöglich war. Er hatte jeden Gedanken daran verworfen, auch deshalb, weil da dieses Mädchen war. Er spürte, dass sie insgeheim nach einer vielversprechenderen Methode als der Eigenen suchte, zumal die Wächter sie wegen der schlechten Leistung oft drangsaliert hatten. Zwar waren diese Drangsalierungen immer nur durch Telzan geschehen, weil er der Einzige unter Sytanias Vendar zu sein schien, der des Englischen, also der Amtssprache der Föderation, mächtig war, aber das machte keinen wirklichen Unterschied.

Shimar schlich zu ihr hinüber. Er setzte sich neben sie auf den Fußboden. Vorsichtig tippte er die konzentriert dreinschauende seiner Schätzung nach ca. 15-Jährige an. Erschrocken drehte sie sich um. Jetzt konnte Shimar gut ihr übernächtigt wirkendes Gesicht sehen. Er musste lächeln, denn ihm fielen sofort ihre rechts und links an ihrem Hinterkopf hin und her pendelnden schwarzen Zöpfe auf. „Ich bin der Meinung, du gehst das falsch an.“, begann er ohne Umschweife. „Ach ne, du tindaranisches Militärfliegerass.“, schnodderte sie zurück. „Glaubst du nicht, das hätte ich nicht auch schon selbst gemerkt? Aber, was soll ich machen?“ „Du könntest mir erst mal zuhören.“, erwiderte Shimar. „Das wäre zumindest ein Anfang.“

Das Mädchen ließ den Kristall, den sie immer noch festgehalten hatte, sinken. „Na schön.“, zischte sie dann. „Wenn du ’ne bessere Methode weißt, Shimar, dann raus damit. Tu nicht so überrascht! Ich weiß, wer du bist. Alle hier wissen, wer du bist. Du bist total berühmt.“ „OK, du weißt also, wie ich heiße.“, sagte Shimar. „. Wäre es nicht besser, wenn ich auch wüsste, wer du bist? Ich meine, dann könnten wir wesentlich besser kommunizieren.“ „Ich heiße N’Cara.“, sagte sie schließlich. „Also gut, N’Cara.“, antwortete Shimar. „Und jetzt zeige ich es dir. Stell dir vor, du willst einen Feind bekämpfen, der noch nicht vor dir steht, aber bald vor dir stehen wird. Dein Telepathiezentrum wird sich aufladen. Wenn du es nicht mehr aushältst, nimmst du dir den Kristall und entspannst dich. Dann fließt die Energie automatisch hinein. Ja, genau so! Du bist ein Naturtalent.“

Nicht nur an der telepathischen Verbindung, die Shimar mit N’Cara hatte, auch an ihrem Gesicht wurde ihm deutlich, dass die Methode auch bei ihr funktionierte. „Es ist fantastisch, Shimar.“, flüsterte die kleine Lithianerin aufgeregt. „Ich muss gar nichts tun. Die Energie fließt ganz von allein. Das müssen wir den Anderen zeigen. Du den Jungs und ich den Mädels, OK?“ Shimar nickte. „Wenn wir das hinkriegen, habe ich auch noch eine wichtige Information für dich.“, sagte N’Cara noch, bevor die polternde Stimme Telzans den Hofgang wieder beendete. Shimar konnte warten. Er war ihrer sicher.

Sedrin saß dem Mann gegenüber, den sie zwar kannte, aber der ihr trotzdem eine Menge Rätsel aufgab. Es war für sie höchst ungewohnt, in das bekannte Gesicht Marons zu blicken, aber trotzdem völlig andere Personalien gesagt zu bekommen. Am Meisten stolperte sie über seinen Scherz, was den jetzigen Wohnort anging. „Bald im Jenseits.“, hatte er gelächelt. Dadurch wollte er sie wohl erinnern, dass sie eigentlich gerade einen Toten verhörte.

Sedrins Gesicht wurde immer blasser und blasser, während sie sich einen Drink replizierte. Am Zischen der Flüssigkeit im Glas konnte Gajus hören, dass es sich um ein Kohlensäure enthaltendes Getränk handeln musste. „Aber doch nicht im Dienst!“, empörte er sich. „Maron sagt, eure Rasse verträgt das nicht gut. Es wirkt auf euch wie auf andere Alkohol.“ „Es ist nur ein kleines Gläschen.“, erwiderte Sedrin. „Angesichts der Zustände kann man ja nicht anders. Ich habe schon vieles gesehen, aber dass ich mal einen Toten verhören muss, hätte ich mir nie träumen lassen.“

Gajus setzte sich ihr gegenüber hin und lächelte sie an. „Genau genommen vernehmen Sie ja noch keinen wirklich Toten. Solange ich im Körper von Maron stecke, lebe ich ja quasi noch. Das habe ich nur ihm und Diran zu verdanken, der mich so gut stabilisiert hat, dass ich jetzt die Kontrolle übernehmen kann. Haben Sie bitte keine Sorge um Maron. Es geht ihm gut und wenn er mit einer meiner Handlungen, zu denen ich seinen Körper benutzen will, nicht einverstanden ist, kann er jederzeit eingreifen.“ „Ist Maron hier?“, fragte Sedrin, für die das alles auch eine völlig neue Erfahrung darstellte. „Ja.“, antwortete Gajus. „Er ist hier und er kann alles hören und sehen, was hier geschieht.“ „Könnten Sie mich kurz mit ihm sprechen lassen?“, fragte Sedrin.

Sie beobachtete, wie sich Marons Augen kurz schlossen, nachdem er vorher mit einem abwesenden Blick fast durch sie hindurch geschaut hatte. Fast im gleichen Moment aber öffneten sie sich wieder. „Mach dir keine Sorgen, Amikrin.“, sagte Marons Stimme. „Gajus behandelt mich gut. Wir sind sozusagen miteinander verbunden. Er weiß, was ich denke und tue und ich weiß das auch von ihm. Wenn er wirklich etwas zu verbergen oder böse Absichten hätte, würde er jetzt sofort wieder die Kontrolle übernehmen, denn ich könnte ja etwas verraten oder um Hilfe rufen.“

Sedrin beobachtete jede Regung seines Gesichtes, aber es war ruhig und ausgeglichen. Da war kein Anhalt für einen krampfartigen Zustand, in welchen es sicher geraten würde, wenn Maron und Gajus hinter der Stirn des Demetaners um die Kontrolle kämpfen würden. Sedrin wusste jetzt, dass Maron nicht in Gefahr war. Einen Beweis dafür, dass er und Gajus gleichberechtigt waren, hatte er ihr geliefert. Amikrin, also Freundin, hatte er sie genannt. Das konnte nur Maron wissen und korrekt aussprechen. Sedrin und Maron waren Freunde seit ihrer gemeinsamen Zeit auf der High School auf Demeta. Man konnte sagen, es war eine typische Pausenbrotfreundschaft. Sedrin hatte aufgrund der so genannten Replikatorkrankheit, an der sie litt, kein repliziertes Essen zu sich nehmen dürfen. Das hätte sie nicht verdauen können und sein Nährwert für sie wäre dadurch gleich null gewesen. Gern hatte Maron in die natürlichen Zutaten ihres Frühstücks gebissen. Er hatte damals schon gemeint, dass sie viel besser als die Replizierten schmeckten. Im Gegenzug hatte er ihr witzige Bildschirmschoner für ihr mobiles Sprechgerät besorgt.

Sedrin räusperte sich, denn sie war schon wieder in ihre Schulzeit abgeglitten. „Sei mir bitte nicht böse, Amikron.“, sagte sie. „Aber bitte gib Gajus jetzt die Kontrolle, damit er uns sagen kann, was er uns sagen muss. Ich habe dich erkannt und weiß, dass er mir kein Theater vorgespielt hat.“

Maron nickte und erneut konnte Sedrin das Spiel mit den Augen beobachten. „Habe ich Ihnen etwas vorgelogen, Agent?“, fragte Gajus bald mit Marons Stimme. „Das haben Sie nicht.“, antwortete Sedrin fest. „Aber jetzt wüsste ich gern, was so wichtig ist, dass Sie es uns unbedingt sagen müssen, Gajus.“ „Ich war ein Spion des Widerstandes, der sich in ein wissenschaftliches Labor eingeschlichen hatte. Dort habe ich auch Eludeh kennen gelernt.“ Bei seinen letzten Worten wurde er traurig. „Oh, meine arme Eludeh. Sie hat keinen anderen Ausweg gewusst, als uns alle zu töten. Können Sie mir sagen, ob es ihr gut geht und wo sie ist?“

Sedrin überlegte. Sie konnte ihn nicht belügen, aber ihm die Informationen geben, die sie durch mich und Joran bekommen hatte, durfte sie auch nicht. Deshalb sagte sie nur: „Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe, dass es ihr gut geht. Übrigens, Gajus, Sie haben einen Sohn.“ „Einen Sohn?“, fragte Gajus irritiert. „Wo ist er?!“ „Er ist im Kinderheim auf Tindara.“, antwortete Sedrin. „Wenn Sie wollen, können wir ihn dort besuchen.“ „Oh, Agent!“, rief Gajus aus. „Das ist die beste Nachricht, die ich seit Monaten bekommen habe! Aber jetzt zu der Information. Wie gesagt, ich arbeitete in einem Labor. Hier haben sie nach einem Stoff geforscht, der die Wurmlochwesen, Ihnen auch als die Propheten bekannt, töten kann. Es ist wegen der Bajoraner. Die nihillanische Regierung konnte sich genau das denken, was jetzt passiert ist. Sie wissen, dass die Bajoraner sowohl an ihrem Glauben, als auch an ihrer Mitgliedschaft in der Föderation festhalten, weil ihre Götter die Einzigen sind, die wahrhaftig existieren. Wenn die Nihillaner sie als normale Aliens entlarven würden, die mit dem richtigen Mittel auch zu verwunden oder gar zu töten sind, dann hoffen sie, dass die Bajoraner endlich aufgeben.“

Sedrin fuhr zusammen und sprang auf. Gajus aber zog sie am Ärmel auf ihren Stuhl zurück. „Ruhig, nur ruhig.“, flüsterte er. „Die Vendar unter Sianach wissen Bescheid. Diran, in dessen Sifa ich war, hat seiner Frau alles gesagt, was ich auch ihm gesagt hatte. Sie wissen, dass die Vendar mit den Geistern, die sie tragen, kommunizieren können. Sianach wird eine Möglichkeit finden.“ „Das bezweifle ich nicht!“, sagte Sedrin hektisch. „Es ist nur, meine verdeckte Ermittlerin hat ihnen gerade vor einigen Tagen den Stoff geliefert, nach dem sie gesucht haben. Sie werden …“ „Ruhig, nur ruhig.“, wiederholte Gajus und strich ihr durch das Haar. Sedrin sah ihn erstaunt an. „Entschuldigen Sie.“, sagte sie dann. „Einen Augenblick lang klangen Sie wie Maron.“ Gajus lächelte.

Stunden hatte Shiranach neben Eludeh verbracht. Sie hatte die Nihillanerin ständig mit dem ihr von Tabran überantworteten Erfasser gescannt. Sie wollte ihr später eine Art Photostrecke ihrer Verwandlung zeigen und schenken. Aber auch ihre Biozeichen hatte sie unter Beobachtung, obwohl es dort wirklich keinen Grund zur Besorgnis gab. Eludeh war planmäßig in die Bewusstlosigkeit gefallen, nachdem ihr Körper vollständig mit jener harzigen Substanz bedeckt war, die sie als Mutarin bezeichnet hatte. Shiranach wusste, dass Eludeh unter der Schicht nur sehr wenig Sauerstoff zur Verfügung hatte, aber das machte nichts, denn sie atmete nur noch ein Mal pro Minute.

Die alte Vendar fragte den Erfasser immer wider nach dem Zustand der Schicht, denn sie hatte gesehen, dass diese stetig an Feuchtigkeit verlor und langsam abblätterte, was das Gerät bestätigte.

Nach fünf Stunden geduldigem Warten sah Shiranach, dass sich Eludehs Atmung wieder beschleunigte. Bei ihrer ersten Bewegung brach die Schicht, die so dünn wie Papier geworden war, auf und gab eine zwar nackte aber ca. 170 cm große humanoide Frau mit schlanker Statur und roten Haaren frei. „Danke, dass du während meiner Verwandlung auf mich aufgepasst hast, Shiranach.“, lächelte Eludeh. „Das habe ich doch gern getan.“, antwortete die alte Vendar, die von dem, was sie gerade gesehen hatte, sehr fasziniert war. „Wir müssen mich abspülen und dann brauche ich Kleidung.“, sagte Eludeh, die augenscheinlich ob ihres noch immer vom Mutarin feuchten Körpers sehr fror. „Natürlich.“, lächelte Shiranach. Sie hatte längst verstanden, dass Eludeh wohl nicht mehr in die auf die Bedürfnisse eines Reptils zugeschnittene Kleidung passen würde, die sie mitgebracht hatte.

Joran und Tabran saßen mit der Wächterin am Feuer in der Küche, als Eludeh und Shiranach schließlich das Zimmer betraten. „Mit deinem neuen Aussehen wird dich niemand erkennen, der nicht um die Geheimnisse deiner Spezies weiß.“, erklärte Tabran. „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Wo wir schon vom Aussehen sprechen.“, mischte sich jetzt auch die Wächterin ein. „Es wird Zeit, Joran, dass du deines zurückbekommst.“

Es gab einen weißen Blitz und Joran stand mit seinem eigenen Gesicht vor ihnen. „Das Beste wird sein, Joran, du und Eludeh, ihr nehmt auf der Stelle Dirans Schiff und fliegt nach Tindara.“, sagte die Wächterin ernst. „So, wie sich die Zukunft entwickeln wird, duldet das keinen Aufschub.“ Joran nickte. Er wusste, wenn eine Mächtige so etwas sagte, wurde es höchste Zeit. Schließlich konnte die Wächterin in die Zukunft sehen. Er ging also hinaus, um das Schiff zu warten. Eludeh würde später nachkommen und dann würden sie losfliegen, sobald es ging. Joran wusste, die Wächterin würde den Eingang für sie öffnen.

Shimar hatte mittlerweile den gesamten Sack geleert. Der Vendar-Novize, der seine Zelle bewachte, hatte dies staunend zur Kenntnis genommen. Aber glauben konnte er es nicht wirklich. Jedenfalls interpretierte Shimar dies aus seinem verwirrten Blick, den er dem Tindaraner zugeworfen hatte. „Wie wär’s mal mit Nachschub?“, fragte Shimar und versuchte ihm durch seinen Blick zu signalisieren: „Ich könnte das noch Stunden lang.“ „Wenn du mir nicht auf der Stelle noch welche besorgst, melde ich dich.“, drohte Shimar. Es war ihm durchaus bewusst, dass er nur einen unschuldigen jungen Novizen vor sich hatte, aber dieser arbeitete trotzdem für Sytania, die ja eigentlich die Feindin der Tindaraner war. Dies sollten sie und ihre Leute seiner Ansicht nach ruhig spüren. Sie sollten ruhig wissen, dass er ihnen nicht auf den Leim gegangen war, was die plötzliche Kehrtwende ihrer Herrin anging. „Und wenn ich dich melde, dann …“, erklärte Shimar weiter und machte ein Zeichen, das der Novize gut kannte. Er wusste, dass diese Stellung der Hände das Zeichen für Enthauptung war. Joran hatte Shimar dies beigebracht.

Blass und schnellen Fußes machte sich der Novize auf den Weg. „Lauf!“, lästerte Shimar ihm noch hinterher. „Schnell schnell! Du weißt ja, sonst …“

Er versuchte telepathisch N’Cara wahrzunehmen, die seiner Wahrnehmung nach gerade dabei war, einer ziemlich unmotivierten Vulkanierin die von Shimar erlernte Methode zu zeigen. Lass sie, N’Cara., mischte er sich ein. Wer nicht will, der hat schon. Das ist die Letzte., entgegnete N’Cara. Trotzdem., meinte Shimar. Die Terraner haben ein Sprichwort. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Wenn sie sich weiter umsonst quälen will und Energietropfen für Energietropfen aus ihren Hirnwindungen pressen will, ohne ein wirkliches Ergebnis zu erzielen, dann ist sie unbelehrbar. Sie wird schon sehen, was sie davon hat. Wenn du meinst., gab sie zurück. Aber ich will ihr doch nur etwas Gutes …

Ein Geräusch an der Tür hatte Shimar so erschreckt, dass er die Verbindung unbewusst getrennt hatte. Vor ihm stand Telzan. „Essen fassen.“, sagte der Vendar knapp. Dann führte er Shimar aus der Zelle.

Im großen Speiseraum hielt Shimar sofort nach N’Cara Ausschau. Was sie ihm telepathisch erzählt hatte, ließ ihn nicht in Ruhe. Er wusste, dass ihr das Schicksal der Vulkanierin sehr ans Herz ging. Sie konnte bestimmte Dinge ja nicht wissen. Wäre sie Absolventin der Sternenflottenakademie oder einer Ausbildungsstätte der tindaranischen Streitkräfte gewesen, hätte er bestimmtes Wissen voraussetzen können. Aber sie war nur eine Zivilistin, eine High-School-Schülerin, die ja wirklich nicht unbedingt wissen konnte, wie das mit den Vulkaniern war.

Endlich hatte er sie gefunden und setzte sich mit seinem Tablett zu ihr an den Tisch. Traurig sah sie aus. Das hätte auch ein Nicht-Telepath feststellen können. Shimar sah sie an. Dabei streifte sein Blick auch die umstehenden Tische und die Tabletts der Anderen. Alle hatten bessere Verpflegung bekommen, seitdem sich ihre Leistungen bei der Energiegewinnung gesteigert hatten. Er war zufrieden. Nur in der hintersten Ecke saß einsam und allein die Vulkanierin, die von einer Vendar-Wächterin gerade ein Tablett mit Wasser und jenen undefinierbaren äußerst geschmacksneutralen Teigfladen vorgesetzt bekam, wie es alle Anderen vorher auch bekommen hatten. Aus dem Augenwinkel hatte Shimar bemerkt, dass N’Cara seinen Augen mit den ihren gefolgt war. Aber dann hatte sie wieder traurig weggesehen. Er streckte seine rechte Hand nach ihr aus und berührte sie mit dem Zeigefinger an der Wange. „Hey, Miss Schwingzopf.“, scherzte er. „Was haben wir denn für ein Problem?“ N’Caras Gesicht verkrampfte sich und sie begann zu schluchzen. „Sie könnte es so gut haben.“, stieß sie hervor. „Aber sie will es nicht. Ich habe versucht, ihr zu helfen, aber sie hält nichts davon. Sie hat mich ziemlich abblitzen lassen, diese arrogante Ziege. Deine Methode bringt uns allen doch nur Vorteile. Warum rafft sie das nicht? Weißt du, was ich glaube, Shimar, Ich glaube, die Spitzohren sind alle ein Bisschen sadomaso.“ Shimar lächelte freundlich über ihre letzte Äußerung hinweg. Dann sagte er: „Das kannst du nicht wissen, aber die mögen alles nicht, was mit Gefühlen zusammenhängt. Meine Methode hat eine vergnügliche Komponente und …“ „Und vor der hat s’e Schiss.“, unterbrach N’Cara ihn frech. „Genau.“, lachte Shimar. „Du kannst ja richtig locker sein.“, stellte N’Cara fest. „Warum nicht?“, fragte Shimar erstaunt. „Na ja.“, setzte sie an. „Ich dachte, in militärischen Einrichtungen herrscht ein anderer Ton.“

Shimar schüttete sich aus vor Lachen. „Du glaubst im Ernst, wir schreien uns den ganzen Tag an? Denkst du nicht, dann wären wir alle abends stockheiser?“, fragte er lachend. Sie nickte, um dann fort zu fahren: „Ich habe ja noch ’ne Info für dich. Also, hier gibt es ’ne zeitländische Adelige. Du weißt ja, dass die in die Zukunft sehen können. Sie hat gesehen, dass die Nihillaner die Propheten töten wollen und das Universum zerstören wollen.“ „Oh Mann.“, erwiderte Shimar. „Das muss ich meinem Commander sagen, wenn ich wieder frei bin.“

„Übrigens.“, sagte N’Cara mit vollem Mund, nachdem sie in ein Stück Obst gebissen hatte. „Den Wächter hast du aber zusammengeschissen, dass es eine wahre Freude war. Der heult sich jetzt bestimmt bei Telzan aus.“ „Das glaube ich auch.“, erwiderte Shimar. „Aber wenn schon. Soll mir egal sein. Sytania und ihre Leute sollen ja nicht glauben, wir hätten vergessen, dass sie eigentlich unsere Feinde sind.“ Die junge Lithianerin nickte. „Gut, dass ich dich an meiner Seite habe, Militärfliegerass.“, sagte sie dann. „Sonst wäre ich hier ziemlich allein.“ Wieder wurde sie sehr traurig. „Was meinst du damit?“, fragte Shimar. „Wo sind deine Eltern? Sind sie nicht mit entführt worden?“ „Sytanias Vendar haben mich auf dem Weg von zu Hause zur Schule entführt.“, sagte N’Cara traurig. „Meine Eltern wissen bis heute nicht, wo ich bin.“ Shimars Magen zog sich zusammen. „Oh, shit.“, sagte er und kitzelte sie erneut. Dann kratzte er sich überlegend am Kopf. Die Methode zum Kristallefüllen, die er allen gezeigt hatte, sorgte dafür, dass mehr Kristalle gebraucht wurden, als die Wächter auf ein Mal heran schaffen konnten. Vielleicht würden die Schürfer auch bald keine mehr finden und dann musste Sytania alle frei lassen, denn die Gefangenen waren dann nur noch unnütze Esser. Sicherlich hatte sich auch schon Sytanias Mundschenk bei ihr beschwert, weil die Vorräte langsam zur Neige gingen. Aber laut ihrem eigenen Befehl bekam man für gute Leistung auch gutes Essen. Gern hätte er gewusst, ob sich noch Kristalle im Boden um das Schloss herum befanden. Aber das konnte er nicht rausbekommen. Von seiner Ausrüstung hatten die Vendar ihm nichts gelassen. Er hätte also IDUSA nicht verständigen können auch, wenn sie noch in der Nähe gewesen wäre. Wo bist du, wenn ich dich brauche, IDUSA?, dachte er. „Wer ist IDUSA?“, fragte N’Cara, die sich unbemerkt in seinen Geist geschmuggelt hatte. „Mein Schiff.“, antwortete Shimar. „Ich bin Patrouillenpilot. Sie hat mir diese Methode beigebracht.“ „Was?“, quietschte die Jugendliche. „Dein Schiff hat dir das gezeigt? Woher wusste sie das denn?“ „Von einem 5000 Jahre alten Computervirus.“, erklärte Shimar, als sei es das Normalste der Welt. „Jetzt spinnst du Astronautengarn.“, grinste N’Cara. „Tue ich nicht.“, erwiderte Shimar. „Ich zeige es dir.“ Er übermittelte ihr telepathisch, was damals auf der bestimmten Mission passiert war.

Telzan stand mit traurigem Blick gemeinsam mit dem Mundschenk vor Sytania. „Wir müssen uns etwas einfallen lassen, Milady.“, sagte er. „Dieser verdammte Tindaraner hat allen etwas beigebracht, womit sie schneller Kristalle füllen können, als wir sie heran schaffen können. Die Sklaven in den Mienen finden keine mehr.“ „Die Vorratskammer ist leer.“, jammerte der Mundschenk, ein untersetzter Imperianer mit dickem Bauch. „Euer Befehl, Hoheit, lautete, sie gut zu versorgen, wenn sie uns gut versorgen und das …“ „Hör auf zu winseln!“, kreischte Sytania dazwischen. „Wir haben eh genug Energie und für die Gefangenen keine Verwendung mehr. Ich werde dafür sorgen, dass sie uns nicht länger zur Last fallen.“

Es gab einen schwarzen Blitz und Shimar fand sich auf der Station wieder. Hoffentlich ist N’Cara genau so gut angekommen., dachte er, bevor er sich auf den Weg in die Zentrale machte, um Zirell zu informieren.

Eludeh und Joran hatten den Wirbel durchflogen, den die Wächterin für sie geöffnet hatte, damit sie vom Tembraâsh ins Universum der Tindaraner gelangen konnten. „Ich hoffe, dass ich Allrounder Betsy bald wiedersehe.“, sagte Eludeh. „Ich kann mir denken, warum du das willst.“, erwiderte Joran. „Du willst dich sicher bei ihr entschuldigen.“ „Das ist richtig.“, bestätigte die Nihillanerin. „Ich habe ihr Unrecht getan. Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie mir mit deiner Hilfe ermöglichen wird, aus dem Gefängnis auszubrechen. Übrigens, die Zeit in deiner Sifa habe ich sehr genossen, auch wenn sie nur wenige Stunden gedauert hat. Einmal hast du dieses Fütterungsritual durchgeführt. Das hat sich total gut angefühlt. Ich glaube, dass deine und meine geistige Energie hervorragend harmonieren.“ „Freut mich, dass es dir gefallen hat.“, lächelte Joran.

Das Piepen des Sprechgerätes beendete ihre Konversation. „Wir werden gerufen.“, erklärte Joran. Dann sah er auf das Display und erkannte das Rufzeichen der Station, um dann weiter zu sprechen: „Es ist Zirell persönlich. Wahrscheinlich ist niemand sonst in der Kommandozentrale. Der Ruf kommt von ihrem Arbeitsplatz.“ „Dann würde ich ihr an deiner Stelle mal antworten.“, scherzte Eludeh. „Sonst gibt es noch ein Donnerwetter. Schließlich ist sie dein Basecommander.“

Joran nickte und betätigte die Sendetaste: „Hier ist Joran.“, sagte er ruhig. „Den Göttern sei Dank.“, erwiderte Zirell. „Ich hatte schon Sorge, dich nie wieder zu sehen. Wo ist Allrounder Betsy? Die Frau neben dir kann es nicht sein. Wer ist das?“ „Du wirst es nicht für möglich halten, Anführerin.“, antwortete der Vendar. „Aber das ist Eludeh El Nihilla. Sie hat ihre letzte Transformation hinter sich.“

Eine kurze Zeit verging, in der Zirell telepathisch den Wahrheitsgehalt seiner Worte überprüfte. Dann sagte sie: „Es stimmt. Aber diejenigen, die das Geheimnis der Nihillaner nicht kennen, werden Eludeh nicht erkennen können. Das ist ganz gut so. Ishan sagt, dass die humanoide Schicht in der DNS die letzte ist. Durch einen Erfasser ist sie also auch nicht mehr von einer normalen Humanoiden zu unterscheiden.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Ich denke, das hat die Wächterin vorausgesehen, als sie …“ „Die Wächterin!“, rief Zirell aus. „Na, am Besten wird sein, ihr dockt erst mal und dann erzählst du alles von Anfang an. IDUSA wird euch einweisen.“ „Großzügig von dir, Anführerin Zirell.“, sagte Joran. „Ich werde dir alles berichten. Aber ich möchte auch von Agent Sedrin El Demeta vernommen werden.“ „Darum kümmere ich mich.“, versicherte Zirell. „Folge du am Besten erst mal IDUSAs Positionslichtern.“

Auch ich war mit einem Shuttle unterwegs. Die Nihillaner hatten mir erlaubt, diejenige zu sein, welche die tindaranische Dimension in ihren Grundfesten erschüttern sollte. Dazu hing hinter meinem Shuttle eine Boje am Traktorstrahl, die ich in der interdimensionalen Schicht aussetzen sollte. Über ihre Funktion wusste ich nicht viel. „Ihr Flieger braucht das alles nicht zu wissen!“, hatte der Kommandant der Basis mich angefahren, als ich genauer nachgefragt hatte. Aber es war mir auch egal, ob ich über die Funktionsweise der Boje Bescheid wusste oder nicht. Meine Frage an ihn hatte viel eher zu meiner Tarnung gehört. Als begeisterte Soldatin der nihillanischen Streitkräfte musste ich ja schließlich tun, als sei ich mit allem einverstanden, was deren obere Zehntausend so verzapften und so heuchelte ich Interesse. Zum Glück hatte mich der Typ nicht berührt, sonst hätte er noch drauf kommen können.

Der Staffelführer gab uns Signal, in eine bestimmte Formation zu gehen. Dann gingen wir in den Interdimensionsmodus. „Auf Position!“, hörte ich die schnarrende Stimme des Staffelführers im Ohrhörer meines Sprechgerätes.

Kapitel 22: Verrat für den guten Zweck

von Visitor

 

Ich wählte die Koordinaten von Tindara an. Bald spürte ich, wie das Shuttle dort aus dem Interdimensionsmodus ging. Jetzt oder nie!, dachte ich und schaltete auf Warp. Ich wollte nur noch ins tindaranische Sonnensystem. Hier wollte ich Jenna die Boje übergeben, damit sie sich ein Bild davon machen konnte und nach Möglichkeit eine Gegenmaßnahme erfinden konnte.

Ein Piepen im Ohrhörer verriet mir einen eingehenden Ruf. „Wachoffizierin zweiter Klasse Connors, was tun Sie da.“, hörte ich die Stimme meines befehlshabenden Offiziers. „Kehren Sie auf Ihre Position zurück! Kehren Sie auf der Stelle auf Ihre Position zurück! Das ist ein Befehl!“ „Ich kann nichts tun, Sir.“, log ich und versuchte, sehr verängstigt und überrascht zu tun. „Der Warpantrieb lässt sich nicht deaktivieren. Es ist wahrscheinlich ein Computerfehler. Bin aus dem System ausgesperrt. Verdammt, komm schon, lass mich wieder rein!“ „Keine Panik, Connors.“, sagte er jetzt etwas ruhiger. „Ein Kamerad wird sich vor Sie setzen und auf Ihre Warpspule feuern. Dann wird er Sie auf Ihre Position zurückziehen.“ OK., dachte ich. Den musst du jetzt nur abhängen.

Ich ließ mein Schiff einige wilde Manöver vollführen. Der Nihillaner durfte mich auf keinen Fall überholen. Ich wusste, dass ich dies nur lange genug aufrecht halten musste. Dann würde er irgendwann aufgeben müssen, weil ihm auf der anderen Seite auch der Zeitplan von Ethius und Evain im Nacken saß. Irgendwann musste er ja auch seine Boje absetzen. „Computer.“, wendete ich mich an diesen. „Notrufkanal frei schalten.“ Ein Signal verriet mir, dass der Rechner meines Schiffes den Befehl ausgeführt hatte. Ich nahm das Mikrofon und sagte: „Tindara Dimensionskontrolle, hier ist Allrounder Betsy von der Sternenflotte. Ich befinde mich auf einer Undercover-Mission und bin in eine Notlage geraten. Erbitte sofortige Hilfe! Wiederhole, erbitte sofortige Hilfe!“

Leider hatte ich dabei nicht bedacht, dass der Notruf auf allen Frequenzen, also auch auf den nihillanischen, ausgestrahlt wurde und alle Rufzeichen in der Nähe angesprochen wurden. Mein Fehler wurde mir bald darauf schmerzlich bewusst, als meine Kameraden auf mich zu feuern begannen. Selbst schuld, Betsy., dachte ich. Du bist gelernte Kommunikationsoffizierin. Du weißt doch, was passiert, wenn du einen unspezifischen Notruf absetzt. Wo bist du, Shimar? Wo bist du?

Ich hörte ein berstendes Geräusch, als würde etwas explodieren und etwas traf mich am Kopf. Dann war alles schwarz.

Auch Shimar war inzwischen in der Kommandozentrale angekommen. Allerdings hatte Zirell ihn gleich wieder fort geschickt, nachdem sie ihm durch IDUSA die Aufzeichnung meines Notrufes vorspielen lassen hatte. Jetzt rannte Shimar zum nächsten Turbolift und begab sich damit in die technische Kapsel, von der auch die Zugänge zu den Shuttlerampen abgingen. Er wechselte einen kurzen Blick mit Jenna, die ihm nur zunickte. Auch die Technikerin und ihre Assistentin waren über die Vorkommnisse informiert worden. Der Patrouillenpilot wusste genau, was Jennas Nicken zu bedeuten hatte. IDUSA war flugbereit.

Wenige Sekunden danach waren sie auch schon unterwegs. „Die IDUSA-Einheit der Station hat mir die Koordinaten gegeben, an denen das Shuttle Ihrer Freundin zuletzt gesichtet wurde, Shimar.“, sagte der Schiffsavatar. „Dann geh auf Automatik und bring uns hin.“, erwiderte Shimar.

Minuten danach trafen sie an der Position ein. „Ich muss Sie jetzt bitten, wieder zu übernehmen.“, sagte IDUSA. „Ich sehe nur eine Menge nihillanischer Schiffe. Die austretende Strahlung der beschädigten Exemplare macht meinen Biozeichensensor blind. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer Allrounder Betsy ist.“ „Gut.“, sagte Shimar. „Übergib die Steuerkontrolle und hebe deine Schilde. Scheint, als müssten wir mitten ins Schlachtgetümmel fliegen.“

Durch meinen SITCH waren auch die tindaranischen Streitkräfte auf das Geschehen aufmerksam geworden und schossen jetzt auf die Nihillaner, mit denen sie ja im Krieg waren. Die Schießerei und umher fliegende Trümmer sowie eine Menge Querschläger machten es Shimar nicht gerade einfach, den Überblick zu behalten. IDUSA, die mangels eines zweiten Besatzungsmitgliedes selbst die Waffenkontrolle übernommen hatte, verteidigte beide nach Kräften. „Woo ist sie? Verdammt, IDUSA, finde sie endlich!“, befahl Shimar abgekämpft vor Anstrengung und Konzentration. „Ich habe Ihnen gerade erklärt, dass ich das nicht kann.“, erwiderte der Rechner sachlich. „Aber vielleicht können Sie es. Sie und der Allrounder haben doch die Schutzverbindung, weil Sie beide eine Beziehung führen. Wenn Sie diese benutzen, um den Allrounder zu beschützen und ich auf Automatik bin, kann ich quasi über den mentalen Schild, den Sie um sie aufbauen, ihre Position bestimmen, solange Sie dabei den Neurokoppler tragen. Schießen kann ich trotzdem noch. Sie wissen, ich bin im Gegensatz zu Ihnen multi-tasking-fähig.“ „Machen wir’s so.“, sagte Shimar erleichtert und gab ihr den Gedankenbefehl zum Übernehmen der Steuerung.

Ich erwachte durch eine sich ständig wiederholende Meldung des Computers: „Warnung: Schilde sind offline. Werden von einer Energiewolke eingehüllt.“ „Spezifizieren.“, sagte ich benommen. „Energie aus dem Neurobandbereich.“, erklärte der Rechner. Schon OK., dachte ich. Shimar, wenn du das bist, dann musst du auf jeden Fall auch mein Shuttle mitnehmen. Sie hat einen Beweis für die Machenschaften der Nihillaner am Traktorstrahl.

„Sehr gut, Shimar.“, motivierte IDUSA ihn. „Ich bekomme eindeutige Bilder von Ihnen. Ich weiß jetzt auch, wo Allrounder Betsy ist.“

Sie wendete in einem schnellen Manöver und flog kurzzeitig mit Warp acht, um nach einigen Sekunden wieder auf null abzubremsen. Jetzt befanden sie sich genau neben meinem Schiff. „Kannst du sie an Bord beamen?“, wollte Shimar wissen. „Selbstredend.“, erwiderte das Schiff. Shimar sah, dass sie mich erfasste und den Transporter aktivierte. Dann nahm sie selbstständig auch mein Schiff in den Traktorstrahl, allerdings nicht, ohne vorher die Boje in ihren Frachtraum zu beamen. Danach flog sie eben so schnell wieder aus der Kampfzone.

Für Shimar war das alles etwas schnell gegangen. „Hast du sie und den Beweis?“, fragte er. „Aber natürlich.“, erwiderte IDUSA. „Ich nahm an, das hätten Sie mitbekommen.“ „War wohl etwas schnell für mich.“, gab er zu. „Na ja.“, nahm ihn das Schiff in Schutz. „Abgesehen von der Tatsache, dass Sie sich auf das Beschützen Allrounder Betsys konzentrieren mussten, arbeitet mein Prozessor mit einer ziemlich hohen Geschwindigkeit. Dass Ihnen da das Eine oder Andere mal entgehen kann, ist wohl verständlich. Übrigens, die Beweise sind im Frachtraum oder hängen an meinem Traktorstrahl. Allrounder Betsy befindet sich in meiner Achterkabine. Falls Sie vorhaben sollten, zu ihr zu gehen, muss ich Sie bitten, die medizinische Ausrüstung mitzunehmen. Sie ist verletzt.“

Shimar griff den Koffer mit der medizinischen Ausrüstung, der unter dem zweiten Sitz stand und bedeutete IDUSA, weiterhin die Steuerkontrolle zu behalten und die Tür zwischen Cockpit und Achterkabine zu öffnen, was sie bereitwillig ausführte. Sie wusste, dass Shimar jetzt nur noch nach Hause wollte. Dafür kannte sie ihn gut genug.

Ich kam gerade wieder richtig zu mir, als er die Kabine betrat. „Hey, Kleines.“, flüsterte er und setzte sich zu mir. IDUSA hatte mich quasi auf der Rückbank abgelegt. „Shimar.“, flüsterte ich zurück. „Hast du den Beweis?“ „In IDUSAs Frachtraum befindet sich eine Boje, wenn du das meinst.“, antwortete er. „Und dein Schiff ist an ihrem Traktorstrahl.“ „Sag ihr, wenn ihr die Boje habt, kann sie den Rest ruhig loslassen.“, entgegnete ich. „So können wir eine falsche Spur legen. IDUSA sollte noch ein paar Mal auf das Shuttle schießen, damit es so aussieht, als wäre ich getötet worden.“ „Sage ich ihr.“, beruhigte mich Shimar, während er offensichtlich mit dem Stimulator in seiner Hand kämpfte, weil der wohl nicht das tun wollte, was er von ihm wollte. „Verflucht!“, zischte er. Mir war klar, dass er damit wohl meine stark blutende Kopfwunde behandeln wollte. „Du musst das Gerät ruhig halten.“, instruierte ich ihn. „Sonst kann es die Wunde weder vermessen noch heilen.“ „Wenn ich dich nicht hätte.“, scherzte er und führte aus, worum ich ihn gebeten hatte. Zufrieden beobachtete er das Ergebnis. „Na geht doch.“, meinte er dann.

„Du kannst verdammt gut mit unserer Schutzverbindung umgehen.“, lobte er mich nach einer Weile, denn er hatte zu dem bestimmten Zeitpunkt durchaus meine Gedanken mitbekommen. „Meine Angst vor Telepathie ist ja auch weg, Srinadar.“, flüsterte ich und fügte noch hinzu: „Misiniti Zinirizimar.“, was soviel wie: „Mein über alles Geliebter“ hieß. Diese tindaranischen Worte hatte mir IDUSA vor langer Zeit einmal beigebracht, damit ich Shimar damit zum richtigen Zeitpunkt überraschen konnte.

Das Tindaranische bestand aus einer Menge Gurr- und Zirplauten. Das wusste ich. Mit vielen dieser Laute tat sich die normale menschliche Stimme etwas schwer. Weshalb es unter Kommunikationsoffizieren der Sternenflotte eigentlich nicht zu den beliebtesten Sprachen gehörte.

„Du lernst freiwillig Tindaranisch, Misiniti Zinirizimell.“, flüsterte mir Shimar aufgeregt zu. Ich nickte und grinste: „Aber sicher. IDUSA ist eine sehr gute Lehrerin.“ „Und davon hat sie mir nie etwas gesagt?“, fragte Shimar. „Durfte sie nicht.“, erwiderte ich. „Es sollte eine Überraschung werden.“

Er beugte sich über mich und wollte mich küssen, als die Sprechanlage diesem Vorhaben abrupt ein Ende setzte. „Was ist denn, IDUSA.“, antwortete er auf das Piepen. „Ich wollte Ihnen nur sagen, dass wir an der Station gedockt haben.“, entgegnete der Rechner. „Ist schon gut.“, sagte Shimar. „Beame Allrounder Betsy und mich auf die Krankenstation.“ „Ihr Timing ist echt mies, was?“, grinste ich. „Das stimmt, Kleines.“, gab er zurück. „Aber dafür kann sie nichts. Sie ist eben ein Computer.“

Sedrin hatte Joran vernommen und von ihm, wie sie selbst fand, wertvolle Informationen bekommen, was den nihillanischen Widerstand anging. Diese Informationen hatte sie ihren Vorgesetzten vom tindaranischen Geheimdienst weiter gegeben. Sie würden alles Weitere in die Wege leiten. Aber Joran hatte ihr auch den Texikutor gegeben, den ich aus Eludehs Nase entfernt hatte. Diesen hatte Sedrin vor ihrer Vernehmung Jorans den Technikerinnen zur Analyse überantwortet. Jetzt war sie auf dem Weg in die technische Kapsel.

Jenna Und Shannon saßen vor ihrer Arbeitskonsole, als die Agentin den Raum betrat. „Bericht, Mc’Knight.“, forderte sie von Jenna. „Genau genommen, Ma’am.“, sagte die hoch intelligente Terranerin. „Handelt es sich um Neurokoppler-Technologie.“ Sie machte eine Pause, um Sedrins Reaktion abzuwarten. Eigentlich hatte sie damit gerechnet, dass die Agentin sich erschrecken würde, aber Sedrin stand nur da und sah sie weiterhin auffordernd an. „Das kann doch nicht alles gewesen sein, oder?“, fragte Sedrin. „Nein.“, entgegnete Jenna. „Diese Sonde wird auf den Grundwert der neuralen Energie des Opfers eingestellt. Wenn derjenige dann an das Wort Gott auch nur im Entferntesten denkt, stimuliert sie das Schmerzzentrum.“ Immer noch erfolgte von Sedrin nicht die Art von Reaktion, auf die Jenna gewartet hatte. „Ist das nicht furchtbar, Agent, wozu die Nihillaner die Neurokoppler-Technologie missbrauchen?“ „Mit einem Messer kann man ein Brot bestreichen oder jemanden töten, Mc’Knight.“, erklärte Sedrin in einem ruhigen Ton. „Prinzipiell kann alles zur Waffe werden.“

Die Sprechanlage piepte. „Mc’Knight hier.“, beantwortete Jenna den Ruf. „Jenn’.“, sagte eine helle Stimme, die Jenna gut bekannt war. „Ist Sedrin noch bei dir?“ „Ja.“, entgegnete die terranische Technikerin. „Schick sie bitte her. Allrounder Betsy ist aufgewacht und möchte mit ihr reden.“ „OK, Nidell.“, sagte Jenna. Dann drehte sie sich zu Sedrin. „Ich habe es mitbekommen.“, sagte diese. „Das Terminal war auf Lautsprecher geschaltet.“ Damit wandte sie sich zum Gehen.

Der Staffelführer hatte Evain meine Gefangennahme berichtet und sie hatte Ethius darüber in Kenntnis gesetzt. „Es ist damit nicht genug, dass sie in tindaranische Kriegsgefangenschaft geraten ist, Allverstehender Präsident.“, sagte Evain. „Nein, sie ist auch noch zur Verräterin geworden. Ihr SITCH an die Tindaraner war eindeutig. Sie haben die Boje und sie haben diese Mc’Knight, über die uns Dank der Föderation so einiges bekannt ist. Sie soll ein Genie sein und …“ „Ruhig Blut.“, tröstete Ethius. „Ich bin ein viel größeres Genie. Schließlich nennen sie mich ja nicht um sonst alle den Allverstehenden Präsidenten. Ich glaube, ich weiß, was diese Mc’Knight tun wird. Sie wird der Boje denke ich ein Virus einspeisen wollen, das alle Bojen des Netzwerkes lahm legen soll. Dann wird sie die Boje wahrscheinlich zurückschicken. Aber in der Zwischenzeit haben wir sie durch eine Neue ersetzt. Sie soll ruhig glauben, dass der Plan klappt. Nur, wird sie dumm aus der Wäsche schauen, wenn unsere Bojen erst gar keinen Kontakt mit der alten Boje aufnehmen. Dann kann auch das Virus nicht übertragen werden.“

Evain atmete auf. „Es gibt da aber noch ein weiteres Problem.“, sagte sie. „Da sind diese verdammten Bajoraner. Sie halten an ihrem Glauben fest, weil sie sagen, dass ihre Götter wahrhaftig existieren. Sie machen aber auch keine Anstalten, die Föderation zu verlassen. Andere Planetenregierungen wollen ihrem Beispiel folgen und haben sich ebenfalls gegen unsere Lehre entschieden. Sie blockieren uns, Allverstehender Präsident. Was sollen wir jetzt tun?“ „Ganz einfach.“, grinste Ethius. „Wir entlarven die Propheten als einfache ebenfalls sterbliche Wesen. Wir brauchen nur das richtige Gift. Dann kriegt man alles tot. Glücklicherweise hat Connors, bevor sie in Gefangenschaft geriet, uns genau das Richtige hinterlassen.“

Er zog sich strahlungsdichte Handschuhe über und holte einen zylindrischen Gegenstand aus einer Schublade seines Tisches. „Das, meine Liebe.“, begann er und legte den Gegenstand mit stolzem Blick vor ihr ab. „Das ist Rosannium. Das ist der Stoff, aus dem unser Sieg ist. Wir bauen etwas davon in einen Marschflugkörper ein und schicken diesen ins Wurmloch. Dann wird das Rosannium mit den Propheten kurzen Prozess machen.“ „Aber bitte bedenken Sie, Allverstehender Präsident.“, wandte Evain ein. „Dass, wenn diese Wesen sterben, das starke Konsequenzen für das Universum hätte. Ich meine, das wollen wir zwar ohnehin zerstören, aber bitte kontrolliert und nicht …“

Ethius fiel ihr lachend ins Wort: „Keine Angst, Evain. Die Wissenschaftler werden die Dosis schon so berechnen, dass die Propheten allenfalls schwer verletzt sein werden. Wir wollen die Bajoraner ja nur demoralisieren.“ „Ich habe verstanden.“, nickte Evain. „Gleich morgen werde ich alles in Auftrag geben.“

Sedrin hatte die Krankenstation erreicht. Sie ging nicht sofort durch zu mir, sondern wandte sich zuerst an Ishan: „Wie ist ihr Zustand?“ „Die Patientin ist vernehmungsfähig.“, antwortete der Androide. „Sie hat zwar eine kleine Gehirnerschütterung gehabt, aber mit den richtigen Medikamenten war das kein Problem.“ „Dann ist ja gut.“, entgegnete die demetanische Agentin und ging zu dem Biobett, auf dessen Kante ich bereits saß. „Ich dachte schon, Sie kommen gar nicht mehr, Agent.“, scherzte ich. „Oh doch.“, sagte sie. „Wenn ich sage, dass ich jemanden vernehme, dann tue ich das auch.“

Sie zückte ein Pad. „Ich nehme an, an Ihren Personalien hat sich, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, nichts geändert.“ Ich schüttelte den Kopf. „Gut.“, sagte sie und machte einige Einträge, bevor sie fragte: „Warum genau wollten Sie mit mir sprechen, Allrounder?“ „Ich muss Ihnen einige wichtige Informationen geben, Ma’am.“, begann ich. Allerdings hatte ich einen ziemlichen Kloß im Hals. „Was sind das für Informationen?“, drängte Sedrin. „Na, raus damit. Mich kann heute nichts mehr schocken. Ich habe Joran, Eludeh und Gajus vernommen und was die mir erzählt haben, würde so manchem zart beseiteten Gemüt die Schuhe ausziehen.“ „Sie wollen das Universum zerstören.“, stieß ich hervor. „Aber nicht nur das Universum der Föderation. Nein, auch das der Tindaraner und alle Dimensionen. Sie wollen sie neu erschaffen. Sie glauben, nur weil sie das mit dem Urknall verstanden haben, können sie das.“ „Ich nehme an, dazu dient die Boje, die Sie uns mitgebracht haben.“, entgegnete Sedrin. „Ja.“, sagte ich. „Lassen Sie Jenna die Boje untersuchen. Sie wird es wahrscheinlich bestätigen.“ „Natürlich.“, sagte Sedrin. „Ich werde sie am Besten gleich darauf ansetzen.“

Sie hatte kaum ausgesprochen, da piepten sämtliche Terminals für die Sprechanlage. Dies war ein Zeichen für eine stationsweite Ansage. „Hier spricht Commander Zirell.“, tönte es aus dem Lautsprecher. „Alle Brückenoffiziere werden gebeten, sich dringend in der Kommandozentrale einzufinden!“

Sedrin sprang auf und wollte gehen. „Bitte, lassen Sie mich mitkommen, Agent.“, bat ich. „Vielleicht kann ich helfen, was immer da auch ist. Ich kenne die Nihillaner inzwischen einigermaßen und …“ „Wie kommen Sie darauf, dass es mit den Nihillanern zu tun hat?“, schnitt mir Sedrin das Wort ab. „Ein Bauchgefühl.“, sagte ich knapp. „Bitte, Agent.“

Sie wechselte einen kurzen Blick mit Ishan, der ihr zunickte. „Kommen Sie, in Mutter Schicksals Namen.“, sagte sie dann und zog mich mit sich.

Shimar, Joran und Zirell waren bereits in der Kommandozentrale angekommen. „IDUSA hat gemeldet, dass die interdimensionale Sensorenplattform einen nihillanischen Marschflugkörper gesehen hat, der auf das bajoranische Sonnensystem im Universum der Föderation zu hält. Der Flugkörper hat Rosannium an Bord.“, informierte die Kommandantin alle knapp. „Wozu Rosannium?“, fragte Shimar. „Die Bajoraner sind nicht telepathisch.“

Zirell wollte antworten, aber Joran winkte ab. Er würde die Antwort selbst übernehmen. „Die Bajoraner nicht.“, erklärte er seinem Freund. „Aber ihre Götter, die Propheten, sind mächtige Wesen. Mit der richtigen Dosis Rosannium kriegt man auch die klein.“ Shimar lief ein kalter Schauer über den Rücken.

Plötzlich lud IDUSA alle Reaktionstabellen der Anwesenden in den zentralen Simulator. Nun konnten alle den Stationsavatar sehen und hören. „Eine Gruppe von Vendar-Schiffen ist soeben von New-Vendar-Prime aufgestiegen.“, erklärte sie. „Dort ist fast keiner mehr. Alles, was ein Schiff fliegen kann, ist auf den Beinen. Sianach muss eine Art Generalmobilmachung befohlen haben. Alle Schiffe sind gestartet.“ „Was haben die vor?“, fragte Zirell halblaut. Dann wandte sie sich an IDUSA: „Zeig uns die Schiffe.“

In diesem Moment betraten Sedrin und ich den Raum. Sofort stellte sich die Agentin neben Zirell. „Was gibt es?“, fragte sie. „Die Nihillaner haben einen mit Rosannium gefüllten Marschflugkörper in Marsch gesetzt.“, berichtete Zirell ihrer Untergebenen kurz. „Außerdem sind alle praktizierfähigen Vendar unterwegs. Wer nicht selbst ein Schiff fliegen kann, wird mitgenommen. Es sieht aber nicht so aus, als wollten die Vendar den Flugkörper stoppen.“

„Wir werden gerufen.“, machte IDUSA alle aufmerksam. „Allerdings sind wir ein Teil einer Sammelverbindung, die von Sianachs Schiff ausgeht.“ „Stell trotzdem durch!“, befahl Zirell.

Auf dem virtuellen Schirm erschien Sianachs Gesicht. Dann hörte man sie sagen: „Vendar, Tshê! Tameshal Maviteshtê.!“ Alle sahen Joran an. „Sie hat gesagt: Vendar, Achtung! Last uns beginnen.“, übersetzte der Vendar. „Womit will sie beginnen.“, fragte Sedrin.

Im gleichen Moment bekamen alle mit, dass eine Menge Transporte im Gange waren. „Es wird Energie gebeamt.“, erklärte IDUSA. „Jeder Vendar erhält sozusagen das Neuralmuster eines Propheten in seine Sifa.“

Sie sahen, wie die Schiffe der Vendar umkehrten. „Gib mir Sianach!“, befahl Zirell. IDUSA ließ ihren Avatar nicken und führte den Befehl aus. Bald sah Zirell in das lächelnde Gesicht der Vendar-Anführerin. „Du hast uns da eben ganz schön überrascht.“, sagte sie. „Ich hoffe doch positiv.“, gab Sianach zurück. „Allerdings.“, erwiderte Zirell. „Das war wohl auch der Grund, warum du von Ishan wissen wolltest, wie man …“

Sianach hatte die Break-Taste betätigt und fiel ihr ins Wort: „Genau. Aber jetzt müssen wir zurück. Wir müssen uns alle dem Fütterungsritual widmen. Sag den Bajoranern, ihre Götter seien in guten Händen.“ Sie beendete das Gespräch.

Eludeh und Gajus, die gemeinsam im Gästequartier saßen, hatten von der ganzen Sache nichts mitbekommen. Zu sehr waren sie mit sich beschäftigt. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich dich noch einmal sehe, meine Eludeh.“, flüsterte Gajus mit Marons Stimme und versuchte, sie zu umarmen. Eludeh aber stieß ihn weg. „Was ist mit dir?“, fragte er. „Es hat nichts mit dir zu tun, sondern mit dem, in dessen Körper du jetzt steckst.“, begründete Eludeh. „Ich möchte aus Respekt vor Maron nicht zu zudringlich werden. Er kennt mich nicht und müsste meine Berührungen ertragen. Er könnte dies als sexuelle Belästigung empfinden. Ich rechne es ihm hoch an, dass er dir seinen Körper leiht.“ „Maron sagt, es macht ihm nichts aus.“, erwiderte Gajus. „Das würde ich gern von ihm selbst erfahren.“, entgegnete Eludeh. „Dann wirst du uns wohl berühren müssen.“, argumentierte Gajus. „Marons Gehirn ist nicht in der Lage zur telepathischen Kommunikation. Aber wenn du uns berührst, kannst du eine Verbindung aufbauen.“ Schüchtern nahm Eludeh Gajus’ Hand. Ich gebe Maron jetzt die bewusste Kontrolle., dachte Gajus. Eludeh konnte den Kontrollwechsel spüren. Sie wusste, dass Gajus keine unlauteren Absichten gegenüber Maron hatte. Eludeh, Sie können ihm vertrauen, wenn er das sagt., hörte die Nihillanerin jetzt Marons Gedanken. Es macht mir nicht das Geringste aus, wenn Sie beide sich berühren wollen. Selbst einen Kuss fände ich nicht schlimm. Als ich mich einverstanden erklärte, Gajus meinen Körper zur Verfügung zu stellen, hatte ich alle Konsequenzen bedacht. Ich bitte nur zu vergeben, dass wegen bestimmter anatomischer Unterschiede im Augenblick etwas Intimeres nicht möglich ist. Eludeh lächelte. Sie spürte, dass Maron nicht unter Zwang stand bei dieser Aussage. Ich glaube Ihnen., gab sie ebenfalls auf telepathischem Weg zurück. Bitte geben Sie Gajus jetzt die Kontrolle wieder. Wie Sie möchten., dachte Maron und ließ Eludeh spüren, dass er sich zurückzog.

Evain und ihre Truppe waren nach Nihilla zurückgekehrt. Den Marschflugkörper, mit dem sie ursprünglich die Propheten verletzen wollten, hatten sie bei sich. Sie brachten ihn und die Schiffe in die Hangars zurück und dann wurde Evain bei Ethius vorstellig. Arg gebeutelt betrat sie das Büro. „Warum haben Sie den Flugkörper zurückgepfiffen?“, wollte Ethius von seiner Generalin erfahren. „Es war zwecklos, Allverstehender Präsident.“, erwiderte Evain. „Warum zwecklos, Evain?!“, brüllte Ethius. „Diese verdammten Vendar!“, rief Evain aus. „Von irgendwo her müssen sie gewusst haben, wie unser Plan lautet. Sie haben die Propheten gerettet.“ „Wie habe ich mir das vorzustellen?!“, geriet Ethius weiter außer sich. „Sie sind aufgetaucht und waren plötzlich überall. Erst haben wir gedacht, sie wollten unseren Flugkörper unschädlich machen, aber dann haben sie noch nicht einmal die Waffen aktiviert. Darauf haben wir aber immer gewartet und dabei übersehen, dass sie still und heimlich alle Neuralmuster in ihre Sifas gebeamt haben. Wir haben es erst gemerkt, als es zu spät war.“ „Was für ein schwarzer Tag!“, entrüstete sich Ethius. „Wir haben aber doch noch den anderen Plan.“, tröstete Evain. „Wenn wir die Dimensionen neu erschaffen haben, wer sorgt sich dann noch um ein paar Propheten. Übrigens, wir sollten die Bajoraner auch aus der Neuschöpfung streichen. Sie machen nur Ärger.“

Wie auf ein Stichwort piepte in diesem Augenblick die Sprechanlage des Büros. Am anderen Ende war Ethius’ Sekretärin, die ihn auf ein Bild aufmerksam machte, das in diesem Augenblick von einem Teleskop, das das Universum der Föderation beobachtete, überspielt wurde. „Ein bajoranisches Schiff, das versucht, in eine andere Dimension zu gelangen.“, lachte Ethius. „Ja.“, pflichtete ihm Evain bei. „Es sieht allerdings aus, als säße ein Flugschüler am Steuer.“

Shimar und ich saßen nichts ahnend in unserem Quartier. Ich hatte ihm erzählt, was ich auf Nihilla erlebt hatte und wie ich die Situation gelöst hatte. „Ich bewundere dich dafür, Kleines.“, flüsterte er und nahm meine Hand. „Ich finde mich eher abstoßend.“, erwiderte ich. „Ich meine, ich habe …“ „Unsinn.“, erwiderte er ruhig. „Ich werde dir jetzt zeigen, wie ich dich mittlerweile sehe. Du bist lange nicht mehr das schüchterne ängstliche Mäuschen, das du einmal warst. Pass auf.“ „Wird das wieder so eine Sache wie damals mit dem schlagenden Vater?“, fragte ich. „Lass dich überraschen.“, lächelte er. Dann glitten wir beide in den Zustand ab, den ich noch gut kannte. Dieses mal fand ich mich in einer Art Urwald wieder. Allerdings steckte ich im Körper einer Maus. Diese huschte mal hier hin, mal dort hin, immer auf der Hut vor Fressfeinden.

Plötzlich geschah aber etwas Seltsames. Der Mausekörper begann, sich zu verwandeln. Er wuchs und wuchs. Aber er wurde nicht nur immer größer, nein, er veränderte sich auch sonst. Er wurde immer katzenartiger und ich bemerkte, dass ich vor einem Bach stand, in dem ich mich sozusagen spiegelte. Ich sah, wie die kleinen Pfoten des Mäuschens zu Tatzen wurden, wie sie eigentlich einer Tigerin oder Gepardin gehören. Mein graues Fell schillerte plötzlich schneeweiß. Während der ganzen Verwandlung spürte ich keinen Schmerz. Im Gegenteil! Es war sogar sehr schön und ich konnte das Ende kaum erwarten. Ich versuchte, etwas zu sagen, aber statt des erwarteten: „Piep“, kam ein lautes Fauchgeräusch dabei heraus.

Shimar holte uns zurück. „Wow.“, sagte ich außer Atem. „So siehst du mich also jetzt?“ „Schuldig im Sinne der Anklage.“, lächelte er. „Du hast dich sehr verändert, aber diese Veränderung ist völlig OK. Sie bedeutet ja nicht, dass du nicht mehr gut zu denen sein kannst, die dir am Herzen liegen. Du hast nur verdammt gut gelernt, deinen Feinden die Krallen zu zeigen.“ „Deshalb hast du mich also von der Maus zur Großkatze werden lassen.“, erkannte ich. „Ja.“, grinste er. „Ich finde, das trifft es am Besten.“

Wir hörten ein vertrautes Geräusch. IDUSA hatte unsere Reaktionstabellen geladen. „Was gibt es, IDUSA?“, fragte Shimar und sah dem Avatar direkt ins Gesicht. „Commander Zirell möchte, dass Sie beide in die Zentrale kommen.“, sagte IDUSA nüchtern. „Es gibt einen Notfall.“

Shimar griff meine Hand und wir stürzten zum nächsten Turbolift. „Was kann der Grund sein, aus dem Zirell uns beide dort haben will?“, fragte ich. „Keine Ahnung, Kleines.“, erwiderte Shimar. „Hat vielleicht was mit Fliegerei und der Föderation zu tun. Warum sonst sollte sie darauf bestehen, dass du dabei bist.“

Wir betraten die Kommandozentrale. „Hier sind wir, Zirell.“, kündigte Shimar uns an. „Gut, dass ihr da seid.“, atmete Zirell auf. Dann bedeutete sie IDUSA, unsere Reaktionstabellen zu laden. Bei dem, was wir über den virtuellen Schirm zu sehen bekamen, stockte mir der Atem. „Die interdimensionäre Sensorenplattform hat im Föderationsuniversum ein bajoranisches Schiff beobachtet, das wohl in unsere Dimension zu kommen versucht.“, kommentierte IDUSA das Geschehen. „Die Bajoraner haben einen Notruf auf den tindaranischen Frequenzen abgesetzt. Laut dem SITCH befinden sich an Bord des Shuttles die bajoranische Erste Ministerin, Kira Laren und der Kai, Ro Benjan.“ „Scheiße!!!“, entfuhr es mir. „Die haben niemanden, der mit dem Schiff umgehen kann?“ „Negativ.“, entgegnete IDUSA. „Sie sind allein und versuchen es selbst.“

Ich wusste sofort, was die Stunde geschlagen hatte. Deshalb zog ich Shimar aus dem Raum und wir machten uns auf zur technischen Kapsel. „Jenna muss das Schiff warten!“, sagte ich atemlos. „Wir müssen hin und denen helfen.“ „Beruhige dich.“, versuchte Shimar, meine Aufregung herunter zu drosseln. „Zirell wird nichts anderes von uns gewollt haben.“

Wir betraten die technische Kapsel. Jenna saß vor einer Arbeitskonsole und las einen Diagnosebericht. „Wir brauchen das Schiff, Jenn’.“, sagte ich. „Der Kai und die Erste Ministerin von Bajor wollen hier her und fliegen das Schiff selbst. Das hat ungefähr die gleichen Erfolgsaussichten, als würden der Papst und die Bundeskanzlerin versuchen, den A380 auf einer Stichstraße zu landen.“ Irritiert sah Jenna mich an. Shimar, der aber genau wusste, wovon ich redete, weil ich das Bild im Kopf hatte, sagte nur: „Es ist wichtig Jenn’!“ Die Technikerin nickte und zeigte auf den Ausgang zur Shuttlerampe. Das war eindeutig. „Komm schon, Kleines.“, sagte Shimar und zog mich mit sich.

„Worüber haben die gesprochen, Jenn’.“, fragte Shannon, die alles mit angehört hatte. „Kann ich Ihnen leider auch nicht beantworten, Assistant.“, sagte Jenna. „Flieger.“, meinte Shannon abschätzig. „Wir sollten IDUSA mal fragen.“, schlug Jenna vor. „Vielleicht weiß sie, was eine Bundeskanzlerin und ein Papst beziehungsweise eine Stichstraße oder ein A380 ist.“

Joran hatte die Kommandozentrale betreten, um seinen Dienst vorschriftsmäßig anzutreten. Zirell wusste, dass der Vendar immer großen Wert auf Pünktlichkeit legte, besonders auf die eigene. „Übernimm die Kommunikation von IDUSA!“, instruierte die Tindaranerin ihn. „Sie wird dir sagen, was du wissen musst.“ „Wie du wünschst, Anführerin.“, sagte Joran und nahm hinter der entsprechenden Konsole Platz. Dann befahl er: „IDUSA, informiere mich über die Situation!“ „Wir monitoren ein bajoranisches Schiff.“, begann der Stationsrechner. „Sie befindet sich noch im Föderationsuniversum und hat einen Notruf abgesetzt, allerdings nur auf den tindaranischen Frequenzen.“ „Warte mal.“, unterbrach Joran. „Sind die Bajoraner nicht ein Mitglied der Föderation und bedeutet das nicht, dass die Sternenflotte sie als Feinde sieht, wenn sie sich an uns wenden?“ „Affirmativ.“, sagte IDUSA. „Und genau das ist das Problem. Die Sternenflotte hat gemerkt, mit wem sie sprechen wollten und jetzt sind Kriegsschiffe hinter ihnen her. Dazu kommt noch, dass kein ausgebildeter Pilot auf dem Schiff ist. Es sind lediglich zwei Zivilisten an Bord, die es mit Glück geschafft haben, das Schiff überhaupt vom Boden zu bekommen. Jetzt schicken sie sich an, den Interdimensionsantrieb zu benutzen.“ „Kelbesh!“, fluchte Joran. Ihm war durchaus klar, dass der kleinste Fehler in der Navigation sie sonst wo hin bringen könnte, aber nicht dort hin, wo hin sie wollten. Mit dem für ungeübte Augen oft als Gewirr erscheinenden Bild aus Interdimensionsfalten hatten ausgebildete Flieger auch oft ihre Probleme. Wie würde es da erst Leuten gehen, die mit so etwas noch nie zu tun hatten. „Du musst sie unbedingt davon abhalten, den Interdimensionsantrieb zu benutzen.“, drängte Zirell. „Sag ihnen, eine Patrouille sei auf dem Weg und sie würden bald Hilfe bekommen. IDUSA, zeig uns das Schiff.“

Nach der Ausführung von Zirells Befehl sahen Joran und sie, dass das Schiff von Sternenflottenschiffen verfolgt und beschossen wurde. „Die Bajoraner versuchen, sich zu verteidigen.“, stellte Joran fest. „Die Betonung liegt wohl auf versuchen.“, kommentierte Zirell die Situation. „So oft, wie die daneben schießen, wird es mit der Verteidigung wohl nicht wirklich etwas. Der technische Zustand des Schiffes ist durch die vielen Treffer bereits bedenklich.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Die Sternenflottensoldaten können viel besser mit ihren Waffen und ihren Schiffen umgehen. Kelbesh! IDUSA, was machen die jetzt?“ „Laut den Energieschemen ihres Antriebes versuchen sie, in den Interdimensionsmodus zu gehen.“, analysierte der Rechner. „Und gerade das sollen sie nicht.“, sagte Joran. „Ruf sie. Ach, wer ist überhaupt an Bord dieses Schiffes?“ „Zwei sehr prominente Persönlichkeiten.“, erklärte IDUSA. „Das weltliche Staatsoberhaupt der Bajoraner, Kira Laren und das geistige Oberhaupt, Kai Ro Benjan.“ „Ruf sie!“, befahl Joran.

Kapitel 23: Riskante Manöver

von Visitor

 

IDUSA führte seinen Befehl aus und bald sah Joran auf dem virtuellen Schirm in die Gesichter der beiden Bajoraner, die für ihn sehr verzweifelt wirkten. Er wusste aber, dass sie versuchen würden, sich dies nicht anmerken zu lassen. „Sie können sprechen.“, sagte IDUSA. „Erste Ministerin, Euer Eminenz.“, begann Joran korrekt. „Ich bin Joran Ed Namach. Ich bin der Dienst habende SITCH-Offizier der tindaranischen Station 281 Alpha. Bitte verharrt auf Eurer Position. Eine Patrouille ist auf dem Weg zu Euch.“

Abgesehen von seiner oft sehr mittelalterlich anmutenden Sprache waren für Joran, wie für alle Vendar, Staatsoberhäupter und religiöse Herrscher es wert, mit dem Plurales Majestates angesprochen zu werden. Das wusste Zirell, weshalb es ihr nicht weiter seltsam vorkam. Anders ging es da schon der bajoranischen Ersten Ministerin, die sich mit folgenden Worten bei Joran meldete: „Nun mal ganz langsam. Weder ich noch der Kai haben blaues Blut. Wir sind also nicht anders als Sie auch, Mister. Es wäre nur sehr schön, wenn endlich jemand kommen würde. Der Kai ist ein miserabler Schütze und ich eine noch viel schlechtere Pilotin.“ „Wie ich bereits sagte, ist eine Patrouille auf dem Weg.“, versuchte Joran, sie zu beruhigen. „Bitte tut nichts Unüberlegtes. Euch wird geholfen. Ich wiederhole, Euch wird geholfen.“

Es gab ein Geräusch und die Verbindung brach zusammen. „Ruf sie erneut!“, befahl Joran dem Rechner. „Bedaure.“, gab IDUSA zurück. „Die Sternenflottenschiffe haben die Antennenanlage des bajoranischen Schiffes zerstört. Sie haben keine Möglichkeit zur Kommunikation mehr.“ „Und was machen wir jetzt?!“, äußerte sich Zirell frustriert. „Bitte zaudere nicht, Anführerin.“, sagte Joran. „Ich weiß, die Situation erscheint dir aussichtslos. Aber jetzt kommt alles auf Shimar El Tindara und Betsy El Taria an.“ Zirell liebte es insgeheim, wenn er sie so tröstete. Sie fragte sich, wo er diesen Optimismus her hatte. Shannon hatte Joran des Öfteren mit dem Typen aus ihrem Schmöker verglichen. Der war auch immer sehr optimistisch gewesen. „Verbinde mich mit unserer Patrouille!“, befahl Zirell. „Wie du wünschst, Anführerin.“, sagte Joran und hämmerte das Rufzeichen des Shuttles in die Konsole.

Shimar und ich waren in der Dimension der Föderation angekommen. Hier sahen wir jetzt das ganze Getümmel direkt vor uns. „Ich verstehe nicht, warum deine Kameraden auf die Bajoraner schießen, Kleines.“, sagte Shimar irritiert. „Gott, Shimar.“, entrüstete ich mich. „Das kann doch nicht so schwer sein. Die betrachten die Bajoraner als Feinde, weil die der nihillanischen Lehre nicht folgen wollen. Dann haben die auch noch uns Bescheid gesagt.“ „Hast du gerade uns gesagt, Kleines?“, erkundigte sich Shimar. „Ups.“, machte ich. Anscheinend sah ich mich bereits als Angehörige der tindaranischen Streitkräfte.

„Egal.“, sagte ich und stand vom Sitz auf. Dann wandte ich mich an den Rechner: „IDUSA, beame mich auf das bajoranische Schiff!“ „Hast du dein Spezialprogramm, Kleines?“, fragte Shimar. „Nein.“, entgegnete ich. „Das würde hier auch nicht helfen. Jannings sagt, es kann nicht auf einem bereits fliegenden Schiff installiert werden. Die Installation muss immer vor dem Start erfolgen. Da ist irgendwas wegen der Sensoren. Jemand von denen da drüben wird mir seine Augen leihen müssen und jetzt aktivieren, IDUSA!“

Der Transporter surrte und ich fand mich auf dem bajoranischen Schiff wieder. „Allrounder Betsy Scott.“, stellte ich mich kurz vor. „Ich übernehme. Ach, Erste Ministerin, wären Sie so freundlich, für mich zu schauen, ich kann in dieser Situation mein Spezialprogramm nicht auf diesem Schiff installieren und …“ „Schon gut.“, sagte die angesprochene Bajoranerin unwirsch und rutschte zur Seite.

„Wie haben Sie vor, mit Allrounder Betsy Kontakt zu halten?“, erkundigte sich IDUSA bei Shimar. „Über ihr Handsprechgerät.“, sagte Shimar. „Das heißt, wir dürfen uns in dieser Situation nicht mehr als drei Meter von dem Schiff entfernen.“ „Verstanden.“, sagte der Rechner.

Eine fächerförmig abgefeuerte Salve Photonentorpedos zwang IDUSA zum Ausweichen und trennte sie vom bajoranischen Schiff. Das war auch mir nicht verborgen geblieben. Die Sensoren des Schiffes hatten jetzt nur noch ein Gewirr von Antriebssignaturen und Waffenstrahlung angezeigt. Die Erste Ministerin war mir außerdem nicht wirklich eine große Hilfe. Als Zivilistin konnte sie das alles nicht einordnen, konnte mir also nicht helfen. „Da sind ’ne Menge Signaturen, Allrounder.“, sagte sie, als ich sie bat, mir die Position von IDUSA zu nennen. „Wie soll ich wissen, wie …“ „Schon OK.“, sagte ich. Allerdings nur, um sie zu beruhigen. Ich hatte keine verdammte Ahnung, wie ich Shimar und IDUSA wieder finden sollte.

„Allrounder Betsy hat keine Möglichkeit, uns zu finden, Shimar.“, erklärte IDUSA. „Wir müssen uns etwas einfallen lassen.“ „Ich weiß.“, erwiderte der Tindaraner. „Telepathisch würde ich es nicht versuchen.“, nahm das Schiff seinen Plan vorweg. „Die Sternenflottenschiffe haben Rosannium.“ „Danke für deine Information.“, atmete Shimar auf. „Das hätte ich beinah versucht.“ „Wenn Sie mich nicht hätten.“, grinste der Schiffsavatar. „In der momentanen Situation wäre es schön, wenn man im Weltraum Klopfzeichen hören könnte, nicht wahr?“

Shimar stutzte. Durch die Schutzverbindung mit mir war ihm einiges bekannt, was auch ich wusste. Er wusste, es gab eine Möglichkeit, die nur ich verstehen könnte. Damit könnte er IDUSAs Antrieb von den anderen unterscheidbar machen. „Hör zu, IDUSA!“, befahl er. „Du fliegst jetzt eine Sekunde vorwärts, dann stoppst du. Dann fliegst du zwei Sekunden und stoppst. Dann wieder eine Sekunde und noch eine.“ „Können Sie mir sagen, was dieser Stotterflug soll?“, beschwerte sich IDUSA. „Schlag in deiner Datenbank unter Morsen nach.“, schlug Shimar vor. „Dann weißt du es. Und jetzt mach!“

„Ich kann Ihnen beim besten Willen nichts sagen, Allrounder.“, sagte die Erste Ministerin, nachdem ich sie zum wiederholten Mal gebeten hatte, mir zu sagen, ob sie IDUSAs Antrieb lokalisieren könne. „Eine Antriebsspur sieht wie die andere aus. Nein, warten Sie. Es sieht komisch aus. Es sieht aus, als hätte eines der Schiffe Probleme oder so. 180 Grad hinter uns. Ich sehe kurze und lange Antriebsspuren. Kurz , lang, kurz, kurz. Das wiederholt sich.“

Mir schwante etwas. Dieses Zeichen bedeutete im Morsealphabet den Buchstaben L. Das hatte ich von meinem Großvater gelernt. Die Eselsbrücke hierzu war ein altes Soldatenlied und der deutsche Satz: „Ich liebe dich.“ In meinem Kopf sang es: … und alle Mädchen hören mit, dit daaa dit dit, dit daaa dit dit. Liebe? Da war doch was!

Ich wendete das Schiff mit dem Ausruf: „Oh, Shimar! Darauf muss man erst mal kommen!“ Dann setzte ich uns hinter IDUSA. Gemeinsam gingen wir bald in den Interdimensionsmodus. Danke, Opa., dachte ich.

Jenna war angesichts von IDUSAs technischem Bericht in die Kommandozentrale gestürzt. „IDUSA hat Antriebsprobleme!“, sagte sie hektisch. „Ich muss Shimar sagen, was er mit der Software …“ „Sie gehen zurück an Ihren Arbeitsplatz, Mc’Knight!“, sagte Sedrin bestimmt. „Das ist ein Befehl!“ „Aber Agent.“, widersprach Jenna. „Es ist …“ „Es ist gar nichts.“, fiel ihr Sedrin ins Wort. „Ich werde Shimar, den Allrounder und die beiden Zivilisten an der Andockrampe empfangen. Dann werde ich sie vernehmen.“, erklärte Sedrin weiter. Dann fügte sie noch leise hinzu: „Nein, diese Hinterlist.“

Wirklich bis zur Rampe gehen musste Sedrin nicht, denn Shimar und ich hatten die zwei Bajoraner in die Mitte genommen und waren mit ihnen auf dem Weg zur Kommandozentrale, was dazu führte, dass wir auf halbem Wege Sedrin begegneten. „Das trifft sich sehr gut, Allrounder.“, sagte die Agentin. „Mit Ihnen möchte ich als Erste sprechen. Shimar, bitte bring unsere bajoranischen Gäste zunächst ins Gästequartier zwei. Angesichts der etwas beengten Verhältnisse, die im Moment herrschen, werden sie sich wohl ein Quartier teilen müssen. Allrounder, Sie bleiben! Wir gehen jetzt gleich an einen ungestörten Ort und machen Urlaub auf den Verhörinseln. Keine Panik, es wird nicht schlimm. Im Gegenteil. Ach, Shimar, bevor du gehst, informiere bitte O’Riley, dass sie von unseren Gästen einen Stimmabdruck nimmt, damit sie die Replikatoren benutzen können. Es soll ihnen schließlich an nichts fehlen, solange sie hier sind.“ Shimar nickte. Dann wandte er sich an die Bajoraner: „Bitte folgen Sie mir.“

Sie waren bald verschwunden und Sedrin nahm mich bei der Hand. „Kommen Sie.“, sagte sie. „Wir gehen zu mir. Da ist es wohl am Besten.“ „OK, Ma’am.“, sagte ich und folgte.

In ihrem Quartier angekommen replizierte sie mir und sich zunächst eine heiße Schokolade. Dann setzten wir uns gegenüber an ihren Wohnzimmertisch. „Ich muss Ihnen ein riesiges Kompliment machen, Allrounder.“, begann Sedrin, nachdem wir auf ihr Anraten hin gemeinsam mit den großen Tassen angestoßen hatten. „So ein hinterlistiger Plan, wie der, den Shimar und Sie da ausgeführt haben. Das hätte ich nicht besser gekonnt, wenn überhaupt.“ „Das war doch ganz einfach, Agent.“, stapelte ich tief . „Ich bin gebürtige Deutsche und Shimar weiß Bescheid, wegen der Schutzverbindung. Ich glaube also nicht, dass …“ „Und ich bin gebürtige Demetanerin.“, fiel sie mir ins Wort. „Ich kenne mich mit Hinterlist aus. Erzählen Sie mir bitte nicht, das wäre völlig normal gewesen. In meinen Augen war das schon ein hinterhältiger Geniestreich. Bis zum Buchstaben L konnte Ihnen beiden sicher jeder Kommunikationsoffizier der Sternenflotte folgen, der einigermaßen in Geschichte aufgepasst hat. Aber ab dann wussten nur noch Sie, was Sache ist, weil Shimar und Sie eine Beziehung führen. Kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass das alles nur Zufall war. Sie können manchmal eine ziemliche Füchsin sein. Shimar weiß das.“ „Ich habe gar nichts gemacht.“, entschuldigte ich mich. „Er hat …“ „Aufgrund Ihrer telepathischen Verbindung weiß man glaube ich nie so genau, wer den Plan zuerst gefasst hatte. Wichtig ist auch nur, dass er funktioniert hat.“, meinte Sedrin. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie immer noch so eine Tiefstaplerin sind. Sie übertreffen St. John manchmal noch um Längen.“, scherzte sie, bevor sie mich mit den Worten entließ: „Schicken Sie mir jetzt bitte Shimar und dann die Bajoraner. Erst die Ministerin und dann den Kai.“ Ich nickte und verließ ihr Quartier.

Gajus hatte sich zu Zirell begeben. Diese hatte sich in ihrer dienstfreien Zeit etwas hingelegt. Deshalb dauerte es einige Zeit, bis sie die Tür öffnete. „Kommen Sie rein, Gajus.“, sagte sie und führte ihn den langen Korridor entlang bis ins Wohnzimmer. Dort setzten sich beide. „Was haben Sie auf dem Herzen?“, wollte die Tindaranerin wissen. „Ich habe gehört, auf dieser Station gibt es eine nihillanische Boje, die Allrounder Betsy mitgebracht hat und deren Zweck Techniker Mc’Knight herausbekommen soll. Es ist möglich, dass ich darüber etwas weiß. Ich würde gern mit ihr gemeinsam daran arbeiten.“ Zirell zog eine Augenbraue hoch. „Ich weiß, was Sie jetzt denken.“, sagte Gajus. „Aber Maron hat im Prinzip sehr geschickte Hände. Sein Ungeschick ist eher psychischer Natur. Bitte lassen Sie uns in die technische Kapsel gehen.“ „Wie Sie meinen.“, sagte die tindaranische Kommandantin und erhob sich vom Sofa. „Folgen Sie mir, Gajus.“

Ich wartete in einem der Aufenthaltsräume auf Shimar. Er war gerade von Sedrin durch die Mangel gedreht worden, wie sich Shannon, die mir gegenüber an einem Tisch saß, ausgedrückt hatte. Auch die blonde Irin hatte von Shimars und meinem Heldenstück erfahren. „Ha’m S’e prima hingekriecht.“, flapste sie. „Mann, die Föderierten rätseln bestimmt immer noch.“ „Nun übertreiben Sie mal nicht gleich, Technical Assistant.“, lächelte ich. „Sie tun ja gerade, als hätten wir sonst was Großes …“ „Also.“, unterbrach sie mich. „Wenn dat nüscht Jroßes ist, zwei prominente Personen zu retten, was dann?“ „Na gut.“, sagte ich. „Sie haben gewonnen.“ „Das will ich doch wohl meinen.“, sagte sie und replizierte uns zwei Gläser Whisky. Ich war peinlich berührt. Eigentlich mochte ich keinen Whisky. Was sollte ich jetzt bloß machen? Vor den Kopf stoßen wollte ich sie nicht.

„Hey, Kleines.“ Jemand hatte dies geflüstert und sich zu mir gesetzt. „Shimar.“, lächelte ich. „Da bist du ja. War es schlimm?“ „Ach, i wo.“, wischte er meine Frage weg. Dann sah er kurz Shannon nach, die den Raum verließ. „Wollen wir zu uns gehen?“, fragte er. Nichts lieber als das., dachte ich. Nur, was machen wir mit diesem fiesen Zeug? Bei meinen letzten Gedanken zeigte ich auf das Whiskyglas. Shannon, die es offensichtlich gewohnt war, hatte das Ihre in einem Zug geleert, bevor sie gegangen war.

Ich bemerkte plötzlich, dass mein Glas samt Inhalt zur Materierückgewinnung schwebte, um dann lautlos darin zu verschwinden. „Oh, shit, sorry, Kleines.“, entschuldigte sich Shimar übertrieben. „Du machst es einem wirklich unmöglich, kontrollierte Gedanken zu haben. Aber das mag ich.“ „Oh.“, sagte ich genau so theatralisch. „Dann sollten wir aber schnell zu uns gehen, bevor da noch was passiert.“ „Ganz deiner Meinung.“, sagte er. Dann nahm er meine Hand und wir gingen.

Sedrin hatte ihre Vernehmungen nach Shimar unterbrochen, um Zirell einen Zwischenbericht abzuliefern. Viel hatte die Agentin noch nicht erfahren können, aber es reichte um dafür zu sorgen, dass sie ihre Hände über dem Kopf zusammenschlagen musste, als sie ihren eigenen Bericht noch einmal las. „So weit ist es also gekommen.“, flüsterte sie. „Die Nihillaner haben es geschafft, dass die Föderation auf ihre eigenen Bürger schießt.“ Sie nahm das Pad in die Hand und ging Richtung Turbolift.

Joran hatte mit einem kleinen Rätsel zu kämpfen. Eine Äußerung Kira Larens hatte ihn nicht in Ruhe gelassen. Deshalb war er in die Simulationskammer gegangen und hatte sich von IDUSA hier sämtliche Könige zeigen lassen, die in Schlachten umgekommen waren. Er selbst trug eine Brille mit Gläsern, die einen speziellen Filter für die Farbe blau enthielten. Wären auch nur Spuren davon im Blut der sterbenden Könige zu finden, würde er sie sehen. Er wusste, die Herrscherfamilie und der Adel im Dunklen Imperium und auch in anderen ähnlich gelagerten Dimensionen unterschieden sich vom einfachen Volk durch telepathische und telekinetische Fähigkeiten. Warum sollte sich das Blut der Könige also nicht in der Farbe von dem des einfachen Volkes unterscheiden?

Er schritt die Reihen ab und untersuchte jeden Blutstropfen, den er finden konnte. Aber alle waren rot. Frustriert warf Joran die Brille in eine Ecke und setzte sich auf einen Felsen.

Plötzlich fror IDUSA das Programm ein. „Was ist der Grund?“, fragte Joran. „Techniker Mc’Knight fragt an, ob sie das Programm mit Ihnen benutzen und eintreten darf.“, erwiderte der Rechner. „Ja.“, sagte der immer noch sichtlich frustrierte Vendar knapp.

Das Programm lief weiter und die Tür der Kammer öffnete sich lautlos, um Jenna Einlass zu bieten. Die hoch intelligente Terranerin sah sich kurz um und schritt dann bestimmt auf Joran zu. Sie setzte sich neben ihn. Vorher hatte sie aber die Brille aufgehoben, auf die sie beinahe getreten war. Jetzt saß sie in der herbstlichen Landschaft, die Joran als Hintergrund ausgewählt hatte, neben ihm und betrachtete die merkwürdige Brille in ihrer Hand. „Ein Blaufilter.“, schloss sie dann. „Kannst du mir mal sagen, was du damit wolltest?“ „Das kann ich, Telshanach.“, antwortete Joran. „Ich wollte herausfinden, ob Könige und Adelige wirklich blaues Blut haben, wie Laren El Bajor gesagt hat.“ „Gott, nein.“, lachte Jenna und legte die Brille auf dem Rand des Felsens ab. „Das sagt man nur so, weil … weil, … Oh.“ Ihr war aufgefallen, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben eine Situation wohl nicht erklären konnte. Deshalb lenkte sie ab: „Hast du gerade Laren El Bajor gesagt?“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Dann kommst du besser mit dem bajoranischen Namenssystem klar, als so mancher Sternenflottenoffizier. Die verwechseln Vor und Nachnamen oft genug, obwohl Bajor schon seit hunderten von Jahren ein Mitglied der Föderation ist. Du kannst dir ruhig was drauf einbilden, es gleich beim ersten Mal richtig gemacht zu haben.“

Während ihrer Worte arbeitete es trotzdem hinter Jennas Stirn. Sie wusste, sie wäre nicht Jenna Mc’Knight, wenn sie nicht wenigstens eine Theorie zum Thema: „Blaues Blut“ auf die Beine stellen könnte. Wenn Shannon jetzt hier wäre, würde sie sicher einen Spruch bezüglich Major Carter und der Frage machen, ob die dem Typen mit der Schlange im Bauch schon einmal so etwas hatte erklären müssen. Der kam ja auch aus einer Welt, in der sich die Herrscher vom einfachen Volk unterschieden. Auf eine solche Idee wie Joran hätte also auch er kommen können, nur hatte man dort keine Simulationskammer.

Jenna konnte dem Sterben nicht länger zusehen. „Bitte sag IDUSA, sie soll das Programm beenden.“, bat sie. „Ich kann so nicht nachdenken.“ Joran warf ihr einen verständigen Blick zu und führte aus, worum sie ihn gebeten hatte. Langsam wurde die normale Umgebung der Simulationskammer wieder sichtbar. Im gleichen Moment kam Jenna die Erleuchtung. „Die Farbe blau.“, begann sie. „War im Mittelalter sehr selten. Ihr Grundstoff, das Indigo, war schwer zu gewinnen und daher sehr kostbar und teuer. Das konnten sich nur die Reichen leisten und die Adeligen und der König waren die Reichsten. Würdest du etwas Kostbares vergießen?“ Joran liebte es, wenn sie ihn oder auch andere durch Fragen in ihre Vorträge einband. „In der Tat nicht.“, antwortete er daher bestimmt. „Siehst du.“, sagte Jenna ruhig.

Joran sprang auf. „Meinst du etwa, Telshanach, dass das Blut der Bauern und Soldaten, das auf unzähligen Schlachtfeldern und bei gefährlichen harten Arbeiten vergossen wurde, als nicht so kostbar angesehen wurde wie das der Herrscher?“ Jenna klatschte in die Hände. „Genau.“, sagte sie. „Dann verstehe ich jetzt.“, lächelte Joran. „Fein.“, sagte Jenna. „Dann sollten wir jetzt gehen. Wir müssen morgen bestimmt beide wieder früh raus.“ Er nickte und sie verließen einträchtig die Kammer.

Sedrin war bei Zirell angekommen und hatte ihr ihren Bericht vorgelegt. „Um Himmels Willen.“, rief die Kommandantin aus, als sie las, was Shimar und ich in unserer Aussage geschildert hatten. „Ich hätte die Föderation nie als so skrupellos erachtet. Sie können doch nicht einfach auf wehrlose Zivilisten schießen!“ „Wie du diesem Bericht entnehmen kannst, Sea Tindarana, können sie es doch.“, erwiderte Sedrin in einem nüchternen Tonfall. „Das sehe ich ja hier schwarz auf weiß.“, sagte Zirell. „Nur glauben möchte ich es nicht.“ „Du wirst es glauben müssen.“, sagte Sedrin. „Es ist die Wahrheit. Ich denke nicht, dass Shimar und Allrounder Betsy uns in der Hinsicht belügen würden.“ „Das denke ich auch nicht.“, sagte die Tindaranerin und schlug die Augen nieder. „Aber manchmal wünschte ich, es wäre so.“ „Das wird ein Wunsch bleiben.“, hielt Sedrin sie auf dem Boden der Realität. „Shimar und der Allrounder sind beide sehr wahrheitsliebend und werden sicher nichts beschönigen, nur um auf deine Gefühle Rücksicht zu nehmen.“ „Das habe ich auch nicht verlangt.“, antwortete Zirell.

Sedrin replizierte sich und ihrer Vorgesetzten einen Fruchtsaft und schlug vor: „Lass uns das Thema wechseln. Ich habe gehört, Gajus arbeitet mit Mc’Knight an der nihillanischen Boje?“ „Da hast du richtig gehört.“, bestätigte Zirell das Gerücht. „Du liebe Zeit.“, flüsterte Sedrin. „Das ist nicht schlimm.“, beruhigte sie Zirell. „Gajus sagt, Maron hätte eigentlich ganz geschickte Hände. Sein Ungeschick sei psychischer Natur. Gajus hofft, ihm das zeigen zu können.“

Sedrin nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas. „Ich hörte, wenn das hier alles vorbei ist, könnte es sein, dass Maron wieder dein erster Offizier wird.“, sagte sie dann. „Je nach dem, wie sich die Situation mit Nihilla entwickelt, könnte das hinkommen.“, bestätigte Zirell. „Zoômell hat auf jeden Fall signalisiert, dass sie bereit wäre, ihn wieder in den Geheimdienst aufzunehmen. Hängt vielleicht damit zusammen, was er für Gajus tut. Vielleicht macht das seine Lüge gegenüber dem Flüchtling in ihren Augen wieder wett.“

Sedrin stand auf und drehte sich um, nachdem sie ihr Glas vollends geleert hatte. „Ich muss gehen.“, erklärte sie. „Es warten noch zwei Vernehmungen auf mich.“ „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps.“, lächelte Zirell ihr nach, während sie zusah, wie der Schatten ihrer ersten Offizierin langsam aus der Tür trat, um dann um einige Ecken zu biegen und im nächsten Turbolift zu verschwinden.

Jenna hatte sich gemeinsam mit Gajus an ihren Arbeitsplatz begeben. Staunend beobachtete die Terranerin das Geschick, mit dem der Nihillaner die Hände ihres Vorgesetzten dirigierte, während sie sich beide mit der Boje beschäftigten. „Ich habe das Gefühl, sie wissen sehr genau, was Sie tun.“, bemerkte Jenna. „Da haben Sie Recht, Techniker Mc’Knight.“, bestätigte Gajus. „Ich habe im Prinzip mitgeholfen, diese Bojen zu entwerfen. Allerdings hatte ich von Anfang an vor, die Informationen darüber den Tindaranern oder anderen zukommen zu lassen, die auf unserer Seite sind.“ „Mit uns meinen Sie den Widerstand, Gajus, nicht wahr?“, fragte Jenna. Sie wusste natürlich genau, wen er meinte. Ihre Frage war also nur rein rhetorischer Natur. Gajus lächelte nur.

Er legte eine der beiden Hälften der Boje vor Jenna hin. „Sehen Sie sich das an, Jenna.“, sagte er. „Diese Komponente befähigt die Boje, eine Strahlung zu erzeugen, die den so genannten dimensionären Wurzelknoten, an dem eine jede Dimension hängt, zerstören kann. Wäre sie ausgesetzt worden, dann …“ „Unvorstellbar!“, fiel ihm Jenna schaudernd ins Wort. „Ich ahnte, Sie würden verstehen.“, sagte Gajus. „Das Virus, das ich schreiben werde, ist also extrem wichtig.“, schloss Jenna. Der Nihillaner ließ Marons Kopf nicken.

Jenna setzte sich an eine Arbeitskonsole und begann mit dem Schreiben des Programms. Dieses sollte allen Bojen die Selbstzerstörung befehlen. „Ich werde Sie selbstverständlich noch einmal drüber schauen lassen.“, lächelte sie Gajus zu. „Darum möchte ich auch gebeten haben.“, lächelte dieser zurück.

„Bitte halten Sie einen Moment inne.“, bat er dann. Jenna ließ von ihrer Konsole ab und wandte sich ihm wieder zu. „Was gibt es?“, fragte sie verständig. „Maron möchte kurz mit Ihnen reden.“, sagte Gajus. „Er ist mit etwas unsicher, bei dem nur Sie ihm helfen können.“ „Ich weiß zwar nicht, was das sein soll.“, erwiderte Jenna. „Aber nur zu.“

Sie sah, wie sich Marons Augen schlossen, um sich aber im nächsten Augenblick genau so schnell wieder zu öffnen. Der Gesichtsausdruck hatte sich ebenfalls verändert. Jenna sah in ein etwas unsicheres Gesicht. Das war sie von ihrem ehemaligen Vorgesetzten nicht gewohnt. Als Maron noch Zirells erster Offizier war, hatte er zwar seine kleinen Unzulänglichkeiten, aber so unsicher wie jetzt war er noch nie.

Sie griff seine Hand und zog ihn zu einem Sitz. „Bitte setzen Sie sich, Sir.“, sagte sie. „Was ist das für eine Sache, bei der nur ich helfen kann? Ich meine, ich bin Technikerin und keine Psychologin.“ „Sie sind nicht nur eine Technikerin, Mc’Knight.“, begann er. „Sie sind eine besondere Kameradin, die eine besondere Erfahrung hat.“ „Grandemought.“, schloss Jenna. „Genau um ihn geht es.“, bestätigte Maron. „Ich weiß nicht, ob ich das alles richtig mache. Manchmal habe ich das Gefühl, Gajus einzuengen oder gar seine Pläne zu sabotieren, ohne dass ich es selbst merke. Vor einer Sache habe ich furchtbare Angst, Mc’Knight. Furchtbare Angst.“ „Was meinen Sie damit, Sir, Sie würden seine Pläne behindern?“, fragte Jenna verständig. „Es geht hauptsächlich um Eludeh.“, sagte Maron. „Aus Rücksicht auf mich wollte sie ihrem Mann nicht nah sein. Ich habe mich so sehr zurückgenommen, wie ich konnte und Gajus hat mir gesagt, ich hätte nichts Falsches getan, aber die Tatsache, dass sie mich noch gespürt hat, bedeutet …“ „Sir!“, rief Jenna aus. „Das hier.“, sie zeigte auf den Körper des Demetaners. „Ist immer noch Ihr Körper und Sie stecken drin. Es ist also ganz logisch, dass Eludeh Sie telepathisch wahrgenommen hat. Wenn Gajus Ihnen sagt, Sie haben alles richtig gemacht, dann müssen Sie ihm einfach vertrauen. Zwischen Grandemought und mir gab es solche Augenblicke auch. Aber ich habe ihm letztendlich einfach vertraut. Und wo vor haben Sie solche Angst?“ „Vor dem, was Sedrin mit Gajus vorhat.“, erwiderte Maron. „Nein.“, fuhr er fort. „Es ist eher das, was Gajus vorhat. Sedrin hat ihm angeboten, dass sie mit ihm ins Kinderheim nach Tindara fliegt. Dort wollen wir dann Gajus’ und Eludehs Sohn besuchen. Gajus verfolgt irgendeinen Plan, den ich nicht kenne. Ich weiß nur, dass er mir irgendwann für kurze Zeit die Kontrolle geben wird. Was ist, wenn ich das Kind fallen lasse, oder …“ „Es werden mit Sicherheit genug Leute um Sie herum sein, die das Schlimmste verhindern werden.“, tröstete Jenna. „Zum Beispiel Sedrin und Eludeh. Ich bin überzeugt, keine von beiden wird zulassen, dass Centus-Shimar ein Leid geschieht.“ „Ihr Wort in Mutter Schicksals Gehörgang, Mc’Knight.“, sagte Maron ungläubig. „Nun ja. Ich sollte vielleicht dafür sorgen, dass Sie weiter arbeiten können.“ Er gab Gajus die Kontrolle zurück.

Jenna wandte sich wieder der Konsole zu. „Agent Sedrin hat Zirell einen interessanten Vorschlag gemacht.“, erklärte sie, während sie Programmbefehle in die Konsole tippte. „Den kenne ich auch.“, sagte Gajus. „Der Agent will der Regierung der Tindaraner den Vorschlag machen, dass wir die präparierte Boje als Versöhnungsgeschenk an die Nihillaner zurückgeben. Ich glaube sogar, die Zusammenkunft ist bereits damit einverstanden.“ „Deshalb sollten wir uns jetzt sputen.“, schlug Jenna vor.

Sedrin war mit der Vernehmung der Bajoraner beschäftigt. Viel hatte die Demetanerin bisher nicht erfahren können. Die Erste Ministerin hatte ihr nur gesagt, dass sie unbedingt nach Tindara wollte, um zu berichten, was die Nihillaner sich für fiese Foltermethoden einfallen lassen hatten, um den Bajoranern das Leben zur Hölle zu machen. Dieser Plan hatte ja auch funktioniert. Sie hatte Sedrin gebeten, Shimar und mir ihren Dank auszurichten. Mehr konnte sie aber nicht aussagen. Deshalb hatte Sedrin die hoch gewachsene ältere Frau mit den kurzen schwarzen Haaren auch bald aus der Vernehmung entlassen. Das Verhör des Kai, eines kleinen dicken Mannes mit flammend rotem Haar jedoch, schien interessanter zu werden. „Agent, ich hatte gerade eine Drehkörpererfahrung, als die Propheten ein großes Unheil auf sich zukommen sahen. Was sie mir sagen wollten, konnten sie nicht mehr.“, schilderte der Kai. Dabei wurde sein Gesicht immer verzerrter, denn er war hoch bestürzt. In Stichworten notierte Sedrin seine Aussage. Später würde sie alles noch einmal von IDUSA serviert bekommen, die das Verhör aufzeichnete. „Benötigen Sie eine Pause, Eminenz?“, fragte Sedrin verständnisvoll. „Nicht nötig.“, sagte ihr Gegenüber. „Ich habe mich schon wieder gefangen. Es ging ja danach nicht mehr so traurig weiter. Ich habe plötzlich etwas Merkwürdiges gesehen. Ich sah etwas wie einen Strahl, der den Propheten, mit dem ich in Kontakt war, einhüllte. Dann spürte ich, wie er in etwas hineingezogen wurde. Aber von dem Etwas ging keine Gefahr für ihn aus. Im Gegenteil. Es wollte nichts mehr, als ihm helfen. Er fühlte sich unglaublich wohl dort, wo er war, Agent. Können Sie mir das erklären?“ „Kann ich.“, sagte Sedrin nüchtern. „Sie haben die Rettung der Propheten durch die Vendar hautnah erlebt. Was Sie gesehen haben, war ein Transporterstrahl und der Ort, an dem der Prophet jetzt ist, ist die Sifa eines Vendar. Diese Wesen können Geistwesen, wie es die Propheten sind, in ihren Körper aufnehmen und stabilisieren, wenn es nötig sein sollte.“

Er warf Sedrin einen fast ehrfürchtigen Blick zu. „Ich bin diesen Vendar sehr dankbar.“, sagte er. „Wo sind die jetzt?“ „Sie sind auf einem Planeten ganz in der Nähe.“, antwortete Sedrin. „Wenn Sie ihnen etwas sagen wollen, kann ich Sie mit ihrer Anführerin verbinden.“ Der Kai nickte. „Gut.“, sagte Sedrin und wandte sich zum Stationsavatar: „IDUSA, eine Verbindung mit Sianach.“

Während der Avatar die Verbindung herstellte, versuchte Sedrin, dem Kai schonend beizubringen, was gleich auf ihn zukommen würde. „Haben Sie schon einmal mit einem Neurokoppler gearbeitet?“, fragte sie und hielt den einem Haarreif ähnelnden Gegenstand in die Höhe. „Nein.“, erwiderte der Bajoraner. „Es ist im Grunde nicht schlimm.“, sagte Sedrin. „IDUSA wird Sie gleich untersuchen und eine so genannte Reaktionstabelle von Ihnen erstellen. Dann ist sie in der Lage, Ihnen das Bild Sianachs direkt vor ihr geistiges Auge zu projizieren. Sie können dann ganz normal mit ihr sprechen.“ Die Demetanerin vermied absichtlich technische Details. „Langsam erschreckt mich nichts mehr.“, antwortete der Kai und nahm das Teil aus ihrer Hand entgegen, um es sich auf den Kopf zu setzen. „Richtig.“, lobte Sedrin.

Wenige Sekunden später sahen sie und der Kai in das Gesicht der Vendar-Anführerin. „Wer ist der Bajoraner an deiner Seite, Sedrin El Demeta.“, wollte Sianach wissen. „Das ist Kai Ro Benjan.“, erklärte Sedrin. „Er ist so etwas wie der höchste Priester der Bajoraner. Er möchte dir etwas sagen.“ „Was ist dein Begehr, Benjan El Bajor?“, fragte Sianach. „Ich möchte mich bei dir und deinesgleichen für die Rettung unserer Götter bedanken.“, begann das geistige Oberhaupt. „Sei gewiss, dass wir dies gern getan haben.“, erwiderte Sianach. „Wir wissen, dass die Nihillaner auf dem falschen Weg sind und auf keinen Fall damit durchkommen dürfen, was sie vorhaben. Mach dir keine Sorgen. Wir werden gut auf deine Götter und die deines Volkes achten. Das schwöre ich.“ Sie beendete das Gespräch.

Evain hatte sich mit Ethius in dessen Büro getroffen, nachdem dieser eine Nachricht der Zusammenkunft erhalten hatte. „Was halten Sie vom Friedensangebot der Tindaraner, Evain?“, wollte er von der Oberkommandierenden wissen. „Ich halte es für eine List, Allverstehender Präsident, wenn ich ehrlich sein soll.“, antwortete Evain. „Sicher haben die irgendwas mit unserer Boje angestellt und wollen sie uns jetzt nur zurückgeben, um unsere Bemühungen, eine neue dimensionäre Ordnung zu schaffen, zu sabotieren. Aber das können wir auch. Die Tindaraner müssen ja nicht erfahren, dass wir die Boje längst ersetzt haben. Wir sollten zulassen, dass sie uns die präparierte Boje zurückgeben. Erst im allerletzten Moment, kurz bevor wir das Netzwerk aktivieren, sollten wir unsere neue Boje platzieren, die den Platz der alten eingenommen hat, was die anderen Bojen längst wissen. Mit der präparierten Boje wird also keine der anderen Kontakt aufnehmen. Dann stehen sie da mit ihrem Talent. Dann kann ihnen auch Techniker Jenna Mc’Knight nicht mehr helfen, in die sie doch so große Hoffnungen gesetzt haben.“ Ethius setzte ein diabolisches Grinsen auf. „Oh, Evain.“, sagte er. „Sie haben meinen Plan noch perfektioniert. Wie machen Sie das nur?“ „Frauen sind viel durchtriebener als Männer.“, antwortete Evain. „Das ist in den meisten Spezies so und auch wissenschaftlich erwiesen.“ Ethius lachte dreckig.

Shimar war kurz bei Zirell gewesen. Als er zurückkam, hielt er etwas in der Hand, mit dem er vor meiner Nase herumwedelte. „Was ist das?“, fragte ich neugierig. „Eine Freistellung.“, antwortete er. „Die Zusammenkunft hat mir Urlaub gewährt, der nicht von meinem eigentlichen abgezogen wird. Es ist sozusagen ein Geschenk, weil wir die beiden hochgestellten Bajoraner gerettet haben. Zirell hat angeboten, dass ich nach Tindara fliege, aber dann bist du so weit weg.“ Er zog mich an sich und küsste mich. Dann fuhr er fort: „Du kannst so etwas sicher nicht von deiner Regierung erwarten. Für die sind das ja Verräter.“ „Stimmt.“, bestätigte ich. „Zumindest wird das so lange so sein, wie die Sache mit Nihilla andauert. Deine Leute werden so lange mit der Föderation Krieg führen, bis Nugura vernünftig geworden ist und alle Machenschaften der Nihillaner aufgeklärt sind. Vermisst du eigentlich irgendwas aus der Zeit, als die Föderation und Tindara noch politische Freunde waren?“ Er drückte mich erneut fest an sich. „Ich habe alles von der Föderation hier, was ich will.“, flüsterte er dann. „Shimar.“, seufzte ich. „Ich meine es ernst.“ „Ich auch.“, sagte er mit unschuldigem Ton. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ernst ich es meine. Aber in gewisser Weise hast du schon Recht. Ich vermisse so manche Simulation. Simus schreiben könnt ihr nämlich besser als wir. Es gibt da ein terranisches Programm. Hast du schon mal was vom Segelfliegen gehört?“ Ich stutzte. Jemand wie Shimar, der warpfähige Schiffe fliegen konnte, schwärmte für ein Segelflugprogramm. „Es ist einfach magisch. Nur der Wind, das Flugzeug und du. Du musst viel mehr auf dein Wissen über Flugphysik in Atmosphären zurückgreifen und …“

Ich befreite mich aus seiner Umarmung und ging zu meinem Koffer, der neben dem Bett stand. Darin kramte ich eine Weile herum. Dann hielt ich ihm grinsend einen Datenkristall unter die Nase. „Zum Gedenken an meinen Großvater.“, las Shimar laut von der Hülle ab. „Was bedeutet das?“ „Komm mit.“, lächelte ich.

Kapitel 24: Die Ruhe vor dem Weltuntergang

von Visitor

 

Wir gingen zum nächsten Turbolift und fuhren in die Freizeitkapsel. Hier schlugen wir den Weg zu den Simulationskammern ein. „Ich frage mich, Kleines, was ich mit den Erlebnissen zu schaffen habe, die du mit deinem Großvater verbindest.“, bemerkte Shimar. „Genau darauf sollten die Kontrollettis auch reinfallen, falls die Sicherheit mal meine Tasche filzt.“, sagte ich. „Die sollten denken, es handle sich um Tagebucheinträge oder so etwas. Sie wissen es ja Gott sei Dank nicht besser.“ Shimar staunte. Dann sah er mir zu, wie ich den Kristall ins Laufwerk schob. „IDUSA darf keine Sternenflottenprogramme oder welche von der Föderation installieren, seit Krieg herrscht.“, erinnerte er mich. „Keine Angst.“, lächelte ich. „Ich kenne da so meine Methoden. Jannings hat mir mal gezeigt, wie ich eine Simulation direkt vom Kristall starten kann, ohne sie zu installieren.“

Ich gab eine Befehlskette in die Konsole ein, worauf uns bald die uns beiden wohl bekannte Umgebung aus der Simulation gezeigt wurde. „Wow.“, staunte Shimar.

Jemand kam um die Ecke geschlurft. Shimar konnte einen ca. 80-jährigen Mann mit grauem Bart, leichtem Bauchansatz und Arbeitskleidung erkennen. Außerdem hatte er eine Vollglatze. „Hallo, Mäusken.“, begrüßte mich der Mann auf Deutsch. „Moin, Opa.“, gab ich in gleicher Sprache zurück. „Das ist Shimar.“, erklärte ich dann weiter. „Heute musst du mich nicht dirigieren. Das macht er.“ „Dann sag ihm, er soll gut auf meinen Augapfel achten.“, sagte der Alte. „Aber ich darf doch wenigstens auf der Bank sitzen und zusehen.“ „Aber sicher.“, lächelte ich.

Die Simulation meines Großvaters schlurfte zur Bank hinüber. „Worum ging es zwischen euch?“, erkundigte sich Shimar, während wir zum Flugzeug, das bereits an der Winde hing, hinüber gingen. „Ich habe kein Wort verstanden.“ „Er will, dass du gut auf mich aufpasst.“, übersetzte ich ins Englische, was er auf Deutsch gesagt hatte. „Außerdem dirigiert er mich sonst von hinten. Dieses Ding hat ja keinen Bordcomputer, auf den ich mein Spezialprogramm spielen könnte. Jannings hat meinen Großvater eingefügt und …“ „Schon klar.“, sagte Shimar. „Aber wie wäre es, Kleines, wenn ich heute mal übernehme und du einfach nur hinten sitzt und dich entspannst.“ „OK.“, erklärte ich mich einverstanden.

Jemand kam auf uns zu und nahm auf dem Fahrersitz des Traktors platz. „Meisje!“, begrüßte mich der Mann mittleren Alters, der lockere Kleidung trug und einen starken niederländischen Akzent hatte. „Wen hast du denn da mitgebracht?“ „Das ist Shimar.“, stellte ich Shimar erneut vor. Da weder Peet, so hieß der Windenfahrer, noch mein Großvater Englisch sprachen, musste ich das übernehmen. „Du hast das Programm wohl lange nicht mehr benutzt, Kleines.“, stellte Shimar fest. „woher weißt du das?“, fragte ich. „Das sehe ich an der Art und Weise, wie er dich begrüßt hat.“

„Dann mal rein mit euch in die Wanne.“, ermunterte uns Peet in einem von einem starken Akzent gefärbten Deutsch. Weil er dabei auf das Flugzeug gezeigt hatte, verstand auch Shimar.

Wir verstauten und verschnallten uns und dann führte Shimar das Kabel des Sprechgerätmikrofons zu mir nach hinten. „Mach du das lieber.“, sagte er. „Mein Deutsch ist mies.“ Ich lächelte und drückte die Sendetaste: „Kann losgehen, Peet!“

Wir hörten ein lautes Motorengeräusch und die Sache kam im Wortsinn ins Rollen. Shimar zog sanft aber bestimmt den Steuerknüppel zu sich. Dann hörte ich ein leises „Wush“, gefolgt vom Aushaken der Seile. „Du kannst ja nicht nur alles fliegen, das einen Antrieb hat, sondern auch alles, was keinen hat.“, staunte ich. „Hattest du etwas Anderes erwartet, Kleines?“, fragte Shimar stolz zurück. Ich schüttelte den Kopf.

Wir drehten einige Platzrunden, dann meldete sich Peet, um uns zu sagen, dass sich die Thermik verschlechterte. Deshalb kehrten wir so schnell wie möglich zurück. Auch die Landung klappte auf Anhieb, was die Simulation meines Großvaters sehr erstaunte. „Sag dem jungen Mann bitte, dass ich schwer beeindruckt bin, Mäusken.“, bat Opa mich zu übersetzen, nachdem er mir beim Aussteigen geholfen hatte. „Werde ich ausrichten.“, erwiderte ich.

Das Programm wurde plötzlich beendet. Jetzt sahen wir nur IDUSA, die sich uns mit aufgeregtem Gesicht zeigte. „Zirell bittet alle in die Kommandozentrale.“, sagte der Avatar. „Es geht um ein Ereignis auf Khitomer, zu dem wir eingeladen werden sollen.“ „Gehen wir.“, sagte ich.

Zirell stand in der Mitte der Kommandozentrale, als Shimar und ich eintrafen. Mein tindaranischer Gefährte zählte durch und stellte fest, dass Joran und Sedrin fehlten. Auch von Eludeh oder Gajus beziehungsweise den bajoranischen Zivilisten war nichts zu sehen. Wenn IDUSA alle gesagt hatte, musste Zirell ihr das so befohlen haben und alle schloss auch jeden Zivilisten mit ein. Hätte Zirell es nicht so gewollt, hätte sie den Rechner sicher nur die Besatzung in die Zentrale rufen lassen.

„Joran und Sedrin werden später informiert.“, nahm die geschulte Telepathin meine Frage vorweg. ‚Ähnlich werden wir mit dem Kai und der Ersten Ministerin verfahren. Wir werden einen Weg finden müssen, ihnen das schonend beizubringen, was wir jetzt gleich sehen werden. Joran und Sedrin sind mit Eludeh und Gajus im Kinderheim auf Tindara. Sie besuchen dort Centus-Shimar. IDUSA versucht bereits, sie zu erreichen, damit sie so schnell wie möglich mit dem Shuttle zurückkehren. IDUSA, die Nachricht von Nihilla abspielen.“

Auf Zirells Befehl lud der Stationsrechner alle Reaktionstabellen in einen Simulator im Raum. Vor unseren geistigen Augen erschien zuerst ein virtueller Bildschirm, auf dem bald das fischäugige Gesicht Ethius’ zu sehen war. „Ich habe von der Zusammenkunft, der Regierung der Tindaraner also, ein akzeptables Friedensangebot erhalten.“, sagte die für meine Ohren extrem nach Größenwahn klingende Stimme des nihillanischen Staatsoberhauptes. „Ich bin gewillt, es anzunehmen. Anscheinend haben die Tindaraner endlich verstanden, dass gegen uns kein Kraut gewachsen ist und jegliche Götter, die ihnen nicht helfen können, weil es sie nicht gibt, einfach nur eine Ausrede für Dinge sind, die sie sich nicht die Mühe machen wollten, wissenschaftlich zu erklären. Aber diese Mühe haben wir uns gemacht. Deshalb sind wir heute in der Lage, ein Universum neu zu erschaffen, in dem es unsere Feinde einfach nicht mehr geben wird, oder besser noch, sie haben nie existiert. Wir haben uns entschlossen, auch die Tindaraner an diesem denkwürdigen Akt der Neuschöpfung teilhaben zu lassen. Deshalb laden wir eine Delegation nach Khitomer ein. Gemeinsam mit der Föderation, deren Feinde wir selbstverständlich ebenfalls in der Neuschöpfung nicht vorgesehen haben, werden wir in ein neues Zeitalter schreiten.“ Die Übertragung endete.

Mir wurde übel. Der hat nicht mehr alle Kerzen am Kronleuchter., dachte ich. Ganz deiner Meinung, Kleines., gab Shimar zurück.

„Die Zusammenkunft will, dass wir auf die Einladung eingehen.“, erklärte Zirell. „Schließlich muss jemand die Boje zurückgeben und die befindet sich nun einmal auf meiner Basis.“ „Entschuldige, Zirell.“, meldete sich Shimar zu Wort. „Aber wir passen nicht alle in das Shuttle. Falls die Zivilisten dabei sein wollen …“ „Keine Sorge.“, tröstete die tindaranische Kommandantin. „Das bajoranische Schiff ist ja auch noch da. Es wird nur jemanden brauchen, der es fliegt.“ „Ich übernehme das.“, sagte ich. Ich hoffte, dass mich das von meinen trüben Gedanken ablenken würde. Was bildeten diese Nihillaner sich ein?! Nur, weil sie eine so genannte Urknallmaschine besaßen, meinten sie, einfach so ein neues Universum und neue Dimensionen schaffen zu können, wie es ihnen beliebte. Ich verstand zwar gerade genug von Astrophysik, um ein Schiff im Universum schadensfrei fliegen zu können, mehr brauchte ich als Pilotin und SITCH-Offizierin ja auch nicht, aber trotzdem sagte mir ein kleines gemeines Bauchgefühl, dass hier etwas gewaltig schief gehen würde.

„Schön, Betsy.“, sagte Zirell. „Aber nimm besser alle Zivilisten mit. Ich will nicht, dass sie mit uns in einem Shuttle sitzen. Am Ende rutscht einem von uns noch was raus und dann kriegen sie Angst bis Oberkante Unterlippe.“ „Hey!“, mischte sich Shannon ein. „Sprüche zu klopfen ist mein Job!“ Zirell lächelte. Dann sah sie fragend zu Jenna hinüber. „Die Boje ist bereit, Zirell.“, erklärte die terranische Technikerin.

Joran hatte Sedrin und die beiden Nihillaner, beziehungsweise Eludeh und Gajus in Marons Körper, nach Tindara gebracht. Hier sollte er laut Sedrins Befehl mit IDUSA in der Umlaufbahn warten. Sedrin war mit Eludeh und ihrem Mann auf die Planetenoberfläche gebeamt. Die Demetanerin hielt es für besser so. Sie wäre in der Lage, den zivilen Erziehern im Heim die seltsame Situation um Gajus zu erklären.

Sie betraten das Gebäude. „Wir werden uns zunächst beim Empfang melden.“, sagte Sedrin. „Gajus, ich halte es für besser, wenn Sie das Reden zunächst mir überlassen.“ „Wie Sie möchten.“, sagte Gajus und warf ihr einen milden Blick zu. „Halten Sie es wirklich für gut, wenn wir einem völlig ahnungslosen Rezeptionisten erklären, was mit meinem Mann passiert ist?“, erkundigte sich Eludeh. „Die Tindaraner sind Telepathen.“, verteidigte Sedrin ihre Argumente. „Ich bin überzeugt, der weiß eher was los ist, als wir denken.“

Vor einem Tresen stoppten sie. Sedrin betätigte einen Sprechanlagenknopf an der Außenseite eines Fensters, worauf sich dieses öffnete. Ein etwa 150 cm messender Tindaraner streckte den Kopf heraus, den eine verspielte Lockenpracht zierte. „Ich bin Agent Sedrin Taleris-Huxley, das ist Eludeh und das ist Gajus.“, stellte Sedrin alle knapp vor. „Gajus und Eludeh möchten ihren Sohn, Centus-Shimar, besuchen. Ließe sich da was machen?“ „Einen kurzen Augenblick bitte.“, lächelte der Tindaraner und verschwand wieder in sein Anmeldehäuschen. Kurze Zeit danach tauchte eine ungefähr genau so kleine junge Tindaranerin auf. „Ich bin Sarimell.“, stellte sie sich mit hoher lieber Stimme vor. „Ich bin Erzieherin in Centus-Shimars Gruppe. Kommen Sie mit. Ich bin sicher, der Kleine wird sich sehr freuen, seine Eltern zu sehen.“ Sie drehte sich zu Sedrin. „Und Sie, Agent.“, lächelte sie. „Sie müssen gar nichts erklären. Dass ihr Militärglucken auch immer denkt, uns bemuttern zu müssen. Ich bin Telepathin. Ich weiß längst, dass Ihr Schulfreund dem stolzen Vater seinen Körper geliehen hat.“ Sedrin schaute ertappt.

Die Tindaranerin wuselte voraus und bald kamen sie in eine hell eingerichtete Wohngruppe. Hier hatte jedes Kind sein eigenes kleines Zimmer. Sarimell aber führte sie an den Zimmern vorbei in einen großen Raum. Hier saß ein tindaranisches Mädchen auf einem Teppich. Vor ihr saß der kleine Centus-Shimar. Die Kleine stand auf und sagte etwas zu Sarimell auf Tindaranisch, worauf diese sich zu dem kleinen Nihillaner herabbeugte und in Entzücken ausbrach. Mit seinen Froschfüßen war es ihm tatsächlich gelungen, zwei Schaumstoffwürfel aufeinander zu schichten. „Minell sagt, sie hat es ihm nur einmal zeigen müssen.“, stellte Sarimell fest. „Für fast noch ein Baby lernt er verdammt schnell.“ „Das macht sicher Ihre liebevolle Betreuung.“, lächelte Eludeh und nahm ihren Sohn auf den Arm. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie wollte ihn am Liebsten gar nicht mehr loslassen. „Bitte, Eludeh, gib ihn mir einmal.“, bat Gajus. „Ich werde keine Gelegenheit mehr dazu haben, wenn ich Marons Körper wieder verlassen muss.“ „Aber natürlich, Daddy.“, foppte Eludeh und übergab das Kind. Gajus wurde schier von seinen Vatergefühlen überwältigt. Sogar Tränen stiegen ihm in die Augen.

Sedrin ließ Gajus nicht aus den Augen. Sie sah bald jene Veränderung, die sie auch gesehen hatte, als Gajus und Maron den Kontrollwechsel vorgenommen hatten. Nach einigen Sekunden wiederholte sich das Augenspiel.

Bevor die Agentin allerdings nachfragen konnte, wurde sie von ihrem Sprechgerät aus der Situation geholt. Am Rufzeichen im Display erkannte sie, dass am anderen Ende Joran an Bord von IDUSA sein musste. „Vergib mir, Agent Sedrin.“, entschuldigte sich der Vendar. „Aber wir müssen zurück. Anführerin Zirell sagt, es geht um die Nihillaner.“ „Schon gut.“, sagte Sedrin. Dann verabschiedeten sich alle von Centus-Shimar und seiner Betreuerin, bevor Sedrin das Zeichen zum Beamen gab. Sie wusste, das, was jetzt kam, konnte nur Unheil bedeuten.

Jenna hatte das bajoranische Schiff gewartet und ich wartete jetzt auch. Ich saß im Cockpit und erwartete Gajus, Eludeh, den Kai und die Erste Ministerin.

Plötzlich öffnete sich die Luke und Jenna stieg zu mir an Bord des Schiffes. „Wir haben noch was vergessen.“, erklärte sie und schob einen Datenkristall ins Laufwerk des Rechners. „Ich muss noch Ihr Spezialprogramm installieren.“ „Tun Sie sich keinen Zwang an.“, sagte ich und rutschte zur Seite. Sie gab einige Befehle in die Konsole ein.

Mir war ihr Verhalten etwas seltsam vorgekommen. Normalerweise war sie nicht so nachlässig. Ich war überzeugt davon, dass sie in Wahrheit nur einen Grund gesucht hatte, mit mir allein zu sprechen. „Jenn’.“, sprach ich sie an. „Sie haben das doch mehr oder minder aus Versehen mit Absicht vergessen, nicht wahr?“ „Ihnen kann man nichts vormachen.“, sagte sie. „Aber ich muss tatsächlich mit Ihnen reden. Haben Sie bei Ihrem Aufenthalt auf Nihilla irgendetwas bemerkt, das Sie schließen lässt, ob die Nihillaner unter Umständen meinen Plan mit dem Virus voraussehen konnten?“ „Ups.“, machte ich. Ich hatte so etwas schon geahnt. Jenna galt zwar bei uns als technisches Genie, das musste aber nicht bedeuten, dass es nicht irgendwo intelligentere Wesen gab oder mindestens Wesen, die ihr an Intelligenz ebenbürtig waren und die tatsächlich ihren Plan hätten erraten können.

Ich stand auf und sagte ihr direkt ins Gesicht: „Ich will ehrlich sein, Techniker. Die Nihillaner sind sehr intelligent. Ihre politischen Wahlen werden nicht auf demokratischem Wege entschieden, sondern durch IQ-Tests. Der oder die Intelligenteste wird Staatsoberhaupt. Ich persönlich halte für möglich, dass sogar Ethius selbst Ihnen auf die Schliche kommen könnte.“ Sie schien wenig überrascht. „Das dachte ich auch schon.“, sagte sie in ruhigem nüchternen Ton. „Nur alle anderen glauben das nicht. Ich will nur nicht, dass wir nachher eine böse Überraschung erleben.“ „Darauf kann ich auch gut verzichten.“, pflichtete ich ihr bei. „Haben Sie darüber schon mal mit Zirell oder Sedrin gesprochen?“ „Gott bewahre.“, sagte Jenna. „Die Beiden würden mich sicher für verrückt erklären, wenn ich an meinem eigenen Plan zweifeln würde.“ „Sie müssen es ja nicht so ausdrücken, dass man merkt, dass Sie Zweifel haben. Sie können es ja mehr als Warnung und als Wahrscheinlichkeit formulieren.“, schlug ich vor. „Und wie formuliert man so etwas, Frau Kommunikationsoffizier?“, fragte sie scherzend zurück.

Bevor ich ihr helfen konnte, die richtigen Worte zu finden, deutete sie auf das Seitenfenster des Schiffes. „IDUSA kommt zurück.“, sagte sie. „Shannon und ich werden sie jetzt überprüfen und ich denke, dann müssen wir los. Zirell und Sedrin wollen meines Wissens nach keine Zeit verlieren. Er ist ja jetzt auch fertig.“ Bei ihrem letzten Satz deutete sie auf die Computerkonsole und entfernte den Datenkristall. Dann verließ sie das Shuttle.

Wenige Minuten später waren alle um- und eingestiegen und wir waren gestartet. Shimar flog mit IDUSA voraus. In ihrem Hecktraktorstrahl befand sich unsere Boje. Ich blieb mit dem bajoranischen Schiff da hinter. Mein Spezialprogramm hatte Befehl, uns an IDUSAs Antriebsspur zu orientieren.

Plötzlich öffnete sich die Tür zwischen Cockpit und der Achterkabine und Eludeh stand hinter mir. „Kann ich kurz mit dir reden, Betsy?“, formulierte sie eine zögerliche Frage. Ich aktivierte den Autopiloten. „Nur zu.“, sagte ich und drehte mich zu ihr. „Es tut mir leid, dass ich dich für eine Weile so gehasst habe.“, entschuldigte sie sich, nachdem sie sich neben mich gesetzt hatte. „Schwamm drüber.“, sagte ich. Sie sah mich irritiert an. „Oh.“, machte ich. „Das ist ein terranisches Sprichwort. Es heißt, dass alles vergessen ist.“ „Aber ich …“, begann sie. „Scht.“, machte ich leise und strich ihr durch ihr Haar. „Weißt du, eigentlich habe ich deinen Hass als Kompliment gesehen.“, erklärte ich. „Das ist mir zu schräg.“, gab sie zu. „Erklär mal.“ „Ganz einfach.“, sagte ich. „Du als Telepathin hast sogar geglaubt, dass ich auf der Seite eures Militärs sei. Das sehe ich als Kompliment an meine schauspielerische Leistung.“ „OK.“, lächelte sie. „Dann Schwamm drüber meine Unsicherheit.“ Ich musste lachen. „Wenn, dann heißt es: Schwamm über meine Unsicherheit. Aber eine solche Interpretation des Sprichwortes habe ich auch noch nie gehört.“ „Ich kann eben auch schräg.“, lächelte sie, stand auf und verließ das Cockpit.

Ich bekam mit, wie sich Gajus und Eludeh quasi die Klinke in die Hand gaben. Gajus näherte sich mir jetzt mit festem Schritt. „Schließen Sie die Tür, Allrounder!“, sagte er befehlsgewohnt. Einen solchen Kommandoton hatte ich sonst nie bei ihm bemerkt. Eigentlich erinnerte mich dieses Verhalten eher an das eines hochrangigen Sternenflottenoffiziers gegenüber einer Untergebenen. Trotzdem befahl ich dem Computer, die Tür zu verriegeln.

Gajus setzte sich neben mich. Zumindest war ich der Ansicht, es handle sich noch immer um Gajus, obwohl sich langsam Zweifel an dieser Tatsache in mir breit machten. „Ich brauche Sie und Ihr geschultes Gehör, Allrounder.“, sagte er dann. Wieder hatte er eine Art zu formulieren genutzt, wie ich sie einem nihillanischen Zivilisten nicht zutraute. Jetzt war es amtlich! Es musste Maron sein, mit dem ich jetzt sprach. „Worum geht es denn genau, Sir?“, fragte ich salutierend. „Gut erkannt.“, lobte er. „Gajus hat meinen Körper verlassen, nachdem wir aus dem Kinderheim zurückgekehrt waren. Er sagte, er wolle mir nicht länger zur Last fallen. Ich habe ihm gesagt, dass er dies nicht täte, aber er war anderer Meinung. Er hat sich nur sehr überschwänglich bei mir bedankt, dass ich ihm ermöglicht habe, mit meinen Armen sein Kind zu halten und mit meinen Lippen noch einmal seine Frau zu küssen usw. Aber darum geht es eigentlich nicht.“ Er machte eine Pause. Ich sah ihn erwartungsvoll an. „Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache.“, fuhr er dann fort. „Offen gesagt, halte ich Ethius für verrückt. Ihm ist sein Glaube an die Wissenschaft zu Kopf gestiegen.“

Ich ließ seine letzten sechs Worte auf mich wirken. „Glaube an die Wissenschaft.“ Im Grunde hatten die Nihillaner ja jetzt eine Religion, auch wenn sie das leugneten. Die Wissenschaft war zu ihrer Religion geworden. Das empfand ich als sehr ironisch. Eigentlich waren sich Religion und Wissenschaft ja spinnefeind. So etwas konnte ja nicht gut gehen.

„Was hat jetzt mein Gehör damit zu tun?“, drängte ich ihn zum Weiterreden. „Können Sie hören, ob jemand noch ganz bei sich ist, wenn er etwas sagt?“, fragte Maron. „Ich bin keine Psychologin, Agent.“, erwiderte ich. „Aber wenn man von Ethius’ Redeweise ausgeht, dann glaube ich, bei allem Respekt, Sir, dass er einen ziemlichen Haschmich hat. Das sagt mir sein überspitzter Tonfall, die fast kippende Stimme und die größenwahnsinnigen Formulierungen. Der hält sich wahrscheinlich für einen Gott. Aber das tut nicht nur er. Bei meinem Aufenthalt auf Nihilla musste ich feststellen, dass die Meisten das auch tun.“ „Und das tun sie … Warum?“, fragte Maron. „Weil er der Intelligenteste ist.“, antwortete ich. „Sie glauben, er irrt sich nie.“ „Sie wissen, Allrounder, dass Genie und Wahnsinn oft sehr nah beieinander liegen.“, warnte Maron. „Ich weiß, Sir.“, antwortete ich. „Deshalb sollten wir extrem vorsichtig sein.“

Das Sprechgerät riss uns aus unserer Unterhaltung. „Ich muss antworten, Agent.“, sagte ich. „Agent.“, lächelte er zurück. „Diesen Rang habe ich doch nicht mehr. Zoômell hat mich doch beurlaubt.“ „Aber sie hat Sie nicht rausgeschmissen.“, stellte ich richtig, während ich merkte, dass mir das Piepen doch gewaltig auf die Nerven zu gehen begann. „Computer.“, befahl ich. „Ruf durchstellen!“ „Na endlich, Kleines.“, hörte ich Shimars Stimme. „Sorry.“, flapste ich zurück. „War gerade beschäftigt. Was gibt es denn?“ „Zirell und Sedrin wollen, dass wir die Boje an ihrem Stammplatz absetzen. Anscheinend ist sie noch nicht ersetzt worden.“ „Mit dieser Formulierung würde ich vorsichtig sein.“, erwiderte ich. „Ich habe ein verdammt fieses Gefühl.“ „Wir passen schon auf.“, lächelte Shimar und beendete das Gespräch.

Maron und ich sahen zu, wie IDUSA in die interdimensionale Schicht verschwand und die Boje entkoppelte. Dann kamen sie zurück. „Warum haben Sie ihm nichts gesagt?“, erkundigte sich Maron. „Es ist ja bis jetzt nur ein Gefühl.“, sagte ich. „Wir können Ethius’ Verrücktheit ja nicht beweisen, noch nicht. Ein Staatsoberhaupt ohne Beweise als wahnsinnig zu bezeichnen, ist sicher nicht diplomatisch korrekt, oder?“ „Sie haben Recht.“, bestätigte Maron.

Das Spezialprogramm meldete mir, dass wir per Positionslicht eingewiesen wurden. „Machen Sie uns fest und dann gehen wir mal feiern!“, befahl Maron. Dabei konnte er seinen ironischen Unterton nicht verhehlen. Das wollte er meiner Ansicht nach aber auch nicht.

Auch Evain und Ethius waren eingetroffen und von der Besatzung der Khitomer-Basis an eine Schleuse gewiesen worden. „Ist unsere kleine Überraschung bereit, Evain?“, wollte Ethius von der Führerin seines Militärs wissen, die es sich nicht nehmen lassen hatte, ihn persönlich zu begleiten und sein Schiff zu fliegen. „Aber natürlich, Allverstehender Präsident.“, grinste Evain dreckig. „Sobald Sie oder auch die liebe Nugura, der Sie ja planen, die Kontrolleinheit in die Hand zu geben, das Netzwerk aktiviert haben, kommt sie aus ihrem Versteck im Laderaum dieses Schiffes und nimmt ihren Platz ein. Die übrigen Bojen werden nur Kontakt zu ihr aufnehmen und die alte Boje brav ignorieren. Dann steht diese Mc’Knight da mit ihrem Talent.“ „Sehr gut.“, lobte Ethius und verließ mit ihr das Schiff.

Auf der Feier waren Shimar und ich in eine stille Ecke verschwunden. „Ich habe da was nicht ganz kapiert.“, gab ich zu. „Ist es wahr, dass du Sytania dabei geholfen hast, einen Schutzschild gemeinsam mit den anderen Mächtigen aufzubauen?“ „In gewisser Hinsicht stimmt das, Kleines. Aber …“

Auf einer großen Fläche in der Mitte des Raumes nahm der Chor der Akademie Aufstellung. Kurz danach begann der Computer, die Melodie von Riverdance, einem alten irischen Volkslied, abzuspielen. Eine der jungen Auszubildenden trat vor und begann ihren Soloauftritt. Unwillkürlich begann auch ich mitzusingen. Dieser Part war auch einmal meiner gewesen, während ich auf der Akademie war. Ich war damals gemeinsam mit Mikel ebenfalls dem Chor beigetreten. Hätte es damals Feierlichkeiten gegeben, hätten wir dieses Stück auch aufgeführt. Immerhin war es das Lieblingslied der Präsidentin und durfte deshalb bei keinem wichtigen Ereignis fehlen.

Versunken in die leise Intonierung nahm ich nicht wahr, dass Sedrin sich an unseren Tisch gesetzt hatte. „Ich muss Sie etwas fragen, Allrounder.“, begann die demetanische Agentin. „Oh, was gibt es denn, Ma’am.“, schreckte ich auf. „Halten Sie es angesichts der Intelligenz der Nihillaner für möglich, dass Mc’Knights Plan mit dem Virus nicht aufgeht?“ Ich schaute sie alarmiert an. „Woher wissen Sie …“, stieß ich hervor. „Weil O’Riley ihren Mund nicht halten kann.“, antwortete sie. Oh, Mann., dachte ich. Dann sagte ich: „Nun, Agent, Techniker Mc’Knight hat sicher nur die Wahrscheinlichkeiten ausgelotet, als sie äußerte, dass sie vermutete, dass ihr die Nihillaner eventuell drauf kommen könnten.“ „Aha.“, sagte Sedrin und ging. Ich atmete auf. Ich war froh, dass sie mir die Nachricht so abgenommen hatte, wie ich sie zwar inhaltlich korrekt, aber dennoch diplomatisch vertretbar weiter gegeben hatte.

„Allrounder, alles klärchen bei Ihnen?“ Die nassforsche Stimme, die mich das gefragt hatte, erkannte ich sofort. „Geht so, Shannon.“, gab ich zurück und sah zu, wie sie sich setzte. Dabei fiel ihr Blick auf den Riesenteller Essen, den mir Shimar gerade hingestellt hatte. „Heftige Henkersmahlzeit.“, kommentierte sie das Gesehene. „Sollte ich wohl genau so machen. Werd’ mir ooch noch mal anständich den Bauch vollschlagen, bevor die Welt untergeht. Na ja, wenigstens hör’ ich noch ’n anständiges irisches Volkslied, bevor ich den Löffel abgeb’.“

Die junge platonische Auszubildende war in den Hintergrund getreten und hatte dem übrigen Chor und einigen Tänzern Platz gemacht. Wenn das passierte, war das Stück fast zu Ende. Das passierte immer auf solchen Festen, kurz bevor Nugura ihre Reden begann. Ich wusste, viel Zeit würde nicht mehr bleiben.

Das Lied endete und die Auszubildenden gingen, angeführt von einem der Professoren, von der Bühne. Jetzt betraten Nugura und Ethius diese. „Heute ist ein denkwürdiger Tag.“, begann Nugura ihre Rede. „Unsere neuen Bürger, die Nihillaner, werden uns mit dem heutigen Tage von all unseren Feinden befreien. Mehr noch, sie werden ein Universum schaffen, in dem es keine bösen Kräfte mehr geben wird. Denken Sie sich nur, es wird nie wieder die Gefahr durch Romulaner, Genesianer, Zadorianer und andere primitive Kräfte geben, für die der Krieg wohl die einzige Daseinsberechtigung darstellte. Sie alle werden heute Zeugen dieses denkwürdigen Ereignisses werden.“ Sie endete.

Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Anscheinend glaubte sie diesen Schwachsinn wirklich! Sie schien wahrhaftig daran zu glauben, dass wir alle die Zerstörung des Universums überleben würden. Aber wo sollten wir denn hin? Alle anderen Dimensionen waren doch gleichermaßen betroffen!

Ethius betrat die Bühne. Er hatte etwas in der Hand, das an eine altertümliche Fernbedienung für einen Fernseher erinnerte. „Ich kann mich meiner Vorrednerin nur anschließen.“, sagte Ethius. „Deshalb will ich ihr zum Lohn für ihre schöne Rede den Schlüssel zum neuen friedlichen Zeitalter selbst in die Hand geben.“ Er übergab das Gerät an Nugura, die es lächelnd aktivierte.

Minuten danach brach plötzlich große Hektik aus. Die Besatzung der Khitomer-Basis rannte hin und her. Alarme blinkten und piepten. Jemand sagte etwas von einem Interdimensionsbeben. IDUSA meldete sich über das Rufzeichen der Basis. Die Verbindung war allerdings aufgrund von Interferenzen sehr schlecht. „Ich beobachte quasi eine Auflösung aller Dimensionen.“, meldete das tindaranische Schiff. „Das gesamte Gefüge scheint zusammenzubrechen. Planeten, nein, ganze Sonnensysteme, hören einfach auf zu existieren. Die interdimensionale Sensorenplattform kann mir darüber gerade noch Auskunft geben. Ich halte es aber nur für eine Frage der Zeit, wann ich auch zu ihr den Kontakt verliere.“

Zirell stürzte zum Terminal, aus dem IDUSAs Meldung in den Festsaal übertragen wurde. „Was ist mit den nihillanischen Bojen, IDUSA?“, fragte sie. „Die sind die Quelle der Strahlung, die hierfür sorgt.“, kam es nüchtern zurück.

Die Tindaranerin verließ das Terminal wieder und flitzte zu Jennas Tisch. Aber die war schon in ein Verhör durch Sedrin verwickelt. „Verraten Sie mir bitte, warum das mit dem Virus nicht funktioniert, Mc’Knight!“, sagte Sedrin mit strengem Tonfall. „Weil die Nihillaner meinen Plan vorausgesehen haben, Ma’am.“, antwortete Jenna. „Die Chance dazu stand 50 zu 50. Die Bojen ignorieren unsere Boje völlig. Die müssen sie ersetzt haben.“

Die Demetanerin sprintete zum bereits genannten Terminal. „IDUSA, kannst du bestätigen, dass unsere Boje keinen SITCH-Kontakt zum nihillanischen Netzwerk hat?“, fragte sie. „Affirmativ.“, kam es zurück.

„Schalten Sie das Netzwerk ab!“, forderte der terranische Präsident. „Sie werden uns noch alle töten!“ „Das ist nicht möglich.“, grinste Ethius. „Dieser Prozess kann nicht aufgehalten werden, wenn er einmal in Gang gesetzt worden ist. Außerdem müssen für jeden Neuanfang Opfer gebracht werden. Aber ich werde Ihnen beweisen, Sie ängstlicher Narr, Dass die wirklich an die Errungenschaften der Wissenschaft Gläubigen nicht sterben werden!“ Damit rannte er aus dem Saal in Richtung Schleuse. „Was zur Hölle hat der Kerl vor?“, fragte Sedrin halblaut. Dabei war ihr entgangen, dass sie das Mikrofon der Konsole, dessen Leitung lang genug war, noch immer in der Hand und die Sendetaste gedrückt hielt. „Soll ich ihn überwachen?“, fragte IDUSA zurück. Die Verbindung war inzwischen so schlecht geworden, dass jede Art von visueller Kommunikation unmöglich war. „Tu das!“, befahl Sedrin. „Er ist in das nihillanische Shuttle gestiegen und hat abgedockt.“, erklärte das Schiff. „Die Strahlung ist uns inzwischen sehr nah gekommen. Er fliegt ihr entgegen. Wenn es so weiter geht, wird auch er bald aufhören zu existieren. Ich muss den Andockplatz wechseln.“

Zwischen Zirell, Sedrin und dem Kommandanten von Khitomer gingen Blicke hin und her. Dann sagte Sedrin zu IDUSA: „Ist OK. Halte aber Sensorenkontakt mit Ethius. Versuche, mich mit ihm zu verbinden.“ „Das ist unmöglich.“, erwiderte IDUSA. „Aber es gibt eine letzte automatische Nachricht von Bord seines Schiffes.“ „Abspielen!“, befahl Sedrin. „Oh, ihr furchtvollen Schafe.“, begann die Stimme des Präsidenten. „Bald werdet ihr alle sehen, dass die Wissenschaft über die Angst triumphieren wird!“

Es gab ein fürchterliches Geräusch und die Verbindung brach ab. Dann sahen wir alle die buchstäbliche Auflösung des nihillanischen Schiffes. „… und Ikarus kam der Sonne zu nah.“, spottete Jenna. „Wer ist Ikarus, Telshanach?“, fragte Joran. „Eine Gestalt aus der irdischen Mythologie.“, antwortete die Angesprochene. „Er hat versucht, mit Wachsflügeln zur Sonne zu fliegen und ist dabei tödlich verunglückt.“ „Aber Telshanach.“, erwiderte Joran. „Du weißt doch, dass das physikalisch gar nicht geht.“ „Heute wissen wir das.“, beschwichtigte ihn Jenna. „Aber damals sah man das noch anders. Es ist außerdem nur eine Sage.“

Kapitel 25: Finale Einsicht

von Visitor

 

Ich war mit einer ganz anderen Sache beschäftigt. Mir war Evain aufgefallen, die angesichts der Bilder schreiend zusammengebrochen war. „Ich habe an ihn geglaubt!!!“, schrie sie immer wieder. „Ich habe an ihn und seine Idee geglaubt. Kann man sich denn so irren?“

Ich ging hinüber und half ihr auf. Sie mochte zwar lange meine Feindin gewesen sein, aber jetzt war sie gestrandet und benötigte Hilfe. Eine wahre Sternenflottenoffizierin, als die mich Ishan kürzlich bezeichnet hatte, musste dies erkennen. Eine wahre Sternenflottenoffizierin unterschied nicht nur zwischen schwarz und weiß. In ihrem Denken musste genug Platz für Graustufen sein.

Die zitternde Kommandara erkannte mein Gesicht. „Connors“, schluchzte sie. „Was machen Sie denn …“ Ich warf einen kurzen Blick zu Sedrin. „Ist OK.“, erlaubte die Agentin. „Ich bin nicht Connors.“, gestand ich. „Mein Name ist Star Fleet Allrounder Betsy Scott. Ich hatte Ihr Militär infiltriert, um an Informationen zu gelangen.“ „Das ist egal!“, schrie Evain. „Es ist alles egal! Wir werden alle sterben und ich hatte ihm vertraut!“

„Kleines.“, Shimars flüsternde Stimme ließ mich den Kopf wenden. Ich bemerkte, dass sich alles zu stabilisieren begann. Gleichzeitig spürte ich, wahrscheinlich durch die Schutzverbindung bedingt, dass es etwas mit Shimars Energie zu tun hatte.

IDUSA meldete sich. „Sie werden nicht glauben, was ich sehe.“, sagte das Schiff. „Mach’s nicht so spannend!“, sagte Sedrin energisch, die immer noch an der Konsole stand. „Ich stelle durch.“, sagte IDUSA nüchtern, denn eine visuelle Verbindung war wieder möglich geworden. „Was ist das denn?“, fragte Sedrin irritiert. „Ein Schild aus Zebrastreifen. Ein … Ein … Ein Zebraschild. Lauter schwarzweiße …“ Sie fiel in Ohnmacht. Ich stutzte. Sogar Agent Ich-komme-mit-jeder-Situation-klar-Sedrin war mal überfordert. „Das ist die normale Art, die Energie von Freund und Feind darzustellen.“, sagte IDUSA nüchtern. „Übrigens, die nihillanischen Bojen sind alle zerstört. Sie haben der Energie wohl nicht Stand gehalten.“

Ich war immer noch mit Evain beschäftigt. Sie hatte gerade erfahren, dass Nihilla der letzte Planet war, der der Zerstörung anheim gefallen war. „Wie konnten wir uns das anmaßen?“, fragte sie verzweifelt. „Wie konnten wir glauben, wir würden überleben und eine neue Ordnung schaffen können? Für wen haben wir uns nur gehalten? Oh, wir haben uns so respektlos gegenüber der Natur benommen! Warum nur?! Warum?!“ „Ich denke, das kann ich Ihnen beantworten.“, sagte ich. „In dem Moment, in dem Sie die Natur nicht mehr als Schöpfung gesehen haben, haben Sie den Respekt vor ihr verloren.“ „Aber was sollen wir denn machen?“, fragte Evain. „Wir haben doch gelernt, dass Götter nicht existieren.“ „Niemand verlangt, dass Sie an einen alten Mann mit weißem Bart glauben, der auf einer Wolke sitzt.“, tröstete ich. „Sie sollten nur etwas mehr Respekt gegenüber der Natur zeigen. Anscheinend ist eine Urknallmaschine nicht alles. Wenn Sie etwas respektvoller mit der Natur umgehen, kommen Sie auch nicht wieder so schnell auf so größenwahnsinnige Ideen. Sie können mir diesbezüglich glauben. Ich komme aus einem Jahrhundert, in dem es ähnlich war.“

Wieder brach Evain in Tränen aus. „Sie sind eine echte Diplomatin, Star Fleet Allrounder Betsy Scott.“, schluchzte sie. „Aber, warum helfen Sie mir? Ich bin doch der Feind.“ „Nein.“, entgegnete ich fest. „Sie sind eine gestrandete Mitläuferin, die eingesehen hat, dass sie umkehren muss. Warum sollte ihnen die Föderation in Form von meiner Person also nicht die Hand reichen?“ Sie umarmte mich. Ihre Tränen durchdrangen den Stoff meiner Uniform, aber das machte mir nichts aus. „Wo soll ich jetzt hin, als einzige Überlebende meiner Rasse?“, fragte sie. „Es wird eine Möglichkeit gefunden werden.“, versicherte ich. „Sie müssten wahrscheinlich nur akzeptieren, in einer Gesellschaft zu leben, in der es Religionen gibt. Das ist nämlich in der Föderation so. Aber, Sie sind nicht allein. Es gibt noch die Flüchtlinge. Vielleicht wird irgendwo ein Planet gefunden, auf dem Sie alle neu anfangen können.“ „Ich akzeptiere alles!“, rief Evain aus. „Vielleicht finde ich sogar noch selbst zum Glauben.“

Wenige Tage nach der Beseitigung aller Trümmer, bei der auch ich tatkräftig mitgeholfen hatte, kehrte ich nach Terra und Little Federation zurück. Ich hatte festgestellt, dass alle Weissagungen der Vendar wahr geworden waren, denn die irrende Königin, die ich aus dem Labyrinth geführt hatte, war Nugura gewesen. Sie hatte eingesehen, dass sie auf dem Holzweg gewesen war. Es erfreute mich zu sehen, dass alle meine Freunde den beinahen Weltuntergang überlebt hatten. Mein erster Weg führte mich zu Data und Cupernica. Mit ihnen würde ich den Neuanfang gebührend feiern.

Data rückte mir auf seiner Terrasse einen Stuhl zurecht. Caruso und Fredy schnurrten mir um die Beine. Caruso um mein Linkes und Fredy um mein Rechtes. In der Mitte trafen sie sich. Dann standen sie sich gegenüber und schnurrten sich gegenseitig etwas vor. Data hatte vermutet, dass es sich hierbei um eine Art Schnurrcode handelte, mit dem die Beiden geheime Botschaften austauschten. Eine andere gemeinsame Sprache hatten der Kater und der Tribble ja nicht. „Haben Sie heute schon Nachrichten gehört, Allrounder?“, fragte er, während er mir eine Tasse Tee eingoss. „Nein.“, entgegnete ich. „Habe ich etwas verpasst?“ „Allerdings.“, übernahm Cupernica die weitere Beantwortung meiner Frage. „Die nihillanischen Flüchtlinge und auch Evain sind im vulkanischen Sonnensystem untergekommen. Präsidentin Eludeh hat sich sehr über die vulkanische Gastfreundschaft gefreut. Und Evain ist nach wie vor ihre militärische Führerin. Aber sie hat sich sehr gemäßigt. Sie will auf keinen Fall …“ „Warten Sie mal, Scientist.“, unterbrach ich sie. „Sagten Sie gerade Präsidentin Eludeh?“ „Das ist korrekt.“, antwortete die Androidin. „Dann ist Centus-Shimar jetzt der erste Sohn im Staate.“, schloss ich. „Das wird wohl stimmen.“, sagte Data. „Übrigens.“, fuhr er fort. „Die Nihillaner wollen ihren neuen Planeten nicht mehr Nihilla nennen. Er soll jetzt wieder Basiria heißen, wie vor dem Amtsantritt von Ethius. Sie glauben auch wieder an ihre alten Götter, von denen nach der Überlieferung auch dieser Name stammt.“ „Und die Basirianer haben die Föderation gebeten, sie bei ihrer Demokratisierung zu unterstützen. Soweit ich hörte, soll die Granger eines der Schiffe sein, die dort hin fliegen.“ Ich lächelte. Das würde vielleicht bedeuten, dass ich Eludeh bald wiedersehen würde. „Dann sollte ich mal dringend meine SITCH-Mails abfragen.“, lächelte ich. „Unter Umständen ist schon der Marschbefehl für mich dabei.“ Damit verabschiedete ich mich.

Tatsächlich musste ich einige Tage später wieder anmustern und wir flogen nach Basiria. Es freute Commander Kissara sehr, wie gut der Prozess der Demokratisierung voranging. Deshalb konnten wir auch bald wieder abfliegen. Vor dem Einschlafen in meiner letzten Nacht in der Umlaufbahn des Planeten dachte ich noch: Wie froh bin ich, dass die Föderation trotz allem Fortschritt den Respekt vor der Natur doch nie ganz verloren hat. Eines stand für mich fest. Wenn die Wissenschaft, wie Tabran gesagt hatte, ein neugieriges kleines Kind war, dann sollte die Moral vielleicht so etwas wie die große Stiefschwester sein, die auf sie achtete.

ENDE

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