Ein turbulenter Urlaub

von Visitor
Zusammenfassung:

Während ihres gemeinsamen Sommerurlaubs auf der Erde gesteht Allrounder Betsy Scott ihrem Ehemann, dass sie nicht seinetwegen sondern wegen der Familienangelegenheit einer Freundin Heimaturlaub genommen hat. Zwischen beiden entbrennt darauf ein Streit, von dem sie dringen Ablenkung benötigt. Dazu begibt sie sich zu einem Spaziergang und stellt fest, dass nicht nur in ihrem eigenen Kopf sondern auch um sie das blanke Chaos herrscht...


Kategorien: Fanfiction, Fanfiction > Star Trek Charaktere: Keine
Genres: Science Fiction
Herausforderung: Keine
Serie: Keine
Kapitel: 7 Fertiggestellt: Ja Wörter: 15274 Aufgerufen: 25821 Veröffentlicht: 13.10.14 Aktualisiert: 13.10.14

1. Kapitel 1: Streit mit Folgen von Visitor

2. Kapitel 2: Begegnung im Chaos von Visitor

3. Kapitel 3: Der Unfall von Visitor

4. Kapitel 4: Sprung ins kalte Wasser von Visitor

5. Kapitel 5: Cupernicas Eintreffen von Visitor

6. Kapitel 6: „Kein Bild, kein Ton …“ von Visitor

7. Kapitel 7: Ein freudiges Ereignis von Visitor

Kapitel 1: Streit mit Folgen

von Visitor

 

Es war inzwischen Sommer in meiner Heimatstadt Little Federation im 30. Jahrhundert geworden. Scotty war extra von Celsius angereist, um seinen Sommer mit mir zu verbringen. Allerdings war es für ihn sehr merkwürdig, dass ich entgegen meiner Gewohnheiten die Erde auch schon so früh wieder aufgesucht hatte. Sonst bat ich meinen Commander eigentlich immer später im Jahr um Heimaturlaub. Was der eigentliche Grund dafür war, würde ich meinem Mann, der mich vom Raumflughafen in Washington abgeholt hatte, aber erst sagen können, wenn wir in meinem Haus angekommen wären.

An einer Ampel drehte er sich zu mir um. „Also nun erzähl mal, Darling. Was bringt dich dazu, derart von deinen Gewohnheiten abzuweichen?“, fragte er mit einem verschmitzten Grinsen in seiner mir doch so wohl bekannten und vertrauten tiefen Stimme. „Das werde ich dir sagen, aber erst, wenn wir da sind.“, sagte ich und gab die Erschöpfte. „Eines nur schon mal vorweg. Wenn alles so läuft, wie es soll, dann werde ich in den nächsten Tagen wohl wenig Zeit für uns beide haben. Ich muss nämlich immer auf Abruf sein.“ „Du redest echt merkwürdig, Darling.“, stellte Scotty fest. „Aber ich will mal geduldig sein und auf deine Infos warten. Du bist ja schließlich als sehr zuverlässig bekannt.“ „Das muss man auch sein, als Kommunikationsoffizierin und Pilotin des dritten Flaggschiffes der Sternenflotte.“, lächelte ich und war froh, dass Scotty mich wieder auf ein unverfängliches Thema gelenkt hatte.

Wir bogen in die Einfahrt zu meinem Haus ein und er half mir, meinen Koffer ins Haus zu tragen. Dann setzten wir uns im Wohnzimmer auf das neue weiße Sofa, das ich gemeinsam mit einer Freundin ausgesucht hatte. Ich hatte nämlich den Eindruck gewonnen, dass ich dringend andere Möbel benötigte. Ein Tapetenwechsel war einfach mal angebracht gewesen, so dachte ich jedenfalls. Das hatte auch in gewisser Weise etwas mit der Zerstörung meiner gesamten Einrichtung durch Shimars Verkettung mit meinem Auferstehen von den Toten zu tun.

Jene Freundin, die meine neuen Möbel mit mir ausgesucht hatte, war auch der Grund dafür, weshalb ich früher als sonst Urlaub genommen hatte. Ich hatte irgendwie das Gefühl gehabt, mich dafür bei ihr revanchieren zu müssen. Den Vorschlag, wie ich dies denn tun könne, den sie mir daraufhin unterbreitete, fand ich sehr rührend. Mir kamen heute noch die Tränen, wenn ich daran dachte. Jetzt war es also an mir, meinem Mann zu gestehen, auf was ich mich mal wieder eingelassen hatte.

Ich setzte mich also zurecht, drehte meinen Kopf in seine Richtung und begann: „Du kennst doch sicher Farina und Vargas.“ „Ne.“, meinte Scotty flapsig, aber dennoch sehr ruhig. „Wer soll das sein?“ „Sie wohnen am anderen Ende der Stadt.“, erklärte ich. „Ich habe sie neulich im Stadtpark kennen gelernt. Sie stammen ursprünglich von Cryalis neun. Sie sind Ornitoide. Sie sehen aus wie Pinguine. Wir haben uns gleich total toll verstanden und Farina hat mich sogar erkannt. Sie war auf der Akademie eine Zeit lang meine Klassenkameradin, bevor sie gemerkt hat, dass die Sternenflotte nichts für sie war. Ich habe sie leider nicht so schnell erkannt, weil sich ihre Stimme sehr verändert hatte. Sie und ihr Mann sind mit einer sehr privaten und intimen Bitte an mich herangetreten. Sie möchten, dass ich ihre Cantira werde, wenn sie demnächst zusammen ein Ei haben.“ „Du sollst ihre was werden?!“, fragte Scotty verwirrt und ich konnte regelrecht hören, wie ihm die Gesichtszüge entgleisten. Der Himmel mochte wissen, was er sich gerade vorstellte. Ein Penny für deine Gedanken, Scotty!, dachte ich, sagte aber nur: „Ruhig, ganz ruhig. Es ist nichts Schlimmes daran. Was könnte denn der Begriff Cantira deiner Meinung nach heißen, hm?“ Meine Äußerung sollte ihm Gelegenheit geben, über die Situation nachzudenken und nicht vorschnell zu urteilen. „Das weiß ich doch nich’.“, flapste Scotty. „Woher soll ich das wissen?! Ich bin Schrauber und kein Poet. Mit Sprachen kenne ich mich nich’ so gut aus wie du, Frau Kommunikationsoffizier. Du musst mir da schon helfen, ansonsten wäre das ziemlich unfair.“

Ich holte tief Luft und machte einen Laut, der im Allgemeinen auf meine Umgebung immer sehr beruhigend gewirkt hatte. Dann sagte ich: „Der Begriff Cantira ist verwandt mit dem lateinischen Wort cantare für singen. Abgesehen von der Tatsache, dass ich es sehr faszinierend finde, dass ein Wort aus einer außerirdischen Sprache erfolgreich auf ein Lehnwort aus einer irdischen Sprache zurückverfolgt werden kann, Was könnte also deiner Meinung nach eine Cantira sein und tun?“ „Eine Sängerin!“, sagte Scotty jetzt sehr sicher. „Sie singt! Aber was hat das mit dem Ei zu tun?“ „Du weißt vielleicht.“, holte ich aus. „Dass bei den Pinguinen das Männchen das Ei in einer Brutfalte ausbrütet. Das Weibchen übergibt ihm das Ei, indem beide einen Tanz vollführen.“ „Is’ ja auch logisch.“, unterbrach er mich. „Pinguine haben schließlich keine Hände.“ Ich nickte und fuhr fort: „Was im Tierreich instinktiv funktioniert, ist bei den Bewohnern von Cryalis neun über die Jahrhunderte zu einer regelrechten fast religiösen Zeremonie geworden. Es gibt ein Jahrtausende altes überliefertes Lied, nach dem der Tanz vollführt werden muss. Versingt sich die Cantira, beziehungsweise der Cantiro, kann das zur Folge haben, dass sich das Paar vertanzt und das Ei kann zerstört werden. Das bedeutet den Tod des Ungeborenen.“

Scotty gab einen schweren Seufzer von sich. „Oh, Darling.“, sagte er dann. „Warum musst du dich auch immer auf so was einlassen?! Da freut man sich darauf, endlich mal einen schönen Urlaub mit der eigenen Frau zu verbringen und dann so was!“ „Davon habe ich nie gesprochen!“, rechtfertigte ich mich. „Wenn du meine letzte SITCH-Mail richtig gelesen hättest, dann wüsstest du, dass Zeit im Moment ein sehr knappes Gut bei mir ist. Ich habe dir zwar geschrieben, ich würde auf der Erde sein, aber das war nicht gleichbedeutend damit, dass ich Zeit für dich hätte.“ „Verstehe!“, sagte Scotty mit viel Enttäuschung in der Stimme. „Du musst dich ja wieder auf Dinge einlassen, die vielleicht zu viel Verantwortung für dich bedeuten, nur weil du ein schlechtes Gewissen hast.“ „Ach so!“, sagte jetzt auch ich etwas lauter. „Ich hatte nämlich nicht vor, derartige Anschuldigungen auf mir sitzen zu lassen. „Du meinst also, ich würde das nicht hinkriegen! Tolles Bild, das du da von deiner Frau malst, wirklich!“ „So meinte ich das doch nich’.“, sagte Scotty. „Ich wollte nur sagen …“

Mein stationäres Sprechgerät, das auf dem Schreibtisch stand, hatte seinen Satz piepend unterbrochen. „Für dich!“, knurrte er. Dann warf er einen kurzen Blick auf das Gerät, als wollte er es dafür bestrafen, dass es seine Standpauke, die er mir gerade halten wollte, zerstört hatte.

Aus dem Augenwinkel hatte er das Rufzeichen desjenigen wahrgenommen, der jetzt gerade etwas von mir zu wollen schien. Von mir, die sich gerade in ihr Pad vergraben hatte, auf dem sich eine Version des erwähnten Liedes befand. Es war eine Version aus instrumentaler Musik, die von auf Cryalis neun benutzten volkloristischen Instrumenten gespielt wurde. Die Stimme des Computers meines Pads las mir den Text in Farinas und Vargas‘ Muttersprache Cryalisch vor. Die Sprache erinnerte in ihrer Lautung sehr stark an das Gälische und ich hätte mir bestimmt die Zunge gebrochen, hätte ich jetzt schon laut mitgesungen. Da mir aber klar war, dass ich dafür wohl noch eine Weile üben müsste, tat ich dies zunächst nur in Gedanken, dies aber so konzentriert, dass ich Scottys Ansprache gar nicht wahrgenommen hatte. Als ich auch auf wiederholtes Ansprechen seinerseits nicht reagierte, beschloss er, statt mir das Gespräch entgegenzunehmen. Er hatte wohl Sorge, der Rufer könnte sein Vorhaben, mich zu erreichen, sonst abbrechen. Am Rufzeichen im Display hatte er einwandfrei das Rathaus von Little Federation erkannt. Das kam nicht zuletzt auch dadurch, dass es als Solches im Adressverzeichnis abgespeichert war. Er konnte sich zwar auch nicht erklären, was die Stadt um diese Uhrzeit von mir wollen konnte, Immerhin war es sieben Uhr morgens an einem Sonntag, aber wenn er es herausfinden wollte, würde er wohl antworten müssen.

Er nahm also das Mikrofon in die Hand und drückte den Sendeknopf, um dem Gerät zu verdeutlichen, dass er das Gespräch annahm. Dann sagte er: „Hier ist Montgomery Scott auf dem Rufzeichen von Betsy Scott.“, um gleich darauf den Knopf wieder loszulassen.

Das Gerät schaltete befehlsgemäß um und Scotty sah das Bild einer jungen Frau auf dem Bildschirm. Sie war klein, er schätzte sie auf ca. 1,60 m, menschlich und hatte lange blonde Haare, die sie hochgesteckt hatte. Wahrscheinlich, damit sie ihr beim Arbeiten am Bildschirm nicht ständig im Gesicht hingen. Sie trug eine biedere weiße Bluse und einen in gedecktem Blau gehaltenen langen Rock dazu. An ihren Füßen hatte sie weiße flache Schuhe. Sie sah eben aus wie jemand, der im Büro arbeitet, fand Scotty. Dass er damit gar nicht so falsch lag, ging auch bald aus ihrer Antwort hervor, die sie mit erleichtertem Ausdruck im Gesicht und mit ihrer klaren glockenhellen Stimme vortrug: „Mr. Scott! Sie glauben gar nicht, wie froh ich bin, Sie erreicht zu haben. Es ist etwas passiert! Wir benötigen die Hilfe von jedem technischen Fachmann, die wir kriegen können! Das Verkehrsleitsystem! Es ist total zusammengebrochen und tut unsinnige Dinge. Es gibt falsche Informationen! Es gab schon diverse Unfälle deswegen! Ach, bitte verzeihen Sie. Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Claire Simson. Ich bin die Sekretärin des Bürgermeisters. Ich wusste, dass Mrs. Scott mit einem Ingenieur verheiratet ist. Schließlich sind Ihre Frau und Sie sehr berühmt!“

Endlich hatte sie ihren aufgeregten Redeschwall beendet, allerdings nur, um sich einen Schluck Kaffee aus einer auf ihrem Schreibtisch stehenden Tasse zu gönnen und somit ihre vor Nervosität extrem trockene Kehle anzufeuchten. Diesen Moment nutzte Scotty sofort, um einzuhaken: „Ruhig, Miss Simson. Ruhig. Den Fehler werde ich schon finden! Es gibt noch keinen, den ich nich’ gefunden habe. Die meisten von ihnen ergeben sich sogar freiwillig, wenn ich anrücke. Also bleiben Sie ganz ruhig und warten Sie auf den alten Scotty.“

Er beendete die Verbindung mittels eines Druckes auf die 88-Taste und hängte das Mikrofon ein. Dann sagte er: „Ich muss gehen, Darling. Die Pflicht ruft.“ „Ja, ja!“, sagte ich und dachte: gerettet vom Gong, mein Lieber! Aber so leicht kommst du mir nicht davon. Das andere Thema werden wir trotzdem noch ausdiskutieren, wenn du wieder da bist.

Ich beobachtete noch, wie er aus der Tür ging. Dann nahm ich mein Pad, das immer noch vor mir lag, steckte es in eine extra dafür ausgestattete Tasche und hing mir diese um. Scottys und mein erster richtiger Ehestreit war auch an mir nicht spurlos vorbeigegangen. Ich fand allerdings, dass ich jetzt dringend abgelenkt werden musste und womit ging das wohl besser, als mit dem Job, für den ich aber noch kräftig üben musste. Das wollte ich aber nicht hier im Haus tun. Zu viel erinnerte mich an den Streit mit Scotty. Um mich richtig konzentrieren zu können, benötigte ich einen freien Kopf und den bekam ich wohl am besten an der frischen Luft!

Kapitel 2: Begegnung im Chaos

von Visitor

Ich nahm also meinen Taststock, den ich, für eine Blinde des 30. Jahrhunderts sicher ungewöhnlich, immer noch gern benutzte. Das musste ich aber auch, denn aus bekannten Gründen durfte, konnte und wollte ich ja keinen Visor tragen. Die Implantate hätten bei meiner Rückkehr in mein Heimatjahrhundert zu viele Fragen aufgeworfen, die ich niemals hätte beantworten dürfen, denn dann hätte ich die Zeitlinie gefährdet und es wäre aus gewesen mit meinem Status als Pendlerin zwischen den Jahrhunderten. Aber auch meine Karriere bei der Sternenflotte wäre dann zu Ende gewesen. Auch das Vertrauen Dills, des Beherrschers und Beschützers der Zeit, hätte ich dann verloren und er hätte mich sicher auch gehörig bestraft. Ob Mikel, der sein Nennsohn war, dann noch ein gutes Wort für mich hätte einlegen können, war sehr fraglich. Aber das hätte ich, ehrlich wie ich war, sicher auch nicht gewollt. Wenn ich Scheiße bauen würde, dann würde ich auch dazu stehen!


Mein Weg führte mich aus dem Haus und auf die Straße. Hier aber sollte ich bald eine riesige Überraschung erleben. Die Geräusche, die ich nämlich wahrnahm, erschienen mir sehr chaotisch. Überall hörte ich das typische Piepen des Notfallsystems von elektrisch betriebenen Jeeps, das normalerweise den Fahrern im Notfall assistieren und sie bei ihren Entscheidungen unterstützen sollte. Dies war nur möglich, da die Fahrzeuge über eine direkte Datenverbindung mit dem Verkehrsleitsystem vernetzt waren. Da dieses aber offensichtlich nicht wirklich funktionierte, kam dabei nur Chaos heraus und ich hatte den Eindruck, die Leute verließen sich nur noch auf die Displays und nicht mehr auf das, was sie mit den eigenen Augen vor den Fenstern ihrer Fahrzeuge sahen. Alle kamen mir so schrecklich hilflos vor. Selbst Fußgänger stolperten um einander. In diesem Moment kam mir eine Äußerung Agent Sedrins in den Kopf. „Nicht zu fassen, wie technologiegläubig wir geworden sind!“, hatte sie gesagt. Das war zwar in einem anderen Zusammenhang gemeint gewesen, passte hier aber auch genauso gut.


Ich wandte mich dem Würfel zu, über den ich meine Absicht, die Straße zu überqueren, dem Verkehrsleitsystem mitteilen wollte, wie ich es hier gelernt hatte. Die Antwort des Computers verwirrte mich aber gleichermaßen, denn sie bestand nur aus unzusammenhängenden Satzfetzen, der Uhrzeit, die noch nicht einmal stimmte, und Teilen von irgendwelchen Wegbeschreibungen. Ich schloss sogar ernsthaft aus, dass der Rechner mich überhaupt verstanden hatte. „Ist schon gut.“, flüsterte ich und strich über das glatte Gehäuse des Würfels. „Ich weiß ja, dass du total überfordert bist. Macht nichts! Ich nehme dann eben den langen Weg.“


Ich drehte mich parallel zur Bordsteinkante und ging daran entlang, wie ich es von zu Hause aus, ohne die Annehmlichkeiten des 30. Jahrhunderts, gewohnt war. Dabei bemerkte ich nicht, wie meine Gedanken langsam abschweiften. Unwillkürlich wurde ich in die Situation zurückversetzt, als ich Commander Kissara mittteilen musste, dass ich nach einem kurzen Aufenthalt auf der Erde bereits erneut Heimaturlaub benötigte. Es war mir fast peinlich gewesen, also hatte ich nur unter stark klopfendem Herzen ihren Bereitschaftsraum aufsuchen können. Das Betätigen der Sprechanlage fiel mir auch nicht gerade leicht. „Kommen Sie doch rein, Allrounder.“, hatte sie freundlich gesagt, nachdem sie mein aufgeregtes Gesicht im Display der Anlage wahrgenommen hatte. „OK, Madam.“, hatte ich geantwortet und dann mit klopfendem Herzen den Raum betreten, nachdem die Tür vor mir zur Seite geglitten war. Das Nächste, das ich gespürt hatte, war ihre weiche Hand gewesen, die mich an eine überdimensionierte Katzenpfote erinnerte. Wer wusste, dass sie Thundarianerin war, für den war das sicher nichts Ungewöhnliches. Also auch nicht für mich.


Sie führte mich zu ihrem Schreibtisch. Hier setzten wir uns beide und dann fragte sie: „Na, was haben Sie denn heute auf dem Herzen?“ „Steht in nächster Zeit eine Mission an, Commander?“, fragte ich mit leicht zitternder Stimme. „Meines Wissens nicht.“, antwortete sie gleichmütig. „Warum wollen Sie das wissen?“ „Weil, weil.“, stammelte ich. „Weil ich Sie eigentlich schon wieder um Urlaub bitten muss, Commander.“


Sie stand von ihrem Platz auf und ging zum Replikator. Hier ließ sie uns beiden eine Tasse Kaffee servieren, mit der sie dann zurückkam, um eine der Tassen vor mir abzustellen, bevor sie die eigene mit zu sich nahm. Mit zu sich bedeutete in diesem Fall, dass sie mir gegenüber saß.


„Wir kratzen doch nur an der Oberfläche, Betsy.“, stellte sie fest, nachdem wir beide einen tiefen Schluck genommen hatten, sie mich aber dabei mit ihrem scharfen Katzenblick genau beobachtet hatte. „Ein Urlaubsantrag kann doch nicht den Untergang der Welt bedeuten.“ „Das sicher nicht, Madam.“, sagte ich. „Zumindest nicht normalerweise. Aber in diesem Fall ist das etwas anders, weil ich schon wieder einen stelle.“ Ich zog ein Pad mit dem vorbereiteten Formular aus der Tasche und schob es ihr hin. Sie las sich den Inhalt durch und sagte dann: „Nun. Sie gelten als jemand, die sehr diszipliniert ist und niemals ohne Grund dem Dienst fern bleiben würde. Jetzt wird etwas passieren, mit dem Sie sicher nicht gerechnet hätten. Aufgepasst!“


Ich bekam mit, wie sie ihre akustische Unterschrift unter meinen Antrag setzte. Diese Tatsache verwunderte mich so sehr, dass ich wie versteinert da saß und nicht in der Lage war, das Pad wieder aus ihrer Hand entgegenzunehmen. „Nun nehmen Sie schon.“, ermutigte sie mich. „Oder sollen wir etwa den ganzen Tag hier so sitzen? Sie haben als Grund für Ihren Urlaubswunsch ein familiäres Ereignis angekreuzt. Darf ich wissen, was uns demnächst ins Haus steht? Oder ist Ihnen das zu privat?“ „Um ehrlich zu sein.“, antwortete ich, die ich mich in diesem Augenblick sehr ertappt fühlte. „Das Ereignis findet gar nicht in meiner Familie statt, sondern in der einer guten Freundin. Ich weiß, dass ich eigentlich den Punkt dann zu Unrecht angekreuzt habe, Aber …“ „Sie schleichen ja um den heißen Brei wie eine Katze.“, sagte Kissara und lächelte dabei. „Da könnte man ja echt neidisch werden. Sie können das ja besser als ich! Dabei habe ich die Samtpfoten! Zumindest, wenn ich die Schuhe ausziehe. Also, was ist los?“


Ich atmete tief durch und setzte mich aufrecht hin. Dann fragte ich: „Was wissen Sie über die Fortpflanzungspraktiken der Bewohner von Cryalis neun?“ „Nun.“, antwortete meine vorgesetzte Offizierin. „Sie tun es auf ähnliche Weise wie die Pinguine auf der Erde. Nur benötigen sie für den Tanz jemanden, der für sie singt. Eine solche Person heißt Cantira oder Cantiro und hat einen sehr hohen Stellenwert in ihrer Gesellschaft, denn sie hat eine sehr hohe Verantwortung. In ihren Händen, beziehungsweise ihrer Stimme und ihrer Fähigkeit, den Takt zu halten, liegt schließlich die Sicherheit eines ungeborenen Kindes.“


Sie schien erst jetzt wirklich zu verstehen, was ich gemeint hatte, denn sie sprang plötzlich auf und drückte mich an sich. Dann brach es aus ihr heraus: „Herzlichen Glückwunsch zu dieser Ehrung, Allrounder! Sie sind zweifelsfrei sehr musikalisch! Das wird Ihnen niemand absprechen. Sie werden sicher eine hervorragende Cantira abgeben! Ich höre Sie ja des Öfteren mal singen und das klingt gar nicht so schlecht! Erst neulich hat mir Mikel erzählt, dass er Sie während Ihrer gemeinsamen Schulzeit sogar in den dortigen Chor werben wollte.“ „Das stimmt.“, gab ich zu. „Ihr erster Offizier hat Recht. Warum ich damals genau nein gesagt habe, weiß ich heute nicht mehr. Aber das ist ja auch nebensächlich. Ich bin nur froh, dass Sie mir meinen Urlaub doch genehmigen. Ich hatte schon gedacht, stärkere Geschütze auffahren zu müssen. So was wie das Erforschen fremder Kulturen zum Beispiel. Das tun Sternenflottenoffiziere doch auch.“ „Ach so.“, sagte Kissara und grinste verschmitzt. „Dann nehme ich die Genehmigung Ihres Urlaubs gleich mal zurück und wandle sie um in einen Auftrag für eine Außenmission. Dann kann uns zweien auch niemand vom Oberkommando den Kopf abreißen. Verstehen Sie?“ Sie strich mir konspirativ mit ihren Schnurrhaaren über die jetzt nach dem Pad ausgestreckte rechte Hand. Sie wusste schließlich, dass ich mit einem Blick nicht viel anfangen konnte. Dann schnurrte sie: „Ich bin auf Ihrer Seite. Wann verstehen Sie das endlich? Sie sind doch sonst immer so intelligent. Das zeigt doch auch Ihr kleiner juristischer Trick mit dem Ankreuzen des Familienereignisses.“ „Na ja.“, zögerte ich. „Der Haken ist nur, dass ich dann zu ehrlich bin und sofort zugebe, dass es gar nicht wirklich so ist. Dafür bin ich dann einfach nicht abgebrüht genug.“ „Nein, das sind Sie nicht.“, bestätigte sie. „Aber ich bin froh, dass es so ist. Das macht sie nämlich zu einer Person, der man vertrauen kann und die kein halbseidenes Geschäft hinter dem Rücken führt. Sie sind völlig OK, so wie Sie sind, Allrounder. Ich habe lieber eine ehrliche Offizierin, der ich vertrauen kann, als eine halbe Kriminelle am SITCH und am Steuer meines Schiffes! Wenn die Grenze nämlich einmal überschritten ist, fallen meiner Ansicht nach die Hemmungen viel zu leicht! Also bleiben Sie gefälligst, wie Sie sind, Allrounder! Das ist ein Befehl, Verstanden?!“ Ich nickte und sagte fast automatisiert: „Aye, Commander!“ Dann verließ ich ihren Raum.


Jenes plötzliche Ereignis, das mich jetzt in Little Federation in die Realität zurückholte, vermochte ich zunächst nicht einzuordnen. Ich spürte nur, dass mich etwas berührt hatte und dass dieses Etwas und ich jetzt gemeinsam hinfielen. Das Etwas benutzte ebenfalls einen Taststock. Dazu fiel mir nur einer ein, nämlich Mikel. Er hatte zur gleichen Zeit Urlaub genommen wie ich. Deshalb nahm es wohl nicht Wunder, dass wir uns begegnet waren. Unser Zusammenstoß hatte allerdings zur Folge, dass ich rücklinks auf dem Bürgersteig landete. Dabei fiel mir die Tasche mit meinem Pad herunter, indem sie einmal über meinen Kopf segelte und der Riemen, der sie um meinen Hals und meine Schulter fixiert hatte, sich von dort abstreifte. Somit landete es mit lautem Krach auf der Straße und ich mit meinem ganzen Gewicht oben drauf. Am Splitternden und knackenden Geräusch stellte ich bald darauf fest, dass es diese Aktion wohl kaum überlebt haben konnte.


Mikel, den es ebenso umgerissen hatte, zischte mir nur auf Deutsch, unserer gemeinsamen Muttersprache, zu: „Du passt wohl auch nicht auf, wo du hinläufst, was?“ „Tut mir leid.“, entschuldigte ich mich. „Ich war wohl in Gedanken.“ „Das merkt man.“, sagte Mikel, sammelte seinen Stock auf und stand auf. Ich tat das Gleiche, allerdings erheblich langsamer. Dann begutachtete ich die Reste meines Pads. „Das Ding kann ich falten, knicken und in die nächste Tonne treten!“, sagte ich mit viel Frustration in der Stimme. „das würde ich auch sagen.“, sagte Mikel, der sich anhand der Geräusche schon denken konnte, was gerade passiert war. „Was wolltest du denn damit hier?“


Ich erzählte ihm die ganze Geschichte. „Den Großteil kenne ich schon.“, sagte Mikel. „Kissara war so begeistert, dass sie mir alles gleich erzählt hat. Aber die Sache mit dem Streit zwischen Scotty und dir ist echt übel! Wir sollten in den Stadtpark gehen und das alles mal richtig durchquatschen. Vorausgesetzt wir kommen irgendwie über diese Straße!“ Ich gab einen bestätigenden Laut von mir und hängte mich bei ihm ein. „Also gut!“, sagte er und versuchte dabei viel Selbstvertrauen zu versprühen. Er, der schon immer der Risikofreudigere von uns war. „Auch, wenn wir die Einzigen sind, die ohne Displays und Fahrassistenz noch die Verkehrsregeln zu kennen scheinen! Komm schon!“, sagte er.


Er zog mich neben sich in Richtung Straße, aber bevor wir dort ankamen, verlangte etwas nach unserer Aufmerksamkeit. Das Geräusch, das wir hörten, unterschied sich sehr von denen, die wir bisher wahrgenommen hatten. Es handelte sich zwar auch um ein Signal, aber es war keines der üblichen Notsignale, die bisher über die Straßen gehallt waren. Im Grunde war es zwar auch nichts anderes, wenn man bedachte, dass eine Hupe auch im 30. Jahrhundert als Warnsignal galt, aber irgendwie beruhigte es mich, die ich mich aufgeregt und ängstlich an Mikel klammerte. Irgendwie ahnte ich wohl schon, dass wir jetzt Hilfe bekommen würden.


Tatsächlich hielt bald genau vor uns ein Jeep und ein Fenster schnurrte herunter. Dann wurden wir von dem Fahrer in gutem freundlichen Englisch angesprochen. Er machte keine grammatischen Fehler, hatte aber einen leichten Akzent, den ich sofort als asiatisch einstufte. Genauer dachte ich sogar, eindeutig zu hören, dass er japanische Wurzeln haben musste. Auch seine Stimme war mir bekannt. „Hi, Mr. Takahashi.“, sagte ich überrascht, aber gleichzeitig sehr erleichtert. „Hallo, Allrounder.“, sagte er erleichtert über die Tatsache, offensichtlich mit uns in Dialog treten zu können. „In ungefähr 300 m kommt eine Parkbucht.“, fuhr er fort und schaltete das Sprechgerät seines Fahrzeugs auf einen der lokalen Unterhaltungssender. Er konnte sich denken, dass wir den Antrieb wohl kaum hören und schon gar nicht mehr von den anderen Geräuschen unterscheiden können würden in unserer Aufregung. Da musste er schon ein deutlicheres Signal setzen. „Folgen Sie bitte der Musik.“, sagte er. In der Bucht können Sie dann einsteigen. Ich erkläre Ihnen alles.“


Wir nickten ihm zu und er setzte sein Fahrzeug im Schritttempo in Bewegung. Wir folgten parallel zur Straße auf dem Bürgersteig. Ich vertraute Heroito Takahashi. Ich kannte ihn schließlich recht gut. Wir hatten schon einmal zusammen an einer Mission teilgenommen und da war es ihm sogar gelungen, mir das Wasserskifahren beizubringen. Wenn auch nur in der Simulationskammer, aber er hatte es geschafft, mir das richtige Werkzeug an die Hand zu geben, mit dem ich meine Angst besiegt hatte. Mikel kannte ihn nicht so gut. Sie waren gute Nachbarn, mehr aber auch nicht.


Wir waren bald an der Parkbucht angekommen und er hatte den Jeep dort abgestellt. Dann war er ausgestiegen, um Mikel zur Beifahrertür und mich zur hinteren rechten Tür zu bringen. „Oder wollen Sie vorn sitzen?“, fragte er mich. Ich schüttelte nur den Kopf und antwortete knapp: „Hinten ist schon OK, Tak.“ Dass ich seinen Spitznamen kannte und auch benutzte, wusste er. Für die meisten anderen Leute in seiner Umgebung war sein japanischer Nachname so schwer auszusprechen, dass selbst Vorgesetzte bei der Sternenflotte ihn Tak nannten. Das hatte er aber aus den eben erwähnten Gründen auch selbst angeboten.


Alle drei bestiegen wir wieder das Fahrzeug und Tak ließ auch das Fenster wieder hochfahren. Dann fuhr er langsam wieder aus der Parkbucht. Dabei gab er einen erleichterten Seufzer von sich und sagte etwas auf Japanisch, dass ich in Etwa sehr frei mit: „Uff! Zumindest habe ich die Beiden aus der Gefahrenzone und von der Straße.“, übersetzte. Dann wandte er sich an uns: „Glauben Sie dem Verkehrsleitsystem bloß kein Wort! Es spielt total verrückt!“ „Wissen wir.“, erwiderte Mikel.

Kapitel 3: Der Unfall

von Visitor

 

Wir fuhren erst einmal die Straße entlang, auf der wir uns bereits befunden hatten. Dann fragte Tak nach einer Weile: „Wo wollten Sie denn hin?“ „Zum Stadtpark, Technical Assistant!“, sagte Mikel fest. „Also gut.“, sagte Tak und versuchte, sich in dem ganzen Chaos auf der richtigen Straße einzuordnen, was ihm auch tatsächlich sehr routiniert gelang, wie Mikel feststellen konnte. Da er sehr nah bei ihm saß, war dem blinden Agenten des Sternenflottengeheimdienstes durch sein hervorragendes Gehör sofort aufgefallen, dass Tak nur wenig schaltete und sicher und zügig in eine Lücke in der sich vor ihm befindenden Schlange gefahren war. Ihnen scheint die Technik keinen Strich durch die Rechnung zu machen, Tak.“, stellte der erste Offizier der Granger fest. „Da haben Sie Recht, Agent.“, sagte Tak. „Weil ich weiß, wie man das System ausschaltet. Das ist etwas schwieriger und die Meisten, die das tun wollen, werden bei der Hotline, die wir eingerichtet haben, erst mal nachfragen müssen, weil es von Hersteller zu Hersteller verschieden ist. Normalerweise soll das Sicherheitssystem ja auch nicht ausgeschaltet werden.“ „Tja.“, sagte ich von hinten. „So einen Fall wie heute, den gab es ja auch noch nicht.“ „Stimmt, Allrounder.“, sagte Tak.

Ich lehnte mich auf dem Sitz zurück, nachdem ich mein Sicherheitskraftfeld, das aus der Lehne des Vordersitzes kam, mit einem Knopf, der sich direkt neben meiner rechten Hand an der Tür befand, aktiviert hatte. Ich fühlte mich unglaublich sicher in diesem Jeep bei Mikel und Tak. Jetzt wusste ich, dass wir sicher ankommen würden und uns nichts mehr passieren konnte. Ich fühlte mich sogar so sicher, dass ich ins Träumen geriet. Ach ja, der Stadtpark. Da war ja etwas gewesen.

Meine Gedanken führten mich zu dem Wochenende zurück, das ich kürzlich auf der Erde verbracht hatte, nachdem meine letzte Mission vorbei gewesen war. Zu jenem Wochenende, an dem ich Vargas und Farina kennen gelernt, oder besser, wie in Farinas Fall, wieder kennen gelernt und unsere Freundschaft erneuert hatte.

Ich war also an jenem Samstagmorgen in den Stadtpark gegangen und hatte mich auf meinen Lieblingsplatz neben einem kleinen Teich gesetzt. Hier gab es eine kleine Steinmauer, auf die ich mich setzte und meine Beine baumeln ließ.

Während ich also so dasaß, bemerkte ich nicht, wie sich mir zwei Gestalten näherten. Eine von ihnen setzte sich rechts, die andere sich links neben mich. Dann wurde ich von einer etwas krächzenden, aber dennoch hohen weiblichen Stimme angesprochen: „Hi, Betsy! Schön, dich mal wieder zu sehen.“ „Kennen wir uns, Miss?“, fragte ich irritiert zurück. „Ich bin es.“, sagte sie und etwas berührte mich an der rechten Hand. Dieses Gefühl war mir vertraut und ich wusste sofort, dass es sich um einen Flügel handelte, der mich da gerade in so altvertrauter Weise berührt hatte. „Farina?!“, fragte ich, die ich sie erst jetzt erkannt hatte. „Genau!“, lächelte mir die Ornitoide zu. Dann rutschte sie näher an mich heran und ihre Stummelflügel, die, wie bei terranischen Pinguinen auch, eher Flossen ähnelten, umfingen mich, soweit das möglich war. Sie drückte mich fest an ihr schwarzweißes Federkleid, dessen Weichheit mir jetzt wieder sehr vertraut war.

Erst nach gefühlten 20 Minuten ließ sie mich los. „Es ist schon eine Weile her.“, sagte ich, nachdem ich ob ihres festen Griffes wieder zu Atem gekommen war. „Da hast du Recht.“, lachte sie. „Was machst du so? Ich hörte, du bist jetzt auf dem dritten Flaggschiff der Sternenflotte!“ „Richtig.“, bestätigte ich. „Und du?“ „Ich habe im Kindergarten von Little Federation als Erzieherin angefangen.“, sagte sie. „Und wir scheinen beide geheiratet zu haben. Zumindest trägst du einen Ehering. Ach übrigens, das ist Vargas, mein Mann.“

Sie warf ihm einen auffordernden Blick zu, worauf er sagte: „Hallo, Betsy. Ich darf doch Betsy sagen, oder?“ „Sicher.“, lächelte ich. „Schließlich sind Sie der Mann meiner Freundin, Vargas.“ „Dann sollten wir beide uns aber auch duzen.“, schlug er vor und ich nickte. „Das ist sehr gut.“, sagte er. „Zumal wir mit einer sehr privaten Bitte zu dir kommen. Wir möchten, dass du unsere Cantira wirst, wenn wir demnächst zusammen Nachwuchs planen. Weißt du, was das ist?“ „Sie ist Sternenflottenoffizierin!“, zischte Farina ihrem Mann zu. „Natürlich wird sie wissen, was das ist. Bitte beleidige nicht ihr kulturelles Wissen!“

Bestimmt befreite ich mich aus Farinas Griff, stand dann auf, räusperte mich und sagte dann langsam und deutlich: „Zunächst mal: Wir Sternenflottenoffiziere haben, genau wie ihr Zivilisten, auch nicht alles im Kopf, was fremde Kulturen angeht. Aber wir wissen, wo es steht! Also. Ich werde jetzt mein Pad holen und dann …“ „Das musst du nicht.“, sagte Vargas. „Wir werden es dir erklären. Wir möchten, dass du das Lied singst, zu dem wir tanzen, damit Farina das Ei, das sie gelegt hat, in meine Brutfalte befördern kann. Es gibt natürlich auch Profis aus unserem Volk, die das tagtäglich tun, aber wir wollen dich!“ „Welche Ehre.“, sagte ich etwas verschämt. „Aber es wird euer erstes Kind sein und ich bin auch eine gesangliche Amateurin. Wäre es nicht besser, wenn ihr euch an eine professionelle Cantira wenden würdet?“ „Du schaffst das!“, sagte Vargas fest und mit Überzeugung. „Wir vertrauen dir! Vor allem Farina vertraut dir und sie hat wiederum mich überzeugt! Du musst einen ziemlich starken Eindruck bei ihr hinterlassen haben, als ihr zusammen auf der Akademie wart.“

Ich dachte eine Weile nach. Dann sagte ich: „Also gut. Gebongt. Aber bitte gebt mir noch etwas Zeit zum Üben.“ „Die hast du.“, sagte Farina. „Zumindest laut meinem Biorhythmus. Wir sagen dir schon Bescheid. Aber wir würden gern in der nächsten Zeit anfangen, es zu versuchen. Du weißt schon, was ich meine.“ „Oh ja.“, lächelte ich. „Über die Bienen und die Blumen weiß ich Bescheid. Ich muss es nur früh genug wissen, um meinen Commander um Urlaub bitten zu können.“ „Kein Problem.“, sagte Farina tröstend. „Gib uns einfach dein Rufzeichen auf deiner Basis. Dann sagen wir dir Bescheid, wenn es geklappt hat.“ „Also gut.“, sagte ich. „Machen wir es so.“ Ich wusste zwar, dass ich mein Rufzeichen nicht einfach jedem Zivilisten geben durfte, eigentlich sogar nur Angehörigen, Aber in diesem Fall war eine Ausnahme wohl angebracht. Das hatte ich einfach so eigenmächtig beschlossen. Würde mir Commander Kissara dafür den Kopf abreißen wollen, würde ich ihn wohl auch hinhalten müssen. Es wäre ja schließlich meine eigene Schuld gewesen.

„Bei allen Göttern! Festhalten!“ Tak’s plötzlicher Ausruf hatte mich jäh in die Realität zurückgeholt. Ich hatte mich dabei derart heftig erschrocken, dass ich bei einer unwillkürlichen Kopfbewegung mit ebendiesem an die Seitenwand der Fahrgastzelle gestoßen war und das so heftig, dass mir für einen Moment etwas schwindelig wurde. Aber das lag nicht nur an seinem Ausruf, sondern auch an der Tatsache, dass er den Jeep plötzlich abrupt bremste und es ihm wohl nur unter größten mühen gelungen war, ihn doch noch sicher auf dem Grünstreifen neben der Straße zum Stehen zu bringen. Auch an Mikel war das Geschehen wohl nicht spurlos vorbeigegangen. Auch er musste sich erst einmal sammeln.

Eine Weile lang hatten wir nun schon regungslos dagesessen und die Situation beobachtet, die sich uns geboten hatte. Takahashi hatte nur immer geradeaus gestarrt. Offensichtlich hatte ihn das Gesehene sehr schockiert. „Was um alles in der Welt sollte dieses Manöver, Technical Assistant?!“, empörte sich Mikel schließlich. „Es tut mir leid, Sir.“, sagte Tak fast automatisch zu dem einige Ränge über ihm stehenden Agenten. „Aber vor uns hat es einen Unfall gegeben. Eines der beteiligten Fahrzeuge hat sich gedreht. Ich musste plötzlich ausweichen. Wie geht es Ihnen?“ „Mir geht es gut.“, versicherte Mikel. „Aber Allrounder Betsy scheint mehr passiert zu sein.“ „Ach was.“, hakte ich ein. „Das klang wohl dramatischer, als es in Wahrheit war.“

Ich musste meine Worte plötzlich unterbrechen und lauschen, denn ich hatte den Eindruck gewonnen, etwas gehört zu haben. Es waren uhrwerkgleiche Schritte, die sich da auf uns zubewegten. Diese Schritte konnte ich nur einem Wesen zuordnen, nämlich Commander Data, zumal sie zu schwer waren, um von einer Frau stammen zu können oder gar von einem Kind. Cupernica oder Novus konnte ich also ausschließen.

Data kam auf unser Fahrzeug zu und bedeutete Tak mittels eines Handzeichens, das Fenster herunterzufahren. Dies tat der Technical Assistant der Sternenflotte auch bereitwillig. Dann wandte sich der Androide freundlich an uns alle: „Ich wollte Sie nur informieren, dass es zwar einen Unfall gab, an dem ich einer der Beteiligten war, es aber keine größeren Personenschäden gegeben hat. Das zweite Fahrzeug hat zwar wirtschaftlichen Totalschaden, aber ich konnte die Insassen befreien. Es handelt sich um Farina und Vargas. Sie waren wohl auf dem Weg zur Praxis meiner Frau, weil die Eiablage kurz bevor stand.“ „Oh nein!“, fuhr ich ihm erschrocken dazwischen. „Ist etwa …“ „Es geht Ihrer Freundin gut, Allrounder.“, versicherte der Androide ruhig. „Dank einer sofort von mir initiierten Datenverbindung mit meiner Frau, über die sie mir das notwendige Wissen übermitteln konnte, war ich in der Lage, Farina als kompetenter Ersthelfer zur Seite zu stehen. Da es keine Komplikationen gab, war das alles kein Problem. Nun aber benötigen wir Sie, Betsy. Das Ei darf nicht sehr lange den feindlichen Temperaturen hier ausgesetzt sein. Die notwendige Bruttemperatur beträgt laut Cupernica, mit der ich immer noch in Kontakt stehe, 40 °. Cupernica ist mit einem Inkubator auf dem Weg hierher. Aber aufgrund der Verkehrsverhältnisse wird es sicher noch etwas dauern, bis sie hier ist. Wir müssen jetzt etwas tun, wenn der Embryo nicht absterben soll.“ „Ich habe eine Wolldecke im Kofferraum.“, sagte Tak, stieg aus und ging nach hinten. „Und ich habe einen Erfasser.“, sagte Mikel und holte seinen Rucksack hervor, den er die ganze Zeit vor sich im Fußraum des Jeeps gehabt hatte. Daraus zauberte er das Gerät hervor. Er war bei unserem Sturz auf dem Hintern gelandet. Dem Rucksack und dessen Inhalt war also nichts passiert. „Wieso schleppst du ständig deinen Erfasser mit dir herum?“, wollte ich wissen. „Du bist ja schon genau so wie Sedrin.“ „Das sollte es dir erklären.“, sagte Mikel. „Ach so.“, verstand ich. „Das ist also eine Berufskrankheit von euch Agenten.“ „Genau.“, sagte Mikel.

Tak war inzwischen, das Dach des eigenen Fahrzeugs als Bastelunterlage missbrauchend, dabei, aus der Wolldecke eine Tasche zu falten. Mikel, der ausgestiegen war und sich ihm interessiert genähert hatte, griff das sofort auf und sagte: „Die legen Sie mir dann mit dem Ei auf den Schoß! Ich fühle mich heute irgendwie wie ein heißer Typ und wenn wir Cupernica entgegenfahren, wird das schon ausreichen.“ „Ok.“, sagte Tak, der erst jetzt von seinem Wolldecken-Origami aufgesehen hatte.

Data hatte mich zu Farina und Vargas gebracht, die auf einer Wiese auf mich warteten. „Oh, Betsy.“, sagte mein neuer ornitoider Freund erleichtert. „Was für ein Zufall, dass du gerade in der Nähe warst.“ „Tja, manchmal hat man eben Glück im Unglück.“, erwiderte ich. „Wie geht es dir, Farina? Wo ist das Ei?“ „Ich bin etwas müde.“, sagte die Angesprochene. „Aber ansonsten bin ich OK. Ich wollte es erst zurückhalten, weißt du, aber Data hat gesagt, dass ich mir nur schade, wenn ich mich dagegen wehre, dass es kommt. Es ging alles so schnell. Ich musste kaum mithelfen, also pressen. Ich hatte solche Angst, Betsy! Solche Angst! Aber ich war sehr froh, dass Data und Vargas da waren. Ich hätte nie gedacht, dass mir eine Maschine so viel Mut geben kann.“ „Er stand ja auch in Verbindung mit einer Fachfrau.“, sagte ich. „Sie ist zwar auch eine künstliche Lebensform, aber fachlich ausgebildet. Sie ist immerhin Medical Scientist der Sternenflotte.“ „Ich weiß.“, sagte Farina. „Cupernica ist eben so berühmt wie du. Ach, das Ei ist übrigens noch in unserem Fahrzeug. Data meinte, dass es dort wärmer sei und es dort, bis eine andere Möglichkeit gefunden wäre, am besten aufgehoben sei.“

Tak hatte Data gewinkt. „Ich bin fertig.“, sagte der technische Assistent und übergab dem Androiden sein Werk. „Vielen Dank, Tak.“, sagte dieser, nahm die Tasche entgegen und ging damit in Richtung von Farinas und Vargas‘ Fahrzeug. Dann sah er sich die Situation Noch einmal an und entschied dann: „Ich werde zuerst das Fahrzeug stabilisieren. So vermeide ich, dass das Ei, wenn ich mich hineinbeuge, um es zu bergen, durch eine Bewegung des Jeeps Schaden nehmen kann. Immerhin hängt dieser halb im Graben.“ „Wie will er das denn anstellen ohne Rettungsausrüstung?“, fragte Vargas unverständig, der Data lange nicht so gut kannte wie wir. „Abwarten.“, grinste Mikel, der sich wohl schon denken konnte, was jetzt kam. Der Sternenflottenoffizier wusste um die gleichen Zusammenhänge wie ich und wir waren froh, Vargas und Farina somit auf ein Schauspiel aufmerksam machen zu können, das sie von der Angst um ihr ungeborenes Kind für eine Weile ablenken würde.

Ich drehte mich in die Richtung, aus der ich Datas Stimme wahrgenommen hatte und zeigte nach geradeaus. Dann drehte ich meinen Kopf wieder in Vargas‘ und Farinas Richtung und sagte: „Aufgepasst!“ Das war auch gleichzeitig das Signal für Data, mit seiner in den Augen meiner neuen Freunde sicher zirkusreifen Nummer loszulegen. Tatsächlich fasste der Androide das Fahrzeug an der hinteren Stoßstange und zog es scheinbar mühelos rückwärts aus dem Graben auf den Grasstreifen. Dort drehte er es zurecht, bog die beschädigte Beifahrertür auf, um aber dann mit fast schon grazil anmutender Vorsicht das Ei vom Beifahrersitz zu holen und es in Tak’s Tasche zu platzieren, die er dann zu Mikel brachte und ebenfalls sehr vorsichtig auf dessen Schoß ablegte. „Das ist ja unglaublich!“, staunte Vargas. „So stark und grob, aber dann auch so vorsichtig, wenn es darauf ankommt.“ „Das ist nicht korrekt.“, erwiderte Data. „Es ist alles nur eine Frage der Einstellung meiner Servos und die erfolgt durch meine Software. Aber ich gehe davon aus, dass Sie mir gerade ein Kompliment machen wollten, nicht wahr?“ „Allerdings.“, bestätigte Vargas die Annahme des Androiden. „Dann vielen Dank.“, sagte Data höflich.

Vargas drehte sich mir zu. „Vielleicht kannst du mir mal erklären, wie er das gemacht hat. Ich meine, er hat gerade einen Gegenstand gehoben, der fast vier Tonnen wiegt.“ „Das ist für ihn eine Fingerübung.“, lächelte ich. „Er hat vor ca. 800 Jahren schon einmal ein ganzes Raumschiff aus einem See gezogen, das Platz für ca. 400 Leute plus Besatzung geboten hätte, inklusive diverser technischer Einrichtungen wie eines Holo-Decks.“ „Wow!“, staunte Vargas nur. „Das musst du einem unbedarften Zivilisten unbedingt alles mal von Anfang an erzählen, Sternenflottenoffizierin.“ „Sicher.“, lächelte ich erleichtert und war froh, ihn und Farina, die ebenfalls interessiert zuhörte, mit dieser kleinen Geschichtsstunde noch weiter ablenken zu können.

Kapitel 4: Sprung ins kalte Wasser

von Visitor

 

Ich wollte gerade mit einem Vortrag beginnen, als mich ein Ausruf Agent Mikels, der sich mit dem Ei auf einen Stein in der Nähe der Wiese gesetzt hatte, plötzlich daran hinderte. „Kommt bitte alle sofort her!“, war seine aufgeregte Stimme zu vernehmen. Erschrocken folgten wir alle der Bitte, auch Farina, die in diesem Augenblick sehr allarmiert schien. Etwas musste nicht stimmen, das ahnten wir.

Data hatte mich untergehakt und war mit mir der erste am Ort des Geschehens gewesen. Ihm fiel sofort Mikels angespanntes Gesicht auf und die Tatsache, dass der erste Offizier der Granger seinen Erfasser über das Ei hielt und ständig auf das Display des Gerätes deutete. Im Ohr hatte er einen Ohrhörer, über den ihm der Erfasser ständig relevante Informationen zu geben schien, die ihn sehr in Angst und Schrecken versetzen mussten, jedenfalls dann, wenn man die Regungen seines Gesichtes, die Data mir beschrieb, richtig interpretierte.

Der Commander beugte sich zu dem einen Rang unter ihm stehenden Agenten herunter und sah sich das Display an. Ich, die ich dies zwar bemerkt hatte, aber natürlich nicht in gleicher Weise verfahren konnte, fragte nur etwas irritiert: „Was ist passiert, Commander?“ Statt Data antwortete mir aber Mikel sehr aufgeregt: „Die Temperatur in dem Ei fällt! Sie fällt zu schnell und das Interpretationsprogramm sagt, dass wir nur noch drei Minuten haben, bis sie in den kritischen Bereich kommt, in dem der befruchtete Zellkern geschädigt wird, oder gar abstirbt. Offensichtlich bin ich nicht warm genug. Commander, wo ist Ihre Frau?“

Zwei oder drei Sekunden vergingen. Offensichtlich nutzte Data gerade seine Verbindung, um Cupernica die neuen Fakten mitzuteilen und ihre genaue Position zu erfragen. „Dann sagte der Androide gewohnt sachlich: „Cupernica befindet sich auf dem Zubringer zu dieser Straße. Sie hängt aber in einem Stau fest. Sie schätzt, dass sie noch mindestens eine Viertelstunde benötigen wird, bis sie hier ankommt. „Das ist zu lang, verdammt!“, sagte Mikel. „Viel zu lang!“ „Das ist korrekt.“, bestätigte Data. „Zumal sie mir auch gesagt hat, dass die nötige Temperatur wohl nur in Vargas‘ Brutfalte erreicht werden kann. Aber ohne den Tanz können wir das Ei dort nicht platzieren. Der Tanz löst nämlich eine hormonell bedingte Ausdehnung und Ausstülpung der Falte aus. Würden wir versuchen, das Ei manuell einzuführen, würden wir ihm sehr wehtun und es unter Umständen vielleicht sogar zerbrechen. Meine Frau rät dringend davon ab! Sie sagt, es ist unbedingt nötig, dass wir nach anderen Lösungen suchen!“ Er klang bei seinen letzten Worten sehr bestimmt. „Tja.“, sagte Mikel. „Dann gibt es ja wohl nur noch eine Lösung. Die Beiden müssen tanzen und damit sie das können, musst du singen, Betsy!“ „Oh mein Gott!“, sagte ich. „Ich glaube, da haben wir ein Problem. Textsicher bin ich, aber mit der Melodie und dem Takt hapert es noch ein wenig.“ „Ich verstehe nicht, wo das Problem liegt.“, sagte Mikel. „Wir würden dir einen kleinen Patzer schon verzeihen.“ „Da hast du Recht.“, sagte ich. „Du verstehst nicht. Wenn ich mich vertue, kann das dazu führen, dass sich Vargas und Farina auch vertun und dann kann das Ei zerstört werden. Das heißt, das Leben ihres Kindes ist vorbei, noch bevor es richtig angefangen hat!“ „Das kommt darauf an, wie man Leben definiert.“, sagte Data. „Im Glauben der Bewohner von Cryalis neun beginnt es allerdings schon mit der befruchteten Zelle.“

Farina hatte alles mitbekommen. Sie hatte sich jetzt ängstlich zwischen uns gedrängt. „Oh nein!“, rief sie fast panisch. „Das Baby wird sterben, nicht wahr? Unser armes Kind wird …!“ „Niemand wird hier sterben, Farina! Hören Sie? Niemand wird hier sterben! Nicht, wenn wir es verhindern können!“, sagte Mikel. Dabei versuchte er den Eindruck zu vermitteln, die Situation unter Kontrolle zu haben. Das war eine Angewohnheit, die er und ich oft in Anwesenheit von Zivilisten zeigten. Wahrscheinlich, weil wir, als Offiziere der Sternenflotte, das Gefühl hatten, die armen arglosen Geschöpfe jederzeit unter unsere Fittiche nehmen zu müssen.

Mikel warf seinen Kopf herum in Datas Richtung. Der Androide hatte sofort verstanden und bestätigte: „Der Agent hat vollkommen Recht! Hier wird heute niemand sterben. Ich denke auch, dass noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind.“ „Danke, Sir.“, sagte Mikel. „Aber wo in aller Welt sollen wir für mich eine passende musikalische Begleitung hernehmen?“, fragte ich und zeigte verschämt auf die Reste meines Pads in meiner Umhängetasche. „Wir müssen bedenken, dass wir nicht mehr viel Zeit haben.“

Alle begannen nachzudenken. Alle inklusive Tak, der plötzlich aufstand und fast wie hypnotisch flüsterte: „Eigentlich ist Sprache technisch gesehen auch nichts weiter als eine Aneinanderreihung von Tönen, genau wie Musik.“ Dann ging er zu Data hinüber, der ihn aber bereits verstanden zu haben schien. Er aber schien der Einzige zu sein. Wir anderen standen nur ratlos da und beobachteten, wie Data zunächst sein Haftmodul aus der Tasche zog und Tak dann folgte.

Die Männer hatten sich auf den Weg zum Fahrzeug des Asiaten gemacht. Während dessen erklärte Tak Data seinen Plan. „Ihr Stimmsynthesizer dürfte doch in der Lage sein, jede Art von Geräusch hervorzubringen, nicht wahr, Commander?“, fragte der technische Assistent. „Das ist korrekt.“, sagte der Androide. „Und ich glaube auch schon zu wissen, worauf Sie hinaus wollen, Tak. Deshalb habe ich mein Haftmodul auch schon bereit. Ich habe es immer dabei, müssen Sie wissen.“ „Das lässt sich denken, Sir.“, sagte Takahashi.

Sie waren am Fahrzeug angekommen und Tak setzte sich auf die Fahrerseite, um gleich darauf etwas in den Bordcomputer einzugeben. Dann forderte er Data auf, sein Haftmodul zu benutzen. Das tat der Androide auch, indem er sich das Modul selbst auf die Stirn setzte und dann das kurze davon abgehende Kabel Tak reichte, der es in eine Buchse steckte. Dann sah er gebannt auf den Bildschirm. „Das System erkennt Sie nicht.“, analysierte er die Meldung, die der Rechner ausgespuckt hatte. „Aber das habe ich mir schon gedacht. Ich werde dem Computer erklären müssen, wer Sie sind.“ „Dazu dürften umfangreiche Programmierarbeiten notwendig sein.“, sagte Data. „Diese dauern sicher zu lang. Ich schlage vor, dass wir zu meinem Fahrzeug gehen. Dieses kennt und erkennt mich. Ich habe das gleich bei Lieferung einbauen lassen.“ „Also gut.“, sagte Tak. „Dann breche ich das jetzt hier ab. Aber wieso Ihr Fahrzeug? Sagten Sie nicht, Sie hätten einen Unfall …“ „Das sagte ich.“, unterbrach Data ihn bestätigend, aber gleichzeitig etwas tadelnd. „Aber das bedeutet nicht, dass es nicht mehr betriebsbereit ist. Als das Fahrzeug von Mr. Vargas und seiner Frau unvermittelt vor mir auftauchte, weil es auf der falschen Spur unterwegs war, konnte ich, Dank meiner überlegenen Reflexe, schnell genug ausweichen. So habe ich einen Zusammenstoß verhindert. Mr. Vargas muss dann sein Fahrzeug vor Schreck übersteuert haben.“ „Tut mir leid, Commander.“, sagte Tak. „Da habe ich wohl etwas vorschnell geurteilt. Das ist aber eine typische Eigenart der Menschen. Bitte entschuldigen Sie.“ „Schon gut.“, sagte Data gewohnt nüchtern.

Sie gingen wie vereinbart zum Fahrzeug des Androiden. Hier verband sich Data dann sofort mit dessen Bordcomputer. „Ich möchte eine bestimmte demetanische Kulturseite im Föderationsnetzwerk aufrufen.“, erklärte Tak und diktierte Data die Adresse. „Dort haben sie vielleicht auch das Lied in einer Version, die mit Ihrem Betriebssystem kompatibel ist. Die haben da alles. Von der klingonischen Oper bis Shakespeare.“ „Also gut.“, sagte Data. Nur werde ich die Suche selbst starten.“ „OK.“, sagte Tak. „Ich würde es an Ihrer Stelle mit den Begriffen: Cryalis neun, Eiübergabe und Tanz versuchen.“ „Genau das hatte ich auch vor.“, sagte Data und initiierte die Suche schneller, als Tak hinschauen konnte.

„Eine sehr gute Wahl, Technical Assistant.“, sagte er nach einer kurzen Weile. Ich bin bereits fündig geworden. Während des Downloads werde ich allerdings die Verbindung mit meiner Frau beenden, damit die Strahlung keine Störungen verursacht.“ „Genau das wollte ich Ihnen gerade vorschlagen.“, sagte Tak. „Dann sehe ich ja, dass ich bei Ihnen in guten Händen bin, Technical Assistant.“, sagte Data. „Nur Mut! Sie verstehen Ihr Handwerk!“ „Das mag ja sein.“, sagte Takahashi bescheiden. „Nur habe ich bei solchen Operationen normalerweise immer einen Chefingenieur im Hintergrund gehabt, der mir auf die Finger geschaut hat.“ „Das ist aber in diesem Fall gänzlich unnötig.“, sagte Data motivierend. „Sie schaffen das auch sehr gut allein. Formal ist das sicher auch richtig so, aber der Zweck heiligt manchmal eben die Mittel.“ „Ja.“, nickte der immer noch sehr aufgeregte Japaner. „Aber Buddha sei Dank, eben nur manchmal.“ Ungerührt von seiner Reaktion initiierte Data den Download.

Wenige Sekunden später war er damit fertig. „Passen Sie auf, Tak.“, forderte er den Japaner auf, ihm jetzt genau zuzuhören. Dann war aus seinem Mund statt seiner Stimme jene musikalische Begleitung zu hören, die ich benötigen würde. Dies ließ Data aber nur anspielen und schaltete gleich wieder um.

Tak ließ hörbar die Luft aus seinen Lungen entweichen. „Lassen Sie uns nun zum Allrounder gehen.“, sagte Data. „Ich werde ihr noch einiges erklären müssen. Da das Programm zum Abspielen der Musik auf dieselben Hardwarekomponenten zugreift, die ich auch zum Erzeugen von Worten benutze, werde ich nicht mit ihr verbal kommunizieren können, während ich die Musik abspiele. Eine Kommunikation zwischen uns könnte aber notwendig werden. Wir werden eine nonverbale Kommunikation auf taktiler Basis finden müssen, wenn ich sie durch das Lied führen soll. Sie hat ja verdeutlicht, dass sie noch einen leichten Hilfsbedarf hat.“ „OK.“, sagte Tak. „Kommen Sie.“

Die Beiden waren bald wieder bei mir angekommen und Data stellte sich direkt neben mich. „Wir haben eine musikalische Begleitung für Sie, Allrounder.“, sagte er förmlich. „Woher ist die denn auf einmal gekommen?!“, fragte ich erleichtert, aber gleichzeitig leicht irritiert, zurück. „Sie kam von einer demetanischen Kulturseite und ist jetzt in mir.“, antwortete der Androide. „Ich werde die Datei abspielen und sie werden dazu singen. Da ich dann nicht mit Ihnen verbal kommunizieren kann, werden wir untereinander eine nonverbale aber taktile Kommunikation führen. Wenn es Zeit für Sie ist, Atem zu holen, werde ich Ihre Rippen berühren. Wenn Sie zu singen beginnen sollen, berühre ich Ihren Kehlkopf. Wenn Sie aufhören sollen, berühre ich Ihre Lippen.“ „Das war ja sehr leicht zu behalten, Sir.“, sagte ich, räusperte mich, richtete mich auf und sagte: „Bereit, wenn Sie es sind, Commander!“

Data berührte meine Lippen und ich lockerte meine Körperhaltung wieder. „Sehr gut!“, lobte er. „Das zeigt mir, dass unsere neue Sprache von Ihnen bereits verstanden wird. Aber ich hatte auch nichts anderes erwartet.“

Er drehte sich fort und ging zu Farina und Vargas hinüber. Dabei kam er kurz bei Mikel vorbei, den er aufforderte: „Agent, bitte geben Sie mir das Ei.“ Mikel nickte und kam der Bitte des Mannes, der theoretisch sein Vorgesetzter sein konnte, bereitwillig nach. Dann ging Data mit dem Ei in der Hand weiter. Bei den beiden Ornitoiden blieb er stehen und wandte sich an Vargas: „Ich werde das Ei jetzt auf Ihren Füßen platzieren. Das wäre ja auch der Fall, wenn Farina es gerade dort abgelegt hätte und nichts geschehen wäre, das dies verhindert hätte. Farina, bitte stellen Sie sich jetzt mit Ihrem Rücken zu Ihrem Partner und zwar so, dass Ihr Hinterteil das Ei berührt. Sehr gut so. Jetzt warten Sie bitte beide ab.“

Data kehrte zu mir zurück und befahl: „Achtung, Allrounder! Die Ohren gespitzt!“ „Sind gespitzt, Sir!“, antwortete ich schmissig. „Also dann!“, sagte Data, lud das Programm und begann damit, die Musik abzuspielen. Mit der Verständigung hatten wir keine Schwierigkeiten. Ich wusste genau, was er wann von mir wollte und das gab mir ein starkes Gefühl der Sicherheit. Das wiederum führte dazu, dass ich das Lied sehr sicher singen konnte, was Farina und Vargas sicher auch das nötige Vertrauen einflößte.

Plötzlich winkte Vargas Data, der mir sofort bedeutete, mit dem Singen aufzuhören. Dann kam er in einem extremen Watschelgang auf uns zu und nahm, um mir nicht wehzutun, mit seinem Schnabel meinen rechten Ärmel auf. So führte er meine Hand an sein weißes weiches Brustgefieder. Dann forderte er mich auf: „Schau dir ruhig genau an, was du angerichtet hast mit deiner Singerei!“ Dabei konnte ich gut seine Absicht hören, mit mir zu scherzen.

Ich tastete mich also an seinem Gefieder herunter, bis meine vor Aufregung leicht zitternde Hand auf eine große Wölbung an seinem Bauch stieß. Sie war hart und hatte in etwa die Größe eines Modells eines cryalischen Eies, Wie ich es einmal in Cupernicas Praxis angefasst hatte. „Oh mein Gott!“, rief ich aus. „Ich kann es nicht fassen! Willst du mir etwa sagen, Vargas, es ist drin?!“ „Was denn wohl sonst.“ grinste mein ornitoider Freund. „Oder glaubst du ernsthaft, ich hätte heimlich still und leise einen Fußball verschluckt?“ „Nein.“, sagte ich erleichtert und entspannte mich merklich.

Kapitel 5: Cupernicas Eintreffen

von Visitor

 

Das Geräusch eines sich langsam aber stetig nähernden Jeeps war zu hören. Bald darauf stoppte das Fahrzeug ganz in unserer Nähe und die Fahrerin stieg aus. Wie ich bereits an den sich uns nähernden Schritten ausmachen konnte, handelte es sich um Cupernica. „Da sind Sie ja endlich, Scientist.“, stellte auch Mikel fest. „Tut mir leid.“, entschuldigte sich die Androidin. Ich konnte leider nicht früher. Der Verkehr, Sie verstehen?“ Mikel nickte.

Ihr Blick war auf Farina und Vargas gefallen. Sie hatte gesehen, dass sie die Wölbung am Bauch ihres Mannes sehr liebevoll angesehen und verstohlen mit einem ihrer Flügel darüber gestreichelt hatte. „Wie ich die Angelegenheit einschätze.“, urteilte sie. „Haben Sie die Situation ja auch schon ohne mich gemeistert. Mir bleiben dann wohl nur die Reste. Will damit sagen, dass ich jetzt lediglich die Abschluss Untersuchungen vornehmen werde. Farina, erst Sie. Bitte stellen Sie sich mit dem Rücken zu mir.“ Die Ornitoide nickte und kam der Bitte der Ärztin nach. Sie wusste, dass Cupernica sie nur anzusehen brauchte, um ein Untersuchungsergebnis zu bekommen. Ihre Augen funktionierten ja genau wie die Sensoren eines Erfassers. „Haben Sie versucht, das Ei zurückzuhalten, Farina?“, fragte Cupernica ihre Patientin, die daraufhin schuldbewusst nickte. „Das erklärt die leichte Läsion am Legedarm, die ich bei Ihnen feststellen kann. Aber wenn Sie in den nächsten drei Wochen nicht planen, ein weiteres Ei zu legen, ist das nicht so schlimm. Vargas muss dieses ja auch erst mal ausgebrütet haben und das dauert ungefähr 30 Tage. Aber ansonsten sind Sie gesund. Vargas, jetzt Sie. Von Ihnen brauche ich die Vorderseite.“ Auch Vargas stellte sich bereitwillig vor ihr in Position. „Es sieht alles sehr gut aus.“, sagte Cupernica schließlich. „Die Keimzelle ist vital und intakt. Die Temperatur hat sich bei gemütlichen 40 ° stabilisiert.“ Herz, was willst du mehr.“, warf ein erleichterter Mikel ein.

Cupernica war nach getaner Arbeit zu ihrem Ehemann hinübergegangen. „Mit dir muss ich auch noch ein ernstes Wort reden, Data!“, sagte sie ernst und sehr bestimmt. „Was hast du da eigentlich gemacht? Plötzlich hast du die Verbindung zwischen uns beendet, ohne mir den Grund dafür zu nennen. Meine Versuche, sie von mir aus wieder aufzubauen, hast du blockiert! Also, was war hier los?“ „Vielleicht kann ich Ihnen diese Frage beantworten, Cupernica.“, sprang ich für Data in die Bresche. „Ihr Mann musste einen Download ausführen, um mich musikalisch begleiten zu können, während ich das Lied gesungen habe, bei dem Farina und Vargas den Übergabetanz vollführt haben. Ihr Mann war ein ganzes Orchester und dessen Dirigent noch obendrein. Ohne ihn hätte ich sicher einige fatale Fehler gemacht.“ „Nun ja, Allrounder.“, sagte Cupernica. „Das klingt ja alles sehr geheimnisvoll. Data wird es mir sicher zu Hause erklären. Aber nun sollten wir machen, dass wir alle wieder in heimatliche Gefilde kommen. Officer Reinolds ist über die Angelegenheit informiert, was den Unfall angeht, konnte sich aber bisher noch nicht kümmern, weil er und seine Leute den Verkehr regeln müssen. Ich bin gespannt, wann die Techniker das Verkehrsleitsystem wieder im Griff haben. Ich werde Vargas und Farina persönlich mitnehmen.“ „Und Mikel und Betsy fahren mit mir.“, sagte Tak. „OK.“, erklärten wir uns alle unisono einverstanden.

Mikel hatte etwas ausgerechnet. „30 Tage, Cupernica?“, fragte er. „Das wäre am Ostersonntag. Da sind Betsy und ich schon wieder auf unserer Basis. Das bedeutet, wir werden nicht sehen, wie das Kleine zur Welt kommt.“ „Nun mal langsam, Agent!“, sagte die Ärztin. Wer sagt Ihnen denn, dass Sie das überhaupt dürfen. Zuerst sollten wir doch Farina und Vargas danach fragen.“ „Wir sind einverstanden, Cupernica.“, sagte Vargas, der alles mitbekommen hatte. „Von ganzem Herzen!“, ergänzte Farina glücklich. „Betsy, als unsere Cantira, dürfte es ja sowieso und Sie haben auch einen sehr großen Beitrag geleistet, Agent. Wenn es also irgendeine technische Möglichkeit gibt, dann …“ „Die gibt es sicher.“, sagte die Androidin. „Ich kenne das Rufzeichen der Basis 817 und der Schlupf sollte ohnehin in meiner Praxis unter meiner Aufsicht stattfinden, damit ich bei Komplikationen schnell eingreifen kann.“ „Ok.“, meinte Mikel. „Dann wäre das ja auch geregelt.“

Vargas hatte Data zu sich gewinkt. „Was gibt es, Mr. Vargas?“, fragte der Androide. „Falls wir einen Sohn bekommen.“, sagte Vargas. „Wären Sie damit einverstanden, wenn wir ihm Ihren Namen gäben?“ „Nein.“, sagte Data knapp und präzise. „Mein Name ist für eine natürliche Lebensform gänzlich ungeeignet, weil er sehr technisch klingt und Ihr Kind sicher darunter zu leiden hätte. Ich weiß Ihre Geste zu schätzen, halte dies aber aus psychologischer Sicht für nicht angebracht.“ „Schade.“, sagte Vargas traurig, sah dann aber irgendwo doch ein, dass Data Recht hatte. Kinder konnten schließlich manchmal sehr grausam sein, wenn sie etwas nicht verstanden und dem sollte sein Sohn auf keinen Fall ausgesetzt werden! Natürlich wusste er, dass da auch nur die Angst aus ihnen sprach, aber dazu wollte er es auf keinen Fall kommen lassen! „Wir werden eine andere Möglichkeit finden.“, tröstete Farina. „Falls wir eine Tochter bekämen, wäre sowieso alles anders. Aber ich denke, dass Cupernica der Argumentation ihres Mannes auch folgen würde, denn auch ihr Name klingt sehr technisch.“ „Na ja.“, sagte Vargas. „Das werden wir wohl der Natur überlassen müssen.“ Dann stiegen wir alle in die Jeeps und fuhren nach Hause.

Kapitel 6: „Kein Bild, kein Ton …“

von Visitor

 

Parallel zu diesen Ereignissen hatte auch Scotty sein Ziel erreicht. Von Claire war er an der Tür zum Rathaus abgeholt worden und die eifrige Sekretärin hatte ihn sogleich in die IT-Abteilung geführt, die sich im Keller des Rathauses befand. Hier standen alle wichtigen Server, die für das Steuern der Systeme in Little Federation zuständig waren. Aber nicht nur die Server standen da, sondern vor ihnen standen auch eine Menge technischer Mitarbeiter aller möglichen Spezies, die alle einen sehr nachdenklichen Eindruck vermittelten.

Scotty ließ seinen Blick über das Geschehen schweifen. Dabei irritierte Claire, die noch immer bei ihm stand, ein wenig, dass er noch sehr weit weg stand. „Wäre es nicht leichter für Sie, wenn Sie näher gingen, Mr. Scott?“, fragte sie. „Oh ne.“, flapste mein Ehemann. „Das geht schon, Claire. Manchmal hat man aus der Ferne den weitaus besseren Überblick. Übrigens, Sie können gehen. Ich komme jetzt hier schon klar.“ „In Ordnung.“, lächelte Claire höflich und verließ den Raum.

Montgomery richtete sich auf und sagte, nachdem er sich in die Mitte des Raums gestellt hatte, und zwar so, dass ihn alle gut sehen konnten: „So und ihr lebendigen Fragezeichen, ihr macht jetzt erst mal alle Mittag und lasst hier mal ’n Fachmann ran! Ich kann mir nämlich schon denken, was hier los is’, aber ihr stört leider nur. In so ‚nem Fall arbeite ich lieber allein. Also los, ab in die Pause!“ Wer Scotty nicht kannte, konnte ob dieser Sprüche leicht den Eindruck gewinnen, er sei von sich selbst sehr eingenommen und ebenso eingebildet. Aber da alle eigentlich genau wussten, wer er war und vor allem, wie er war, fühlte sich niemand ernsthaft auf den Schlips getreten. So verließen alle wunschgemäß den Raum und ließen Scotty mit den Rechnern allein. Sie waren wohl insgeheim sehr froh, dass ihnen jemand den Berg vor den Füßen wegräumte, vor dem sie standen wie die Ochsen.

Scotty sah sich erneut alle Bildschirme der Reihe Nach an. Dann stellte er fest: „Na, die Hälfte von euch weiß ja gar nich’, was Sache is’ und die andere Hälfte wundert sich. Anscheinend hat euch jemand in der falschen Reihenfolge hochgefahren nach der letzten Wartung. Ihr könnt mir nich’ zufällig sagen, wer das war, he?“

„Ich war das.“ Ein kleinlautes Stimmchen hatte sich hinter einem Regal mit Datenkristallen zu Wort gemeldet. Das Stimmchen erinnerte Scotty an ein Schulkind. Er ging näher und sah tatsächlich bald einen kleinen ängstlich dreinschauenden Blondschopf hinter dem Regal hervorblitzen. „Na komm schon raus, Kleine.“, sagte Scotty freundlich und reichte ihr eine Hand. Diese nahm die Schülerin zitternd entgegen. Dann schlich sie langsam auf Scotty zu, der sie erst jetzt richtig in Augenschein nehmen konnte. Dabei sah er erst jetzt, dass er es wohl mit einer ca. 12-jährigen Sechsklässlerin zu tun hatte, die hier allenfalls ein Schülerpraktikum absolvierte. Sie maß ca. 1,50 m und hatte ein rotes langes Kleid an. Unter diesem lugten ein Paar bunte Sandalen hervor. Ihr langes blondes Haar war zu zwei Zöpfen gebunden, die ihr rechts und links verspielt über die Ohren hingen, an deren Läppchen sich kleine goldene Ohrringe in Form von Katzenköpfen befanden.

Scotty musterte das kleine Persönchen mit großer Aufmerksamkeit. Erst jetzt bemerkte er, dass sie bei seinem Anblick in Tränen ausgebrochen war. „na, na.“, tröstete er. „Wer wird denn gleich weinen. Erzähl dem alten Scotty doch erst mal, was los is’. Was machst du überhaupt hier? Kinder wie du sollten doch jetzt normalerweise in der Schule sein, oder irre ich mich da etwa, hm?“ „Ich mache hier ein Schülerpraktikum.“, sagte das Mädchen. „Ich bin übrigens Helen Simson. Meine Tante Claire arbeitet hier auch. Oh, Mr. Scott, wird sie ihren Job verlieren, wenn rauskommt, dass …“ Erneut fing Helen zu weinen an.

Scotty zog sie auf einen Stuhl an einer der Arbeitskonsolen und zog sich dann selbst einen zweiten heran. Dann sagte er: „Also, eins is’ schon mal klar wie Kloßbrühe. Deine Tante wird ihren Job auf jeden Fall behalten, Helen. Die hat damit nämlich gar nix zu tun und so was wie Sippenhaft gibt’s nich’ im Arbeitsrecht. Außerdem wärst du mit deinen 12 Jahren ja eh noch nich’ strafmündig. Zumindest schätze ich dich auf dieses Alter.“ „Das ist richtig.“, sagte Helen. „Der Einzige, der hier einen auf den Deckel bekommen wird.“, fuhr Scotty fort. „Wird dein Mentor sein. Wie kann der einem Kind eine Aufgabe übertragen, mit der es total überfordert is’. Er kann doch nich’ ernsthaft geglaubt haben, du könntest die jährliche Wartung des Verkehrsleitsystems allein vornehmen!“ „Na ja.“, druckste Helen herum. „Ganz so war das auch nicht. Mr. Parker hatte mich gelobt und mir gesagt, wie gut ich schon klar käme. Ich glaube, da habe ich einen Höhenflug bekommen und wollte …“ „Oh Schande!“, sagte Scotty. „Ich kann mir den Rest schon denken. Du wolltest zeigen, was du kannst, ihn überraschen und hast einfach allein angefangen, nich’ wahr?“ Helen nickte. „Na ja.“, sagte Scotty. „Da haben wir ja die Bescherung. Aber woher solltest du auch wissen, dass so was schwieriger is’, als es auf den ersten Blick aussieht? Aber mich verwirrt, dass Parker doch den ganzen Morgen Zeit hatte, dir über die Schulter zu schauen, was normalerweise ja auch seine Aufgabe wäre, als deine Aufsichtsperson. Außerdem hätte er dir Anweisungen erteilen müssen. Wo war er denn die ganze Zeit?“ „Er war Kaffee trinken.“, schluchzte Helen. „Jedenfalls hat er das zu mir gesagt und dann habe ich ihn nicht wiedergesehen.“ „Oh Backe!“, sagte Scotty. „Na, der kann sich auf was gefasst machen.“ „Und ich?“, fragte Helen besorgt. „Dich trifft erst mal gar keine Schuld!“, versicherte Scotty. „Du kannst ja nix dafür, wenn deine Aufsicht seine Kaffeetasse offensichtlich wichtiger findet, als dir zur Seite zu stehen.“ Helen atmete hörbar auf. Dann ließ sie sich von Scotty sogar ein Taschentuch reichen.

Nachdem sie sich kräftig geschnäuzt hatte, fragte sie: „Was ist da eigentlich genau passiert, Mr. Scott?“ „Also.“, erklärte Scotty. „Es sieht aus, als hättest du die Server in der falschen Reihenfolge wieder hochgefahren.“ „Was heißt das?“, fragte die leicht verwirrte Schülerin.

Etwas ratlos sah sich Scotty um. Er wusste im Augenblick kein Beispiel, mit dem er Helen verdeutlichen konnte, was er meinte. Er konnte eben doch besser mit Maschinen, als mit Kindern, zumindest seiner eigenen Meinung nach.

Sein Blick war nach langem Hin und Her auf die Sprechanlagenkonsole gefallen. Über das Menü wählte er den Punkt für externes Rufen an und gab mein Rufzeichen ein. Dass er dort nur den SITCH-Rufbeantworter antraf, störte ihn nicht. Er hinterließ dort nur eine kurze Nachricht mit der Bitte um Rückruf. Er war zuversichtlich, dass diese mich schon rechtzeitig erreichen würde.

Ich hatte inzwischen wieder mein Haus erreicht und routinemäßig den Hausrechner gefragt, ob eine Nachricht in meiner Abwesenheit eingegangen war. Eigentlich hatte ich mit einem klaren Nein gerechnet, war also umso überraschter, als der Computer mir tatsächlich den Eingang einer Nachricht von einem fremden Rufzeichen bestätigte. Als ausgebildete Kommunikationsoffizierin konnte ich natürlich herleiten, dass dieses Rufzeichen eines aus dem Rathaus von Little Federation sein musste. „Nachricht abspielen, Computer!“, befahl ich in Richtung des Hausrechners. Dieser kam meinem Befehl auch prompt nach und ich war sehr überrascht, Scottys Stimme wahrzunehmen: „Darling, bitte vergiss unseren Streit und ruf mich auf diesem Rufzeichen zurück. Ich sehe ein, dass ich da wohl was missverstanden hatte. Aber jetzt habe ich einen Fall, bei dem nur du mir helfen kannst. Es geht um ein trauriges Kind und du kannst ja so prima trösten. Also, bitte ruf mich zurück, wenn du das hörst. Das Kind is’ übrigens auch die Urheberin von dem Chaos auf der Straße. Aber das werden wir dir dann alles erklären.“ Die Nachricht endete.

Sofort hatte ich die Zeitung im Kopf, die ich ebenfalls bereits durch den Hausrechner abholen lassen hatte. Hier hatte man sich in den wildesten Spekulationen ergangen. Das Schärfste war die Vermutung eines Anschlages der Genesianer auf unser Verkehrsleitsystem. Über diese Vermutung konnte ich, als ausgebildete Sternenflottenoffizierin, allerdings nur herzhaft lachen! Wusste ich doch, dass hinterhältige Anschläge und Genesianer nun so gar nicht zusammenpassten. Wäre Prätora Shashana dieser Artikel unter die Augen gekommen, hätte sie das sicher als Beleidigung ihres Ehrgefühls gesehen und das wäre aus ihrer Sicht bestimmt ein Grund für einen Krieg mit der Föderation gewesen. Soweit durfte es auf keinen Fall kommen! Aber ich wusste es ja jetzt besser.

Ich nahm das Mikrofon in die Hand und befahl dem Hausrechner, eine Verbindung zu dem Rufzeichen aus der Nachricht aufzubauen. Das tat er auch und bald darauf hörte ich Scottys Stimme: „Hallo, Darling. Da bist du ja endlich!“ „Tut mir leid.“, entgegnete ich. „Ging leider nicht schneller. Du weißt ja, dass ich noch was zu erledigen hatte.“ „Ja, das weiß ich.“, sagte mein Ehemann. „Du nimmst mir also meinen kleinen Lapsus nich’ mehr krumm?“ „Du meinst unser Missverständnis von heute Morgen?“, versicherte ich mich. „Genau das!“, bestätigte er. „Nein, ich nehme es dir nicht mehr übel.“, sagte ich tröstend. „Aber nun erzähl mir erst einmal von deinem Problemfall.“

Es vergingen einige Sekunden und dann hörte ich, wie er das Mikrofon an jemanden weitergegeben haben musste. Gleich darauf erklang eine kleine ängstliche Stimme: „Hallo, Allrounder Scott.“ „Oh hi.“, lächelte ich. „Mit wem habe ich denn das Vergnügen?“ „Ich bin Helen Simson.“, stellte sich mir die Inhaberin der Stimme vor. „Ich bin diejenige, die das Verkehrsleitsystem auf dem Gewissen hat. Ist was passiert? Sind Leute gestorben?“ „Aber nein.“, tröstete ich, der längst klar war, dass sie, was immer sie auch getan hatte, sicher nicht in böser Absicht verursacht hatte. „Es gab nur einige kleine Blechschäden. Nur ein paar kaputte Jeeps, soweit ich weiß. Jedenfalls war es bei dem Unfall so, den ich gesehen habe. Aber nun verrate mir doch erst einmal, was du damit meinst, dass du dieses Problem verursacht haben willst. Ich kann mir nicht vorstellen, wie du das gemacht haben willst. Und noch was: Ich habe Allrounder Scott auf der Basis gelassen. Da fühlt sie sich ganz wohl, glaube ich. Du kannst also ruhig Betsy zu mir sagen. OK?“ Ich wollte eine Vertrauensbasis schaffen und fand es deshalb besser, ihr das Du anzubieten. „Also gut, Betsy.“, sagte Helen. „Ich bin Schülerpraktikantin in der IT-Abteilung des Rathauses. Ich habe die Wartungsprogramme für das Verkehrsleitsystem allein laufen lassen wollen, ohne meine Aufsichtsperson. Aber dann habe ich die Rechner wieder starten wollen und ganz viele Fehlermeldungen gekriegt. Damit kam ich dann nicht klar und dafür habe ich mich total geschämt und mich hier versteckt. Dein Mann hat mich gefunden.“ „Oh, Helen.“, hakte ich langsam und deutlich ein, gab dann aber sofort einen beruhigenden Laut von mir. Dann fragte ich: „Aber wie konntest du denn so was versuchen, das für ein Kind deines Alters doch viel zu schwer sein dürfte?“ „Es war ja nur.“, antwortete sie. „Weil mich Mr. Parker erst so gelobt hatte. Ich wollte ihn überraschen.“ „Daher weht also der Wind.“, sagte ich. „Aber das nächste Mal solltest du wirklich erst einen Erwachsenen um Hilfe bitten, wenn du so was Schweres vorhast. Wenn du deine Aufsicht überraschen wolltest, wäre es vielleicht besser gewesen, du hättest einen seiner Kollegen gefragt, ob er oder sie bereit ist, bei deiner kleinen Überraschung mitzumachen. Dann wäre sicher viel weniger passiert.“ „Ok, Betsy.“, sagte Helen, die sich schon merklich beruhigt hatte. „Du bist ja total lieb. Mit dir kann man prima reden! Und ich dachte immer, ihr vom Militär seid so streng.“ „Ach.“, lachte ich. „Was hätte es denn geholfen, wenn ich dich jetzt ausgeschimpft hätte? Gar nichts! Zumal du ja schon mehr als Reue zeigst, du arme kleine Mausebautz.“ Helen musste lachen. Aber das war auch durchaus von mir beabsichtigt gewesen. „Wie hast du mich gerade genannt?“, kicherte sie. „Mausebautz klingt lustig.“ „Das sollte es auch.“, sagte ich. „Irgendwie müssen wir dich ja wieder aufheitern, wenn du meinem Mann helfen willst, das alles wieder in Ordnung zu bringen.“ „Ja, das will ich.“, versprach die Kleine. „Aber vielleicht kannst du mir erklären, was dein Mann gemeint haben könnte, als er sagte, ich hätte die Server in der falschen Reihenfolge hochgefahren.“

Ich musste eine Weile nachdenken. Aber ich war zuversichtlich, hierfür eine Lösung zu finden. Dafür war ich ja schließlich bekannt. Also sagte ich nach einigen Sekunden: „Pass auf, Helen. Du gehst ja noch zur Schule, richtig?“ „Ja.“, bestätigte sie. „Dann weißt du ja bestimmt, was passiert, wenn euer Lehrer einmal nicht da ist. Die Meisten von euch gehen dann doch bestimmt über Tisch und Bänke, was?“ „Ich nicht!“, sagte sie. „Das ist sehr löblich.“, sagte ich mit viel Freundlichkeit in der Stimme. „Aber es wird doch sicher einige geben, die das tun. Ich will ja gar keine Namen hören. Ich will ja nur, dass du es dir einmal vorstellst.“ „OK.“, sagte Helen. „Es gibt wirklich welche bei mir in der Klasse, die das ausnutzen würden.“ „Alles klar.“, sagte ich. „Dann weißt du ja bestimmt, was dann passiert, wenn ein Vertretungslehrer reinkommt. Für den dürfte es dann sehr schwer sein, die Klasse unter Kontrolle zu bringen.“ Helen gab einen bestätigenden Laut von sich. „So.“, sagte ich. „Und nun übertragen wir das Ganze gleich einmal auf hier. Stell dir vor, der Hauptserver ist dein Lehrer. Wenn der schon da ist, wenn die anderen in die Klasse kommen, dann traut sich doch bestimmt keiner, so richtig über die Stränge zu schlagen, oder? Jedenfalls war das in meiner Schulzeit so. Aber du darfst mich gern berichtigen, wenn es bei dir heute anders sein sollte.“ „Ne, das stimmt schon, Betsy.“, sagte sie. „Weil wir dann alle mit Strafmaßnahmen rechnen müssten und wenn es nur ungeliebte Hausaufgaben wären.“ „Schon klar.“, lächelte ich. „Hausaufgaben sind blöd. Davon sollte man sich nicht mehr als nötig aufbrummen lassen, wenn man noch etwas Zeit mit Freunden haben will. Das riskiert sicher keiner von euch freiwillig.“ Das hatte ich hauptsächlich aus dem Grund gesagt, da ich ihr signalisieren wollte, dass ich sie verstand. Ihr jetzt mit dem moralischen Zeigefinger zu kommen, hätte das Vertrauen, das wir so mühsam erarbeitet hatten, sicher sofort zerstört!

Helen hatte kurz nachgedacht. Dann fragte sie: „Du meinst also, wenn der Hauptserver schon gestartet wäre, dann wüssten die anderen auch besser, was zu tun ist?“ „Richtig.“, lobte ich. „Genau wie ihr das wisst, wenn euer Lehrer da ist. Der verteilt ja auch die Aufgaben. Genau das Gleiche macht der Hauptserver auch. Der muss also zuerst da sein, das heißt, er muss gestartet sein, bevor die anderen gestartet werden können. Die fragen ihn nämlich dann, was sie machen sollen.“ „Das habe ich verstanden, Betsy!“, strahlte mir Helen hörbar durch das Mikrofon entgegen. „Du kannst so toll erklären!“ „Danke, Mausebautz.“, sagte ich und nahm in Kauf, dass sie sich erneut vor Lachen kringelte. „Aber jetzt gib das Mikrofon bitte kurz meinem Mann. Ich muss ihm noch was sagen.“ „OK.“, sagte Helen und gab das Mikrofon gemäß meiner Bitte an Scotty zurück. „Ja, Darling.“, meldete sich dieser. „Scotty, du solltest die Kleine unbedingt in die Lösung des Problems mit einbinden. Wenn du ihr eine Aufgabe gibst, hat sie das Gefühl, einen guten Beitrag geleistet zu haben. Dann dürfte es ihr auch bald besser gehen.“, sprach ich mich mit ihm ab. „OK.“, sagte Scotty und beendete die Verbindung.

„Was hat sie gesagt?“, fragte Helen neugierig und aufgeregt. „Sie sagt.“, erklärte Scotty. „Dass ich dich mir helfen lassen soll, das Malheur hier wieder in den Griff zu kriegen und ich weiß auch schon wie. Betsy und ich haben dir ja erklärt, dass wir die Server wieder in der richtigen Reihenfolge starten müssen, damit sie sich beim Hauptserver anmelden und ihre Aufgaben abholen können. Das machen wir jetzt auch. Fahr doch schon mal ’n paar herunter. Das Gleiche mache ich auch. Dann starte ich den Hauptserver und sage dir Bescheid. Du kannst dann einige andere starten und ich mach’ den Rest.“ „OK.“, sagte Helen und atmete auf.

Tatsächlich war es Scotty und Helen wenig später auf diese Weise gelungen, das Chaos zu entwirren. Dies teilte er mir dann auch zufrieden mit. Entspannt hatte ich dies zur Kenntnis genommen und dachte mir nur, während ich das Geschehene noch einmal Revue passieren und mir auch den Zeitungsartikel, den ich gelesen hatte, noch einmal durch den Kopf gehen ließ: Das war also die schreckliche Terroristin, die ganz Little Federation in Atem gehalten hatte. Ein kleines Häufchen Elend mit Namen Helen Simson.

Kapitel 7: Ein freudiges Ereignis

von Visitor

 

Einige Tage später waren Mikel und ich tatsächlich wieder auf die 817 zurückgekehrt. Das war aber kein Problem, denn Vargas und Farina hielten mich per SITCH-Mail immer auf dem Laufenden, was den Gesundheitszustand ihres Kindes anging. Über jede Untersuchung, die Vargas in Cupernicas Praxis über sich ergehen ließ, wurde ich durch ihn persönlich informiert. Dass ich Vargas und Farina das Rufzeichen der Basis gegeben hatte, hatte ich Commander Kissara vorsorglich gleich gestanden. Ihre Reaktion hatte mich allerdings sehr überrascht. „Wissen Sie, Allrounder.“, hatte sie gesagt. „Ich wüsste keinen Grund, der dagegen spräche. Schließlich sind Sie, zumindest aus der Sicht der cryalischen Kultur gesehen, ein Teil von Farinas und Vargas‘ Familie. Somit sind auch sie Ihre Angehörigen. Und was wäre ich für eine Sternenflottenkommandantin, wenn ich so etwas nicht akzeptieren würde. Schließlich haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, fremde Bräuche zu akzeptieren. Ich hätte Sie gerade dann getadelt, wenn Sie das nicht getan hätten. Außerdem ist es ja die Pflicht der Cantira, über jeden Zyklus der Brut und über den Gesundheitszustand des Kükens und seines brütenden Vaters informiert zu sein. Wie hätten Sie dieser Pflicht denn nachkommen können, frage ich Sie, ohne die technische Möglichkeit, sich mit den werdenden Eltern auszutauschen? Meines Wissens hat dieser Austausch den Sinn, dass die Cantira rechtzeitig jemanden Neues suchen, oder eine medizinische Möglichkeit suchen kann, jemanden Neues zu finden, der das Brutgeschäft weiter übernimmt, falls der Vater aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht mehr in der Lage sein sollte. Wenn er mit seiner eigenen Gesundheit zu tun hätte, könnte er sich schließlich nicht auch noch damit belasten. Cupernica müsste das Ei dann zwar operativ entfernen und es genauso dem anderen in die Brutfalte setzen, aber das wäre ja nur nebensächlich und für eine gestandene Ärztin wie sie sicher kein Problem. Würden sich die Eltern während des Brutzyklus trennen wollen, ist es die Aufgabe der Cantira, zwischen ihnen zu vermitteln. Gelingt dies nicht, so muss sie ein Urteil über das spätere Sorgerecht fällen. Das darf sie laut den cryalischen Gesetzen, da sie das absolute Vertrauen der Familie genießt. Und wie wollen Sie an diese doch so wichtigen Informationen kommen, ohne sich mit Ihren Freunden auszutauschen?“

Erstaunt hatte ich in ihrem Bereitschaftsraum gesessen und mir ihren Vortrag angehört. Sie musste sich sehr genau informiert haben. Wahrscheinlich wollte sie, als Kommandantin des dritten Flaggschiffs der Sternenflotte, sich nicht vor einer Untergebenen die Blöße geben, weniger zu wissen als sie selbst. „Danke, Commander.“, sagte ich erleichtert und drehte mich zum Gehen, warf ihr aber noch ein fragendes Kopfnicken nach rückwärts zu. „Das wäre alles, Allrounder!“, sagte sie förmlich. „Zurück auf Ihren Posten!“ „Aye, Madam!“, sagte ich und ging wieder in die Kommandozentrale der Basis an die Kommunikation, wo ich meinen Dienst versah, wenn wir nicht mit der Granger unterwegs waren.

Der Erste, der mir ansichtig, oder besser -hörig, wurde, war Mikel. „Na.“, scherzte er. „Hat sie dich schlimm zusammengefaltet wegen der Sache mit dem Rufzeichen?“ „Oh nein.“, lächelte ich zurück. „Im Gegenteil. Sie fand es aus der Sicht der cryalischen Kultur sehr löblich, dass ich …“

Zu einer weiteren Fortführung des Gesprächs sollte es nicht mehr kommen, denn das Sprechgerät der Station kündigte einen externen Ruf an. „Rufzeichen vorlesen, Computer!“, befahl ich dem Rechner. „Cu321.ter.“, kam es nüchtern zurück. „Das ist Cupernicas Praxis!“, stellte Mikel fest, der auch gut im Auswendiglernen war. Da Cupernica auch unsere Hausärztin war, wenn wir nicht unter Loridanas Fürsorge standen, musste auch er ihr Rufzeichen kennen. „Warum geht sie den offiziellen Weg? Ich dachte, du hättest ihr, Vargas und Farina das Unterrufzeichen deines Quartiers …“, wunderte sich Mikel. „Das habe ich auch!“, gab ich alarmiert zurück. „Es muss etwas passiert sein!“ „Aber wer sagt denn, dass es etwas mit Ihren Freunden zu tun haben muss, Madam?“, sagte Kang, der mich wohl trösten wollte. Mich, die einen Rang über dem Waffenoffizier stand, die also eigentlich jetzt aus seiner klingonischen Sicht als schwach gelten müsste. Aber Kang hatte sich an die Sternenflottengepflogenheiten gewöhnt und so war es für ihn sicher nicht schlimm. Zumal er sich ja auch mit mir, zumindest auf einer dienstlichen kameradschaftlichen Ebene, angefreundet hatte. „Vielleicht will der Scientist auch nur mit Ihnen über Ihre letzte Blutuntersuchung reden.“ „Aber dann würde sie sicher nicht über das Hauptrufzeichen gehen, Warrior.“, sagte Mikel. „Aber wir werden ja gleich sehen, was los ist.“

Das Ende seines Satzes war für mich gleichzeitig das Signal, das Gespräch entgegenzunehmen. Am anderen Ende der Verbindung war zunächst Oxilon, Cupernicas talaxianischer Assistent. „Ich stelle Sie sofort ins Sprechzimmer, Allrounder.“, sagte er. „Aber vorher muss ich wissen, wer bei Ihnen ist und ob diese Personen dem Schlupf von Vargas‘ und Farinas Kind beiwohnen dürfen.“ „Was?!“, fragte ich irritiert. „Ist denn …“ „Ja.“, sagte Oxilon. „Heute ist Ostersonntag. Das Kleine ist also ausgesprochen pünktlich. Ich muss Sie bitten, sich schnell zu entscheiden, Betsy. Es kann sein, dass Sie sonst alles verpassen!“ „Wieso darf ich das entscheiden, Oxilon?“, fragte ich etwas verwirrt, denn ich war sehr aufgeregt geworden. „Sie, als Cantira der Familie, haben jedes Recht zu entscheiden, Wer in Ihrem Umfeld von dem Ereignis wissen darf und wer nicht. Wir, also Cupernica und ich, haben bereits mit Farina und Vargas gesprochen und sie hätten kein Problem damit, wenn sogar Ihre gesamte Crew dabei wäre. Natürlich nur via Bildschirm, aber …“ „Nun.“, sagte ich. „Ich denke, es wird bei der Brückenmannschaft bleiben, Mr. Oxilon.“ Dann flüsterte ich zu Mikel hinüber: „Bitte hol Kissara, schnell!“ Er wischte mir nur ein kurzes: „OK!“, zu und witschte aus dem Raum. Erst jetzt hatte ich Gelegenheit, meine Gedanken zu sortieren. Erst jetzt war mir nämlich aufgefallen, dass ich wohl komplett das Zeitempfinden verloren haben musste. Ich hatte wirklich nicht glauben können, dass es schon Ostersonntag war.

Wenig später war Mikel mit Kissara zurück. „Jetzt bin ich aber wirklich gespannt, was wir gleich zu sehen bekommen werden.“, sagte die Thundarianerin und setzte sich auf ihrem Platz zurecht. „Auf den Hauptschirm, Allrounder!“ „Sofort, Commander!“, antwortete ich schmissig und nahm an meiner Arbeitskonsole die notwendigen Schaltungen vor. Da diese Schaltung auch die Freischaltung aller Mikrofone auf die laufende Verbindung beinhaltete, konnten somit auch alle Fragen stellen, wenn sie wollten.

Langsam kam die Inneneinrichtung von Cupernicas Sprechzimmer ins Bild. Zuerst wurden alle Vargas ansichtig, der in einer Art grünem Nest aus Schaumstoff mit leicht gespreizten Beinen stand, das auf einem drehbaren Gestell befestigt war, das auch sonst in alle Richtungen gedreht und geneigt werden und auch in der Höhe verstellt werden konnte. Dies war eine große Hilfe, falls Cupernica eingreifen musste, was sie uns auch gleich darauf erklärte. Neben dem Nest stand eine sehr aufgeregte Farina, die Vargas hin und wieder etwas in ihrer gemeinsamen Muttersprache zuflüsterte. Cupernica trug ein drahtloses Headset, das ihr optimale Bewegungsfreiheit gab. Darüber referierte sie nun: „Ladies und Gentlemen, ich begrüße Sie sehr herzlich und auch meine Patienten tun dies. Sie werden jetzt einem sehr intimen Familienereignis beiwohnen. Ich bitte Sie also, dies entsprechend zu würdigen. Ich werde Das Ei jetzt ein letztes Mal untersuchen.“

Sie zog einen Erfasser, den sie zwar eigentlich nicht nötig hatte, ihn aber trotzdem oft benutzte, wenn sie uns etwas zeigen wollte. Sie wusste, dass das notwendig war, da wir ihr ja nicht in den Kopf sehen konnten. Den Erfasser hielt sie Vargas vor den Bauch. Dann deutete sie auf das Display und sagte: „Die Blutgefäße, die das Küken mit der Eihaut unter der Schale verbunden haben, sind zu 99 % geschlossen. Das Ei liegt mit der richtigen, der flachen Seite, zum Ausgang der Brutfalte. Das Küken hat begonnen, eine kreisrunde Linie in die Schale zu picken. Vargas, es ist jetzt sehr wichtig, dass Sie sich nicht bewegen, damit sie es nicht irritieren und der Kreis schön rund wird. Umso leichter wird es Ihr Nachwuchs dann haben, die Schale zu sprengen. Farina, bitte stellen Sie sich hinter ihn und helfen Sie ihm beim Stillstehen, indem Sie sein Becken halten, so wie ich es Ihnen im Schlüpfkurs gezeigt habe und wie Sie es ja so vorbildlich daheim geübt hatten.“ „Wie lange, meinen Sie, wird es noch dauern, Cupernica?“, fragte Farina, während sie sich ihrem Mann von hinten näherte und mit ihren Flügeln seine Hüften umklammerte. Ihre Füße verankerte sie mit Hilfe ihrer Krallen sehr fest in dem Teppich, den Oxilon extra zu diesem Zweck herangeschafft hatte, und der durch seine Beschaffenheit auch rutschfest war. „Stütz dich ruhig bei mir ab, Liebling.“, flüsterte sie Vargas zu. „Ok.“, sagte dieser erleichtert, der durch das ständige Ausgleichen der Bewegungen seines Kindes im Ei schon ziemlich erschöpft war.

Cupernica, die dies auch zur Kenntnis genommen hatte, ließ erneut den Erfasser kreisen. Dann sagte sie: „Gute Nachrichten! Die Blutgefäße sind jetzt zu 100 % geschlossen und Ihr Kind hat den Kreis fast vollendet. Die Linie ist sehr regelmäßig. Sie gehört zu den geradesten Linien, die ich je gesehen habe! Keine einzige Welle! Ich erwarte ein leichtes Sprengen der Schale. Ich schätze, es wird in wenigen Sekunden so weit sein.“

Mikel hob die Hand. Über die Kamera des Sprechgerätes konnte Cupernica das gut sehen und wandte sich an ihn: „Ja, Agent?“ „Welche Aufgabe haben die von Ihnen erwähnten Blutgefäße, Scientist?“, fragte Mikel. „Sie versorgen das Küken während der Brut mit Sauerstoff, Agent.“, antwortete sie. „Vielleicht wissen Sie, Dass auch die Haut eines jeden Organismus einen Austausch von gasförmigen Stoffen, also Stick- und Sauerstoff, vornimmt. Dies gilt auch für die Eihaut unter der Schale. Durch die feinen Poren der Schale gelangt Sauerstoff von außen ins Ei und wird von dort durch den Capillareffekt in die Eihaut geleitet. Hier strömt er dann in den Blutkreislauf des Kükens. Sonst würde es ja in dem abgeschlossenen Ei ersticken. Wird diese Eihaut zu früh zerstört, kann das Küken während des Schlupfs verbluten. Natürlich wird das in diesem Fall nicht passieren!“

Kang meldete sich. Eigentlich war es ja ein ganz harmloser Vorgang, wenn er eine Frage hatte. Ein unbestimmtes Gefühl ließ mich aber sofort die Handhaltung einnehmen, die zum Ausführen der Tastenkombination, mit der ich dem Computer eine Stummschaltung befehlen konnte, notwendig war. Wie gut das noch sein würde, stellte sich auch gleich heraus, denn Kang fragte ganz unverblümt: „Die flache Seite ist die richtige, Scientist? Eigentlich hatte ich mir das anders vorgestellt. Wenn ich sehe, wie Mr. Jannings morgens sein Frühstücksei köpft, dann …“ „Stummschaltung, Allrounder!“, befahl Kissara so laut, dass Mikel und ich zusammenzuckten. Wahrscheinlich wollte sie Kangs Ausführungen übertönen. Ich aber nickte nur langsam, tat einen tiefen Atemzug und machte auf entspannt. „Hast du etwa schon?“, zischte mir Mikel auf Deutsch zu. „Ja. Schon längst.“, flüsterte ich zurück. „Ich habe so was irgendwie schon geahnt bei unserem Klingonen.“ Mikel gab einen erleichterten Seufzer von sich und meinte: „Uff! Wenn wir dich nicht hätten und die dicken Kartoffeln!“ „Dann würdest du sicher Nudeln essen, oder Reis.“, scherzte ich.

Eine der Personen, denen allerdings gar nicht nach Scherzen zumute war, war Kissara. Sie hatte sich vor Kang hingestellt und sah ihn streng an. Dann sagte sie langsam und sehr bestimmt: „Ich muss doch sehr bitten, Mr. Kang! Sie sind ausgebildeter Offizier der Sternenflotte! Ja sogar Brückenoffizier! Ihre Ausbildung in Diplomatie sollte Ihnen jetzt eigentlich sagen, dass Sie mit Ihrer Äußerung eine fremde Kultur gerade bis ins Mark beleidigt haben! Wie zur Hölle kommen Sie dazu, vor zwei Mitgliedern einer Spezies, die sich durch das Legen von Eiern fortpflanzt, das Köpfen von Frühstückseiern zu erwähnen! Sie erklären uns jetzt sofort, was in Sie gefahren ist, und zwar vor versammelter Crew! Ich weiß, dass das für einen Klingonen sehr demütigend sein muss, aber Strafe muss sein! Danach werden Sie sich im Beisein von Agent Mikel und mir augenblicklich bei Farina und Vargas entschuldigen! Und nun raus damit, Warrior! Das ist ein Befehl!“

Langezeit geschah nichts. Wahrscheinlich war auch Kang überrascht über die Tatsache, dass sie, die sonst eigentlich als sehr verständnisvoll bekannt war, ein so strenges Regiment führen konnte. Der Einzige, dem ich es persönlich noch zugetraut hatte, war Captain Picard von der Enterprise gewesen. „Wir warten!“, bohrte Kissara nach.

Wieder passierte nichts. Ich persönlich stellte die Theorie auf, dass es Kang, als einem Klingonen, wohl zu schwer fallen musste, eine Entschuldigung zu formulieren. Als Angehöriger eines Kriegervolkes war er das vielleicht einfach nicht gewohnt.

„Findest du nicht, wir sollten es sagen?“, fragte mich Mikel nach einer Weile, in der Kang Kissaras bohrendem Blick ausgesetzt war und im Raum ein eiskaltes Schweigen geherrscht hatte. Der blinde Mann konnte Kissaras Blick zwar nicht sehen, konnte sich aber aus dem Zusammenhang heraus einiges zusammenreimen. Offenbar empfand er langsam Mitleid mit Kang.

Kissara war auf unser Gespräch aufmerksam geworden. Da Mikel sich mit mir aus Routine in Englisch unterhalten hatte, hatte sie seine Frage gegenüber mir sehr gut verstehen können. „Allrounder Betsy Scott hat soeben durch ihr geistesgegenwärtiges Eingreifen einen diplomatischen Zwischenfall verhindern können, Kissara! Ihr allein haben wir zu verdanken, dass Warrior Kang jetzt nicht das tun muss, was einem Klingonen im Allgemeinen doch sehr schwer fällt, nämlich sich zu entschuldigen.“, erklärte der erste Offizier mit nicht wenig Stolz in der Stimme. „Erklären Sie das!“, befahl Kissara immer noch hoch erregten Zustands.

Ich gab einen negierenden Laut in Mikels Richtung von mir, stand auf und sagte salutierend: „Commander, Allrounder Betsy Scott bittet um Erlaubnis, es selbst zu erklären.“ „Was sind Sie heute förmlich.“, stellte Kissara fest. „Dann sagte sie: „Erteilt, Allrounder!“ „Ich weiß ja, wie direkt Klingonen manchmal sind.“, begann ich. „Da ich Kang ja schon eine Weile kenne, ahnte ich wohl schon, worauf das hinauslaufen würde und habe dem Computer rechtzeitig eine Stummschaltung befohlen. Von der Sache mit den Frühstückseiern ist bei Vargas und Farina nichts angekommen. Das ist eben so, wenn der Kom-Offizier im richtigen Moment die richtigen Knöpfe drückt. Bitte vertrauen Sie meiner fachlichen Qualifikation.“ „Das tue ich.“, sagte Kissara erleichtert und setzte sich wieder auf ihren Platz. Derweil warf sie mir noch ein geschmeicheltes: „Gut gemacht, Allrounder.“, zu. „Wo kein Kläger ist, da ist auch schließlich kein Richter und nun heben Sie die Stummschaltung aber schleunigst wieder auf, bevor wir noch den Rest verpassen.“ Ich nickte und tat, was sie mir soeben befohlen hatte.

Endlich schien auch Kang seine Sprache wiedergefunden zu haben, denn er sagte langsam und förmlich: „Ich bitte um Entschuldigung, Commander. Mein Verhalten war ehrlos und taktlos zugleich.“ „Na geht doch, Mr. Kang.“, sagte Kissara. „Gehen Sie doch nachher mal mit Ihrer Frage zu Loridana.“, schlug ich ihm vor. „Sie wird sie Ihnen sicher diskret und unter vier Augen beantworten.“ „Vielen Dank, Allrounder.“, sagte Kang. „Obwohl ich Ihre Hilfe sicher nicht verdiene.“ „Nun aber langsam, Warrior.“, sagte ich. „Wie Sie gerade schon sagten ist es meine Hilfe und wer die bekommt, darüber entscheide ich immer noch selbst, weil ich schließlich diejenige bin, die sie verteilt.“

Cupernicas Stimme im Sprechgerät verlangte nach unserer Aufmerksamkeit: „Bitte schauen Sie jetzt alle hin, Ladies und Gentlemen!“ Sie deutete in Vargas‘ Richtung. Dann hörten wir auch schon das Zerbrechen der Eierschale und dann einen zirpenden Laut. Oxilon war sofort herbeigeeilt und hatte die Reste der Eierschale aus dem Nest und aus der Brutfalte entfernt, während Cupernica das Küken in Empfang genommen hatte und das kleine hilflose nasse mit Flaum bedeckte Wesen jetzt eingehend untersuchte. Danach wandte sie sich Vargas und Farina zu: „Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem gesunden Sohn!“

Sie winkte Oxilon, der den Raum verließ, um wenig später mit einem Pad zurückzukehren. In diesem Pad war eine Geburts-, oder in diesem Fall besser gesagt eine Schlupfurkunde, vorbereitet, in die der medizinische Assistent bereits die bekannten Angaben eingetragen hatte. Jetzt hielt er Vargas und Farina das Pad unter die Augen und fragte: „Wie soll der Kleine denn nun heißen?“ Farina lächelte und wandte sich über Cupernicas Headset mir zu, nachdem sich die Androidin in ihre Richtung gedreht hatte: „Betsy, du weißt ja, dass die Cantira in die Entscheidung der Namensgebung einbezogen wird. Vargas und ich haben zwei favorisierte Varianten, können uns aber nicht für eine entscheiden. Was klingt in deinen ausgebildeten sensiblen Kommunikationsoffizierinnenohren besser? Mikel-Heroito, oder Heroito-Mikel? Nimm dir ruhig Zeit.“

Ich flüsterte die Namenskombinationen einige Male vor mich hin. Dann sagte ich: „Ich wäre für Mikel-Heroito. Das fließt irgendwie mehr. Heroito-Mikel klingt für mich etwas holprig.“ „OK.“, sagte Farina lächelnd. „Dann nehmen wir Mikel-Heroito, Mr. Oxilon.“ Bereitwillig schrieb der Talaxianer den Namen in die Urkunde und überreichte Farina dann einen Datenkristall mit einer Version der Datei.

„Es ist Tradition bei uns.“, wendete sich Farina dann noch einmal an mich. „Dass der Schlupf eines neuen Familienmitglieds gebührend gefeiert wird. Aber leider kannst du ja nicht dabei sein, weil dich deine Pflicht davon abhält.“ „Wartet mal.“, sagte Mikel. „Wir können doch hier auch eine kleine Partie feiern. Schließlich sind wir das Umfeld eurer Cantira.“ „Eine wunderschöne Idee, Agent.“, sagte Kissara. „Genauso werden wir es machen.“

„Ich werde der Feier aber fernbleiben.“, sagte Kang. „Ich verdiene es nach meinem Ausrutscher nicht, an ihr teilzunehmen.“ „Und was ist, wenn ich, als Cantira der Familie und hiesige Hauptperson der Feier, Sie persönlich einlade, Warrior?“, fragte ich. „Schließlich haben Sie sich in aller Form entschuldigt und das vor uns allen. Das ist etwas, was einem Klingonen sicher nicht leicht fällt und ich finde, dieser Sprung über Ihren Schatten sollte belohnt werden.“ „Na gut.“, stimmte Kang schlussendlich doch zu. „Dann wäre das ja geklärt.“, sagte Kissara. „Und nun alle wegtreten zum Kleiderwechsel! Ich will Sie in 10 Minuten alle in Galauniform im großen Konferenzraum sehen, den wir etwas anders dekorieren werden zum Festsaal. Betsy, machen Sie eine stationsweite Ansage! Heute wird auf meiner Basis ein freudiges Ereignis gefeiert und dazu ist die gesamte Crew eingeladen!“ Dabei schnurrte sie und das so laut, dass das Mikrofon, das ich bereits aktiviert hatte, ihre Lautäußerung auffing. „Mit Verlaub, Commander.“, sagte ich. „Dass Sie das freut, weiß jetzt die ganze Station.“ „Na und?!“, fragte sie mit fast trotzigem Unterton. „Alle wissen, dass sie eine Thundarianerin als Commander haben und wir äußern unsere Freude ebenso. Wem das nicht passt, der kann sich gern versetzen lassen.“

Wir feierten, wie es nach der cryalischen Tradition üblich war, einen Tag und eine Nacht. Kissara hatte uns für diesen Zeitraum beim Oberkommando für nicht missionsfähig erklärt, was sie nach ihrem Hinweis auf die Achtung fremder Kulturen, zu der die Sternenflotte ja verpflichtet war, auch brav schluckten. Auch Kang hatte sich bei mir für mein umsichtiges Handeln bedankt. Seine Frage wurde ebenfalls geklärt. Mikel und ich hatten still und heimlich mit List und Tücke arrangiert, dass er mit Loridana einige Runden tanzte und sie ihm somit diskret erklären konnte, dass im Allgemeinen bei den meisten Eiern die dünnste Stelle eben an der flachen Seite sei und das wir unsere Frühstückseier nur deshalb an der Spitze köpften, weil sie eben anders herum nicht im Eierbecher stehen würden. Im Grunde war ja jetzt alles wieder gut. Aber über unsere Abhängigkeit von Technologie, so fand ich wenigstens, sollten wir im Hinblick auf die Geschehnisse in den Straßen von Little Federation dringend noch einmal nachdenken.

ENDE

Diese Geschichte wurde archiviert am http://www.sf-ecke.de/stories/viewstory.php?sid=210