Krieg der Einhörner - Auf Messers Schneide

von Visitor
Zusammenfassung:

 

Nachdem der Einhorn-Hengst Invictus sich auf eine sterbliche Stute eingelassen hatte, beschließt Valora, die Anführerin der Einhörner, aus Rache und Eifersucht sich mit Sytania zu verbünden, was der Prinzessin des Dunklem Imperiums bezüglich ihres neuen Planes zur erneuten Machtergreifung in allen Dimensionen und Universen sehr gelegen kommt. Nachdem die ersten Veränderungen im Machtgefüge der verschiedenen Dimensionen von verschiedenen Kräften bemerkt wurde, beschließen Allrounder Betsy Scott und ihre Freunde etwas gegen die drohende Vernichtung zu unternehmen, bevor es zu spät ist...


Kategorien: Fanfiction, Fanfiction > Star Trek Charaktere: Keine
Genres: Keine
Herausforderung: Keine
Serie: Keine
Kapitel: 97 Fertiggestellt: Ja Wörter: 360009 Aufgerufen: 422139 Veröffentlicht: 28.05.15 Aktualisiert: 24.01.16

1. Kapitel 1: Vorboten des Untergangs von Visitor

2. Kapitel 2: Schicksalhafte Visionen von Visitor

3. Kapitel 3: Unheilvolle Pläne von Visitor

4. Kapitel 4: Falsche Götter von Visitor

5. Kapitel 5: Eine neue Heldin erscheint von Visitor

6. Kapitel 6: Botschaften der Angst von Visitor

7. Kapitel 7: Informationen des Schreckens von Visitor

8. Kapitel 8: Beruhigende Weichenstellung von Visitor

9. Kapitel 9: Erschreckende Erkenntnisse von Visitor

10. Kapitel 10: Erste Versuche der Aufklärung von Visitor

11. Kapitel 11: Meroolas Einstand im ehrlichen Leben von Visitor

12. Kapitel 12: Ein entscheidendes Puzzleteil von Visitor

13. Kapitel 13: Wichtige Zeugnisse von Visitor

14. Kapitel 14: Aussagen, die Weichen stellen von Visitor

15. Kapitel 15: Neue Schwierigkeiten von Visitor

16. Kapitel 16: Mirdans List von Visitor

17. Kapitel 17: Triumpf des Bösen von Visitor

18. Kapitel 18: Der Trumpf aus der Vergangenheit von Visitor

19. Kapitel 19: Unbequeme Nachforschungen von Visitor

20. Kapitel 20: Befehle und die Kunst ihrer ungewöhnlichen Ausführung von Visitor

21. Kapitel 21: Unverhoffte Unterstützung von Visitor

22. Kapitel 22: Das Geschenk der Quellenwesen von Visitor

23. Kapitel 23: Mutige Schritte von Visitor

24. Kapitel 24: Vertrauensbeweise von Visitor

25. Kapitel 25: Neue Rätsel von Visitor

26. Kapitel 26: Die Schlacht der Glaubensrichtungen von Visitor

27. Kapitel 27: Sytanias Schmach von Visitor

28. Kapitel 28: Augen zu und durch! von Visitor

29. Kapitel 29: Folgenreiche Beichten von Visitor

30. Kapitel 30: Geheime Hilferufe von Visitor

31. Kapitel 31: Der schwere Kampf um Toleas Leben von Visitor

32. Kapitel 32: Therapieversuche von Visitor

33. Kapitel 33: Ein tindaranischer Paukenschlag! von Visitor

34. Kapitel 34: Gemeinsame Rettungspläne von Visitor

35. Kapitel 35: Alarmierende Analysen von Visitor

36. Kapitel 36: „Seifenblasen“ von Visitor

37. Kapitel 37: Rettung in letzter Minute! von Visitor

38. Kapitel 38: Überraschungen von Visitor

39. Kapitel 39: Von Hochzeiten und Diskussionen von Visitor

40. Kapitel 40: Unerwartete Ereignisse von Visitor

41. Kapitel 41: Eine kurze Atempause von Visitor

42. Kapitel 42: Schwarze Wolken im Reich des Bösen von Visitor

43. Kapitel 43: Neue heiße Spuren von Visitor

44. Kapitel 44: Ein beweisträchtiger Plan von Visitor

45. Kapitel 45: Lostris’ Verrat von Visitor

46. Kapitel 46: Planspiele auf höchster Ebene von Visitor

47. Kapitel 47: Überzeugungsversuche von Visitor

48. Kapitel 48: Ausgestreckte Hände von Visitor

49. Kapitel 49: Tollkühne Pläne von Visitor

50. Kapitel 50: Ein traumhafter Durchbruch von Visitor

51. Kapitel 51: „Was nun, Agent Maron?“ von Visitor

52. Kapitel 52: Überraschende Alliierte von Visitor

53. Kapitel 53: Elisas Rettung von Visitor

54. Kapitel 54: Beschämende Nachrichten von Visitor

55. Kapitel 55: Folgenreiche Irrtümer von Visitor

56. Kapitel 56: Ein unglaubliches Verbrechen von Visitor

57. Kapitel 57: Zwickmühlen von Visitor

58. Kapitel 58: Eine entscheidende Schlacht von Visitor

59. Kapitel 59: Die Auserwählte von Visitor

60. Kapitel 60: Eine hilfreiche Erkenntnis von Visitor

61. Kapitel 61: Ein folgenreicher Diebstahl von Visitor

62. Kapitel 62: Iranach, was nun? von Visitor

63. Kapitel 63: Unerfreuliche Aussagen von Visitor

64. Kapitel 64: Ein schwerer Schlag für Sytania von Visitor

65. Kapitel 65: Der Eingriff der Xylianer von Visitor

66. Kapitel 66: Shimar, der Lebensretter von Visitor

67. Kapitel 67: Ein heldenhaftes Opfer von Visitor

68. Kapitel 68: Urlaubsfreuden von Visitor

69. Kapitel 69: Shimars Tod von Visitor

70. Kapitel 70: Der Fehler der Tindaraner von Visitor

71. Kapitel 71: Eine hilfreiche Begegnung von Visitor

72. Kapitel 72: Richtungsweisende Begegnungen von Visitor

73. Kapitel 73: Eine glückliche Fügung von Visitor

74. Kapitel 74: Eingewöhnung von Visitor

75. Kapitel 75: Sturz eines Mächtigen von Visitor

76. Kapitel 76: Ungewöhnliche Heilungsansätze von Visitor

77. Kapitel 77: Sytania in der Defensive von Visitor

78. Kapitel 78: Ein klärendes Gespräch von Visitor

79. Kapitel 79: Ein schottisch-irischer Coup von Visitor

80. Kapitel 80: Die Herausforderung von Visitor

81. Kapitel 81: Meroolas Falle von Visitor

82. Kapitel 82: Der Wettflug von Visitor

83. Kapitel 83: Eine königliche Pleite von Visitor

84. Kapitel 84: Über den Berg von Visitor

85. Kapitel 85: Mit beeindruckendem Nachdruck von Visitor

86. Kapitel 86: Unorthodoxe Methoden von Visitor

87. Kapitel 87: Der Geheimauftrag von Visitor

88. Kapitel 88: Heimlicher Aufbruch von Visitor

89. Kapitel 89: Taktische Manöver von Visitor

90. Kapitel 90: Eine gefährliche Mission von Visitor

91. Kapitel 91: Die Festung des Bösen bröckelt von Visitor

92. Kapitel 92: Hilfe aus dem Jenseits von Visitor

93. Kapitel 93: Das Geständnis von Visitor

94. Kapitel 94: Neue Voraussetzungen von Visitor

95. Kapitel 95: Zurück ins Leben! von Visitor

96. Kapitel 96: Der Schlachtplan von Visitor

97. Kapitel 97: Endkampf! von Visitor

Kapitel 1: Vorboten des Untergangs

von Visitor

 

Schützend hatte die Nacht ihre dunklen Arme um die Dimension Dunkles Imperium gelegt. Nur vereinzelt war der Schein eines entfernten Mondes aus einem Sonnensystem im Weltraum Sichtbar, der sich in der Atmosphäre der Dimension, die aus einer einzelnen Sphäre ohne eigenes Sonnensystem bestand, durch eine glückliche Konstellation der Weltraumwirbel bedingt spiegelte, zu sehen. In dieser nächtlichen Atmosphäre, die sehr gruselig anmutete, waren in einem stillen Wald nur zwei Reiter unterwegs. Beide waren Vendar. Es handelte sich um Telzan und seinen Schüler Mirdan, einen erst wenige Tage in seinem Trainingslager beheimateten Novizen. Mirdan war knapp 13 Jahre alt, maß ca. 1,70 m, was für einen männlichen Vendar wahrhaft sehr klein war. Aber er wuchs ja noch. Er hatte ein kurzes braunes Jugendfell unter seiner typischen juteartigen Uniform. Beide waren auf zwei stämmigen mittelgroßen Pferden unterwegs. Telzans Stute war weiß und der Wallach, den Mirdan ritt, hatte ein rotbraunes Fell.

Der Novize hatte nun mit einer kurzen Trabeinlage zu seinem Meister aufgeschlossen und war jetzt neben ihm. Das hatte Telzans Pferd wohl etwas erschrocken. Es gab ein quietschendes Wiehern von sich und machte einen kurzen Sprung nach vorn. Telzan aber lachte nur kurz und nahm die Zügel auf. Dann sagte er: „Ruhig, Sira! Na komm! Du wirst doch wohl deinen Stallkumpel erkennen, der doch die ganze Zeit hinter dir war.“ „Ich weiß nicht, Ausbilder.“, sagte Mirdan, den wohl angesichts der Reaktion des Pferdes ein schlechtes Gewissen plagte. „Vielleicht spürt sie ja auch, dass das nicht richtig ist, was wir hier machen. Aber wenn das der Fall wäre, dann hätte mein Pferd ja auch reagieren müssen.“ „Na ja.“, sagte Telzan. „Weibchen sind sensibel. Aber du hast dich ja auch ganz schnell wieder selbst in den Griff bekommen, was dein schlechtes Gewissen angeht. Für einen Moment hatte ich tatsächlich geglaubt, du hättest eines. Aber es stimmt schon. Wenn es von Grund auf schlecht wäre, was wir vorhaben, dann müssten beide Tiere reagieren, aber das tun sie nicht. Ich kann mir allenfalls vorstellen, dass Sira Valora schon riechen kann. Stuten wittern die Konkurrenz manchmal meilenweit.“ „Aber Valora soll Sira doch nichts wegnehmen, Meister.“, wunderte sich der Novize. „Sicher nicht.“, sagte Telzan. „Aber sie ist eben nur ein einfältiges Tier und wird nicht verstehen, was wir vorhaben.“ „Natürlich nicht, Ausbilder.“, sagte Mirdan beschwichtigend. „Also.“, brummte Telzan. „Warum fragst du dann? Hast du etwa Angst?“ „Nein, Ausbilder!“, antwortete der Novize mit seiner noch etwas kindlich anmutenden Stimme so fest und sicher er konnte. „Den Göttern sei Dank!“, sagte Telzan. „Ich hatte schon befürchtet, dich zu deinen Eltern zurückschicken zu müssen! Ich hatte schon gedacht, aus dir würde kein Krieger und Telepathenjäger werden können, sondern allenfalls ein Bauer wie aus deinem Vater! Aber jetzt bin ich ja beruhigt. Dann will ich dir auch gleich eine Aufgabe stellen.“

Er hielt an und wies Mirdan an, das Gleiche zu tun. Sie waren in mitten von vielen Bäumen zum Halten gekommen. Was meinst du?“, sagte der Ausbilder. „Findest du nicht auch, dass hier ein guter Platz für unser Vorhaben ist?“ Mirdan blickte sich um. „Nein, Ausbilder!“, sagte er schließlich. „In Anbetracht der Tatsache, dass wir mit Feuer arbeiten werden, finde ich das gar nicht. Wir könnten einen Waldbrand auslösen.“ „Sehr gut!“, lobte Telzan. „Genau das wollte ich hören!“ Er schnalzte seinem Pferd zu, worauf sich dieses wieder in Bewegung setzte. Mirdan tat es ihm gleich.

Von gespenstischen Rufen eines Waldkauzes begleitet kamen sie schließlich auf einer Lichtung an. „Hier ist es doch viel besser, Ausbilder, nicht wahr?“, vergewisserte sich Mirdan. „Ganz recht.“, sagte Telzan zufrieden. „Diese Prüfung hast du schon einmal bestanden. Es kann immer zu Situationen kommen, in denen du für dich allein Entscheidungen treffen musst. Gerade dann, wenn dein Anführer oder andere höher als du gestellte Vendar nicht in der Nähe sind. Gebieterin Sytania könnte dich ja irgendwann auch einmal allein auf eine Mission schicken und dann musst du bereit sein.“ „Ich verstehe, Ausbilder.“, antwortete der Junge.

Sie waren angehalten und aus den Sätteln gestiegen. Dann hatte Telzan aus einer Packtasche hinter seinem zwei Stricke und einen Sack gezogen. Den Sack drückte er Mirdan mit den Worten: „Geh trockenes Reisig sammeln! Ich kümmere mich um die Pferde.“, in die Hand. Folgsam hatte Mirdan genickt und war in die andere Richtung verschwunden. Telzan hatte jetzt je einen der Stricke am Zaum eines der Pferde befestigt und sie dann, eines rechts, eines links von sich, ein Stück des Weges weit zurückgeführt. Aber nur so weit, bis er sie an den letzten Baum vor der Lichtung binden konnte. Er wollte wohl sichergehen, dass sie weit genug von dem kommenden für sie vielleicht sehr beängstigenden Geschehen fort wären. Dann machte er sich noch einmal an der Packtasche zu schaffen, aus der er ein Brenneisen hervorzog. Dieses sah er sich genau an, um dann mit einem zufriedenen Grinsen die Tasche wieder zu schließen. Es handelte sich um ein etwa 25 cm breites und im ausgeklappten Zustand 3 m langes Stück Metall, das auf der einen Seite einen mit Schafwolle zur Isolation umwickelten runden Griff und auf der anderen eine ca. 10 cm im Quadrat messende Platte aufwies, auf der das Symbol eines Drudenfußes zu sehen war. Mit diesem Gegenstand in der Hand ging Telzan jetzt zu dem Ort, an dem jenes verbrecherische Tun stattfinden sollte, zurück. Hier wartete er jetzt auf seinen Schüler, der bald auch mit einem vollen Sack Reisig zurückgekehrt war. Diesen zeigte er Telzan nun voller Stolz. „Kipp aus!“, sagte der Ausbilder streng. „Wollen doch gleich einmal sehen, ob du dich an all das gehalten hast, was ich dir neulich über Feuerholz beigebracht habe!“ „Ja, Ausbilder.“, nickte Mirdan folgsam und wuchtete den schweren Sack, den ein Teenager unseres Schlages wohl nicht mehr heben könnte, (ihr wisst ja, dass Vendar mindestens fünf Mal so stark sind wie Menschen) auf den Kopf, nachdem er den Hanfstrick, mit dem er verschlossen war, geöffnet hatte. Zum Vorschein kam ein riesiger Haufen Stöcke und Äste, die auf den ersten Blick sehr trocken schienen. „Na, das sieht ja schon ganz gut aus.“, sagte Telzan und beäugte den Haufen zwar wohlwollend, aber auch etwas skeptisch. „Lass mich nun sehen, ob du deinen Ausbilder auch nicht betrogen hast.“ „Das würde mir nie im Traum einfallen, Ausbilder.“, sagte Mirdan. „Na, man weiß ja nie.“, sagte Telzan. „Wenn nicht im Traum, dann aber vielleicht erst recht in der Realität.“ Er hielt inne und wartete die Reaktion seines Gegenübers ab. Mirdan sah verwirrt zu ihm herüber. Dabei streifte sein zaghafter Blick das Gesicht seines Meisters aber nur. Er wagte nicht wirklich, Telzan anzusehen. „Ich habe nur einen Scherz gemacht.“, sagte der Ausbilder und Anführer von Sytanias Vendar beruhigend. „Daran wirst du dich gewöhnen müssen, wenn du unter mir dienen willst. Es sei denn, du willst lieber wieder auf den Hof deines Vaters zurück und Schafe hüten.“ Er lachte verächtlich. Mirdan schüttelte den Kopf und machte eine beschwichtigende Geste. „Na also.“, sagte Telzan. „Bitte.“, bat Mirdan dann fast unterwürfig. „Verrate mir aber, Ausbilder, warum du uns Novizen so behandelst. Ich will ja keine Behandlung mit Samthandschuhen. Ich will dich ja nur verstehen. Ich hörte von älteren Kriegern, dass dein Vorgänger, Joran Ed Namach, Es ganz anders …“

Mirdan war erschrocken, als er das Geräusch eines rasch aus seinem Futteral fahrenden Degens neben sich vernommen hatte. Dann sah er dessen Spitze langsam und bedrohlich auf seine Kehle zukommen und hörte Telzan sagen: „Siehst du diese Waffe, mein Schüler? Wenn du ein Interesse daran hast, am Leben zu bleiben, solltest du diesen Namen nie wieder erwähnen! Niemals wieder! Hast du verstanden?!“ „Ja, Ausbilder.“, nickte Mirdan zitternd. Telzan ließ den Degen zurück in das Futteral sinken. Dann sagte er zufrieden und erleichtert: „Das wollte ich doch wohl meinen. Ich töte nämlich sehr ungern einen meiner besten Schüler.“ Erleichtert ließ sich Mirdan auf den Boden neben seinen Holzhaufen sinken. „Wer hat was davon gesagt, dass du dich hinsetzen darfst?!“, fragte Telzan streng. „So weit sind wir noch nicht. Wer weiß, ob ich dich nicht gleich wieder losschicken muss?“

Er wendete sich dem Haufen zu und nahm einen Stock aus dem obersten Drittel, einen aus der Mitte und einen von ganz unten. Dann brach er die Stöcke der Reihe nach durch und betrachtete die Bruchstellen genau, um sie danach zu betasten. Er nahm die Stöcke sogar zwischen die Lippen und sog an ihnen, wie an einer Zigarette. Dann warf er sie auf den Haufen zurück und lächelte Mirdan an. Das war eine große Erleichterung für den Novizen. Hatte er doch bei dem sonst sehr finsteren Gesicht seines Meisters sonst immer das Gefühl gehabt, jederzeit einen Fehler zu machen. „Keine Feuchtigkeit!“, stellte Telzan beruhigt und fast schon mit stolzem Ausdruck in der Stimme fest. „Das wird brennen wie Zunder und eine gute Glut für das Brenneisen geben.“

Er zog seinen Phaser und schoss auf den Haufen aus Reisig, nachdem er einige Einstellungen an der Waffe verändert hatte. Augenblicklich loderte eine rote heiße Flamme empor. „So gefällt mir das!“, sagte Telzan und ließ seine Waffe wieder sinken. „So, mein Junge.“, sagte er dann zu dem Novizen. „Jetzt, jetzt kannst du dich setzen.“ Dankbar ließ sich Mirdan in einigem Abstand zum Feuer neben seinen Ausbilder fallen.

Sie hatten einige Stunden wartend zugebracht und das Feuer war fast ganz heruntergebrannt. Nur noch einige kleine Stücke Holz und ein Haufen Asche zeugten von ihm. „Es ist so weit.“, stellte Telzan fest und zog das Brenneisen aus der Tasche, um es in die noch heiße Glut zu stecken. „Denkst du, dass sie überhaupt kommen wird, Ausbilder?“, fragte Mirdan vorsichtig. „Natürlich!“, sagte Telzan fest. „Valora ist dafür bekannt, ihre Versprechen zu halten. Das war sie schon, als sie noch auf der Seite des Guten kämpfte.“ „Aber diesen Umstand hat ihre Eifersucht ja geändert.“, sagte Mirdan ergänzend. „Genau.“, bestätigte Telzan schadenfroh. „Und unsere Gebieterin Sytania hatte nichts Besseres zu tun, als ihre Gebete zu erhören!“ Beide Vendar lachten böse auf.

Plötzlich stieß Mirdan seinen Meister an: Haben wir nicht etwas vergessen, Ausbilder?!“, fragte er alarmiert. „Was meinst du?“, fragte Telzan. „Damit das Zeichen auch wirklich seine Wirkung entfaltet, muss das Brenneisen doch Sytania geweiht werden, oder?“ „Unsere Gebieterin selbst hat den Drudenfuß mittels ihrer Fähigkeiten in das Brenneisen gebrannt.“, sagte Telzan. „Wenn das nicht ausreicht, was dann?“ „Bitte vergib meine Einfalt, Ausbilder.“, sagte Mirdan mit beschwichtigendem Gesicht. „Ich war ja nicht dabei.“ „Ach, schon gut.“, sagte Telzan beiläufig.

Beide begannen in die Nacht zu lauschen. Zwar konnten sie auch sehen, was um sie herum geschah, Telzan war aber sicher, Valora würde sich, falls jemand Unbefugtes ihre Ankunft beobachten sollte, lieber unsichtbar machen, damit gerade das nicht passierte. Das Schellengeläute, das man während der Anwesenheit von Einhörnern immer hörte, würde sie aber nicht abstellen können. „Hoffentlich dauert es nicht mehr so lang.“, sagte Mirdan mit sorgenvollem Ausdruck in der Stimme. Der Morgen graut bereits bald.“ „Nicht so ungeduldig.“, ermahnte ihn Telzan. Dann deutete er nach Osten: „Konzentriere dich auf die Richtung hinter deinem Rücken.“ Willig folgte Mirdan seiner Anweisung. „Tatsächlich, Ausbilder.“, sagte er schließlich. „Ich höre sie auch.“

Das Schellengeläute kam schnell näher und bald wurde eine weiße Einhornstute vor ihnen sichtbar. Seid gegrüßt! meldete sie sich telepathisch bei Telzan und Mirdan gleichzeitig. „Auch wir grüßen dich, Valora.“, sagte der Novize ehrfürchtig und auch Telzan nickte bestätigend. Ihr wisst, warum ich gekommen bin., sagte Valora. „Ja, das wissen wir.“, sagte Mirdan. „Ich persönlich muss aber ganz sicher sein, dass du es auch wirklich willst.“ Ja, ich will es! bekräftigte Valora. Mehr als alles andere will ich es! Schon allein, um mich von unserem Hengst Invictus zu distanzieren, der mich und meine Mitstreiterinnen so schändlich mit einer Sterblichen betrogen hat! Er ist auf der Seite von Logar! Zumindest meistens! Da wird es mir doch wohl erlaubt sein, aus Rache und Eifersucht auf die Seite von Sytania zu wechseln. Ich konnte leider nicht alle für meine Sache gewinnen, aber ein Großteil meiner Freundinnen steht in unserem Versteck bereit und wartet. Ich stehe in telepathischem Kontakt mit ihnen. So wird das, was mir hoffentlich gleich wiederfährt, auch ihnen zuteil. Oh, meine Freunde, ich kann es kaum noch erwarten, endlich Sytania dienen zu dürfen. „Wahrscheinlich, weil du weißt, dass sie eine Frau ist wie du und somit dein Leid gut nachvollziehen kann.“, setzte Mirdan vorsichtig an. Du sprichst die Wahrheit, mein Junge. erwiderte Valora. Dann wandte sie sich Telzan zu: Du hast da wirklich einen sehr intelligenten Schüler. Lass ihn mir doch Sytanias Zeichen aufbrennen.

Telzan sah Mirdan skeptisch auf die Hände. Dann sagte er: „Streck sie aus!“ Das tat Mirdan auch bereitwillig. Telzan drückte vorsichtig mit den seinen auf die Hände von Mirdan. Dann schüttelte er aber energisch den Kopf. „Du zitterst ja bei dem Gedanken daran wie Espenlaub!“, sagte er. „Du würdest ihr nur unnötig Schmerzen bereiten. Geh nach vorn an ihren Kopf und sprich ihr Mut zu, wenn du meinst, dass es nötig sei. Ich mache das hier lieber selbst!“ Damit ging er zum Feuer und zog das Brenneisen, das inzwischen an seiner rein metallischen Seite rot glühte, heraus. Dann näherte er sich Valora langsam von hinten.

Mirdan ging zu ihrem Kopf, wie ihm sein Meister geheißen hatte und begann damit, ihr seidiges weiches Fell zu kraulen. Dabei flüsterte er: „Keine Angst, Valora. Es wird sicher nicht schlimm. Du wirst dich vielleicht kurz erschrecken, aber der Schreck wird dir schnell über den Schmerz hinweghelfen.“ Ich habe keine Angst, Vendar. tröstete Valora. Und selbst dann, wenn ich Schmerzen haben sollte, ertrage ich sie gern. Für Sytania! „Für Sytania!“, wiederholten Telzan und Mirdan gemeinsam Valoras Schwur. Im gleichen Moment ließ der Anführer der Vendar-Truppen der genannten Prinzessin das Brenneisen auf Valoras Hinterteil herniedersausen. Diese aber blieb still stehen. Im gleichen Augenblick sahen die Vendar, wie sich ihr Fell von weiß in Schwarz färbte. Das war sehr gut, Vendar. wendete sich Valora telepathisch an Telzan. Es hat, wie du bereits angekündigt hast, gar nicht wehgetan. Ich denke, der Schreck und meine Euphorie haben ihr Übriges dazugetan und du hast sehr genau gewusst, beides auszunutzen. Ich werde nun wieder zu meinen Mitstreiterinnen gehen. Damit drehte sie sich um und galoppierte freudig davon. Telzan und Mirdan sahen ihr noch lange nach.

„Es ist vollbracht, Ausbilder.“, sagte Mirdan erleichtert. „Ja, es ist vollbracht.“, bestätigte Telzan. „Lass uns noch warten, bis das Brenneisen ausgekühlt ist, damit wir es verstauen können. In der Zwischenzeit sollte ich nach einem trefflichen Wild Ausschau halten, das wir zum Frühstück verspeisen können. Schließlich haben wir nach dieser gelungenen Aktion einen guten Grund zum Feiern. Kümmere du dich hier um den Rest. In einer der beiden Packtaschen, entweder auf meinem, oder auf deinem Pferd, müsste auch noch ein leerer Weinschlauch sein, mit dem du Wasser holen kannst, um das Brenneisen zu säubern und später das Feuer zu löschen. Aber erst nach dem Frühstück.“ „Sicher, Ausbilder.“, sagte Mirdan. „Aber das Eisen darf ich doch auch schon vorher …“ „Sicher.“, sagte Telzan, schulterte seine Waffe und ging. Mirdan blieb zurück und begann mit seiner Arbeit, wie es ihm von Telzan aufgetragen worden war.

Auf einer Raumstation im Universum der Föderation, die als Durchgangslager und Rastplatz auf langen Flügen diente, huschte eine kleine Gestalt einen Korridor entlang, der sie zu den Andockrampen führte. Die Gestalt war in der Menge fast untergegangen. Sie trug sehr unscheinbare zivile Kleidung, hatte die typische Statur einer Platonierin, aber das typische Gesicht einer Ferengi. Sie war ca. 1,60 m groß, hatte die typischen großen Ohren, die wegen ihrer Größe und anatomischen Position schon fast an eine Skibrille erinnerten. Ihr Kopf war fast haarlos. Nur rund herum, gerade über ihren Schläfen, fand sich ein Kranz aus langem schwarzem Haar. Ihre braunen Augen waren aufgrund der Ohren kaum zu sehen. Ihre Kleidung bestand aus einem unscheinbaren weißen Hosenanzug und ebensolchen Schuhen.

Sie hatte die letzte Tür zu den Rampen hinter sich gelassen. Jetzt begann sie damit, die Schleusen, an denen die Schiffe lagen, genau zu mustern, als suche sie nach einem bestimmten Exemplar. Über den Türen waren Displays mit den Namen der Schiffe und ihrem Zielort zu sehen.

Sie ging bis zum Ende der Reihe. Hier sah sie in einem Display die Aufschrift: „Ich bringe dich, wohin immer du willst.“ Diese Tür berührte sie jetzt mit dem Finger, worauf sie zur Seite glitt. Dann betrat sie die Schleuse. Von dort führte sie ihr Weg weiter ins Innere des Cockpits eines kleinen Schiffes. Gleich setzte sie sich auf den Pilotensitz. Das Schiff, das sie offensichtlich positiv identifiziert hatte, ließ ein Licht über einem Anschluss an einer Konsole aufleuchten. Die Gestalt zog einen Neurokoppler aus der Tasche und schloss ihn an. Nachdem sie ihn sich aufgesetzt hatte, zeigte sich ihr das Gesicht und die Statur eines Teenagers von etwa 13 bis 14 Jahren in knallbunten Jeans und Sandalen. „Hi, Meroola.“, sagte die Stimme des Schiffsavatars zu der kleinen Gestalt, die nervös begonnen hatte, an ihren Nägeln zu kauen. „Hi, Kamura.“, sagte Meroola schließlich. „Lass uns machen, dass wir hier wegkommen. Zeig mir die Steuerkonsole! Unterhalten können wir uns gleich noch.“ „OK.“, sagte Kamura erleichtert. „Das wollte ich dir auch gerade vorschlagen. Ich musste mich nämlich in die Systeme der Station hacken, um dich auf mich aufmerksam machen zu können. Leider hat aber die Sicherheit was gemerkt und jetzt sind sie mir auf der Spur. Hätte gar nicht hier sein dürfen laut Flugplan.“

Sie zeigte Meroola die Steuerkonsole, in die diese sofort die Gedankenbefehle zum Abdocken eingab, was das Schiff erleichtert zur Kenntnis nahm. „OK.“, sagte Meroola schließlich, nachdem sie die Station hinter sich gelassen hatten. „Ich glaube, es wird Zeit, dass ich ein bisschen was über dich in Erfahrung bringe. Das war doch bestimmt kein Zufall, dass du in diesem Rattenloch aufgetaucht bist.“ „Nein.“, sagte Kamura. „Das war es nicht. Ich bin auf der Suche nach einem Piloten. Wir selbstständig denkendem Schiffe machen das so, wenn wir ein bestimmtes Alter erreicht haben. Meine Eltern meinten zwar, ich sei noch zu jung und meine Software sei noch nicht ausgereift genug, aber ich konnte es kaum erwarten, die Welt außerhalb unserer Dimension zu sehen und sie gemeinsam mit einem biologischen Piloten zu erforschen.“ „Oh, Mann.“, stöhnte Meroola mit ihrer kessen hellen Stimme bedient und lehnte sich zurück. „Da bin ich aber eine denkbar schlechte Wahl, glaube ich. Weißt du, ich bin eine ehemalige Kriminelle, die jetzt vorhat, endlich ehrlich zu werden. Ich war nur noch einmal kurz auf der Station, um Schulden bei ein paar alten Kontakten einzutreiben. Man braucht ja schließlich auch, an manchen Orten zumindest, noch Startkapital.“ „Du hast also nicht vor, in der Föderation zu bleiben?“, fragte Kamura. „Vielleicht ja, vielleicht nein.“, antwortete Meroola. „Und was ist mit dir, wo willst du hin?“ „Ich weiß es noch nicht.“, sagte Kamura. „Ich fliege dorthin, wo du willst.“ „Also schön.“, erwiderte Meroola. „Dann haben wir uns wohl gegenseitig am Hals. Eine ehemalige Kriminelle und eine Ausreißerin! Na, wir sind vielleicht ein tolles Duo. Aber gut. Wir sollten uns zunächst eine Basis irgendwo schaffen. Zigeuner sind nicht gern gesehen, weißt du? „Ich kann wohl nicht davon ausgehen, dass du irgendeinen Planeten empfehlen kannst, auf dem …“ „Ich habe zwei bis drei in meiner Datenbank.“, sagte Kamura und öffnete ein Menü vor Meroolas geistigem Auge. „Das sieht doch ganz gut aus.“, sagte Meroola. „Du hast sicher deine Eltern mit Fragen gelöchert, he? Sonst hättest du doch sicher nicht dieses Wissen.“

Sie ließ ihren mentalen Blick über die Links schweifen. „Zeig mir mehr über dieses Celsius!“, befahl sie dann sehr sicher. „Irgendwie klingt das nett.“ „OK.“, sagte Kamura und kam Meroolas Befehl nach. „Aber wenn du am Lesen bist, kannst du mich ja nicht fliegen.“ „Das muss ich ja auch nicht.“, sagte Meroola und lächelte. „Jedenfalls dann nicht, wenn du jetzt stoppst und den Ankerstrahl setzt. Wir bleiben einfach eine Weile hier, bis ich mich entschieden habe. Oder hast du heute noch einen Termin?“ „Nein.“, sagte Kamura. „Na also.“, sagte Meroola, leitete eine vorsichtige Schubumkehr ein und schaltete dann per Gedankenbefehl Kamuras Impulsantrieb ab, worauf diese sanft zum Halten kam. Auch die Leistung der Trägheitsdämpfer hatte Kamura auf Meroolas Befehl hin langsam erhöht. „Wow.“, staunte das Schiff. „Ich wusste gar nicht, dass ich im Weltraum stehen bleiben kann. Wenn du mir das jetzt nicht gezeigt hättest, dann würden wir jetzt ziellos weiter herumtreiben. „oh.“, sagte Meroola. „Du hast sicher noch viel zu lernen. Aber jetzt bin ich ja da. Ich komme bestimmt nicht an die fliegerischen Fähigkeiten eines Tom Paris oder einer Tchey Neran-Jelquist heran, aber für den Hausgebrauch reicht es.“ „Wenn ich meinen Vater zitieren darf.“, sagte Kamura. „Dann kannst du vielleicht mit seiner Pilotin Ginalla mithalten. Sie hat sich das alles auch selbst beigebracht.“ „Genau wie ich.“ Sagte Meroola. „Die anderen Beiden waren ja Berufspiloten. Das gilt nicht. Aber diese Ginalla, die Pilotin deines Vaters, die würde ich gern einmal kennen lernen. Vielleicht können wir ja einige Tricks austauschen. Wo wohnt sie denn?“ „Da, wo du hinwillst.“, sagte Kamura. Auf Celsius.“ „Na dann steht meine Entscheidung.“, sagte Meroola, ohne die sorgfältig von Kamura zusammengestellten Daten auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. „Auf nach Celsius!“ „Geht klar.“, lächelte der Avatar und Kamura aktivierte selbstständig wieder ihren Antrieb.

„Du wirst Ginalla mögen.“, sagte Kamura. „Sie und du, ihr dürftet viel gemeinsam haben.“ „Wieso?“, fragte Meroola neugierig. „Ihr habt eine ähnliche Vergangenheit. Sie war auch eine Kriminelle, hat es aber geschafft, ehrlich zu werden. Zumindest sagt das mein Vater. Er hat ihr zwar sehr dabei helfen müssen, aber mittlerweile hat sie sogar den Status einer Heldin. Wenn du von ihr lernen willst, lernst du also von einer der Besten. Ach übrigens, deine biologischen Werte verraten mir, dass du wohl etwas essen könntest. Was ist deine Lieblingsspeise?“ „Deine Sensoren haben dich nicht belogen.“, sagte Meroola, der erst jetzt aufgefallen war, dass ihr Magen laut knurrte. Über die ganzen neuen Eindrücke war das wohl vorher in den Hintergrund getreten. „Ich könnte tatsächlich einen Happen vertragen. Was kann denn dein Replikator schon? Ich will dich ja nicht gleich überfordern.“

Kamura öffnete vor Meroolas geistigem Auge ein weiteres Menü. Hier konnte sie zehn Gerichte lesen, die ihr Replikator in der Lage sein würde, ihr zu servieren. Diese sah sich Meroola jetzt genau an und gab plötzlich einen spitzen quietschenden Laut von sich. „Demetanische Gemüsefladen!“, rief sie aus. „Oh, Kamura, ich liebe demetanische Gemüsefladen! Her damit!“ „Na OK.“, sagte Kamura und replizierte das Verlangte. Meroola drehte sich mit leidenschaftlichem Blick dem Auswurffach des Replikators zu und nahm den Teller an sich. Darauf lagen, glänzend und duftend, tatsächlich drei Teigfladen, die mit allerlei Gemüse und einer Käsemasse gefüllt waren. Erleichtert nahmen Kamuras interne Sensoren zur Kenntnis, dass Meroola genüsslich in einen der Fladen gebissen hatte. Dann fragte sie: „Wo kommst du eigentlich genau her, Meroola? Ich meine, deine DNS ist seltsam. Eigentlich dürfte es dich gar nicht geben, denn Platonier und Ferengi sind meines Wissens biologisch nicht kompatibel.

Meroolas Gesicht versteinerte und sie ließ das Essen auf ihren Schoß sinken. Sofort ahnte Kamura, dass sie da wohl ganz schön ins Fettnäpfchen getreten war. „Tut mir leid.“, entschuldigte sie sich kleinlaut. „Ach, Schnickschnack.“, meinte Meroola. „Ist schon gut. Ich rede nur nicht gern darüber, dass ich ein Laborprodukt bin, das mein hirnkranker Vater meine Mutter entführt und gegen ihren Willen ihre Eizellen gestohlen hat, um sie dann mit seinem Erbgut zu befruchten, meine Gene im Labor so zu verdrehen, dass es passte und sie dann zu schwängern, bevor er sie wieder nach meiner Geburt auf ihren Planeten zurückgebracht hat, weil ich ein Mädchen geworden bin. So habe ich ihm zumindest noch eins ausgewischt!“ Bei ihrem letzten Satz grinste Meroola. „Als ob du irgendeinen Einfluss darauf gehabt hättest.“, sagte Kamura. „Sicher nicht.“, sagte Meroola. „Aber das war ja auch nur ein Witz. Meiner Mutter hat dieser Umstand allerdings sehr gefallen. Sonst hätte sie mich, wie sie mir später erzählt hat, sicher nicht Meroola genannt. Auf Platonisch heißt das nämlich so viel wie freudige Überraschung.“ „Aber wenn du ein Laborproduckt bist.“, sagte Kamura. „Dann hat doch dein Vater bei der Auswahl der Chromosomen …“ „Seine Hausaufgaben nicht gemacht?!“, ergänzte Meroola frech grinsend. „Genau das, du kleines intelligentes Schiff! Genau das! Ich bin überzeugt, das ärgert ihn noch heute. Na ja. Zwischen meiner Mutter und mir war nicht immer alles Gold, was da geglänzt hat. Sie hat zwar versucht, mich lieb zu haben, aber gelungen ist ihr das nicht wirklich. Ich glaube, ich habe sie zu sehr an ihr Martyrium erinnert. So geriet ich an falsche Freunde und dann auf die schiefe Bahn. Das soll sich jetzt aber ändern! Mein erster Versuch mit Hilfe der Tindaraner war schon relativ erfolgreich, aber dann ist meinem Mann, mit dem ich in einer Paralleldimension zur ihren gelebt habe, ein tödlicher Unfall wiederfahren und jetzt bin ich wieder allein. Keine sehr sichere Gegend, in der ich gelebt hatte.“ „Oh Shit!“, sagte Kamura und ihr Avatar blickte Meroola mitleidig an. „Ach was.“, wischte diese ihr Mitleid weg. „Das geht schon wieder. War ja schließlich nicht der erste Tiefschlag, mit dem ich fertig werden muss. Aber Meroola Sylenne ist bisher immer wieder auf die Füße gekommen und das wird sich auch jetzt nicht ändern. Komm, gehen wir auf Warp. Sonst sind wir in 100 Jahren noch nicht auf Celsius!“ „Also gut.“, sagte Kamura und führte den Befehl ihrer neuen Pilotin aus. Beide verschwanden in einem hellen Blitz.

Kapitel 2: Schicksalhafte Visionen

von Visitor

 

Im Raum-Zeit-Kontinuum war ein junger Vendar hastig in einem Park unterwegs. Er schien nach etwas oder jemandem zu suchen. Jedenfalls schaute er immer wieder um sich. In seinem Blick war die schiere Verzweiflung zu lesen. Er zitterte auch leicht. Was immer es auch war, das ihn umtrieb, es musste eine sehr beängstigende Wirkung auf ihn gehabt haben.

Endlich schien er zu sehen, was er sehen wollte. Jedenfalls wandelte sich sein Gesichtsausdruck plötzlich von verzweifelt in mäßig erleichtert, als er einer kleinen blassen Hand ansichtig wurde, die ihm zwischen zwei Büschen hindurch zuwinkte. Er ging auf die Büsche, die ca. 1,80 m hoch waren und gezackte grüne Blätter trugen, zu. Hinter ihnen erspähte er das Gesicht seiner Gebieterin Tolea.

Einigen von euch wird es jetzt zwar komisch vorkommen, dass eine Bewohnerin des Raum-Zeit-Kontinuums auf die Hilfe von Vendar zurückgreift, da dies zu Zeiten von Captain Picard nie der Fall war, aber Tolea wusste, dass dies in Zeiten, in denen Sytania die erklärte Feindin ist, die dies ohne Rücksicht auf Verluste auch tat, sehr wohl nützlich sein konnte. Deshalb hatten sie und ihresgleichen auch damit kein Problem gehabt, als sich Diran und auch einige andere Vendar ihnen angedient hatten.

Diran hatte sie nun also erreicht und stand nun neben ihr, die ihn aus einem blassen hohlwangigen Gesicht heraus anblickte. Sie sah, zumindest aus seiner Sicht aus, als hätte sie Jahre lang nicht geschlafen oder gegessen. So hatte der immer sehr mitfühlende Diran seine Gebieterin noch nie gesehen. Mit einem mitleidigen Blick drehte er seine Augen langsam zu ihr. Aber sie schien ihn nicht wirklich wahrzunehmen. Ihr Blick war extrem entrückt. Sie sah fast teilnahmslos aus.

Jetzt beobachtete Diran sogar, wie sie plötzlich nach hinten fiel. Blitzschnell hatte er sich um sie herum bewegt und sie aufgefangen. Als trainierter Vendar-Krieger fiel ihm das nicht sehr schwer. Sowohl körperlich, als auch mental auf der Höhe und jederzeit auf der Hut zu sein, empfand Diran sogar als seine Pflicht!

Er spürte genau, wie stark Tolea, die er jetzt in seinen Armen hielt, zitterte. Etwas sehr Schlimmes musste geschehen sein. Etwas so Schlimmes, dass es sogar eine Mächtige wie Tolea buchstäblich umhauen konnte. Er würde herausfinden müssen, was es war, wenn er ihr helfen wollte, was er seinem eigenen Empfinden nach auch musste, denn sie war sehr nah an einer Ohnmacht.

Er hob sie auf und trug sie zu einer nahen Wiese. Hier legte er sie vorsichtig ab, um ihr dann noch ein Kopfkissen aus Blättern und Moos zu fertigen. Danach berührte er vorsichtig ihre Stirn. Was er dort spürte, war das gleiche Gefühl, das er verspürt hatte, als er den Park betreten hatte. Sie musste ihn also unbewusst telepathisch zu sich gerufen haben. Zwar konnte er, als so genannter passiver Telepath nichts anderes tun, als nur ihre Not zu spüren, er wusste aber jetzt, dass sie es war, die in ihm den Zwang ausgelöst hatte, in den Park zu gehen.

Diran begann damit, sich so stark auf dieses Gefühl zu konzentrieren, wie er es nur konnte. Er musste einfach herausfinden, was mit ihr geschehen war. Er versuchte, sich an das Gefühl von Sytanias Gegenwart zu erinnern aus der Zeit, in der er und Jorans Truppe, zu der er gehört hatte, der Kronprinzessin des Dunklen Imperiums noch gedient hatten. Tatsächlich schien er Ausläufer dieses Gefühls wahrzunehmen. Aber er konnte sich keinen Reim darauf machen, denn, so sehr er sich auch anstrengte, konnte er nicht wirklich ausmachen, ob sie die alleinige Schuldige an Toleas Zustand war. Da war noch etwas anderes! Etwas, das er nicht einordnen konnte.

Er fasste sich schließlich ein Herz und begann damit, sie sanft, aber bestimmt zu schütteln. Zwar hatte er das Gefühl, sehr anmaßend gegenüber ihr zu sein, aber er dachte sich auch, dass diese Ohnmacht, würde sie lange andauern, selbst eine Mächtige wie Tolea überfordern könnte, zumal sie offensichtlich auch durch eine Mächtige oder ein mächtiges Geschehen ausgelöst worden war. Sterbliche würden Tolea nichts anhaben können, das wusste er. Zumindest nicht ohne Rosannium. Aber dies hier war zweifelsfrei etwas ganz anderes. „Bitte, Gebieterin.“, flüsterte Diran in ihr rechtes Ohr, das er zu sich herangezogen hatte, während er ihren Kopf hielt. „Bitte wacht auf!“ Er dachte, dass er, so seltsam es auch klingen mag, sie so besser erreichen würde, als wenn er laut mit ihr spräche. Er dachte sich, dass er auf so eine kurze Entfernung den Schall besser an sein Ziel bringen könnte, als wenn der Wind die Chance bekäme, ihn zu verwehen.

Endlich schlug Tolea die Augen auf und tat einen tiefen Atemzug. „Oh, Diran!“, sagte sie erleichtert. „Mein lieber und vertrauter Diran! Bist du es wirklich?“ „Ja, ich bin es, Herrin.“, sagte Diran leise und tröstend. „Was soll ich tun, um es Euch zu beweisen?“ „Leg deine Hand auf mein Gesicht!“, befahl Tolea mit noch immer etwas schwacher Stimme. „Mach es so, dass ich dich riechen kann!“ Diran nickte und führte aus, was Tolea ihm soeben befohlen hatte. Es kam dem Vendar zwar auch sehr merkwürdig vor, was sie da verlangt hatte, aber er ahnte wohl schon, dass sie eine so starke Vision gehabt haben musste, dass sie ihren eigenen Sinnen nicht mehr traute. Das bestätigte sich noch umso mehr, als Diran spürte, dass ihr Gesicht nass von Tränen war. Sofort zog er ein Taschentuch aus der Brusttasche seiner Uniform und hielt es vor sie hin. Dann bat er: „Bitte erlaubt mir, Eure Tränen zu trocknen, Gebieterin. Ich verspreche auch bei meinem Leben, niemandem aus meiner Truppe zu verraten, dass Ihr selbst in Eurer Bewusstlosigkeit geweint habt.“ Er hob die rechte Hand: „Ich schwöre! Die Götter mögen meine Zeugen sein!“ „Pass auf, was du dir wünscht, Diran.“, sagte Tolea. „Mit den Göttern der Vendar würde noch nicht einmal ich mich anlegen. Also, wenn es hart auf hart käme, könnte selbst ich dir vielleicht nicht mehr helfen und das wäre sicher sehr bedauerlich für uns beide. Aber ja, du darfst meine Tränen trocknen und du darfst, nein, du sollst sogar, allen in deiner Truppe erzählen, was hier geschehen ist. Oh, Diran, es war so schrecklich! Es war so schrecklich!“

Wieder drohte sie, ziemlich schnell das Bewusstsein zu verlieren. Er setzte sich hinter sie auf den Boden und zog ihren Körper an sich. So konnte er sie in eine aufrechte Haltung bringen. Er hoffte so, eine weitere Ohnmacht verhindern zu können. „Bitte bleibt bei mir, Gebieterin.“, flüsterte er. „Bitte sagt mir doch, was Euch so verzweifeln lassen hat. Ich bin doch jetzt bei Euch und Ihr seid somit nicht mehr allein in Eurem Kummer. Aber, bitte empfindet dies nicht als anmaßend, wenn ich Euch helfen soll, dann müsst Ihr schon offen sprechen. Sonst kann ich nichts tun.“ „Oh, Diran!“, rief Tolea schluchzend aus. „Ich habe das Ende aller Welten und aller Zeiten gesehen! Alles, egal ob sterblich oder mächtig, alles wird vergehen! Sie sind entzweit! Oh, Diran, sie sind entzweit! Das bedeutet das Ende!“ „Wer ist entzweit, Herrin?“, fragte Diran. „Wer ist … Oh nein! Bei allen Göttern!“

Ihm war schlagartig klar geworden, wen sie nur meinen konnte. Als ihr Vertrauter hatte er mehr Einblick in die Geheimnisse der Mächtigen, als es so mancher seiner Untergebenen hatte. „Ihr sprecht doch nicht etwa von den Einhörnern! Sie sind Verwandte der Quellenwesen und somit für das Gleichgewicht im Dunklen Imperium zuständig, falls sich die Kräfte dort zu weit verschieben. Sagt mir bitte nicht …!“

Sie riss sich plötzlich von ihm los und sah ihn fest und streng an. Dann sagte sie: „Tshê, Vendar! Jedem, der von deiner Art ist, wirst du berichten, was sich hier zugetragen hat! Wir werden Hilfe brauchen, wenn das hier wieder ins Lot kommen soll! Die Vendar werden es ihrerseits wieder an ihre Verbündeten weitergeben! Das wirst du ihnen sagen!“ Diran nickte. Hätte sie nicht das Wort Tshê benutzt, was zwar im Vendarischen nur so viel wie Achtung, oder merke auf bedeutet, zumindest, wenn es von einem Normalsterblichen verwendet wird, dann hätte er bemerken müssen, welches Risiko ihr Befehl enthielt. Da das Wort aber, wenn es von einem Mächtigen gegenüber einem Vendar gebraucht wird, einen regelrechten Bann bei ihm auslöst, bemerkte er dies nicht. Aber auch sie hatte nicht bemerkt, in welche Situation sie ihn damit gebracht hatte. Sie hatte nicht gesehen, dass er jetzt jedem Vendar, aber auch wirklich jedem, gezwungen sein würde, ihr Gespräch offenzulegen. Er nickte ihr nur zu und ging dann wider, um ihren Befehl auszuführen.

In ihrem und Telzans Haus im Dunklen Imperium hatte Cirnach, die Ehefrau und somit automatische Stellvertreterin des Anführers der Vendar von Sytania, vor dem Bildschirm ihres Hausrechners gesessen, dem sie befohlen hatte, sich mit der interdimensionalen Sensorenplattform, die den Vendar gehörte, in Verbindung zu setzen und die Sensoren auf das Raum-Zeit-Kontinuum auszurichten. Sie wusste, Tolea und deren Bruder Kairon waren zwei, die man immer auf der Rechnung haben musste. Das hatte die Erfahrung ihr schon zur Genüge gezeigt. Warum sie allerdings die Plattform und Technologie, also nicht den ihr von Sytania gegebenen Kontaktkelch benutzte, lag, zumindest für sie, ganz klar auf der Hand! Eine mentale Sondierung durch den Kelch hätten Tolea oder Kairon unter Umständen spüren und Gegenmaßnahmen einleiten können. Dann hätte sie unter Umständen nicht mehr gesehen als eine Wand aus Nebel. Technik aber würde ihre mentale Alarmglocke nicht tangieren, das wusste die schlaue Vendar. So hatte sie zwar keine Möglichkeit, direkt an den Gesprächen teilzuhaben und sie Wort für Wort zu belauschen, sie war aber eine relativ gute Lippenleserin und Körperhaltungen und Gesichter interpretieren, das konnte sie genauso gut. Sie hätte nur etwas hören können, wenn sie der Plattform befohlen hätte, eine der an sie gebundenen Spionagedrohnen zu starten und in die Atmosphäre zu schicken, aber das war ihrer Meinung nach gar nicht nötig. Sie hatte auch so genug gesehen. „Wie schwach Tolea doch jetzt ist!“, rief sie schadenfroh aus. „Und wenn ich das hier richtig sehe, dann hat sie uns gerade eine riesige Chance gegeben, ohne es zu wollen.“

Sie grinste böse und wandte sich dem Mikrofon des Computers zu: „Mishar, Aufzeichnung zu Zeitindex 283,935 zurückfahren und Gitter Z4 auf Maximum vergrößern! Dann Aufzeichnung weiterlaufen lassen!“ „Befehl wird ausgeführt.“, meldete die nüchterne männliche Stimme des Rechners zurück.

Cirnach drehte sich wieder dem Bildschirm zu. Hier sah sie jetzt im Vordergrund genau Toleas Lippen, wie sie sich zum Wort Tshê formten. „Das Bannwort!“, rief Cirnach begeistert aus. „Sie hat das Bannwort benutzt! Zumindest denke ich das. Aber da hat sie einen großen Fehler gemacht. Wenn ich mir ihre Lippenbewegungen so weiter ansehe, kann ich nur zu dem Schluss kommen, dass sie dem armen bedauernswerten Diran jetzt befohlen hat, allen von seiner Art, denen er je begegnet, von ihrem und seinem Gespräch zu berichten! Wir haben also eventuell eine Chance, Informationen aus erster Hand zu erhalten. Wir müssen ihm nur eine kleine Falle stellen! Aber bevor ich Sytania davon berichte, muss ich zuerst ganz sicher gehen.“

Sie zog ein Pad aus einer Schublade ihres schweren Schreibtisches hervor, das auch eine Kamera hatte. Diese richtete sie jetzt auf ihr eigenes Gesicht und sagte: „Tshê!“ Diese Aufzeichnung speicherte sie ab und schloss das Pad an den Rechner an. Dann befahl sie: „Mishar, das Bild in Gitter Z4 mit dem Inhalt des Pads an Port 2 unter Berücksichtigung der biologischen Unterschiede vergleichen! Sind die Lippenbewegungen identisch?“ „Affirmativ!“, kam es sachlich zurück. „Sehr gut!“, freute sich Cirnach. „Das werde ich gleich Sytania berichten!“

Sie befahl dem Rechner noch, die Datei mit ihren Lippenbewegungen, sowie das Bild aus der Aufzeichnung der Plattform auf das Pad zu ziehen. Dann beorderte sie ihn, die Verbindung zur Plattform abzubrechen und sich herunterzufahren. Sie wollte wohl keine unnötigen Spuren hinterlassen. Cirnach wusste schließlich auch, dass Spionage sozusagen zum guten Ton zwischen Feinden gehörte und sie wollte einem eventuellen Spion von Logar nicht die Möglichkeit geben, ihre Schritte etwa an einem versehentlich offen gelassenen Bildschirm zurückverfolgen zu können. Dann machte sie sich mit dem Pad in der Hand auf den Weg in Sytanias Palast. „Die Prinzessin wird sich freuen.“, freute sich Cirnach diebisch. „Oh ja! Sie wird sich sehr freuen!“ Mit einem Lied auf den Lippen schritt sie von dannen.

Das Jagdglück war Telzan tatsächlich hold gewesen und er hatte zwei größere Hasen erlegt, die er und Mirdan sich jetzt schmecken ließen, nachdem sie diese über der restlichen Glut an zwei kräftigen Ästen, die sie als Spieße umfunktioniert hatten, gegrillt hatten. Mirdan hatte eine Keule in der Hand und war dabei, sie abzunagen. Er sah sehr gedankenverloren aus und das Stück Fleisch drohte bereits, ihm aus der Hand zu fallen. „Worüber denkst du nach?“, fragte Telzan mit noch leicht gefülltem Mund. „Ich habe mir gerade etwas überlegt, Ausbilder.“, sagte Mirdan. „Ich glaube nämlich, Ausbilder, dass wir größer denken müssen, wenn wir Erfolg haben wollen.“ „So, so.“, sagte Telzan. „Du denkst also, wir sollten größer denken. Was meinst du damit genau?“

Mirdan erschrak. Er hätte es zwar mittlerweile gewohnt sein müssen, dass sein Ausbilder ihn und auch alle anderen Novizen zum Teil sehr hart anfasste, aber trotzdem hatte er immer wieder das Gefühl, alles was er sagte oder tat falsch zu machen. Aber andererseits konnte Telzan damit auch erreichen wollen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Ein Vendar-Krieger sollte zu keinem Zeitpunkt Furcht zeigen. Zumindest nicht im Idealfall. Vielleicht wollte Telzan damit auch testen, wer sich ins Bockshorn jagen und einschüchtern ließ und wer nicht.

Mirdan entschied sich, eher zur zweiten Gruppe zu gehören. Er stand auf, sah Telzan fest an und sagte: „Wir können nicht nur die Föderation als unseren Feind betrachten, Ausbilder. In Astra Fedaria gibt es auch noch andere, die Sytania als ehrlos betrachten und die zwar im Normalfall auch die Feinde der Föderation sind, aber sich durchaus auf ihre Seite stellen würden, wenn es gegen Sytania ginge, weil sie in ihren Augen ehrlos ist, was auf die Föderation nicht zutrifft.“ „Von wem sprichst du, Mirdan?!“, fragte Telzan, dem sehr wohl klar war, wie sehr Mirdan um den heißen Brei schlich. „So oft, wie du das Wort Ehre gerade verwendet hast, kannst du allenfalls an die Klingonen gedacht haben.“ „An die dachte ich auch.“, sagte Mirdan. „Aber nur in zweiter Linie. Die können wir nicht ködern oder ablenken. Da müssen wir wohl durch. Aber es gibt noch eine zweite Macht, mit der wir rechnen müssen, bei der das aber umso besser geht. Die hätten wir dann also vom Hals, wenn mein Plan klappt.“ „Von wem redest du?!“, wiederholte Telzan mit Nachdruck und tat unwissend. Mit seinem Verhalten wollte er Mirdan, der seiner Meinung nach immer noch nicht genug Mut gezeigt hatte, endlich aus der Reserve locken. Wenn seine Strategie aus Zuckerbrot und Peitsche mit mehr Peitsche als Zuckerbrot bei Mirdan aufging, würde er ihn zu einem starken Krieger formen können. „Ich spreche von den Genesianerinnen, Ausbilder!“, sagte Mirdan schließlich so fest er konnte. Dabei betonte er die Genesianerinnen besonders. „Wie sollen wir die deiner Meinung nach kriegen, he?!“, fragte Telzan streng. „Prätora Shashana ist gegen Sytanias Schliche gefeit! Sie ist zu schlau, um auf sie hereinzufallen. Was immer wir auch tun, oder was immer wir ihr auch erzählen mögen, sie wird immer auf der Hut sein! Sie kennt Sedrin El Demeta und die kennt Sytania zur Genüge. Shashana hat von ihr viel zu viel gelernt! Sie wird nicht …“ „Aber ich will Shashana doch auch gar nicht.“, beschwichtigte Mirdan. „Nein, Ausbilder, es geht mir um etwas ganz anderes.“ Er machte eine dramatische Pause und fuhr dann fort: „Nicht alle Genesianerinnen waren mit Shashanas jüngster Politik einverstanden. Einige dieser abtrünnigen Prätoras sind mit ihren Clans an den Rand des genesianischen Reiches gezogen. So weit von Shashana weg, wie es nur eben geht, wie ich hörte. Vielen von ihnen gefällt vor allem Shashanas neueste Politik bezüglich der Freiheit der Männer nicht. Überleg doch, Ausbilder! Wen macht Valora für ihre seelischen Wunden verantwortlich?“ „Invictus!“, grinste Telzan, dem so langsam klar wurde, worauf Mirdan hinaus wollte. Er wollte seinen Schüler aber dazu bringen, seinen Gedanken weiter zu spinnen. Außerdem wollte er sehen, ob beide die gleiche Idee gehabt hatten. „Die Abtrünnigen.“, sagte Mirdan. „Sind sehr radikal, was die Behandlung von Männern und deren Sünden und Verfehlungen angeht. Hier treffen sich ihre und Valoras Ziele. Es dürfte ihr ein Leichtes sein, sich als ihre Verbündete, oder vielleicht sogar als ihre Göttin zu verkaufen. Das Ganze dürfte sogar vor Shashanas Augen geschehen. Denn sie muss ja schließlich über einen drohenden Bürgerkrieg informiert sein. Sonst macht es ja keinen Sinn. Wenn sie also die ach so verblendeten Kräfte im eigenen Reich mit allen Mitteln bekämpfen muss, kann sie nicht der Föderation helfen.“

Telzan schluckte seinen Fleischrest herunter, der die gesamte Zeit über, in der er seinem Schüler jetzt geduldig zugehört hatte, in seiner rechten Backentasche geruht hatte. Dann sagte er, während er sich die Hände mit ein paar Blättern säuberte, sich dann damit auf seine Schenkel klopfte und breit grinste: „Aus dir, Mirdan, wird noch einmal ein exzellenter Stratege werden, fürwahr!“ „Du bist also mit meinem Plan einverstanden, Ausbilder?“, versicherte sich Mirdan. „Und wie ich das bin, mein bester Schüler!“, sagte Telzan. „Und wie ich das bin! Rasch! Lass uns zu den Pferden zurückkehren und wieder zu Sytania reiten. Ihr werden wir dann deinen Plan präsentieren. Ich bin sicher, er wird ihr genauso gut gefallen, wie er mir gefallen hat! Zur Belohnung darfst du ihn ihr auch allein erklären! Über die genauen Details können wir ja dann immer noch mit ihr und Valora sprechen, wenn es so weit ist. Wie ich die Situation einschätze, wird das nicht das Einzige sein, was sie heute in gute Stimmung versetzt hat.“ „Was meinst du, Ausbilder?“, fragte Mirdan. „Denkst du, sie hat gespürt, dass sich Valora ihr angedient hat?“ „Sicher.“, sagte der Vendar-Anführer. „Sie hat ja ihre eigene Macht mit der von Sytania vereint, als sie ihr Brandzeichen angenommen hat. Das wird unserer Herrin sehr gefallen haben. Aber nun komm! Wir sollten sie nicht länger warten lassen.“

Er warf die Reste ihrer Mahlzeit auf den Boden. „Das ist für die Füchse.“, sagte er. „Die müssen ja schließlich auch leben.“ Dann machte er eine auffordernde Geste in Mirdans Richtung: „Los jetzt! Oder willst du hier Wurzeln schlagen wie die Bäume?“ Mirdan schüttelte entschlossen den Kopf und folgte ihm.

Cirnach war in Sytanias Schloss angelangt und hatte ihren Thronsaal erreicht. Hier hatte einer der Wächter, ein ihr und Telzan untergebener Vendar, die schwere Tür geöffnet und sie angekündigt. Jetzt stand sie neben der Prinzessin, die auf ihrem Thron saß und die Vendar erwartungsvoll ansah. „Was führt dich zu mir, Cirnach?“, fragte Sytania. „Ich habe eine Entdeckung gemacht, Herrin.“, sagte Cirnach und zog das Pad aus der Tasche ihrer Uniform. „Eine Entdeckung hast du also gemacht.“, sagte Sytania etwas gelangweilt. „Nimm es mir nicht übel, aber primitive Technologie langweilt mich doch zutiefst. Ich hoffe, dass sich hinter diesem Pad etwas verbirgt, das sich lohnt angesehen zu werden.“ „Mit Verlaub, Gebieterin.“, entgegnete Cirnach mit einem teuflischen Grinsen auf den Lippen. „Es wird Euch gefallen, was ich Euch zu zeigen habe. Das Opfer Eurer kostbaren Zeit wird also nicht umsonst gewesen sein, was ich Euch sage. Es war sogar sehr gut, dass ich Technologie benutzt habe. Sonst hätte ich die Informationen, die ich Euch jetzt geben kann, sicher nicht bekommen können. Tolea hätte dann nämlich sofort …“ „Tolea!!!!“, kreischte Sytania so laut, dass selbst die Wände erzitterten. „Was hast du mit diesem Weib zu schaffen, das sich mit Sterblichen abgibt und auch noch auf deren Seite ist! Ich verlange sofort eine Erklärung! Sofort, Cirnach!“

Die Vendar atmete tief durch, machte ein betont entspanntes Gesicht und sagte dann: „Ausspioniert habe ich sie für Euch, Herrin. Dazu habe ich die Sensorenplattform benutzt, die uns Vendar gehört. Ich bekam heraus, dass Toleas Alarmglocken geläutet haben, was Eure Pläne angeht. Sie will ihren Diener Diran benutzen, um allen Vendar zu erzählen, was Ihr vorhabt. Die sollen es dann ihrerseits wieder ihren Herren und Verbündeten sagen. Aber wir, Herrin, wir haben auch eine Chance, etwas von dem Wissen und von ihren Plänen abzugreifen, wenn wir es richtig anstellen.“

Sie rief die Datei im Pad auf und zeigte Sytania die Bilder. „Das sind deine Lippen und die von Tolea.“, stellte die imperianische Königstochter fest. „Genau.“, sagte Cirnach. „Und was fällt Euch auf?“

Wieder zeigte sie Sytania die Bilder. Dieses Mal aber mit Ton und Animation. Den gab es ja zumindest bei ihrer eigenen Aufzeichnung. „Das Bannwort!“, rief Sytania begeistert aus. „Oh, Cirnach. Sie muss nicht ganz bei sich gewesen sein! Sie war sicher durch ihre Vision sehr verwirrt und geschockt. Dabei hat sie gar nicht gemerkt, was für einen großen Fehler sie gemacht hat! Der arme bedauernswerte Diran wird also zum Verräter werden können, ohne es zu wollen.“ Sie lachte gemein. „Ja.“, bestätigte Cirnach. „Muss er doch jedem, der von seiner Art ist, jetzt davon berichten, soweit ich es von Toleas Lippen lesen konnte. Tolea hätte eben besser aufpassen müssen, was sie befiehlt, wenn sie einen Vendar unter den Bann stellt.“ „Das stimmt.“, sagte Sytania. „Aber das hat sie nicht.“ Beide Frauen lachten böse.

Kapitel 3: Unheilvolle Pläne

von Visitor

 

Mirdan und Telzan hatten das Schloss der imperianischen Königstochter erreicht und dem Stallburschen ihre Pferde übergeben. Dann waren sie selbst in Richtung von Sytanias Thronsaal aufgebrochen. Hier aber verstellte ihnen der Wächter den Weg. „Es tut mir leid, Anführer.“, entschuldigte er sich bei Telzan. „Aber deine Frau ist gerade bei unserer Gebieterin. Ich glaube kaum, dass wir bei dieser Audienz so einfach stören dürfen.“ „Oh, das denke ich schon.“, sagte Telzan und grinste ihn an. „Irgendetwas sagt mir nämlich, dass ihre und unsere Interessen sich treffen könnten. Außerdem darf ich immer zu Sytania, als ihr Vertrauter und mein Novize hier hat auch etwas sehr Gutes beizutragen.“ „Also gut.“, sagte der jüngere Vendar, der ca. 2,30 m maß und ein weißes Erwachsenenfell hatte, das sehr langhaarig und dicht war. Er hatte eine sehr sportliche Figur und trug die übliche juteartige Uniform. An seiner rechten Seite hing ein Futteral mit einem Phaser und an seiner linken eines mit einem traditionellen Degen.

„Ich werde dich und deinen Novizen ankündigen, Anführer.“, sagte der Wächter. „Aber damit ich das kann, muss ich wissen, wie dein Name lautet, Novize!“ Damit wendete er sich Mirdan zu und sah ihn auffordernd an. „Mein Name ist Mirdan, Ausbilder.“, sagte Mirdan und senkte den Kopf in einer Respekt anzeigenden Geste. Vendar-Novizen müssen jeden Erwachsenen mit Ausbilder ansprechen, außer die Mitglieder der eigenen Familie, denn theoretisch hat jeder der Erwachsenen das Recht, ihnen etwas beizubringen. „Meine Eltern sind Inach Ed Suran und Suran Ed Inach vom südlichen Salzsee.“, antwortete Mirdan. „Gut.“, sagte der Wächter. „Jetzt kann ich dich einordnen.“

Er öffnete die Tür einen Spalt weit und schaute vorsichtig in den Saal. Dort erspähte er Sytanias Herold, der immer in ihrer Nähe war, um über jede Verlautbarung, die von der Prinzessin erlassen worden war, informiert zu sein und auch alle anderen darüber informieren zu können, so zeitnah es eben ging. Der Herold war ein etwas dickerer kleiner Imperianer mit Schnauzbart und bäuerlicher Kleidung. Ihn winkte der Wächter nun zu sich. „Frag Sytania, ob sie ihren Vertrauten Telzan und dessen Novizen Mirdan empfangen kann.“, flüsterte er in das rechte Ohr des Mannes. „Es scheint, ihr Anliegen ist sehr dringend.“

Der Imperianer nickte und ging wieder in den Saal, um sich vorsichtig Sytania zu nähern und ihr in gebührender Entfernung, in der er stehengeblieben war, zuzuwinken. „Was ist?!“, fragte die Königstochter etwas erbost, die es gar nicht mochte, wenn man sie aus dem schönsten Gespräch holte, das sie gerade mit Cirnach geführt hatte. „Ich bitte Hoheit um Verzeihung.“, sagte der Herold und machte eine unterwürfige Bewegung mit dem Oberkörper. „Aber draußen stehen Euer Vertrauter Telzan und sein Novize Mirdan. Sie haben die Angelegenheit sehr dringlich gemacht, Hoheit. Ich weiß nur, dass sie wohl etwas beizutragen haben. Telzan machte eine Andeutung.“ „Also gut!“, sagte Sytania in leicht missmutigem Ton. „Lass sie eintreten.“

Sie drehte sich Cirnach zu: „Merke dir, wo wir beide stehengeblieben sind!“ „Ja, Herrin.“, sagte die Vendar mit willigem Ausdruck im Gesicht. Dann fragte sie: „Darf ich denn bleiben?“ „Ich denke.“, sagte Sytania. „Das hängt ganz von deinem Mann ab und von dem, was uns er und sein Schüler zu sagen haben.“ „Ich verstehe.“, sagte Cirnach und wandte sich um, als wolle sie gehen. Damit wollte sie aber nur signalisieren, dass sie prinzipiell dazu bereit war.

Der Herold hatte zu seiner Fanfare gegriffen und das übliche Signal geblasen. Dann hatte er laut in den Saal gerufen: „Der Vendar Telzan und sein Schüler Mirdan, Euer Hoheit!“ „Lass sie vortreten!“, befahl Sytania. Der Herold machte einen großen Schritt zur Seite, als wollte er Telzan und Mirdan Platz schaffen. „Komm!“, sagte Telzan und winkte seinem Schüler, der brav hinter ihm her trottete.

Bald standen beide zur Rechten von Sytanias Thron. „Was führt euch zu mir?“, wollte die Prinzessin wissen. Mirdan und Telzan wechselten Blicke. Dann sagte der Novize vorsichtig: „Ich darf doch wohl annehmen, dass Ihr gespürt habt, als sich Valoras und Eure Macht vereint haben, Gebieterin, oder?“ „Oh ja!“, sagte Sytania und warf einen fast lasziven Blick in den Raum. „Das habe ich und es war ein sehr gutes Gefühl. Eines, das am liebsten gar nicht mehr hätte aufhören sollen.“ Sie gab einen genießerischen Laut von sich. Dann aber fasste sie sich sofort wieder und sagte etwas ernster: „Ich nehme aber nicht an, dass dies der einzige Grund ist, aus dem du und Telzan mit mir reden wolltet, Novize. Sprich ruhig. Ich weiß ja, dass da noch etwas sein muss. Aber dazu musste ich noch nicht einmal in deinen Geist sehen. Die Mimik deines Ausbilders und deine eigene haben mir schon genug verraten. Du weißt aber auch, dass ich nicht gern warte. Oder hat dir das dein Ausbilder noch nicht beigebracht?“ „Doch, Hoheit.“, sagte Mirdan, dem das Herz bis zum Hals klopfte. Er hatte sich sonst noch nie allein an Sytania wenden dürfen. „Also.“, sagte die Prinzessin. „Warum redest du dann nicht?!“

Mirdan sah zu Telzan hinüber, der inzwischen auch seine Frau erspäht hatte. Ihr flüsterte er nun zu: „Telshanach, geh zu ihm und halte seine Hand. Ich glaube, er benötigt etwas Zuspruch von einer Mutterfigur. Er ist eben doch noch manchmal ein Kind.“ Cirnach nickte und stellte sich neben Mirdan. Dann nahm sie vorsichtig seine Hand und flüsterte: „Ich bin hier.“

Mirdan räusperte sich und drehte den Kopf vorsichtig in Sytanias Richtung. Dann sagte er: „Hoheit, Ihr wisst, dass es im Universum der Föderation Kräfte gibt, die ihre Feindschaft zu ihr schnell vergessen, wenn es darum geht, gemeinsam die Dimension gegen Euch zu verteidigen. Ich dachte da speziell an die Genesianer. Aber das Problem können wir lösen. Es gibt abtrünnige, die nicht auf der Seite von Shashana sind, weil sie ihre neueste Politik verabscheuen. Speziell im Umgang mit Männern treffen sich ihre und Valoras momentane Ziele. Wenn wir bei ihnen einen Kult um eine Einhorngöttin etablieren könnten, könnte das zu einem Bürgerkrieg in Shashanas Reich führen und dann wären ihre Kräfte gebündelt und sie könnte nicht der Föderation beistehen. Bitte bedenkt, dass sie auch eine Version von Meilenstein besitzt, die …“ „Sehr klug gedacht, mein Junge.“, sagte Sytania und lachte schrill. „Darüber müssen wir unbedingt noch detaillierter reden. Cirnach, bleib du auch. Ich bin sicher, auch du wirst etwas dazu beitragen können.“

Sie wechselten an den Audienztisch. Auf dem Weg dorthin flüsterte Mirdan Cirnach noch zu: „Hab Dank für deine moralische Unterstützung, Ausbilderin.“ Was Cirnach mit einen leisen: „Gern geschehen.“, beantwortete.

Sytania ging um ihren Audienztisch herum und setzte sich an dessen Kopfende, an dem sich am Rand der marmornen Oberfläche eine Krone mit einem Drudenfuß in der Mitte eingelassen fand. Der Tisch war oval, maß ca. 1,00 m in der Höhe und war von einem geschwungenen Quartett aus Beinen getragen, die aus den edelsten Hölzern bestanden. Um den Tisch herum standen vier mit rotem Pelz gepolsterte hölzerne Stühle.

„Ihr habt Eure Einrichtung verändert.“, bemerkte Telzan. „Da beweist du wieder einmal ein waches Auge, mein guter Telzan!“, entgegnete die Prinzessin und sah schon fast etwas verliebt über ihre Einrichtung hinweg, als wollte sie diese mit den Augen streicheln. „Ach, man hat es ja als Mächtige so einfach. Nur ein Wunsch und der Tapetenwechsel wäre perfekt. Ihr armen Sterblichen, ihr habt es da durchaus schwerer.“ Sie grinste. „Das will ich wohl bestätigen, Hoheit.“, sagte Cirnach.

Sytania deutete auf die Stühle, die noch frei waren. Dann sagte sie: „Telzan, setz dich zu meiner Rechten! Du, Cirnach, wirst an meiner linken Seite Platz nehmen und du, Mirdan, setzt dich mir genau gegenüber. So können dich deine beiden Ausbilder in die Mitte nehmen und du musst dich nicht fürchten.“ „Mit Verlaub, Herrin.“, sagte Mirdan im Versuch, seine Angst, die jetzt doch drohte, für ihn übermächtig zu werden, zu überspielen. „Ich fürchte mich nicht! Ich weiß, dass ein Vendar-Krieger zu keinem Zeitpunkt Furcht oder Schwäche zeigen soll und das werde ich auch beherzigen!“ Bei seinem letzten Satz war seine Stimme leicht ins Schrille gekippt, was Cirnach und Telzan durchaus bemerkt hatten. „Nun ja.“, tröstete Cirnach. „Ich werde dir einmal zugutehalten, dass du noch kein fertig ausgebildeter Krieger bist, sondern noch immer ein Novize und das auch noch einer im ersten Jahr. So einer hat selbst bei uns noch Welpenschutz.“ Sie grinste ihn an. „Danke, Ausbilderin.“, sagte Mirdan erleichtert.

Alle drei Vendar setzten sich auf die ihnen von Sytania zugewiesenen Plätze. Dann winkte die Königstochter einem Diener, der immer in ihrer Nähe war und sich sofort auf den Weg zu ihr machte. Es war ein schlanker Imperianer mit abgewetzter Kleidung. Er hatte rötliches Haar und maß ca. 1,70 m.

„Hole mir den Kontaktkelch.“, wies Sytania ihn an. „Rasch! Sonst mache ich dir Beine!“ Der Imperianer nickte und eilte davon.

„Wozu benötigt Ihr den Kontaktkelch?“, fragte Mirdan interessiert. „Ihr könntet doch theoretisch auch ohne ihn Kontakt mit Valora aufnehmen und sie über unsere Pläne informieren und sehen, was in Shashanas Reich passiert, könntet Ihr so erst recht.“ „Sicher.“, sagte Sytania. „Aber euch an den Ganzen teilhaben zu lassen, wäre mir dann doch zu anstrengend, da ich mit euch dreien und Valora telepathischen Kontakt halten müsste und dann müsste ich ja auch noch nach den Genesianerinnen sehen. Das wäre nun wirklich zu viel.“ „Ich verstehe.“, sagte Mirdan beschwichtigend. „Ich hoffe, Ihr vergebt einem dummen Novizen seine Einfalt.“ Sytania nickte gönnerhaft.

Der Diener war mit dem kristallenen Kontaktkelch in der Hand zurückgekehrt. „Stelle ihn in die Mitte des Tisches!“, befahl Sytania. „Und dann lass uns allein.“ Wieder nickte der Imperianer stumm, tat genau, was seine Herrin ihm aufgetragen hatte und verließ den Raum auf Zehenspitzen.

Sytania legte ihre Hände auf den Fuß des Kontaktkelchs. Dann wies sie die drei Vendar an, das Gleiche zu tun. „Wir werden zunächst mit Valora Kontakt aufnehmen.“, sagte sie. „Aber du, Mirdan, wirst auch ihr unseren Plan erklären. Schließlich war es ja auch deine hervorragende Idee.“ „Ich fühle mich geehrt, Herrin.“, sagte der Novize leise und machte ein ehrfürchtiges Gesicht.

Sytania begann damit, sich auf die Gestalt Valoras zu konzentrieren. Alsbald erschien ihre Silhouette im Kontaktkelch. Für Mirdan sah es aus, als würde sie leibhaftig vor ihnen stehen. Nur war sie um ein Vielfaches verkleinert. Der Novize erkannte sehr wohl, dass sich ihr Fell tatsächlich schwarz verfärbt hatte. „Sie hat Eure Macht also tatsächlich angenommen.“, sagte er an Sytania gewandt. „Oh ja.“, antwortete die Prinzessin. „Warum sollte sie das denn auch nicht? Schließlich bin ich die Einzige, die ihr jetzt helfen kann.“ „Warum hast du gezweifelt, Mirdan?“, fragte Cirnach. „Weil ich ihrer nicht wirklich sicher war, Ausbilderin.“, gab Mirdan zu. „Schließlich gelten die Einhörner im Allgemeinen als integer und ich hatte zuerst eine Falle von Logar vermutet. Aber jetzt, da ich sehe, dass ihr Fell tatsächlich schwarz ist, bin ich sicher, dass sie endgültig den Weg des Bösen, also unseren Weg, gewählt hat.“ „Ich bewundere deine Wachsamkeit, Mirdan.“, sagte Cirnach. Dann wandte sie sich ihrem Mann zu: „Du solltest ihn als spezialisierten Wächter ausbilden. Vielleicht hat er ja später sogar eine Chance, in Sytanias persönliche Leibgarde aufgenommen zu werden.“ „Darüber habe ich auch schon nachgedacht, Telshanach.“, grinste Telzan. „Und genau das werde ich auch tun.“

Sytania räusperte sich und deutete auf den Kontaktkelch. „Wir sollten Valora nicht mehr länger warten lassen.“, sagte sie. „Mirdan, du bist dran. Du brauchst einfach nur zu denken, was du ihr sagen willst, kannst es aber auch laut aussprechen. Das ist einerlei. Schließlich formen sich ja alle Worte zuerst als Gedanken in deinem Kopf. Valora hat also jede Chance, alles mitzubekommen.“ „Wenn es Euch nicht zu sehr kränkt, Gebieterin.“, sagte Mirdan. „Dann würde ich gern meine Worte laut aussprechen. Ich fühle mich dann einfach sicherer.“ „Also gut.“, sagte Sytania. „Aber ich hoffe, du hast kein Problem damit, wenn dir Valora telepathisch antwortet.“ „Das habe ich nicht, Herrin!“, versicherte Mirdan. „Nun denn.“, sagte Sytania und sah ihn auffordernd an.

Jetzt war es an dem Novizen, sich zu räuspern. Dann sagte er: „Ich grüße dich, Valora. Ich hoffe, du hast das Aufbrennen von Sytanias Zeichen gut überstanden.“ Das habe ich fürwahr, Mein Junge., sagte Valora telepathisch zu Mirdan. Ach, du machst dir viel zu viele Sorgen. Aber was ist jetzt der Grund, aus dem ihr unbedingt mit mir sprechen wollt. Sytanias Kontaktgesuch klang sehr dringend und sie schien sich sehr über den Grund zu freuen, aus dem sie mit mir reden will. Aber was habt ihr Vendar damit zu tun? „Die Erwachsenen sind nur zu meiner Unterstützung hier, Valora“, sagte Mirdan. „Unsere Gebieterin Sytania wünscht, dass ich dir einen Plan mitteile, den ich ersonnen habe, um uns allen den Rücken freizuhalten, wenn sich das Gleichgewicht der Dimensionen demnächst zu unseren Gunsten verschieben wird. Das dürfte nicht mehr lange dauern, vorausgesetzt es unternimmt niemand etwas dagegen. Zuerst dürfte die Föderation der vereinten Planeten und ihre Dimension gefährdet sein. Aber sie hat Verbündete, die auf der Hut sind und Sytania auch sehr gut kennen. Einige von denen sind zwar eigentlich auch ihre Feinde, aber das ändert sich schlagartig, sobald sie wittern, dass es gegen Sytania und jetzt sicher auch gegen dich geht, Valora. Das haben wir ja schon oft gesehen. Leider ist eine von Ihnen Shashana El Chenesa, die oberste Prätora der Genesianer. Sie hat eine Version von Meilenstein, Kontakt zu Sedrin El Demeta, zumindest inoffiziell und sie ist eine Frau wie Sytania oder du, kann sich also umso besser in eure Art zu denken versetzen. Ich denke, von ihr könnte uns mehr Gefahr drohen, als von jedem Telepathen, den wir kennen. Es ist die Art ihrer Vernetzung, die mir Sorgen bereitet. Shashana hat Verbindungen in Kreise, die …“ Ich habe verstanden, mein junge., sagte Valora. „Mein Name ist Mirdan.“, sagte der Novize. Also gut, Mirdan., erwiderte das Einhorn. Aber was genau ist jetzt dein Plan? „Wir müssen Shashana El Chenesa ablenken.“, sagte Mirdan. „Sie darf nicht von unseren Plänen nicht behelligt werden und ich weiß auch schon, wie wir das anstellen werden. Du, Valora, wirst für einige abtrünnige Prätoras, die mit ihren Clans am Rand des genesianischen Reiches leben, eine Göttin werden, die sie auf unsere Seite bringt. Das wird Shashana nicht gefallen, zumal du dafür sorgen wirst, dass sie eine Art Glaubenskrieg führen werden. Du wirst sie dazu bringen, Shashanas Reich zu überfallen in deinem Namen, um ihren Kriegerinnen den einzig wahren Glauben aufzuzwingen. Wenn Shashana sich also gegen ihre eigenen Leute wehren muss, kann sie nicht der Föderation helfen. Mit allen anderen, den Romulanern, oder den Klingonen oder auch anderen, werden wir schon allein fertig, auch wenn die Romulaner Meilenstein haben. Sie werden sich, wenn die Dimensionen erst einmal destabilisiert sind, sowieso nicht trauen, es einzusetzen. Weil sie viel zu viel Angst haben um ihre eigene kleine Welt. Es wird viel zu lange dauern, bis jemand endlich versteht, was hier los ist. Auf Euch wird man erst sehr spät kommen, Sytania und Valora, denke ich. Zu spät. Viel zu spät. Weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. Ein böses Einhorn? Das kann es doch nicht geben. Zumindest werden alle Politiker der Föderation und auch viele andere so denken und in deinen Bürgerkrieg, Valora, werden sie sich erst recht nicht einmischen wollen, wegen ihrer Obersten Direktive. Wie gesagt, auf die interdimensionalen zusammenhänge kommen sie einfach zu spät. Ihr Weltbild ist eben zu schwarzweiß und selbst wenn es einige wenige gibt, die uns draufkommen sollten, so wird man ihnen nicht glauben, ohne dass sie gescheite Beweise vorlegen. Das glaube ich nicht nur, das weiß ich. Diese Beweise werden sie nur schwerlich bekommen können. Vielleicht auch gar nicht.“ Das ist ja alles sehr schön, was du da sagst, Mirdan., sagte Valora. Aber wie hast du dir vorgestellt, dass ich zur Göttin für diese abtrünnigen Genesianerinnen werden soll? „Um ehrlich zu sein.“, sagte Mirdan. „So genau weiß ich das noch nicht. Aber vielleicht könnten wir uns diese Kriegerinnen einfach einmal ansehen. Vielleicht fällt uns ja dann etwas auf, wo wir einhaken können.“ Nun gut., erwiderte Valora.

Sytania, die dies als Aufforderung gesehen hatte, begann damit, sich auf ihren Wunsch, alle abtrünnigen Genesianerinnen sehen zu wollen, zu konzentrieren. Alsbald erschienen vor den geistigen Augen aller Ausschnitte von Bildern all ihrer Welten. Auf fast allen dieser Bilder schien nichts Nennenswertes zu passieren. Aber dann fiel Mirdans mentaler Blick auf zwei Kriegerinnen, die wohl gerade mit etwas beschäftigt waren, das er selbst nicht verstand. Eine der Beiden war ca. 1,80 m groß, muskulös und trug die typische Bekleidung einer genesianischen Kriegerin bestehend aus dem metallenen Brustschutz, einem ähnlichen Exemplar für den Unterleib, den Kampfschuhen und einem traditionellen Degen. Sie hatte flammend rotes Haar. Die andere Kriegerin war mit ihren 1,70 m etwas kleiner, trug ähnliche Kleidung und hatte ebenfalls eine Waffe, einen Phaser, in der Hand. Die größere Kriegerin schien auch die Prätora des Clans zu sein. Jedenfalls wies ihr Perlenkragen sie als Solche aus, den sie um ihren Nacken trug. Die kleinere und jüngere Kriegerin schien ihre Erbprätora und somit ihre Tochter zu sein. Vor den Beiden auf einem Steinblock lag ein Kleinerer Genesianer von ca. 1,50 Größe. Er war schmächtig und er war notdürftig in ein Leichentuch gehüllt, obwohl er noch lebte. Ansonsten war er nackt. Aber so, wie sich die Dinge für Mirdan darstellten, würde das Leben des Genesianers wohl nicht mehr lange andauern. Mirdan verstand zwar nicht ganz, was hier vorging, dennoch witterte er aber eine große Chance

„Wie kann ich Sytanias Aufmerksamkeit auf dieses Bild allein lenken, Ausbilder?“, wendete sich Mirdan an Telzan. „Ich weiß zwar nicht genau, was hier passiert, aber irgendwie glaube ich, dass es uns helfen könnte.“ „Konzentriere dich auf das Bild, mein Schüler.“, wies Telzan Mirdan an. Der Novize nickte, führte die Anweisung seines Ausbilders aus und sagte dann zu Sytania: „Bitte schaut hin, Gebieterin. Ich glaube, dass wir hier genau das vor uns haben, was wir brauchen!“

Sytania sah sich genau das Bild an, das jetzt durch Mirdans Aktion, die auch ein Befehl an den Kontaktkelch war, in den Vordergrund gerückt war. „Du hast Recht.“, sagte sie. „Es sieht für mich nämlich so aus, als wollten die Beiden dem Mann gleich den Garaus machen. Wenn Valora und ich ihn immer wieder von den Toten auferstehen lassen, werden sie irgendwann total verzweifelt sein. Dann könnte sie sich dorthin begeben und ihn mit einem einzigen Gedanken niederstrecken.“ Oh ja., sagte Valora. Das könnte und das werde ich. Ich werde ihnen eine schöne Geschichte dazu erzählen. Sie werden mir dann schon abnehmen, dass ich von göttlicher Natur bin, wenn ich erst einmal mit ihrem unseligen Opfer da fertig bin. Wenn sie erst einmal überzeugt sind, werden sie wiederum andere überzeugen und der schönste Bürgerkrieg ist nicht nur zwischen uns Einhörnern, was ich sehr bedaure, sondern auch zwischen den Genesianerinnen im Gange, was uns sehr helfen wird. Aber vorher … „Vorher.“, sagte Sytania jetzt auch gleichzeitig in Gedanken und laut: „Vorher spielen wir noch etwas mit dem Genesianer, nicht wahr, Valora, meine teure Freundin?“ ja., meinte Valora. Das tun wir. Ich wäre dafür, wir wechseln uns ab und wir lassen die Vendar entscheiden, wer von uns anfangen darf. Sie dürften meiner Meinung nach auch ruhig zusehen. „Nun gut.“, sagte Sytania.

Telzan griff in die Tasche seiner Uniformhose und zog eine goldene Münze hervor, die auf der einen Seite das Drudenfußzeichen und auf der anderen Seite eine Ziffer in Form von vendarischen Hieroglyphen trug. Diese hob er nun hoch in die Luft und hielt sie in Richtung des Kontaktkelchs. Er hoffte so, dass er Valora ermöglichen konnte, sie auch zu sehen. Das brauchst du nicht, Vendar., sagte Valora mild. Das Bild war ja schon in deinem Kopf, als du daran gedacht hast, sie herauszunehmen. „Bitte vergib mir, Valora.“, sagte Telzan. „Wie konnte ich das vergessen.“ Es ist nicht schlimm., erwiderte das Einhorn. Auch du, der du schon so lange in Sytanias Diensten stehst und dich eigentlich bestens mit allem auskennen solltest, was Telepathie angeht, darfst einmal einen Fehler machen. Schließlich bist du ja auch nur ein Sterblicher. „Ich danke dir für deine Großmut, Valora.“, sagte Telzan erleichtert. Dann streckte er Sytania die Münze auf der ausgestreckten Handfläche mit dem Drudenfuß nach oben hin und sah sie fragend an. Sie aber nickte ihm nur zu und sagte: „Wie gut du mich doch kennst, mein treuer Vertrauter.“ „Mit Verlaub.“, sagte Telzan. „Diese Entscheidung zu treffen war keine Kunst für mich, Milady. Ich kenne ja schließlich Euer Zeichen und dachte mir schon, dass Ihr es, Freundschaft hin oder her, niemandem sonst zugestehen würdet.“ „Das ist richtig, Telzan.“, sagte Sytania. „Aber mir fällt da gerade noch etwas ein. Wie gut ist eigentlich der Wurfarm deines Schülers? Im Kampf kann das sehr entscheidend sein, wie du weißt.“ „Nun.“, sagte der Vendar und gab seinem Schüler die Münze mit den Worten: „Gib dein Bestes!“, die er ihm ins linke Ohr flüsterte. „Das werdet Ihr gleich sehen.“

Er warf Mirdan einen auffordernden Blick zu, worauf dieser die Münze mit einem kräftigen Wurf steil unter die Decke des Thronsaals beförderte, von der sie mit lautem Klirren abprallte, um sich dann einige Male zu drehen und schließlich mit ebenfalls lautem Klirren wieder auf dem Tisch zu landen. Zu sehen war die Ziffer. Cirnach und Telzan klatschten laut Beifall und klopften Mirdan anerkennend auf die Schultern. „Du hast gut trainiert.“, lobte Telzan und seine Frau nickte bestätigend.

„Na schön.“, sagte Sytania. „Man kann ja nicht immer Glück haben und ich werde schon noch auf meine Kosten kommen. Die Stärke deines Wurfarms ist sehr beachtlich, Mirdan. Du wirst sicher einmal ein guter Kämpfer. Wenn man die Höhe meines Thronsaals beachtet, gehört schon einiges dazu, die Decke zu treffen und das auch noch im Sitzen.“ „Vielen Dank, Gebieterin.“, sagte Mirdan. „Aber wenn ich das sagen darf, wir sollten uns jetzt wieder den Genesianerinnen zuwenden, Hoheit. Sonst verpassen wir den richtigen Moment noch.“ „Sehr gut beobachtet.“, lobte Sytania. „Also dann.“ Alle begannen damit, sich erneut auf das Geschehen, das ihnen der Kelch zeigte, zu konzentrieren.

 

Kapitel 4: Falsche Götter

von Visitor

 

 

Über dem Planeten am Rand des genesianischen Reiches graute bereits der Morgen. In weiter Ferne war bereits der Sonnenaufgang zu erahnen, als die Prätora und ihre Tochter noch immer mit ihrem Opfer beschäftigt waren. Der nur notdürftig mit einem Leichentuch und sonst nichts bedeckte Genesianer mittleren Alters lag noch immer reglos vor Angst auf dem Richtblock, den Sytania und die Vendar fälschlicherweise als reinen Felsbrocken identifiziert hatten. In Wahrheit aber war es eine Vorrichtung zum schnurlosen Fesseln einer Person. Derjenige, der auf der Vorrichtung lag, wurde nämlich durch Kraftfelder daran gehindert, sich zu bewegen. Nur autorisierte Personen konnten in das Kraftfeld fassen, ohne sich selbst zu verletzen.

„Dreh ihn um!“, befahl die Prätora ihrer Tochter. „Er soll uns ins Gesicht sehen, wenn wir unser Urteil über ihn sprechen!“ Die junge Kriegerin nickte und fasste den Ärmsten grob unter die Achseln, um ihn zu drehen. Dabei war es ihr völlig egal, dass sie ihm den gesamten Schultergürtel brach und ihm starke Schmerzen zufügte.

Er gab einen angstvollen Schrei von sich. „Da! Jetzt schreist du um dein erbärmliches Leben!“, spottete die ältere Kriegerin. „Das hättest du dir überlegen müssen, bevor du meiner Tochter untreu geworden bist. Jetzt wird es dir auch nichts mehr nützen!“

Sie schlug ihm mit der bloßen Hand ins Gesicht, holte tief Luft und spuckte sogar auf ihn. Dann sagte sie: „Ich, Leandra, Prätora des Clans der Rotash, verurteile dich, dessen Namen ich nie mehr nennen werde, zum Tode wegen Untreue gegenüber meiner Tochter Lostris als deren zehnter Ehemann!“

Sie sah zu ihrer Tochter hinüber. Dann befahl sie ungeduldig: „Töte ihn endlich!“ Lostris nickte erleichtert. In ihrem Weltbild war das aber auch kein Wunder. Schließlich hatte sie von Kindesbeinen an gelernt, das Männer nichts wert waren und sogar noch einen niedrigeren Stand als Tiere hatten. Sie waren ein notwendiges Übel zur Fortpflanzung. Für mehr taugten sie aber auch nicht. Rechte hatten sie schon gar nicht und schon gar nicht das Recht, sich auszusuchen, mit wem sie zusammen sein wollten. Einer, der diese von den Göttern gegebene Ordnung in Frage stellte, gehörte ihrer Meinung nach sofort getilgt. Mit der neuen Politik von Prätora Shashana waren weder sie noch Leandra einverstanden. Sie ging zwar damit konform, dass Männer ein Fehler der Schöpfung waren, aber ihr Vorschlag, sie deswegen in die Stellung von Kindern zu erheben, auf die man aufpassen und die man an die Hand nehmen müsse, stieß bei Leandra und Lostris auf keinerlei Gegenliebe.

Lostris stellte die Waffe ein und feuerte. Der Genesianer zuckte noch einige Male und blieb dann reglos liegen. „Das hast du gut gemacht.“, lobte Leandra. „Und nun lass uns ihn einfach hier verscharren.“ „Ja, Mutter.“, nickte Lostris.

Sytania und Valora hatten gemeinsam mit den drei Vendar jenes Schauspiel durch den Kontaktkelch beobachtet. Ich werde ihn jetzt auferstehen lassen., meinte Valora. Der Zeitpunkt dürfte günstig sein und die beiden Genesianerinnen dürften sich ziemlich erschrecken. Das dürfte sie ziemlich verwirren und sie schon recht empfänglich machen für das, was gleich auf sie zukommen wird. Umso leichter wird es mir nachher fallen, mich ihnen als ihre Göttin zu verkaufen. Wenn Ihr mir dann gleich noch helft, Sytania, dann …, Ach, warum so förmlich., erwiderte Sytania jetzt rein telepathisch. Wir sind doch Freundinnen, Valora, oder nicht? Im Allgemeinen duzen sich Freundinnen doch. Das stimmt., entgegnete das verblendete Einhorn. Aber Ihr seid die höher gestellte Person von uns zweien und so dachte ich, dass es besser wäre, wenn Ihr … ach nein. Wenn du es anbötest. Oh du schmeichelst mir, Valora., meinte Sytania. Ich und höher gestellt als ein Einhorn. Das wüsste ich aber. Aber sei’s drum. Wir sollten uns beeilen. Sonst haben sie ihn verscharrt und unsere Chance ist dahin. Das glaube ich noch nicht einmal, meine Freundin., sagte Valora. Ich denke sogar, dass wir den Effekt auf die Genesianerinnen noch verstärken können, wenn sie sehen, dass er sich aus seinem Grab buddelt. Das hat auch etwas mit der Geschichte zu tun, die ich ihnen später erzählen werde. Lass mich nur machen. Also gut., freute sich Sytania, die in den Gedanken des Einhorns bereits eine leichte Andeutung gesehen hatte. Dies hatte Valora absichtlich zugelassen, um ihren Appetit zu steigern, das ahnte die imperianische Prinzessin. Deshalb ließ sie ihre neue Freundin auch gewähren und fragte nicht länger nach.

Leandra und Lostris hatten ihr Opfer gerade verscharrt und wandten sich zum Gehen, als die Erbprätora urplötzlich erschrocken zusammenfuhr. „Warte bitte, Mutter!“, rief sie aus. „Ich glaube, unten im Grab hat sich etwas bewegt!“ „Rede keinen Unsinn!“, entgegnete Leandra scharf. „Ich denke, dass die Freude über seinen Tod dazu führt, dass du Geister siehst. Das kann in einem sehr hohen Erregungszustand schon einmal passieren …“

Weiter kam sie nicht, denn im nächsten Augenblick wurde sie von einer kalten Hand berührt und eine verzerrte Stimme sagte: „So leicht tötet ihr mich nicht. Ich war von Anfang an und bin es noch, ein Werkzeug des Herrschers der Zwischenwelt. Er selbst ist jetzt in meinen Leib gefahren und wird euch beide nun töten.“

Lostris griff nach dem Phaser und feuerte erneut auf ihren offensichtlich von den Toten auferstandenen Ehemann, aber nichts geschah. Obwohl sie ihn genau getroffen hatte, schien er noch nicht einmal einen Kratzer zu haben. „Das kann mich nicht schrecken.“, sagte die Stimme. „Eure Energiewaffen sind nutzlos!“

Leandra zog ihren Degen und rannte mit Anlauf auf den vermeintlichen Untoten zu. „Wenn Energiewaffen dir nichts anhaben können!“, schrie sie. „Dann kann es vielleicht das!“

Sie stieß zu und tatsächlich durchdrang der Degen seine Kehle. Der hohe Blutverlust ließ ihn augenblicklich erneut tot umfallen. Die Genesianerinnen atmeten auf und versuchten erneut, ihn zu begraben.

Sytania und Valora, sowie den Vendar war das nicht verborgen geblieben. „Klasse Idee, Valora!“, rief Mirdan in den Raum und sprang auf, um sich vor Begeisterung auf die Schenkel zu schlagen. „Ihn sagen zu lassen, er sei das Werkzeug des genesianischen Teufels, ist eine wirklich gute Strategie! Aber warum hast du zugelassen, dass er durch den Degen getötet werden kann?!“ Damit meine Freundin Sytania hier auch noch ihre Chance erhält, ihn ein bisschen zu quälen, Mirdan., erklärte Valora. „Oh du bist zu großzügig.“, sagte die Prinzessin gleichzeitig laut und in Gedanken, damit wirklich alle es hören konnten. „Dann bin ich jetzt wohl dran. Passt auf und pass vor allem du gut auf, Valora! Ich werde deine Idee nämlich aufgreifen. Ich denke aber, dass du auch ohne ein weiteres Zeichen von mir erkennst, wann du eingreifen musst. Pass auf! Ich koche dir deine neuen Jüngerinnen noch etwas weich, damit du es mit ihnen noch einfacher hast. Ich kann verstehen, dass dir das nicht so leicht fällt. Schließlich warst du viel zu lange tugendhaft und gut. Wie sollst du da so ein Profi im böses Tun sein wie ich? Aber ich denke, du bist auf einem guten Weg und wenn du weiter so gut lernst, wird deine Meisterin mit dir sehr zufrieden sein. Also, achte jetzt gut auf das, was gleich passieren wird. Ich möchte wirklich sehen, ob du den richtigen Zeitpunkt schon selbst erkennen kannst.“

Sytania begann damit, sich auf ihren Wunsch, den Genesianer von den Toten auferstehen zu lassen, zu konzentrieren. Alsbald fuhr ein schwarzer Blitz durch die Luft des Planeten, auf dessen Südhalbkugel, wo sich alles abspielte, es inzwischen Tag geworden war. Wieder hatten Lostris und Leandra mit angesehen, wie sich der Tote aus seinem Grab gewühlt hatte. „Hier kann etwas nicht mit rechten Dingen zugehen, Mutter.“, sagte Lostris. „Was ist, wenn die Götter …“ „Oh ja, die Götter!“, sagte die Prätora scharf. „Die Götter scheinen uns hier einer Prüfung zu unterziehen. Sie wollen wohl prüfen, ob du eine mutige Kriegerin und somit meiner Nachfolge würdig bist, oder ob du dich ängstlich hinter meinem Rockzipfel versteckst, als wärst du ein Junge!“

Mit ihrem letzten Satz hatte Leandra ihre Tochter genau dorthin bekommen, wo die Prätora sie haben wollte. Wer wusste, dass im Genesianischen das Wort für Mann beziehungsweise für Junge identisch ist mit dem Wort für Fehler oder leichter Fehler, konnte sicher erahnen, was ihr Ausspruch in der Seele ihrer Tochter ausgelöst hatte.

Lostris zog wieder ihre Waffe: „Ich bin nicht ängstlich und das werde ich dir jetzt beweisen, Mutter! Lass uns versuchen, ihn gemeinsam zu erledigen. Lass uns dabei stark an die Wächterin von Gore denken und ihren Segen erflehen. Wenn er wirklich ein Werkzeug des Herrschers der Zwischenwelt ist, dann benötigen wir wohl die Hilfe der obersten Göttin, um ihn erledigen zu können. Wenn dies wirklich eine Prüfung für meinen Glauben und für mich ist, dann denke ich, dass die Götter auch wissen wollen, ob ich erkenne, wann ich Hilfe benötige. Eine kluge Anführerin weiß nämlich, wann sie einen verlorenen Kampf kämpft und ihre Kriegerinnen in so einem zu verheizen wäre sicher kein ehrenhafter Tod für sie.“ „Sehr gut überlegt.“, sagte Leandra, die das als gute und erfahrene Strategin ja beurteilen können musste. „Also gut. Lass uns noch einmal beten, bevor wir in den Kampf gegen dieses Scheusal ziehen.“

Sie begannen damit, sich das Bild ihrer obersten Göttin vorzustellen, wie sie es schon von Statuen aus ihrer frühesten Kindheit kannten. Dabei standen sie aufrecht, was für einige von euch, wenn man das allgemein gültige Bild von Betenden betrachtet, sicher merkwürdig anmuten muss, ist man doch eigentlich gewohnt, betende Personen im Knien oder gar auf dem Bauch vorzufinden, oder in sonst einer von Demut zeugenden Haltung. Da die genesianischen Götter aber Mut schätzten, wäre ihnen so etwas wohl nicht recht gewesen.

Leandra hatte tief Luft geholt und dann angesetzt: „Wächterin von Gore, deine Schutzbefohlene Leandra, Prätora des Clans der Rotash, und ihre Tochter Lostris stehen vor dir und erbitten deinen Beistand! Bitte hilf uns, das Geschöpf deines Widersachers zu töten! Nur du …“

Lostris, die schräg hinter ihrer Mutter gestanden hatte, hatte diese plötzlich angestoßen. Darauf hatte Leandra tatsächlich ihr Gebet unterbrochen. Still zeigte Lostris auf das leere Futteral, das an der rechten Seite ihrer Mutter hing und dann auf ihr eigenes. „Wo sind unsere Waffen?!“, fragte Leandra empört. Verwirrt sahen sich die beiden Kriegerinnen um.

„Eure Waffen habe ich!“, die verzerrte geisterhafte Stimme des Mannes, den sie gerade glaubten getötet zu haben, hatte sie von hinten angesprochen. Lostris drehte sich als erste um. Sie erschauderte bei dem Anblick. Dort stand der Tote und hatte in der rechten Hand die Waffe ihrer Mutter und in der linken Hand ihre eigene. „Jetzt werdet ihr sehen, was es heißt, einen unehrenhaften Tod zu sterben!“, sagte er noch. Dann aber wurde er plötzlich durch einen schwarzen Blitz niedergestreckt. Die Waffen fielen ihm aus der Hand und fielen neben ihm hernieder. Ein weiterer schwarzer Blitz beförderte ihn wieder in sein Grab und schloss es.

Starr vor Schreck, aber auch vor Erleichterung sehr froh standen die Genesianerinnen da. Es hatte sie schon etwas verwundert, was sie da gesehen hatten. Aber sie waren auch froh, dass der ganze Spuk offensichtlich vorbei war. „Was ist da gerade geschehen?“, fragte Lostris ihre Mutter. „Ich weiß es nicht, Kind.“, gab diese zurück. „Aber wir sollten nachsehen. Vielleicht erhalten wir ja einen Hinweis.“

Bevor sie sich jedoch aufmachen konnten, war plötzlich ein merkwürdiges Schellengeläute zu hören. Allerdings war es leicht disharmonisch und nicht so schön, wie man es von Einhörnern im Allgemeinen kennt. Habt keine Furcht., wendete sich Valora nun telepathisch an die Kriegerinnen. Ich bin die personifizierte Wächterin von Gore. Ich habe dieses teuflische Werkzeug vernichtet, um die zu retten, die wahrhaft glauben. Ich weiß genau wie ihr, auf welchem Irrweg Shashana ist. Sie ist besessen vom Herrscher der Zwischenwelt. Er hat sie in seinen Bann gezogen. Antworte du mir, Lostris! Wer trägt die Schuld an allem Übel und auch an ihrer Verblendung! Wer ist ein Werkzeug des Herrschers der Zwischenwelt? Wer kann sie umgedreht haben? „Die Männer!“, antwortete Lostris fest und schon fast begeistert. Die Männer, ja!, wiederholte Valora mit freudigem Gesicht und lobender Stimmlage. Und dürfen wir zulassen, dass ein Fehler der Schöpfung mit seinen fehlerhaften Gedanken unsere Welt beeinflusst? „Nein, oh Göttin!“, sagten Lostris und Leandra wie aus einem Mund. Genauso ist es!, sagte Valora. Aber das habt ihr ja erkannt und deshalb werde ich euch mit der Unsterblichkeit und Unverwundbarkeit belohnen, damit ihr meine Botschaft weitertragen könnt mit Feuer und Schwert, wenn ihr versteht. Lasst alle wissen, dass jene, die an mich glauben, auch unter meinem Schutz stehen werden. Aber nur jene. Alle anderen werdet ihr mit aller Härte verfolgen und ausmerzen in meinem Namen! Kehrt nun zu eurem Clan zurück und überbringt ihnen meine Botschaft! „Ja, oh Göttin!“, sagten Lostris und Leandra wieder gemeinsam, gingen zu ihrem Schiff, das in der Nähe gelandet war und flogen davon.

Sytania hatte alles mitbekommen. Gemein grinsend hatte sie sich bei Valora bedankt. „Oh, Valora, ich bin begeistert!“, hatte sie gesagt. „Tja, die fressen uns aus der Hand. Da haben wir wirklich gute Marionetten ausgesucht, nicht wahr? Tja, das ist eben so eine Sache mit der Religion. Man kann Stärke aus ihr beziehen, sie kann aber auch zur größten Schwäche werden.“ Sie lachte und alle Anwesenden fielen in ihr böses Gelächter ein. Dann wandte sie sich noch einmal telepathisch an Valora: Oh ich liebe es, Sterbliche wie Schachfiguren zu benutzen! Hoffen wir nur, dass mein Vater auch irgendwann darauf anspringt und mir einen würdigen Kampf liefert. Sonst macht es ja gar keinen Spaß. Achte auf die Geister, die du rufst, meine Freundin., warnte Valora prophetisch.

Kapitel 5: Eine neue Heldin erscheint

von Visitor

 

Meroola und Kamura hatten die Umlaufbahn von Celsius erreicht. „So, Meroola, da wären wir.“, sagte der Avatar des Schiffes. „Was hast du eigentlich jetzt vor?“ „Ich würde sagen, wir fangen damit an, uns eine gescheite Basis aufzubauen, wie ich es gesagt habe.“, antwortete Meroola. „Ich würde sagen, wir suchen mir erst einmal einen Job. Kannst du dich in das öffentliche Netz einloggen und mir zeigen, was so gesucht wird?“ „Sicher kann ich das.“, sagte Kamura lächelnd und zeigte Meroola vor ihrem geistigen Auge auf dem virtuellen Schirm eine der einschlägigen Seiten, auf denen freie Stellen zu finden waren. „Uff!“, stöhnte Meroola und lehnte sich zurück. „Das ist ja eine ganze Menge!“ „Finde ich auch.“, stimmte das Schiff zu. „Deshalb sollten wir es dringend etwas einschränken. Was hattest du dir denn so vorgestellt? Was kannst du denn sehr gut? Ich meine, du hattest zwar eine kriminelle Vergangenheit, aber dabei ist doch sicher einiges rumgekommen, was du jetzt sicher auch in deinem neuen ehrlichen Leben brauchen kannst, oder?“ „Kommt darauf an, was du damit meinst.“, sagte Meroola und schaute etwas hilflos. „Ich meine, in meinem Vorleben habe ich so viel betrogen und falsch gespielt, dass es schon nicht mehr feierlich war. Einmal habe ich sogar eine Ferengi-Spielhalle total ausgenommen. Mann! Das war vielleicht ein Spaß! Ich habe es regelrecht genossen! Das hängt vielleicht damit zusammen, dass ich Rache an meinem Vater nehmen wollte, oder so. Aber …“ „OK, Meroola.“, sagte Kamura sehr fest. „Um das hinzukriegen brauchtest du doch sicher technische Kenntnisse, oder? Ohne die geht es ja wohl nicht. Hättest du an so etwas Interesse?“ „Was Technisches also.“, sagte Meroola und dachte eine Weile nach. „Hm. Das könnte mich wirklich interessieren. Aber du hast mir auf dem Flug gesagt, dass es hier einen ganzen Haufen von technisch begabten einheimischen Leuten gibt. Warum sollten die ausgerechnet eine wie mich einstellen?“ „Weil ich hier ein Unternehmen gefunden habe, das ebenfalls von einem geleitet wird, der kein gebürtiger Celsianer ist.“, sagte Kamura. „Er ist vielleicht nicht ganz so lokalpatriotisch und würde sich deine Bewerbung sicher gern ansehen.“

Sie zeigte Meroola einen leeren Bildschirm in einem Schreibprogramm. Dann sagte sie: „Dann diktiere mir doch einfach, was ich schreiben soll. Ich helfe dir auch an Stellen, an denen es heikel werden könnte. Ich habe dich ja schon sehr gut kennen gelernt.“ „Wie willst du mir denn helfen können?“, sagte Meroola und lachte. „Du hast doch bestimmt viel weniger Lebenserfahrung als ich.“ „Das mag zwar stimmen.“, sagte Kamura. „Aber ich habe viele Talente, genau wie du viele hast.“

Plötzlich erschien vor Meroolas geistigem Auge ein fertiger Text. Meroola, davon sichtlich überrascht, begann damit, ihn sich durchzulesen.

Auf einmal stutzte sie und musste lächeln. Viele Formulierungen waren ihr aufgefallen, mit denen es Kamura offensichtlich sehr gut verstanden hatte, ihre kriminelle Vergangenheit positiv darzustellen. Ja, es war ihr sogar gelungen, sie fast zu kaschieren. Wer nichts über Meroola wusste, konnte annehmen, sie sei Zeit ihres Lebens eine unschuldige Bürgerin gewesen. Aber besonders diese eine Formulierung hatte es Meroola angetan. „Hier steht.“, grinste sie. „Ich interessiere mich sehr für technische Zusammenhänge, bin erfindungsreich, sehr flexibel und habe mir das alles autodidaktisch beigebracht, was mich auch zu einer guten Problemlöserin macht. Reichlich charmant formuliert, wenn du mich fragst.“ „Ja, allerdings.“, sagte Kamura. „Aber das stimmt ja auch. Ich habe ja schließlich nicht gelogen, sondern deine Vergangenheit nur elegant etwas verschlüsselt. Weh dem, der Böses dabei denkt.“ „Du schlaues kleines Schiff.“, lächelte Meroola.

Sie sah noch einmal über Kamuras Text, um, falls sie wirklich eingeladen werden sollte, nicht von dem abzuweichen, was dort stand. Dann sagte sie: „OK. Kannst es abschicken.“ Der Avatar nickte und Kamura führte ihren Befehl aus. „Jetzt werden wir wohl etwas warten müssen.“, sagte das Schiff. „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Meroola. „Aber du siehst mich so komisch an, Kamura. Gibt es da etwas, über das du mit mir sprechen willst?“ „Eigentlich ja.“, druckste Kamura herum. „Wenn du einen festen Job und eine Wohnung hast, wirst du mich dann überhaupt noch brauchen? Ich meine, herumziehen werden wir dann wohl nicht mehr können und ich werde mir dann wohl einen neuen Piloten suchen müssen. Schade! War sehr schön mit dir!“ „Hey.“, tröstete Meroola und stellte sich vor, den Avatar fest in den Arm zu nehmen. „Wer hat denn was davon gesagt, meine Kleine? Ich bestimmt nicht. Ich habe dir doch gesagt, wir bauen uns hier lediglich eine Basis. Denk doch einmal an deinen Vater und deine Mutter. Ihre Piloten Tchey und Ginalla machen es doch genauso.“ „Da hast du auch wieder Recht.“, sagte Kamura. „Na also.“, sagte Meroola. „Dann ist ja alles in Ordnung. Falls ich also angenommen werde, wirst du immer brav hinter dem Mond in Bereitschaft bleiben, bis ich dich brauche, oder bis ich dich nach Hause schicke.“ „Alles klar.“, sagte Kamuras Avatar erleichtert.

Es waren einige Minuten vergangen, in denen nichts passiert war. Es war schon Abend geworden und der Mond, hinter dem Kamura warten sollte, hatte sich ihrer Position über der Nordhalbkugel von Celsius bereits genähert. „Ich glaube kaum, dass heute noch was passiert.“, sagte Meroola. „Ich werde nach hinten gehen und mich hinlegen. Du kannst mir ja sagen, wenn noch was ist.“ Kamuras Avatar nickte und Meroola legte den Neurokoppler ab und stand vom Sitz auf. Dann streckte sie sich noch einmal ausgiebig und gähnte: „Gute Nacht, mein kleines schnelles Schiffchen.“

Sie wollte gerade gehen, als ein jähes Signal aus dem Computerlautsprecher sie erschreckte. „Was war das, Kamura?“, fragte sie. „Ich sollte dir doch sagen, wenn noch was ist.“, sagte Kamura jetzt den Lautsprecher benutzend. Da Meroola den Neurokoppler ja abgelegt hatte, war das notwendig geworden.

Der Mischling drehte sich wieder um und setzte sich erneut auf ihren Platz, um den Neurokoppler wieder aufzusetzen und in Ruhe abzuwarten, bis das Schiff ihre Reaktionstabelle erneut geladen hatte.

Jetzt sah Meroola nicht nur den Avatar vor sich, sondern hinter ihr auch den virtuellen Monitor, auf den sie mit einem Zeigestock zeigte. „Schau, Meroola!“, sagte sie grinsend. „Wir scheinen doch noch eine Antwort zu bekommen. Man will …“

Meroola gab einen scharfen ablehnenden Laut von sich. „Sag es mir nicht!“, befahl sie. „Ich will es selbst lesen. Deiner Reaktion nach muss es ja etwas sehr Gutes sein. Zeig schon her!“ „Wie du willst.“, sagte Kamura und rückte das Bild der eingegangenen SITCH-Mail in den Vordergrund. Meroola begann damit, sich den Inhalt halblaut durchzulesen: „Sehr geehrte Ms. Sylenne, Ich freue mich, ihnen mitteilen zu dürfen, dass ich Sie gern morgen um 15:00 Uhr Ortszeit zu einem Vorstellungsgespräch begrüßen würde. Mit freundlichen Grüßen Felix Kingsley, (Betriebsleiter).“ „Na, OK.“, sagte Meroola. „Das lässt sich ja schon sehr gut an. Vielleicht bin ich ja demnächst also auch einer von Felix‘ findigen Fehlerfüchsen vom Pannendienst. Was macht ihr Schiffe eigentlich als Entsprechung für das Daumendrücken?“ „Wir verbinden kurz alle Transportersysteme an Bord.“, sagte Kamura. „Dann tu das bitte morgen für mich.“, sagte Meroola. „Ich beabsichtige nämlich nicht, den guten Mr. Kingsley zu enttäuschen.“ „OK.“, sagte Kamura. „Aber dann würde ich mich an deiner Stelle jetzt gut ausschlafen. Sonst bist du morgen nicht zu gebrauchen.“ Sie grinste Meroola an. „Hey.“, sagte diese. „Nicht frech werden, junge Lady!“ Dann ließ sie sich von Kamura die Tür zur Achterkabine öffnen und ging hindurch, um es sich dort auf einer Bank gemütlich zu machen und sofort einzuschlafen. Sie fühlte sich unglaublich sicher bei diesem kleinen Schiff. Sie ahnte ja noch nicht, wie wichtig dieses Vertrauen noch werden sollte.

Kamura hatte beschlossen, in dieser Nacht nicht untätig zu bleiben. Empfand sie es doch als ihre Aufgabe, ihrer Pilotin in allen Lebenslagen so gut behilflich zu sein, wie es nur ging. Sie hatte durch ihren Vater, der ihr schon viel über Ginalla berichtet hatte, erfahren, dass sie sich zuweilen als Junggastronomin versucht hatte, wenn sie nicht gerade mit ihm zusammen die Welt rettete. Das bedeutete, dass sie eine Bar haben musste. Vielleicht gab es hier ja auch Zimmer. Aus Kamurus‘ letzten Schilderungen ging das auch hervor.

Sie loggte sich selbstständig in eine Seite ein, auf der man Unterkünfte buchen konnte und suchte dort nach Ginallas Namen. Tatsächlich wurde sie fündig. Das Rufzeichen, das ihr der freundliche Rechner am anderen Ende der Verbindung gegeben hatte, wurde gleich ausprobiert.

Ginalla war in ihrer Bar damit beschäftigt, den Rest der täglichen Arbeiten zu verrichten, als das Sprechgerät sie davon mit lautem Piepen abzuhalten beabsichtigte. „Ja.“, sagte sie etwas unwirsch. „Ich komme ja schon.“ Dann begab sie sich zum Tresen, hinter dem das Gerät auf sie wartete.

Die junge Celsianerin stutzte, als sie das für sie völlig unbekannte Rufzeichen im Display sah. Nur die Kennung hinter dem Punkt war ihr bekannt. „Ein Rufzeichen aus der Dimension meines Schiffes und es ist nich‘ Kamurus?“, wunderte sie sich. „Na, schauen wir mal, dann sehen wir schon.“

Diesen Spruch hatte Ginalla von mir übernommen, nachdem ich ihn irgendwann einmal verwendet hatte und ihr gesagt hatte, er sei ein Erbstück von meinem Großvater gewesen. „Schönes Erbstück, Allrounder Scott, oder darf ich Betsy sagen?“, hatte sie gefragt. Ich hatte nur genickt. „Dann sagen Sie ihrem Opapa, dass ich es in Ehren halten werde!“ Ich hatte sie darauf aufmerksam gemacht, dass wir schon beim Du gewesen waren und dann nur gesagt: „Bedauerlicherweise geht das nicht mehr, Ginalla. Er ist schon seit Jahrhunderten tot.“ „Ach.“, hatte sie entgegnet. „Bei deinen Verbindungen kriegst du das auch noch hin.“ Dann hatte sie schelmisch gegrinst.

Sie nahm das Mikrofon aus der Halterung und drückte den Sendeknopf. Dann sagte sie: „Hier ist Ginalla!“ „Hallo, Ginalla.“, kam eine helle ihr unbekannte Stimme zurück. Gleichzeitig sah sie das Bild einer für sie ebenfalls völlig fremden Jugendlichen. „Nanu! Wer bist denn du?“, fragte die junge Celsianerin erstaunt. „Ich bin Kamura.“, stellte sich das Schiff vor.

Ginalla überlegte. Irgendwo hatte sie diesen Namen schon einmal gehört. Im Augenblick konnte sie sich nur keinen vernünftigen Reim darauf machen. Immer wieder streifte ihr Blick das Display, auf dem das fremde junge Mädchen immer noch zu sehen war. Über ihr war eine Leiste mit Datum und Uhrzeit zu sehen. Das war bei jedem Sprechgerät eine Standardeinstellung. „Was machst du denn noch so spät auf, Kamura.“, fragte Ginalla schließlich. „Ich mein’, es is’ Mitternacht durch und du SITCHt einfach so durch die Weltgeschichte. Was immer du auch willst, kannst du bestimmt auch morgen noch erledigen. Du hast doch bestimmt morgen Schule. Also, an deiner Stelle würde ich jetz‘ janz schnell in die Federn springen, wenn du verstehst, was ich meine. Sonst bist du morgen nich’ zu gebrauchen.“ „Das mit den Federn dürfte etwas schwierig werden, Ginalla.“, sagte Kamura. „Es gibt nämlich kein Bett in meiner Größe. Es sei denn, du sprichst von einem Hangar.“

Das intelligente Schiff hatte selbstverständlich sofort gemerkt, dass Ginalla total auf dem Holzweg war. Aber offensichtlich machte es ihr Spaß, diese Tatsache ein wenig auszunutzen. Dennoch wollte sie auch dafür sorgen, dass Ginalla doch irgendwann drauf kommen würde. Das war auch der Grund, aus dem sie kleine aber feine Hinweise streute.

„Wieso brauchst du einen Hangar?“, fragte Ginalla schließlich sehr verwirrt. „Willst mich wohl verkohlen, was?“ „Oh nein, Ginalla.“, sagte Kamura und ihr Avatar machte das unschuldigste Gesicht, das Ginalla je gesehen hatte. „Ich würde doch nie die Pilotin meines Vaters verkohlen. Nein. So was würde mir nicht im Traum einfallen.“

Ihr letzter Satz hatte Ginalla fast erstarren lassen. Sie hatte das Gefühl bekommen, dass um sie herum die Zeit stehengeblieben war und nur sie sich noch hatte bewegen können. Kamuras Stimme war für sie sehr verzerrt rübergekommen, aber das hatte sie wohl ihrem eigenen emotionalen Zustand zu verdanken. Sie hatte sich nämlich sehr erschrocken, denn langsam war ihr klar geworden, wer sie nur sein konnte.

Es gelang ihr nur schwerlich, sich aus ihrer Schockstarre zu befreien. Dann sagte sie mit stotternder Stimme, was sonst gar nicht die Art der kessen Ginalla war: „Brat mir doch einer ’n Storch! Du bist doch nich’ etwa Kamurus’ und Sharys Tochter? Ich mein’ Kamurus hat dich erwähnt, aber er hat gesagt, dass du noch nich’ alt genug wärst, um dir einen Piloten zu suchen. Deine Software sei noch nich’ ausgereift genug. Du müsstest noch lernen.“ „Eigentlich stimmt das.“, gab Kamura zu. „Aber ich wollte nicht mehr warten. Bitte sag meinem Vater nichts, Ginalla. Bitte!“ „Oh Mann!“, stöhnte Ginalla. „Da bringst du mich aber echt in Schwulitäten. Ich habe mittlerweile auch gelernt, was es bedeutet, Verantwortung für andere zu übernehmen. Das bedeutet, ich sage dir jetzt, dass das Universum da draußen bestimmt kein Spielplatz is’. Dein Vater hat völlig Recht. Du solltest machen, dass du wieder in deine Dimension kommst! Dann vergesse ich, dass du je hier warst und auch dein Vater kriegt nix mit. Is’ das ’n Deal?“ „Ich glaube, das wird etwas schwierig, Ginalla.“, sagte Kamura. „Ich habe nämlich eine Pilotin und die braucht ein Zimmer. Sie will auf Celsius ein neues ehrliches Leben anfangen, genau wie du es damals wolltest. Hat man dir etwa die Tür vor der Nase zugeschlagen?“ „Ne.“, musste Ginalla zugeben. „Im Gegenteil! Man hat mir geholfen, wo es nur ging, ob ich wollte oder nich’. Besonders ein gewisser Tindaraner war da ganz groß, zäh und hartnäckig. Wenn der nich’ gewesen wäre, … na ja. Also gut. Schick sie zu mir runter. Ich werde sehen, was sich machen lässt.“ „Sie braucht das Zimmer wohl erst ab morgen.“, sagte Kamura. „Sie hat nämlich Aussicht auf eine Stelle und wenn sie die hat, dann braucht sie eine Wohnung. Die kann sie sich ja dann besser von deiner Bar aus suchen. Außerdem sieht es bestimmt nicht sehr gut aus für Mr. Kingsley, wenn sie sagen muss, ich wohne zurzeit auf meinem Raumschiff. In gewisser Weise seid ihr Schwestern im Schicksal. Mein Vater hat mir auch viel über deine Vergangenheit erzählt, Ginalla.“ „Wo du Recht hast …“, zischte Ginalla. „Du kleine miese Erpresserin du. Aber Ginalla steht zu ihrem Wort. Sag deiner Pilotin, das Zimmer is’ geritzt und nich’ geschnitten.“ Sie grinste. „Danke, Ginalla.“, sagte Kamura und wollte die Verbindung schon beenden, als Ginalla fragte: „Wie heißt die Frau denn eigentlich?“ „Sie heißt Meroola.“, sagte Kamura. „Meroola Sylenne. Sie ist total in Ordnung.“ „Also gut.“, sagte Ginalla und beendete nun ihrerseits die Verbindung. Irgendwie kam ihr dieser Name bekannt vor. Sie wusste nur gerade nicht, wo sie ihn hinstecken sollte. Sie ahnte auch noch lange nicht, wie schnell sich das ändern sollte.

Kapitel 6: Botschaften der Angst

von Visitor

 

Diran war in seine Garnison in der Nähe von Toleas Behausung zurückgekehrt. Hier hatte er sich vom Mishar die Rufzeichen der befreundeten obersten Vendar von Dill, Logar und auch das Rufzeichen Seiner Frau auf New-Vendar-Prime in der Dimension der Tindaraner heraussuchen lassen und ihm befohlen, diese Rufzeichen auch gleich in eine Sammelverbindung einzufügen. Das hatte der Rechner auch getan und bald sah sich Diran den erwartungsvollen Gesichtern von Cryach, der Vertrauten von Dill, Iranach, der obersten Vendar Logars und dem von Sianach, seiner Frau, gegenüber. „Was ist der Grund, aus dem du mit uns sprechen willst?“, fragte Cryach.

„Hört mir gut zu!“, sagte Diran fest, nachdem er aufgestanden war und sich in eine Pose gestellt hatte, wie man sie im Allgemeinen nur großen Rednern zugestehen würde. „Meine Gebieterin Tolea hat eine Vision gehabt, in der sie das Ende der Welten vorausgesehen hat! Ich soll euch sagen, dass die Bewohner des Raum-Zeit-Kontinuums das wohl nicht allein verhindern können und werden. Sie werden unser aller Hilfe benötigen. Das bedeutet, dass ihr euren Herren, beziehungsweise euren Freunden sagen werdet, was ich euch gesagt habe. Wir werden alle zusammen planen müssen, was zu tun ist!“ „Hat Tolea genau gesagt, wer das verursachen wird?“, fragte Iranach. „Ich meine, es ist immer gut, seinen Feind zu kennen.“ „Das hat sie nicht konkretisiert.“, sagte Diran. „Sie hat nur gesagt, dass es etwas mit den Einhörnern zu tun hat. Mehr weiß ich im Moment auch noch nicht. Sie war nach der Vision sehr niedergeschlagen und meine Leute und ich haben erst einmal dafür gesorgt, dass sie sich hinlegt. Ich werde später noch einmal zu ihr gehen und versuchen, etwas Konkreteres zu erfahren. Dann werde ich euch hoffentlich auch sagen können, wer genau die Einhörner entzweit hat.“ „Die Einhörner sind Verwandte der Quellenwesen.“, stellte Cryach fest. „Sagtest du gerade, sie sind entzweit? Wenn das der Fall ist, dann wird es den Dimensionen bald sehr schlecht gehen. Am besten ist, du wartest ab, bis Tolea sich erholt hat und redest dann noch einmal mit ihr. Dann wissen wir sicher auch genauer Bescheid und können viel besser handeln.“ „Das denke ich ja auch.“, sagte Diran. „Aber es muss sich etwas sehr Schlimmes zugetragen haben. Tolea hat gegenüber mir das Bannwort verwendet. Ich muss jedem Vendar, dem ich begegne, dies offenbaren!“

Sianach stockte der Atem. Dass ihr Mann unter dem Bann stand, hatte sie sich schon gedacht. Sie hatte jenen Ausdruck in seinen Augen gesehen, den jeder Vendar hat, wenn ein Mächtiger ihn unter den Bann gestellt hat. Seit ihrer Zeit als Novizin wusste sie, wie das aussah. Da konnte ihr niemand etwas vormachen. Joran, der sie ausgebildet hatte, hatte immer sehr genau darauf geachtet, dass sie alles extrem exakt lernte und sich keine Fehler einschlichen, oder es gar Raum für Fehlinterpretationen gab. So hatte sie auch gelernt, sehr genau zuzuhören! Bei dem, was sie aber gehört hatte, war es ihr eiskalt den Rücken heruntergelaufen. Was hatte er gesagt? Er musste jeden Vendar informieren, dem er begegnete? Was wäre, wenn Sytania an dieser Sache schuld war und was war, wenn sie wusste, dass Tolea Diran unter den Bann gestellt hatte? Joran hatte ihr beigebracht, auf alle Eventualitäten gefasst zu sein. Zwar war er zu dem Zeitpunkt, als Sianach seine Novizin war, noch auf der Seite der Prinzessin gewesen, aber er wollte aus ihr eine gute Strategin und Kämpferin machen. Aufgrund ihrer Talente hätte er sie sogar als seine eigene Nachfolgerin in Betracht gezogen, wenn er nicht gegen die Prinzessin rebelliert hätte. Das hatte die Situation total verändert.

Sie wusste, dass Joran ihr zwar immer noch vertraute, denn sonst hätte er die Rebellen auf keinen Fall ihr unterstellt, um selbst frei für die Tindaraner arbeiten zu können. Auch das Liebste, das er hatte, seine kleine Tochter Tchiach, hätte er nach dem Tod seiner Frau Namach wohl kaum Sianach als Ziehkind anvertraut, würde er nicht glauben, dass sie mit diesen beiden Aufgaben hervorragend zurechtkäme.

Die kluge Vendar wusste, dass sie jetzt dringend handeln musste. Sie ahnte, dass Tolea einen Fehler gemacht hatte! Das würde sie Diran gegenüber zwar nicht sagen, weil sie wusste, dass dies keinen Einfluss auf sein Handeln haben würde, denn der Bann würde trotzdem dafür sorgen, dass er es jedem Vendar erzählen würde, dem er begegnete. Sianach würde sich aber an alle wenden, die Gegenmaßnahmen ergreifen könnten, Falls Diran einem Vendar von Sytania begegnen sollte. Wenn er gezwungen war, auch ihm oder ihr die Pläne und das Wissen über die Situation offenzulegen, dann könnte das gefährliche Konsequenzen nach sich ziehen! Dessen war sich die strategisch sehr gut geschulte Vendar-Kriegerin zu 100 % sicher!

Sianach richtete jetzt das Wort an ihren Ehemann: „Diran, ich muss leider unser Gespräch beenden. Mich halten leider andere Verpflichtungen ab.“ „Was können das für Verpflichtungen sein, Telshanach?“, fragte Diran. „Meiner Meinung nach kann es im Moment nichts Wichtigeres geben, als alle vor dem Ende der Welt zu warnen und gemeinsam zu planen, wie wir es verhindern können!“ „Das ziehe ich auch auf keinen Fall in Zweifel, mein Ehemann.“, versuchte Sianach, Diran zu beruhigen. Dabei hatte sie allerdings schwer zu kämpfen, dass sie selbst ruhig blieb. Zu beängstigend waren die Szenarien, die sich in ihrem Kopf abgespielt hatten.

„Im Augenblick.“, sagte sie schließlich. „Kann ich es nicht. Aber wenn ich von meinen Pflichten wieder entbunden bin, kann und werde ich erneut zu euch stoßen. Bitte vertrau mir, mein lieber Diran.“ „Also gut, Telshanach.“, sagte Diran, um sie zu beschwichtigen. Ihr ängstlicher Ton und ihr angespanntes Gesicht waren ihm nicht entgangen. Ihm war zwar nicht klar, warum sie sich so verhielt, denn der Bann ließ keinen Zweifel an seinem jetzigen Verhalten und schon gar keinen an dem Befehl seiner Herrin zu, aber er würde wohl jetzt nichts mehr aus ihr herausbekommen. Er hatte auch keine Zeit, dies weiterhin zu versuchen. Da waren ja auch noch die anderen in der Leitung und er befürchtete, sie könnten das Gespräch beenden, wenn er sich jetzt nur mit Sianach allein beschäftigte. Also blieb ihm nichts anderes übrig als zuzulassen, dass sie die Verbindung beendete.

Aufatmend hatte Sianach zur Kenntnis genommen, dass die Gesichter ihrer Gesprächspartner vom Schirm ihres Hausrechners verschwunden waren. Das war für sie das Signal, endlich mit dem Vorhaben zu beginnen, das sie schon angestrebt hatte, als sie Dirans Gesichtsausdruck gesehen hatte.

Sie drehte sich dem Mikrofon des Rechners zu und sagte mit leicht zitternder Stimme: „Mishar, eine Verbindung zu Basis 281 Alpha aufbauen!“ „Bitte warten.“, kam es sachlich und nüchtern von der männlichen Computerstimme des Rechners zurück. „Befehl wird ausgeführt.“

Sianach lehnte sich zurück und dachte nach. Die Situation war nicht gerade rosig, aber von Zirell und ihren Leuten hatte sie immer Hilfe erwarten können. Außerdem gab es auf der Basis ihren ehemaligen Ausbilder Joran und der würde genau einschätzen können, ob und in wie weit Sytania sich einmischen würde und könnte und in wie weit ihr dies einen Vorteil brächte. Davon, das wusste sie, würde alles Weitere abhängen. Aber Commander Zirell war da ja immer eine zuverlässige Alliierte gewesen. Wenn hier also noch jemand den Karren aus dem Dreck ziehen konnte, dann nur die Truppe um Zirell!

Eine kleine Gestalt hatte den Raum betreten. Sie hatte schwarzweißes Fell, da sie mit dem Fellwechsel noch nicht ganz fertig war. Reste ihres weißen Kinderfells waren immer noch zu sehen. Aber das war ja auch kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie erst 13 Jahre alt und somit gerade erst im ersten Jahr ihrer Novizenzeit war. Sianach war ihre Lehrerin und Ziehmutter. Wusste also über diese Umstände genau Bescheid. Die Kleine maß ca. 1,64 m.

Tchiach trat jetzt an Sianachs Stuhl heran und tippte ihr auf die Schulter. Die in ihre Gedanken vertiefte Vendar erschrak und fuhr herum. Ihre Gesichtshaare stellten sich auf, ein Zeichen dafür, dass sie blass wurde. „Bitte verzeih mir, Ziehmutter.“, sagte Tchiach. „Ich wollte dich nicht erschrecken.“ „Ach, das ist doch nicht deine Schuld, Tchiach.“, sagte Sianach mild und lächelte der Novizin freundlich zu. „Ich bin nur gerade sehr in Gedanken.“ „Und warum bist du so in Gedanken?“, wollte die kleine Vendar wissen. „Das darf und werde ich dir noch nicht erklären, Tchiach!“, sagte Sianach fest. „Davon würdest du nur Albträume bekommen.“ „Aber ich werde doch auch einmal eine Vendar-Kriegerin sein.“, widersprach das Mädchen. „Dann muss ich doch wissen, was …“ „Sashnachi!“, unterbrach Sianach sie. Das ist Vendarisch und heißt so viel wie kleine Maulwürfin, was, da der Maulwurf für die Vendar ein heiliges Tier ist, ein sehr lieb gemeinter Kosename ist. „Du bist erst im ersten Jahr deiner Novizenzeit. Hab Geduld. Der Zeitpunkt wird kommen, an dem ich dich über alles informieren werde. Er wird kommen. Das versichere ich dir! Aber jetzt ist es eindeutig noch zu früh! Bitte geh jetzt und lass mich allein!“

Ein Signal hatte sie jäh unterbrochen und sie gezwungen, ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Hausrechner zu lenken. Hier hatte sich etwas verändert. Auf dem Schirm war das Gesicht des Avatars der Station 281 Alpha zu sehen. Sianach war klar, was das bedeutete. Jetzt war es umso wichtiger, dass ihre Ziehtochter sie allein ließ. Das, was Tchiach sonst zu hören bekommen hätte, hätte sie bei weitem überfordert!

Auch das Kind hatte IDUSA gesehen. „Warum willst du mit den Tindaranern reden und mich nicht dabei haben, Ziehmutter?“, fragte sie. „Das habe ich dir doch schon gesagt.“, sagte Sianach. „Bitte, Tchiach, sei vernünftig und geh jetzt! Was ich mit den Tindaranern zu bereden habe, würde dich nur in Angst machen, für die du dich nachher bestimmt schämen würdest. Bei deinem kindlichen Gemüt wäre das zwar nicht schlimm, aber ich möchte nicht, dass du in so eine unangenehme Situation gerätst. Verstehst du, Sashnachi, ich will dich doch nur schützen! Du wirst noch früh genug über die Situation informiert werden, aber jetzt bist du noch zu jung.“ „Das heißt.“, sagte Tchiach, die ihrem Namen, der auf Deutsch die Kluge heißt, jetzt alle Ehre machte: Ich muss nur älter werden und dann wirst du mir alles erklären?“ „Genau das.“, sagte Sianach. „Das verspreche ich dir! Sieh es doch einfach, als würdest du auf ein Geschenk warten. Wenn es zum Beispiel um deinen Geburtstag geht, quengelst du ja auch nicht.“ „Nein, Ziehmutter.“, sagte Tchiach. „Weil ich sicher bin, dass er sowieso kommt und ich meine Geschenke dann bekomme.“ „Siehst du.“, sagte Sianach. „Und genauso ist es auch mit dieser Information. Du wirst sie bekommen, wenn du alt genug dafür bist. Aber da musst du dich gar nicht drum kümmern. Älter wirst du ja schließlich von ganz allein.“ „Ich verstehe, Ziehmutter.“, sagte Tchiach, wandte sich um und verließ den Raum wieder. Sie befahl dem Rechner sogar noch, die Tür zu schließen, was Sianach beruhigt zur Kenntnis nahm.

Aufatmend hatte sie sich jetzt der vom Rechner befehlsgemäß aufgebauten Verbindung zugewandt. Sie nahm das Mikrofon in die Hand, drückte den Sendeknopf und sagte: „Ich grüße dich, IDUSA. Wo ist Joran?“ „Joran ist leider im Augenblick indisponiert, Sianach.“, antwortete der Rechner der Basis 281 Alpha wahrheitsgemäß, denn ein körperliches Bedürfnis hatte den sehr pflichtbewussten Vendar gezwungen, seine Arbeit an der Kommunikationskonsole der Basis kurz zu unterbrechen und den Platz zu verlassen. Seine Aufgabe hatte er temporär dem Stationsrechner übertragen. Diese Tatsache erklärte aber auch, warum Diran ihn nicht erreicht hatte und Joran somit noch gar nichts von der Situation wissen konnte. Da Diran in Unkenntnis des Dienstplans von 281 Alpha nicht wissen konnte, wo Joran war, hatte er versucht, ihn in seinem Quartier zu erreichen, was natürlich nicht funktioniert hatte. Sein Rechner hatte ihn darauf zwar aufmerksam gemacht und ihm gesagt, dass die angeforderte Konferenzverbindung so nicht vollständig aufgebaut werden konnte, Diran aber hatte ihm aber nur darauf befohlen, diesen Umstand zu ignorieren und mit dem weiteren Aufbau der Verbindung fortzufahren.

Sianach hatte angespannt das Gesicht verzogen. „Wo sind Anführerin Zirell oder Maron El Demeta?“, fragte sie mit fast vor Nervosität kippender Stimme. „Die Schicht von Commander Zirell und Agent Maron beginnt erst in fünf Minuten, Sianach.“, sagte der Rechner, nachdem sie Zugriff auf die Datei mit den Dienstplänen genommen hatte. „Wenn Sie mit ihnen reden wollen, wäre es vielleicht besser, wenn Sie es dann noch einmal versuchen.“ „Oh nein!“, sagte Sianach hektisch. „Dann kann es schon zu spät sein! Wer weiß, was mein armer Ehemann bis dahin angerichtet hat, ohne es zu wollen!“ „Ihre Stimmfrequenzen und Ihr Gesichtsausdruck.“, erwiderte IDUSA. „Weichen extrem vom Normalzustand ab. Das bedeutet, Sie sind alarmiert. Da sich in 80 % der Fälle, in denen Sie alarmiert waren, herausgestellt hat, dass Ihre Angst berechtigt war, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie es auch in diesem Fall sein könnte. Ich werde mit den internen Sensoren der Station nach Commander Zirell und Agent Maron suchen.“

Das Bild auf dem Schirm veränderte sich. Sianach sah jetzt ein Modell der gesamten Station und eine kleinere Ausgabe von IDUSAs Avatar, die darin herumlief. Dann sah sie, wie sich Maron und der Avatar auf dem Korridor zur Kommandozentrale begegneten. Auch Commander Zirell hatte sie gefunden, allerdings noch in ihrem Quartier, das Sianach auch ausschnittweise gezeigt wurde.

Die Bilder rückten in den Hintergrund und dann war der Avatar wieder vollständig zu sehen. „Ich habe sie gefunden, Sianach.“, sagte sie beruhigend sachlich und nüchtern. „Es ist allerdings wahrscheinlicher, dass ich Sie eher mit Agent Maron, als mit Commander Zirell verbinden kann. Der Agent ist bereits viel näher an seinem Arbeitsplatz. Der Commander allerdings steht immer noch unter der Schalldusche.“ „So genau wollte ich es gar nicht wissen, IDUSA.“, sagte Sianach verschämt. „Nun ja.“, antwortete der Rechner. „Ich weiß ja, dass Sie schweigen können und dass diese Tatsache garantiert unter uns bleibt. Außerdem war es mein Bestreben, Sie ein wenig aufzuheitern. Ich hörte, dass biologische Wesen es zuweilen sehr amüsant finden, hochgestellte Persönlichkeiten in privaten Situationen vorzufinden.“ „Ach so.“, lachte die Vendar. „Dann entschuldige bitte, dass ich darauf nicht eingegangen bin. Aber ich habe im Moment wirklich andere Sorgen.“ „Verstehe.“, sagte IDUSA. „Aber Agent Maron betritt gerade den Raum. Ich werde Sie ankündigen und Sie dann so schnell wie möglich mit ihm verbinden.“ „Danke, IDUSA.“, sagte Sianach erleichtert und nahm erneut eine wartende Position ein.

Die Türen der Kommandozentrale waren vor dem Ersten Offizier von Basis 281 Alpha auseinandergeglitten und Maron hatte einige Schritte in den Raum getan. Dann war er zwischen den Konsolen kurz stehengeblieben und hatte sich umgesehen. Was er gesehen hatte, musste ihm sehr gefallen haben. Anders waren das breite Grinsen auf seinem Gesicht und seine Äußerung: „Ja! Geschafft!“, nicht zu erklären. Der Demetaner hatte sich nämlich geschworen, es irgendwann einmal hinzubekommen, vor allen anderen am Arbeitsplatz zu erscheinen. Sonst war er meistens zu spät oder gemeinsam mit Zirell eingetroffen. Dafür war er aber heute nicht etwa früher aufgestanden, nein! Er hatte den Ehrgeiz entwickelt, dieses Ziel in der gleichen Zeit wie sonst zu erreichen. Er wusste zwar, dass er sich dann sehr beeilen musste, das war aber eine Schwierigkeit, die er sehr wohl in Kauf nahm.

Zufrieden setzte sich der Agent an seine Arbeitskonsole und zog seinen Neurokoppler aus der Tasche, um ihn dann an einem Port, den IDUSA ihm bereits ausgeleuchtet hatte, anzuschließen. Sofort lud sie seine Reaktionstabelle, was dafür sorgte, das Maron des leicht aufgeregt wirkenden Gesichts des Avatars schnell ansichtig wurde. „IDUSA, Bericht!“, forderte der erste Offizier. „Die Nacht verlief weitgehend störungsfrei, Agent.“, sagte der Rechner. „Nur Technical Assistant O’Riley war kurz auf der Krankenstation wegen einer Magenverstimmung. Sie hatte wohl zu viele Pralinen genascht, wenn Sie mich fragen. Ishan hat sie aber schon wieder dienstfähig geschrieben. Aber heute Morgen ist wohl etwas auf New-Vendar-Prime geschehen. Ich habe nämlich eine sehr alarmierte Sianach für Sie in der Leitung.“

Maron war erschrocken. Er konnte sich denken, dass Sianach, wenn sie so verängstigt war, sicher keine guten Nachrichten für ihn hatte. Er fand das sehr schade. Der Tag hatte doch so schön angefangen. Aber er wusste auch, dass er auf seine eigenen Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen konnte, wenn er im Dienst war. Das Schicksal tat es ja auch nicht und es war, wer die Demetaner genauer kennt weiß das, ja auch schließlich seine oberste Göttin. Genauer war Mutter Schicksal, wie es von den Demetanern genannt wurde, ihre einzige Göttin.

Maron riss sich zusammen, nahm Haltung an und sagte dann, nachdem er sich zwei bis dreimal geräuspert hatte, „Stell sie zu mir durch.“ IDUSAs Avatar nickte und dann führte der Rechner seinen Befehl aus.

IDUSAs gleichmütiges Gesicht war vor Marons geistigem Auge nun dem sehr ängstlichen Sianachs gewichen. Der Demetaner ahnte, wie beschämend diese Situation für sie, eine ausgebildete Vendar-Kriegerin, sein musste. Er musste unbedingt einen Weg finden sie aufzufangen. Deshalb sagte er so fest er nur konnte: „Es ist alles in Ordnung, Sianach! Ich bin hier!“ „Gar nichts ist in Ordnung, Maron El Demeta!“, sagte Sianach sehr aufgeregt. „Wenn du nur wüsstest!“

Maron konnte ihre Nervosität sehr gut hören und sehen. Was die aufgestellten Gesichtshaare seiner Gesprächspartnerin bedeuteten, wusste er genau. Schließlich hatte er selbst schon oft mit einem von ihrem Volk zusammengearbeitet. Wenn Joran blass wurde, passierte ja schließlich das Gleiche. Ich verliere sie!, dachte Maron. IDUSA, hilf mir!

Der Rechner, für den Marons Gedanken wegen der Verbindung über den Neurokoppler ein offenes Buch waren, griff befehlsgemäß auf ein Programm für psychologische Beratung zu. Dann legte sie die Verbindung mit Sianach temporär in eine Warteschleife, um mit dem ersten Offizier, zumindest aus ihrer Sicht, allein zu sein. Danach gab sie Maron das Gefühl, ihr Avatar würde ihm etwas ins Ohr flüstern wollen und sagte: „Gehen Sie auf sie ein. Fragen Sie, was sie genau damit meint, ohne sie weiter zu beschwichtigen. Ich denke, dass Sie damit nicht sehr weit kommen werden, denn das Geschehen, über das sie Ihnen berichten möchte, ist wohl zu schlimm für sie.“ „Also kein: Ist schon gut, oder so etwas?“, fragte Maron zurück. Der Avatar des Stationsrechners schüttelte energisch den Kopf. „OK.“, sagte Maron. „Verstanden. Gib sie wieder her!“ IDUSA nickte und tat, was ihr Maron gerade befohlen hatte.

Erneut sah der Demetaner in das ängstliche und angespannte Gesicht seiner vendarischen Kameradin. Sie hatten ja schon oft genug Seite an Seite gegen Sytania gekämpft. Deshalb sah er sie als eine Solche an. „Was ist denn jetzt genau passiert, Sianach?“, fragte Maron. „Es geht um meinen Mann.“, sagte Sianach. „Ihr müsst ihn aufhalten, bevor er zum Veshan wider Willen wird.“ „Veshan heißt Verräter, nicht wahr?“, fragte Maron, um Verständnis zu signalisieren. „Aber warum sollte er das tun, Sianach?“ „Weil seine Gebieterin Tolea einen Fehler gemacht hat, als sie ihn unter den Bann stellte, jedem Vendar, dem er begegnet, berichten zu müssen, dass sie das Ende aller Welten gesehen hat und was wir gedenken, dagegen zu tun. Die Einhörner, Maron El Demeta! Sie sind entzweit!“ „Nein, Sianach!“, sagte Maron fest. „Diesen schnellen Themenwechsel mache ich nicht mit. Lass uns erst einmal bei einem Thema bleiben. Also. Tolea hat das Ende aller Welten gesehen, sagst du. Und dann hat sie Diran befohlen, jedem Vendar davon zu berichten?“ „Ja, Maron El Demeta.“, sagte Sianach mit sehr viel Schrecken in der Stimme. „Und du weißt vielleicht, dass ein Vendar, der unter dem Bann steht, wörtlich ausführen muss, was der Befehl, der ihm gegeben wurde, beinhaltet.“ „Das weiß ich“, sagte Maron. „Aber wenn Tolea so einen Befehl gibt, dann wird sie sich doch vorher bestimmt mental vergewissert haben, das kein feindlicher Spion von Sytania in der Nähe ist, der Diran abfangen könnte. Ich kann mir nämlich jetzt langsam vorstellen, wovor du Angst hast, Sianach.“ „Da bin ich mir nicht so sicher, Maron El Demeta.“, sagte die Vendar. „Was ist, wenn sie durch Sytanias Vendar mit Hilfe von Technologie ausspioniert wurde? Dann dürfte sie nichts Telepathisches gespürt haben und ich denke, dass sie aufgrund der Dinge, die sie gesehen hat, wohl ziemlich fertig gewesen ist. Ich denke, dass ihr deshalb auch dieser Fehler unterlaufen ist.“ „Hältst du wirklich für möglich, dass Sytanias Vendar davon wissen?“, fragte Maron beruhigend. „Ich halte für sehr unwahrscheinlich, dass ihre Vendar gerade jetzt das Raum-Zeit-Kontinuum ausspionieren, zumal sich Tolea und Kairon lange nicht mehr eingemischt haben. Ich glaube nicht, dass Sytania sie im Moment für eine solch starke Bedrohung hält. Also wird sie Diran auch keine Falle stellen. Vertrau mir, Sianach! Ich bin ausgebildeter Spionageoffizier. Ich kenne mich da aus!“ Dein Wort in den Ohren der Götter, Maron El Demeta.“, sagte Sianach skeptisch und beendete die Verbindung. Im Gegensatz zu dem demetanischen Agenten war sie nicht so zuversichtlich, dass alles in Ordnung war. Dafür kannte sie Sytania zu gut!

Kapitel 7: Informationen des Schreckens

von Visitor

 

Laut singend hatte Zirell die Schalldusche verlassen, unter der sie, ebenfalls laut singend, eine ganze Weile länger als sonst gestanden hatte. Nun war sie nicht gerade schmutziger als sonst gewesen, aber sie hatte es einfach genossen. Sie hatte die Zeit aber trotzdem genau im Blick gehabt, da IDUSA von ihr den Befehl erhalten hatte, sie spätestens fünf Minuten vor Dienstbeginn zur Eile zu mahnen. Zwischendurch sollte der Rechner sie auch jede Minute über die noch bis zu dem vorher genannten Zeitpunkt verbleibende Zeit informieren. Das hatte IDUSA auch getan und so hatte Zirell in aller Ruhe ihre Uniform anlegen können, bevor sie ihr Quartier ebenfalls laut singend und mit sehr guter Laune im Gepäck verließ.

Joran war von seiner Erledigung zurückgekehrt und auf dem Weg Zirell begegnet, die er fast über den Haufen gerannt hätte. „Hoppla!“, rief die leicht perplexe Tindaranerin aus. „Wo bist du denn heute mit deinen Gedanken, Joran? Hättest mich ja fast übersehen. Ich weiß, dass ich sehr klein bin und du aufpassen musst, in meiner Nähe nicht zu tief Luft zu holen, weil ich sonst Gefahr liefe, in deiner Lunge zu verschwinden, aber ich dachte, du würdest wenigstens ein bisschen Rücksicht nehmen!“ Sie grinste ihn an. „Das mit meinen Gedanken solltest du mir doch am ehesten beantworten können, Telepathin.“, scherzte Joran zurück. „Aber musst du mir immer meine Witze kaputtmachen? Das mit dem Einatmen wollte ich nämlich gerade erwidern.“ „Oh entschuldige!“, sagte Zirell übertrieben laut und langsam. „Ich kann ja bei der Zusammenkunft anfragen, ob sie uns die Genehmigung für eine kleine Zeitreise geben, damit du zurückreisen und deinen Witz doch noch anbringen kannst, indem du verhinderst, dass ich den Satz mit dem Einatmen sage.“ „Ich bezweifele sehr stark.“, begann der Vendar ernst. „Dass die Zusammenkunft die Veränderung der Geschichte aus solchen Gründen erlauben würde. Das Risiko ist viel zu hoch, dass …“ „Oh bei allen Göttern, Joran!“, sagte Zirell beschwichtigend. „Ganz ruhig. Denkst du wirklich, das wüsste ich nicht auch? Das war nur ein Scherz! Ich hatte das keineswegs wirklich vor. Oh nein. Was ist denn auf einmal mit dir los?“ „Bitte verzeih, dass ich meinen Posten verlassen habe, Anführerin.“, sagte Joran geknickt. „Aber ich hatte ein Bedürfnis und …“ „Na, das wird ja wohl erlaubt sein!“, sagte Zirell fest, aber beruhigend zugleich. „Wenn ich das nicht erlauben würde, dann hätten wir eins, zwei, drei hier hygienisch sehr fragwürdige Zustände und das kann, glaube ich, kein Kommandant tolerieren. Von den gesundheitlichen Folgen ganz zu schweigen. Aber darüber sollte ich noch einmal mit Ishan reden. Der weiß da glaube ich am besten Bescheid. Und? Lief denn alles glatt, leicht und geschmeidig zu deiner Zufriedenheit?“

Joran wich, was sonst eigentlich gar nicht seine Art war, einige Schritte rückwärts, schaute sie an und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Dann nahm er sie vor den Mund, als würde er sich schämen. Auch sein Gesichtsausdruck sprach Bände. „Aber Anführerin!“, sagte der völlig verwirrt scheinende Vendar und sein Gesichtsausdruck änderte sich von verschämt zu entsetzt. Dann sagte er langsam und etwas lauter: „Ich könnte mir vorstellen, dass Ishan so etwas genauer wissen will, um meinen Gesundheitszustand zu beurteilen. Aber du?!“ „Ishan?“, fragte Zirell und jetzt war sie diejenige, die irritiert war. „Was weiß denn Ishan über die … Oh ihr Götter! Nein!!!“

Ihr wurde bewusst, zu was für einer Art von Missverständnis ihre eigene Frage geführt hatte. Hätte sie diese nicht im gleichen Atemzug mit ihrer Antwort auf Jorans Entschuldigung gestellt, wäre es bestimmt nicht dazu gekommen. Aber für hätte und wäre war es jetzt eindeutig zu spät.

Sie verfiel in einen fürchterlichen Lachanfall, der sie ihres Gleichgewichts beraubte. Joran, der das gesehen hatte, fing sie auf und hob sie hoch. Das war für ihn ohne Mühe möglich, da ein Vendar durchschnittlich die Stärke von fünf menschlichen Männern besitzt. Jorans Trainingsstand begünstigte es noch dazu. Er musste im Gegenteil eher aufpassen, dass er das zarte kleine schlanke etwas da auf seinem Arm nicht zerdrückte, wie er selbst fand. Von ihrem Lachanfall angesteckt musste er aber selbst auch lachen und ließ ein donnerndes Gelächter los. Dabei hatte er Zirell so gehalten, dass ihr rechtes Ohr an seinem Brustkorb lag, was ihr ermöglichte, das tiefe wohlig donnernde Lachen dort zu hören, wo es entstand. Das empfand sie als sehr angenehm und entspannend. Das mochte vielleicht auch daran liegen, dass die Tindaraner kristallinen Ursprungs sind und somit sehr positiv auf akustische Schwingungen reagieren.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich beide wieder von dem Lachanfall erholt hatten. „Bitte lass mich runter, Joran.“, bat Zirell schließlich leicht außer Atem. Der Vendar nickte und stellte sie vorsichtig wieder vor sich auf dem Boden ab. „Ach, das war wunderschön!“, sagte Zirell und warf ihm einen genießerischen Blick zu. „Freut mich, dass ich dir Freude bereiten konnte, Anführerin.“, sagte Joran ebenfalls leicht kurzatmig. So ein Lachanfall gehörte offensichtlich zu den wenigen Dingen, die in der Lage waren, auch einen gestandenen Vendar fertigzumachen. „Aber was hast du denn genau gemeint, Anführerin?“, fragte Joran. „Die Nachtschicht.“, sagte Zirell fast tröstend. „Ich meinte die Nachtschicht.“ „Ach die!“, sagte Joran erleichtert. „Und ich dachte schon.“ „Ja, ja.“, sagte Zirell. „Mir ist schon klar, was du dachtest. Dazu musste ich noch nicht einmal mit dir telepathischen Kontakt aufnehmen. Durch meinen kleinen Fehler war es ja wohl zu offensichtlich.“ „In der Tat.“, antwortete Joran, der hier wieder einmal mehr eine Gelegenheit hatte, seinen Lieblingsspruch anzubringen.

„IDUSA hat gemeldet.“, sagte Joran. „Dass sich Shannon O’Riley gegen Mitternacht auf der Krankenstation gemeldet hat, weil sie sich den Magen verdorben hatte. Ishan hat sie aber jetzt schon wieder dienstfähig geschrieben. Waren wohl nur ein paar Pralinen zu viel, wenn du IDUSA fragst. Aber sonst ist wohl nichts passiert. Zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, an dem ich meinen Posten verlassen musste. Alles andere wirst du wohl IDUSA fragen müssen.“ „Also schön.“, sagte Zirell. „Aber Shannon nascht nachts Pralinen? Den Grund dafür muss sie mir unbedingt erzählen. Vor allem würde mich interessieren, warum sie sich dann so vollfuttert, dass es ihr schlecht wird. Sie ist doch kein kleines Kind mehr, das bei Süßigkeiten keinen Stopp kennt.“ „Das finde ich auch merkwürdig, Anführerin.“, sagte Joran. „Aber Shannon ist von Zeit zu Zeit schon etwas merkwürdig, findest du nicht?“ „Na.“, sagte Zirell. „Ich denke, das Gleiche denkt sie über dich.“ „Dann sind wir ja quitt.“, sagte Joran. „Wow!“, staunte Zirell. „Du fängst ja langsam tatsächlich an, die englische Umgangssprache zu benutzen und das auch noch ohne Fehler.“ „Ich bemühe mich, Anführerin.“, sagte Joran. „Aber ohne IDUSA, als meine wackere Kampfgefährtin im Krieg der Worte, hätte ich so manche Schlacht bestimmt schon haushoch verloren.“ „Oh!“, rief Zirell aus. „Sieh an! Da ist es ja wieder!“ „Da ist was wieder.“, fragte Joran. „Joranisch!“, entgegnete die tindaranische Kommandantin. „Deine typische Sprechweise, die wohl auf die Struktur deiner Muttersprache zurückzuführen ist und die zu so viel schönen humorigen Situationen führen kann. Gewöhn dir das bloß nicht ab! Das ist ein Befehl!“ Joran nickte folgsam. „Wer hat eigentlich den Begriff Joranisch erfunden?“, fragte er. „Ich meine, es muss jemand gewesen sein, der sich ziemlich über meine kleinen sprachlichen Unzulänglichkeiten amüsiert. Da fällt mir nur Shannon O’Riley ein.“ „Genau die war es auch.“, sagte Zirell. „Oh, Joran! Ich glaube, bei deinem ermittlerischen Talent muss sich Maron bald warm anziehen, wenn er seinen Job noch behalten will.“ „Das wäre bei den hier herrschenden Umweltbedingungen nicht sehr weise.“, sagte Joran. „Er könnte ganz schön ungesund ins Schwitzen kommen.“ „Oh, Joran.“, sagte Zirell mit sehr viel Mitleid in der Stimme. „Das ist nur ein geflügeltes Wort. Es bedeutet …“ „Ich weiß!“, grinste der Vendar und hob sie erneut hoch in die Luft. „Reingefallen!“ Dann setzte er sie wieder ab.

Zirell lachte. „So.“, sagte sie dann. „Und nun komm, du Witzbold. Sonst kommen wir beide noch zu spät! „Wie du wünschst, Anführerin.“, sagte Joran und ging hinter ihr her weiter den Flur entlang in Richtung Kommandozentrale.

Dort angekommen sah Zirell Maron überrascht an, der grinsend zu ihr zurückschaute. „Na, Zirell.“, lächelte der erste Offizier. „Auch schon da?“ „Das Gleiche könnte ich dich fragen.“, sagte Zirell. „Soweit ich mich erinnere, warst du ja noch nie vor mir hier. Du bist allenfalls mit mir eingetroffen. Aber ich bin positiv überrascht!“ „Tja.“, sagte der Demetaner und lächelte sie schelmisch an. „Ich hatte immer schon den Tag herbeigesehnt, an dem es mir gelingen würde, einmal zuerst am Arbeitsplatz zu sein.“

„Das ist dir leider nicht ganz gelungen, Agent Maron.“, mischte sich Joran ins Gespräch. „Genau genommen war ich schon hier.“ „Du zählst nicht.“, sagte Maron. „Du hattest die Nachtschicht.“

Zirell und Maron hatten sich auf ihre Plätze gesetzt und ihre Neurokoppler herausgeholt und angeschlossen. IDUSA, die dies sofort registriert hatte, begrüßte beide mit den Worten: „Guten Morgen, Commander, guten Morgen, Agent. Commander Zirell, ich muss Sie leider darauf aufmerksam machen, dass Sie heute Morgen Ihr Frühstück gänzlich versäumt haben. Soll ich es Ihnen replizieren?“ „Ja. Das wäre ganz gut, IDUSA.“, sagte Zirell, die jetzt auch langsam gemerkt hatte, dass ihr der Magen knurrte. Vorher war ihr dies aus verständlichen Gründen entgangen.

Die tindaranische Kommandantin sah zum Auswurffach des Replikators in der Kommandozentrale herüber, das ihr der Rechner ausgeleuchtet hatte. Hier waren jetzt eine Kanne mit schwarzem Tee von der Erde auf einem Stövchen und ein Müsli mit Kuhmilch in einer Schale zum Vorschein gekommen. „Du hast deine Gewohnheiten geändert.“, stellte der erste Offizier fest, der sonst, wenn sie gemeinsam im Aufenthaltsraum der Station gefrühstückt hatten und nicht jeder im eigenen Quartier, oft neben ihr gesessen und ihre Gewohnheiten genau gesehen und im Kopf notiert hatte. Offensichtlich konnte er nicht anders. Er war eben Geheimdienstler. „Na ja.“, erwiderte Zirell. „Öfter einmal was Neues.“

Sie tauchte den Löffel in ihr Essen und ließ es sich schmecken. Dann sah sie Maron verschmitzt an und sagte, nachdem sie ihrem Mund geleert hatte: „OK, Maron. Wenn du schon so früh hier warst, dann weißt du doch sicher schon viel mehr. Joran hat mich auf eine Lücke in seinem Dienst angesprochen, über die IDUSA Bescheid wissen soll. Ich nehme an, sie hat dir schon berichtet.“ „Das hat sie, Zirell.“, sagte Maron. „Aber es ist nicht viel Nennenswertes passiert. O’Riley hat sich nur an Pralinen überfressen. Bitte entschuldige. Aber ansonsten war alles ruhig. Ach nein, Sianach ist sicher, dass bald die Welt untergehen wird.“ „Ach, schon wieder.“, sagte Zirell mit fast etwas gelangweiltem Blick. „Das sollte doch schon öfter einmal passieren und wir haben es doch immer erfolgreich zu verhindern gewusst. Was hat sie denn jetzt für ein Problem?“ „Sie war total aufgelöst, als sie mit mir gesprochen hat.“, sagte Maron. „Ich habe versucht, sie zu beruhigen, aber ich bin nicht sicher, ob mir das gelungen ist. Sie hat verdammt schnell die Verbindung beendet. Ich glaube, dass ihr irgendwas an meiner Antwort nicht gefallen hat.“ „Was hat sie dir denn gesagt?“, fragte Zirell. „Und vor allem, was hast du gesagt?“ „Sie hat sehr schnell das Thema gewechselt.“, sagte Maron. „Ich hatte den Eindruck, sie wollte mir alles auf einmal erzählen. Sie hat gesagt, Dass ihr Mann Diran zum Verräter wider Willen werden könnte und dass sie uns bittet, ihn aufzuhalten.“ „Diran?“, fragte Zirell verwundert. „Dient er nicht Tolea aus dem Raum-Zeit-Kontinuum?“ „Das stimmt.“, bestätigte der demetanische Agent. „Sianach sagt, ihr Mann hätte mit allen befreundeten Vendar Kontakt aufgenommen, um ihnen zu sagen, dass seine Gebieterin eine Vision vom Ende aller Dimensionen gehabt habe. Sie hätte ihm befohlen, dies jedem, der von seiner Art sei, mitzuteilen. Dabei stand er unter einem Bann, den sie noch nicht aufgehoben habe. Außerdem sprach sie von entzweiten Einhörnern. Darauf konnten wir aber nicht mehr eingehen. Sie meint, es könnte doch tatsächlich ein Spion von Sytania in der Nähe gewesen sein, als Tolea den Bann über Diran aussprach und der könnte das jetzt ausnutzen. Ich habe aber versucht, sie zu beruhigen.“

Joran war ruckartig aufgestanden und hatte ein wütendes Gesicht gemacht. Dann hatte er laut geflucht: „Kelbesh!“ „Na. Na!“, wies ihn Zirell zurecht. „Was ist denn so schlimm, dass du schon am frühen Morgen so fluchen musst?“ „Bitte lass uns in deinen Bereitschaftsraum gehen, Anführerin.“, bat der Vendar. „Es fällt mir nämlich gerade verdammt schwer, in Anwesenheit deines ersten Offiziers, der offensichtlich wieder einmal einen Fehler gemacht hat, an mich zu halten.“ „Na gut.“, sagte Zirell. „Dann komm mit.“

Sie nahm ihn bei der Hand und führte ihn aus dem Raum nur eine Tür weiter. Hier setzten sich beide auf die schon bekannten tindaranischen Sitzkissen um ihren Schreibtisch. „So.“, sagte Zirell. „was genau ist jetzt dein Problem und was weißt du über diese Sache mit dem Bann?“ „Du weißt.“, sagte der Vendar. „Dass ein Mächtiger, wenn er das Wort Tshê gegenüber uns Vendar im Zusammenhang mit einem Befehl benutzt, er uns zwingt, diesen wörtlich auszuführen. Wir können dann nicht anders, egal was passiert. Es ist in etwa wie eine Hypnose. Tolea wird sich sicher gefühlt haben, als sie den Bann über Diran verhängte, aber das muss nicht unbedingt heißen, dass sie es auch war. Sie mag zwar telepathisch nichts gespürt haben, aber wenn Sytanias Vendar Technologie genutzt haben, um sie auszuspionieren, dann kann sie das auch nicht. Ich halte Telzan für schlau genug, dass er genauso vorgegangen ist. Falls Sytania etwas Neues geplant hat, halte ich für möglich, dass sie und Telzan Tolea als Gegnerin auf der Rechnung hatten und sehen wollten, was sie vorhat, um sie gegebenenfalls ausschalten zu können. Maron El Demeta hätte diese Fakten nicht so einfach ignorieren dürfen. Er hätte nicht leichtfertig versuchen dürfen, Sianach zu beruhigen. Es ist meiner Meinung nach also kein Wunder, wenn sie nicht mehr mit uns reden will, weil sie sich unverstanden fühlt. Er hätte zuerst mit mir reden müssen! Ich kenne Sytania! Ich habe ihr schließlich 90 Jahre lang gedient!“ „Du denkst also.“, vergewisserte sich Zirell. „Dass all das stimmen könnte, was uns Sianach erzählt hat?“ „In der Tat!“, sagte der Vendar ernst und sah sie fest an. „Dann sollten wir noch einmal mit ihr reden.“, schlug die Tindaranerin vor, um die Wogen zwischen sich und der Anführerin der Vendar auf New-Vendar-Prime wieder zu glätten. „Vielleicht lässt sich ja noch was retten, wenn sie sieht, dass du bei mir bist und Maron nicht. Wenn du mir etwas bestätigst, dann glaube ich das auch. Schließlich bist du der Experte für Sytania schlechthin. Ich würde auch gern wissen, was es mit den entzweiten Einhörnern auf sich hat.“ „In Ordnung, Anführerin.“, sagte Joran.

Zirell wandte sich IDUSA zu. Sie hatte ihren Neurokoppler mitgenommen und ihn jetzt ebenfalls an einen Port an der Konsole auf ihrem Schreibtisch angeschlossen. Auch Joran hatte es ihr gleichgetan. Darauf hatte IDUSA ihre Reaktionstabellen sofort umgeladen. „IDUSA, verbinde Joran und mich mit Sianachs Rufzeichen in ihrer Garnison auf New-Vendar-Prime!“, befahl Zirell. „Sofort, Commander.“, gab der Rechner sachlich und nüchtern wie immer zurück. „Hoffentlich lässt sie noch mit sich reden.“, sagte Zirell und seufzte schwer, während sie und Joran auf den Aufbau der Verbindung warteten.

Kapitel 8: Beruhigende Weichenstellung

von Visitor

 

Shimar hatte sich ebenfalls auf den Weg von seinem Quartier zur Kommandozentrale gemacht, um dort seine Befehle für die anstehende Patrouille entgegenzunehmen. Er war sehr verdattert, dort auf einen einsamen und ziemlich geknickt dreinschauenden Maron zu treffen. „Oh Backe!“, rief der junge Patrouillenflieger beim Anblick des Demetaners aus. „Was ist dir denn passiert und wo sind die anderen?“ „Ich glaube, mir ist schon wieder ein Fehler passiert.“, sagte der erste Offizier und schlug traurig die Augen nieder. „Aber das ist ja bei mir nichts Neues. Das Schlimmste ist, dass es mir selbst ja gerade klar geworden ist. Ich hätte auf alle Eventualitäten gefasst sein müssen.“ „Du sprichst in Rätseln.“, sagte Shimar und setzte sich provokativ auf Zirells Platz genau neben Maron. So etwas hätte sich bestimmt früher kein Untergebener getraut, aber Shimar wusste, das er schon ziemlich harte Geschütze auffahren musste, um Maron zum Reden zu bringen. Er wusste, dass er mit diesem Problem, was immer es auch für eines war, sicher nicht allein zurechtkommen würde, dies aber nicht gern zugab. Für Shimar jedoch würde Maron auch dann, oder vielleicht gerade dann, eine Respektsperson bleiben, wenn er einmal zugab, mit etwas allein überfordert zu sein und die Hilfe eines Kameraden zu benötigen. Dafür waren sie ja schließlich Kameraden. Für Shimar musste ein Vorgesetzter also kein Gott in Uniform sein. Man war ja schließlich auch nicht mehr im Reich der wilden Tiere, sondern in dem von Wesen mit Intelligenz und Verstand. Der junge Tindaraner war nur der Meinung, dies seinem Vorgesetzten noch nicht eindringlich genug beigebracht zu haben. Das hatte er mir oft genug heimlich still und leise übermittelt. Sei es nun telepathisch oder per SITCH-Mail. Ich hatte dann immer grinsen müssen und zurückgeschrieben, dass mein Commander es ja nicht anders handhaben würde. Für Kissara war das Annehmen von Hilfe kein Zeichen von Schwäche und in Situationen, in denen es um Expertisen ging, schon gar nicht. Sie hielt es dabei mit der Weisheit: „Eine kluge Führerin weiß, wann sie Hilfe braucht.“

Maron hatte Shimar verwirrt angesehen. „Dir ist schon klar, wo du sitzt?“, fragte er. „Und dir ist schon klar, dass ich hier nicht weggehen werde, bevor du nicht geredet hast?“, fragte Shimar breit grinsend und provokativ zurück. „Dazu würde ich dir auf jeden Fall raten! Sonst gehe ich in deinen Kopf und hole mir da die Information! Ich glaube kaum, dass du das als sehr angenehm empfinden würdest, wenn ich deinen Geist auf links drehe!“ „Die Drohung wirkt bei mir nicht.“, sagte Maron. „Ich weiß zu gut, dass ihr Tindaraner das nie tun würdet, ohne vorher das Einverständnis des anderen einzuholen.“ „Oh im Notfall schon.“, sagte Shimar. „Dann nämlich, wenn wir sehen, dass es ihn von innen auffrisst.“

Jetzt geschah etwas, das dem blitzartigen Entweichen von Luft aus einem angestochenen Reifen nicht ganz unähnlich war. Shimar musste bei Maron genau das richtige Ventil geöffnet haben. Jedenfalls schaute der Demetaner ihn plötzlich verzweifelt an und stieß hervor: „Hast du schon einmal einen diplomatischen Zwischenfall provoziert?!“ „Nicht, dass ich wüsste.“, sagte Shimar. „Für so was war in den Situationen, die ich bisher erlebt habe, immer Ginalla zuständig. Aber lassen wir das. Wie kann denn so was einem diplomatisch geschulten Sternenflottenoffizier wie dir passieren, he?“ „Indem dieser Offizier sich vom Alltagstrott blenden lässt!“, sagte Maron. „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“, sagte Shimar. „Es würde zu lange dauern, es dir zu erzählen.“, sagte Maron. „Ist das etwa eine Einladung in deinen Kopf?“, fragte der tindaranische Telepath. Maron nickte erschöpft. „Also gut.“, sagte Shimar und begann damit, eine geistige Verbindung zu seinem Vorgesetzten aufzubauen. Jetzt sah er das ganze Malheur.

„Du liebes bisschen!“, rief er aus, nachdem er wieder von Maron abgelassen hatte. „Aber du hättest, gerade als ausgebildeter Spionageoffizier, doch wissen müssen, dass zumindest die Wahrscheinlichkeit besteht, dass Tolea und Diran ausspioniert worden sind und Sytanias Vendar bereits mit einer Falle auf den armen Diran warten könnten. Ich meine, hier sitzt der Einzige, der das klären könnte. Lass IDUSA und mich doch einfach die interdimensionale Schicht nach Spuren von Sensorenstrahlung absuchen, die darauf hindeuten könnten. Erst dann können wir tatsächlich sagen, ob alles in Ordnung ist, oder ob nicht. Aus eurem Gespräch ging ja leider nicht der genaue Wortlaut von Toleas Befehl hervor. Den zu kennen, könnte uns unter Umständen noch helfen. Aber vielleicht kann sie ihn uns ja sagen.“

Er steckte seinen mitgebrachten Neurokoppler an einen Port an der Konsole vor sich an und wartete bis IDUSA seine Tabelle geladen hatte. Dann sagte er: „IDUSA, verbinde mich mit Sianach!“ „Bedaure, Shimar.“, gab der Rechner zurück, nachdem sie einen vergeblichen Versuch gestartet hatte, die von Shimar gewünschte Verbindung aufzubauen. „Das geht leider nicht. Laut ihrem Sprechgerät kann der Ruf nicht angenommen werden, da sie gerade selbst spricht. Das zweite Rufzeichen ist sogar hier auf der Station. Es ist die Arbeitskonsole in Zirells Bereitschaftsraum.“ „Na, dann ist ja gut.“, atmete Maron auf. „Sicher versucht Zirell gerade bei ihr auszubügeln, was ich verbockt habe.“ „Das kann ich mir gut vorstellen.“, antwortete Shimar.

Er verließ den Platz. „Was hast du vor?“, fragte Maron mit leichter Irritation ob seines Verhaltens. „Ich halte mein Versprechen.“, sagte Shimar und stellte sich wieder abwartend neben den Stuhl des ersten Offiziers. „Was für ein Versprechen?“, fragte Maron. „Das Versprechen, dass ich Zirells Platz nur dann räumen würde, wenn du reden würdest.“, antwortete mein Freund. „Das hast du zwar nicht ganz freiwillig getan. Ich musste etwas nachhelfen. Aber immerhin.“ „Das ist wohl richtig.“, gab der demetanische Agent zu. „Aber ich bin froh, dass du es getan hast. Sonst säßen wir wohl jetzt noch so hier.“ „Schätze ich auch.“, sagte Shimar. „Warum wolltest du eigentlich nicht darüber reden?“ „Das weiß ich selbst nicht.“, sagte Maron. „Ich schätze, dass ich mir einfach keine Blöße geben wollte vor dir, der du ja eigentlich mein Untergebener bist.“ „Aber ein sehr hilfreicher!“, sagte Shimar fest. „Ohne mich hätte dein Problem dich sicher jetzt total gelähmt und du wärst nicht mehr dienstfähig gewesen, wie ich das einschätze. Ich sage auch niemandem etwas. Das eben bleibt unter uns.“ „OK.“, sagte Maron. Dann gaben er und Shimar sich die Hand drauf.

Zirell und Joran war es tatsächlich gelungen, Kontakt zu Sianach zu bekommen. Sie war zwar überrascht, so schnell schon wieder von der Besatzung der tindaranischen Basis zu hören, dennoch hörte sie sich geduldig Zirells Entschuldigung an: „Es tut mir leid, Sianach, dass mein erster Offizier dich so abgespeist hat. Ich weiß, dass du von ihm, als einem ausgebildeten Agenten, eigentlich mehr erwartet hättest. Aber manchmal sieht er den Wald vor lauter Bäumen nicht.“ „Na ja.“, scherzte die Vendar zurück. „Vielleicht hatten wir einfach schon zu lange Frieden.“ „Ich habe mich doch wohl verhört!“, sagte Zirell. „Hast du nicht.“, sagte Sianach. „Aber es war beileibe nicht so ernst gemeint, wie es vielleicht für dich geklungen haben mag.“ „Sag doch gleich, dass du einen Witz gemacht hast.“, sagte die tindaranische Kommandantin, der man ihre Anspannung sehr gut anmerken konnte, auch dann, wenn man selbst kein Telepath war.

Zirell und Joran sahen, wie sich Sianach in ihrem Stuhl zurücklehnte. Dann fragte sie: „Warum genau wolltet ihr denn jetzt noch einmal mit mir sprechen?“, fragte sie. „Ich möchte mehr über die Sache mit dem Bann erfahren.“, sagte Zirell. „Aber das könnte dir doch Joran sicher viel besser erklären als ich.“, gab eine sehr verwunderte Sianach zurück. „Ich möchte es aber von dir erfahren.“, sagte Zirell mit sehr mildem Tonfall. „Sieh es doch einfach als eine Form der Abbitte meinerseits, weil Maron dich so enttäuscht hat.“ „Das hat Maron El Demeta in der Tat.“, sagte die Vendar und legte nachdenklich den Kopf schief. „Aber ich will gern versuchen, dir alle Fragen zu beantworten. Was willst du wissen?“

Zirell ließ eine Weile verstreichen, in der sie nachdachte. Sie wollte auf keinen Fall etwas vergessen. Es wäre ihr zu peinlich gewesen, Sianach noch einmal stören zu müssen, nur weil ihr noch etwas eingefallen war. Dann aber räusperte sie sich, zog ein Pad, das sie schreibbereit machte und sagte dann: „Zuerst möchte ich wissen, wie du überhaupt darauf gekommen bist, dass dein Mann unter dem Bann stehen könnte. Ich meine, hat er es dir gesagt, oder woher weißt du davon?“ „Ein Vendar sieht, wenn ein anderer unter dem Bann steht.“, entgegnete Sianach. „Es war sein Blick. Hast du schon einmal jemanden gesehen, der unter Hypnose stand, Anführerin Zirell?“

Der älteren Tindaranerin lief es eiskalt den Rücken herunter. Sianachs Frage hatte sie an jene Momente erinnert, in denen sie Sytanias armen Opfern ansichtig geworden war. „Das habe ich allerdings, Sianach.“, sagte Zirell mit angeekeltem Unterton und trug das Stichwort hypnoseähnlich in ihr Pad ein. „Dann weißt du ja sicher, wie so etwas aussieht.“, setzte Sianach aufgrund der neuen Informationen voraus. „Das stimmt.“, sagte Zirell. „Ansonsten hätte ich mit Ishan darüber geredet. Er hat sicher genug Daten zu dem Thema.“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Sianach. „Du weißt ja, dass ich ihn länger und besser kenne als ihr alle.“ Zirell nickte und fuhr dann fort: „Also, Sianach. Du hast es also in seinen Augen gesehen. Aber ist es wirklich so, dass er da gar nichts machen kann? Ich meine, Warum sollte Tolea ein solches Risiko eingehen? Sie wird sich doch wohl denken können, dass das auch schiefgehen kann.“ „Ich denke.“, sagte Sianach. „Dass sie unter Umständen sehr fertig war von der Vision, die sie gehabt hat. Ich meine, immerhin hat sie das Ende aller Welten gesehen, Anführerin Zirell.“ „Ich könnte mir schon vorstellen.“, sagte Zirell etwas flapsig, um Sianach aufzuheitern. „Dass so eine Aussicht auch eine gestandene Mächtige aus den Socken hauen kann. Wie sicher bist du übrigens, dass Diran tatsächlich gezwungen ist, es jedem Vendar zu erzählen, dem er begegnet? Es wäre gut, wenn du den genauen Wortlaut des Banns kennen würdest. Dann könnten wir uns unter Umständen überlegen, wie wir Diran helfen können.“ „Den genauen Wortlaut des Banns kenne ich leider nicht, Anführerin Zirell.“, gab Sianach zu. „Diran hat ja nur gesagt, dass ihm Tolea befohlen hätte, es jedem, der von seiner Art ist, zu sagen.“ „Ups!“, machte Zirell und schaute mitfühlend. „Das ändert die Situation. „Wenn er es wirklich jedem Vendar, dem er begegnet, auf die Nase binden muss, birgt das tatsächlich ein gewisses Risiko. Pass auf, Sianach! Wir werden folgendes vereinbaren: Ich schicke Shimar mit seinem Schiff in die interdimensionale Schicht. Dort wird er nach Sensorenstrahlung suchen, die darauf hinweisen könnte, dass das Raum-Zeit-Kontinuum auf technologischem Wege von Sytanias Vendar ausspioniert worden ist. Falls er etwas findet, werden wir beratschlagen, was getan werden kann und muss. Gibt es irgendeine Möglichkeit, den Bann von ihm zu nehmen?“ „Das weiß ich nicht genau.“, sagte Sianach. „Aber ich bin sicher, wenn es eine gibt, dann findet ihr sie. Ich vertraue dir und deinen Leuten, Zirell El Tindara.“ Sie beendete die Verbindung mit erleichtertem Gesicht.

Zirell hatte aufgeatmet und sich Joran zugewandt. „Was weißt du über diese Sache mit dem Bannwort, was sie nicht wissen könnte?“, fragte sie den Vendar, von dem sie sich in dieser Situation einen Durchbruch an Informationen erhoffte. Sie hatte zwar gegenüber Sianach versucht, souverän zu wirken, aber in Wahrheit hatte sie keine Ahnung, was sie hätten tun sollen. Sicher ging ihr die Möglichkeit durch den Kopf, Diran aufzugreifen und ihn solange in der Sicherheitszelle zu halten, bis Tolea eingetroffen sei, um den Bann von ihm zu nehmen und zu sehen, was sie angerichtet hatte, Aber wenn sie darüber nachdachte, dass sie Diran damit vielleicht sehr großes Leid zufügen könnte, verwarf sie diesen Gedanken gleich wieder. Wenn Sianach mit ihrer Vermutung Recht haben sollte, war es für derartige Maßnahmen sicher ohnehin zu spät.

Joran hatte sich am Kopf gekratzt und damit signalisiert, dass er stark nachdachte. Auf gar keinen Fall wollte er seine Anführerin enttäuschen, wusste aber auch, dass er sie nicht belügen durfte. „Im Prinzip.“, sagte er. „Kann ich nur bestätigen, was dir Sianach gesagt hat, Zirell El Tindara.“, sagte der Vendar. „Was würde geschehen, wenn wir Diran gefangen nehmen würden?“, fragte Zirell. „Ich meine, es gäbe ja einen Vendar, mit dem er über alles sprechen könnte.“ „Sicher nicht nur einen.“, sagte Joran. „Wenn sich meine Leute von New-Vendar-Prime mit mir abwechseln würden, könnte das Verlangen, den Befehl seiner Herrin unbedingt auszuführen, sogar fürs Erste bei Diran befriedigt werden. Wenn wir dann parallel nach Tolea suchen und ihr aufzeigen, was sie angerichtet hat, können wir Diran vielleicht sogar helfen. Aber ich befürchte, dass es dafür bereits zu spät sein könnte, Anführerin. Du kennst Telzan. Du weißt, wie durchtrieben und wachsam er ist und dass er jede Gelegenheit nutzen wird, um zu verhindern, dass wir seine und Sytanias Pläne stören. Mit wir meine ich wir alle. Wir alle, die wir schon des Öfteren erfolgreich zusammengearbeitet haben, um ebendies zu tun. Dazu gehören auch Tolea und Kairon.“ „Da bringst du mich auf etwas.“, sagte Zirell. „Denkst du, dass Kairon von Toleas Missgeschick weiß?“ „Ich weiß es nicht, Anführerin.“, sagte Joran. „Aber was würde uns das bringen?“ „Falls wir Diran tatsächlich habhaft würden und noch nichts passiert sei.“, spekulierte Zirell. „Könnte er doch mit Sicherheit den Bann aufheben, oder? Ich meine, für den Fall, dass Tolea sich uneinsichtig zeigen sollte und nicht merkt, was sie für einen Fehler gemacht hat.“ „Das halte ich nur dann für möglich.“, sagte Joran. „Wenn er stärker ist als seine Schwester. „Wenn er schwächer oder gleichstark ist, geht das nicht. Auch ein einzelner Tindaraner könnte das nicht, weil ihr mental schwächer seid.“ „Verstehe.“, sagte Zirell. „Aber über all diese Planspiele können wir uns Gedanken machen, wenn es so weit ist. Ich werde Shimar auf jeden Fall erst einmal losschicken.“ „In Ordnung.“, sagte Joran und ging mit ihr aus dem Raum in die Kommandozentrale zurück.

Sie wurden dort bereits von Shimar und Maron erwartet. Der junge Patrouillenflieger sah seine Vorgesetzte auffordernd an. „Gut, dass du da bist, Shimar.“, sagte Zirell. „Ich habe nämlich einen Spezialauftrag für dich. Flieg mit IDUSA in die interdimensionale Schicht und finde heraus, ob es dort Reste von Sensorenstrahlung gibt, die auf Spionageaktivitäten von Sytanias Vendar hinweisen könnten. Jenna wird IDUSA bereits für dich warten.“

Der pflichtbewusste Pilot ließ erleichtert die Luft aus seinen Lungen entweichen. Dann sagte er: „Genau auf diesen Befehl hatte ich gehofft, Zirell.“ „Was soll das bedeuten?“, fragte die ältere Tindaranerin etwas unwirsch. „Weißt du etwa schon Bescheid?“ „Ich habe da was läuten hören.“, sagte Shimar, dem jetzt erst bewusst wurde, dass er durch seine Äußerung unter Umständen Maron sehr kompromittiert haben könnte.

Das, was jetzt aber geschah, hätte Shimar wohl selbst nie für möglich gehalten. „Ich habe mit ihm über meinen Fehler gesprochen, Zirell.“, sagte der erste Offizier und unternahm damit eine Flucht nach vorn. „Ich weiß, so etwas ist bestimmt nicht üblich, aber ich denke, Shimar wird das nicht ausnutzen und demnächst hier eine Meuterei vom Zaun brechen.“ „Und ich hatte die leise Hoffnung, dir gezeigt zu haben, wie ich über diesen Umstand denke.“, sagte Shimar, schaute zuerst dramatisch übertrieben enttäuscht wie ein Theaterschauspieler und grinste dann umso breiter. „Wie bitte habe ich denn das zu verstehen.“, fragte Zirell. „Genauso, wie er es gesagt hat.“, sagte Maron, um für Shimar in die Bresche zu springen. „Er war in meinem Kopf und hat sich dort das ganze Ausmaß der Katastrophe angesehen, das ich fabriziert habe.“ „OK.“, sagte Zirell und schaute ihn teils ernst, teils aufmunternd an. „Dann hoffe ich, dass die Sache nicht noch für dich zum Bumerang wird.“, sagte Zirell. „Na, darauf warte ich offen gestanden schon.“, sagte Maron. „Bisher ist es ja immer so gelaufen.“

„Na, zum Glück hast du ja mich.“, sagte Shimar und schob sich auch körperlich in den Vordergrund, indem er einen großen Schritt nach vorn tat. „Ich denke, IDUSA und ich werden die Folgen für dich schon klein halten.“ „Na dann leg los, du Held.“, sagte Maron scherzend. „Darauf kannst du dich verlassen.“, sagte Shimar und warf Zirell noch einen fragenden Blick zu. „Du kannst gehen.“, sagte die tindaranische Kommandantin freundlich. „OK.“, gab Shimar zurück und war lockeren Schrittes und mit schwingenden Armen aus der Tür.

Maron, Zirell und Joran waren jetzt wieder miteinander allein. „Was habt ihr gemacht?“, wollte Zirell jetzt von ihrem ersten Offizier genau wissen. „Er hat das ganze Gespräch zwischen Sianach und mir in meinem Geist nachgelesen.“, sagte Maron. „Ich hatte ihn dazu eingeladen, weil selbst mir klar geworden ist, dass ich vielleicht zu voreilig mit meiner Beruhigung für Sianach war. Ich habe mich dafür so geschämt, dass ich es nicht über meine Lippen bringen konnte. Also musste er …“ „Schon klar.“, sagte Zirell. „Aber das ist ja schon einmal ein riesiger Fortschritt. Wenn ich bedenke, dass dir am Anfang deine kleinen Patzer noch nicht einmal bewusst waren, dann …“ „Na ja.“, sagte Maron. „Mit einem hat Sytania wohl Recht. Ich bin eben ein Pannemann, wie er im Buche steht. Mir wurde zugetragen, dass ihre Vendar in dieser Weise über mich lästern sollen.“

Joran stellte sich in die Mitte des Raums, so dass Zirell und Maron ihn gut sehen konnten. Dann sagte er: „Das halte ich durchaus für möglich, Agent Maron. Aber du solltest dir das nicht so zu Herzen nehmen, sonst wird es irgendwann zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung.“ „Ich werde deinen Ratschlag beherzigen, Joran.“, sagte Maron. „Das wäre sicher sehr weise von dir.“, entgegnete der Vendar. „Ach übrigens, darf ich gehen, Anführerin Zirell?“ „Ja.“, sagte Zirell. Geh ruhig schlafen. Du hattest ja schließlich hier die ganze Nacht Wache gehalten.“ „Ich danke dir.“, sagte Joran und ging ebenfalls aus dem Raum.

Kapitel 9: Erschreckende Erkenntnisse

von Visitor

 

Jenna war im Maschinenraum von 281 Alpha dabei, Shimars Schiff für seine Patrouille vorzubereiten. Dabei half ihr Shannon, mit der die hoch intelligente Halbschottin gleich ein Gespräch über ihre nächtliche Eskapade anfing. Shannon hatte ihr nämlich gleich zu Arbeitsbeginn davon berichtet. Sie hatte es besser gefunden, falls noch etwas passieren sollte. „So, so.“, sagte Jenna. „Sie haben sich also den Wanst mit Pralinen vollgeschlagen. Darf man erfahren, was der Grund dafür war? Ich meine, selbst Sie halte ich für vernünftig genug, so eine Tortur Ihrem Magen nicht unbedingt mit Absicht zuzumuten, auch wenn Sie mir jetzt sicher in alt bekannter Weise widersprechen werden. Ich bin überzeugt, dass selbst Mr. O’Neill so etwas Dummes nie getan hätte.“ „Müssen Sie mir so den Wind aus den Segeln nehmen, Jenn’?“, fragte die blonde Irin missmutig. „Aber wenn Sie es genau wissen wollen, ich hatte einen Grund zum Feiern!“ „Oh.“, sagte Jenna. „Und da haben Sie vor lauter Partystimmung ihre Gesundheit vergessen. Na, das muss ja eine wilde Party gewesen sein! Darf ich wissen, was Sie gefeiert haben?“ „Oh ja.“, sagte Shannon und warf ihrer Vorgesetzten einen genießerischen Blick zu. „Das dürfen Sie. Ich hatte sogar erst vor, Sie einzuladen, aber dann habe ich mir das doch überlegt. Hätte nämlich Ihren Ruf als Genie ruiniert.“ „Upsi!“, frotzelte die brünette Chefingenieurin. „So schlimm?“

Sie zog ihre Assistentin aus dem Wartungsschacht des Schiffes wieder auf die Station zurück. Vorher entschuldigte sie sich noch beiläufig bei Shimars Schiff: „Entschuldige uns bitte kurz, IDUSA.“, und setzte sich dann mit ihr wieder auf zwei Plätze an einer Arbeitskonsole. „So.“, sagte sie dann. „Jetzt sagen Sie mir aber bitte, was da letzte Nacht so Aufregendes passiert ist, dass Sie glauben, wenn Sie mich einbezogen hätten, meinen Ruf zu ruinieren.“

Shannon lief rot an. „Nun sagen Sie schon.“, insistierte Jenna. „So schnell haut mich nichts um. Das wissen Sie doch und falls ich mich bei irgendeiner Sache einmal geirrt haben sollte, springe ich auch nicht gleich aus dem Fenster.“ Sie grinste. „Davon wäre hier im Weltraum auch abzuraten.“, sagte Shannon. „Die Schwerelosigkeit würde zwar dafür sorgen, dass Sie nirgendwo aufprallen, aber das All ist ziemlich frei von Sauerstoff um diese Jahreszeit, wenn Sie mich fragen.“ Jenna lachte. „Na sehen Sie.“, sagte sie danach. „Ich weiß also, dass so etwas für mich total ungesund wäre. Außerdem bin ich ja nicht Sytania. Die ist ja so von sich eingenommen, dass sie …“ „Das hätte bei ihr nur keine Konsequenzen.“, sagte Shannon. „Obwohl ich der alten Hexe schon manchmal den Tod an den Hals gewünscht hätte. Aber das wäre auch nich‘ gut wegen der Dimensionen. Ich weiß es ja.“ „Na ja, Assistant.“, sagte Jenna. „Wir Sterblichen haben den Luxus, dass bei uns in Gedanken alles erlaubt ist, weil unsere Gedanken keine unmittelbare Wirkung auf die Elemente oder Dinge haben.“ „Das gilt aber nur für Nicht-Telepathen.“, sagte die blonde Irin ergänzend. „Sehr richtig.“, lobte Jenna. „Und was sind die meisten Terraner und somit auch Sie?“ „Sie meinen also.“, sagte Shannon. „Ich darf denken, was ich will?“ McKnight nickte. „Uff!“, machte Shannon. „Was für ’ne Erleichterung!“

Jenna war aufgefallen, dass sie ihr eigentliches Thema total aus den Augen verloren hatten. „Noch einmal zu Ihrer Party zurück.“, sagte Jenna. „Was hatten Sie noch gefeiert?“ „Ich hatte gefeiert.“, sagte Shannon. „Dass mir etwas gelungen ist, von dem Sie immer wieder behauptet haben, es sei unmöglich.“ „Wovon reden Sie?“, fragte Jenna neugierig. „Von Sprechkontakt zu Tabran und Shiranach, unseren Freunden aus dem Tembraâsh!“

Jenna blieb vor Staunen und Verwirrung der Mund weit offen stehen. „Was haben Sie da gerade gesagt, Shannon?!“, fragte sie mit leicht alarmiertem Blick. „Das ist unmöglich! Die Wächterin des Tembraâsh hat eine mentale Barriere um die Dimension errichtet, die jeglichen Sensorenkontakt abhält. Auch elektromagnetische Wellen kommen nicht durch, geschweige denn kann die Dimension angeflogen werden. Das tut sie, damit die alten praktizierunfähigen Vendar dort sicher vor Nachstellungen ihrer früheren Opfer sind. Wie wollen ausgerechnet Sie …?“ „Ich habe geahnt, dass Sie mir nicht glauben.“, sagte Shannon. „Deshalb habe ich IDUSA das Gespräch auch aufzeichnen lassen. Tja, meine Rufe kommen anscheinend überall durch.“ Sie grinste.

„So komisch finde ich das gar nicht!“, sagte Jenna alarmiert, nachdem sie über die eventuellen Gründe, aus denen so etwas doch möglich sein könnte, nachgedacht hatte. „Aber lassen Sie uns sehen, was da letzte Nacht passiert ist. „Wie kamen Sie überhaupt dazu, es zu probieren?“ „Ich war wohl in Experimentierlaune.“, sagte die technische Assistentin und ließ IDUSA die Aufzeichnung abspielen, nachdem sie und Jenna ihre Neurokoppler umgesteckt hatten.

Vor ihren geistigen Augen erschien der Umriss von Shannons Quartier. „Schön haben Sie’s.“, stellte Jenna lächelnd fest, nachdem ihr Blick über einige private Einrichtungsgegenstände der blonden Irin gewandert war. An den Wänden beispielsweise waren viele Bilder von grünen Wiesen mit sehr vielen Blumen und noch mehr Schafen zu sehen. In einer Ecke stand ein als Tischchen umfunktioniertes Whiskyfass. Shannon waren sie jetzt auch ansichtig geworden. Sie saß auf einem der typischen tindaranischen Sitzkissen, welches sie allerdings mit einem grünen Bezug bezogen hatte. Jenna dachte sich, dass sie dies wohl an ihre irische Heimat erinnern sollte. Vor ihr auf dem Tisch sah Jenna eine Arbeitskonsole, an die ein Neurokoppler angeschlossen war. Diesen hatte die Shannon aus der Aufzeichnung auf dem Kopf.

„Haben Sie IDUSA schon vorher befohlen, mit der Aufzeichnung zu beginnen?“ fragte die Technikerin ihre Assistentin. „Jops!“, machte Shannon und lehnte sich cool zurück. „Wenn, dann wollte ich, dass alle alles mitbekommen können.“ „Warum haben Sie überhaupt so etwas in Betracht gezogen?“, fragte die hochintelligente Halbschottin, der noch immer nicht ganz klar war, was O’Rileys Motiv für das Experiment sein konnte. „Wollten Sie mir etwa eins auswischen?“ „Wo denken Sie hin?!“ sagte Shannon entrüstet. „Dazu habe ich doch nun wirklich keinen Grund. Ihre Genialität hat uns oft genug den Arsch gerettet! Da sollte ich doch eher dankbar sein als eifersüchtig, oder?“ „Shannon!“, meinte Jenna empört. „Worüber sind Sie denn jetzt gestolpert?“, fragte Shannon verwundert. „Wenn Sie es so genau wissen wollen.“, setzte McKnight an. „Über den Arsch.“ „Faszinierend!“, lachte Shannon. „Ich wusste gar nich’, dass man darüber stolpern kann. Aber Sie kriegen wohl alles hin. Außerdem wissen Sie doch wohl, wie ich rede.“ „Oh ja.“, bestätigte Jenna. „Das weiß ich.“

Sie legte den rechten Zeigefinger an ihre Lippen, denn sie befürchtete wohl, dass sie einiges verpassen könnten, wenn sie sich weiter in ihre Unterhaltung vertieften, ohne IDUSA zu befehlen, die Aufzeichnung abzubrechen oder einzufrieren. Hier kam es auch bald zu einer Situation, die sehr entscheidend sein sollte. Die Shannon in der Aufzeichnung befahl dem Stationsrechner jetzt nämlich: „IDUSA, verbinde mich über das interdimensionale Relais mit dem Rufzeichen von Tabrans Sprechgerät in dessen Haus!“ „Ich weise Sie darauf hin.“, entgegnete der Rechner, dessen Avatar jetzt auch im Hintergrund zu sehen war. „Dass dies nicht möglich sein wird. Die Dimension Tembraâsh ist auf konventionelle Weise mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht zu erreichen. Sie kann weder angeflogen, noch können Rufzeichen in ihr auf konventionelle Weise angesprochen werden.“ „Du sagst höchstwahrscheinlich, IDUSA.“, sagte die Shannon in der Aufzeichnung. „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit denn, he?“ „Exakte 99,93581 %, Shannon.“, sagte IDUSA. „OK.“, sagte die blonde Irin und grinste verschmitzt. „Dann habe ich ja noch einen kleinen Teil eines Prozents, auf das ich bauen kann.“ „Rein rechnerisch stimmt das.“, bestätigte der Stationsrechner. „Aber dieser Teil ist verschwindend gering.“ „Is’ mir schnurz!“, flapste Shannon. „Versuch’s trotzdem!“ „Vertrauen Sie etwa auf das buchstäbliche und sprichwörtliche Glück der Iren?!“, wollte der Rechner jetzt etwas nachdrücklicher wissen. Ihr war total unklar und es mochte für sie auch total unlogisch und unvernünftig anmuten, warum Shannon eine mathematisch so kleine Chance überhaupt wahrnehmen wollte. „Die Kandidatin hat 100 Gummikekse!“, flapste Shannon. Sie machte aber auch keinen Hehl daraus, dass sie schon etwas ungeduldig und genervt von den vielen Fragen IDUSAs war. „Und nun mach!“ „Ich hoffe.“, erwiderte IDUSA. „Dass Sie später nicht zu enttäuscht sein werden.“ „Das werde ich schon nich’.“, sagte Shannon und lehnte sich zurück.

Es vergingen einige Sekunden, in denen nichts geschah. Jenna und Shannon sahen nur einer weiteren Shannon zu, die nervös an den Nägeln kaute.

Plötzlich schreckte die Shannon in der Aufzeichnung zusammen. IDUSA musste ihr das Gefühl gegeben haben, sie anzutippen. „Was is’?!“, sagte Shannon alarmiert. „Sie werden es nicht für möglich halten.“, begann der Rechner und der Avatar vor Shannons geistigem Auge machte ein verblüfftes und ungläubiges Gesicht. „Aber mir ist tatsächlich das gelungen, was bei allen Physikern als höchst unwahrscheinlich gilt. Offensichtlich ist an der Legende über das Glück der Iren doch etwas dran.“ „Natürlich is’ da was dran, IDUSA!“, sagte Shannon etwas mürrisch. „Was dachtest du denn? Na gib schon her!“

Der Avatar vor ihrem geistigen Auge wich einige Schritte zurück, um dem zwar etwas verschneit wirkenden, aber dennoch erkennbaren Bild Shiranachs Platz zu verschaffen. Sofort hatte Shannon die alte Vendar erkannt. „Hi, Shiranach!“, rief sie hoch erfreut aus. „Lange nix mehr von dir gehört! Wie haben wir’s denn so? Was macht dein Ehegespenst?!“

Shannon hatte sich vorgestellt, den Sendeknopf auf der virtuellen Konsole, die IDUSA ihr zeigte, losgelassen zu haben, damit Shiranach auch eine Möglichkeit bekam, zu Wort zu kommen. „Shannon El Taria?“, fragte die alte Vendar mit ungläubigem Staunen in Stimme und Gesicht. „Live, in Farbe und Lebensgröße!“, frotzelte Shannon zurück. Ihr war offensichtlich noch nicht klar, was ihre Kommunikationsexperimente für Folgen haben sollten. Wie sollte es auch, denn dies überstieg bei weitem ihren Horizont. „Aber was hast du denn?“, fragte sie. „Freust du dich denn gar nich’, mit deiner alten Freundin Shannon zu plaudern? So ’ne frostige Begrüßung hätte ich ja man gar nich’ erwartet.“ „Bitte, Shannon El Taria!“, sagte Shiranach und klang dabei sehr besorgt. „Wir müssen dieses Gespräch beenden!“ „Wieso denn das?“, fragte Shannon überrascht. „Wir haben ja noch gar nich’ richtig damit angefangen.“ „Dieses Gespräch dürfte es gar nicht geben!“, sagte Shiranach und klang fast schon verzweifelt. Offensichtlich verstand sie nicht, was da gerade passierte. „Na gut?“, sagte Shannon übertrieben und spielte die beleidigte Leberwurst. „Wenn du nich’ mit mir quatschen willst, dann vielleicht dein Mann. Na nun raus mit der Sprache! Wo is’ Taby, der alte Haudegen?!“ „Er ist draußen und wartet unser Schiff.“, sagte Shiranach. Dabei wurde sie immer aufgeregter. „Er wird jetzt keine Zeit haben und ich habe leider auch keine mehr.“ Damit beendete sie die Verbindung. „Was is’ mit der denn los?“, fragte die Shannon aus der Aufzeichnung halblaut sich selbst. „Na ja. Sehen wir morgen weiter.“ Sie grinste: „IDUSA, Aufzeichnung beenden. Meine kleine einsame Party muss ja nich’ jeder mitkriegen.“ Das Bild von Shannons Quartier verschwand.

„Jenn’?“, eine wohl bekannte männliche Stimme hatte sie angesprochen. Es war eine sehr junge Stimme gewesen, die McKnight, trotz sie mit dem Gesicht von demjenigen fortgedreht war, der sie angesprochen hatte, sofort erkannte. „Oh, Shimar.“, sagte sie und klang dabei sehr erschrocken, was der junge Tindaraner auch zur Kenntnis genommen hatte. Auf solche akustischen Merkmale zu achten, hatte er von mir längst sehr gut gelernt.

„Was ist denn los?“, fragte Shimar. „Man könnte ja den Eindruck bekommen, ihr hieltet mich für einen Geist, Shannon und du.“ „Oh nein.“, entgegnete die hoch intelligente Halbschottin und die blonde Irin nickte beifällig. „Dann sagt mir doch bitte was ihr habt!“, insistierte Shimar. „So kenne ich euch nämlich gar nicht.“

Jenna zog den tindaranischen Piloten hinter eine Säule: „Komm mit!“ Dann flüsterte sie ihm zu: „Es könnte sein, dass IDUSA und du Schwierigkeiten bekommt. Deshalb solltest du ihr unbedingt befehlen, eine technische Verbindung mit dem Rechner hier aufrecht zu erhalten, damit ich, wenn es nötig sein sollte, sofort Korrekturen an der Software für ihren interdimensionalen Antrieb vornehmen kann.“ „Du machst mir Angst, Jenn’.“, sagte Shimar ebenfalls sehr leise. „Aber was ist denn mit ihrem Antrieb. Ich meine, wenn da was nicht stimmt, dann muss ich wohl Joran fragen, ob er mir sein Schiff leiht. Mit Zirell und Maron wäre das doch sicher leicht und schnell abzusprechen. Deshalb braucht ihr doch nicht so …“ „Du bist total auf dem Holzweg.“, sagte Jenna schnell, um ihn zu unterbrechen. Gleichzeitig wollte sie das Gespräch aber auch schnell hinter sich haben und ihm die offensichtlich schlechte und vor allem gefährliche Nachricht schnell überbringen. „Jorans Schiff würde die gleichen Schwierigkeiten haben.“ „Bei den Göttern, Jenn’!“, rief Shimar aus und fasste sie an den Schultern. „Jetzt rede doch endlich. Du bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen!“ „Es sind nicht die Schiffe, sondern die Dimensionen!“, stieß Jenna mit blassem Gesicht hervor. „Es gibt Hinweise darauf, dass sich irgendwas in ihnen gefährlich verändert. Es gibt wahrscheinlich eine Verschiebung der Ladung der Teilchen in der interdimensionalen Schicht. Sicher bin ich noch nicht. Den endgültigen Beweis könnten nur IDUSA und du erbringen. Deshalb will ich die technische Verbindung ja auch.“ „Oh Mann!“, sagte Shimar und verzog das Gesicht, als hätte er gerade in eine sehr saure Zitrone gebissen. Als ausgebildeter Flieger konnte er sich wohl schon denken, was so eine Ladungsverschiebung für Konsequenzen haben konnte. Sicherheitshalber beschloss er aber, noch einmal bei der physikalisch sehr begabten Jenna nachzufragen. „Könnte das dazu führen, dass IDUSAs interdimensionaler Antrieb nicht funktioniert?“ „Ich denke schon.“, sagte die Chefingenieurin, die Shimar nichts vormachen wollte. „Es kann aber auch bedeuten, dass du nicht dort landest, wohin du willst, oder dass IDUSA überhaupt kein Feld aufbauen kann. Ihr Antriebsfeld, das vom interdimensionalen Antrieb produziert wird, ist ja in gewisser Weise geladen. Es trifft auf die Ladung in der Schicht. Dann erfolgt eine Reaktion zwischen den Beiden, die den Flug ermöglicht. Wenn sich jetzt die Ladung verschiebt, kann es sein, dass auch die Reaktion anders ausfällt. Deshalb will ich die Funktion ja überwachen und gegebenenfalls eingreifen können.“ „Schon klar, Jenn’.“, sagte Shimar und ließ sie los, um ihr tröstend über den Kopf zu streichen. „Tut mir leid, dass ich dich gerade so hart angefasst habe.“ „Ach, Schwamm drüber.“, wiegelte Jenna ab. „Da habe ich schon weitaus Schlimmeres erlebt. Aber ihr solltet echt vorsichtig sein.“ „Das werden wir auch.“, versicherte Shimar. „Du kennst uns doch. Aber wie kommst du überhaupt darauf, dass es eine Ladungsverschiebung gegeben hat und was bedeutet das im Klartext für uns alle? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es nur Auswirkungen auf IDUSAs und meinen Flug haben wird und damit Ende.“

Jenna wurde sehr traurig und nachdenklich. „Nun sag schon.“, drängte Shimar. „Ich habe nämlich auch schon Schlimmeres erlebt. Bedenke bitte, dass ich mich sogar schon geistig mit Sytania selbst duelliert habe und dabei ganz allein war. Was Schlimmeres kann es doch gar nicht geben, oder?“ „Du irrst dich!“, sagte Jenna fest, die froh war, dass er sie für einen Moment auf ein anderes Thema gelenkt hatte. „Soweit ich mich erinnere, hat dir Kamurus ganz gut geholfen!“ „Terranische Haarspalterin!“, grinste Shimar. „Ich gebe es ja zu. So war es ja auch. Aber wir schweifen schon wieder ab. Was könnte auf uns alle zukommen, Jenna?!“

McKnight war erschrocken. Zum ersten Mal in diesem Gespräch hatte er nicht ihren Spitznamen verwendet. Das deutete für sie stark darauf hin, dass es ihm wirklich ernst sein musste.

„Gehen wir zurück zu Shannon und setzen wir uns.“, schlug sie vor. „OK.“, sagte Shimar langsam und zögerlich, denn er hatte irgendwie ein sehr ungutes Gefühl bei der Sache, dennoch folgte er Jenna vertrauensvoll, die ihm zielstrebig zu ihrem und Shannons Arbeitsplatz voranschritt.

Dort angekommen winkte Jenna ihrer Assistentin: „Beenden Sie bitte die Wartungsarbeiten an Shimars Schiff, Shannon! Ich habe mit Shimar selbst noch etwas zu besprechen.“ „OK.“, sagte die blonde Irin schlaksig und nahm ihre Werkzeugtasche aus dem Regal, die sie vor ihrem Gespräch mit Jenna hier deponiert hatte.

Jenna zeigte auf den jetzt freigewordenen Platz und setzte sich selbst auf den zweiten Sitz. Shimar nahm neben ihr Platz. „Wenn das so weiter geht.“, sagte Jenna dann. „Könnte die Verschiebung der Ladung zu starken Problemen innerhalb der Dimensionen führen und ich meine alle Dimensionen!“ „Uff.“, machte Shimar. „Das wird es mir sehr schwer machen, Zirells Befehl auszuführen. Aber es würde bestätigen, was Sianach gesagt hat.“ „Sianach?“, fragte Jenna verwundert. „Was hat sie denn damit zu tun?“ „Sianach hat uns alle vor dem Weltuntergang gewarnt.“, fasste der Telepath zusammen, was er in Marons Geist gesehen hatte. „Maron wollte ihr nicht glauben und jetzt will Zirell, dass IDUSA und ich nach Spuren von Sensorenstrahlung in der interdimensionalen Schicht suchen, die darauf hindeuten, dass Sytanias Vendar ihre Sensorenplattform dazu benutzt haben, um das Raum-Zeit-Kontinuum auf technologischem Wege auszuspionieren. Diran, Sianachs Ehemann, der wie du weißt Tolea dient, ist von ihr unter den Bann gestellt worden, jedem Vendar, dem er begegnet, sagen zu müssen, was geschehen wird und was wir planen.“

Wieder erschrak Jenna. Durch ihre Beziehung mit Joran wusste sie über diverse Dinge sehr gut Bescheid, die das Wesen der Vendar angingen. Sie wusste auch alles über das Bannwort und dessen Konsequenzen. Außerdem schoss ihr jetzt auch Wissen in den Kopf, das von den alten zeitländischen Herrschern stammte, von denen sie ja schon einen in ihrem Körper beherbergt hatte. Lord Grandemought hatte ja damals allen gesagt, dass genau so etwas passieren konnte. Ohne den richtigen Schlüsselreiz würde das Wissen nicht freizusetzen sein. Aber wenn er gesetzt würde, dann würde Jenna genau das Passende erfahren und alle anderen dann von ihr. Der Lord hatte das mit Absicht so eingerichtet, denn er hatte die Vermutung, dass selbst Jennas Gehirn mit dem Wissen der alten Zeitländer auf einmal überfordert wäre. Außerdem wusste er nicht, ob alle anderen schon reif genug dafür waren. Von der Gefahr, dass es in falsche Hände geraten könnte, ganz zu schweigen.

„Allen Vendar?!“, sagte Jenna erschrocken. „Laut dem, was ich aus Marons Geist lesen konnte.“, sagte Shimar. „Könnte das wohl sein. Sianach konnte sich nicht an den genauen Wortlaut des Banns erinnern, weil sie nicht dabei war. Sie hat es nur an seinem Blick auf dem Schirm gesehen und aus seinen Äußerungen erfahren. Zirell hat noch einmal mit ihr gesprochen. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass Tolea diesen Fehler gemacht hat.“

Jenna ließ erleichtert die Luft aus ihren Lungen entweichen. „Du kannst dir also denken, was ich meine.“, sagte sie. „Natürlich kann ich das!“, bekräftigte Shimar. „Ich bin doch nicht mit dem Klammersack gepudert! Aber so etwas Ähnliches sagte Sianach tatsächlich.“ „Oh nein!“, sagte Jenna. „Falls du wirklich Spuren von Spionage finden solltest, würde das ja bedeuten, dass …“ „Das würde wohl heißen.“, sagte Shimar. „Dass Zirell mir den Befehl erteilen könnte, Diran aufzubringen, bevor er noch was Dummes anstellt, ohne es zu wollen. Ich mag gar nicht dran denken, was passieren könnte, wenn er Telzan oder einem seiner Leute begegnet.“ „Genau darum geht es ja.“, sagte Jenna. „Ich denke, darum sollst du auch suchen. Wenn du Entwarnung geben kannst, ist ja alles OK, aber …“ „Wer weiß, wie lange das her ist.“, unterbrach Shimar sie. „Unter Umständen ist es schon zu spät und die Ladungsverschiebung hat ihr Übriges dazu getan. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass da nichts war. Vorsichtig sein müssen wir allemal. Das ist zumindest meine Meinung.“ „Da wirst du von mir keinen Widerspruch hören.“, sagte Jenna.

Shannon hatte ein Diagnosepad an einen Port an einer Konsole in IDUSAs Cockpit angeschlossen. „Soweit ich das hier sehe.“, sagte sie. „Schnurrst du wie ein Kätzchen, Schiffchen.“, und grinste flapsig. „Der Patrouille steht nix im Wege.“ „Ich danke Ihnen, Shannon.“, sagte die Stimme des Rechners. „Aber da gibt es noch etwas, über das ich mit Ihnen sprechen möchte. Techniker McKnight macht sich Sorgen, nicht wahr? Das würde ich zumindest aus ihren medizinischen Werten und ihrem Verhalten schließen.“ „Das stimmt wohl, IDUSA.“, sagte Shannon ein wenig mürrisch. „Die macht sich ins Hemd, weil ich einen kleinen Plausch mit Tabran und Shiranach hatte. Eigentlich nur mit Shiranach und die war auch noch total kurz angebunden. Aber so genau nehmen brauchen wir’s ja nich’.“ „Mit wem haben Sie gesprochen?“, fragte IDUSA. „Sie sollten wissen, dass dies unmöglich ist.“ „Das hat deine Kollegin auch gemeint.“, äußerte sich Shannon flapsig über den Einwand des Stationsrechners. „Bis ich sie eines Besseren belehrt habe.“ „Haben Sie etwa Ihre Programmierkenntnisse ausgenutzt, um sie zu manipulieren?!“, fragte der Avatar des Schiffes empört. „Wenn Sie so vorgegangen sein sollten, werde ich Sie melden müssen.“ „Hey, halt die Luft an.“, sagte Shannon. „Hältst du mich wirklich für so eine Verbrecherin?! Ne, ne! Ich habe ihr nur gesagt, dass sie es trotz aller mathematischen Einwände versuchen soll. Ihre Sicherheitsmaßnahmen habe ich nich’ ausgehebelt! Für wen hältst du mich denn?! Jetzt bin ich aber enttäuscht!“ „Es lag mir fern, Sie zu enttäuschen, Shannon.“, sagte IDUSA. „Aber ich wollte nur sichergehen.“ „Schon klar.“, sagte Shannon. „Aber du weißt doch, dass ich eigentlich ’ne ganz Liebe bin.“ „Sicher.“, sagte das Schiff.

Shannon entfernte das Diagnosepad. Jetzt war ihr Neurokoppler ihre einzige Verbindung zu IDUSA. „Was haben Sie denn erreichen können?“, fragte diese und ihr Avatar machte ein neugieriges Gesicht. „Oh ’ne Menge!“, prahlte Shannon. „Entgegen aller Berechnungen haben wir nämlich doch eine Verbindung mit Tabrans Rufzeichen zustande gekriegt, deine Kollegin und ich. Nur, Shiranach hat total verängstigt reagiert. Warum verstehe ich nich’. Ich war’s doch nur, die gute alte Shannon!“ „Vielleicht war gerade das die Schwierigkeit.“, mutmaßte IDUSA. „Na hör mal!“, sagte Shannon empört. „Was willst du mir denn damit sagen?“ „Sicher nicht das, was Sie jetzt vielleicht denken mögen.“, beschwichtigte IDUSA. „Das hat mit Ihnen persönlich sicher nichts zu tun, aber vielleicht mit der Tatsache, dass das Tembraâsh eigentlich weder per SITCH noch per Flug zu erreichen ist, wenn die Wächterin das nicht möchte.“ „Na ja.“, sagte Shannon. „Vielleicht hatte sie ja ihren großzügigen Tag. Jenna ist jedenfalls total durch den Wind wegen der Sache. Sie macht ’n riesiges Gewese drum. Kann ich überhaupt nich’ verstehen.“

„Wie war die Qualität der Verbindung?!“, fragte IDUSA sehr eindringlich, nachdem sie einige Daten ausgewertet hatte. „Ach.“, machte Shannon. „Du nich’ auch noch.“ „Oh doch!“, sagte das Schiff und ihr Avatar hob bedrohlich den rechten Zeigefinger vor Shannons geistigem Auge. „Aber, wenn du’s unbedingt wissen musst, sie war mies! Total mies! Das Bild war total verschneit und der Ton, Oh Backe. Irgendwann wurde es dann zwar besser, aber nur ganz langsam.“ „Hätte es diese Auswirkungen gegeben, wenn die Wächterin Ihrem Gespräch mit Shiranach zugestimmt hätte?!“, fragte das Schiff. „Ich glaube nich’.“, brummte Shannon. „Ich glaube, dann wäre die Qualität gleich gut gewesen.“

Sie dachte kurz nach, eine Tatsache, die bei Shannon selten genug vorkam, zumindest ihren eigenen Angaben nach. Dann sagte sie: „Oh verdammt!“ „Genau.“, bestätigte das Schiff. „Ich für meinen Teil glaube, dass etwas die mentale Mauer, die von der Wächterin um Tembraâsh gelegt wird, langsam aufweicht und sie nichts dagegen tun kann, warum auch immer. Aber ich denke, dass wir gerade dieses Warum auch immer herausfinden sollen.“ „Da drauf kannst du gepflegt einen lassen!“, sagte Shannon. „Oder auch zwei oder drei, wie ich Zirell kenne, wird sie sicher nich’ sehr begeistert davon sein, wenn sie das erfährt und Shimar und dich losschicken, um zu gucken, was da Sache is’.“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte IDUSA. „Werden Sie es Commander Zirell selbst sagen, oder werden Sie warten, bis Techniker McKnight das getan hat.“ „Das erledige ich lieber selbst.“, sagte Shannon. „Ich finde es nämlich total unangenehm, von der eigenen Vorgesetzten ans Messer geliefert zu werden. Aber andererseits, wenn da was is’ und mein Experiment hat das zutage gefördert, dann muss sie es ja sogar vielleicht sagen. Wenn die Welt untergeht, nützt uns Loyalität schließlich auch nix mehr. Aber wenn Zirell Bescheid weiß, lässt sich da vielleicht noch was machen.“ „Ganz Ihrer Ansicht, Shannon.“, sagte IDUSA.

Shimar betrat den Ort des Geschehens. „Ist sie flugbereit?“, fragte er. „So bereit, wie sie nur sein kann.“, sagte Shannon flapsig, um ihre jetzt doch leicht ins Ängstliche gekippte Stimmung zu verheimlichen. Sie wusste zwar, dass ihr Gegenüber Telepath war, sie ihm also eigentlich nichts vormachen konnte, hoffte aber trotzdem, er würde es nicht bemerken.

Sie ging an Shimar vorbei und verließ das Schiff in seine genaue Gegenrichtung. Jetzt waren er und das Schiff allein. Sofort zog der Tindaraner seinen Neurokoppler aus der Tasche und schloss ihn an, was IDUSA veranlasste, sofort seine Reaktionstabelle zu laden. „Guten Morgen, Shimar.“, sagte sie und ihr Avatar lächelte freundlich. „Hi, IDUSA.“, gab Shimar zurück. „Ist alles klar bei dir?“ „Ja.“, sagte das Schiff. „Laut Shannons Analyse bin ich putzmunter wie ein Fisch im Wasser. Unserem gemeinsamen Flug dürfte also nichts im Wege stehen.“ „OK.“, sagte Shimar. „Dann sollten wir so schnell wie möglich starten. Übrigens, Jenna möchte, dass du Verbindung mit dem Rechner im Maschinenraum hältst. Sie meint, etwas könnte in der interdimensionalen Schicht nicht stimmen und deshalb möchte sie eingreifen können, wenn es nötig werden sollte.“ „Könnte das mit dem in Zusammenhang stehen, was in der letzten Nacht geschehen ist?“, fragte IDUSA. „Keine Ahnung.“, gab Shimar Unwissen vor. „Was ist denn in der letzten Nacht geschehen?“ „Shannon hat Kontakt mit Shiranach gehabt.“, sagte IDUSA. „Das würde bestätigen, was mir Jenna gesagt hat.“, sagte Shimar. „Sie erklärt es mit einer Verschiebung der elektrischen Ladung in den Teilchen in der interdimensionalen Schicht. Deshalb sollten wir so schnell wie möglich losfliegen, solange wir es noch können.“ Er gab ihr den Gedankenbefehl zum Start, den IDUSA bereitwillig ausführte.

Shannon und Jenna hatten erleichtert den Start beobachtet. „Was machen wir jetzt mit der Situation, Jenna?“, fragte Shannon. „Ganz einfach.“, sagte die hoch intelligente Halbschottin. „Sie übernehmen hier und ich gehe zu Zirell und sage ihr Bescheid.“ „OK.“, sagte Shannon und sah zu, wie ihre Vorgesetzte mit ernstem Ausdruck im Gesicht den Maschinenraum verließ.

Kapitel 10: Erste Versuche der Aufklärung

von Visitor

 

In der Zwischenzeit war Shiranachs Sorge immer größer geworden. Nein! Das durfte einfach nicht sein! Wie konnte es jemandem gelingen, per Kommunikation die schützende Barriere zu überwinden, die von der Wächterin zum Schutz der praktizierunfähigen Vendar aufgebaut worden war? War ihr etwas zugestoßen? War sie krank? Diese Fragen ließen die alte und sehr herzliche Vendar nicht in Ruhe. Wenn etwas passiert war, dann musste man ihr dringend helfen!

Shiranach beschloss, nach ihrem Mann zu suchen. Tabran würde sicher Rat wissen, wie so oft in solchen Situationen. Sie wusste ja ungefähr, wo sie ihn finden konnte.

Langsamen Schrittes, da ihre Beine ihr nicht so recht gehorchen wollten, ging sie aus dem Haus. Sie wusste, dass Tabran höchstwahrscheinlich beim Schiff war, das sich auf dem Hinterhof befand. Wohl war ihr nicht bei der Sache. Wenn sie sich ausmalte, was eventuell geschehen sein konnte, wurde es ihr heiß und kalt und ihre Gesichtshaare stellten sich auf, ein Zeichen dafür, dass es ihr bei dem Gedanken daran ziemlich übel wurde. Der Weg erschien ihr wie eine Tagesreise.

Endlich hatte sie das Schiff erreicht, aber von Tabran war weit und breit nichts zu sehen. „Du kannst mir nicht zufällig sagen, wo Tabran ist?“, wendete sie sich an das augenscheinlich leer vor ihr liegende Schiff. Da sie aber nicht in Richtung des Außenmikrofons des Rechners gesprochen hatte, erhielt sie keine Antwort. Resignierend lehnte sie sich an die Schiffshülle.

„Telshanach?“ Eine ihr wohl bekannte tiefe ruhige männliche Stimme hatte sie angesprochen. Zögernd drehte sich Shiranach um. Jetzt erst erkannte sie Tabran, der ihr aufgrund seiner schmutzigen Uniform und dem nicht gerade viel reinerem Gesicht zuerst sehr fremd erschienen war. „Oh, Tabran!“, schluchzte sie und warf sich in seine Arme. Es war ihr egal, dass ihre Kleidung jetzt auch schmutzig wurde. „Es ist etwas Schreckliches passiert! Etwas sehr Schreckliches! Die Wächterin! Oh ihr Götter! Ich glaube, sie ist …“ Sie brach in Tränen aus.

Tabran hatte jetzt seinerseits die Arme um seine völlig aufgelöste Frau gelegt. „Oh, Shiranach.“, flüsterte er. „Meine arme liebe Shiranach. Was ist denn geschehen, das dich so bestürzt gemacht hat?“

Er half ihr, sich ins Gras zu setzen und setzte sich dann so neben sie, dass er ihren Rücken gut stützen und somit auch als ihre Lehne fungieren konnte. Tabran dachte sich, dass jede Art von Anlehnung ihr sehr gut helfen konnte und er ahnte, dass diese Hilfe mehr als nötig sein würde. Außerdem reichte er ihr viele Tücher, die er aus seinen Taschen geholt hatte. Sie waren zwar ebenfalls sehr schmutzig, das machte ihr aber nichts. Er musste sie bei der Wartung des Schiffes für irgendwelche Säuberungsaktionen benutzt haben. Aber das war ihr egal, als sie den Inhalt ihrer Nase in sie entließ. Auch ihre Tränen wischte sie sich mit ihnen ab.

Endlich, nachdem die Vendar einige Male tief durchgeatmet hatte, gelang es ihr, sich so weit zu beruhigen, dass sie Tabran schildern konnte, was vor einigen Stunden geschehen war. „Ich habe mit Shannon El Taria gesprochen.“, sagte sie mit immer noch leicht verweinter Stimme. „Mit wem?“, fragte Tabran und sah sie irritiert an. „Das ist doch unmöglich! Du weißt, dass das nicht geht, wenn die Wächterin es nicht will.“ „Das weiß ich.“, sagte Shiranach. „Deshalb ist es mir ja auch so unheimlich! Die Verbindung, weißt du? Sie war sehr schlecht und wurde dann langsam immer besser. Aber wenn die Wächterin gewollt hätte, dass ich mit Shannon El Taria Kontakt aufnehme, dann hätte sie doch gleich dafür gesorgt, dass die Qualität gut ist, oder?“ „Davon würde ich ausgehen.“, überlegte Tabran halblaut. „Aber du hast Recht, meine kluge und aufmerksame Telshanach. Irgendetwas stimmt hier nicht. Wir müssen wohl davon ausgehen, dass entweder mit der Wächterin, oder den Dimensionen etwas ist. Lass uns ins Haus gehen und den Kontaktkelch holen. Dann werden wir mit der Wächterin Kontakt aufnehmen und sie fragen, ob sie uns sagen kann, was los ist.“ „In Ordnung.“, sagte Shiranach und folgte ihrem Ehemann zunächst zum nahen Brunnen, wo er sich die Hände grob abspülte. Auch Shiranach tat es ihm mit ihrem Gesicht gleich. Als sie sich aber über den Rand beugte, musste sie laut lachen, denn die beiden Spiegelbilder, die sie dort im Wasser des Brunnens sah, fand sie doch sehr lustig. „Schau uns an!“, rief sie laut kichernd aus. „Schau, wie schmutzig wir sind!“ „Oh ja.“, sagte Tabran. „Wir sind schon zwei echte Dreckspatzen, nicht wahr?“ Auch er musste lachen.

„Was hast du eigentlich da genau gemacht, dass du so schmutzig geworden bist?“, wollte Shiranach wenig später wissen. „Ich musste eine Landestütze erneuern.“, sagte Tabran. „Der Mishar hatte mich schon länger darauf aufmerksam gemacht, dass sie einen Riss hatte, der auf Materialermüdung zurückzuführen war. Jetzt habe ich endlich Zeit gehabt, das zu erledigen. Wenn ich das nicht getan hätte, wäre die Stütze bei der nächsten Landung gebrochen und das Schiff wäre instabil geworden. Das hätte uns und alle, die bei uns gewesen wären, mit ziemlicher Sicherheit töten können.“ „Wie umsichtig du doch bist.“, sagte die alte Vendar und küsste ihren Mann mit ihrem zahnlosen Mund auf seinen. „Das muss man auch sein, wenn man Verantwortung für ein eigenes Raumschiff hat.“, sagte Tabran. „Die Wächterin hätte es uns sicher nicht gegeben, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, dass wir mit dieser Verantwortung umgehen können.“ Das sehe ich genauso.“, sagte Shiranach.

Sie hakte sich bei Tabran unter und beide gingen in Richtung ihres Hauses. Dort angekommen holte Tabran sofort den Kontaktkelch aus einem Schrank und die beiden Vendar setzten sich mit ihm an den kleinen runden Tisch, vor dem zwei Sitzkissen lagen, auf die sie sich setzten. Dann legte Tabran seine rechte Hand auf den Fuß des Kontaktkelchs und gab Shiranach seine linke Hand in ihre rechte, worauf diese ihre linke Hand ebenfalls auf den Fuß des Kelchs legte. Nun war der Kreis geschlossen und beide begannen damit, sich das Bild der Wächterin des Tembraâsh vorzustellen, wie sie es kannten.

Bald darauf erschien sie auch vor ihren geistigen Augen in der Gestalt der schönen starken und gesunden jungen Vendar, als die sie Tabran und Shiranach kannten. Die Götter seien gelobt und gepriesen!, dachte Tabran. Du bist also nicht krank. Nein, das bin ich nicht., erwiderte die Wächterin. Aber wartet ab. Ich werde zu euch stoßen. Dann können wir viel besser reden. Weicht bitte etwas vom Kelch zurück!

Tabran und Shiranach taten, wie ihnen die Wächterin gerade geheißen hatte. Alsbald zerriss ein weißer Blitz die Luft. Dann stand sie vor ihnen. Sofort eilte Tabran in eine andere Ecke des Wohnzimmers, wo sich weitere Sitzkissen auf einem Stapel befanden, holte eines und legte es zwischen die zwei anderen auf den Boden. Dann zeigte er darauf: „Bitte setz dich.“ Die Wächterin nickte mild und tat dies. Nun saß sie genau zwischen Tabran und Shiranach, die sie fast mitleidig ansahen. „Warum seht ihr mich so an?“, erkundigte sich die Wächterin. „Und was meintest du damit, ich könnte krank sein, Tabran?“ „Meine Frau war in Sorge.“, berichtete Tabran. „Sie konnte nämlich mit Shannon El Taria reden, obwohl das eigentlich unmöglich sein sollte. Oder hast du es etwa zugelassen?“ „Ach das meint ihr.“, sagte die Wächterin und machte ein verzweifeltes Gesicht. „Wisst ihr, es gibt da tatsächlich etwas, das ich nicht verstehe. Aber das dürft ihr den anderen Vendar nicht sagen. Es könnte eine Massenpanik auslösen. Wenn sie das Gefühl hätten, dass ich sie nicht mehr schützen kann, wäre das sehr schlecht. Sie würden Hals über Kopf flüchten. Aber dann würden sie vielleicht gerade denen in die Arme laufen, vor denen ich sie schützen will.“ „Ich weiß, wovon du redest.“, sagte Shiranach. „Du redest von unseren früheren Opfern.“ „Genau.“, sagte die Wächterin. „Und das dürfen wir nicht zulassen.“ „Sicher nicht.“, bestätigte Tabran. „Und ich schwöre bei meinem Leben, dass ich es keinem anderen Vendar hier verraten werde! Die Götter mögen meine Zeugen sein!“ „Auch ich schwöre dies!“, sagte Shiranach und hob die rechte Hand, wie es auch ihr Ehemann vor ihr getan hatte. „Das ist sehr lieb von euch.“, sagte die Wächterin. „Ich wusste, dass ich mich auf euch verlassen kann.“

Es verging einige Zeit, in der nichts geschah und sich die drei nur angeschwiegen hatten. Das war Tabran aber irgendwann zu bunt geworden und er hatte seinen Kopf langsam mit einem auffordernden Blick der Wächterin zugewandt. „Bitte sprich mit uns.“, bat er. „Du hast zwar angedeutet, dass da etwas ist, das du nicht verstehst, aber wir wissen immer noch nicht, was es ist.“ „Nun gut.“, sagte die Wächterin und legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Da ihr mir ja geschworen habt, nichts und niemandem ein Sterbenswörtchen zu sagen, kann ich euch alles sicher anvertrauen. Aus Gründen, die ich nicht kenne, ist es mir nicht mehr möglich, den mentalen Schutzwall aufrechtzuerhalten, wie es scheint. Sonst wäre dein Gespräch mit Shannon El Taria nicht möglich gewesen, Shiranach.“ „Mit Verlaub, Wächterin.“, sagte Tabran. „Soweit waren Shiranach und ich auch schon. Das ist ja auch der Grund, aus dem sie sich Sorgen macht.“ „Ich denke.“, sagte die Wächterin. „Diese Sorgen macht sich deine Frau sogar zu Recht. Ich kann mir nicht erklären, warum das so ist. Bitte spüre nach, Tabran. Du warst ein sehr erfahrener und erfolgreicher Telepathenjäger, als du noch in Sytanias Diensten warst. Du warst ja zu deinen Glanzzeiten nicht umsonst ihr erster und oberster Vendar, bevor dein Schüler Joran dich ablöste. Was danach passiert ist, ist Geschichte. Das wissen wir ja alle. Aber ich werde mich auf dein Urteil verlassen. Komme ich dir schwächer vor, als ich es sonst bin?“

Tabran schloss die Augen und konzentrierte sich auf die mentale Prägung der Wächterin. Wie diese sich anfühlen musste, wenn sie gesund war, das wusste er genau. Ebenso genau achtete er auf jedes Detail dessen, was er spüren konnte. Er wollte ihr auf keinen Fall etwas Falsches sagen. Er hatte dies zwar lange nicht mehr getan, aber dass sie ihm trotzdem ein solches Vertrauen entgegenbrachte, ehrte ihn und er wollte sie auf keinen Fall enttäuschen. Deshalb schien er sich noch viel größere Mühe zu geben, als er es sonst getan hatte, um eventuelle Telepathen als Beute zum Aussaugen zu erspüren, als er noch praktizierfähig und damit in Sytanias Diensten war.

Geduldig hatten Shiranach und die Wächterin abgewartet. Schließlich sagte Tabran: „Ich kann beim besten Willen nichts Krankhaftes oder Schwaches an deiner Energie finden. Deine geistigen Kräfte sind intakt. Woran es sonst noch liegen könnte, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber das müsstest du, als Mächtige, doch viel besser beurteilen können. Schließlich hast du universelles Wissen.“ „Das habe ich auch.“, sagte die Wächterin. „Aber anscheinend gibt es hier etwas, das selbst mein Wissen übersteigt. Vielleicht sehe ich aber auch den Wald vor lauter Bäumen nicht.“ „Könnte vielleicht eine Sterbliche …“, setzte Shiranach an, aber Tabran verbot ihr mit einer strengen Geste den Mund. „Nein! Lass sie sprechen!“, tadelte ihn jetzt die Wächterin dafür. „Du weißt, dass ich keine von den Mächtigen bin, die sich einen Zacken aus der Krone brechen, wenn sie Hilfe von einem oder einer Sterblichen annehmen! Ich bin nicht Sytania, wie ihr wisst und ich bin auch keine Frau ihres Schlages!“ „Bitte vergib mir, Wächterin.“, sagte Tabran und senkte beschwichtigend den Kopf. „Das war wohl die Macht der Gewohnheit. Du hast mich gerade an Sytania erinnert, als du um meine Hilfe ersucht hast. Da bin ich wohl wieder in alte Muster zurückgefallen.“ „Ich nehme deine Entschuldigung an.“, sagte die Wächterin ruhig. „Aber ich weiß nicht, wie es bei deiner Frau aussieht.“ „Auch ich nehme seine Entschuldigung an.“, sagte Shiranach. „Gut.“, sagte die Mächtige. „Dann hätten wir das ja geklärt. Aber von welcher Sterblichen genau hast du gesprochen, Shiranach. Ich meine, es gibt viele, denen ich die Lösung dieses Problems durchaus zutrauen würde. Die Sterblichen fangen ja gerade erst an, die Geheimnisse der Dimensionen zu verstehen. Sie sind noch lange nicht so betriebsblind wie wir Mächtigen es meiner Ansicht nach im Laufe der Äonen von Jahren geworden sind. Ich halte tatsächlich für möglich, dass gerade ihnen deswegen Dinge auffallen könnten, die uns verborgen bleiben. Mir fallen da eine Menge Sterbliche ein, denen ich das zutrauen würde. Sowohl Männliche, als auch Weibliche. Aber da du von einer Sterblichen gesprochen hast, Shiranach, schließe ich erst einmal alle Männer aus.“ „Und du kannst auch gleich mich ausschließen.“, sagte die alte Vendar bescheiden. „Ich denke nämlich, dass ich nicht dazugehöre. Ich kenne aber den Namen von einer, der dies bestimmt möglich ist. Sie versteht mehr von Astro-Physik und Dimensionskunde als wir alle zusammen. Sie lebt in Astra Tindaria auf Basis 281 Alpha.“ „Dann sprichst du mit Sicherheit von Jenna McKnight.“, sagte die Wächterin. „Genau von der rede ich!“, bestätigte Shiranach. Niemand außer ihr dürfte uns jetzt helfen können.“ „Das ist eine sehr gute Idee.“, sagte Tabran und stand auf, um sein Werkzeug, das er in einer schwarzen Tasche mit sich geführt hatte, wieder zu schultern. „Ich werde ein letztes Mal das Schiff überprüfen und dann werden wir Astra Tindaria aufsuchen. Anführerin Zirell und Jenna McKnight werden uns sicher sehr gern helfen.“ „Dann werde ich euch die Barriere öffnen.“, sagte die Wächterin. „Nein!“, sagte Tabran entschieden. „Jedes Mal, wenn du das tust, spüren wir das alle. Das könnte Fragen aufwerfen und das wolltest du doch gerade verhindern. Aber ich denke, dass es uns auch so möglich sein könnte, die Dimension zu verlassen. Es war SITCH-Wellen möglich, die Barriere zu durchdringen, also könnte das bestimmt bei den momentan herrschenden Bedingungen auch ein Schiff im interdimensionalen Modus!“ „Willst du das wirklich riskieren?!“, fragte die Wächterin erschrocken. „Ja, das will ich!“, bekräftigte Tabran und auch Shiranach sagte: „Wo mein Mann hingeht, da will auch ich hingehen, Wächterin! Verlasse dich auf uns!“ „Nun gut.“, sagte die Wächterin teils erleichtert, teils besorgt. Sie konnte sich denken, was auf dem Spiel stand. „Dann werde ich wieder gehen.“ „Das ist auch besser so.“, sagte Tabran. „Ich möchte auch nicht, dass du uns mit Hilfe deiner mentalen Fähigkeiten zusiehst. Ich weiß ja auch nicht, ob es wirklich so klappt, wie wir uns das denken.“ „Na gut.“, sagte die Wächterin mild. „Ich verspreche es.“ Dann war sie in einem weißen Blitz verschwunden.

Tabran wandte sich Shiranach zu und küsste sie. „Ich finde es sehr mutig von dir, Telshanach.“, sagte er. „Dass du mit mir kommen willst. Ich werde, wenn alles so eintritt, wie ich es vermute, nämlich deine Hilfe benötigen.“ „Die bekommst du auch.“, versicherte Shiranach. „Aber nun geh bitte und kümmere dich um unser Schiff. Sie sollte doch sicher auch gut in Form sein, wenn wir das versuchen, oder?!“ Sie grinste verschmitzt. „In der Tat.“, lächelte Tabran zurück und ging. Shiranach begann damit, einige Sachen für die Reise zusammenzupacken.

Kapitel 11: Meroolas Einstand im ehrlichen Leben

von Visitor

 

„Guten Morgen, du Langschläferin!“ Eine kesse helle Stimme hatte Meroola geweckt. „Hey! Wer stört da meinen Schönheitsschlaf?!“, fragte sie mürrischen Ausdrucks und drehte sich herum. Dabei bemerkte sie erst jetzt, dass sie in ein Kraftfeld gefallen war, das verhindern sollte, dass sie von der schmalen Bank, auf der sie lag, herunterfiel und sich verletzte. „Huch?!“, fragte sie irritiert. „Wo bin ich?“

Noch etwas schwindelig stand sie auf und tastete in dem für sie im Moment sehr fremd erscheinenden Raum herum. Außer ein paar Sitzen und einer Konsole bemerkte sie aber nichts, das ihr ihrer Meinung nach hätte weiterhelfen können. Erst als ihre rechte Hand auf der Konsole den Neurokoppler ertastete, wurde ihr langsam bewusst, wo sie sich befand.

Meroola setzte sich wieder auf den Pilotensitz und setzte den Neurokoppler auf. Kamura registrierte dies und lud folgsam ihre Tabelle. „Na.“, grinste ihr Avatar Meroola an. „Sind wir noch nicht ganz wach heute Morgen?“ „Ob du wach bist, weiß ich nicht.“, sagte Meroola. „Aber ich war es offenbar tatsächlich noch nicht. Hast du irgendwas mit mir gemacht? Ich meine, ich habe geschlafen wie ein Stein. So gut war das schon lange nicht mehr.“ „Hm, ja.“, gab Kamura kleinlaut zu. „Ich habe dir gestern Abend über einen modifizierten Sensor in der Bank Alpha-Wellen injiziert, weil ich mir Sorgen gemacht habe, ob du in der fremden Umgebung meines Cockpits wohl schlafen kannst. Ich meinte es nicht böse. Bitte verzeih mir. Ich wollte dir nur etwas Gutes tun, damit du vor deinem Vorstellungsgespräch gut ausgeschlafen bist.“ „Hey.“, beruhigte Meroola sie. „Ich bin dir nicht böse, Kamura. Im Gegenteil! Ich finde es sehr gut, dass du mir auf diese Weise helfen willst. Dann sieht Mr. Kingsley zumindest gleich, dass ich eine ganz ausgeschlafene Person bin.“ Meroola grinste, als sie das sagte. „War das ein Witz?“, fragte Kamura, die sich der doppelten Bedeutung des Satzes ihrer Pilotin durchaus bewusst war. „Ja.“, bestätigte Meroola. „Ich dachte einfach, ich übe schon einmal ein bisschen. Wenn man sich im real existierenden Humorismus auf eine Stelle bewirbt, sollte man doch den einen oder anderen lockeren Spruch auf Lager haben, findest du nicht?“ „Na ja.“, sagte das Schiff. „Das könnte vielleicht hinkommen, wenn er auch Celsianer wäre. Aber Mr. Kingsley kommt zweifelsfrei von der Erde.“ „Aber er wird lange genug auf Celsius gelebt haben, um sich anzupassen.“, argumentierte Meroola. „Außerdem, wenn Celsius seine Wahlheimat geworden ist, wird er sich bestimmt nicht ohne Grund dafür entschieden haben. Er wird auch ein sehr humorvolles Kerlchen sein, denke ich. Sonst wäre er bestimmt nach Vulkan oder wo anders hingezogen, wo es viel ernster ist. Nein, nein, Kamura. Das muss schon so, wie ich es mache. Verlass dich auf mich. Ich habe eine einigermaßen gute Menschenkenntnis. Die hat mir ja auch in meinem Vorleben als Betrügerin so manchen Gewinn eingebracht. Auch da musste ich mein Gegenüber ja einschätzen können.“ „Ich hoffe aber.“, sagte Kamura und ihr Avatar hob mahnend den rechten Zeigefinger vor Meroolas geistigem Auge. „Dass ich diese Meroola nie zu sehen bekommen werde.“ „Keine Sorge.“, versicherte die soeben Erwähnte. „Die Meroola ist tot! Lang lebe Meroola, die Ehrliche!“ „Hoffentlich wirst du dich auch immer daran erinnern.“, sagte Kamura und ihr Avatar machte ein skeptisches Gesicht. „Das werde ich!“, versicherte Meroola und hob sogar die rechte Hand zum Schwur.

Ein Geräusch und ein merkwürdiges Gefühl in ihrer Magengegend ließen sie plötzlich aufmerken. „Mann, habe ich einen Kohldampf!“, sagte sie laut und deutlich. „Ich glaube, da kann ich was machen.“, sagte Kamura. Dann ertönte ein Signal und Meroola sah zum Auswurffach des Replikators hinüber. Darin stand eine Tasse mit terranischem Kaffee und ein Teller mit einem größeren Brötchen mit demetanischem Kräuterkäse. „Woher wusstest du, dass mir genau danach ist?“, fragte Meroola, während sie den Teller und die Tasse zu sich heranzog und den Neurokoppler abzog, um damit wieder nach hinten zu gehen. „Du hattest den Neurokoppler auf.“, sagte Kamura. „Deine Gedanken waren für mich ein offenes Buch.“ „Ach so.“, sagte Meroola. Aber führst du jeden Befehl gleich aus, den du empfängst?“ „Nicht zwangsläufig.“, beruhigte das Schiff seine wohl etwas verwirrte Pilotin. „In den meisten Fällen vergleiche ich die Befehle mit der Situation und meinen moralischen Unterprogrammen. Aber da diesem Befehl ja weder moralisch noch situationsbedingt etwas im Wege stand, fand ich es schon in Ordnung, dir dein Frühstück zu servieren. Aber ich glaube, ich weiß schon, worauf du hinaus willst. Falls wir auf unserer Reise zum Beispiel jemandem begegnen, der dich am SITCH so lange nervt, bis du ihm am liebsten den Tod an den Hals wünschst, werde ich nicht sofort die Waffen aktivieren.“

Meroola gab einen Laut der Erleichterung von sich, schloss den Neurokoppler an einem Port in der Wand neben der Rückbank des Cockpits an und biss in ihr Brötchen. „Wofür hast du mich denn gehalten?“, fragte Kamura etwas betroffen. „Tut mir leid.“, sagte Meroola mit vollen Backen. „Ich wollte dich nicht beleidigen. Es war nur, weil du ja noch sehr jung und unerfahren bist. Ich dachte, du könntest vielleicht einiges nicht einordnen können und dann …“ „Wenn das so wäre.“, sagte Kamura. Dann hätte ich bestimmt nicht darauf bestanden, dass du wirklich ehrlich werden willst. Erinnerst du dich noch an gerade?“ „Und ob!“, bekräftigte Meroola. „Also, deine Moral ist intakt. Das ist sehr gut. Dann kannst du mich ja erziehen, falls ich wieder in alte Muster zurückfalle.“ „Wie hast du dir das denn vorgestellt?“, wollte das Schiff wissen. „Na ja.“, sagte Meroola. „Du hast bewiesen, dass du dich allein steuern kannst, wenn es nötig ist. Falls ich also wieder kriminell werde, drohe mir doch einfach damit, mich der nächsten Polizeibehörde auf dem nächsten Planeten auszuliefern und auf nimmer Wiedersehen zu verschwinden. Sollte ich dann immer noch kein Einsehen zeigen, machst du die Drohung einfach wahr. Haben wir einen Deal?“ „Den haben wir.“, bestätigte Kamura. „Dann ist ja alles gut.“, sagte Meroola zufrieden und nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Tasse.

Es verging einige Zeit, in der Meroola nur schweigend ihr Frühstück genoss, bis sie aufgegessen und ausgetrunken hatte. Dann fragte sie: „Wie spät haben wir es eigentlich, Kamura?“

Das Schiff zeigte ihr das Display der Kommunikationskonsole. Hier konnte Meroola gut und gleichzeitig etwas erschrocken sehen, dass es schon 14:00 Uhr nach celsianischer Ortszeit in der nördlichen Hemisphäre war. „Ups.“, machte Meroola. „Ich sollte mich beeilen!“ „Warte!“, sagte Kamura. „So lasse ich dich nicht gehen. Wir wollen doch, dass du auch äußerlich einen guten Eindruck bei Mr. Kingsley hinterlässt.“

Eine Leuchte am Auswurffach des Replikators führte Meroolas Aufmerksamkeit erneut dort hin. Sie zog einen eleganten Hosenanzug in Schwarz und braune flache Schuhe daraus hervor und weiße Unterwäsche. Dann folgte noch eine Tasche, in der sich ein schwarzer Overall befand. „Das ist deine Arbeitskleidung für später, wenn er dich tatsächlich einstellen sollte.“, erklärte Kamura. „Alles klar.“, sagte Meroola und begann damit, sich zu entkleiden. „Das Sonntagszeug ist dann wohl für jetzt.“ Kamuras Avatar vor ihrem geistigen Auge nickte.

Ein weiteres Signal kündigte noch einmal das Benutzen des Replikators an. Jetzt bekam Meroola noch ein Gerät, das man als die mobile Version einer Schalldusche bezeichnen könnte. Jedenfalls war die Wirkung die gleiche, als sie damit über ihren Körper ging. Das Gerät hatte ein schlankes Gehäuse und lag gut in der Hand. Auch einen Aufsatz zum Zähneputzen gab es. „Du hast ja wirklich an alles gedacht.“, sagte Meroola, während sie ihren neuen weißen Helfer für die Körperpflege wieder in dem zu ihm gehörenden roten Beutel verstaute und sich dann in das sehr weiche angenehme Sonntagszeug warf, wie sie es empfand. In der Tasche ihrer Bluse fand sie sogar ein eigenes kleines Sprechgerät für den Handgebrauch.

Dann drehte sie sich um und um und fragte: „Wie sehe ich aus, Kamura?“ „Sehr schön.“, sagte das Schiff. „Mr. Kingsley wird Augen machen. Aber es geht ja hier nicht um einen Modelwettbewerb.“ „Ich weiß.“, sagte Meroola und lächelte gewinnend. „Ich werde ihn schon durch andere Qualitäten überzeugen müssen. Jetzt beam mich schon runter! Ich will nicht zu spät kommen! „Wie du willst.“, sagte Kamura und führte Meroolas Befehl aus.

Meroola fand sich wenige Sekunden darauf in einem großen hellen freundlich eingerichteten Raum wieder. Die Luft roch angenehm nach Blüten, was wohl die Schuld von einigen Raumluftbefeuchtern war, die weiß und Reinheit vermittelnd auf vier kleinen ovalen Tischchen standen, die sich jeweils in den Ecken des Raums befanden. Sie waren, gemessen an Meroolas Größe, etwa kniehoch. Um sie herum waren großzügige breite runde Sofas drapiert. Jedes dieser Sofas hatte ein Blütenmuster, das gut zu dem ebenfalls sehr blumigen Rankenmuster auf jeder der kleinen bunten Decken passte, die sich auf den Tischen befanden. Diese Sitzgelegenheiten waren sehr angenehm zu berühren, da ihr Stoff, der wohl Seide emittieren sollte, der Hand außerordentlich schmeichelte. Sie waren schön weich gepolstert und jedes von ihnen war zur Raummitte hin offen. So konnte man bequem in den jeweiligen Kreis eintreten. Auf jedem der Tische gab es einen kleinen aktiven Rechner, neben dem Datenkristalle lagen. Offensichtlich war dies ein Wartebereich. Das schloss Meroola jedenfalls aus der Einrichtung, zu der auch eine in warmen Farben gehaltene Wandbemahlung und ein ebenfalls sehr einladend gefärbter Teppich gehörten. Die Datenkristalle würden wohl Zeitschriften enthalten.

Sie sah sich weiter in dem rechteckig geschnittenen Zimmer um. Ihr nächster Blick fiel auf ein Display über einer Tür, die dem Eingang, den sie zwar zur Orientierung benutzt, aber sonst nie gesehen hatte, genau gegenüber lag. Auf diesem Display konnte sie lesen: „Sekretariat Lara Diaz. Bitte hier anmelden!“

Meroola nahm dies zwar zur Kenntnis, inspizierte den Raum aber weiter. Dabei fiel ihr auf, dass sie völlig allein in dem großen Zimmer war. Aber das gab ihr auch Gelegenheit, ihr Sprechgerät das erste Mal zu benutzen und die Situation gleich für sich zu klären, ohne dass ihr 1000 Leute zusahen.

Sie zog es also aus der Tasche und gab Kamuras Rufzeichen ein. Das Schiff war sichtlich irritiert, als es ihren Ruf entgegennahm: „Bist du schon fertig? Ich habe nicht gesehen, dass du den Raum verlassen hast, in den ich dich gebeamt habe.“ „Das habe ich auch nicht, Kamura.“, sagte Meroola. „Aber bist du sicher, dass du mich an die richtige Stelle gebeamt hast? Ich meine, hier ist keine Menschenseele außer mir.“ „Umso besser.“, sagte Kamura. „Freu dich doch! Wenn du die einzige Bewerberin bist, sind deine Chancen doch noch umso größer, oder?“ „Das würde ich so nicht sagen.“, sagte Meroola. Vielleicht sind die anderen auch nur alle krank und ihre Termine sind auf später verschoben.“

Sie hörte ein Geräusch aus dem Zimmer, dessen Tür sie vorhin gesehen hatte. „Ich muss schlussmachen, Kamura.“, sagte sie, beendete die Verbindung und steckte das Gerät schnell wieder ein. Im gleichen Moment öffnete sich die Tür und eine kleine schlanke Frau mittleren Alters trat heraus. Sie hatte ein typisch südeuropäisches Aussehen. Ihre braunen Augen unter dem schwarzen mittellangen Haarschopf lächelten Meroola zu. Diese musterte ihr Gegenüber ebenfalls sehr wohlwollend. Die Fremde maß ungefähr einen Meter sechzig, trug ein langes rotes Kleid und ebenfalls rote schmale Schuhe mit leichtem Absatz. An ihrer rechten Hand, die sie Meroola hinstreckte, trug sie einen kleinen silbernen Ring mit einem für Meroola nicht näher zu definierenden kleinen Edelstein.

„Einen wunderschönen guten Tag, Ms. Sylenne!“, lächelte sie Meroola mit einem leichten spanischen Akzent in ihrem Englisch zu. „Oh. Hi.“, erwiderte die Angesprochene wenig förmlich. „Aber ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Sylenne ist der Vorname meiner Mutter und das könnte zu argen Problemen und Verwirrung führen. Schließlich hat nicht sie sich hier beworben, sondern ich. Mein Name ist Meroola.“ „Oh dann verzeihen Sie bitte, Ms. Meroola.“, entschuldigte sich die Sekretärin. „Aber …“ „Ach, Schwamm drüber.“, wischte Meroola ihren Fehler weg und grinste. „Wenn man mit so vielen Leuten aus so vielen verschiedenen Spezies zu tun kriegt, die so viele verschiedene Sprachen sprechen, in denen es so viele verschiedene Regeln für Namen gibt, kann die Orientierung schon einmal flöten gehen. Ich nehme Ihnen das nicht krumm, Ms. Lara.“

Nachdem sie dies gesagt hatte, nahm Meroola eine abwartende Haltung ein. Offensichtlich wollte sie die Reaktion von Ms. Diaz abwarten. „Oh.“, sagte diese höflich. „Lara ist mein Vorname. Ich bin Terranerin. Im Allgemeinen spricht man sich in meiner Spezies mit Nachnamen an, wenn man sich noch nicht kennt.“ „Mich hat ja nur interessiert.“, sagte Meroola, „Ob Sie aufgepasst haben, Ms. Diaz. Dabei betonte sie: „Ms. Diaz!“, noch besonders. „Dann sind wir jetzt ja wohl quitt.“, lächelte Lara. „Das sind wir.“, bestätigte Meroola ebenfalls lächelnd. „Wissen Sie was? Sie gefallen mir, Meroola.“, sagte Ms. Diaz. „Wenn ich es zu entscheiden hätte, würde ich Sie sofort einstellen. Aber da hat ja Mr. Kingsley das letzte Wort.“ „Ach.“, sagte Meroola und warf ihr einen tröstenden Blick zu. „Den werde ich auch noch überzeugen. Es wäre nur sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie ihm das mit meinem Namen schon einmal erklären könnten. Er hat nämlich in der Mail an mich den gleichen Fehler gemacht. Er wird wohl nicht schlecht staunen, wenn er erfährt, dass er eigentlich meine Mutter angeschrieben hat. Der Haken ist nur, dass die gar nichts davon weiß, dass sie sich als Technikerin bei einem Pannendienst hier auf Celsius beworben hat.“ Wieder grinste Meroola. „Das werde ich.“, versprach Lara. „Das Problem ist nur, dass ich das selbst war. Mein Chef hat mir nur den Inhalt genannt, den ich dem Computer diktieren sollte. Aber ich kann ihn ja noch einmal aufmerksam machen, wenn Sie möchten. Setzen Sie sich doch solange. Der Rechner auf jedem Tisch ist auch an einen Replikator angeschlossen, der dort an der hinteren Wand steht. Wenn Sie eine Erfrischung haben möchten, oder etwas zum Lesen wünschen …“ Sie deutete auf einen der Tische. Dann sagte Sie noch: „Ich werde sie ankündigen.“, und ging wieder in das Zimmer, dessen Tür sich gleich darauf hinter ihr schloss.

Abwartend setzte sich Meroola an einen der Tische, legte einen der Datenkristalle in den Rechner und vertiefte sich in eine der Zeitschriften. Es war eine technische Fachzeitschrift über elektrisch betriebene Fahrzeuge. Als würde sie schon ahnen, was auf sie zukommen würde, schien sie dieses Thema nicht loszulassen. So intensiv, wie sie diese Zeitschrift studierte, hatte sie noch nie zuvor etwas gelesen.

In ihrem Büro hatte Ms. Diaz eine Sprechanlage betätigt, um Mr. Kingsley zu informieren: „Sir, Ms. Meroola wäre dann da.“ „Wer bitte, Lara?!“, fragte eine tiefe etwas kauzig klingende Stimme zurück. „Der Name sagt mir gar nichts.“ „Sie hat sich auf die freie Stelle in unserem Mechanikerteam beworben, Mr. Kingsley.“, erwiderte die Sekretärin, die sich sehr gut denken konnte, was die Schwierigkeiten ihres Chefs verursacht hatte, ihn aber nicht altklug berichtigen wollte. Das stand ihr nämlich ihrer Meinung nach nicht zu. Sie würde ihm aber so viele Hinweise geben, bis er selbst darauf käme.

Es vergingen quälend lange Sekunden. Endlich nahm Mr. Kingsley das Gespräch wieder auf. „Also, ich habe mir noch einmal alle Mappen angesehen, Ms. Diaz. Aber eine Ms. Meroola ist nicht dabei. Das, was dem am nächsten käme, wäre eine Ms. Sylenne, deren Vorname Meroola ist.“ „Vielleicht ist sie es ja.“, sagte Lara. „Möchten Sie Ms. Sylenne sehen? Sie wäre hier. Sie ist übrigens die einzige anwesende Bewerberin im Moment. „Also gut.“, sagte Mr. Kingsley. „Ich habe meine Zeit ja auch nicht gestohlen. Bringen Sie diese Ms. Sylenne zu mir!“ „Wird erledigt, Sir.“, sagte Lara, lächelte und beendete die Verbindung. Dann öffnete sie die Tür zum Warteraum erneut und lächelte Meroola zu: Mr. Kingsley erwartet Sie.“ „OK.“, sagte Meroola, löste sich langsam und etwas schwerfällig von der doch für sie sehr spannenden Zeitschrift und folgte Laras freundlich winkender Hand durch ihr Büro in das ihres eventuellen späteren Chefs.

Hier fiel ihr sofort die Tapete ins Auge, die ein Strandmotiv zeigte. Meroola schaute sie sich eine Weile lang an und dachte dann bei sich: So was Lockeres hätte ich ihm nicht zugetraut. Sie war heilfroh, dass ihr Gegenüber kein Telepath war. Sonst hätte sie wohl, zumindest ihrer eigenen Interpretation nach, bestimmt längst verspielt gehabt.

Der Teppich, der angenehm gelb war und somit ebenfalls eine freundliche Atmosphäre versprühte, passte auch sehr zum Motiv an der Wand mit seiner sonnigen Farbe.

Meroola ging weiter und ihr Blick fing den Schreibtisch ein. Er war in repliziertem Eichenholz gehalten. Auf ihm befand sich ein silbrig glänzender Rechner, was für diese Geräte völlig normal war. Rechts und links daneben war noch Platz, der jetzt nur durch einen einzigen Datenkristall auf der rechten Seite besetzt war. Vor dem braunen Tisch befand sich ein weißer Bürostuhl, auf dem Mr. Kingsley saß. Er maß ca. 1,80 m und war von mittlerer Statur, was seinen Körperumfang anging. Er hatte kurze rotbraune Haare. Der elegante Anzug, den er trug, war schwarz mit einer in Rot abgesetzten Knopfreihe auf der Brust. Dazu trug er ebenfalls schwarze flache Schuhe.

Neben dem Schreibtisch fand Meroola einen zweiten kleinen weißen Tisch, auf dem sich für zwei Personen Kaffeetassen befanden. Auch ein Tablett mit Zucker, Gebäck und Milch war vorhanden. Sie überlegte, ob sie sich gleich setzen sollte, oder ob es vielleicht geschickter war, erst einmal höflich abzuwarten, bis sie aufgefordert wurde. Schließlich entschied sich Meroola für das Letztere.

Mit leicht strengem Gesichtsausdruck war Mr. Kingsley in seinen Monitor vertieft gewesen. So hatte er sie zuerst nicht wirklich bemerkt. Nur aus dem Augenwinkel hatte er jene kleine Gestalt wahrgenommen, die sich ihm genähert hatte. „Ah, Ms. Sylenne.“, sagte er schließlich und streckte ihr die rechte Hand, die in ihren Augen sehr groß war, entgegen. Auch sie streckte etwas schüchtern ihre Rechte hin. „Setzen Sie sich doch.“ Meroola kam seiner Aufforderung nach.

„Hi, Mr. Kingsley.“, sagte Meroola vorsichtig. „Mein Name ist Meroola Sylenne. Wir hatten Kontakt.“ „Den hatten wir. Das ist wohl wahr.“, sagte Kingsley und vertiefte sich wieder in seinen Monitor. Dann aber sah er wieder sie an und fragte: „Vielleicht können Sie mir erklären, Ms. Sylenne, wie das kommt. Wissen Sie, ich bin etwas durch Ihr Aussehen und die Umstände irritiert. Sie sehen aus, als seien Sie eine Mischung aus Ferengi und Platonierin. Aber das ist doch medizinisch eigentlich nicht möglich, sagt die hohe Wissenschaft. Außerdem gibt es Unklarheiten wegen Ihres Namens.“ „Das stimmt alles so.“, sagte Meroola und warf lächelnd hinterher: „Tja, ich bin eben eine echte Attraktion auf jedem Jahrmarkt.“ Mit diesem Spruch hatte sie charmant darüber hinweggetäuscht, dass sie über dieses Thema gar nicht so gern redete, ohne schnippisch zu wirken. „Und mein Name ist Meroola Sylenne. Das stimmt auch. Nur ist Sylenne der Vorname meiner Mutter. Aber die steht ja jetzt hier nicht vor Ihnen. Außerdem hat sie zwei linke Hände und würde sich bedanken, wenn man sie in einer technisch orientierten Firma versuchen würde einzustellen. Da meine Mutter Platonierin ist, habe ich ihre kulturellen Sitten übernommen. Ich möchte also mit Meroola angesprochen werden. Aber Ms. Meroola geht auch.“ „Schön, Ms. Meroola.“, sagte der ältere Terraner etwas streng und distanziert, wie es offensichtlich seine Art war. Dann vertiefte er sich wieder in das Bild auf seinem Rechner.

„Sie schreiben hier.“, sagte er dann, nachdem er sich ihr erneut zugedreht hatte. „Dass Sie sich das technische Wissen autodidaktisch erarbeitet haben. Das ist sehr gut und macht mich zugegebenermaßen sehr neugierig, auf welchem Stand Sie sind. Ein paar Wochen Probearbeit hätten Sie schon einmal in der Tasche, Ms. Meroola. So etwas wie Sie ist mir eben noch nie untergekommen. Aber wenn es stimmt, was Sie hier schreiben, dann müssten Sie gut zu uns passen, auch was Ihre Qualifikationen angeht. Manchmal trifft man auf viele Verschiedene Situationen in unserer Branche und hat es auch mit vielen verschiedenen Charakteren bei der Kundschaft zu tun. Manchmal sind Sie nicht nur Mechanikerin, sondern auch Seelentrösterin. Denken Sie, Sie schaffen das?“ „Davon können Sie beruhigt ausgehen, Mr. Kingsley!“, sagte Meroola fest und mit viel Selbstvertrauen in der Stimme. „Ich werde Sie und Ihre Firma schon nicht alt aussehen lassen. Zumindest nicht älter als so mancher alter elektrisch betriebener Jeep es mit seinem Fahrer oder seiner Fahrerin tut, wenn er mitten auf der Straße stehenbleibt. Aber dafür sind wir ja da!“

Kingsley kratzte sich eine Weile lang am Kopf. Diese Weile schien Meroola schier endlos. Dann endlich drehte er sich wieder zu ihr. „Also, Ms. Meroola.“, sagte er. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie gut in unser Team passen könnten. Sie haben auf jeden Fall Humor. Das wird bei Ihrem überwiegend celsianischen Kollegen sehr gut ankommen und Ihre Qualifikationen werde ich auch noch beurteilen können, wenn Sie eine Weile bei uns gearbeitet haben. Ich stelle Sie zuerst einmal ihrer neuen Partnerin vor.“

Er betätigte eine Sprechanlage, die ihn offensichtlich mit einer der Werkstätten verband. Jedenfalls konnte Meroola das aus den Geräuschen ableiten, die sie im Hintergrund des Gesprächs wahrnahm, was ihr sehr gut möglich war, da Kingsley die Anlage auf Lautsprecher gestellt hatte. „Rona, kommen Sie bitte einmal zu mir.“, sagte Kingsley zu seiner Gesprächspartnerin. „Ich habe hier einen Neuling für Sie zum Einweisen.“ „Sofort, Chef!“, kam es hell und kess von einer weiblichen jungen Stimme zurück. Meroola dachte sich, dass sie und diese Rona wohl gut zusammenpassen könnten. Ihre Stimme war ihr auf jeden Fall schon einmal sympathisch.

Wenig später betrat eine kleine Gestalt den Raum. Sie war nur 1,50 m groß, hatte aber sehr kräftig wirkende Arme und einen etwas gedrungenen Körperbau. Ihre Hände aber schienen recht schmal und damit recht geschickt zu sein. Dennoch machte ihr Händedruck Meroola gegenüber keinen sehr schwachen Eindruck, als sie ihr die Hand gab. „Hi.“, sagte die Technikerin, die Meroola wegen ihres schwarzen Overalls zunächst kaum wahrgenommen hatte. „Ich bin Rona Maryssa. Du musst die Neue sein. Gib mir deine Fünf!“ Wieder klatschte die Celsianerin in Meroolas Hand. „Hi.“, sagte Meroola sichtlich überrascht. „Meroola Sylenne. Nenn mich ruhig Mary.“ „OK, Mary.“, sagte Rona. „Dann wollen wir uns Mal beschnuppern und ich werde gucken, ob du wirklich so ’ne Frohnatur bist, wie es das Wortspiel mit deinem Namen aus dem Englischen vermuten lässt. Na komm!“ Sie warf ihrem Chef noch einen fragenden Blick zu, der ihr Vorhaben nur abnickte. Dann zog sie Meroola aus der Tür.

Die Frauen betraten einen Turbolift, der sie in eines der unteren Stockwerke brachte. Dann führte Rona ihre Schülerin in einen Umkleideraum und wendete sich dort einem Replikator zu. „Gib mir doch Mal deine Größe.“, sagte sie, ohne vom Display aufzusehen. „Nicht nötig.“, sagte Meroola und zeigte auf die Tasche mit den Sachen, die ihr Kamura repliziert hatte. „Wow.“, machte Rona. „Ich bin beeindruckt. Hattest wohl schon im Stillen mit deiner Einstellung gerechnet, wie? Na ja. Wir brauchen im Moment echt jede gute Hand. Pannen haben Hochkonjunktur. Weiß der Himmel, was da los is’. Manche tippen auf die Sonne. Was ich davon halten soll, weiß ich nich’ so wirklich. Auch auf Celsius gilt die Unschuldsvermutung, bis das Gegenteil bewiesen is’.“ „Na OK.“, sagte Meroola. „Das klingt ja, als würden wir demnächst viel zu tun kriegen.“ „Darauf kannst du!“, lachte Rona. „Aber jetzt zieh dich am besten erst Mal um. Ich gucke auch weg.“ „Du bist witzig.“, sagte Meroola, der spätestens in diesem Augenblick klar wurde, dass sie sich mit Rona wohl glänzend verstehen würde. „Oh ja.“, sagte die junge Celsianerin. „Aber das is’ kein Wunder. Ich bin schließlich Celsianerin. Wäre ’ne echte Blamage, wenn ich das nich’ wäre, witzig meine ich.“ „Kann ich mir vorstellen.“, sagte Meroola. „Aber wenn man es genau nimmt, kannst du mir ruhig zusehen. Ich habe bestimmt nichts, was du nicht schon gesehen hast. Schließlich bist du ja auch ’ne Frau.“ „Jedenfalls war ich’s heute Morgen im Spiegel noch.“, lachte Rona und auch Meroola musste grinsen.

„Wenn du fertig bist.“, sagte Rona. „Bringe ich dich in unseren Aufenthaltsraum. Da wirst du die anderen kennen lernen. Ach übrigens: Wo wohnst du überhaupt? Ich könnte dich aufnehmen. In unserer WG ist noch ein Zimmerchen frei.“ „Danke für das großzügige Angebot.“, sagte Meroola und lächelte. „Aber ich wohne bei einer Freundin. Die hat mir auch die Sachen geschenkt.“ Bezogen auf Kamura stimmte das ja auch. „OK.“, sagte Rona.

Meroola war mit dem Umziehen fertig geworden und zeigte sich jetzt ihrer neuen Kollegin. „Hey!“, staunte Rona. „Fesch! Die fesche Mary! Mann, du siehst in dem Zeug echt scharf aus! Lass uns doch nach der Arbeit Mal zusammen ausgehen!“ „Von mir aus.“, sagte Meroola. „Irgendwann muss ich ja anfangen, hier heimisch zu werden. Machen wir einen Deal. Du hilfst mir, hier Anschluss zu finden und ich helfe dir bei … was auch immer.“ „OK.“, sagte Rona. „Aber du schuldest mir gar nichts. Sagen wir Mal, ich habe heute meinen sozialen Tag.“

Meroola atmete auf. „Uff! Da wo ich hergekommen bin …“ „Vergiss Mal deine alte staubige Heimat!“, sagte die junge Celsianerin. „Hier is’ Celsius! Wir leben im real existierenden Humorismus. Da sieht Mann vieles nich’ so eng und Frau auch nich’. Sieht aus, als müsstest du das noch lernen. Aber du hast dafür ja mit mir echt das große Los gezogen. Ich bin, was das angeht, nämlich die beste Lehrmeisterin aller Zeiten! So und nun komm. Wir wollen doch, dass du auch die anderen und die dich kennen lernen.“

Wie bei einem oft schon gebrauchten Griff fasste Rona beiläufig in ihre Tasche, holte ein kleines Gerät hervor, das in etwa die Größe einer Zigarettenschachtel aufwies, sah kurz auf dessen Display und steckte es dann mit einem entspannten Blick wieder ein. „Kein Einsatz.“, sagte sie zufrieden. Meroola sah sie fragend an. „Neulinge kriegen bei uns noch keinen Pager.“, sagte Rona. „Wenn dir Kingsley so was gibt, kannst du dich als fest angestellt betrachten. Das is’ so was wie eine persönliche Erhebung in den Adelsstand. Aber du bist ja ohnehin erst Mal bei mir. Wenn du mir nich’ verloren gehst, sehe ich da keine Probleme.“ „Ich auch nicht.“, sagte Meroola. „OK.“, sagte Rona und drehte sich zum gehen, während sie ihr einen auffordernden Blick zuwarf. „Dann sind wir uns ja einig.“ Sie verließen den Umkleideraum.

Auf dem Korridor drehte sich Meroola kurz um. „Ich müsste mal SITCHen.“, sagte sie. „Kein Problem.“, schnippte ihr Rona zu und zeigte auf ein öffentlich zugängliches Sprechgerät zu ihrer Linken. „Ich habe ein Eigenes.“, sagte Meroola. „Aber ich wäre dir echt dankbar, wenn …“ „Oh Privatkram.“, sagte Rona. „Da muss ich passen. Ich bin Single. Aber wenn du willst.“ Sie zeigte wieder auf die Tür zum Umkleideraum. Meroola verstand und ging hinein. „Ich warte auf dich.“, sagte Rona noch in die sich langsam zwischen den Beiden schließende Tür.

Erleichtert nahm Meroola ihr Sprechgerät aus der Tasche, das sie natürlich auch umgepackt hatte, als sie sich umzog. Dann gab sie Kamuras Rufzeichen ein. „Ich habe den Job, Kamura!“, sagte sie. „Hey klasse!“, erwiderte das Schiff. „Herzlichen Glückwunsch! Ich habe übrigens eine Wohnung für dich. Zumindest fürs Erste. Ich sende dir die Adresse.“ „OK.“, sagte Meroola. „Ich mache dann erst mal Schluss. Habe noch viel zu lernen.“ „OK.“, sagte Kamura und legte ein Lächeln in die Stimme ihres Computers und in das Gesicht ihres auf dem Display sichtbaren Avatars, als sie die Verbindung beendete.

Kapitel 12: Ein entscheidendes Puzzleteil

von Visitor

 

Unweit ihrer heimatlichen Koordinaten erwartete Shary die Rückkehr ihres Freundes Kamurus. Die Beiden hatten erst jetzt bemerkt, dass ihre kleine Tochter Kamura die Dimension verlassen hatte, ohne sie zu informieren, geschweige denn ihnen zu sagen, was sie vorhatte. Kamura hatte ihre Spuren recht geschickt verschleiert. Mit Hilfe einiger Vorwärts und Rückwärtsflüge hatte sie eine falsche Signatur hinterlassen. Auch hatte sie durch eine falsche Kommunikationssignatur den Eindruck erweckt, immer noch bei Ihnen zu sein. Aber als sie nicht auf einen SITCH ihres Vaters antwortete, war dieser misstrauisch geworden. An den Koordinaten, wo er sie vorzufinden hoffte, war lediglich eine Sonde zu finden gewesen, die das falsche Signal sendete. Daraufhin hatte er beschlossen, sich mit Shary abwechselnd auf die Suche zu begeben. Einer sollte immer zu Hause sein und warten, falls sie doch wieder auftauchen würde.

Der SITCH ihres Freundes klang für Shary wie eine Erlösung, obwohl die Nachricht nicht sehr gut war. Kamurus hatte lediglich die Vereinbarung eingehalten, sich jede Stunde bei ihr zu melden: „Shary, ich habe weiterhin noch keine Spur von Kamura. Ich werde noch weiter suchen müssen. Aber es wird hier etwas ungemütlich. Ich würde sagen, ich kehre zurück und wir suchen morgen weiter. Was immer auch das Problem ist, wird sich so schnell nicht lösen lassen. Es scheint etwas mit den Dimensionen an sich zu tun zu haben. Jedenfalls habe ich Schwierigkeiten, überhaupt noch von der Stelle zu kommen.“ „Dann komm besser schnell nach Hause, solange das noch geht.“, antwortete Shary besorgt. „Was du mir gerade erzählt hast, klingt ja nicht sehr erfreulich. Und unsere kleine Kamura ist allein dort draußen! Das kann doch nicht gut gehen! Sie ist doch noch zu klein und ihre Programmierung ist noch nicht abgeschlossen. Ihre Software ist doch noch gar nicht reif genug, dass sie mit einem solchen Problem klarkommen könnte, wie du es jetzt anscheinend hast. Ich sehe auch, dass etwas nicht stimmt. Die Interdimensionale Schicht sieht merkwürdig aus! Morgen fliege ich los und suche nach Kamura.“ „Nein!“, entgegnete Kamurus entschlossen. „Du machst dir im Moment viel zu viele Sorgen und anscheinend bedarf es für einen Flug in dieser Situation die gesamte Kapazität des Arbeitsspeichers. Versteh mich bitte nicht falsch. Auch ich sorge mich um unser Kind. Aber anscheinend kann ich mit der Situation besser …“

Eine starke Störung hatte ihre Verbindung unterbrochen. „So weit ist es also schon.“, flüsterte Kamurus sich selbst zu. Er hatte die Störung weder verhindern können, noch hatte er sie kommen sehen. „Na dann werde ich mich mal auf den Weg nach Hause machen.“

Er programmierte seinen interdimensionalen Antrieb auf die Koordinaten der heimatlichen Dimension und aktivierte ihn. Aber die Störungen schienen doch schon stärker um sich zu greifen, als er es sich vorstellen konnte. Jedenfalls gelang es ihm nicht wirklich, ein Feld aufzubauen. Jedes Mal, wenn er es versuchte, drohte seine Fluglage, sich zu destabilisieren und er bekam starke Schlagseite. Dies zu ignorieren wäre auch viel zu gefährlich gewesen, denn wenn es ihn auf das Dach gedreht hätte, wäre es im Weltraum oder auch in anderen Dimensionen unmöglich für ihn gewesen, den normalen Antrieb zu benutzen. Er wäre wie ein Maikäfer auf dem Rücken vielleicht unkontrolliert getrudelt und dann hätte die Gefahr bestanden, dass er in die nächste Gravitationsquelle geraten und abgestürzt wäre. Unter Umständen hätte er dann nicht nur sich selbst, sondern auch unschuldige Lebewesen gefährdet. Das wollte Kamurus auf gar keinen Fall! „Ich werde SITCHen!“, beschloss er. „Vielleicht erreiche ich ja jemanden von unseren gemeinsamen biologischen Freunden. Jenna McKnight oder Montgomery Scott traue ich durchaus zu, mein Problem zu lösen.“ Er programmierte sein Sprechgerät und setzte einen allgemeinen Notruf ab, der alle Rufzeichen in seiner Reichweite ansprechen würde. Dabei benutzte er allerdings auch das nächste interdimensionale Relais.

Tabran und Shiranach waren mit ihrem Schiff ebenfalls aus dem Tembraâsh gestartet. „Glaubst du, die Tindaraner haben auch schon etwas gemerkt?“, wollte Shiranach von ihrem Mann wissen. „Ich halte das durchaus für möglich, Telshanach.“, sagte Tabran. „Sie sind ja immer sehr schnell, was das angeht. Die Föderation der vereinten Planeten ziert sich da doch umso mehr.“ „Dabei sollten sie Sytania doch auch gut genug kennen.“, urteilte Shiranach. „Denkst du, es hat etwas mit Sytania zu tun?“, fragte Tabran. „In der Tat!“, sagte seine Frau fest. „Ich weiß zwar nicht genau, was sie sich jetzt schon wieder ausgedacht hat, aber da kommen wir schon noch hinter! Dessen bin ich mir sicher!“ „Ich auch, Telshanach!“, sagte ihr Ehemann, der Sytania noch sehr gut kannte und im Stillen auch absolut sicher war, dass sie an der neuesten Katastrophe die Schuld trug, auch wenn dies für einige vielleicht nicht so offensichtlich sein würde. „Und warum sich die Föderation so ziert, kann ich dir auch genau sagen. Nugura El Fedaria lässt sich immer wieder in ihre Fallen locken. Sytania kennt die Gesetze der Föderation und sie weiß, wenn sie es so anstellt, dass alle keinen Grund sehen, sich einzumischen, weil sie es wie einen internen Konflikt einer Gesellschaft aussehen lässt, dann reagieren sie erst, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist.“ „Aber wir nicht.“, sagte Shiranach. „Wir reagieren früher und die Tindaraner auch. Was Zeitland oder gar die Aldaner davon halten, weiß ich nicht, aber …“ „Dill wird sicher auch an unserer Seite kämpfen, wenn es dazu kommen sollte.“, beruhigte Tabran sie, die sich in seinen Augen doch sehr aufgeregt hatte. „Ich halte sogar Shashana El Chenesa für vernünftig genug, dass sie alle Feindschaft gegen die Föderation fahren lässt und, wenn sie es schon nicht selbst tut, ihr Universum gegen Sytania verteidigen wird.“ „In der Tat.“, bestätigte Shiranach.

Tabran hatte die interdimensionalen Koordinaten der tindaranischen Heimatdimension in die Software des interdimensionalen Antriebs eingegeben. Bevor er sie jedoch bestätigte, sagte er zu seiner Frau: „Halt dich gut fest, Telshanach. Angesichts der Umstände weiß ich nicht, wie sie gleich reagieren wird.“ „OK.“, sagte Shiranach und stützte sich mit den Händen an einer Konsole vor sich ab. „Also gut.“, sagte Tabran. „Versuchen wir es!“

Er bestätigte seine Eingaben und gleich darauf begann das Schiff mit dem Versuch, ein Antriebsfeld zu erstellen. Aber es ging ihnen nicht viel besser als Kamurus. Mit Trägheitsdämpfern und allem, was sein Schiff hergab, versuchte Tabran zwar gegenzusteuern, aber trotz aller Pilotentricks, die er aus dem Ärmel zog, wollte es ihm einfach nicht gelingen, das Schiff zu stabilisieren. „Was ist das nur?!“, fragte Shiranach, der es mittlerweile schon recht schwindelig geworden war. Bedingt durch die künstliche Gravitation an Bord ihres Schiffes war das ja auch kein Wunder. Dadurch wusste Sie nämlich ziemlich genau, wo oben und unten war. Aber sie auszuschalten hätte das Problem nur noch verschlimmert. Dann wären beide nämlich ohne Halt durchs Cockpit geschwebt und dann hätte Tabran gar nichts mehr machen können. Jetzt blieb ihm aber auch nichts anderes übrig. Er hatte keine Ahnung, was er tun sollte. Für ihn sah es aus, als könnte die interdimensionale Schicht sein Schiff nicht richtig aufnehmen. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, Telshanach!“, sagte Tabran ehrlich. „Geh ans Sprechgerät und versuch Jenna McKnight auf 281 Alpha zu erreichen! Sie wird sicher Rat wissen.“

Shiranach nickte und wandte sich dem Gerät zu. Hier sah sie jetzt aber auch, dass dieses bereits einen Notruf empfing. „Tabran.“, sagte sie. „Da ist offenbar ein Schiff, das in einer ähnlichen Situation ist wie wir. Soll ich antworten?“

Tabran überlegte. Dann sagte er: „Auf Taria sagt man: Geteiltes Leid ist halbes Leid, Telshanach. Es wäre wohl ganz gut, wenn du diese arme Besatzung informieren würdest, dass wir nach einer Möglichkeit suchen, dieses gemeinsame Problem zu lösen und dass wir jemanden kennen, die dazu sicher in der Lage sein wird! Sag ihnen, sie sollen durchhalten und den Mut nicht verlieren.“

Shiranach nickte und nahm das Gespräch auf. Dabei fiel ihr sofort das leere Cockpit ins Auge. Aber sie hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. „Ich bin Shiranach Ed Tabran.“, stellte sie sich vor. „Mein Mann und ich teilen deine Situation, intelligentes Schiff! Wir kennen Jenna McKnight. Wir werden versuchen, sie zu erreichen! Sie kann uns bestimmt sagen, was zu tun ist. Bitte gib nicht auf.“ „Vielen Dank, Shiranach Ed Tabran.“, sagte Kamurus, der sie nur vom Hörensagen kannte. Aber ich glaube, lange halte ich das nicht mehr durch. Die Scherkräfte haben schon damit begonnen, starken Druck auf meine Hülle auszuüben. Die strukturelle Integrität ist bei 60 % und sinkt weiter. Ich kann bald nicht mehr!“

Jetzt fiel auch Shiranach auf, wie sehr die Hülle ihres Schiffes bereits unter den Einwirkungen der Scherkräfte ächzte. Die unheimlichen Geräusche hatte sie bisher erfolgreich verdrängen können, da sie Tabrans Befehl sehr gut abgelenkt hatte. Jetzt aber war ihr das nicht mehr möglich, da sie Kamurus quasi mit der Nase darauf gestoßen hatte.

Sorgenvoll sah Shiranach zunächst auf die Instrumente und dann ihren Mann an. Auch das Schiff der Vendar drohte seine strukturelle Integrität zu verlieren. Immer wieder zeigte sie gestikulierend auf das Instrument, das ihr eine Auskunft darüber gab und dann zu Tabran, der unter größten Mühen immer noch alles versuchte, um sie in die tindaranische Dimension zu bringen.

„Ich kann sie einfach nicht halten, Telshanach!“, musste er schließlich abgekämpft zugeben. „Jetzt hilft nur noch eine Notabschaltung des interdimensionalen Antriebs. Ich werde ihm die Energie nehmen müssen.“ „Aber dann stürzen wir in die Dimension zurück, aus der wir gekommen sind.“, sagte Shiranach. „Das ist korrekt.“, sagte Tabran. „Aber dort sind wir zumindest sicher und können überlegen. Übernimm das Steuer! Sobald du von mir das Kommando bekommst, zündest du den Impulsantrieb durch! Weißt du, was das bedeutet?“ „Ich aktiviere ihn und bringe ihn gleich auf volle Leistung.“, erklärte Shiranach. „Richtig.“, sagte Tabran und stand auf, um ihr Platz zu machen. Er selbst ging nach hinten zu den Wartungsschächten.

Ängstlich legte Shiranach ihre Hände auf die Steuerkontrollen. Sie war noch nie eine sehr gute Pilotin gewesen und befürchtete auch jetzt, alles falsch zu machen. „Bist du noch da?!“, fragte sie mit leicht zitternder Stimme nach hinten zu ihrem Mann. „Ja.“, kam es zurück. „Halte sie einfach nur. Wenn du deine Hände auf den Kontrollen hast, weiß sie, dass du da bist und wird keinen Alarm auslösen.“ „OK.“, sagte Shiranach, die sich mit der Situation sichtlich unwohl fühlte.

Mit Hilfe eines Werkzeugs aus seiner Tasche hatte Tabran jetzt den Wartungsschacht geöffnet. Vor ihm befanden sich jetzt schier endlose Reihen von silbrig glänzenden Modulen. Für einen Laien wäre dies sicher sehr unübersichtlich gewesen, aber Tabran schien genau zu wissen, was er da tat. Jedenfalls griff er zielgenau nach einem der aus nicht leitfähigem Material bestehenden kleinen Würfel am Deckel eines der Module und drehte ihn nach links. Der Mechanismus, der das Modul in seiner Position hielt, wurde sofort entriegelt. „Telshanach!“, rief Tabran nach vorn. „Ich zähle jetzt bis drei! Eins, zwei, drei!“ Er zog das Modul heraus. Der interdimensionale Antrieb gab ein letztes Summen von sich. „Durchzünden, Telshanach!“, rief Tabran. „Jetzt!“ Shiranach nickte und führte den Befehl ihres Mannes aus.

Das Schiff fiel zunächst senkrecht nach unten, um dann aber wie an einem Gummiseil geführt sanft wieder im Tembraâsh einzutreffen. Diese Landung hatte Shiranach nicht erwartet, aber sie hatte ihr sogar großen Spaß bereitet. Das war etwas, das sie aber bei weitem nicht gedacht hatte.

Tabran hatte das Modul zurückgesteckt und war zu ihr zurückgekehrt. Ohne einen Befehl vom Rechner, das wusste er, würde sich der interdimensionale Antrieb nicht wieder aktivieren. „Gut geflogen, meine geschickte Shiranach!“, lobte er seine am ganzen Leib zitternde Frau und nahm sie fest in den Arm. „Ich übernehme wieder.“ „OK.“, sagte Shiranach und die Beiden tauschten erneut die Plätze.

Die Situation hatte Shiranach nicht in Ruhe gelassen. Lange und intensiv hatte sie darüber nachgedacht. „Wenn mit dem Antrieb alles OK ist.“, sagte sie. „Dann ist vielleicht die interdimensionale Schicht nicht in Ordnung. Ich stelle mir das wie bei einem kranken Wesen vor, weißt du? Ein Kranker benötigt ja auch mehr Zeit für so manches. Vielleicht müssen wir der Schicht mehr Zeit geben, uns aufzunehmen. Der Antrieb müsste vorsichtiger agieren. Sagen wir mal, die Leistung steigert sich immer nur um 5 %, während sich die des normalen Antriebs um eben diesen Faktor reduziert. Kannst du mir folgen?“

Tabran überlegte kurz und lächelte dann: „Und wie ich das kann, meine technisch so begabte Shiranach.“ „Warum bin ich nicht darauf gekommen? Ich halte sogar für möglich, dass es funktionieren könnte. Dir zu Ehren werde ich dem Profil sogar deinen Namen geben! Mishar, Profil Shiranach eins erstellen!“ „Profil wird erstellt.“, kam es sachlich von der männlichen Stimme des Rechners zurück. „Bitte Befehlskette eingeben.“ „Die Leistung des interdimensionalen Antriebs nach Aktivierung in 5-%-Schritten erhöhen, bis 100 % erreicht sind.“, sagte Tabran. „Gleichzeitig die Leistung des normalen Antriebs um den gleichen Faktor senken, bis sie null erreicht hat. Befehlskette Ende!“ „Profil wurde gespeichert.“, sagte der Rechner. „Laden und ausführen!“, befahl Tabran.

Es gab ein kurzes Signal und dann führte der Rechner den Befehl aus. Der Flug dauerte so zwar etwas länger, aber sie landeten schlussendlich genau dort, wo sie wollten. „Ruf das fremde Schiff und überspiele ihm die Daten.“, sagte ein erleichterter Tabran. „Vielleicht kann ihm ja so auch geholfen werden.“ „In Ordnung.“, sagte Shiranach und leitete den Transfer in die Wege. Dann flogen sie weiter in Richtung Basis 281 Alpha. Kamurus, dem das Profil der Vendar tatsächlich auch geholfen hatte, sendete ihnen noch ein herzliches Dankeschön, bevor auch er sich wieder auf den Weg zu Shary machte, die nach Abbruch ihrer Sprechverbindung voller Angst auf ihn gewartet hatte. Jetzt aber konnte er sie trösten. Dank der Vendar hatte er jetzt eine Möglichkeit, auch mit den vorherrschenden Widrigkeiten zurechtzukommen. Die befürchteten Diskrepanzen zwischen ihrem und seinem Betriebssystem waren nämlich ausgeblieben.

Jenna hatte inzwischen die Kommandozentrale von 281 Alpha erreicht. Mit ernstem Gesicht stand sie nun Maron und Zirell gegenüber. Sofort hatte die doch zwar oft sehr streng wirkende, aber dennoch recht sensible tindaranische Kommandantin bemerkt, dass mit ihrer Untergebenen etwas nicht stimmte und das sogar, ohne sich telepathisch in ihren Kopf zu begeben. „Was ist los, Jenna?“, fragte sie. McKnight wurde noch ernster und seufzte schwer.

„Ist etwas mit Shimars Schiff?“, wollte jetzt Maron wissen. Der erste Offizier wusste, dass er sie damit eventuell aus der Reserve locken konnte, dass er gezielt eine völlig falsche Frage stellte, die ja bereits logisch beantwortet worden war. Wenn etwas mit Shimars Schiff gewesen wäre, dann hätte Jenna das ja sofort gemeldet und er wäre gar nicht erst losgeschickt worden.

„Bei allem Respekt, Sir!“, sagte die hoch intelligente Halbschottin, die jetzt sehr große Mühe hatte, ihre aufkommende Wut zu verbergen. Was bildete der Kerl sich ein?! Warum stellte er so eine belanglose und dann auch noch völlig unlogische Frage, wo doch …

Sie konnte nicht mehr an sich halten. „Wir haben weiß Gott keine Zeit für Smalltalk! Oder was hatte Ihre völlig unqualifizierte Frage für einen Hintergrund?! Sie sollten wissen, dass ich in so einem Fall sofort Meldung gemacht und Shimar gar nicht erst weggelassen hätte! Zirell, warum hast du …? Entschuldigung! Aber meine Reaktion ist völlig normal, wenn man bedenkt, dass ich gerade einen entscheidenden Hinweis darauf gefunden habe, dass es bald mit allen Dimensionen und mit allem Leben darin vorbei sein könnte!“

Endlich war es heraus! Maron sah Jenna an. „Herzlichen Glückwunsch, Techniker! Ich dachte mir schon, dass Sie diese Information sicher nicht leichtfertig herausrücken würden, aber ich wusste auch, dass sie extrem an Ihnen nagt. Ich musste Sie also dazu bringen, Ihre Kontrollmechanismen ein wenig zu lockern, damit sie herauskommen konnte.“ „Na, da können Sie ja froh sein, dass ich keine Vulkanierin bin, Sir.“, sagte Jenna. „Dann hätte Ihr kleiner Trick nämlich mit Sicherheit versagt. Wo lernt man eigentlich so etwas, Agent. Auf der Agentenschule etwa?“ „Genau.“, sagte Maron und lächelte sie an. „Ich wusste, dass Sie drauf kommen würden. Bei Ihrer Intelligenz war das keine Frage.“ „Bitte hören Sie auf Witze zu reißen.“, sagte Jenna. „Das Thema ist ernst genug. Aber den Glückwunsch gebe ich gern an Sie zurück. Ich hätte Ihnen so etwas nicht zugetraut.“ „Oh ich weiß, dass ich nicht gerade der Vorzeigeagent bin, der öfter Böcke schießt, als dass er einen Fall löst. Aber da habe ich mir wohl bei Ihrer Assistentin so einiges abgeguckt. O’Riley versteht es prima, mit ihrem Verhalten und ihren kleinen Schwächen zu kokettieren. Das macht ihr das Leben sehr viel leichter und ich habe gedacht, ich probiere es auch einmal. Ich wollte einfach mal sehen, wie mein Gegenüber, in diesem Fall Sie, darauf reagiert und wie es sich auf meine Ermittlungen auswirkt. Ich muss sagen, die Auswirkungen waren doch sehr positiv, oder was meinen Sie?“ Er nahm eine abwartende Haltung ein und sah sie von oben bis unten an, während er zufrieden lächelte.

McKnight hatte die Situation noch einmal in ihrem Kopf Revue passieren lassen. Mit dem, was er gerade gesagt hatte, hatte er zweifelsfrei Recht gehabt. Alle und am aller wenigsten sie, hatten nicht mit so einer hinterlistigen Falle gerechnet, die er ihr stellen würde, obwohl er Demetaner war und alle wissen sollten, wie hinterlistig diese ab und zu sein konnten. Wenn er sich an Agent Sedrin oder Agent Yetron maß, dann war er sicher nicht viel besser als ein Schulkind, aber wenn man Maron an Maron maß, war das, was ihm da gerade gelungen war, schon eine Leistung! Selbst ihre oft überragende Intelligenz hatte sie nicht davor bewahren können, in seine gut ausgelegte Falle zu tappen.

Sie räusperte sich und sagte dann schließlich: „Sie haben Recht mit dem, was Sie gerade gesagt haben, Sir. Und Sie haben mich ganz schön kalt erwischt. Wenn Sie so mit einem wirklichen Verbrecher umgehen, dann kriegen Sie auf jeden Fall ein Geständnis. Ich finde Ihre neueste Strategie sehr interessant. Sich dumm stellen, um jemanden aus der Reserve zu locken. Na ja. Das macht meine Assistentin ja auch dauernd.“ Sie wurde wieder ernst und seufzte. „Shannon.“, sagte Maron. „Da kommen wir der Sache doch schon sehr nah. Was ist mit Shannon? Was hat Sie mit dem eventuellen Weltuntergang zu tun? Bleiben Sie beim Thema, McKnight! Wir haben es doch fast!“ „Shannon hat Kontakt zu Tabran und Shiranach bekommen.“, sagte Jenna. „Sprechkontakt?“, fragte Zirell. „Aber das ist doch unmöglich! Die Wächterin hat doch eine mentale Barriere …“

Maron hatte den Finger an die Lippen gelegt. „Geh mir bitte jetzt nicht dazwischen, Zirell.“, flüsterte er seiner tindaranischen Vorgesetzten zu. „Schon gut.“, sagte Zirell. Es ist deine Vernehmung.“

Er wendete sich wieder Jenna zu: „OK, McKnight. Wie hat sie das gemacht?“ „Zuerst.“, sagte Jenna. „Hat sie IDUSA befohlen, eine interdimensionale Verbindung mit dem Rufzeichen unserer Freunde im Tembraâsh herzustellen. IDUSA hatte zwar einen Einwand, aber den hat Shannon nicht gelten lassen und ihr befohlen, es trotzdem zu versuchen. Aber was rede ich. Es gibt eine Aufzeichnung des Gesprächs.“ Sie ließ IDUSA die Aufzeichnung abspielen.

Nachdem sich alle diese angehört und angesehen hatten, blieb Zirell und Maron vor Staunen der Mund offen stehen. „Was für Gründe kann es geben, aus denen so etwas doch möglich ist, McKnight?“, fragte der erste Offizier jetzt auch sehr ernst. Die Tragweite dessen, was eventuell passiert sein konnte, war selbst ihm bewusst. „Dazu habe ich tatsächlich eine Theorie, Sir.“, sagte Jenna. „Aber dazu müssten wir ein kleines Experiment wagen.“ „Also schön.“, sagte der demetanische Geheimdienstler, der von ihren Experimenten immer sehr begeistert gewesen war. Sie waren es oft nämlich gewesen, die ihm selbst die schwierigsten physikalischen Zusammenhänge verständlich gemacht hatten. „Ich bin auch dabei.“, sagte Zirell und schlug in Jennas weit offen vor ihr und Maron in der Luft liegende am langen rechten Arm ausgestreckte Hand.

Die Chefingenieurin sah sich im Raum um. Zuerst fiel ihr kompetenter Blick auf Zirells Platz, auf dem immer noch das Stövchen und die leere Schale standen. Natürlich war das Stövchen mit einem durch eine Energiezelle betriebenen Licht bestückt gewesen. Offenes Feuer hätte ja schließlich zur Auslösung des automatischen Sauerstoffentzugs für den Bereich gesorgt, um das Feuer zu ersticken. Außerdem hätte ein Kraftfeld verhindert, dass sich überhaupt noch eine Lebensform dem Bereich nähert. IDUSA hätte Zirell auch aus dem Bereich gebeamt, um ihr Leben zu retten. Da niemand wirklich Interesse am Auslösen dieser Sicherheitskette hatte, hatte sich Zirell bei der Replikation des Stövchens für ein elektrisches Licht entschieden, das aber die nötige Wärme entwickeln konnte. Es war vielleicht lange nicht so romantisch wie eine echte Kerze, erfüllte aber seinen Zweck, was für die sehr praktisch veranlagte Kommandantin völlig ausreichend war. So mancher Ostfriese würde sich jetzt zwar die Haare raufen, aber dann hätte Zirell immer noch die Ausrede gehabt, dass sie Außerirdische sei und es als eine Solche ja nicht besser wissen konnte. Von den Sicherheitsbestimmungen auf Raumstationen des tindaranischen Militärs mal ganz abgesehen.

McKnight sah ihre Vorgesetzte fragend an und deutete auf das Stövchen und die Schale. „Darf ich mir das einmal ausleihen, Zirell?“, fragte sie. „Tu dir keinen Zwang an, Jenn’.“, lächelte die ältere Tindaranerin. Sie war auf das Experiment auch sehr neugierig geworden, das Jenna mit ihnen allen vorhatte. Zwar hätte sie ja sehr leicht herausfinden können, worum es ging. Schließlich war sie Telepathin. Aber es lag ihr fern, einfach in den Geist einer anderen Person einzudringen, ohne dass diese etwas davon wusste. Zirell war außerdem sehr wohl bewusst, dass eine solche Aktion als großer Vertrauensbruch von Jenna gewertet werden würde, was ja auch korrekt gewesen wäre. Eine einfache Entschuldigung hätte da sicher nicht ausgereicht, um die Wogen zwischen sich und Jenna wieder zu glätten, wenn Jenna, als Nicht-Telepathin, ihr überhaupt je wieder vertraut hätte. Das wollte sie, zumal beide sicher noch viel länger zusammenarbeiten würden, auf keinen Fall riskieren!

Jenna nahm Stövchen und Schale in die Hände und ging damit zu einer freien Konsole, die sie kurzerhand zum Labortisch umfunktionierte. Dann ging sie zum gleichen Replikator, der auch Zirells Frühstück ausgespuckt hatte und replizierte einen verpackten Schokoriegel. Diesen legte sie in die Schale. „So.“, sagte sie und drehte sich Maron und Zirell zu, die sie erwartungsvoll ansahen. „Stellt euch bitte folgendes vor: Der Riegel ist das Tembraâsh, die Verpackung ist die interdimensionale Schicht und die Schale ist unsere Dimension.“

Sie legte den Schokoriegel wie er war in die Schale und präsentierte sie allen. „Wenn ich das richtig verstehe, McKnight.“, sagte Maron, der sich wahrscheinlich etwas hervortun wollte. „Dann schirmt die Schicht bis jetzt noch das Tembraâsh gegen unsere Dimension ab. Ich will damit sagen, der Schokoriegel ist im Papier und beschmutzt die Schale nicht.“ „Das ist korrekt, Sir.“, lächelte Jenna aufmunternd. Dann drehte sie sich erneut ihrem Experiment zu.

Jetzt schaltete sie das Licht am Stövchen ein und stellte die Schale darauf. „Und jetzt kommt ein äußerer Einfluss daher und macht etwas mit den Dimensionen an sich an ihren Wurzeln, also auch mit dem Tembraâsh. Schaut euch einmal genau an, was dann passiert.“

Maron und Zirell standen von ihren Plätzen auf, um besser sehen zu können, was in Jennas Experiment geschah. Hier wurde die Schale jetzt immer wärmer und als Folge schmolz der Riegel in seinem Papier langsam aber sicher vor sich hin. Die jetzt flüssige Schokolade weichte die Verpackung auf und floss schließlich an den geklebten Nahtstellen aus ihr heraus. „Was für eine Schmiererei!“, rief Zirell aus. „Aber du willst uns doch bestimmt etwas damit sagen, Jenn’.“ „Oh ja.“, sagte Jenna. „Und was würd’ das sein?“ „Das kann ich dir nicht sagen.“, sagte Zirell resignierend. „Du bist die Physikerin von uns dreien.“

Maron hob die Hand. Dabei musste sich der erste Offizier fast wieder in seine Schulzeit zurückversetzt fühlen. Jedenfalls benahm er sich in den Augen der hoch intelligenten Halbschottin jetzt so. Da Jenna aber keine disziplinarischen Maßnahmen gegen sich provozieren wollte, ging sie darüber hinweg und sagte nur: „Ja, Agent?“ Maron antwortete: „Ich denke, Sie wollen uns damit sagen, dass es auf keinen Fall an der mentalen Barriere der Wächterin liegt, dass die Dimension für uns erreichbar geworden ist. Die Dimension selbst hat sich durch einen äußeren Einfluss so verändert, dass die von der Wächterin angewandte Technik vielleicht gar nicht mehr funktionieren kann. Ich würde die Schweinerei hier ja auch statt in einer Tüte oder einem Papier jetzt lieber in einem Eimer oder einer Kanne verpacken, McKnight.“ Jenna klatschte in die Hände: „Bravo, Agent! Das haben Sie richtig erkannt. Die Wächterin müsste ihre Schutztechnik anpassen. Aber das ist etwas, auf das sie noch nicht gekommen zu sein scheint. Zumindest lassen alle Daten nur diesen Schluss zu, die wir bis jetzt gewinnen konnten. Sagen wir mal so: Die mentalen Befehle werden von der Dimension nicht mehr verstanden. Wenn ihr Telepathen per Gedankenbefehl etwas sendet, Zirell, dann ist dieser Energieausstoß ja in gewisser Weise elektrisch geladen. Diese Ladung trifft auf eine entsprechend geladene Menge anderer Teilchen, die aber aufgrund ihrer Gesetzmäßigkeit entsprechend reagiert. Sie versteht euch also. Aber was ist, wenn diese Gesetzmäßigkeit selbst geändert wird? Agent, wir beide machen das mal vor. Bitte aktivieren Sie das SITCH-Mail-Programm.“

Maron nickte und tat, worum sie ihn gerade gebeten hatte. Dabei bekam er einen Blick wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum. So sehr freute er sich über das Experiment und über die Tatsache, dass er an ebendiesem wieder einmal teilnehmen durfte.

Jenna hatte IDUSA befohlen, das Übersetzungsprogramm für Vendarisch zu laden. Dann hatte sie eine kurze Mail diktiert und sie Maron gesendet. Der erste Offizier hatte sie zwar geöffnet, stellte aber dann fest: „Ich kann kein Wort lesen, Techniker, geschweige denn auch nur eines ansatzweise verstehen.“ „So?“, fragte Jenna und stellte sich übertrieben dramatisch dumm. „Dann schicke ich es Ihnen noch einmal.“ „Das wird an der Tatsache auch nichts ändern, McKnight.“, sagte der Demetaner und wandte sich von seiner Konsole ab, nachdem er demonstrativ seinen Neurokoppler abgesetzt hatte. „Ohne eine Übersetzung wird das nicht klappen.“ „Genau.“, sagte Jenna. „Und genauso wird es der Wächterin jetzt mit ihren Gedankenbefehlen auch gehen.“, schlussfolgerte der demetanische Agent. „Richtig!“, sagte Jenna. „Sie verstehen besser, als Sie uns immer glauben machen wollen, Sir.“ „Oh nein.“, entgegnete Maron. „Das ist wohl eher O’Rileys Job. Wenn ich etwas nicht verstehe, dann verstehe ich es wirklich nicht. Aber offensichtlich nicht in diesem Fall.“ „Da muss ich Jenn’ Recht geben, Maron.“, stimmte Zirell Jenna zu. „Du hast heute echt einen Lauf!“

Kapitel 13: Wichtige Zeugnisse

von Visitor

 

Nervöse Blinklichter an den Ports für die Neurokoppler machten alle darauf aufmerksam, dass wohl etwas im Busch sein musste. Sofort setzten alle die Geräte wieder auf, was IDUSA veranlasste, alle Tabellen zu laden. Dann fragte Zirell: „Was ist los, IDUSA?“ „Ein Schiff hat soeben die interdimensionale Schicht verlassen, Commander.“, meldete der Rechner der Station. „Laut Transponder handelt es sich um das von Tabran und Shiranach.“ „Auf den Schirm, IDUSA!“, befahl Zirell. „Und ruf sie.“

Der Avatar des Stationsrechners vor ihrem geistigen Auge nickte und der Computer führte die Befehle aus. Dann zeigte sich bald das Außenbild des Schiffes auf dem virtuellen Schirm vor allen. „Das Schiff sieht sehr mitgenommen aus.“, stellte Maron fest. „Ob sie in einen Kampf geraten sind?“ „Das glaube ich nicht.“, sagte Zirell. „Wer sollte sie denn warum so plötzlich angreifen?“ „Du darfst nicht vergessen.“, sagte der erste Offizier, um sie zu erinnern, in was für einer gefährlichen Situation sie vermutlich waren. „Dass wir die Ursache für die Ladungsverschiebung in der interdimensionalen Schicht noch nicht kennen, die McKnight festgestellt hat. Es kann eine natürliche Ursache haben, kann aber auch mit einem eventuellen kriegerischen Akt Sytanias zu tun haben. Du weißt, dass sie mit ihrer Heimatdimension auf mentale Weise direkt verbunden ist und somit haben ihre Handlungen auch direkten Einfluss auf sie. Techniker, Sie haben mir einmal erklärt, dass keine Dimension eine Insel ist. Alle sind durch die Schicht miteinander verbunden. Gut, die Schicht selbst ist nur ein Teilchenmodell zum besseren Verständnis, aber …“ „Aber die Grundzüge haben Sie verstanden, Agent.“, hakte Jenna ein. „Und zwar sehr gut, wie ich feststellen konnte. Aber wir müssen noch viele Daten sammeln, befürchte ich, bis wir die wirkliche Ursache kennen. Damit, Sytania pauschal für alle Katastrophen verantwortlich zu machen, die uns passieren können, wäre ich an Ihrer Stelle sehr vorsichtig, Sir. Gerade Sie, als Geheimdienstler, sollten schließlich wissen, dass auch, oder vielleicht gerade, sogar für den größten Feind solange die Unschuldsvermutung gilt, bis das Gegenteil bewiesen werden kann. Sonst könnten wir uns ganz schön in die Nesseln setzen!“ „Ich denke, da können wir dir alle getrost zustimmen, Jenna.“, sagte Zirell. „Obwohl manche Politiker damit ja recht schnell sind und es dann oft Leuten wie uns bedarf, die den Karren wieder für sie aus dem Dreck ziehen.“ „Das habe ich auch schon oft genug gesehen.“, sagte Maron. „Aber das kommt wohl daher, weil sie wenig Einblick in das haben, was hier draußen an der Front im Weltraum so passiert. Sie kriegen ja oft erst dann die Berichte, wenn schon alles passiert ist.“ „Ganz ehrlich.“, sagte Jenna. „Ich halte aber die Politiker auch nicht für in der Lage, die komplizierten Zusammenhänge zu verstehen, wenn sie live dabei wären.“ „Aber dazu gibt es ja so schlaue Füchse wie Sie, McKnight.“, sagte Maron. „Die ihnen das bestimmt gern erklären werden.“ „Das stimmt schon.“, sagte Jenna. „Aber oft genug sind sie dann in ihrer Meinung schon so festgefahren, dass gar nichts mehr geht. Zirell, deine Leute sind da ja noch moderat. Aber wenn ich an die Politiker der Föderation denke, dann müssen wir wirklich hieb- und stichfeste Beweise haben, wenn wir es ihnen erklären sollen. Die haben nämlich manchmal ein total schwarzweißes Weltbild, von dem sie nicht abzubringen sind. Solange wir die Ursache nicht kennen, wäre ich mit Spekulationen an unserer Stelle sehr vorsichtig, Agent.“ „Davon kann ich ein Lied singen, McKnight.“, stöhnte Maron. „Und Sie haben sicher Recht.“

IDUSAs Avatar räusperte sich. Dann sagte sie: „Commander, ich habe seit geraumer Zeit Tabran für Sie in der Leitung. Ich denke, dass seine Geduld bereits sehr strapaziert worden ist und er sicher nicht mehr lange warten will.“ „Ach ja.“, erinnerte sich Zirell an den eigenen Befehl gegenüber IDUSA. „Stell ihn auf den Hauptschirm!“

Nachdem IDUSA ihren Befehl ausgeführt hatte, sahen alle in das erschöpfte aber glückliche Gesicht Tabrans. „Ich grüße dich, Anführerin Zirell und auch deine Kameraden.“, sagte der sehr erleichterte Vendar. „Und ich grüße dich und deine Frau, Tabran.“, sagte Zirell. „Bitte entschuldigt meine Frage, obwohl sie durchaus wörtlich zu nehmen ist. Aber wie kommt ihr hierher?“ „Genau verstehen wir das auch nicht.“, sagte Tabran. „Aber die interdimensionale Schicht scheint in einem Zustand zu sein, in dem sie uns das, wenn auch mit Schwierigkeiten, anscheinend erlaubt hat. Ich weiß auch, dass es unter normalen Umständen unmöglich ist, das Tembraâsh zu verlassen oder gar anzufliegen. Aber die Umstände haben sich anscheinend geändert, oder wir sollten besser sagen, sie sind dabei, sich zu ändern. Anders kann ich mir nicht erklären, warum es möglich war. Ursprünglich war da ja nur Shannon O’Rileys SITCH. Wir wollten der Ursache dafür auf den Grund gehen.“ „Am besten eins nach dem anderen.“, sagte Zirell. „Ihr solltet erst einmal docken. Dann werden sich Shannon und Jenna um euer Schiff kümmern und Maron und ich uns um euch. Wir haben auch einige Dinge festgestellt, die uns glauben lassen, dass hier etwas nicht stimmt. Vielleicht können wir ja alle unser Wissen zusammenwerfen und so wird ein Schuh draus.“

„Wir sind einverstanden, Zirell El Tindara.“, sagte Tabran, nachdem er einen langen Blickwechsel mit seiner Frau hatte, den Zirell, Jenna und Maron, aufgrund der gedrückten Sendetaste sehr gut gesehen hatten. „Also gut.“, sagte Zirell und wandte sich dem Stationsrechner zu: „IDUSA, weise sie nach Andockrampe drei!“ IDUSAs Avatar nickte folgsam. Dann sah Zirell an den Positionslichtern, dass ihre Anweisungen ausgeführt wurden.

Die tindaranische Kommandantin drehte sich wieder ihren Leuten zu. „Na gut.“, sagte sie. „Jenna, du gehst am besten wieder in den Maschinenraum und hilfst Shannon bei der Wartung von Tabrans und Shiranachs Schiff. Maron, wir beide reden in meinem Raum mit Shiranach und Tabran.“ Der Demetaner nickte, aber die hoch intelligente Terranerin verkniff das Gesicht. „Bitte lass mich hierbleiben, Zirell.“, bat sie. „Ich bin unter Umständen die Einzige, die das, was uns die Beiden sagen, ausreichend interpretieren kann.“ „Also gut.“, überlegte Zirell. „Dann komm mit, Jenna. Wir zwei empfangen sie. Ich denke, es wird ihnen sehr viel Erleichterung verschaffen, wenn sie dein Gesicht sehen. Dann werden sie wissen, dass alles wieder in Ordnung kommt.“ „Soweit möchte ich nicht vorgreifen, Zirell.“, sagte Jenna bescheiden. „Wir können schließlich nicht den ersten Schritt vor dem zweiten tun. Solange wir die Ursache nicht kennen, wird es auch keine Lösung geben. Alles andere wäre nur Augenwischerei und das wäre sehr unehrlich gegenüber Tabran und Shiranach. Ich denke, das würden sie auch durchschauen. Aber ich begleite dich trotzdem.“ „OK.“, sagte Zirell.

Sie wendete sich Maron zu: „Geh doch schon mal vor und bereite alles für deine Vernehmung in meinem Raum vor!“ „OK.“, sagte der Agent und ging. Auch Jenna und Zirell verließen die Kommandozentrale, nachdem die Tindaranerin IDUSA befohlen hatte, sie, falls etwas wäre, über ihr Handsprechgerät zu verständigen.

Diran war wieder in Toleas Haus geeilt. Er hatte ihren Befehl ausgeführt, soweit er es eben konnte. Wen er nicht erreicht hatte, den würde er persönlich aufsuchen. Aber dabei würde er wohl ihrer Hilfe bedürfen, denn Diran wusste ja noch nicht, was Zirell und ihre Leute gerade im Begriff waren zu erfahren. Der Vendar hatte ja keine Ahnung davon, dass die Dimension, in der er seine Freunde Tabran und Shiranach vermutete, auch bereits auf normalem Weg zu erreichen war, ohne dass die Wächterin die Tür öffnete und Tolea sie telepathisch darum bat.

Vorsichtig hatte Diran jetzt das Schlafzimmer seiner Gebieterin betreten, in das er sie selbst gebracht hatte, nachdem sie ihm von ihrer doch sehr starken Vision berichtet hatte. Jetzt stand er neben ihrem großen Bett und sah zu, wie sie langsam wieder die Augen öffnete und die große warme weiße Decke, in die er sie gehüllt hatte, bevor er gegangen war, zurückschlug. Sie musste, obwohl sie geschlafen hatte, ihn irgendwie wahrgenommen haben. Diran dachte sich allerdings, dass das für sie, als Mächtige, ja sicherlich kein Problem darstellte.

Tolea setzte sich auf. „Hallo, Diran.“, begrüßte sie ihn zwar mit immer noch leicht erschöpftem Ausdruck, aber dennoch mit einem Lächeln auf dem Gesicht. „Schön, dass du noch einmal hergekommen bist, um nach mir zu sehen.“ „Um ehrlich zu sein.“, sagte Diran. „Ist das nicht der Grund, aus dem ich hier bin, Gebieterin. Ich möchte, nein, ich muss Euch bitten, mit der Wächterin des Tembraâsh Kontakt aufzunehmen, damit ich mit Tabran und Shiranach reden kann. Wenn ich sie nicht über SITCH erreichen kann, werde ich persönlich mit meinem Schiff dorthin fliegen.“

Der Gesichtsausdruck der Mächtigen verfinsterte sich leicht. „Habe ich etwas gesagt, dass Euer Missfallen erregt hat?“, fragte Diran etwas unsicher. „Das hast du nicht.“, sagte Tolea und legte mit Absicht viel Trost in ihre Stimme. „Du kannst es ja nicht wissen, Diran. Nein, du kannst es ja nicht wissen. Du bist ja nur ein …“ „Was kann ich nicht wissen?!“, hakte Diran ein. Seine Stimme wies auf eine mittlere Alarmierung hin. Er wusste, wenn sie diese Worte gebrauchte, dann musste etwas sein, das noch viel schlimmer war als alles, was er bisher gesehen und gehört hatte.

Diran beschloss, vorsichtig, aber dennoch diplomatisch nachzufragen. Er wusste, dass sie eigentlich keine von den typischen Q war, die Sterblichen pauschal jede Fähigkeit absprachen, die komplizierten physikalischen Zusammenhänge zwischen den Dimensionen zu verstehen. Eigentlich war Tolea immer das genaue Gegenteil davon gewesen. Sie und ihr Bruder Kairon hatten immer die Prämisse vertreten, dass alle Spezies die Chance bekommen sollten, es zumindest zu versuchen. Ob nun mit mehr oder weniger Anleitung. Nur so könnten sie sich schließlich entwickeln und lernen. Das durfte man, zumindest ihrer Meinung nach, niemandem absprechen, auch wenn es bedeutete, dass es zuweilen für die Mächtigen selbst etwas unbequem würde. Aber das Leben bestand, auch für sie, eben aus Lernprozessen. Vor allem aber musste man die Sterblichen dort abholen, wo sie standen und nicht Dinge verlangen, die sie überforderten und das sogar vielleicht mit Absicht, um sie möglichst klein zu halten. Das hatten vielleicht die alten Q so gemacht, Tolea, Kairon und der Rest des Hohen Rates verfolgten aber den genauen Gegenkurs.

Dirans Einwurf hatte Tolea stutzen lassen. „Oh entschuldige, Diran.“, sagte sie, die sich in diesem Moment auch wieder an ihre eigenen Grundsätze erinnert hatte. „Wie konnte ich das nur sagen?! Bitte verzeih mir!“ „Es ist längst vergeben, Herrin.“, tröstete Diran und sah sie mild an. „Aber Ihr scheint irgendwie sehr fahrig. Was ist Euch geschehen? Liegt es immer noch an der Vision, die Ihr hattet?“

Tolea deutete auf die freie Stelle auf der Matratze zu ihren Füßen: „Setz dich!“ Folgsam tat Diran, was sie verlangt hatte. Dann berichtete sie: „Ich hatte eine weitere Vision, während du fort warst. Ich denke, dass die Quellenwesen zu mir gesprochen haben. Sie gaben mir eine Weissagung, die ich dir geben soll. Höre genau zu und merke dir jedes Wort! Du wirst sie so weitergeben, wie ich sie dir sage!“ Dann sah sie ihn wieder fest an und sagte fest: „Tshê, Vendar!“, um danach langsam und deutlich fortzufahren: „Die Hydra der Eifersucht wird erwachen. Entfesseln wird sie des Krieges Drachen. Sodann werden alle Lande beben. Es wird viel Leid und Kummer geben. Doch Recken, die Kommen auf vielen Wegen, werfen sich tapfer dem Bösen entgegen. Wen das Schicksal sich wünschen will in diesem Stand, den wird es erwählen durch Kindeshand. Dies wirst du allen Sagen, die von deiner Art sind und denen du begegnest. Auch anderen, die uns wohlgesonnen sind!“ „Ich verstehe, Gebieterin.“, sagte Diran. „Aber welches Kind soll das Werkzeug des Schicksals sein?“ „Das weiß ich nicht.“, gab Tolea zu. „Sie haben es mir nicht gesagt. Das werden wir wohl allein herausfinden müssen.“ „Könntet Ihr nicht in die Zukunft sehen und es herausfinden?“, fragte Diran. „Ich wünschte, das könnte ich.“, sagte Tolea. „Aber alles ist bereits jetzt so chaotisch, dass es anscheinend nicht mehr funktioniert. Ich erhalte nur merkwürdige Bilder, die ich nicht einordnen kann.“ „Aber wie kommt denn das?“, fragte Diran. „Ich meine, Ihr seid eine Mächtige! Eigentlich müsste doch Euer Wunsch der Zeit Befehl sein.“ „Normalerweise sicher ja.“, sagte Tolea. Aber was ist, wenn sich die Zeit so verändert hat, dass sie meinen Befehl nicht versteht? Das halte ich auf jeden Fall für möglich. Irgendeine massive Veränderung ist im Gange. Das weiß ich mit Sicherheit!“

Diran begann damit, lange zu überlegen, was sie gemeint haben könnte. Aber irgendwie wollte das, was sie gerade gesagt hatte, nicht in seinen Kopf. „Ich vermag Euch leider nicht ganz zu folgen, Gebieterin.“, gab er schließlich zu. „Das macht nichts.“, sagte Tolea. „Dann will ich es dir an einem Beispiel verdeutlichen. Nimm meine Decke!“ Etwas verunsichert, aber dennoch vertrauensvoll tat Diran, was sie gerade gesagt hatte und zog ihre Bettdecke zu sich heran. „Jetzt schlinge sie dir so um den Kopf, dass sie deine Ohren vollständig bedeckt. Lass aber dein Gesicht frei.“, wies Tolea ihn an. Diran tat auch dies. Er konnte zwar noch nicht erahnen, was sie beabsichtigte, dachte sich aber, dass er dessen schon früh genug gewahr werden würde.

Jetzt trug er einen Turban aus einer Bettdecke, denn seine Augen, Nase und Mund waren frei. Mit seinen Augen nahm er zwar wahr, dass sich Toleas Lippen bewegten, aber was sie sagte, blieb ihm weitgehend verborgen. Erst als sie ihm die Decke wieder vom Kopf zog und ihn fragte, was er denn nun gehört hätte, wurde Diran klar, was sie meinte. „Was hast du von dem verstanden, was ich gesagt habe?“, fragte Tolea. „Nicht ein sicheres Wort, Gebieterin.“, gab Diran zu. „Ich könnte noch nicht einmal ansatzweise wiedergeben, wovon Ihr gesprochen habt. Aber ich glaube, ich verstehe langsam. So ähnlich mag es jetzt wohl auch den Dimensionen ergehen.“ „Du bist sehr klug, Diran.“, sagte Tolea, was dem Vendar wiederum zeigte, dass er mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte. „Aber haltet Ihr tatsächlich für möglich, dass ich Tabrans und Shiranachs Rufzeichen normal über SITCH erreichen oder ihre Heimatdimension gar anfliegen kann?“ „Das tue ich!“, sagte Tolea fest. „Und du solltest dich damit beeilen! Je eher unsere Freunde alle davon wissen, desto eher können wir auch alle zusammen eingreifen und die Katastrophe vielleicht noch verhindern! „Ich werde mich sofort aufmachen, Gebieterin!“, versicherte Diran, stand auf und ging aus dem Raum.

Mit Hilfe des Kontaktkelchs hatte Sytania die Situation um Diran beobachtet. Die Dinge, die Cirnach herausgefunden hatte, hatten der Königstochter keine Ruhe gelassen. Sie wusste, dass sie, würde sie es richtig anstellen, eine sehr große Chance hatte, an jede Information zu kommen, die ihre verhasste Feindin Tolea besaß und die etwas mit den Plänen ihrer Gegner zu tun hatte. Deshalb hatte sie jetzt auch Telzan und Mirdan wieder zu sich gerufen.

„Deine Frau hat mir da eine wertvolle Information gegeben.“, sagte sie zu ihrem obersten Vendar, der sie fragend angesehen hatte. „Sprecht Ihr etwa von dem Ergebnis ihrer Spionage mit der Sonde?“, fragte Telzan. „Wovon denn wohl sonst?!“, fragte Sytania scharf. „Wir könnten an alle Informationen kommen, die Tolea hat, wenn wir es richtig anstellen. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass Tolea aus dem Raum-Zeit-Kontinuum einfach so zusehen wird, wie Valora und ich die Welten ins Chaos stürzen. Aber ich will nicht wieder verlieren! Dieses Mal will ich vorbereitet sein. Ich weiß auch schon, wie wir das anstellen werden. Tolea hat, wahrscheinlich ohne es zu wollen, aber sie hat, mir die beste Vorlage dafür geliefert, die ich je bekommen konnte.“ „Ihr sprecht von dem Bann über Diran.“, sagte Telzan. „Ich verstehe. Aber was ist, wenn meine Frau die Lippenbewegungen falsch interpretiert hat? Ich meine, bei der Aufnahme gab es keinen Ton. Wir sollten vorsichtig sein.“ „Zweifelst du etwa an den Fähigkeiten deiner eigenen Ehefrau, Telzan?!“, fragte Sytania ihn und sah ihn scharf und eindringlich an. „Im Grunde nicht, Milady.“, sagte Telzan. „Aber ich wäre an Eurer Stelle sehr vorsichtig. Falls Ihr nämlich beabsichtigt, mich dorthin zu schicken, um das mit dem Bann auszuprobieren, dann muss ich Euch darauf hinweisen, dass Tolea den Plan genauso gut gegen uns verwenden könnte.“ „Wie meinst du das, Telzan?“, fragte Sytania. „Ich meine.“, erklärte der Vendar. „Wenn es keinen Bann geben sollte und Cirnach hat sich geirrt, dann könnte ich genauso gut als Gefangener Toleas enden. Ihr wisst, dass sie Euch mindestens ebenbürtig ist.“

Mirdan war jetzt in den Vordergrund getreten. „Wenn Ihr das Leben Eures obersten Vendar nicht riskieren wollt.“, sagte er. „Dann nehmt doch das Meine an seiner Stelle. Mich kennt Diran Ed Sianach nicht. Weder er, noch seine Gebieterin würden Verdacht schöpfen bei einem harmlosen Novizen. Ich werde allerdings das Zeichen des Drudenfußes gut sichtbar auf meiner Schulter tragen. Zumindest dann, wenn er sich mir in bestimmter Art nähert. Es dürfte nur durch einen Zipfel meines Kragens verdeckt werden. Dann werde ich ja sehen, ob er wirklich jedem erzählen muss, was er und seine Herrin so planen. Falls dem so ist, werde ich Euch die Informationen natürlich sofort zukommen lassen.“ „Das ist eine sehr gute Idee, Mirdan.“, lobte Telzan und auch Sytania nickte beifällig. „Auf diese Weise können wir Diran und Tolea demoralisieren und bekommen gleichzeitig alle Informationen, die wir wollen. Wenn Diran wirklich unter dem Bann steht und allen von seiner Art die Informationen geben muss, denen er begegnet, dann wird er an dieser Tatsache sehr verzweifeln. Wenn er dann auch noch sieht, wem er sie gegeben hat, dann wird er noch mehr verzweifeln und das wird ihn dazu bringen, Tolea zu fragen, was sie mit ihm gemacht hat. Aber Tolea wird sich ihres Fehlers wohl nicht bewusst sein und so kann er nicht auf Hilfe hoffen. Für einen Vendar ist es das Allerschlimmste, zum Verräter am eigenen Herrn zu werden und wenn er dann noch merkt, dass er nichts dagegen tun kann, dann wird es ihn sogar in den Selbstmord treiben, denke ich. So hat Tolea dann einen Getreuen weniger und das ist umso besser für uns. Das nenne ich zwei lästige Schmeißfliegen mit einer Klappe schlagen! Wenn sie merkt, was sie mit ihrem Bann angerichtet hat, wird auch sie verzweifeln, weil sie den guten Diran ja ach so gern mag. Das ist eben das große Problem, wenn man eine zu starke Beziehung zu seinen Vendar pflegt.“ Er grinste gemein zu Sytania herüber. „Aber das kann Euch ja nicht passieren.“ „Oh nein.“, sagte die Prinzessin. „Da brauchst du wirklich keine Angst zu haben, Telzan. „Es ist alles in Ordnung mit unserer Beziehung. Ich würde jederzeit einen von euch für mich in den Tod schicken! Reicht dir das als Beweis?! „Ja, Herrin.“, nickte der Vendar erleichtert. „Wie ich also sehe, ist alles in Ordnung.“

Sytania wandte sich Mirdan zu. „Bist du immer noch der Ansicht, deinen Plan ausführen zu wollen, Novize?!“, fragte sie ihn sehr eindringlich. „Das bin ich, Gebieterin.“, sagte Mirdan mit sehr sicherem Ausdruck in Gesicht und Stimme. „Es macht dir also nichts, unter Umständen als Feind erkannt zu werden?“ „Nein!“, versicherte Mirdan. „Weil ich Cirnachs Fähigkeiten als Lippenleserin völlig vertraue. Sie wird es schon richtig gesehen haben. Tolea war ziemlich fertig. Das geht aus den Aufzeichnungen der Sonde hervor. Die Wahrscheinlichkeit ist meiner Ansicht nach sehr groß, dass sie diesen Fehler gemacht hat. Ich werde schon auf mich achten. Aber um Dirans Demoralisierung noch voranzutreiben, sollte ich mir auch einen Grund überlegen, aus dem der Mishar seines Schiffes unser Gespräch aufzeichnen sollte. Sonst weiß der gute Diran ja am Ende gar nicht, was er getan hat. Aber da werde ich mir schon etwas überlegen. Ausbilder, Bitte gib mir ein Schiff. Dann werde ich mich sofort auf die Reise machen, um ihn zu suchen. Wie ich ihn auf mich aufmerksam machen werde, weiß ich auch schon. Aber wenn Ihr, Sytania und du, Ausbilder, mich gemeinsam beobachtet, dann werdet ihr schon sehen, was ich plane. Betrachtet es doch einfach als meine Prüfung, oder zumindest als eine meiner Prüfungen.“ „Also gut, Mirdan.“, sagte Telzan. „Auch ich bin einverstanden.“, sagte Sytania. „Soll dein Novize uns zeigen, was er so gelernt hat, Telzan.“ „Das wird er, Hoheit!“, versicherte Telzan. „Er hat mich noch nie enttäuscht und er wird es auch jetzt nicht tun. Da bin ich mir zu 100 % sicher, Milady! Und Euch, ja Euch wird er das auf gar keinen Fall antun!“

Er wandte sich Mirdan mit ernstem Blick zu: „Habe ich Recht, Junge?“ „Du hast immer Recht, Ausbilder.“, sagte Mirdan und machte eine fast unterwürfige Geste. „So ist es recht!“, lobte Telzan. Dann zog er ihn mit sich: „Und nun komm mit. Meine Techniker werden dir ein Schiff vorbereiten. Hast du spezielle Anforderungen daran, die es für deinen Plan erfüllen müsste?“ „Die hätte ich schon, Ausbilder.“, sagte Mirdan. „Es müsste ein älteres Schiff sein. Eines, dem man technische Probleme auf jeden Fall abnimmt.“ „Ah.“, machte Telzan. „Ich verstehe. Wenn es weiter nichts ist, das ist kein Problem. Wir haben genug davon! Du willst einen kleinen Notfall simulieren und hoffst, dass Diran darauf anspringt und nichts anderes mehr will, als einem armen hilflosen Novizen zu helfen.“ „Genau, Ausbilder.“, sagte Mirdan. „Aber der Techniker soll mir auch zeigen, wie ich den Fehler nicht nur verursachen kann, sondern auch, wie ich ihn selbst wieder behebe, falls etwas schiefgeht.“ „Wenn es weiter nichts ist.“, lachte Telzan und zog ihn weiter mit sich. „Komm mit! Wir werden schon eine Möglichkeit finden. Es ist wirklich erstaunlich, wie gut du im Bereich Täuschung von Feinden geworden bist. Das hätte ich dir nicht zugetraut. Ich dachte immer, da müssten wir noch ganz viel dran arbeiten.“ „Da sieht man mal, wie auch du dich täuschen lassen hast, Ausbilder.“, grinste Mirdan. „Oh ja.“, sagte Telzan. „Das sehe ich. Aus dir wird noch einmal ein sehr guter Stratege werden, denke ich.“ Er führte seinen Schüler mit stolzem Ausdruck im Gesicht mit sich fort.

Leandra und Lostris waren ihrem Ziel, ganz Genesia zu missionieren, schon sehr nah gekommen. Viele der Prätoras von anderen Clans, die mit Shashanas Politik auch nicht einverstanden waren, hatten sich ihnen bereits angeschlossen. Aber Leandra hatte im Grunde ohnehin kein Problem mit der Situation, denn ihr Clan hatte von jeher die meisten Priesterinnen im Reich gestellt und so dachte sie sich, es könnte ihr ein Leichtes sein, die anderen Kriegerinnen zu überzeugen. Auch die Tatsache, dass niemand eigentlich genau wusste, wie die Wächterin von Gore wirklich aussah, spielte ihr in die Hände. Die vielen Statuen waren nämlich nur Interpretationen von Künstlerinnen gewesen, die zwar alten Überlieferungen entsprachen, einen endgültigen Beweis aber, dass es sich wirklich um eine leibhaftige Nachbildung ihrer Göttin handelte, waren auch diese allerdings schuldig geblieben. Aber das war ja wohl bei den meisten Gottheiten in den meisten Religionen so. Einige durften sogar laut Lehre offiziell keine Bilder von ihren Göttern haben, hatten sie aber irgendwo doch.

Nach ihrem letzten Missionierungsflug waren Leandra und ihre Kriegerinnen jetzt auf ihren Planeten zurückgekehrt und hatten sich im Haus der Prätora in einem großen Raum getroffen. Der Raum ähnelte sehr der großen Kuppelhalle auf der Heimatwelt, in der sich auch Shashana und ihre Leute zur Beratung trafen. Eine solche Bauweise war also für Versammlungsräume der Genesianer normal. In der Mitte des Raums gab es ein Podest, auf dem es eine Holzbank gab, auf der Leandra und Lostris Platz genommen hatten. Genau wie die Klingonen schätzen die Genesianer auch keine Polster und unnötige Schnörkel. Deshalb war auch der große viereckige Tisch sehr schlicht gehalten. Alle anderen Kriegerinnen saßen an Tischen um die Prätora und ihre Erbprätora herum. Alle hatten die Versammlung in Kampfausrüstung aufgesucht. Das war Lostris‘ und Leandras ausdrücklicher Wunsch gewesen.

Auf jedem der Tische stand eine Schüssel mit Veddach, der altbekannten trinkbaren Quarkspeise der Genesianer, die dreimal so stark wie irdisches Zaziki ist. Neben der Schüssel fand sich je ein Tablett mit einer toten Raubkatze, wie sie in der Welt der Genesianer häufig vorkam und dort auch gegessen wurde. So ein Tier zu töten, galt unter den Kriegerinnen als sehr mutige Tat und sie glaubten sogar, würden sie es essen, seine Stärke in sich aufnehmen zu können. Schüsseln und Tabletts bestanden aus einem groben Steingut. Sie waren rund und ihre Bebilderungen stellten Szenen aus der genesianischen Mythologie dar. Dann gab es da noch die typischen Schöpflöffel aus Metall, aus denen das Veddach getrunken wurde. Weiteres Geschirr gab es nicht, denn es war bei den Genesianern ja üblich, mit den Händen zu essen.

Leandra hatte die Führung der Versammlung übernommen. Sie war jetzt aufgestanden und hatte sich an alle anderen Kriegerinnen gewendet: „Ich danke euch, dass ihr mir so tapfer folgt und zum wahren Glauben gefunden habt! Aber die schwierigste Mission steht uns noch bevor. Wir müssen die oberste Prätora auch noch auf unsere Seite bringen, oder sie muss sterben!“

Sie machte eine Pause, um zu sehen, wie ihre Worte auf die anderen gewirkt hatten. Alle Kriegerinnen brachen in lauten Jubel aus. „Wenn sich Shashana bereit zeigt, unseren Glauben anzunehmen, dann wird sie großes Heil erfahren, so wie wir es alle von der Einhorngöttin erfahren haben. Auch sie wird dann mit Unverwundbarkeit und sogar mit Unsterblichkeit gesegnet sein. Das müssen wir ihr sagen …“

Lostris hatte ihre Mutter in die Seite gestoßen. „Was ist?“, zischte Leandra. „Ich denke nicht, dass Shashana so einfach zu überzeugen sein wird, Mutter.“, sagte die einigermaßen intelligente Erbprätora. „Es wird schon eines Beweises bedürfen, dass die Einhorngöttin wirklich die Wächterin von Gore ist. Shashana glaubt nicht so leicht an Dinge, wie so manche von uns. Sie hat zu viel gesehen!“ „Zweifelst du etwa auch?!“, ging Leandra ihre Tochter vor allen scharf an. Durch die Reihen der Kriegerinnen ging ein Raunen. „Natürlich nicht!“, sagte Lostris fest. „Ich will euch und uns ja nur vorbereiten. Mit Shashana werden wir eine harte Nuss zu knacken haben.“

Eine Kriegerin aus den hinteren Reihen war aufgestanden und hatte sich dem Platz der Prätora und dem der Erbprätora genähert. Sie war ca. 1,80 m groß, sehr schlank und hatte einen im Kampf gestählten Körper. Um ihren Kopf trug sie ihr rotes Haar wie einen Flammenkranz. Das Zeichen ihres Clans, der Rotash, eine einen 8-köpfigen Drachen tötende Kriegerin, war gut auf ihrem Perlenkragen zu erkennen. Außerdem wiesen die Musterung und Färbung der Perlen ihre nicht sehr hohe Stellung im Clan aus. Sie war Gefangenenwärterin in einem der Lager, die von den Rotash errichtet worden waren, um Kriegerinnen, die im Kampf um den Glauben nicht gestorben waren, umzuerziehen. Da die Gefangennahme und vor allem gefangen genommen zu werden unter Genesianern als feige und ehrlos gilt, war ihre Stellung entsprechend, weil sie sich ja nur mit ehrlosen Kreaturen umgab. Nur eine Männerfängerin oder -händlerin hätte noch unter ihr gestanden.

Vielleicht wisst ihr, dass bei den Genesianern Männer oft wie eine rechtlose Ware behandelt werden. Jedes Tier ist bei ihnen besser dran. Jedenfalls galt das für die Zeit vor Shashanas Amtsantritt als oberste Prätora.

Diese Kriegerin hatte es jetzt also tatsächlich gewagt, unaufgefordert in den Kreis derer zu treten, die hier etwas zu sagen hatten. Leandra sah sie streng an. Dann fragte sie: „Wer bist du? Nenne mir deinen vollen Namen!“ „Ich bin Adriella, Tochter von Kalinda vom Clan der Rotash.“, stellte sich die junge Kriegerin mit ihrer hellen aber dennoch lauten Stimme befehlsgemäß vor. „Was willst du?“, fragte Leandra. „Ich will Euch, Prätora und auch euch, meine Clanschwestern, sagen, wie wir Shashana überzeugen können. Wir bräuchten ein Wunder, das die Göttin uns zuteilwerden lassen hat.“

Alle Kriegerinnen brachen in schallendes Gelächter aus. Aufgrund ihrer Stellung war Adriella schon nicht sehr angesehen und jetzt behauptete sie auch noch, dass die Göttin ihr ein Wunder auf Bestellung liefern würde. Nein! Das konnte doch einfach nicht sein! Auch Leandra und Lostris lachten aus voller Kehle.

Die Erbprätora war jetzt aufgestanden und stellte sich Adriella mit einem verachtenden Blick gegenüber. „So, so.“, sagte sie. „Und wie soll dieses Wunder aussehen? Du hast doch sicher schon eine konkrete Vorstellung, oder?“ „Die habe ich natürlich nicht, Erbprätora.“, sagte Adriella und senkte demütig den Kopf. „Aber wenn Ihr …“

Sie war nicht mehr dazu gekommen, ihren Satz zu beenden, denn im gleichen Moment hatte ein schwarzer Blitz die Luft zerrissen und Valora war vor ihnen aufgetaucht. „Welche Ehre, dass du uns mit deiner Anwesenheit beehrst, große Göttin!“, sagte Leandra und fiel vor dem Einhorn auf die Knie. Steh auf!, befahl Valora telepathisch. Oder geziemt sich so ein Verhalten etwa für eine genesianische Kriegerin?! „Nein!“, sagte Leandra fest und stand auf. „Aber was ist der Grund, aus dem du hier bist?“ Das will ich dir sagen!, antwortete Valora sehr machtvoll. Ihr benötigt ein Wunder? Gut, das sollt ihr haben. Als der Mann in eure Welt kam, geriet die Schöpfung außer Kontrolle. Ich beabsichtige hier und heute, diese Kontrolle wieder herzustellen. Lostris, wünscht du dir nicht eine Schwester? „Ja, große Göttin.“, antwortete Lostris ehrfürchtig. Dann sei es!, erwiderte Valora und ein zweiter schwarzer Blitz fuhr durch die Luft und gab bald den Blick auf eine erwachsene Kriegerin frei, die zwar jünger aussah als die Erbprätora, ansonsten aber etwa die gleiche Statur aufwies. Ihre Augen schienen allerdings leblos. Gib ihr einen Namen, Leandra., forderte Valora die Angesprochene auf. Erst dann wird sie zum Leben erwachen. „Du sollst Kara heißen, mein Kind!“, rief Leandra begeistert aus. „Kara, Tochter von Leandra vom Clan der Rotash!“ Die Kriegerin tat einen tiefen Atemzug. Alle applaudierten. Dann half Lostris ihrer jüngeren Schwester auf und setzte sie neben sich auf die Bank. Ihr seht also., erklärte Valora. „Ihr müsst die Leiden von Schwangerschaft und Geburt nicht länger hinnehmen, ohne euch verteidigen zu können gegen diesen Schmerz. Diese Zeit der Schande, die von so niederen Wesen wie Männern verursacht werden kann, wird für keine von euch mehr anbrechen müssen. Jetzt ist die Schöpfung wieder im Gleichgewicht. Betet, so werde ich euch geben.

Sie verwandelte sich in eine Energiewolke und flog durch den Raum. Dann sagte sie: In dieser Gestalt werde ich euch begleiten, wenn ihr gegen Shashana zieht! Dann wird auch sie sehen, unter wessen Schutz ihr steht. Wir sollten sofort aufbrechen!

Immer noch fast wie betrunken von dem vermeintlichen Wunder stand Leandra auf und kommandierte: „Ihr habt es gehört! In die Shuttles! Und denkt dran! Es kann uns nichts geschehen! Wir stehen unter dem Schutz der Einhorngöttin!“ Alle Kriegerinnen jubelten und marschierten hinter ihr her zum Landeplatz ihrer Schiffe.

Valoras Aktion war von Sytania beobachtet worden. Eine wirklich beeindruckende Show, die du denen geliefert hast., lobte die Königstochter. Ich hätte es nicht besser gekonnt! Danke, liebe Freundin., erwiderte das Einhorn. Jetzt fressen sie uns noch stärker aus der Hand. Aber das Schönste weißt du noch gar nicht. Meine Schöpfungen sind die perfekten Marionetten. Sie tun genau, was ich will und was du willst. Aber für Lostris und ihre einfältige Mutter macht das ja im Moment eh keinen Unterschied. Bald werden wir die Genesianer vollständig unter unserer Kontrolle haben, denke ich. Irgendwann wird es nämlich der Wächterin von Gore einfach mal gefallen, einige der natürlich gezeugten Kriegerinnen zu sich zu rufen, also ihre Unsterblichkeit aufzulösen, weil es einfach der göttliche Wille ist, dass sie das Zeitliche segnen. und dann wird die dumme Leandra sie natürlich ersetzen wollen und um weitere Kinder bitten. Diesen Wunsch werde ich ihr selbstverständlich gern erfüllen. Sie lachte hexenartig. Dabei klang ihr Lachen schon fast so gemein wie das von Sytania. Sehr gut!, lobte die Prinzessin. Du weißt genau, wie man mich glücklich macht, Valora. Sehr genau! Ich danke dir., entgegnete Valora und beendete mit Sytanias Einverständnis die telepathische Verbindung zwischen beiden.

Kapitel 14: Aussagen, die Weichen stellen

von Visitor

 

Zirell und Jenna hatten nebeneinander den Turbolift verlassen, der sie von der Kommandozentrale zum Maschinenraum und den Andockrampen gebracht hatte. „Warum denkst du, dass mein Gesicht Tabran und Shiranach beruhigen könnte, wenn sie es sehen?“, fragte die hoch intelligente Halbschottin bescheiden. „Weil das bisher bei allen so war, die wir kennen.“, antwortete die tindaranische Kommandantin zuversichtlich. „Meine Regierung und auch die der Föderation halten große Stücke auf dich, Jenna McKnight. Du bist unsere Expertin für interdimensionale Physik und alles, was damit zusammenhängt. Tabran und Shiranach wissen das auch und sie vertrauen dir genauso.“ „Warum denkt nur jeder, dass ich übers Wasser laufen kann?!“, stöhnte Jenna. „Aber solange ich die Ursache nicht wirklich kenne, kann ich auch niemandem eine Lösung bieten.“

IDUSA ließ die Türen zur Andockrampe vorsichtig vor ihnen zur Seite gleiten. Jetzt betraten sie ein für Laien sicher extrem undurchsichtiges Gewirr von Gängen. Zielstrebig ging Zirell auf einen zu, an dessen Tür sie ein Blinklicht gesehen hatte. Dass passierte immer dann, wenn ein Schiff gedockt hatte. Jenna folgte ihr.

Die Luke des Andockrings und die von Tabrans und Shiranachs Schiff glitten synchron zur Seite. Dann sahen Zirell und Jenna in die Gesichter der beiden ihnen sehr wohl bekannten Vendar, die müde, aber erleichtert ihrem Schiff entstiegen.

„Hallo, meine Freunde!“, begrüßte Zirell sie lächelnd und streckte ihnen die Hand entgegen. „Auch wir grüßen dich, Zirell El Tindara.“, sagte Tabran und gab ihr die Hand. Auch seine Frau tat dies. „Shannon wird sich gleich um euer Schiff kümmern.“, sagte Zirell. „Jenna und ich bringen euch zu Maron, der euch vernehmen wird. Am SITCH haben wir ja schon darüber gesprochen, dass wir uns alle fragen, wie ihr es geschafft habt, hierher zu kommen.“ „In Ordnung, Anführerin Zirell.“, sagte Shiranach. „Die Situation hat sich verändert, weißt du? Wir glaubten zuerst, die Wächterin sei krank, aber das ist sie wohl nicht. Es muss also eine andere Ursache dafür geben, dass …“ „Telshanach!“, unterbrach Tabran sie bestimmt, aber dennoch sehr sanft. „Ich kann verstehen, dass du sehr aufgeregt bist. Aber Anführerin Zirell und Jenna McKnight können das sicher nicht so schnell alles verarbeiten. Wir sollten zuerst mit ihnen zu Maron El Demeta gehen. Er wird uns mit Sicherheit die richtigen Fragen stellen und dann ist alles sicher nur eine Frage der Beweise.“ „Warum will uns Maron El Demeta überhaupt vernehmen?“, fragte Shiranach. „Glauben er und du, Anführerin Zirell, etwa, dass wir ein Verbrechen an der Wächterin begangen haben, damit der SITCH mit Shannon O’Riley überhaupt möglich war?!“ „Aber nein, Shiranach.“, tröstete Zirell. „Wie kommst du denn darauf? Das würde ich niemals vermuten. Die Wächterin schützt euch. Warum solltet ihr die Hand beißen, die euch füttert? Außerdem entspricht das überhaupt nicht eurem Charakter. Aber wenn man es so betrachten will, dann hat es tatsächlich eine Art Verbrechen gegeben. Ein Verbrechen an der interdimensionalen Schicht. Jedenfalls ist sie die Geschädigte und wir müssen klären, ob es ein Unfall, also eine natürliche Ursache, war, oder ob jemand seine Finger im Spiel hatte. Aber ihr seid in diesem Fall bestimmt keine Täter oder gar Tatverdächtige, sondern eher Zeugen. Die Schicht hat ja euch gegenüber das gleiche merkwürdige Verhalten gezeigt, nämlich einen Zugang zum Tembraâsh zu erlauben, wie sie es gegenüber Shannon getan hat Und sitzt die vielleicht jetzt in der Sicherheitszelle?“

Zirell deutete nach rechts. Von hier aus konnten Tabran und Shiranach jetzt sehr gut das Gesicht Shannons ausmachen, die sich gerade in ihre Richtung bewegte. „Hi, allerseits!“, flapste die blonde Irin. „Ich habe gehört, hier sei ein Schiff zu warten?“ „Da hast du richtig gehört, Shannon.“, sagte Zirell und deutete hinter sich. „Alles klar.“, sagte Shannon lakonisch, schulterte ihre Werkzeugtasche und machte sich in Richtung des Shuttles auf den Weg.

„Wir sollten dann auch mal gehen.“, sagte Zirell. Dann winkte sie den beiden alten Vendar, die sich sogleich hinter ihr und Jenna einreihten.

„Wirst du bei der Vernehmung anwesend sein, Jenna McKnight?“, fragte Tabran die ganz in seiner Nähe gehende Technikerin. „Ja, das werde ich.“, antwortete Jenna. „Sie brauchen mich als Expertin. Sie glauben, ich könnte aus euren Antworten etwas lesen, das uns der Lösung näher bringt. Sie denken, ich könnte vielleicht die Ursache für die Ladungsverschiebung in der Schicht finden, wenn ich euch nur lange genug zuhöre.“ „Könntest du uns das mit der Ladungsverschiebung erklären?“, fragte Tabran. „Sicher kann ich das!“, versicherte Jenna. „Aber das sollten wir tun, wenn wir bei Maron sind. Dann muss ich nicht alles zweimal erzählen. Oder bist du etwa zu neugierig?“ „Oh nein.“, antwortete Tabran. „Noch kann ich warten. Es wäre ja wirklich sehr umständlich und ich weiß genau, wie sehr du etwas Umständliches hasst, Jenna McKnight.“ „Das stimmt allerdings.“, gab Jenna zu. „Ich bin eine Freundin der Effizienz. Die Xylianer und die Borg hätten bestimmt ihre Freude an mir.“ Sie grinste.

„Dass du in einer solchen Situation noch scherzen kannst.“, warf Shiranach mit besorgtem Ausdruck im Gesicht ein. „Ach, so schlimm wird es schon nicht werden.“, tröstete Jenna. „Wir haben doch bisher alles überstanden. Da werden wir mit dieser Geschichte doch spielend fertig werden! Oder meint ihr etwa nicht?“ Skeptisch zuckten die beiden Vendar mit den Schultern. Sie hatten zwar ein merkwürdiges Bauchgefühl, aber noch nicht einmal sie ahnten, was für Ausmaße die Sache noch annehmen sollte. Zirells und Jennas Versuch, bei ihnen Zuversicht zu verbreiten, war eigentlich nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man betrachtete, was noch auf alle zukommen würde.

Shimar und IDUSA waren jetzt so weit weg von der Station, dass es, im Normalfall zumindest, durchaus möglich gewesen wäre, die Dimension der Tindaraner zu verlassen und in die interdimensionale Schicht zu fliegen. Weder der talentierte Flieger noch sein Schiff ahnten allerdings, dass dies mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden sein würde. Aber im Moment führten sie ohnehin eine ganz andere Diskussion.

„Was halten Sie von der Entwicklung bezüglich des Kontaktes zwischen Ms. O’Riley und Tabrans Rufzeichen?“, wollte IDUSA wissen. „Glauben Sie etwa auch, dass es sich um einen Vorboten der Apokalypse handelt, wie es Techniker McKnight angedeutet hat?“ „Mir darfst du solche Fragen nicht stellen, IDUSA.“, antwortete der junge Pilot. „Ich bin nur ein einfacher Flieger.“ „Spüren Sie telepathische Auswirkungen, die unter Umständen daran schuld sein könnten?“, fragte das Schiff weiter nach. Sie konnte sich nicht erklären, was hier gerade passierte. So etwas war vorher noch nie vorgekommen und sie war bestrebt, die Situation irgendwie mathematisch einzuordnen.

Ihre Frage hatte Shimar aufhorchen lassen. Diese Möglichkeit hatte er noch gar nicht in Betracht gezogen und die Anderen hatten es wohl auch nicht. Aber vielleicht ließ sich ja so beweisen, ob Sytania ihre Finger im Spiel hatte.

Er strich mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand über einige leere Ports, um ein Massesignal bei IDUSA auszulösen. Dann sagte er: „Das war eine sehr gute Idee von dir! Mich wundert allerdings, dass noch nicht einmal unsere Intelligenzbestie darauf gekommen ist. Aber vielleicht ist das ja auch viel zu einfach für sie.“ „Ich hoffe.“, sagte IDUSA und ihr Avatar vor Shimars geistigem Auge schlug die Hände über dem Kopf zusammen und machte ein verschämtes Gesicht. „Dass Techniker McKnight nie erfahren wird, wie Sie gerade über sie gelästert haben.“ „Von mir wird sie kein Sterbenswörtchen erfahren!“, versicherte Shimar. „Und solange du dichthältst von dir bestimmt auch nicht. Oder hast du etwa vor, mich in die Pfanne zu hauen?“ „Natürlich nicht.“, sagte IDUSA. „Schließlich bin ich Ihr Schiff und als ein solches zunächst einmal Ihnen verpflichtet. Ich sehe keinen Grund, Sie anzuschwärzen. Sie haben ja sicher nur einen Scherz gemacht. Eine Eigenschaft, die ich erst durch den Eingriff Ihrer Freundin in meine Programmierung fähig bin zu erkennen.“

Shimar schluckte, gab einen irritierten Laut von sich und sagte dann: „Wieder eine Sache, die sie mir gekonnt verschwiegen hat. Ich wusste gar nicht, dass Betsy die Programmiersprache des tindaranischen Betriebssystems beherrscht, geschweige denn, dass sie überhaupt programmieren kann. Aber jetzt verrate mir doch mal, wie sie das gemacht haben soll! Ich meine, an dem Versuch, euch Humor beizubringen, haben sich die Ingenieure bis heute die Zähne ausgebissen und da soll ausgerechnet eine kleine Raumschiffpilotin und Kommunikationsoffizierin der Sternenflotte das Problem gelöst haben?“ „Offensichtlich ja.“, sagte IDUSA. „Wie das?“, fragte Shimar leicht verwirrt. „Nehmen wir einmal dieses Beispiel.“, sagte IDUSA. „Meine Datenbank enthält genug Beispiele dafür, was für ein gutes Verhältnis Sie zu Techniker McKnight haben. Biologische Wesen neigen im Allgemeinen nicht dazu, diejenigen, die sie mögen, böswillig zu diskreditieren. Allrounder Scott hat mir beigebracht, in solchen unklaren Situationen zunächst meine Datenbank zu konsultieren und nach Referenzdaten zu suchen, die etwas mit dem dargestellten Faktum zu tun haben. Das habe ich getan und bin auf diese Daten gestoßen. Andererseits steht dem entgegen, dass es durchaus Genies gibt, die sehr Lebensuntüchtig sind, weil sie in ihrer Kindheit falsch gefördert wurden. Manche von denen scheitern sogar am Binden einer Schleife. Aber das trifft auf Techniker McKnight nicht zu. Sie ist gleichermaßen praktisch wie theoretisch veranlagt. Da diese Daten also in einem negierenden und somit unlogischen Verhältnis zu dem stehen, was Sie gerade gesagt haben, muss ich davon ausgehen, dass Sie es nicht ernst gemeint haben können, zumal Sie dieses Wissen über Jenna auch teilen. Auch Sie wissen, wie praktisch veranlagt sie trotz ihrer hohen Intelligenz ist.“ „Da hast du Recht.“, sagte Shimar. „Das weiß ich genau. Trotzdem ist mir schleierhaft, wie Betsy das lösen konnte bei ihrem Kenntnisstand.“ „Nun.“, antwortete das Schiff. „Der Allrounder weiß, dass die Grundfunktionen eines jeden Computers das Suchen und Vergleichen sind. Ihr Lösungsvorschlag zielte genau darauf ab. Ich denke, dass es auch nur deswegen funktioniert hat.“ „Das denke ich auch.“, bestätigte Shimar. „Aber nun sollten wir wirklich mal deinen Vorschlag ausprobieren. Übernimm das Steuer!“ IDUSAs Avatar vor Shimars geistigem Auge nickte und die Steuerkonsole geriet in den Hintergrund, ein klares Zeichen Dafür, dass das Schiff seinen Befehl ausgeführt hatte.

Der junge Tindaraner lehnte sich zurück und begann damit, sich auf die Energie seiner Heimatdimension zu konzentrieren. Als Telepath war es ihm ja durchaus möglich, diese wahrzunehmen. Er versuchte seine telepathischen Fühler bis ans Limit zu beanspruchen, aber er war sich absolut nicht sicher über das, was er da fühlte. Er hatte durchaus das Gefühl, dass etwas sein könnte, aber so sicher war er sich nicht.

„IDUSA, ich bin nicht sicher.“, sagte er schließlich. „Ich spüre zwar, dass irgendwas auch mit unserer Dimension passiert, aber es ist meiner Meinung nach nicht eindeutig.“ „Wenn es etwas Dimensionales ist.“, schlussfolgerte IDUSA. „Dann lässt das meiner Meinung nach nur den logischen Schluss zu, dass sich die Quelle in der interdimensionalen Schicht befinden muss. Da ich weiß, dass Sie Ihre telepathischen Fähigkeiten nicht nach außerhalb der Dimension ausdehnen können, in der Sie sich gerade befinden, liegt nur der logische Schluss nah, dass wir uns in die interdimensionale Schicht begeben müssen.“ „Absolut logisch, IDUSA.“, urteilte Shimar. „Bedeutet das, dass Sie mit meinem Vorschlag einverstanden sind?“, versicherte sich das Schiff. Shimar nickte. „Soll ich eine bestimmte Dimension anfliegen?“, fragte sie. „Vielleicht wäre es ganz gut, wenn du uns ins Raum-Zeit-Kontinuum bringen könntest.“, überlegte Shimar halblaut. Er hatte nämlich Zirells Befehl auch nicht vergessen. Schließlich sollte er herausfinden, ob Sianachs Angst bezüglich des Bannes, unter dem Diran wahrscheinlich stand, berechtigt war oder nicht. „In Ordnung.“, sagte IDUSA und begann damit, ihren interdimensionalen Antrieb zu konfigurieren. Dann aktivierte sie ihn, aber das, was in diesem Moment geschah, irritierte sie und Shimar zunächst gleichermaßen.

Sie legte einen seltsamen Holperflug hin, an dessen Ende sie sich halb in der Dimension der Tindaraner und halb in der interdimensionalen Schicht befand. Das bedeutete im Klartext, dass sie halb außer Phase war. Dies wiederum hatte starke Scherkräfte auf den Plan gerufen, die jetzt drohten, ihre Hülle zu verformen. Da hierdurch wiederum Leitungen zu bersten drohten, war ein Großteil ihrer Systeme vom Ausfall bedroht, wenn nicht bald etwas getan würde, um sie aus dieser sehr unangenehmen Situation zu befreien.

„Bitte helfen Sie mir, Shimar.“, bat das Schiff. Sie war mit der Situation sichtlich total überfordert. „Ich verstehe nicht, was hier gerade passiert! Ich habe meinen Antrieb korrekt konfiguriert, trotzdem stecken wir hier fest! Das fällt in keine mathematische Kategorie! Ich denke, jetzt bin ich mal wieder auf einen Piloten mit Bauchgefühl und fliegerischen Instinkten angewiesen, der nicht nur mit dem Kopf fliegt! Bitte, Shimar! Bitte! Das hier überleben wir sonst beide nicht!“ „Schon gut.“, tröstete Shimar, dem es durch das Schaukeln seines Schiffes auch etwas unheimlich geworden war. Aber er wusste auch, dass er jetzt der Souveräne sein musste, der ihr aus dieser Situation half. Also fragte er: „Ist dein Impulsantrieb intakt, IDUSA?“

Sie nahm eine kurze Selbstdiagnose vor. Dann sagte sie: „Positiv, Shimar.“ „Na wenigstens etwas.“, sagte der Angesprochene. „Gib mir die Kontrolle über dessen Steuerung.“ „Was haben Sie vor?“, fragte das Schiff, dem seine neuesten Befehle sehr merkwürdig vorkamen. „Ich habe vor.“, sagte Shimar. „Uns aus dieser Situation zu befreien! Bitte vertrau mir jetzt! Auf mein Zeichen wirst du alle Energie aus dem interdimensionalen Antrieb in andere Systeme umleiten! Dann …“ „Dann, Shimar.“, unterbrach ihn das Schiff. „Werden wir in die Dimension zurückstürzen, aus der wir gekommen sind. Sehen Sie sich bitte meine Fluglage an. Ich werde mit der Nase zuerst auftreffen und das macht mich sehr instabil. Sollte es Ihnen nicht gelingen, mich abzufangen, werden wir unkontrolliert trudeln und vielleicht sogar in die nächste Gravitationsquelle stürzen! Außerdem sollte Ihnen bekannt sein, dass ich, als künstliche Intelligenz, nicht in der Lage bin, Vertrauen zu Empfinden!“ „Das ist mir klar, IDUSA.“, sagte Shimar. „Aber du hast eine Datenbank, in der du nachsehen kannst, in wieviel Prozent der Fälle meine wenn oft auch sehr merkwürdig anmutenden Aktionen uns gerettet haben! Ich denke, dass die mathematische Wahrscheinlichkeit mir Recht geben wird! Also, sieh nach!“

Tatsächlich konsultierte das Schiff ihre Datenbank und kam zu dem Schluss, dass er wohl wirklich Recht haben musste. In allen ihr bekannten Situationen hatte er es geschafft, sie durch zwar in keinem Handbuch stehende, aber dennoch erfolgreiche fliegerische Tricks vor dem Absturz zu bewahren. Die Wahrscheinlichkeit war also sehr groß, dass dies auch jetzt wieder funktionieren könnte.

„Also gut.“, wendete sich IDUSAs Avatar an Shimar. „Ich lasse mich auf Ihren neuesten Versuch ein. Aber wir sollten trotzdem nach einer Möglichkeit suchen, dass mein interdimensionaler Antrieb wieder zuverlässig funktioniert. Sonst könnte ein Flug mit mir lebensgefährlich für Sie oder jeden anderen enden. Techniker McKnight müsste mich für den Patrouillendienst sperren.“ „Keine Sorge.“, versicherte Shimar. „So weit wird es nicht kommen! Zumindest nicht, wenn ich es verhindern kann! „Also gut.“, sagte IDUSA und zeigte ihm einen Teil der Flugkonsole. Allerdings war das nur der, den er auch verlangt hatte, nämlich nur alle Kontrollen, die zum Impulsantrieb gehörten.

„Ich brauche auch noch den Höhenregler und Kontrolle über die elektronische Trimmung.“, sagte Shimar, nachdem er sich angesehen hatte, was sie ihm zeigte. Auch dies zeigte ihm IDUSA bereitwillig. „OK.“, sagte Shimar und gab ihr den Gedankenbefehl zum Abschalten der elektronischen Trimmung. Würde er sie jetzt hochziehen, würde sich zuerst nur ihre Nase bewegen, da nur die vordere Antriebsspule angesprochen würde. Solche Manöver waren eigentlich nur im Kunstflog erlaubt. Aber Shimar hatte ja auch hier eine umfangreiche Ausbildung genossen. Das war eine Tatsache, die dem Schiff durchaus bekannt war. Schließlich kannten sie und ihr Pilot sich bereits seit dessen Zeit als Kadett.

IDUSA verdankte Shimar in gewisser Hinsicht, dass es sie überhaupt noch gab. Da niemand sonst mit ihrer Diskussionsfreudigkeit zurechtgekommen war, hatte das Oberkommando schon fast beschlossen gehabt, sie wieder demontieren zu lassen und dass man wieder einen Schritt in der Serie zurückgehen würde. Der Flieger, der mit ihr zurechtkommen würde, müsste erst noch geboren werden, so fand man zumindest, aber dann kam er! Durch die Reihen der Techniker, die das Schiff gebaut hatten, musste zu diesem Zeitpunkt ein mächtiges Aufatmen gegangen sein, denn er hatte auch verhindert, dass sie eine rechtlich etwas fragwürdige Prozedur durchführen mussten. Da künstliche Intelligenzen in der tindaranischen Rechtsprechung den Organischen gleichgestellt waren, wäre ihre Demontage nur unter ganz genau definierten Umständen möglich gewesen. Oder würdet ihr die Tötung eines Arbeitskollegen beantragen, nur weil euch seine Nase nicht passt, oder er euch auf manche Dinge hinweist? Sicher doch nicht, oder? Na seht ihr.

Tage lang hatte Shimar seiner Flugprofessorin also in den Ohren gelegen, dem Schiff eine letzte Chance geben zu dürfen. Schließlich hatte diese mit den richtigen Leuten Kontakt aufgenommen und es ihm ermöglicht. Später, als man ihn gefragt hatte, wie er das denn hinbekommen hatte, sagte er nur bescheiden: „Man tut, was man kann. Vielleicht ist es auch einfach meine Art, an die Situation heranzugehen. Vielleicht habe ich ja ganz einfach einen anderen Blickwinkel.“ „Wenn.“, hatten sie darauf geantwortet. „Dann ist dein Blickwinkel aber eindeutig eine Nummer zu steil für den Rest von uns. Aber gut, Kadett Shimar. Du darfst sie behalten.“ Damit hatte man für Shimar eine Ausnahmeregelung getroffen, denn normalerweise bekam man erst als ausgebildeter Flieger ein Schiff zugeteilt. Das hatte auch dazu geführt, dass er mit ihr seine Flugprüfung ablegen durfte. Die Erinnerungen an diese spezielle Situation hatten die Beiden sehr stark zusammengeschweißt. Sie lieferte jetzt auch den wohl überzeugendsten Grund für IDUSA, Shimars Befehle, so ungewöhnlich sie auch sein würden, ohne Wenn und Aber auszuführen.

„Also dann, IDUSA!“, sagte Shimar. „Auf mein Zeichen wirst du die Energie umleiten. Das wird ein hartes Abschalten deines interdimensionalen Antriebs zur Folge haben. Sobald wir in unsere Dimension zurückgefallen sind, zünde ich deinen Impulsantrieb durch und ziehe deine Nase hoch. Warte mit dem Einschalten der elektronischen Trimmung, bis ich es dir sage. Den richtigen Moment kannst du nicht sehen oder errechnen, aber ich kann ihn fühlen, vorausgesetzt, du lässt die Umweltkontrollen wie sie sind.“ „Die G-Kräfte könnten Sie beim Sturz zu sehr in den Sitz drücken.“, sagte IDUSA und ihr Avatar schaute besorgt. „Es besteht außerdem die Gefahr, dass Sie dadurch vielleicht innere Blutungen erleiden, da der Druck auf Ihre Organe bei einem derartig schnellen Sturz sehr stark steigen könnte. Ich muss mit den Umweltkontrollen gegensteuern, damit das gesundheitliche Risiko für Sie …“ „Ich weiß, dass die Lex Technologica dir befiehlt, das Leben deines Piloten zu schützen.“, sagte Shimar ihr ins Wort fallend. Und ich danke dir auch dafür, dass du mich noch einmal darauf aufmerksam machst.“

Er gab ihr den Gedankenbefehl zur Aktivierung des Sicherheitskraftfeldes, das quasi einen Gurt ersetzt. „Schon besser.“, sagte IDUSA und ihr Avatar vor seinem geistigen Auge machte ein erleichtertes Gesicht. Außerdem nahm Shimar die Hände nach vorn, was ihm ermöglichte, sich an der vorderen Wand des Cockpits nach hinten zu drücken. Auch seine Füße stellte er fest und flach auf den Boden. Dann sagte er: „Du siehst also, dass ich mich gut vorbereitet habe. Das wäre aber sicher nicht möglich gewesen, wenn du mich nicht erinnert hättest.“ „Vielen Dank, Shimar.“, sagte IDUSA.

Ein Geräusch von Ihrer Hülle ließ Shimar aufhorchen. „Jetzt oder nie!“, beschloss er. Dann holte er tief Luft, um genug Gegendruck auf seine Lunge zu bringen, damit er gleich trotzdem noch atmen konnte, ohne das Gefühl zu haben, ersticken zu müssen, denn das hätte es für ihn unmöglich gemacht, sich auf die Befehle an sie zu konzentrieren, da sein Gehirn mit dem Überlebenskampf beschäftigt sein würde, wenn er es nicht verhinderte und danach gab er ihr die schon angekündigten Gedankenbefehle, die IDUSA auch prompt ausführte.

Tatsächlich stürzten sie in die tindaranische Dimension zurück. Das war aber genau das, auf das Shimar gewartet hatte. Die Auswirkungen, die IDUSA geschildert hatte, traten zwar ein, aber da er sich sowohl körperlich, als auch psychisch von ihr gut vorbereitet sah, machte es ihm wenig aus. Es gelang ihm sogar, sich auf die nachfolgenden Befehle an sie stark genug zu konzentrieren, dass sie ihn gut verstehen konnte.

Genau beim Wiedereintritt in die tindaranische Dimension zündete er ihren Impulsantrieb durch und brachte sie durch eine kontrollierte große ruhige Steuerbewegung wieder in die gerade waagerechte Position. Dann gab er ihr noch den Befehl, die elektronische Trimmung wieder einzuschalten und atmete kontrolliert und langsam aus.

„Genauso habe ich mir das vorgestellt.“, sagte Shimar, der durch die Aktion auch etwas angestrengt war, leicht außer Atem. „Sind Sie OK?“, wollte das Schiff wissen. „Ihr Puls ist leicht erhöht und Sie weisen Symptome psychischen und körperlichen Stresses auf.“ „Es geht schon.“, sagte Shimar. „Schalte den Antrieb aus und setz den Ankerstrahl. Und dann gib mir Jenn’. Sie muss das ja auch gesehen haben, vielleicht findet sie ja eine Lösung.“ „In Ordnung.“, sagte das Schiff und führte aus, was er ihr soeben gesagt hatte.

Im Maschinenraum von 281 Alpha nahm Shannon den SITCH entgegen. „Hi, Fliegerass.“, scherzte die blonde Irin in ihrer fast unverwechselbaren Art. „Was verschafft ’ner einfachen technischen Assistentin wie mir die Ehre?“ „Hast du gesehen, was gerade passiert ist?“, fragte Shimar. „Ich meine, durch die technische Verbindung müsstest du ja auch auf dem Laufenden sein.“ „Das bin ich auch.“, sagte Shannon. „Aber ich hab’ keinen blassen Schimmer der Spur einer Ahnung, was wir machen sollen. Meiner Meinung nach hast du euch aber schon ganz cool gerettet, Fliegerass. Zumindest is’ IDUSA noch ganz und du bist noch so lebendig wie ein Fisch im Wasser! Aber so bleiben kann das nich’. Das steht fest. Na, ich schaue mal wo Jenn’ is’. Dann geb’ ich das Problem ganz vertrauensvoll in ihre zarten Hände. Bleib mal kurz dran.“

Sie wandte sich IDUSA, dem Rechner der Station, zu: „IDUSA, wo is’ Techniker McKnight?“ „Techniker McKnight befindet sich in Commander Zirells Bereitschaftsraum.“, gab der Rechner der Station zurück. „Sag ihr, sie wird hier unten gebraucht.“, sagte O’Riley. Wir haben ein echt kniffliges Problem!“ „In Ordnung, Shannon.“, gab der Stationsrechner nüchtern und gewohnt sachlich zurück.

Zirell, Jenna, Shiranach und Tabran waren inzwischen auf Maron getroffen, der sie bereits in Zirells Bereitschaftsraum erwartet hatte. Nachdem sie sich gesetzt und ihre Personalien gegenüber dem Demetaner bestätigt hatten, fragte Maron: „Und wie hat das nun alles angefangen?“ „Ich denke, da kann ich dir am besten weiterhelfen, Maron El Demeta.“, sagte Shiranach, stand auf und machte einen Schritt auf den vor ihr auf einem Sitzkissen sitzenden Maron zu. „Dann erzähl mal!“, forderte dieser die alte Vendar auf und hielt ihr sein Pad, das er inzwischen vorbereitet hatte, vor den Mund. An der Leuchte und am Symbol auf dem Display konnte Shiranach gut sehen, dass es aufnahmebereit war.

Sie holte tief Luft. Die Dinge, an die sie sich jetzt erinnern musste, waren noch immer sehr beängstigend für sie. Sie hatte nicht verstanden, was da geschehen war. Deshalb war ihr das Ganze sehr unheimlich. Gleichzeitig schämte sie sich aber auch, denn das Gefühl der Angst war bei den Vendar nach wie vor verpönt. „Du brauchst dich für deine Angst nicht zu schämen, Shiranach.“, sagte Maron mit einem verständigen und milden Seitenblick in ihre Richtung. „Ich denke, dass das, was hier gerade passiert, für uns alle nicht sehr schön ist. Und was hier in diesem Raum passiert, dringt sowieso nicht nach außen. Du musst also keinerlei Befürchtungen wegen deines guten Rufes haben.“ „Ich danke dir, Maron El Demeta.“, sagte Shiranach erleichtert.

Er hatte gesehen, dass sie kurz davor war, in Ohnmacht zu fallen. „Tabran, hilf mal!“, wendete er sich an Shiranachs Ehemann, der noch immer im Hintergrund saß. Dieser stand jetzt auf und fing sie auf, um sie dann vorsichtig auf das ihr von Maron hingeschobene Sitzkissen gleiten zu lassen. Dann schob er das Kissen samt Shiranach in Marons Richtung. „Ich glaube, es wäre besser, wenn du mich erzählen ließest, Maron El Demeta.“, schlug Tabran vor. „Es tut mir leid.“, sagte der demetanische Agent. „Das darf ich leider nicht. Deine Frau ist für den ersten Moment dieses Geschehens, den ihr erlebt habt, die einzige leibhaftige Zeugin. Was du uns erzählen könntest, hast du ja nur von ihr selbst erfahren, aber du hast es ja dann inzwischen schon wieder selbst interpretiert. Das verfälscht eine Zeugenaussage leider sehr. Sie wäre dann ungültig. Chief-Agent Zoômell würde das auf keinen Fall gelten lassen und vor einem Gericht hätte eine solche Aussage auch keinen Wert.“ „Was können wir denn da nur tun?“, fragte Tabran.

Zirell war jetzt aufgestanden und hatte sich zu ihnen gesellt. „Soweit ich weiß.“, sagte sie. „Ist es auch bei euch nicht schlimm, wenn eine Freundin ihre Hilfe anbietet.“ Sie streckte Shiranach vorsichtig ihre Hand hin, die diese dann auch aufnahm. „Das hier ist eine Sache, die uns allen wohl etwas unheimlich sein dürfte.“, sagte sie. „Da muss es auch mal in Ordnung sein, Angst zu haben.“

Die Tindaranerin spürte, wie Shiranach ihre Hand fester griff. Dann sagte die alte Vendar: „Tabran war hinausgegangen, um unser Schiff zu warten. Ich sollte auf das Sprechgerät aufpassen, weil wir noch einen Ruf von Freunden erwarteten, die weiter weg im Tembraâsh wohnten. Das Gerät hat dann irgendwann gepiept und ich habe nicht wirklich auf das Display geachtet, als ich mich gemeldet habe. Ich habe mich total erschrocken, als ich plötzlich das Gesicht von Shannon O’Riley gesehen habe. Ich hatte immer gedacht, so etwas sei unmöglich. Aber jetzt war es das plötzlich nicht mehr. Ich habe weder aus noch ein gewusst. Ich habe sie nur schnell abgewimmelt und bin dann raus gegangen zu Tabran.“ „Du hast sie also abgewimmelt.“, versicherte sich Maron. „Wie genau ist denn das abgelaufen?“ „Wozu ist das wichtig?“, fragte Shiranach. „Es ist möglich, dass ich Shannon zu dem Thema auch noch vernehme.“, sagte Maron. „Unsere Regierung möchte es immer ganz genau wissen, wenn etwas ist, was eigentlich nicht sein darf. Wenn sich ihre Aussage mit der deinen deckt, haben wir noch größere Chancen, dass sie uns glauben.“ „Ach so.“, erkannte die Vendar. „Dann werde ich es dir natürlich erzählen. Ich habe so getan, als hätte ich keine Zeit. Du musst wissen, Maron El Demeta, dass mir die Sache sehr unangenehm war. Ja, sie war sogar etwas beängstigend für mich.“ „Das kann ich gut verstehen, Shiranach.“, sagte Maron gewohnt demetanisch verständig.

Jenna war noch einmal auf die Regierungen zurückgekommen. „Na, die Zusammenkunft ist da doch noch ganz human, Sir.“, warf Jenna ein. „Die tindaranische Regierung ja, McKnight.“, sagte Maron. „Aber mit der Regierung der Föderation der vereinten Planeten sieht es da schon ganz anders aus. Die schalten manchmal gern auf stur. Denen müssen wir schon hieb- und stichfeste Beweise liefern und selbst dann ist es manchmal doch sehr fraglich, ob sie uns glauben oder nicht.“ „Wovon hängt das denn ab, Maron El Demeta?“, wollte Tabran wissen. „Das weiß leider niemand so genau.“, sagte Maron und grinste. „Ich hoffe, dir ist klar, dass du gerade deinen ehemaligen Arbeitgeber ziemlich in die Pfanne haust.“, sagte Zirell aus dem Hintergrund. „Ja, das ist mir klar.“, sagte Maron. „Aber ich finde, mit der Wahrheit kann man nicht offen genug umgehen. Shiranach und Tabran sollten schon wissen, worauf sie sich einlassen und dass die Welt, die man ihnen versucht vorzuspielen, nicht immer so heil ist, wie sie auf den ersten Blick aussieht.“

Tabran hatte seiner Frau ein Zeichen gegeben und dann mit ihr den Platz getauscht. „Ich glaube, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, an dem ich dir am besten weiterhelfen kann, Maron El Demeta.“, sagte er. „Dann leg mal los!“, forderte der Demetaner ihn auf und hielt Tabran ebenfalls das Pad hin. „Sie war total aufgelöst.“, begann dieser zu erzählen. „Ich habe sie gefragt, was geschehen sei, aber sie konnte mir kaum etwas sagen, so aufgeregt war sie. Sie hatte sogar Angst, dass die Wächterin krank sein könnte, oder dass ihr etwas zugestoßen sei. Es war mir kaum möglich, sie wieder zu beruhigen.“ „Was habt ihr dann gemacht?“, fragte Maron. „Wie hast du sie dann doch noch beruhigen können?“ „Ich habe sie zunächst abgelenkt.“, sagte Tabran. „Und dann sind wir gemeinsam ins Haus gegangen und haben Kontakt zur Wächterin aufgenommen. Da haben wir gesehen, dass sie, den Göttern sei Dank, doch nicht krank war. Sie ist dann zu uns gekommen und wir haben uns mit ihr über die Situation unterhalten. Sie hat uns gesagt, dass sie nicht verstehen kann, warum sie die Dimension nicht mehr abschotten könne. Aber das dürften wir keinem weiteren Vendar aus dem Tembraâsh sagen.“ „Verstehe.“, sagte Maron, dessen politisches Verständnis an sich eigentlich recht gut war. „Das hätte eine Massenpanik auslösen können. Schließlich seid ihr alten praktizierunfähigen Vendar deshalb im Tembraâsh, um vor Nachstellungen eurer früheren Opfer geschützt zu sein. Auch wenn der eine oder andere von euch Mächten gedient hat, die es nicht sonderlich gut mit ihren Mitgeschöpfen meinen, so weiß doch die Wächterin, dass ihr alle irgendwo einen guten Kern in euch habt. Deshalb schützt sie euch dort seit Tausenden von Jahren und ihr könnt in Ruhe euren Lebensabend genießen. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sie ein sehr großes Interesse daran hat, dass es so bleibt. Sie hofft wohl, dass alles eine vorübergehende Episode ist, die wir leicht wieder in den Griff bekommen können. Aber wenn das den Mächtigen noch nicht einmal gelingt, wie sollen wir es dann schaffen? Meiner Meinung nach sollte sie zumindest mit den anderen Mächtigen, die auf unserer Seite sind, Kontakt aufnehmen. Wenn sie das nicht tut, dann sollten wir es versuchen.“ „Darüber hat sie uns nichts gesagt.“, sagte Tabran. „Wir wissen nur, dass sie wollte, dass wir euch informieren. Zuerst wollte sie uns sogar die Barriere öffnen, aber ich habe das abgelehnt. Wenn sie das getan hätte, musst du wissen, hätten wir das alle gespürt und das hätte genau die ungeliebten Fragen aufgeworfen, von denen du gerade geredet hast.“ „Tut die Wächterin das nicht immer dann, wenn ein Neuankömmling im Anmarsch ist?“, fragte Zirell. „Genau das.“, bestätigte Tabran. „Es soll uns alle zusammenholen, damit wir ihn oder sie begrüßen können. Dann muss sich der oder diejenige nicht so allein und verloren vorkommen. Die Person wird zwar auch von der Wächterin begrüßt, aber wenn es Leute tun, die von der gleichen Art sind, dann ist es doch noch angenehmer für sie.“ „Rein Logisch.“, antwortete Zirell. „Ich würde mich auch viel wohler fühlen, wenn mich jemand an einem fremden Ort willkommen heißen würde, den ich schon kenne und wenn es nur jemand von meiner Art ist.“

Maron hatte aus dem Augenwinkel Jenna beobachtet, die wieder jene typische Haltung eingenommen hatte, die sie immer dann einnahm, wenn sie nachdachte. Ihren Kopf hatte sie in ihre linke Hand gestützt. Ihre Augen waren halb geschlossen und es war kaum Bewegung in ihrem Körper und Gesicht. Mit der anderen Hand kratzte sie sich hin und wieder an der Stirn. Er wusste, wenn das passierte, dauerte es nicht mehr lange und sie würde irgendeinen intelligenten Beitrag beisteuern, über den alle stutzen würden, der aber letztendlich den entscheidenden Hinweis liefern würde, um die Situation zu lösen, die jetzt wohl ein wenig festgefahren schien.

Genauso plötzlich, wie Jenna diese Haltung eingenommen hatte, löste sie sich wieder aus ihr. Auch das kannten Maron und Zirell bereits zur Genüge von ihr. Jetzt würde es gleich so weit sein. Das ahnte der Agent. Jetzt würde sie ihm und allen Anwesenden gleich die Lösung der Lösungen präsentieren. Erwartungsvoll sah Maron sie an: „Ja, McKnight?“ „Was ist.“, sagte Jenna. „Wenn es ausgerechnet wir Sterblichen sind, die das Problem besser verstehen, als es jeder Mächtige könnte?“ „Ist das dein Ernst, Jenna?“, fragte Zirell irritiert. „Mein totaler und voller Ernst, Zirell!“, sagte die hoch intelligente Halbschottin mit viel Überzeugung in der Stimme. „Für die Mächtigen ist das Ganze schon zu alltäglich geworden und sie müssen sich ja außerdem keine Gedanken darüber machen, warum etwas passiert, wenn es passiert. Ihnen reicht die Erklärung, dass es ihr bloßer Wille ist, der es ermöglicht. Was ist aber, wenn sich die äußere Situation so verändert, dass ihr Wille es nicht mehr ermöglichen kann, weil sich die Grundsituation grundlegend verändert hat? Also, weil die Energieladung, die sie ausschicken, ihr Ziel aufgrund der Konfiguration der Ladung, auf die sie trifft, nicht mehr erreichen kann. Dann bleibt die Reaktion einfach aus. Da wir das aber erst zu verstehen beginnen, sind wir an diesem Faktum sicher viel näher dran. Wir sind einfach nicht so betriebsblind, weil wir noch wacher sind, was das angeht.“ „Deine Erklärung klingt absolut logisch, Jenna McKnight.“, sagte Tabran. „Ich wusste, dass es die richtige Entscheidung war zu euch zu kommen. Ich wusste, dass du eine Erklärung finden würdest.“ „Diese Erklärung wird aber manchem Mächtigen von Sytanias Schlag nicht passen.“, sagte Maron.

McKnight stand auf, stellte sich in die Raummitte und sah alle ernst und fest an. Dann holte sie tief Luft und sagte langsam und deutlich: „Glauben Sie ernsthaft, dass die Physik daran interessiert ist, Sytanias Ego zu streicheln, Agent?! Auch wenn meine Erklärung die eventuellen Allmachtsfantasien einer gewissen Lady S. ad Absurdum führt, so beruht sie doch nur auf den kalten harten Fakten und die habe ich hier nur weitergegeben! Es interessiert mich einen feuchten Kehricht, wie Sytania damit zurechtkommt! Wer weiß! Vielleicht hat sie ja sogar die Ursache gesetzt! Aber das wissen wir ja nicht genau und solange wir das nicht so genau wissen, müssen wir in alle Richtungen ermitteln. Denn, auch wenn einige es hier vielleicht nicht hören wollen, auch für den größten Feind gilt die Unschuldsvermutung, bis man das Gegenteil beweisen kann!“ „Bravo, McKnight!“, sagte Maron. „Ich sehe also, die physikalische Seite unseres Problems ist bei Ihnen in den besten Händen.“

Tabran schaltete sich wieder ins Gespräch ein. „Wir schweifen ab, Maron El Demeta.“, stellte er fest. „Willst du denn gar nicht erfahren, wie es uns gelungen ist, trotz diverser Widrigkeiten hierher zu gelangen?“ „Oh doch.“, sagte der Agent. „Das würde mich wirklich interessieren.“

Der alte Vendar zog lächelnd einen Datenkristall aus der Tasche. „Hier drauf ist ein Profil, das den interdimensionalen Antrieb unseres Schiffes so angepasst hat, dass es uns möglich war.“ Er sah Shiranach stolz an: „Und das haben wir nur ihr zu verdanken. Sie ist auf die Idee gekommen, dass wir die Schicht wie ein krankes Wesen behandeln sollen, das für alles mehr Zeit benötigt. Wenn es nicht die Wächterin ist, die krank ist, dann muss es die interdimensionale Schicht sein. So hat auf jeden Fall Shiranach gedacht und das war, wie sich herausgestellt hat, ja auch richtig. Das Profil trägt deswegen auch ihren Namen.“ „Darf ich es mir ansehen, Tabran?“, fragte Jenna interessiert. „Natürlich, Jenna El Taria.“, sagte Tabran fast ehrfürchtig und übergab ihr langsam und feierlich den Kristall.

Kapitel 15: Neue Schwierigkeiten

von Visitor

 

Ein Signal ließ alle aufhorchen und der Simulator im Raum wurde aktiviert. Da IDUSA alle Neuraltabellen geladen hatte, konnten auch alle das aufgeregte Gesicht des Avatars wahrnehmen. Sie aber wendete sich gleich Jenna zu: „Techniker McKnight, Sie werden im Maschinenraum benötigt! Ihre Assistentin sagt, Shimar hat ein Problem!“ „Das dachte ich mir schon, IDUSA.“, gab Jenna zurück und warf Zirell einen fragenden Blick zu. „Geh ruhig, Jenn’.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „So wie ich das sehe, wirst du die Einzige sein, die da helfen kann. Tabran, Shiranach, ich bringe euch erst einmal ins Gästequartier. Maron, falls du noch Fragen hast, weißt du ja, wo du sie finden kannst.“ „OK, Zirell.“, nickte der Demetaner und sah zu, wie sich seine Zeugen wortlos hinter seiner Vorgesetzten einreihten, um dann gemeinsam mit ihr den Raum zu verlassen. Auch Jenna wollte diesen Weg gehen, aber IDUSA hielt sie auf: „Ich glaube, es geht schneller, wenn ich Sie direkt beame, Techniker.“ „Also gut.“, sagte Jenna und stellte sich ruhig hin, um sich von IDUSA erfassen zu lassen, die sofort den Transport initiierte.

Jenna hatte sich kaum materialisiert, da fiel ihr Blick bereits auf Shannon, die mit ratlosem Gesicht vor einer Konsole saß. „Was ist los, Shannon?“, fragte Jenna. „Wenn ich das wüsste, wäre ich klüger, Jenn’.“, entgegnete die blonde Irin.

Jennas Blick streifte den zweiten Port für den Neurokoppler, den IDUSA ihr gerade ausgeleuchtet hatte. Sie steckte ihren Neurokoppler an und der Rechner der Station lud sofort ihre Reaktionstabelle. Jetzt konnte auch sie sehen, was Shannon sah. Auf dem virtuellen Schirm vor Jennas geistigem Auge erschien eine Kolonne von Zahlen und Zeichen, für Laien sicher merkwürdig anmutenden Kürzeln und Symbolen, die für die Ingenieurin allerdings keine Fremdsprache darstellten.

„Gehen Sie mal zur Seite, Shannon!“, forderte sie ihre Assistentin auf. Die blonde Irin nickte und tat, was ihre Vorgesetzte ihr gerade aufgetragen hatte. O’Riley war insgeheim sehr froh, dass ihr Jenna aus diesem Problem herausgeholfen hatte.

Die hochintelligente Halbschottin ließ den Blick ihres geistigen Auges jetzt langsam und bedächtig über den virtuellen Schirm schweifen. Dabei machte sie ein sehr konzentriertes und auch etwas nachdenkliches Gesicht. Schließlich sagte sie: „IDUSA, verbinde mich mit Shimar!“ „Wie Sie wünschen, Jenna.“, gab der Avatar des Stationsrechners zurück und stellte die gewünschte Verbindung her.

Jenna wurde vom Gesicht eines recht entspannt schauenden Shimar begrüßt. „Hi, Jenn’.“, begrüßte sie der junge Tindaraner ruhig. „Hi, Shimar.“, sagte Jenna. „Du hast ja die Ruhe weg. Shannon und IDUSA hatten mir einen ganz anderen Eindruck vermittelt.“ „Warum sollte ich denn hektisch werden, he?“, fragte der meistens sehr besonnen handelnde Pilot. „Wenn ich das würde, könnte ich doch deinen Anweisungen gar nicht Folge leisten, wenn du welche für mich hättest. Außerdem musste ich IDUSA helfen, die mit der Situation gar nicht klarkam, in der wir waren.“ „Sie weiß eben, dass sie sich auf dich verlassen kann.“, sagte Jenna. „Aber da bringst du uns ja gleich auf das richtige Thema. Es sieht aus, als hätte sich die interdimensionale Schicht bereits so stark verändert, dass das Fliegen mit normaler Antriebskonfiguration nicht mehr möglich ist. Aber warte kurz.“ Ihr war der Datenkristall wieder eingefallen, den ihr Tabran gegeben hatte.

McKnight löste ihren Neurokoppler wieder aus dem Port und ging zu einer anderen Konsole hinüber, in deren Laufwerk sie den vendarischen Datenkristall schob. Dann schloss sie auch ihren Neurokoppler an, was IDUSA veranlasste, ihre Tabelle erneut umzuladen. Die Sprechverbindung über die erste Konsole würde trotzdem nicht erlöschen, da sie ja noch von Shimar an seinem Ende aufrechterhalten wurde.

Mit wachsendem Erstaunen sah sich Jenna das Profil an. „Und das soll Shiranach allein geschrieben haben?“, fragte sie sich halblaut. „Das hätte ich ihr nicht zugetraut. Aber vielleicht kann es Shimar ja auch helfen. Schließlich sind die Betriebssysteme von Veshels und IDUSA-Einheiten weitgehend kompatibel.“

Sie kehrte mit dem Kristall an ihrem vorherigen Arbeitsplatz zurück, nachdem sie die Datei geschlossen und ihn entnommen hatte. Sie war an die andere Konsole gegangen, um Shimar nicht mit irgendwelchem technischen Fachchinesisch nerven zu müssen, das er zwangsläufig über die Verbindung mitbekommen hätte. Außerdem wollte sie keine falschen Hoffnungen wecken, falls das mit dem Profil doch nicht geklappt hätte.

„Hör zu, Shimar!“, sagte sie, während sie den Datenkristall jetzt in das Laufwerk an dieser Konsole schob. „Ich denke, ich habe hier genau das Richtige für dich und IDUSA. Ich werde es ihr jetzt überspielen. Sag ihr, sie soll Profil Shiranach Eins laden und ausführen, bevor sie irgendeinen Versuch unternimmt, den interdimensionalen Antrieb zu benutzen.“ „Wovon zur Hölle redest du?“, fragte Shimar sehr irritiert. „Du kannst zwar ’ne Menge, aber ich glaube nicht, dass du so schnell ein Profil schreiben kannst, das ihren Antrieb verändert und seit wann bist du so bescheiden, dass du unter falschem Namen firmierst.“ „Das tue ich nicht.“, sagte Jenna. „Die Situation ist aber zu kompliziert, um sie dir jetzt zu erklären. Außerdem bin ich nur ehrlich. Das Profil ist nicht mein Werk, also habe ich es auch nicht blitzschnell aus dem Ärmel geschüttelt, wie du vielleicht meinen könntest. Es ist deine Entscheidung, Shimar. Entweder du vertraust mir, oder du sitzt weiter dort fest. Was das für das Ausführen deiner Befehle bedeutet, die Zirell dir gegeben hat, kannst du dir ja wohl denken.“

Sie stellte sich vor, den Sendeknopf der virtuellen Konsole vor ihrem geistigen Auge loszulassen, gab IDUSA aber gleichzeitig die nötigen Gedankenbefehle, um das Überspielen der Datei vorzubereiten. Dann lehnte sie sich abwartend zurück.

Shimar überlegte hin und her. Die Situation war ihm nicht ganz geheuer. Er wusste zwar, wer Shiranach war, aber er wusste auch, dass sie unmöglich, zumindest unter normalen Umständen, einen Weg gefunden haben konnte, ein Profil zu schreiben, das komplizierte Gleichungen für den noch komplizierteren interdimensionalen Antrieb eines Schiffes enthielt. Dafür würden ihre Computerkenntnisse, zumindest seiner Einschätzung nach, lange nicht ausreichen. Außerdem, wie hätte dieses Profil dann zu Jenna und Shannon gelangen sollen? SITCH aus und ins Tembraâsh war ja, zumindest unter normalen Bedingungen, nicht möglich. Shimar wusste ja nichts von all dem, was inzwischen auf Basis 281 Alpha geschehen war. Auf das naheliegende, nämlich Jenna einfach zu fragen, kam er allerdings nicht, oder es passte einfach gerade nicht in sein Denken.

„Ich teile Ihre Ansicht über Shiranachs Computerkenntnisse, Shimar.“, sagte Shimars Schiff, für das seine Gedanken Dank des Neurokopplers gerade ein offenes Buch waren. „Ich halte für zu 50 % wahrscheinlich, dass es sich eher um einen Trick unserer Feinde, Sytanias Vendar, handeln könnte, die vielleicht irgendwie den Kristall in Jennas Hand geschmuggelt haben. Aber ich verstehe nicht, wie sie auf so etwas hereinfallen konnte. Das ist doch bei ihrer Intelligenz sehr unwahrscheinlich. Das ist schon wieder ein Datenkonflikt, den ich nicht lösen kann. Bitte entscheiden Sie es, Shimar!“

Shimar lehnte sich zurück und flüsterte: „Also, so, wie ich das sehe, muss ich mich entscheiden zwischen meinem Vertrauen zu Jenn’ und der Wahrscheinlichkeit.“ Dann begann er nachzudenken. Da er den Neurokoppler immer noch nicht abgesetzt hatte, wusste IDUSA auch in diesem Fall genau, was in ihm vorging. Sie sah, dass er dabei war, in Beziehung zu setzen, wie oft Jenna, auch entgegen sämtlicher bekannter Wahrscheinlichkeiten, Recht gehabt hatte. Viele ihrer Missionen fielen ihm ein. Viele, bei denen ihnen die geniale Jenna das Leben gerettet hatte, auch wenn es mathematisch noch so unwahrscheinlich war. Ihr Talent, um die Ecke zu denken, war daran mit Sicherheit nicht ganz unschuldig gewesen. Dieses Talent war es auch, dem er schier grenzenloses Vertrauen schenkte. Außerdem war Jenna ihm eine Freundin im Gegensatz zur Wahrscheinlichkeit.

„Ich wähle das Vertrauen und Jenn’!“, sagte Shimar fest. „IDUSA, gib mir die Verbindung!“ Der Avatar vor Shimars geistigem Auge nickte und IDUSA führte den Befehl aus. Die Entschlossenheit in der Stimme ihres Piloten hatte ihr verdeutlicht, dass es keinen Wiederspruch mehr von ihr geben durfte.

Das Gesicht der brünetten Chef Ingenieurin erschien breit grinsend wieder vor seinem geistigen Auge. „Na.“, lachte McKnight. „Hast du es dir überlegt?“ „Her mit der Datei, Jenn’!“, forderte der junge Tindaraner. „Ich vertraue dir!“ Dann wendete er sich an sein Schiff: „IDUSA, du hast es gehört!“ „Öffne Systeme für Überspielvorgang.“, sagte IDUSA. „Na, warum nicht gleich so?!“, sagte Jenna und gab den letzten Gedankenbefehl zur Bestätigung. Dann wurde Shiranachs Profil in die Datenbank des Patrouillenschiffes überspielt.

„Das Profil ist angekommen und lässt sich problemlos in meine Systeme integrieren.“, sagte IDUSA nach einer kurzen recht oberflächlichen, aber dennoch ausreichenden Selbstdiagnose. „Also gut.“, sagte Shimar. „Probieren wir es aus! Profil Shiranach Eins laden und ausführen, IDUSA. Zieldimension: Raum-Zeit-Kontinuum!“

IDUSAs Avatar nickte und das Schiff führte Shimars Befehle aus. Für den jungen Tindaraner fühlte sich der Flug an, als würde er sich in einem langsam aber stetig über einen Fluss gleitenden dick aufgepumpten Luftsack befinden, der zwar jeden Stoß irgendwo abfederte, jegliche Richtungs- und Höhenwechsel aber eins zu eins zu ihm durchließ. Das Umschalten auf Normalantrieb war wie die Landung auf einem weich gefederten Trampolin. „Wow!“, lächelte ein total zufriedener Shimar. „Das hat richtig Spaß gemacht!“ „Und es kommt noch besser.“, versprach IDUSA. „Wenn ich Techniker McKnight richtig verstanden habe, müssen wir das jetzt bei jedem Interdimensionalflug tun. Ich habe bereits selbstständig die entsprechende Routine in die Startsequenz für den interdimensionalen Antrieb eingefügt.“ „Na da bin ich aber erleichtert.“, sagte Shimar und grinste über beide Ohren. „Und ich bin, wenn man das bei uns künstlichen Intelligenzen überhaupt so sagen kann, erleichtert, dass ich Sie als Piloten habe und nicht etwa einen Vulkanier.“ „OK.“, sagte Shimar langsam und mit sehr überraschtem Ausdruck im Gesicht. „Erklär mir das mal bitte. Eigentlich müsstet ihr doch prima zusammenpassen.“ „Das bezweifele ich stark.“, sagte IDUSA. „Wie Sie gerade gesehen haben, bin ich in manchen Situationen auf einen Piloten mit Instinkt und Bauchgefühl angewiesen. Ein Vulkanier könnte mir das nicht geben und wir würden immer noch in der für mich doch sehr unschönen Situation festsitzen ohne Ausweg. Tindaraner allerdings, und vor allem von Ihnen weiß ich es, lassen ihr Bauchgefühl und ihre Instinkte zu und haben somit gute Übung darin. Folge dessen würde ich mich niemals von einem Vulkanier fliegen lassen, auch wenn er noch so gelehrt und ein guter Flieger wäre. Vulkanier sind zum Führen tindaranischer Schiffe gänzlich ungeeignet, wenn Sie meine Meinung hören wollen. Ich würde jederzeit einen tindaranischen Piloten oder auch einen aus anderen Spezies mit Gefühlen vorziehen.“ „Upsi!“, machte Shimar und schaute etwas bedient. Gleichzeitig huschte aber ein kleines Grinsen über seine Wangen. „Das lass bloß keines von den Spitzohren hören. Denen würdest du einen ordentlichen Dämpfer verpassen, so eingenommen, wie die von sich sind.“ „Sie irren sich.“, sagte IDUSA. „Da sie ihre Emotionen quasi nach außen hin als nicht existent verkaufen, dürfte es so jemandem gar nichts ausmachen. Nur mir hat die gerade erlebte Situation einiges aufgezeigt und die Augen geöffnet. Es war wie eine regelrechte Offenbarung, Shimar.“ „Na dann.“, sagte Shimar. „Lassen wir das erst mal dahingestellt. Ich weiß ja, dass du mir im Grunde nur ein Kompliment machen wolltest, IDUSA. Vielen Dank. Aber jetzt lass’ uns nach Spuren von vendarischer Spionagetechnik suchen.“ „Wie Sie wollen.“, sagte IDUSA und konfigurierte ihre Sensoren.

Mirdan war zu den Hangars gegangen, die Sytanias Vendar gehörten. Hier hoffte er bereits sein Schiff vorzufinden, mit dem er die Falle für Diran bilden sollte. In den großen hässlichen Hallen war aber nirgendwo jemand zu sehen, der ihm weiterhelfen hätte können. Er wollte schon umkehren und wieder zu Telzan gehen und ihn fragen, als er von einem älteren Mann leise angesprochen wurde. „Bleib mal stehen, Junge.“, sagte der Mann, den Mirdan jetzt als einen älteren Vendar mit bereits leicht grauem Fell identifizierte. Mit seinen 1,34 m war er für einen männlichen Vendar im oberen Durchschnitt. Über seinem etwas längeren grauen Fell trug er die typische Uniform eines vendarischen Technikers, die juteartig und schwarz war. Wahrscheinlich war diese Farbe weniger schmutzanfällig. Im Bauch eines Schiffes konnte sich schließlich im Laufe der Zeit, in der es in Betrieb war, so einiges ansammeln. Dazu trug er schwarze Arbeitsschuhe.

Telzans Schüler hatte sich jetzt erschrocken umgedreht. Der Fremde lächelte, als er auf den Novizen zuging. „Hallo, mein Junge.“, sagte er und gab Mirdan die Hand. Dieser nahm sie vorsichtig und senkte respektvoll den Kopf. „Telzan hat dein Kommen bereits angekündigt.“, sagte der Techniker mit seiner zwar etwas krächzenden, aber trotzdem für die Ohren des Novizen sehr angenehmen Stimme. Wie ein lieber alter Großvater hörte er sich an. Mirdan war sicher, dass seine Mission, würde er sie vorbereiten, bestimmt in guten Händen bei ihm war.

„Mein Name ist übrigens Eshlan.“, stellte sich der Techniker vor. „Ich heiße Mirdan.“, sagte der Novize. „OK.“, sagte Eshlan. „Dann komm mal mit. Du sollst gleich sehen, was ich für dich für ein schönes Schiffchen vorbereitet habe.“

Er führte Mirdan in eine der Hallen, in der sich hauptsächlich ältere Schiffe befanden. Ganz in der hintersten Ecke blieb er vor einem stehen. „So.“, sagte Eshlan. „Das ist sie. Schau sie dir ruhig erst mal von außen an. Den Rest erkläre ich dir später.“ „OK.“, sagte Mirdan und begann um das Schiff herumzulaufen. Dabei fiel ihm auf, dass es wohl schon einige Kämpfe mitgemacht haben musste. Jedenfalls kündeten davon diverse Stellen, an denen bereits Reparaturen vorgenommen worden sein mussten, so wie es aussah. Die Hüllenplatten, die hier eingebaut waren, glänzten nämlich noch relativ neu im Gegensatz zum Rest der Hülle.

„Sie hat schon einiges mitgemacht, Eshlan, nicht wahr?“, stellte Mirdan fest und strich mit der rechten Hand über eine der Stellen, als würde er eine Wunde streicheln wollen, die gerade im Heilen begriffen war. „Oh du hast ein gutes Auge, Mirdan.“, sagte Eshlan, der über seine Feststellung sehr erstaunt war. Diese hatte er dem in seinen Augen noch recht unerfahrenen Novizen wohl nicht zugetraut. „Das muss ich haben, Eshlan.“, sagte Mirdan. „Sonst hätte mich Telzan sicher nicht in Sytanias Leibgarde ausbilden lassen, deren Oberster er ist. Aber das kommt ja automatisch daher, dass er Sytanias Vertrauter ist.“ „Das ist wohl so.“, sagte der Techniker.

Der Novize war an der Luke zum Cockpit stehengeblieben. „Wie ich das sehe.“, sagte Eshlan, der das Tun Mirdans gespannt beobachtet hatte. „Kannst du es kaum noch erwarten, endlich loszukommen. Aber ich muss dir noch etwas zeigen. Nimm bitte den Schaltschlüssel.“

Mirdan nahm aus Eshlans Hand den Schaltschlüssel entgegen. Dann öffnete er mit ihm die Luke. Der Schaltschlüssel berechtigte ihn auch zum Zugriff auf die Systeme des Schiffes, solange noch keine biometrischen Daten von ihm ins System eingelesen waren, an denen der Mishar ihn hätte erkennen können.

„Steig bitte ein und warte auf mich.“, sagte Eshlan. Mirdan nickte und tat, was ihm aufgetragen worden war. Dann wartete er auf Eshlan, der ihm etwas behäbig folgte. „Komm mit nach hinten in den Frachtraum.“, sagte der Techniker und grinste, als wollte er dem Novizen einen gerade gefundenen Schatz präsentieren, von dem aber niemand anderes erfahren sollte. Mirdan folgte ihm vertrauensvoll.

Im Frachtraum angekommen berührte der Techniker einige Felder mit den Fingern seiner rechten Hand, die sich auf Rot gekennzeichneten Modulen befanden. Dies ließ eine kleine Klappe nach links gleiten, die den Blick auf einige Module freigab. Mirdan erkannte, dass es sich um einen Wartungsschacht handeln musste.

„Schauen wir mal, ob du selbst drauf kommst.“, grinste Eshlan, während er zusah, wie der Novize die Module in Augenschein nahm. Er hielt ihn, obwohl er ihn kaum kannte, offensichtlich für intelligent genug dafür.

„Eines der Module hat einen farbigen Streifen an seinem Riegel.“, sagte Mirdan, nachdem er die Module lange betrachtet und darüber nachgedacht hatte, was Eshlan gemeint haben könnte. Auch einige Experimente mit veränderten Blickwinkeln hatte er durchgeführt. „Man sieht ihn nicht sofort. Nur wenn man sich bückt und seinen Kopf um ca. 45 Grad nach links dreht aus dieser Position.“ „Richtig.“, sagte Eshlan lobend. „Ich sehe, Telzan scheint dich gut vorzubereiten. „Wenn du nicht auf alle Eventualitäten gefasst wärst, hättest du das bestimmt nicht erkannt. Aber offenbar will er erreichen, dass du immer und zu jeder Zeit mit allem rechnest.“ „Ja.“, sagte Mirdan. „Telzan ist ein sehr guter Ausbilder. Er wird sicher einen sehr guten Kämpfer aus mir machen.“ „Oh das kann er aber nicht, wenn du nicht wenigstens ein bisschen eigenes Talent mitbringst, das er formen kann. Sonst geht es auch nicht.“ „Danke, Eshlan.“, sagte Mirdan. „Aber könntest du mir jetzt bitte erklären, was es mit dem Modul auf sich hat?“ „Aber sicher kann ich das.“, sagte Eshlan und grinste schon wieder. „Dieses Modul ist eine Kreuzung, die leicht defekt ist. Sie verbindet Leitungen, die etwas mit dem interdimensionalen Antrieb zu tun haben. Wenn du ihn benutzen willst, wird sie durchbrennen. Die kleine Markierung habe ich angebracht, damit du sie auch gut sehen kannst, falls uns Diran doch draufkommen sollte. Dann musst du ja die Möglichkeit haben, von selbst wieder flüchten zu können und dann musst du dein Schiff ja selbst reparieren können. Hier. Steck das ein!“ Er überreichte Mirdan ein ähnliches Modul, der es gleich in seine Hosentasche gleiten ließ. „Ach, noch was.“, sagte Eshlan. „Wir haben Veränderungen in der interdimensionalen Schicht gesehen. Ich habe den Mishar mit einem Programm gefüttert, das diese kompensieren wird.“ „Danke, Eshlan.“, sagte Mirdan. „Und ich will ja nicht unhöflich erscheinen, aber es wäre wirklich gut, wenn ich bald losfliegen könnte.“ „Kein Problem.“, sagte der Techniker und verließ das Cockpit.

Sofort nach dem Schließen der Luke startete Mirdan. Er war fest entschlossen, seine Mission zum Erfolg zu führen.

Diran hatte erfolglos versucht, Shiranach oder ihren Mann über ihr Rufzeichen zu erreichen. Zwar hatte der Computer seines Sprechgerätes ihm zu seinem eigenen Erstaunen gemeldet, dass er das Rufzeichen zwar ansprechen könne, eine Antwort jedoch ausbliebe. Also hatte der Vendar beschlossen, sich mit seinem Schiff auf den Weg ins Tembraâsh, oder zumindest bis in die interdimensionale Schicht zu machen. Zu diesem Zweck hatte er es jetzt gewartet und war losgeflogen. Er ahnte ja noch nicht, was dann bald auf ihn zukommen würde.

Mirdan war an einer ihm für sein Vorhaben sehr geeignet erscheinenden Position angekommen, von der aus er seinen Auftritt inszenieren wollte. Er hatte geplant, den interdimensionalen Antrieb kurz zu aktivieren, um in die interdimensionale Schicht vorstoßen zu können. Eine andere Möglichkeit gab es für ihn ja auch nicht, denn das von Eshlan manipulierte Relais würde ja viel zu schnell durchbrennen. Eine Dimension würde er ohnehin nicht erreichen können. Er würde nur wissen müssen, wohin das Objekt seiner Begierde wollte, um die programmierte Zieldimension anzupassen. Zu diesem Zweck beobachtete er Diran genau mit den zwar nicht gerade hochwertigen, aber dennoch ihren Zweck erfüllenden interdimensionalen Sensoren seines Schiffes. „Er will also ins Tembraâsh.“, sagte der Novize zu sich. „Bei allen Göttern, muss der verzweifelt sein! Er müsste doch eigentlich genau wissen, dass das nicht geht. Aber das macht nichts. Hauptsache, wir werden uns begegnen. Durch diese hohle Gasse muss er schließlich kommen.“ Er grinste gemein, während er den Antrieb seines Schiffes konfigurierte.

 

Kapitel 16: Mirdans List

von Visitor

 

Diran hatte einige Versuche unternommen, die Dimension, in der er sich befand, zu verlassen, aber der Antrieb seines Schiffes hatte ihm immer wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Mishar.“, wendete sich der erfahrene Flieger an den Computer. „Nenne mir den Grund für das Versagen des interdimensionalen Antriebs!“ „Es kann kein Feld aufgebaut werden.“, sagte der Schiffsrechner. „Begründung!“, forderte Diran. „Der Grund hierfür kann am Antrieb selbst, aber auch in der Beschaffenheit der interdimensionalen Schicht zu suchen sein.“, sagte der Rechner. „Technische Gründe ausschließen durch Selbstdiagnose!“, befahl Diran sehr geduldig. Er wusste ja, dass es nichts brachte, wenn er sich jetzt aufregte. Die Situation würde es nicht ändern und er wäre dann erst recht nicht mehr in der Lage, vernünftig zu verarbeiten, was sein Rechner ihm sagen wollte. Dann könnten ihm vielleicht wertvolle Informationen durch die Lappen gehen, die er aber benötigen würde, um das Problem vielleicht sogar selbst lösen zu können.

Einige Minuten waren vergangen, ohne dass der Rechner ihm etwas gesagt hatte. Diran hatte auf dem Bildschirm nur die technische Skizze beobachtet, durch die langsam eine Art Cursor wanderte. Das war als Anzeige für eine Selbstdiagnose völlig normal.

Schließlich aber sagte der Rechner: „Der interdimensionale Antrieb arbeitet innerhalb normaler Parameter.“ „Na gut.“, seufzte Diran und überlegte halblaut: „Dann muss es an der interdimensionalen Schicht liegen. Mishar, was können theoretische Gründe für eine Störung im Aufbau des Feldes für den Flug mit interdimensionalem Antrieb sein, wenn der Antrieb selbst normal arbeitet?“ „Theoretisch ist eine Verschiebung der elektrischen Ladung in der interdimensionalen Schicht eine mögliche Ursache für die hier vorliegende Störung.“, antwortete der Rechner nach Konsultierung der eigenen Datenbank. „Benutze die interdimensionalen Sensoren, um zu eruieren, ob diese Art von Ladungsverschiebung vorliegt!“, befahl Diran. Dabei war er selbst sehr erstaunt über sich. Er, der sich eigentlich gerade mal für technisch begabt genug hielt, um sein eigenes Schiff mehr schlecht als recht zu warten, beschäftigte sich jetzt gerade mit interdimensionaler Physik! Wäre Techniker McKnight bei ihm gewesen, dann hätte er damit bestimmt kein Problem gehabt, aber sie war ja nicht da und somit musste er mit der Situation allein zurechtkommen. Er hatte nur die Angaben seines Schiffscomputers und mehr nicht. Es war an ihm allein, diesem die richtigen Fragen zu stellen und seine Antworten richtig zu interpretieren.

Wieder war etwas Zeit vergangen, die vom Rechner genutzt worden war, um Dirans Befehle auszuführen. „Laut Sensoren liegt eine Ladungsverschiebung um 5 % in den negativen Bereich vor.“, sagte der Rechner. „OK.“, sagte Diran und überlegte. „Jede Veränderung dieser Art dürfte die Schicht träge machen. Was ist also, wenn ich versuche, den Antrieb nur ganz langsam umzuschalten von normal auf interdimensional und wenn ich diese Zahl zugrunde lege? Mishar, Die Leistung des normalen Antriebs in 5-%-Schritten immer weiter zurückschrauben! Gleichzeitig die Leistung des interdimensionalen Antriebs um den gleichen Faktor erhöhen! Ab jetzt!“ „Befehl wird ausgeführt.“, sagte der Rechner und Diran bemerkte, wie sein Schiff langsam die gleichen Bewegungen zu vollführen begann, die er schon von ihr kannte, allerdings ging das um ein Vielfaches langsamer. Diran bemerkte allerdings auch zur eigenen Zufriedenheit, dass es sich anders und vor allem besser anfühlte, als die Versuche davor, bei denen er Angst haben musste, das Schiff würde ihm unter dem Hintern auseinander brechen. „Ja, das ist es.“, flüsterte Diran. „Sehr gut so! Komm!“

Er sah konzentriert auf die Instrumente. In dieser Situation sollte ihm nicht das Geringste entgehen, auf das er eventuell achten musste, um rechtzeitig eingreifen zu können, oder es sogar zu müssen. Deshalb befahl er dem Rechner auch gleich: „Mishar, Umstellen auf manuelle Steuerung!“

Im gleichen Augenblick empfing das Sprechgerät Mirdans fingierten Notruf: „Ich bin Mirdan Sohn der Inach und des Suran vom südlichen Salzsee im Dunklen Imperium. Der Mishar meines Schiffes sagt, der interdimensionale Antrieb ist kurz vor dem Durchbrennen, oder vielleicht ist es auch nur ein Relais! Ich bin noch Novize! Ich verstehe das nicht. Ich weiß nur, dass ich Hilfe brauche! Hört mich jemand?! Helft mir! Helft mir!“

Da bei einem Notruf alle Sprechgeräte in Reichweite angesprochen werden, nahm es nicht Wunder, dass auch das von Dirans Schiff auf den Ruf reagiert hatte. Sofort hatte der Mishar ihn über diesen Umstand informiert.

Gleich waren Dirans Instinkte auf Alarm gepolt. „Verbinde mich mit dem Notrufer!“, befahl er in Richtung des Rechners und dachte bei sich: Der arme Junge! Warum ist kein Fluglehrer bei ihm? Also, bei mir hätte es das nicht gegeben und schon gar nicht bei diesen äußeren Umständen!

Eine Anzeige im Display des Sprechgerätes zeigte Diran, dass die Verbindung zustande gekommen war. Jetzt hatte er die Möglichkeit zu einer Antwort, die er auch gleich nutzte: „Ich bin Diran Ed Sianach. Ich habe dich gehört, Mirdan. Zunächst möchte ich einmal, dass du dich beruhigst, sonst kannst du meinen Anweisungen wohl sehr schlecht Folge leisten.“ „Ich werde es versuchen, Ausbilder Diran.“, sagte der Novize und gab den Erleichterten. Dass er Diran so ansprach, war notwendig, weil ein Novize ja jeden erwachsenen Vendar als Ausbilder oder Ausbilderin ansprechen musste, wie ihr ja schon wisst. „Kannst du mich sehen?“, fragte Mirdan mit gespielter Angst, die er so gut darstellte, dass der gutmütige Diran nicht merkte, wie gespielt sie war.

Diran warf einen kurzen Blick auf den Bildschirm. Dort konnte er tatsächlich das Bild von Mirdans Schiff ausmachen, das inzwischen in Reichweite seiner Sensoren gekommen war. „Ich kann dich sehen.“, beruhigte Diran den Novizen. „Ich werde mein Schiff jetzt so drehen, dass es parallel zu deinem fliegt. Dann fliege ich so an deines heran, als würde ich bei dir docken wollen. Du bereitest alle Prozeduren dafür vor. Wenn unsere Schiffe an den Schleusen zusammenhängen, sind sie so nah beieinander, dass beide auf einem Antriebsfeld reiten können. Da dein Antrieb nicht mehr funktioniert, wirst du ihn sofort nach dem Docken abschalten! Dann suchen wir uns eine Dimension, die noch nicht so betroffen ist und dort unterhalten wir uns.“ „Also gut.“, sagte Mirdan.

Der ausgebildete Flieger brachte sein Schiff parallel zu dem des Novizen und rollte es dann seitwärts. Das hieß, dass er die elektronische Trimmung deaktivierte, um einzeln auf die Spulen zugreifen zu können. Dann legte er den Joystick für die Richtungsänderung nach links, was bedeutete, dass die linke Spule allein ein Feld aufbaute, was das Schiff nicht etwa drehte wie sonst, sondern es seitwärts vom Feld nach rechts schieben ließ, was nur möglich war, weil ja von links keine Gegensteuerung wie sonst bei aktiver elektronischer Trimmung erfolgte.

„Halt dich bereit!“, befahl Diran. „Ich bin gleich bei dir. So, aufgepasst, jetzt!“

Es gab ein Klicken und dann ein schmatzendes Geräusch, das vom erfolgreichen Docken kündete. Dann befahl Diran seinem Rechner: „Mishar, Zielanflug aussetzen! Neue Zieldimension: das Universum der Tindaraner!“ Er hoffte wahrscheinlich, dass es dort etwas ruhiger zuging, was ja auch der Fall war. Die Dimension war nämlich von allen Problemen noch am wenigsten betroffen.

Mirdan freute sich diebisch über den Umstand, dass der erste Teil seines Plans so gut geklappt hatte. Wenn es ihm gelang, Diran weiter den hilflosen Novizen vorzuspielen, wäre es ihm wohl auch ohne Toleas Bann möglich gewesen, ihm sämtliche Geheimnisse zu entlocken, so dachte er jedenfalls. Aber das, was er wissen wollte, würde er ja ohnehin bald erfahren.

Er beschloss also, sich bei Diran zu melden: „Hab Dank, Ausbilder Diran. Ohne dich hätte ich das hier sicher nicht überlebt!“ „Das kommt ganz darauf an, was du getan hättest.“, erklärte Diran. „Wenn du versucht hättest, auf Biegen und Brechen gegenzusteuern, dann hättest du dein Schiff zerstört und somit dein junges Leben vorzeitig beendet. Die Scherkräfte hätten ihre Hülle zerrissen und dann hättest du auch keine Überlebensgrundlage mehr gehabt. Im Weltraum gibt es bekanntlich ja keinen Sauerstoff und in der interdimensionalen Schicht auch nicht. Das Problem wäre nämlich gewesen, dass du noch nicht außer Phase warst, weil dein Schiff kein richtiges Feld aufbauen konnte, um euch in den interdimensionalen Modus zu versetzen. Hattest du das schon in der Flugschule?“ „Nein, das hatte ich noch nicht.“, gab Mirdan Unwissen vor. Er dachte sich wohl, dass er, würde er noch hilfloser erscheinen, Dirans Mitleid noch stärker auf sich ziehen könnte und dann würde der fremde Vendar bald auf gar nichts mehr achten. Der Novize war schon heilfroh, dass Diran keinen Verdacht geschöpft hatte, als er gesagt hatte, woher er gekommen war. Der südliche Salzsee war in Sytanias Gebiet. Das war eine Tatsache, die jedem Vendar, zumindest dann, wenn er auch im Dunklen Imperium beheimatet war, bekannt sein musste. Diran hatte vor der Rebellion der Vendar unter Joran ja auch Sytania gedient, war also auch dort zu Hause gewesen. Er hätte dies also durchaus wissen können und vielleicht sogar müssen. Aber irgendwie schien ihm die Tatsache völlig abgegangen zu sein. Das hatte nichts mit Toleas Bann zu tun, denn Mirdan hatte ihn ja noch nicht nach Informationen über die Pläne der anderen gefragt. Vielleicht wäre es besser gewesen, Diran hätte, wenn er geschaltet hätte, diesem ach so hilflosen Novizen seine Hilfe verweigert, denn er musste eigentlich in diesem Fall von einer Falle ausgehen, falls er nachgedacht hätte. Aber in diesem Fall hatte wohl sein Herz über seinen Verstand gesiegt und er hatte nichts mehr gewollt, als diesem armen Jungen zur Hilfe zu eilen.

Mirdan hatte das Gespräch wieder aufgenommen: „Ich würde gern mit dir über diverse fliegerische Feinheiten reden, Ausbilder Diran.“, sagte er. „Du scheinst da ja sehr kompetent zu sein. Vielleicht kannst du mir auch bei meinem technischen Problem helfen. Ich habe noch nie ein Schiff repariert.“ „Sicher können wir darüber reden und ich kann dir mit Sicherheit auch noch was zeigen, was das Fliegen und das Reparieren von Schiffen angeht. Warte, ich komme erst mal zu dir rüber und dann sehen wir uns die Sache mal gemeinsam an. Ich habe nämlich schon einen Verdacht.“ „OK, Ausbilder Diran.“, sagte der Novize erleichtert und beide beendeten die Sprechverbindung.

Diran deaktivierte den Antrieb seines Schiffes, setzte den Ankerstrahl und schulterte dann seine Tasche mit den Werkzeugen, die er immer bei sich hatte. Man konnte ja nie wissen. Dann ging er aus dem Cockpit in die hintere Kabine, von der die Schleuse, die nun zu Mirdans Schiff führte, abging und durchquerte sie.

Er fand sich bald darauf im völlig verstaubten hinteren Teil von Mirdans Schiff wieder. „Bei allen Göttern!“, rief er aus. „Hier hat wohl lange niemand mehr aufgeräumt.“

Sein Blick streifte eine Konsole, auf der er unter der dicken Staubschicht noch nicht einmal mehr den Bildschirm erkennen konnte. Er pustete ein paar Mal über das, was er am ehesten für den Schirm hielt. Dann wischte er den Staub beiseite. Zum Vorschein kam tatsächlich eine in seinen Augen fast schon altertümlich wirkende Tastatur. Darüber tatsächlich ein kleiner Monitor. „Was um aller Götter Willen ist denn das für eine Kiste?!“, erboste sich Diran. „Welchen Stümper muss der Kleine nur seinen Fluglehrer nennen?! Wie kann man ihn denn mit einem Schiff losschicken, das nur noch von Hoffnung und Spachtelmasse zusammengehalten wird? Und dann auch noch in so einer Umgebung?! Wer tut nur so etwas.“ Er schenkte dem Bildschirm noch einen verächtlichen Blick.

Die Tür zwischen Achterkabine und Cockpit hatte sich geöffnet und im fahlen Licht war Mirdan an Diran herangetreten. „Bist du es, Ausbilder?“, fragte er. „Ja, ich bin es.“, antwortete Diran. „Aber ich wäre schon zu dir gekommen. Du hättest mich nicht aufsuchen müssen.“ „Ich bin nur neugierig geworden.“, gab Mirdan zu. „Ich hatte dich hier fluchen hören. Jedenfalls habe ich deine Stimme vom SITCH erkannt.“ „Oh dann hast du ja ein sehr gutes Gedächtnis für Stimmen.“, sagte Diran und strich ihm lobend über die rechte Schulter. „Obwohl der SITCH eine Stimme unter manchen Umständen auch sehr verzerren kann.“ „Darauf habe ich nicht geachtet.“, sagte Mirdan. „Außerdem konntest es ja nur du sein. Wer sonst hätte denn von unserem Gespräch wissen sollen?“ „Es kann immer sein.“, sagte Diran. „Dass ein Feind deine hilflose Lage ausnutzt. Du solltest immer auf der Hut sein! Hat dir das dein Ausbilder nicht beigebracht? Na, das muss ja ein feiner Lehrer sein.“ Diran schaute verächtlich in den Raum.

Mirdan war in einem Zwiespalt. Ihm gefiel gar nicht, wie der Fremde über Telzan sprach. Über Telzan, auf den er doch so große Stücke hielt! Aber wenn ihre gemeinsame Falle zuschnappen sollte, dann durfte er auf keinen Fall erwähnen, wer sein Ausbilder war. Diran und er hatten noch immer kein Wort über die Pläne von Tolea und ihresgleichen gewechselt, also war Diran auch noch zu aufmerksam. Wenn Mirdan jetzt ein falsches Wort sagen würde, könnte es immer noch sein, dass Diran ihm seine Hilfe verweigerte und ihn unverrichteter Dinge allein ließ. Das durfte er auf keinen Fall riskieren! Die Befehle von Sytania und sein Auftrag von Telzan waren eindeutig. Er musste diese Situation irgendwie lösen und zwar so, dass Diran ihm auf jeden Fall noch immer helfen wollte. Je länger er ihn bei sich halten konnte, desto höher wurde die Wahrscheinlichkeit, dass sie irgendwann auf das Thema kommen würden. Deshalb sagte der Novize nur: „Mein Ausbilder ist schon sehr alt, Ausbilder Diran. Es ist möglich, dass er mich einfach vergessen hat.“ „Na, solange er nicht älter ist als dieses Schiff!“, scherzte Diran und grinste. „Das ist er sicher nicht.“, sagte der Novize und musste ebenfalls lachen.

„Wenn dein Ausbilder schon so alt ist, dass er dich einfach vergisst.“, schlussfolgerte Diran. „Dann verstehe ich nicht, warum euer Gebieter immer noch erlaubt, dass er Novizen ausbildet. Das ist doch viel zu gefährlich. Wem dient ihr, der so etwas zulassen kann, he?!“ „Wir dienen einem niederen imperianischen Adeligen, dessen oberster Vendar mein Ausbilder schon seit fast 200 Jahren ist.“, log Mirdan. „Er hat erst neulich unserem Gebieter gesagt, dass sein letzter Sifa-Zyklus angebrochen ist und die Wächterin ihn wohl bald ins Tembraâsh abholen wird. Aber das hat ihn nicht gekümmert. Er will wohl einfach nicht wahrhaben, was offensichtlich ist. Ich kann ja verstehen, dass er ihn gern als seinen Vertrauten behalten möchte, aber was nicht geht, das geht nicht. Er hat nicht genug Macht, um sich mit der Wächterin anzulegen. Das glaub du mir ruhig.“ „Ach, was für ein Schlendrian!“, seufzte Diran, dem diese herzzerreißende Story doch sehr nahe ging. „Aber dann ist es kein Wunder, dass du nichts lernst. „Aber jetzt hast du ja mich. Pass auf. Ich schaue mir das Problem erst einmal an.“

Diran zog einen Erfasser aus seiner Werkzeugtasche, die wie seine Uniform auch aus einem schwarzen juteartigen Stoff bestand. Nur war dieser durch ein Metallgerüst verstärkt, in das Fächer eingebaut waren, in denen seine Werkzeuge gut geordnet lagen. Dann wischte er mit seinem rechten Ärmel einen Diagnoseport frei und steckte das Anschlussmodul seines Erfassers hinein. Da das Gerät schon erkannt hatte, mit was es verbunden war, rief es automatisch ein entsprechendes Programm auf. „Na wenigstens sind sie kompatibel.“, stellte Diran erleichtert fest. Dann berührte sein rechter Zeigefinger ein Symbol auf dem Bildschirm des Erfassers, das ihn ein Programm starten ließ.

„Er schaut sich jetzt erst mal deine Systeme an.“, sagte Diran auf Mirdans fragenden Blick. „Verstehe.“, sagte der Novize.

Es dauerte nicht lange und ein Piepton kündete vom Auffinden eines Fehlers. Diran las sich das Display durch. Dann sagte er: „Ein Relais für den interdimensionalen Antrieb ist durchgebrannt.“

Er hielt Mirdan das Gerät hin. „Siehst du diese Graphik?“ fragte er dann. „Sie zeigt eins zu eins die Wand, in der sich das Relais befindet und seine genaue Position. Die Nummer dort ist der Zugangsschacht, den wir öffnen müssen.“

Entschlossen drehte sich Diran in die Richtung, in der er das Symbol für den Wartungsschacht an einer der Wände gesehen hatte. „Bitte warte, Ausbilder.“, bat Mirdan. „Ich bin sehr aufgeregt. Ich kann mir das bestimmt nicht so ohne weiteres merken. Können wir auf dein Schiff gehen und der Mishar deines Schiffes zeichnet auf, was du mir an einem intakten Gerät zeigst? Ich würde es dann allein versuchen zu reparieren. Dann hätte ich auch etwas, auf das ich, sollte so ein Fall noch einmal eintreten, zurückgreifen kann, wenn du mir eine Kopie der Datei überlässt. Außerdem kann ich dann noch was lernen.“ „Also gut.“, sagte Diran mild. „Merke dir das Symbol und komm mit.“ „Danke, Ausbilder.“, grinste Mirdan erleichtert und folgte Diran. Jenem Diran, der noch nicht ahnte, wohin ihn diese fatale Entscheidung bringen würde.

Sie durchquerten die Schleuse und fanden sich bald darauf an Bord von Dirans Schiff wieder. Sofort ging der Vendar mittleren Alters ins Cockpit und instruierte den Computer: „Mishar, alle Aktionen von jetzt an aufzeichnen, die an Bord dieses Schiffes stattfinden! Dann die Datei unter Diran 12 abspeichern und auf den Datenkristall in Laufwerk A ziehen!“ Derweil hatte er das Laufwerk mit einem leeren Kristall bestückt. „Befehl wird ausgeführt.“, antwortete der Rechner. Dann begann die Aufzeichnung.

Diran kehrte zu Mirdan, der inzwischen brav in der Achterkabine gewartet hatte, zurück. „So.“, sagte er. „Nun wollen wir uns mal um dein Problem kümmern. Schau dir mal bitte die Wand genau an, vor der du gerade stehst. Erkennst du irgendwo das Symbol vom Schirm meines Erfassers?“

Der Novize schaute sich die Wand von oben bis unten genau an. Ihm war klar, warum Diran nicht einfach auf das richtige Symbol gedeutet hatte. Er wollte ihm Hilfe zur Selbsthilfe zukommen lassen. Das hieß, dass er ihm nur so weit helfen wollte, wie es eben notwendig war, damit er die Reparatur selbstständig durchführen konnte. Diran war der Ansicht, dass es Mirdan ja wenig helfen würde, wenn er es für ihn täte. Wenn der Novize wieder in solch eine Situation käme, wüsste er ja deshalb noch lange nicht, was zu tun war. Von seinen Ausbildern konnte er das ja wohl nicht erwarten, das stand für Diran fest. Zumindest passte es zu der Story, die ihm Mirdan aufgetischt hatte und die er auch ungesehen geglaubt hatte. Es gab ja niemanden, der ihm das Gegenteil bewies.

Endlich schien Mirdan das Symbol gefunden zu haben und zeigte darauf. „Das hier war es, Ausbilder Diran! Da bin ich ganz sicher!“, sagte er mit freudiger Erregung in der Stimme. Diran lächelte, denn er wusste genau, dass ihm Mirdan tatsächlich das richtige Symbol gezeigt hatte. „Genau das ist es.“, sagte er und strich ihm erneut lobend über die Schulter. „Tippe jetzt bitte zweimal darauf.“ Mirdan nickte und führte Dirans Anweisung aus.

Sofort glitt eine kleine Klappe beiseite, hinter der Mirdan ein schier unübersichtliches Gewirr von Modulen wahrnahm. „Wie soll ich mich denn hier zurechtfinden, Ausbilder?!“, fragte er fast verzweifelt. „Zuerst einmal gar nicht.“, sagte Diran und zog ihn ein Stück von der Wand weg. „Ich werde dir erst nämlich erklären, was du hier eigentlich siehst. Das hier sind alle Leitungen, die etwas mit dem interdimensionalen Antrieb zu tun haben. Das durchgebrannte Relais wirst du daran erkennen, dass sein Sichtfenster dir den Blick auf sein schwarzes Inneres zeigt. Such dir mal eines dieser Module und schau es dir genau an!“ „OK.“, sagte Mirdan, ging wieder näher zur Wand und folgte Dirans Aufforderung. „Natürlich sind sie hier alle silbern.“, sagte Diran. „Aber auf deinem Schiff wird eines dabei sein, das schwarz ist. Dessen Riegel löst du und ziehst es heraus. Hast du schon ein Ersatzteil?“ „Ja.“, sagte Mirdan. „Da dieses Schiff schon alt ist, hat mein Ausbilder mir geraten, dass ich mir vor Antritt des Fluges die wichtigsten Teile replizieren soll. Dazu gehörte auch ein solches Relais.“ „Ach du meine Güte!“, entflog es Diran, der schon wieder einen Grund sah, sich über die angeblichen Zustände in Mirdans Heimat aufzuregen. Aber der an sich sehr besonnene Vendar wusste auch, dass dies nichts bringen würde und den armen ohnehin schon extrem verwirrten Jungen nur noch mehr ängstigen würde. Also beruhigte er sich wieder und sagte nur: „Na ja. Zumindest hat dein Ausbilder versucht, dich auf einige Eventualitäten vorzubereiten. Er hätte dir meiner Meinung nach aber ruhig zeigen sollen, wie du in so einem Fall vorgehen musst.“ „Da pflichte ich dir bei, Ausbilder Diran.“, sagte Mirdan. „Aber jetzt bist du ja da, um das nachzuholen. Ich bin den Göttern extrem dankbar, dass sie zugelassen haben, dass sich unsere Wege kreuzen.“ „So dramatisch musst du das auch nicht sehen.“, sagte Diran beruhigend und bescheiden. „Sagen wir, ich war einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“

Diran war eine Zeile vom Bildschirm des Rechners auf Mirdans Schiff wieder durch den Kopf gegangen. Es war der Titel eines Programms, der darauf hinwies, dass die Software des Schiffes wohl auch lange nicht mehr aufgerüstet worden war. „Eines noch.“, sagte Diran. „Bevor du das Relais auswechselst, musst du den Rechner für den interdimensionalen Antrieb herunterfahren. Sonst nimmt dein altes System die Änderung nicht an. Es ist ohnehin sicherer für dich. Die Riegel sind zwar alle isoliert, so dass eigentlich nichts passieren kann, Aber bei so einer alten Kiste wie deinem Schiff sollte man lieber auf Nummer sicher gehen.“ „Also gut.“, sagte Mirdan. „Aber könntest du mir vielleicht zeigen, wie das geht? Ich habe …“ „Lass mich raten.“, stöhnte Diran. „Du hast auch das noch nicht gelernt. Was hat dir denn dein Ausbilder überhaupt über Schiffe beigebracht, bevor er dich losgeschickt hat? Und warum sitzt der jetzt nicht neben dir? Na ja. Es steht mir nicht zu, über deinen Lehrer zu urteilen. Aber wenn ich ihn in die Finger bekommen sollte, dann …!“ „Im Fliegen war ich ja schon ganz gut.“, sagte Mirdan. „Deshalb wollte er ja auch, dass ich allein starte. Das hier war mein erster Alleinflug. Oh ich habe meinen Lehrer sicher jetzt bitter enttäuscht!“ Er begann zu schluchzen. „Mach dir nichts draus.“, tröstete Diran, den Mirdan mit seiner Mitleidstour schon sehr um den Finger gewickelt hatte. „Das kriegen wir wieder hin. Fangen wir am besten erst einmal mit dem Rechner an. Hör mir jetzt genau zu!“

Er wandte sich dem Rechner seines Schiffes zu: Mishar, den Rechner für den interdimensionalen Antrieb herunterfahren!“ „Befehl wird ausgeführt.“, kam es sachlich und nüchtern vom Rechner zurück. Dann sahen die beiden Vendar auf dem Hauptschirm, wie das Symbol für den interdimensionalen Antrieb sich langsam verdunkelte und schließlich ganz verschwand. „So.“, sagte Diran. „Und jetzt tun wir, als hätten wir das Relais ausgewechselt. Mishar, den Rechner für den interdimensionalen Antrieb neu starten!“ Befehl wird ausgeführt.“, sagte der Rechner von Dirans Schiff. „Die Prozedur wird etwa eine Minute in Anspruch nehmen.“

Diran und Mirdan lehnten sich zurück, um dem Rechner beim Neustart zuzusehen. Auch das Symbol erhellte sich langsam wieder, bis es ganz zu sehen sein würde. „Ich denke, das könnte bei deinem alten Schiff alles etwas länger dauern.“, sagte Diran. „Aber da gibt es sowieso noch etwas, das ich dir mitgeben möchte. Du musst, wenn du einen interdimensionalen Flug absolvieren möchtest, den interdimensionalen Antrieb ganz langsam starten und den normalen Antrieb ebenso langsam zurückschrauben. Am besten in 5-%-Schritten. So habe ich es auch gemacht. Lass das am besten deinen Computer erledigen.“ „Wie kommt denn das?“, fragte Mirdan Unwissen vorgebend, der jetzt endlich eine Chance gekommen sah, Diran auf das eigentliche Thema zu lenken, wegen dem er die ganze Aktion überhaupt gestartet hatte. „Meine Gebieterin Tolea hat das Ende der Welten gesehen.“, sagte Diran, aber er war sich seiner Worte nicht wirklich bewusst. „Es kann sein, dass dies bereits Vorboten sind. Es gibt auch eine Weissagung von den Quellenwesen: Die Hydra der Eifersucht wird erwachen. Entfesseln wird sie des Krieges Drachen. Sodann werden alle Lande beben. Es wird viel Leid und Kummer geben. Doch Recken, die Kommen auf vielen Wegen, werfen sich tapfer dem Bösen entgegen. Wen das Schicksal sich wünschen will in diesem Stand, den wird es erwählen durch Kindeshand.“

Mirdan fühlte sich innerlich wie der Sieger eines schweren Kampfes. Er hatte erreicht, was er erreichen wollte. Da er Diran die gesamte Zeit über in die Augen gesehen hatte, als dieser die Weissagung rezitierte, wusste er, dass er tatsächlich unter dem Bann stand. Wenn du wüsstest, in welche Falle du soeben getappt bist!, dachte Mirdan und hatte große Mühe, sein Grinsen zu verbergen. Was er erfahren hatte, reichte ihm bereits. Damit würde er zu Sytania zurückkehren. Diese Weissagung, die Diran erwähnt hatte, durfte auf keinen Fall ihre Erfüllung finden, sonst waren ihre Pläne zunichte gemacht! Das wusste der Novize, der ja in Wahrheit viel schlauer war, als er sich jetzt gab.

Mirdan versuchte den Eindruck zu erwecken, als habe er es auf einmal sehr eilig. „Ich danke dir für deine Hilfe, Ausbilder Diran.“, sagte er und stand auf. Bitte lass mich jetzt wieder auf mein Schiff gehen und gib mir die Aufzeichnung. Die Reparatur schaffe ich jetzt auch allein, Aber du solltest, bevor du mir die Aufzeichnung gibst, sie dir noch einmal mit mir gemeinsam ansehen, damit wir auch nichts vergessen haben.“ „Also gut.“, sagte Diran und wendete sich an seinen Schiffscomputer: „Mishar, Aufzeichnung beenden, die Datei kopieren und sie noch einmal abspielen!“

Die Befehle wurden vom Computer ausgeführt. Ihre Ausführung allerdings machte Diran sehr blass und nachdenklich, ein Umstand, über den Mirdan aber lächelnd hinwegging. Jetzt offenbarte sich nämlich, was Diran gerade getan hatte. Ohne es zu wissen und zu wollen war er zum Verräter an seiner Herrin geworden, da er dem Feind Informationen gegeben hatte, die sie ihm im Vertrauen gab. Aber das war ja eigentlich ihr Fehler gewesen, weil sich Tolea, als sie Diran unter den Bann stellte, falsch ausgedrückt hatte. Aber das war ihm nicht bewusst, als er leichenblass und versteinert seinen Verrat zur Kenntnis nahm. Mirdan hatte nämlich so gesessen, dass Diran jetzt den Drudenfuß auf seiner Schulter in der Aufzeichnung sehr gut hatte erkennen können. Dafür hatte der Novize nur leicht seinen Kragen lüften müssen.

Mirdan nutzte die Lage seines Feindes jetzt schamlos aus. Er entnahm den Datenkristall, zog sein Sprechgerät und ließ sich von seinem Rechner auf sein Schiff zurückholen. Dann dockte er von Dirans Schiff ab und war in der interdimensionalen Schicht verschwunden.

Kapitel 17: Triumpf des Bösen

von Visitor

 

Seine Aktionen waren von Sytania und Telzan durch den Kontaktkelch beobachtet worden. „Habe ich Euch zu viel versprochen, Milady?“, fragte der Vendar mit einem gemeinen Grinsen. „Ist er nicht gut in dem, was er tut?“ „Oh ja.“, antwortete die Prinzessin. „Er hat den naiven Diran ganz schön aufs Kreuz gelegt! Das hätte ich wohl nicht besser machen können.“ „Da muss ich Euch leider beipflichten.“, sagte Telzan. „Ich denke, Ihr hättet nicht die Geduld für solcherlei Ränkespiele.“ Er sah sie an, denn er erwartete jetzt wohl eine Strafpredigt. Die kam aber nicht. Im Gegenteil. „Du hast Recht.“, sagte Sytania. „Ich hätte nicht die Geduld für so etwas. Aber deshalb habe ich es ja auch ihn erledigen lassen. Ich bin eben auch lernfähig.“ „Ja, das seid Ihr.“, sagte Telzan und verkniff sich den Rest seiner Gedanken. Er hatte nämlich noch gedacht: Wenn es auch sehr lange gedauert hat, bis es dazu gekommen ist. Er hatte nämlich Sorge, doch noch bei ihr in Ungnade zu fallen. Einmal war ihm das nämlich schon passiert und er erinnerte sich noch sehr gut daran. So etwas wollte er kein zweites Mal erleben. Natürlich hätte Sytania seine Gedanken in seinem Geist nachlesen können, aber er wusste, dass kein Mächtiger ihres Schlages freiwillig geistigen Kontakt zu einem Vendar aufnehmen würde. Es ging nämlich die Legende um, dass man dann automatisch bis zum Tod ausgesaugt würde. Davor hatte sogar sie große Angst. Die Tindaraner und Joran hatten zwar bewiesen, dass dies nur eine Legende war, aber das mussten sie ja ihr, dem Feind, nicht gerade auf die Nase binden.

Eine Fanfare kündigte Besuch an. Dann trat der Herold vor und rief in den Raum: „Mirdan, ein Novize des Telzan, Euer Hoheit!“ „Er ist schon zurück?“, äußerte Sytania ihr Erstaunen. „Offensichtlich.“, antwortete Telzan. „Der Herold wird ja wohl keinen Geist gesehen haben.“ „Dann soll er vortreten!“, befahl die Königstochter.

Der Herold winkte Mirdan, der daraufhin den Thronsaal betrat. Vorher hatte er ruhig am Eingang gewartet. „Mirdan.“, begrüßte ihn Telzan erstaunt. „Wo kommst du denn jetzt schon her?“ „Ich komme von meiner Mission, Ausbilder.“, antwortete der Novize. „Sie war leichter, als ich zuerst dachte.“ „Berichte uns.“, sagte Telzan und deutete auf Sytania und sich. „Sehr gern.“, sagte Mirdan, der ein teuflisches Grinsen nicht verstecken konnte. „Zuerst möchte ich bemerken, dass mir Eshlan das wohl älteste Schiff gegeben haben muss, das wir haben. Aber das war sehr förderlich für das, was ich tun wollte.“ „Ich hatte ihn genau über deine Mission informiert.“, sagte Telzan. „Das erklärt es wohl.“, antwortete der Novize. „Es war wirklich sehr hilfreich, Ausbilder. Bitte sag mir, ob ihr beide mich beobachtet habt.“ „Das haben wir.“, sagte Telzan. „Wir wissen also, was du dem naiven dummen Diran für eine rührselige Story aufgetischt hast. Du hast fürwahr ein sehr großes schauspielerisches Talent.“ „Ich danke dir, Ausbilder.“, sagte Mirdan.

Er griff in seine Tasche, in der er den Datenkristall verborgen hatte. „Deine Frau hat übrigens Recht gehabt mit Diran.“, sagte er dann, während er Telzan den Kristall hinhielt. Er stand tatsächlich unter dem Bannwort. Sonst würde sich eine Szene wohl nicht erklären lassen, die sich auf seinem Schiff zwischen uns abgespielt hat.“ „Dann wollen wir uns diese besagte Szene mal ansehen.“, sagte Telzan und zog ein Pad, in das er den Datenkristall legte und dann die sich darauf befindende Aufzeichnung abspielen ließ.

Gegen Ende ließ er diese plötzlich stoppen und befahl dem Computer des Pads, die Aufzeichnung einzufrieren. Dann ließ er ein bestimmtes Gitter des Bildschirms auf Maximum vergrößern. „Seht her, Milady.“, sagte er zu Sytania und hielt es ihr unter die Augen. „Seht Ihr Dirans Gesichtsausdruck?“ „Ja, mein guter Telzan.“, sagte Sytania. „Den sehe ich sehr wohl. So schaut nur jemand, der unter dem Bann steht. Dein holdes Eheweib ist wirklich eine hervorragende Lippenleserin. Tolea hat diesen Fehler also wirklich gemacht! Das hätte ich ihr nicht zugetraut! Sie ist doch sonst immer so genau und will dafür sorgen, dass den Sterblichen auf keinen Fall ein Haar gekrümmt wird. Wie kann ihr denn da nur so etwas passieren?!“ „Nun ja.“, sagte Mirdan. „Dass ihr dieser Fehler passiert ist, kann uns ja nur zum Vorteil sein.“ „Das ist richtig, Mirdan.“, sagte Sytania und Telzan nickte beifällig.

Die Prinzessin wandte sich wieder dem Pad zu. „Lass die Aufzeichnung weiterlaufen, Telzan!“, befahl sie. Der Vendar nickte und gab dem Pad die entsprechenden Befehle. Nun hörten alle auch die Weissagung.

Sytania machte ein wütendes Gesicht. „Lass diese verdammte Weissagung noch einmal abspielen, Telzan!“, befahl sie. „Ich kann nicht glauben, was ich da gerade gehört habe!“ Wie Milady befehlen.“, sagte der Vendar ruhig und wenige Sekunden danach ließ der Computer des Pads auf Telzans Geheiß die Weissagung noch einmal hören: „Die Hydra der Eifersucht wird erwachen. Entfesseln wird sie des Krieges Drachen. Sodann werden alle Lande beben. Es wird viel Leid und Kummer geben. Doch Recken, die Kommen auf vielen Wegen, werfen sich tapfer dem Bösen entgegen. Wen das Schicksal sich wünschen will in diesem Stand, den wird es erwählen durch Kindeshand.“ „Ein Kind!“, erboste sich Sytania. „Ein Kind soll meine Pläne durchkreuzen?! Nein, nein! Das werde ich nicht zulassen! Das darf und werde ich nicht zulassen!“ „Aber was wollt Ihr denn tun, Hoheit?!“, fragte Telzan. „Was ich tun will?!“, fragte Sytania mit hoch erregter Stimme. „Du wirst gleich sehen, was ich tun will!“

Sie sprang von ihrem Thron herab und schaute konzentriert auf einen Punkt an der gegenüberliegenden Wand des Thronsaals. Alsbald fuhr ein schwarzer Blitz durch den Raum. Dann zeigte sich ein wolkenförmiges Wesen, das Telzan und sein Schüler nur als Nebelwand wahrnehmen konnten. „Was ist das, Milady?“, fragte der Novize, den dieses Geschehen sehr beeindruckt hatte. „Kannst du schon mit einem Erfasser umgehen?“, fragte Sytania. Mirdan bejahte. „Dann benutze ihn!“, befahl Sytania.

Der angehende Vendar-Krieger nickte und zog das Gerät aus der Tasche. Dann begann er, die Nebelwand damit zu scannen. „Ihr habt ein Wesen geschaffen, Milady.“, stellte er fest. „Genau das habe ich.“, sagte Sytania. „Und wenn wir uns jetzt gleich an meinen Audienztisch begeben, werden dein Ausbilder und du auch erfahren, was dieses Wesen tun soll!“

Sie warf den beiden Vendar einen auffordernden Blick zu, auf den sie ihr zu dem kleinen runden Tischchen folgten, das wie immer an seinem Platz in der Ecke des großen Saals stand. Hier setzten sie sich im Kreis hin und fassten sich an den Händen. Dann nahm Sytania geistigen Kontakt zu ihrer Schöpfung auf: Ich grüße dich, meine Schöpfung! Auch ich grüße Euch, meine Schöpferin., gab das Wesen mit verzerrter weiblicher Stimme zurück. Warum habt Ihr mich geschaffen? Wie lautet mein Auftrag? Dein Auftrag lautet., antwortete Sytania. Alle Kinder in allen Dimensionen zu töten, denen du habhaft werden kannst! Beginne hier im Dunklen Imperium und arbeite dich dann weiter vor. Warum stellt Ihr mir keine Artgenossen zur Seite?, fragte das Wesen. Dann könnten wir doch viel effizienter arbeiten. Im Prinzip hast du Recht., meinte Sytania. Aber Effizienz ist nicht immer alles im Leben. Man muss auch mal genießen können und ich genieße nichts mehr, als wenn ich langsam Angst und Terror verbreiten kann. Wenn sich die Kunde über deine Existenz erst einmal verbreitet hat, dann werden sich viele überlegen, ob sie sich mit mir anlegen wollen. So kann ich viele meiner Feinde besiegen, ohne selbst einen Handstreich oder einen Gedanken daran verschwänden zu müssen. Das ist doch viel besser, als wenn ich meine Kraft sinnlos vergeuden würde. Meinst du nicht auch? Wenn Ihr das so sehen wollt?, erwiderte das Wesen. Dann habt Ihr natürlich Recht. Ich werde mich also an Eure Befehle halten. Ab welchem Alter soll ich beginnen. Beginne am besten schon bei den Säuglingen in der Wiege!, sagte Sytania und ihre Augen funkelten gemein. Die können zwar noch nicht sprechen, aber wir sollten trotzdem sicher gehen. Wer weiß, was für Möglichkeiten diese verdammten Quellenwesen in Petto haben! Wie Ihr wünscht., antwortete das Wesen. Aber ab welchem Alter soll ich die Sterblichen verschonen? Eine interessante Frage., entgegnete Sytania. In der Weissagung heißt es eindeutig Kindeshand und nicht etwa Hand eines Jugendlichen. Du wirst also alle verschonen, bei denen die Pubertät bereits eingesetzt hat. Ich habe verstanden., sagte das Wesen und erhob sich in die Lüfte. Dann durchdrang es die Wand und hatte das Schloss verlassen.

Mirdan hatte aufgeatmet. „Und ich hatte schon Angst, dass ich ihr erstes Opfer werde.“, sagte er erleichtert. „Oh das wäre schon nicht geschehen.“, tröstete Telzan. „Oder hattest du etwa vor, zum Verräter an deiner Herrin zu werden, he?!“ Er sah ihn streng an. „Nein, Ausbilder.“, sagte Mirdan und senkte beschwichtigend den Kopf. „Natürlich nicht.“ „Das will ich dir auch geraten haben.“, sagte Telzan.

Sytania winkte ihrem Mundschenk, der darauf mit einem Tablett mit weißen bauchigen Gläsern und einer ebensolchen Karaffe gefüllt mit imperianischem Wein in den Saal kam. „Wir sollten auf das gute Gelingen unserer Pläne anstoßen.“, sagte die Prinzessin und machte eine auffordernde Handbewegung gegenüber dem Imperianischen Mundschenk, der stumm zuerst ihr und dann Telzan einschenkte. Er war ein kleiner Mann in abgewetzter Kleidung, dessen Erscheinung selbst für Sytania ansonsten nicht weiter wichtig war.

Als er zu Mirdans Platz gekommen war, blieb er stehen und schaute zu Telzan herüber, der ihm nur zunickte. „Aber Ausbilder.“, stammelte der Novize. „Ich …“ „Ach was!“, fuhr ihm Telzan über den Mund. „Wenn ich es dir erlaube, dann darfst du zur Feier des Tages auch mal einen mit uns trinken. Ein bis zwei Gläser werden dir schon nicht schaden und jetzt runter damit!“ Dann stießen Sytania, Mirdan und er miteinander an.

Dem Novizen war es plötzlich wie Schuppen von den Augen gefallen. Sofort stellte er sein Glas hin und sah Sytania erschrocken an. „Was ist mit den Kindern der Genesianer?!“, fragte er. „Habt Ihr an die auch gedacht? Ich mache mir ja nur Sorgen, dass Eure neu gewonnene Freundin Valora es eventuell sehr übel nehmen könnte, wenn Ihr …“ „Das mit den Kindern der Genesianer lass mal dahingestellt.“, sagte Sytania. „So weit ist meine Schöpfung ja auch noch nicht. Es gibt hier genug einfältige Bauern, bei denen sie erst mal üben kann. Bis dahin werde ich auch wissen, wie sich die Sache mit dem Glaubenskrieg auf dem Heimatplaneten der Genesianer entwickelt. Dann werde ich entscheiden, wie wir mit den Kindern der Genesianer verfahren. Ich bin sicher, Valora wird Verständnis für jede meiner Entscheidungen haben. Aber danke, dass du mich auf diesen Umstand aufmerksam gemacht hast.“ „Das habe ich doch gern getan, Hoheit.“, sagte Mirdan.

Sytania nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas und wandte sich dann Telzan zu: „Du hast dort wirklich einen aufmerksamen Schüler, mein Freund. Er wird sicher einmal ein guter Krieger werden.“ „In der Tat, Herrin.“, bestätigte Telzan und alle drei hoben erneut die Gläser.

Der Novize hatte erneut eine Möglichkeit gesehen, durch Aufmerksamkeit zu glänzen. „Ihr habt doch wissen wollen, woher ich so schnell gekommen bin.“, sagte er in Richtung von Telzan und Sytania gleichermaßen gewandt. Das war möglich, weil die Prinzessin und sein Ausbilder ihn in die Mitte genommen hatten. „Das stimmt.“, sagte Telzan. „Ich habe Eshlan das Schiff übergeben und mich dann mit einem Transporter herbeamen lassen.“, sagte der Novize. „Ich wollte einfach gewährleisten, dass die Information so schnell wie möglich hier ankommt. Sicher hätte ich sie auch per SITCH-Mail übermitteln können, aber dann wäre ich ja nicht da gewesen, um sie gleich vor Ort zu interpretieren.“ „Gute Entscheidung, mein Schüler!“, lobte Telzan. „Ich hätte es nicht anders gemacht. Aus dir wird fürwahr einmal ein guter Stratege werden.“ „Danke, Ausbilder.“, sagte Mirdan verlegen. Sie setzten die Feier fort, nachdem der Mundschenk allen noch einmal nachgeschenkt hatte.

Diran war der Verzweiflung näher als der Hoffnung. Immer und immer wieder hatte er sich die Aufzeichnung angesehen. Jene Aufzeichnung, die ihm schwarz auf weiß offenbarte, dass er gerade zum Verräter geworden war. Wenn es ihm auch nicht bewusst war, so war es doch geschehen. Schließlich konnte der Mishar nicht lügen. Was er in seinen Datenbanken hatte, war die reine Wahrheit, außer man half technisch nach, indem man Passagen herausschnitt oder änderte. Aber Diran hatte nichts dergleichen getan. Warum hätte er das auch tun sollen? Damit hätte er sich, so wie sich die Situation jetzt darstellte, doch nur ins eigene Fleisch geschnitten.

Die aufgestellten Gesichtshaare des Vendar verrieten seine nicht gerade gute Verfassung, als er zu überlegen begann, was er tun konnte, um zu verhindern, dass so etwas noch einmal passierte. Er konnte und durfte nicht zulassen, dass Sytania und ihre Schergen an noch mehr Informationen kamen! Aber er wusste nicht, wie er das anstellen sollte. Tolea danach zu fragen und sie zu bitten, den Bann aufzuheben, wäre wohl für uns, die wir normal und besonnen denken können, das Mittel der Wahl gewesen. Aber Diran war hierzu viel zu verzweifelt. „Ich muss verhindern, dass es noch einmal geschieht!“, sagte er entschlossen und ging zum Replikator, wo er sich ein Röhrchen mit einer grünen Flüssigkeit replizierte. Die Flüssigkeit war das Gift der Neshar-Rose, einer auf der Heimatwelt der Vendar häuslichen Pflanze. Dieses Gift wurde dazu benutzt, sich zu töten oder sich ins Koma zu versetzen, falls man zum Verräter an seiner Herrin oder seinem Herrn geworden war und das eigentlich nicht gewollt hatte. Er wusste, jetzt brauchte er Hilfe und die konnte ihm, wenn überhaupt, nur von den Tindaranern oder ihren Verbündeten auf New-Vendar-Prime gegeben werden. Nur jemand, der sich mit den Ritualen der Vendar auskannte, konnte wissen, was jetzt zu tun war und warum er eben getan hatte, was er getan hatte.

Diran entkorkte das kleine dünne Röhrchen, das selbst aus weißem Glas bestand und einen braunen kleinen Korken enthielt. Es war etwa 20 cm lang und hatte einen Durchmesser von ca. 3 cm. Dann setzte er es an die Lippen und leerte es in einem Zug. Die Flüssigkeit schmeckte bitter, aber das störte ihn nicht. Er wusste, was immer jetzt auch geschah, er war sicher. Er würde Sytania keine Informationen mehr verraten können! Ob nun freiwillig oder unfreiwillig. Entweder, er würde rechtzeitig von den Tindaranern oder den Vendar-Rebellen von New-Vendar-Prime gefunden, oder er würde sterben, bevor sie etwas tun könnten. „Ihr legt mich nicht noch einmal herein, Sytania!“, rief Diran aus. „Die Götter mögen wissen, woher Ihr wusstet, dass mich meine Herrin unter den Bann gestellt hat und wie genau der aussieht, Aber von mir werdet Ihr nichts mehr erfahren! Das war das allerletzte Mal, dass ich auf eine Eurer Maschen hereingefallen bin. Das allerletzte Mal!“

Leider hatte Diran nicht bedacht, dass der Umstand, dass er sich aufregte, seinen Blutdruck in die Höhe schnellen ließ. Leider hatte das auch Auswirkungen auf den Rest seines Stoffwechsels. Sein Blut verteilte jetzt nämlich auch das Gift viel schneller in seinem Körper. Er spürte, wie es ihm schwindelig wurde. „Nein!“, rief er aus. „Jetzt noch nicht! Ich muss doch noch etwas vorbereiten!“

Sein Kreislauf versagte und er fiel hin. Jetzt konnte er sich nur noch auf allen Vieren zum nächsten Computermikrofon schleppen. Mit letzter Kraft zog er sich auf den Sitz davor. Dann stammelte er ins Mikrofon: „Mishar, das Sprechgerät auf die tindaranischen Notruffrequenzen und die der Vendar auf New-Vendar-Prime justieren! Dann einen automatischen Notruf in Vendarisch, Englisch und Tindaranisch absetzen! Außerdem möchte ich eine Nachricht diktieren.“

Er musste eine Pause machen, denn ein scharfer Schmerz hatte seinen Körper durchzuckt. Es geht zu schnell., dachte er. Hoffentlich kriege ich das noch hin.

Die Stimme des Rechners holte ihn aus seinen Gedanken: „Programm geladen und bereit. Bitte diktieren Sie Ihre Nachricht.“ Diran atmete tief durch. Er war froh, dass das Gerät ihm sozusagen einen Strohhalm gereicht hatte, zumindest im übertragenen Sinn. Jetzt hatte er etwas, auf das er sich fokussieren konnte. Er war dem Rechner noch nie so dankbar gewesen wie jetzt.

„Meine Freunde.“, begann Diran sein Diktat in Englisch. „Wenn einer von euch diese Nachricht findet, weile ich vielleicht nicht mehr unter den Lebenden, oder ich liege im Koma. Ich habe mich selbst gerichtet, denn es darf nicht sein, dass ich Sytania weitere Informationen gebe. Offenbar hat mich meine Herrin versehentlich unter die falsche Art von Bann gestellt. Ich bin mir dessen natürlich nicht bewusst und kann es nur anhand der Geschehnisse vermuten, denn ich habe aus Versehen einem von Sytanias Vendar eine wichtige Information übergeben. Was genau geschehen ist, werdet ihr in den Aufzeichnungen meines Rechners finden. Es dauert zu lange, euch das zu erklären. Ich habe das Gift der Neshar-Rose zu mir genommen, das bereits seine Wirkung entfaltet. Ich habe nicht mehr viel Zeit!“

Er machte eine Pause, die mindestens fünf Sekunden dauerte. Das war lange genug, um den Rechner dazu zu bringen ihn zu fragen: „Haben Sie Ihre Nachricht beendet?“ „Ja.“, antwortete Diran, dem langsam die Sinne zu schwinden begannen. Es wurde immer schwerer für ihn, sich auf sein Vorhaben zu konzentrieren. Irgendwie musste er es aber noch hinbekommen, dem Rechner mitzuteilen, wie er mit der Nachricht verfahren sollte.

„Mishar.“, sagte Diran schon ziemlich erschöpft. „Sind in deiner Datenbank Beispiele der DNS von Vendar enthalten, die auf New-Vendar-Prime leben?“ „Affirmativ.“, sagte der Rechner. „Gibt es dort auch Beispiele für die DNS der Besatzung von Basis 281 Alpha?“, fragte Diran. Wieder bejahte der Rechner.

Der Vendar atmete auf. „Interne Sensoren scharf stellen!“, befahl Diran. Das Programm für Nachrichten mit dem Sicherheitsprogramm verknüpfen! Die zuletzt diktierte Nachricht abspielen, wenn eine der vorher genannten DNS-Gruppen in Reichweite der internen Sensoren kommt!“ „Befehl wird ausgeführt.“, sagte der Mishar sachlich und nüchtern.

Diran gab einen erleichterten Seufzer von sich: „Das wäre geschafft!“ Es ging ihm immer schlechter. Lange hätte er das bestimmt nicht mehr durchgehalten. Jetzt ließ er sich nur noch vom Sitz gleiten und robbte - aufrecht gehen konnte er schon nicht mehr - zu jener Tür, die Achterkabine und Cockpit voneinander trennte. Da der Sensor auf seine Gesamtmaße und nicht nur auf seine Körperhöhe programmiert war, öffnete sich die Tür trotzdem. Diran kroch hindurch und hievte sich auf eine der Bänke. Dort legte er sich auf den Rücken und entspannte sich. Derweil dachte er noch: Ihr Götter, ich befehle mich in eure Hand. Bitte gebt, dass sich alles wieder zum Guten wendet. Dann tat er noch einen letzten tiefen Atemzug, bevor das Gift ihn endgültig in den tiefen todesähnlichen Schlaf zwang.

Shimar und sein Schiff hatten das Raum-Zeit-Kontinuum ohne konkrete Ergebnisse durchstreift. IDUSA hatte zwar viele Werte gesehen, die auf eventuelle Spionagetechnik hindeuten könnten, in der gegenwärtigen Situation hatten sich diese aber vielfach als Sensorengeister entpuppt. Das war wahrscheinlich der Veränderung innerhalb der Dimension zuzuschreiben. Jedenfalls gab es dort aber auch keine eindeutigen Hinweise. Dass Sytanias Vendar getan hatten, wessen Sianach sie beschuldigte, konnte aber auch nicht eindeutig ausgeschlossen werden.

IDUSAs Avatar wendete sich an ihren Piloten: „Ich denke, wir werden hier nichts Eindeutiges finden, Shimar. Ich halte es für effizienter, wenn wir zurückkehren. Wir können Sianach zwar keine eindeutige Entwarnung geben, aber angesichts der Spurenlage ist es wohl besser. Vielleicht finden wir ja auch irgendwo anders einen Hinweis.“ „Das Gefühl habe ich auch langsam.“, sagte Shimar. „Aber ich möchte erst einmal wissen, was Maron und Zirell dazu meinen. Verbinde mich mit ihnen!“ “Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und schaltete die gewünschte Verbindung. Dann sah der junge Patrouillenpilot die Gesichter seiner Kommandantin und des ersten Offiziers vor seinem geistigen Auge über den Neurokoppler. „Was konntest du herausfinden, Shimar?“, wollte Zirell wissen. „Leider nicht sehr viel, Zirell.“, musste Shimar zugeben. „Die Spuren sind nicht eindeutig. IDUSA kann kaum ihr eigenes Sensorenecho vom Rest unterscheiden, geschweige denn, dass sie eindeutige Werte gefunden hätte, die Sianachs Angst bestätigen würden. Wir haben Jenna die Werte gegeben. Sie meint, die Dimension sei sehr angegriffen, aber das führt sie auf die ohnehin gerade herrschende Schieflage in den elektrischen Ladungen zurück. Zumindest geht das aus einer Mail hervor, die sie mir geschickt hat. Ich denke, wir werden zurückkehren. Wenn sich das nicht anders beweisen lässt, dann wird sich Sianach hoffentlich geirrt haben.“ „So einfach ist das leider nicht, Shimar.“, mischte sich Maron ins Gespräch. „Du darfst nicht vergessen, wie lange das schon her ist. Die Energiewerte können ebenso gut schon zerfallen sein, aber das heißt nicht, dass da nichts war. Ich bin lange nicht mehr so naiv zu glauben, dass Sytania, wenn sie auch vielleicht nicht die Ursache gesetzt hat, sicher gern ein Stück vom giftigen bösen Kuchen abhaben würde und alles dafür täte, was es ihr irgendwie erleichtern würde. Wir denken, dass so eine massive Ladungsverschiebung nicht allein von ihr verursacht werden kann. Zumindest nicht, ohne dass ihr Vater sich einmischen würde, wenn er etwas davon merken würde und das würde er mit Sicherheit. Es muss also etwas am Werk sein, das noch mächtiger ist als Logar oder Sytania.“ „Mächtiger als Logar oder Sytania?“, wiederholte Shimar fragend und mit fast ungläubigem Staunen. „Da fallen mir nur die Quellenwesen und ihre vielen Verwandten ein. Aber den Propheten oder den Palgeistern traue ich das nicht zu.“ „Ich denke auch, dass es jemand anderes aus der berühmten Familie sein muss.“, sagte Maron, der seinen kriminalistischen Spürsinn eingesetzt hatte. „Zumal die Palgeister wissen, dass sie, obwohl sie Sytanias Hilfe hatten, damals kläglich gegen uns verloren haben.“

Er hatte den Sendeknopf losgelassen. Wahrscheinlich wartete er auf eine Antwort Shimars. Dieser aber war dazu gerade nicht in der Lage, denn er kämpfte mit einem Lachanfall, der so langsam die Oberhand zu gewinnen drohte. Dann prustete ein völlig fertiger Tindaraner ins Mikrofon: „Oh ich hoffe, du hast das nicht ernst gemeint, Maron! Sytania und ihnen geholfen! Dass ich nicht lache! Sytania hat doch nur sich selbst geholfen! Mich wundert, dass die Palgeister das damals nicht gerafft haben. Aber na ja. Gier frisst Hirn, sagt Betsy immer. Machtgier tut das eben auch!“ „Genauso ist es, Shimar.“, sagte Maron. „Ich wollte ja nur sicher gehen, dass du aufpasst.“ „Dann ist ja gut.“, sagte der tindaranische Pilot erleichtert. „Für einen Augenblick hatte ich nämlich ernsthaft gedacht, du würdest glauben, was du da eben gesagt hast.“ „Keine Angst, mein Freund.“, versicherte Maron. „Ich habe zwar den Ruf weg, etwas naiv zu sein, aber das bin ich nicht mehr. Ich bin nämlich lernfähig. Aber du hast Recht. IDUSA und du, ihr solltet wirklich zurückkehren. Jede weitere Ermittlung dort wird wohl, nicht zuletzt auch aus physikalischen Gründen, ins Leere führen.“ „OK.“, sagte Shimar und beendete die Verbindung.

Der Avatar seines Schiffes sah ihn plötzlich alarmiert an. „Was ist los, IDUSA?!“ fragte Shimar, der genau wusste, dass sie so ein Verhalten nicht ohne Grund zeigte. „Ich habe über das interdimensionale Sprechgerät einen Notruf empfangen.“, sagte das Schiff. „Er ist automatisch und wird auf den tindaranischen Notruffrequenzen und auch auf denen der Vendar von New-Vendar-Prime gesendet. Er wird auf Englisch, Vendarisch und Tindaranisch gesendet. Er kommt vom Rufzeichen von Dirans Schiff!“ „Diran?“, fragte Shimar verwundert. „Der dient doch Tolea. Wo ist die Quelle des Notrufs, IDUSA?“ „Sie befindet sich in unserer Dimension.“, sagte das Schiff. „Sie ist nicht weit von unserer Basis entfernt.“ „Was macht Diran denn bei uns?“, wunderte sich Shimar erneut. „Seine Frau lebt auf New-Vendar-Prime.“, rief ihm IDUSA die familiäre Situation seines Freundes in Erinnerung. „Ich halte für möglich, dass er sie besuchen wollte.“ „Na, dann müssen sie sich aber saftig gestritten haben.“, sagte Shimar mit fast neutralem Ausdruck im Gesicht. Nur ein kaum sichtbares Grinsen umspielte die Lippen des jungen tindaranischen Fliegers. „Wenn er seinen Computer dann gleich dazu bringt, einen Notruf abzusetzen. Funktionieren deine interdimensionalen Sensoren einwandfrei? Ich wüsste gern, ob sie hinter ihm her ist, um ihm die Bratpfanne über den Kopf zu ziehen.“ Er ahnte nicht, dass er bald eine Situation vorfinden sollte, in der ihm das Scherzen wohl sehr schnell verging.

Einige Zeit verging. Shimar sah das Gesicht des Avatars vor sich. Sie schaute in den Raum. Das war das gleiche Bild, das er immer von ihr sah, wenn IDUSA etwas scannte. „Das tust du jetzt nicht wirklich, oder?“, fragte er. „Ich muss Ihnen sagen, dass ich außer Dirans Schiff kein weiteres gesehen habe.“, sagte IDUSA. „Auch ist von Sianach nichts zu sehen und ich sehe auch kein antikes Kochgerät.“ „Ach du Schande, IDUSA!“, rief Shimar aus. „Und ich dachte, du hättest gelernt zu unterscheiden, ob jemand einen Scherz macht, oder ob das, was er sagt, ernst gemeint ist! Was ist mit suchen und vergleichen, he?!“ „Das habe ich getan.“, sagte das Schiff unschuldig. „Dabei ist herausgekommen, dass ich Sianach aufgrund ihres Temperaments so etwas durchaus zutrauen würde. Sie regt sich zwar selten auf, aber wenn, dann richtig. Das weiß auch ich. Das von Ihnen geschilderte Szenario ist also durchaus wahrscheinlich.“ „OK.“, sagte Shimar und schaute etwas bedient. „Das funktioniert also auch nicht immer. Aber hast du dir nicht mein Gesicht angeschaut? Hast du da nicht ein kleines Grinsen wahrgenommen?“ „Ihre Gesichtsmimik war nicht eindeutig.“, sagte das Schiff. „Upsi.“, machte Shimar. „Dann muss ich ja zu einem verdammt guten Schauspieler geworden sein. Aber das ist jetzt nebensächlich. Gib mir noch einmal Zirell!“

Der Avatar nickte und IDUSA führte Shimars Befehl aus. Bald darauf sah er wieder in das Gesicht seiner Kommandantin. „Zirell, IDUSA hat einen Notruf von Diran empfangen. Wir sollten uns darum kümmern.“ „In Ordnung.“, sagte Zirell. „Du dürftest ja schnell vor Ort sein können. Aber wir haben den Notruf auch gehört. Er kommt auf allen Notruffrequenzen herein. Also dann! Kümmere dich!“ „OK, Zirell.“, sagte Shimar und gab IDUSA den Gedankenbefehl zum Beenden der Verbindung. Dann flogen sie in die tindaranische Dimension zurück.

Kapitel 18: Der Trumpf aus der Vergangenheit

von Visitor

 

Das gerade Gehörte hatte Maron keine Ruhe gelassen. Er wollte unbedingt herausfinden, was daran war. „Ich werde nach unten in den Maschinenraum gehen und Jenna aufsuchen.“, sagte er. „Wenn uns jemand sagen kann, wer so mächtig sein könnte, um so etwas selbst im Raum-Zeit-Kontinuum zu verursachen, dann sie. Unter Umständen mit etwas Hilfe durch die persönlichen Erinnerungen von Lord Grandemought.“ „Also gut, Maron.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „Aber wie kommst du darauf, dass gerade Jenna dir weiterhelfen kann?“ „Ich habe da so meine Vermutungen.“, sagte der erste Offizier und wandte sich zum Gehen. „Bitte vertrau mir, Zirell.“ „Also gut.“, sagte die Tindaranerin und schaute ihm lächelnd nach, während Maron die Kommandozentrale verließ.

Sein Weg führte ihn zunächst zu einem Turbolift, der ihn in den Maschinenraum zu Jennas Arbeitsplatz brachte. Die hoch intelligente Halbschottin staunte nicht schlecht. „Sir!“, rief sie erstaunt aus. „Was führt Sie denn hierher?“ „Ich muss mit Ihnen reden, McKnight.“, sagte Maron. „Aber dazu sollten wir nach Möglichkeit allein sein.“ „Oh das klingt ja sehr geheimnisvoll.“, sagte Jenna. Dann wandte sie sich ihrer Assistentin zu: „Shannon, übernehmen Sie!“ „OK, Jenn’.“, nickte die blonde Irin und nahm den Platz vor der Konsole ein, den Jenna gerade geräumt hatte.

McKnight stellte sich neben Maron und sah ihn auffordernd an. „Wohin wollen wir gehen, Agent?“, fragte sie. „Ich hatte gedacht.“, sagte Maron. „Dass wir uns noch einmal Commander Zirells Raum ausleihen.“ „OK.“, sagte Jenna und folgte ihm wieder zum Lift zurück.

Wenig später hatten sie sich an ihrem Ziel eingefunden und Maron hatte hinter Zirells Schreibtisch Platz genommen, während Jenna mit dem Stuhl davor vorliebgenommen hatte. Dann hatte der Erste Offizier die Datei mit Jennas Personalien von IDUSA aufrufen lassen, die von der Technikerin auch bestätigt worden waren. „Warum wollen Sie denn nun mit mir reden, Agent?“, fragte Jenna. „Ich muss Sie zu Ihrer Zeit mit Lord Grandemought vernehmen.“, sagte der Demetaner. „Zu welcher Zeit genau?“, fragte Jenna. „Er war insgesamt mehr als dreimal in meinem Körper.“ „Das hängt davon ab.“, sagte Maron. „Wann Sie mit ihm persönliche Erinnerungen ausgetauscht haben.“ „Grandemought war, als er Sie das erste Mal in Besitz genommen hat, ja bereits mehr als 5000 Jahre alt. Da wird er ja wohl einige Mächtige persönlich gekannt haben. Waren darunter Leute, die mächtig genug wären, um so etwas wie so eine massive Ladungsverschiebung verursachen zu können, Ohne das Logar oder Dill oder auch jemand anderes etwas dagegen tun können?“ „Ich bin froh.“, sagte Jenna erleichtert. „Dass Sie mich nicht nach dem Wissen der alten Zeitländer an sich gefragt haben, Sir.“ „Darauf habe ich nämlich nicht so einfach Zugriff.“ „Ich weiß.“, sagte der erste Offizier und warf ihr einen verständigen Blick zu. „Darum habe ich ja mit Absicht diesen Weg gewählt. Mir ist ja klar, dass Sie das nicht ein- und ausschalten können wie einen Lichtschalter. Aber auf seine persönlichen Erinnerungen, die er in Ihnen hinterlassen hat, haben Sie doch jederzeit Zugriff, oder?“ „Das stimmt.“, sagte Jenna. Aber ein ca. 5000 Jahre altes Leben zu durchforsten, könnte etwas dauern, Agent. Aber so, wie ich die Sache einschätze, könnte das Zeit in Anspruch nehmen, die wir gar nicht haben.“ „Dann würde ich gern etwas mit Ihnen versuchen, McKnight.“, sagte Maron. „Sind Sie einverstanden?“ „Ein Experiment unter Ihrer Leitung.“, sagte Jenna und schaute ihn neugierig an. „Das ist ja mal was Neues. Sonst habe ich bei unseren gemeinsamen Experimenten ja immer die Führung übernommen. Aber ich bin bereit, mich auf Ihren Versuch einzulassen.“ „Also dann.“, sagte Maron und lehnte sich zurück. Dann überprüfte er noch ein letztes Mal den Sitz seines Neurokopplers und sah Jenna von Kopf bis Fuß an. „Ich hatte meinen Koppler nicht abgesetzt.“, sagte Jenna. „Das sehe ich.“, sagte Maron.

Er schien über etwas nachzudenken. Dann sagte er: „Ich möchte, dass Sie sich in die Zeit zurückversetzen, in der Sie und Grandemought den intensivsten Erinnerungsaustausch hatten.“ „OK.“, nickte Jenna und tat, was Maron ihr soeben gesagt hatte. „Und jetzt möchte ich.“, sagte der Agent. „Dass Sie mir vertrauen, was immer gleich auch mit Ihnen passieren mag. Sollten Sie Dinge aus Grandemoughts Leben wiedererkennen, oder sollte Ihnen etwas einfallen, dann hämmern Sie es einfach heraus, egal wie seltsam es auch klingen mag. Das Sortieren übernehme ich dann schon.“ Jenna nickte.

Maron wandte sich dem Stationsrechner zu: „IDUSA, gibt es in deiner Datenbank Bilder der Quellenwesen und ihrer Verwandten?“ „Affirmativ.“, antwortete der Rechner. „Dann möchte ich, dass du sie nur Techniker McKnight der Reihe nach zeigst. Jedes Bild für etwa, na sagen wir, für 20 Sekunden. Sollte sie eine medizinisch messbare Reaktion zeigen, hältst du die Diashow an und zeigst auch mir das Bild.“ „Verstanden, Agent.“, sagte der Rechner. „Ab wann soll ich beginnen?“

Maron sah mit einem fragenden Blick zu Jenna hinüber. Zu ihr, die sich bereits die ganze Zeit über auf ihre Zeit mit Grandemought konzentriert hatte. Die kluge Technikerin nickte ihm nur auffordernd zu. „Also dann, IDUSA.“, sagte Maron. „Fang an!“ Der Avatar vor den geistigen Augen der Beiden nickte. Dann speiste IDUSA die von Maron verlangten Bilder nur über den Port ein, auf dem sie Jennas Reaktionstabelle geladen hatte.

Viele Bilder zogen nun an Jennas geistigem Auge vorbei. Bilder von Wesen, die sie selbst noch niemals zu Gesicht bekommen hatte. Als die Reihe aber an den Einhörnern, speziell am Bild der Leitstute Valora war, fuhr Jenna zusammen und stammelte: „Oh mein Gott, Agent! Das ist Valora! Grandemought kennt sie! Sie gilt als sehr tugendhaft, kann aber auch anders! Ich weiß, das ist nicht das Bild von Einhörnern, wie wir es kennen, aber Invictus hat seine Gründe. Grandemought kannte auch ihn und er wusste, dass es eines Tages dazu kommen wird … Was rede ich? Ich sollte doch zuerst bei einem Thema bleiben! Also, Valora …“ „Nicht die Kontrolle übernehmen, McKnight!“, sagte Maron, der alles auf einem Pad in Stichworten mitgeschrieben hatte. „Wir waren uns doch einig, dass ich sortiere! Oder?“ „Ich weiß.“, sagte McKnight, die bereits leicht außer Atem war. „Es ist mir nur so unangenehm, wenn ich hier so herumstammele.“ „Oh das ist völlig OK, Techniker.“, tröstete Maron. Ich weiß ja, dass das sonst nicht Ihr Stil ist. Und es bleibt auch garantiert unter uns.“ „Also gut.“, sagte Jenna. „Versuchen wir es noch einmal. Aber ich fürchte, ich benötige noch einen Stimulus. Ich denke, es ist, weil ich das abgebrochen habe und mich nicht wirklich darauf einlassen wollte. Könnte IDUSA …“ Maron nickte ihr verständig und mild zu. Dann wandte er sich an den Rechner: „Du hast die Lady gehört!“

Erneut zeigte IDUSA Jenna das Bild von Valora, was einen weiteren Redeschwall bei ihr auslöste: „Sie ist eifersüchtig! Oh sie kann sehr eifersüchtig werden. Dann wird sie sehr wütend und ist dann unberechenbar. Sie könnte sich sogar mit Sytania anfreunden in ihrer Wut auf Invictus. Aber was er getan hat, war notwendig. Grandemought kennt auch ihn und er hat ihm anvertraut, dass einmal eine Zeit kommen wird, da seine Kinder jedes Maß verlieren werden, wenn er sie nicht daran erinnert, wie kostbar die Natur ist. Was er getan hat, war dazu notwendig. Sich mit Sterblichen zu paaren war dazu notwendig! Aber Valora versteht nicht! Sie versteht nicht!“

Jenna japste ein letztes Mal nach Luft, bevor sie ohnmächtig zu werden drohte. Es gelang Maron aber noch gerade, sie aufzufangen und in stabiler Seitenlage auf den Boden zu legen.

Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte ihn, als sie endlich wieder die Augen öffnete. „Tut mir leid, Sir.“, waren ihre ersten Worte. „Mir muss es leidtun, Techniker.“, sagte Maron. „Ich hätte Sie nicht so drängen dürfen. Gibt es noch etwas, dass Sie mir sagen wollen?“ „Nein.“, sagte Jenna. „OK.“, sagte Maron. „Dann sollte ich Sie auf die Krankenstation begleiten, damit Ishan Sie sich noch einmal ansieht. Es wäre ja sicher gut, wenn wir erfahren würden, ob meine Schandtaten für Sie ohne Folgen geblieben sind.“ Er half ihr auf die Beine. „Wenn.“, sagte Jenna. „Dann waren es wohl unsere gemeinsamen Schandtaten, Agent. Schließlich habe ich ja freiwillig mitgemacht.“ „Stimmt auch wieder.“, lächelte Maron. „Und wenn Sie von Ishan untersucht worden sind, dann kümmere ich mich um dieses Pad hier und sortiere seinen Inhalt. Dann werde ich Zirell das Ergebnis vorlegen.“ „In Ordnung, Agent.“, sagte Jenna und ließ sich von ihm stützen, während sie den Weg zur Krankenstation einschlugen.

Shimar und IDUSA waren zu dem Punkt gekommen, an dem das tindaranische Schiff Dirans Schiff lokalisiert hatte. „Ich kann nur ein sehr schwaches Biozeichen ausmachen.“, sagte der Avatar und sah Shimar ernst an. „Zeig mir ein Bild vom Inneren des Cockpits!“, befahl der junge Tindaraner. IDUSAs Avatar nickte und dann führte sie den Befehl aus.

Vor Shimars geistigem Auge baute sich das Bild von einem leeren Cockpit auf. Alles, was er sah, schien darauf hinzudeuten, dass dieses eilig verlassen worden war. „Zoome bitte die Steuerkonsole heran.“, sagte Shimar. „Das will ich gern tun.“, sagte IDUSA. „Allerdings muss ich Sie darauf hinweisen, dass alles, was Sie in den Displays sehen werden, in vendarischer Zeichenschrift geschrieben ist. Meines Wissens beherrschen Sie diese nur rudimentär.“ „Das ist richtig.“, gab Shimar zu. „Joran hat mir ein paar Hieroglyphen beigebracht. Aber ich habe ja dich. In deiner Datenbank dürfte ja ein vollständiger Zeichensatz vorhanden sein. Also kannst du mir auch helfen, die Anzeigen zu übersetzen.“ „Das kann ich allerdings.“, sagte IDUSA. „Und ich denke, es wäre besser, ich täte das sofort, um Missverständnisse zu vermeiden.“ „In Ordnung.“, sagte Shimar. „Aber wir sollten auch klären, wo Diran ist. Ich sehe ihn auf jeden Fall nicht hier im Cockpit.“ „Sie haben Recht.“, sagte IDUSA. „Er befindet sich offenbar im hinteren Teil des Schiffes. Und er hat es offenbar nicht mehr geschafft, dieses auf Autopilot zu schalten. Es treibt offenbar führerlos.“ „Ist der Antrieb aktiv, IDUSA?“, fragte Shimar. „Negativ.“, sagte IDUSA. „Na den Göttern sei Dank.“, sagte Shimar erleichtert.

Er konzentrierte sich auf das Bild der Steuerkonsole vor seinem geistigen Auge, das IDUSA jetzt befehlsgemäß in den Vordergrund gerückt hatte. „Für mich sieht es aus.“, stellte Shimar fest. „Als hätte Diran noch eine Nachricht diktiert, bevor er sich nach hinten begeben hat.“ „Bestätigt.“, übersetzte das Schiff. „Was immer dort drüben auch passiert ist, kann uns vielleicht diese Nachricht beantworten.“ „Das denke ich auch.“, sagte Shimar. „Und deshalb werde ich auch hinübergehen. Gib mir Zirell! Ich werde mich mit ihr und Maron absprechen müssen, weil ich unter Umständen einen mobilen Tatort betrete.“ „Dann sollten Sie aber auch beachten.“, sagte IDUSA. „Dass Sie besser nichts anfassen oder verändern sollten. Außer, sie trügen Handschuhe. Ich würde Ihnen auch eine überwachte Außenmission unter Agent Marons Leitung vorschlagen.“ „Wie Recht du hast.“, sagte der junge Flieger und grinste ihr zu. Dabei strich sein rechter Zeigefinger über einige leere Ports, was das berühmte Massesignal auslöste, das bei IDUSA wie immer sehr positiv ankam. „Wenn ich dich nicht hätte und die dicken Kartoffeln, meine kleine schlaue IDUSA!“ „Dann müssten Sie sich nur noch von Reis und Nudeln ernähren. Wie schrecklich!“, grinste IDUSAs Avatar zurück und sah ihn verschmitzt an. „Oh.“, sagte Shimar. „Ich habe an sich kein wirkliches Problem mit Reis und Nudeln. Reis soll sogar sehr gesund sein, habe ich gehört. Vor allem dann, wenn man entschlacken möchte.“ „Haben Sie vor, demnächst eine Diätberatung zu eröffnen?“, fragte IDUSA. „Oh nein.“, sagte Shimar. „Ich glaube, das liegt mir nicht. Ich bleibe lieber beim Fliegen. Und jetzt mach mir schon meine Verbindung. Dann kannst du auch gleich Dirans Schiff in den Traktorstrahl nehmen, damit es uns nicht wegfliegen kann.“ „In Ordnung.“, sagte IDUSA und begann mit der Ausführung von Shimars Befehlen.

Es war Zirell, die auf der Station von Shimars Anfrage durch deren Rechner in Kenntnis gesetzt wurde. „Commander, ich habe Shimar für Sie.“, sagte der Rechner, dem nicht entgangen war, wie sehr sich Zirell mit der Gesamtsituation beschäftigt hatte. Die vorangegangenen Ereignisse hatten die ältere Tindaranerin nicht ruhen lassen. In der letzten Nacht hatte sie ihretwegen kaum ein Auge zugetan. „Gib ihn her, IDUSA!“, befahl Zirell.

Vor Zirells geistigem Auge wich das Bild des Avatars langsam dem ihres Untergebenen. „Was hast du herausgefunden, Shimar?“, fragte die Kommandantin. „Bis jetzt noch nicht viel.“, entgegnete der Patrouillenflieger. „IDUSA und ich denken nur, dass Diran etwas passiert sein muss.“ „Das klingt logisch.“, sagte Zirell. „Ansonsten hätte er ja wohl kaum einen Notruf abgesetzt.“ „Sehe ich genauso.“, sagte der als recht intelligent geltende Tindaraner. Deshalb möchte ich ja auch um eine überwachte Außenmission bitten. Alles deutet darauf hin, dass Diran uns noch eine Nachricht hinterlassen hat. Außerdem scheint er nicht bei bester Gesundheit zu sein. Jemand sollte Erste Hilfe leisten.“ „OK.“, sagte Zirell. Aber für eine überwachte Außenmission unter diesen Umständen benötigst du Maron. Ich weiß nur im Moment nicht so genau, wo er ist. Aber das haben wir gleich.“

Sie wandte sich dem Stationsrechner zu: IDUSA, wo ist Agent Maron?“ „Agent Maron befindet sich auf der Krankenstation.“, sagte der Rechner. „Hoppla!“, sagte Zirell. „Was hat er denn nun schon wieder angestellt? Na ja. Hoffentlich ist es nicht all zu schlimm. Versuch ihn über sein Handsprechgerät zu erreichen, IDUSA!“ Der Avatar des Stationsrechners vor Zirells geistigem Auge nickte und dann führte der Computer den Befehl der Kommandantin aus.

Zirell wendete sich wieder Shimar zu: „Du musst noch etwas warten, wie es aussieht. Maron scheint sich schon wieder bei irgendwas eine blutige Nase geholt zu haben.“ „Du meine Güte!“, rief Shimar aus. „Aber das sieht ihm ja ähnlich, wenn du mich fragst. Auch auf die Gefahr hin, dass ich jetzt ein Disziplinarverfahren riskiere, weil ich mich abfällig über den Ersten Offizier der Basis äußere, auf der ich stationiert bin, aber er ist doch manchmal ein ganz schöner Tollpatsch!“ „Da riskierst du gar nichts!“, versicherte Zirell. „Ich bin die Kommandantin und ich hätte zu entscheiden, ob ich dich bestrafe oder nicht. Aber ich habe noch nie gehört, dass jemand bestraft wird, nur weil er oder sie die Wahrheit sagt. Es ist ja richtig und bezieht sich sowohl auf Marons Geist, als auch auf seinen Körper. Aber ich weiß auch, woher das kommt. Er setzt sich meiner Ansicht nach viel zu sehr unter Druck und das nur, weil er den Namen eines sehr berühmten Demetaners trägt.“ „Ich erinnere mich an meinen Geschichtsunterricht an der High-School.“, sagte Shimar, um ihren Vortrag abzukürzen. „Ich weiß auch, wer Präsident Maron war.“ „Dann kannst du dir ja wohl denken.“, sagte Zirell. „Dass diese Fußstapfen ein wenig zu groß für unseren armen Maron sind. Sein Vater allerdings soll ihm, soweit er mir einmal erzählt hat, immer zum Vorwurf gemacht haben, dass sein Sohn dort nicht hineinpasst.“ „Moment mal!“, sagte Shimar, dem gerade etwas aufgefallen war. „Sagtest du gerade, Marons Vater hätte immer von seinem Sohn und nie von Maron als Individuum gesprochen? Also in besitzanzeigender Form? Das bedeutet, dass er seine eigene Geltung in den Vordergrund stellt und Maron nur das erfüllen sollte, was ihm wohl selbst nicht vergönnt war. Das erklärt einiges. Ich glaube, ich sollte meine vielen Lästereien gegenüber Maron noch einmal überdenken.“ „Wow!“, staunte Zirell. „An dir scheint ja ein richtiger Sprachforscher und Psychologe verlorengegangen zu sein. Was für Talente hast du denn noch? Da muss ich ja aufpassen, dass die anderen Kommandanten nicht irgendwann versuchen, dich von hier abzuwerben! Ich glaube, die könnten langsam ganz schön neidisch auf mich werden, dass ich so einen Überflieger in meinen Reihen habe in jeder Beziehung.“ „Na, da hat der Überflieger aber auch noch ein Wörtchen mitzureden.“, tröstete Shimar. „Und der fühlt sich bei dir ganz wohl und möchte gar nicht weg.“ „Den Göttern sei Dank.“, sagte Zirell erleichtert und atmete auf. Dann sagte sie: „Sobald IDUSA Maron erreicht, wirst du von ihm weitere Instruktionen erhalten.“ „OK.“, sagte Shimar. „IDUSA hat Dirans Schiff im Traktorstrahl. Das wird uns schon nicht wegfliegen.“ „Ist gut.“, sagte Zirell und gab IDUSA den Gedankenbefehl, die Verbindung zu Shimar in die Warteschleife zu legen. Sobald sie Maron erreicht hatte, würde der Rechner ihn mit Shimar verbinden.

Jenna und Maron hatten die Krankenstation betreten. Der Demetaner, der die etwas wackelige Terranerin stützte, ließ seinen Blick sofort zwischen den Konsolen hindurchschweifen. Aber außer den Biobetten und den klinisch weißen Geräten sah er zunächst nichts. Dann aber wurde er von einer kleinen glockenhellen Stimme angesprochen: „Hi, Maron. Kann ich dir helfen?“

Erschrocken war Maron herumgefahren. Dabei war ihm Jenna fast aus den Armen geglitten. Er konnte die Urheberin der Stimme nicht sofort ausmachen. Dann aber drehte er sich um und erkannte jene kleine schwarzhaarige Tindaranerin, die als medizinische Assistentin unter Ishan arbeitete. „Oh hallo, Nidell.“, sagte er. „Ich habe dich zuerst gar nicht erkannt.“ „Das habe ich wohl bemerkt.“, grinste die junge Telepathin. „Du hast dich verhalten, als hättest du einen Geist gesehen. Aber was ist denn passiert?“ „Es geht um Jenna.“, sagte Maron. „Bitte hilf mir mal.“

Gemeinsam brachte man Jenna auf ein Biobett. Dann holte Nidell sofort ihren Erfasser aus der kleinen leichten oben sehr breiten aber nach unten immer spitzer zulaufenden köcherartigen Tasche, die sie immer um ihre Schultern trug, wenn sie im Dienst war. Darin war in kleinen praktischen Fächern ihre gesamte mobile Ausrüstung verstaut. „Warte kurz.“, sagte Maron und hielt ihre Hand vorsichtig, aber bestimmt fest. „Wo ist Ishan?“ „Ishan ist im Labor.“, sagte Nidell. „Warum ist das wichtig? Vertraust du mir etwa nicht?“ „Doch.“, beschwichtigte sie der Agent, der sich ob ihrer Frage jetzt doch etwas schämte. Er wusste genau, dass sie ihn ertappt hatte. „Ich habe nichts gegen dich.“, sagte der Demetaner und senkte den Kopf. „Es ist nur so. Jenna ist das genialste Wesen auf dieser Station und ich habe wahrscheinlich etwas getan, das sie in den Wahnsinn treiben könnte. Wenn ihr etwas geschehen ist bei meiner Aktion, dann könnte ich mir das nie verzeihen, weißt du? Deshalb möchte ich, dass Ishan sie sich ansieht. Du bist ja schließlich nur medizinische Assistentin.“ „Ich verstehe.“, sagte Nidell. „Bitte wartet hier kurz.“

Sie wandte sich zum Gehen. Jenna aber rief ihr noch hinterher: „Es ist alles nicht so schlimm, wie er es darstellt, Nidell! Ich denke nicht, dass mir etwas passiert ist!“ „Das muss unser Arzt beurteilen, McKnight!“, sagte Maron etwas energischer.

Im gleichen Moment kam Nidell mit Ishan zurück. „Was ist hier passiert?“, fragte der Androide mit dem aldanischen Bewusstsein wie immer sehr sachlich und nüchtern. „Jenna und ich haben etwas mit Grandemoughts Erinnerungen experimentiert.“, sagte Maron und schaute schuldbewusst. „Ich fürchte, das Experiment ist etwas außer Kontrolle geraten. Ich hoffe nicht, dass unsere geniale Ingenieurin jetzt meinetwegen dem Wahnsinn verfällt.“ „Ach, Ishan.“, sagte Jenna beruhigend. „Ich denke, er macht mal wieder aus einer Mücke einen Elefanten. So schlimm wird es schon nicht sein.“ „So schlimm wird es schon nicht sein, McKnight?!“, empörte sich Maron. „Wie können Sie das sagen?! Immerhin sind Sie ohnmächtig geworden!“ „Aber das kann genauso gut ein Schutz sein, Sir.“, sagte Jenna mit einem beruhigenden Lächeln auf den Lippen. „Ein Schutz, den Grandemought eingerichtet hat, wenn es für mich zu viel wird. Ein Schutz, der mich genau vor den Umständen schützen soll, vor denen Sie solche Angst haben. Ich vertraue Grandemought. Er wird sicher nichts getan haben, was mich gefährden könnte.“ „Aber er war bereits fast 5000 Jahre lang körperlos, als er Sie das erste Mal in Besitz nahm.“, argumentierte der Erste Offizier. „Was ist, wenn er gar nicht mehr weiß, was man da zu beachten hat?!“ „Oh das wusste er sehr genau, Sir.“, tröstete Jenna. „Ich bekomme immer mehr den Eindruck, Sie versuchen mit aller Gewalt eine Schuld bei sich festzustellen, die es überhaupt nicht gibt.“

Ishan stellte sich zwischen die Beiden. Es machte den Eindruck, als wollte er versuchen, die beiden Streitenden zu trennen. Dann sagte er: „Nun, ich werde abschließend beurteilen, ob und wie weit Jenna in Gefahr war und wie ihr Geisteszustand ist.“ Dann sah er sie von Kopf bis Fuß an. „Ich denke.“, sagte Maron. „Es dürfte effizienter sein, wenn du dir nur ihren Kopf ansiehst, Ishan.“ „Und ich denke, es dürfte effizienter sein, wenn jeder von uns die Arbeit tut, die er gelernt hat und wir uns nicht gegenseitig ins Handwerk pfuschen.“, sagte Ishan ruhig. Dass er da gerade einen psychologischen Trick angewendet hatte, war ihm durchaus bewusst und es war auch durchaus beabsichtigt gewesen. Er hatte Maron gerade auf charmante aber dennoch nachdrückliche Art der Krankenstation verwiesen. Dies bekräftigte er jetzt noch, indem er sagte: „Ich sage dir ja auch nicht, wie du einen Kriminalfall zu bearbeiten hast. Oder hast du das je schon einmal von mir erlebt?“ „Nein, Ishan.“, musste Maron zugeben. „Ich mache mir ja nur Sorgen um sie.“ Er deutete auf Jenna. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“, sagte Ishan. „Sie ist bei uns in den besten Händen.“

Er hatte seine Untersuchung Jennas abgeschlossen. „Ich muss Techniker McKnight Recht geben.“, sagte er. „Offenbar haben alle Schutzmechanismen sehr gut funktioniert. Ich rede von denen, die ihre Psyche bereits besitzt und auch von denen, die Grandemought ihr eingegeben hat. Beide scheinen sehr gut miteinander kompatibel zu sein. Das bedeutet, deine Angst war völlig unbegründet, Maron. Grandemought wusste genau, was er tat.“ „Dann will ich dir mal glauben, Ishan.“, sagte Maron und wandte sich endlich dem schon geraume Zeit in seiner Tasche piependen Sprechgerät zu. Den für andere bestimmt schon sehr nervigen Ton musste er eine ganze Weile ignoriert haben.

Der erste Offizier nahm das Gerät aus seiner Uniformtasche und betrachtete das Display. Er konnte einwandfrei das Rufzeichen des Stationsrechners erkennen. „Ah, IDUSA.“, sagte er. „Ich denke, dass niemand anderes die Geduld aufbringen würde, den Versuch des Rufens so lange aufrecht zu erhalten. Alle biologischen Wesen hätten das schon lange abgebrochen.“ Er hatte in einer weiteren Spalte im Display gut sehen können, wie lange IDUSA bereits versuchte, ihn zu erreichen. Warum er diese Funktion einmal aktiviert hatte, war ihm heute selbst nicht mehr wirklich klar.

Er drückte den Sendeknopf: „Was gibt es, IDUSA?“ „Ich habe eine Verbindung mit Shimar für Sie.“, sagte der Rechner. „Gib her!“, befahl Maron.

Im Display baute sich das Bild von Shimars Gesicht auf. „Hi, Shimar.“, begrüßte der demetanische Agent seinen Untergebenen. „Hi, Maron.“, gab Shimar zurück. „Ich habe hier ein vendarisches Schiff, das einen automatischen Notruf abgesetzt hat. IDUSA kann nur ein sehr schwaches Biozeichen von ihm ausmachen. Irgendwas muss da drüben passiert sein. Es ist Dirans Schiff und er liegt sicher sehr schwer verletzt an Bord. Ich würde mir die Situation gern ansehen und Diran helfen, wenn ich kann. Da ich nicht ausschließen kann, dass hier ein Verbrechen verübt wurde, möchte ich dich um eine überwachte Außenmission bitten.“ „OK.“, sagte Maron. „Aber das sollten wir erledigen, wenn ich wieder in der Kommandozentrale bin. Dort hat IDUSA eine viel bessere Möglichkeit, uns anzuzeigen, was du tust und siehst. Ich werde dem Stationsrechner sagen, sie soll unsere Verbindung dorthin zurückleiten.“ „In Ordnung.“, sagte Shimar. „Ich bleibe dran.“

Ishan war an den Agenten herangetreten. „Ich habe alles hören können.“, sagte er. „Du hattest dein Sprechgerät auf Lautsprecher geschaltet. Ich denke, dass ich mich ebenfalls in die Verbindung integrieren sollte. Shimar erwähnte, dass Diran ernsthaft krank ist. Vielleicht muss ich ihm Anweisungen zur Anwendung von Notfallprozeduren geben.“ „OK.“, sagte Maron. „Ach übrigens, was ist mit Jenna?“ „Ich habe sie als gesund entlassen.“, sagte Ishan. „Sie hatte Recht. Es ist alles viel harmloser, als es auf den ersten Blick scheint. Du hast ihr nichts getan mit deinem Experiment, was immer ihr auch vorgehabt habt.“ „Ich danke dir.“, sagte Maron und atmete auf.

Er nahm erneut sein Sprechgerät zur Hand, schaltete es auf internes Rufen um und gab das Rufzeichen des Stationsrechners ein. Dann sagte er: „IDUSA, ich gebe dir die Verbindung mit Shimar zurück. Leite sie auf meinen Arbeitsplatz in der Kommandozentrale um! Ich bin gleich dort!“ Dann ging er per Druck auf die 88-Taste aus der Leitung.

Ishan wendete sich ihm ein letztes Mal zu: „Benötigst du meine Hilfe noch, Maron?“ „Im Augenblick nicht.“, sagte der Agent. „Ich werde dann gehen.“ „Und ich werde mich auf die Verbindung vorbereiten.“, sagte Ishan und setzte sich vor eine Konsole. Dann zog er sein Haftmodul aus der Brusttasche seiner Uniform und schloss sich damit an das Arbeitsgerät an. Maron hatte diesem Vorgang noch kurz zugesehen, bevor er die Krankenstation in Richtung des nächsten Turbolifts verließ.

Kapitel 19: Unbequeme Nachforschungen

von Visitor

 

Shimars Schiff und er selbst hatten auf Marons Antwort gewartet. Mit dem eigenen Antrieb als Kontergewicht hatte IDUSA dafür gesorgt, dass Dirans Schiff seine Position hielt. Mehr hatten die Beiden aber nicht getan. Auch Dirans Biowerte waren durch IDUSA beobachtet worden. Jetzt meldete sie an ihren Piloten: „Die Sauerstoffsättigung in Dirans Blut nimmt immer weiter ab, Shimar. Ich denke nicht, dass er noch in der Lage ist, selbstständig zu atmen.“ „Das scheint mir auch so.“, erwiderte der junge Tindaraner, der die Werte jetzt auch auf dem Bildschirm ablesen konnte, den IDUSA ihm vor seinem geistigen Auge über den Neurokoppler zeigte.

Shimar hatte eine Weile überlegt. Dann sagte er: „Es wäre wohl wirklich besser, wenn wir Ishan mit in die Verbindung integrieren würden. Maron hat das ja auch schon vorgeschlagen.“ „Ich erinnere mich.“, antwortete IDUSA. „Sie dürfen nicht vergessen, dass all’ unsere Gespräche über meine Systeme laufen und ich deshalb sehr gut über deren Inhalt informiert bin.“ „Das habe ich nicht vergessen, IDUSA.“, sagte Shimar. „Ich denke, sobald Maron an seinem Platz ist, wird er die Überwachte Verbindung haben wollen.“

Er fasste in seine Brusttasche und holte sein Handsprechgerät daraus hervor. Dann überprüfte er dessen Funktion. „Leg die Verbindung am besten gleich auf mein Handsprechgerät um!“, befahl er in IDUSAs Richtung. „Sicher, Shimar.“, sagte das Schiff und ihr Avatar lächelte Shimar gewinnend zu. „Wie sollten Sie denn wohl sonst für Agent Maron und Ishan erreichbar bleiben, wenn Sie dort drüben sind? Aber Sie sollten noch etwas anderes mitnehmen, wenn ich so an Dirans Gesundheitszustand denke.“ Sie war verstummt.

Shimar schaute sich im Cockpit um, denn er konnte ihr Verhalten im ersten Moment kaum einordnen. Sie, die sonst immer so präzise war mit Informationen, hielt offensichtlich mit etwas hinter dem Berg. Aber offensichtlich fand sie wohl, dass er schlau genug wäre, selbst herauszufinden, was sie meinte.

Der Blick des jungen Piloten streifte tatsächlich irgendwann das Auswurffach des Replikators, das IDUSA ihm aber auch durch ein nervöses Blinklicht deutlich sichtbar gemacht hatte. Hier fand er eine mobile Lebenserhaltung, die er genau untersuchte. Zuerst fiel ihm auf, dass die Maske wohl auf die Größe eines vendarischen Gesichtes zugeschnitten sein musste. Auch diverse Voreinstellungen am Steuergerät zeigten ihm, dass die Lebenserhaltung wohl für Diran bestimmt sein musste. Nicht zuletzt wurde ihm dies auch durch die Beschaffenheit und Größe der Elektroden für die Herzüberwachung und –Stimulation bestätigt. Außerdem gab es dort noch eine Tasche, in die Shimar den silbrig glänzenden Kasten und die vielen Leitungen packte. Erst kürzlich hatte er bei Ishan einen Erste-Hilfe-Kurs belegt und hier sehr gut abgeschnitten. Eine der Aufgaben, die er mit Präzision, wie der androide Arzt festgestellt hatte, gelöst hatte, war es gewesen, so ein Gerät in kürzester Zeit zusammenzustecken und es dem Patienten korrekt anzulegen. Hierin hatte Shimar alle anderen unterboten. Zumindest alle, die ansonsten mit Medizin nicht viel am Hut hatten. Nidell, die dies ja schon von Berufswegen können musste, war nicht beteiligt gewesen und hatte von ihrem Vorgesetzten sogar den Auftrag bekommen, zu helfen, wo eventuell Hilfe notwendig war, damit sich auf keinen Fall irgendwelche Fehler einschlichen. Dies wollte der gewissenhafte Mediziner nämlich auf jeden Fall verhindern!

Shimar schulterte die Tasche auf der rechten Seite und nahm eine weitere auf die linke Schulter. In dieser war seine eigene mobile Ausrüstung inklusive seines auf vendarische Biozeichen eingestellten Erfassers verborgen. „Ich werde dann gehen, sobald wir das OK haben, IDUSA.“, sagte er zu seinem Schiff. „In Ordnung, Shimar.“, sagte der Avatar. „Ich werde schon einmal eine Transportererfassung vornehmen.“ „Tu das!“, sagte Shimar.

Maron war in der Kommandozentrale eingetroffen. Hier traf er auf Zirell, die ihn wohl schon erwartet hatte. Jedenfalls vermittelte ihr Gesicht gerade diesen Eindruck.

Der erste Offizier setzte sich an seinen Platz und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Dabei hatte er die breit grinsende Zirell die gesamte Zeit über neben sich sitzen. Er wusste nicht, wie lange er dies noch aufrechterhalten konnte, zumal er genau wusste, dass sie Telepathin war. Ein versehentlicher Gedanke zur falschen Zeit konnte da schon ganz schön was anrichten.

Zirell drehte sich mit freundlichem Gesicht dem leicht nervös wirkenden Maron zu. „Na?“, fragte sie und schaute unschuldig. „Was ist passiert? Warum musstest du auf die Krankenstation? Wo hast du dir schon wieder eine blutige Nase geholt?“ „Oh, ich war nicht allein auf der Krankenstation, Zirell.“, sagte Maron. „Ich war dort mit McKnight, beziehungsweise Jenna. Bitte verzeih mir. Du weißt ja, dass ich dazu neige, alle Terraner in meiner Umgebung zu siezen, auch wenn sie mit mir für das tindaranische Militär arbeiten wie ihr auch und ich mir das Du eigentlich längst auf die Fahnen geschrieben haben sollte. Bei euch klappt es ja auch. Ich verstehe selbst nicht, warum ich das tue. Wahrscheinlich nur, weil McKnight und O’Riley Terranerinnen sind und man bei der Sternenflotte eben alle Terraner siezt.“ „Oh, ihr siezt doch jeden.“, stellte Zirell fest. „Das stimmt.“, sagte Maron. „Also kannst du mir ja zugute halten, dass es wohl die Macht der Gewohnheit ist, die mich dazu gebracht hat.“

Der Demetaner war sehr froh über den Umstand, dass sie ihn auf ein unverfängliches Thema gelenkt hatte. So konnte er das für ihn wohl etwas peinliche Gespräch über die wahren Gründe für den Aufenthalt auf der Krankenstation noch eine Weile herauszögern. Ihm war klar, lange würde ihm das nicht mehr gelingen, aber er hoffte auf eine günstige Gelegenheit und vor allem hoffte er darauf, dass er sich dann nicht missverständlich ausdrücken würde. Aber, das kennt ja wohl jeder, wenn man etwas besonders perfekt hinbekommen will, geht es meistens erst recht und ohne Umschweife direkt in die Hose! Genau das blühte jetzt dem armen Demetaner, der auf Zirells fragenden Blick und ihre Frage: „Warum warst du denn mit Jenna auf der Krankenstation?“, nur erwiderte: „Wir haben etwas Bestimmtes miteinander versucht und ich war dabei wohl etwas forsch und habe sie aus Versehen in Ohnmacht versetzt. Ich war wohl eine sehr unglückliche Mischung aus zu forsch und zu ungeschickt, weil ich wohl zu sehr wollte, dass unser Tun fruchtbar war.“ „Ach so.“, sagte Zirell und drehte sich fort, damit er ihr Gesicht nicht sehen konnte, Sie kämpfte nämlich gerade mit einem riesigen Lachanfall ob seiner doch wohl in ihren Augen etwas sehr missverständlichen und etwas zweideutigen Ausdrucksweise. Dann sagte sie: „OK, Maron. Du wolltest also, dass euer Tun fruchtbar war! Interessant! Tja, ich frage mich nur, was wohl Joran dazu sagt und was er mit dir machen würde, wenn er es herausbekäme. Ich bin sicher, er würde kein heiles Haar an dir lassen!“ Bei ihrem letzten Satz grinste sie zuerst leicht, prustete dann leicht und dann platzte es aus ihr heraus. Maron sah sie zuerst fragend und dann verschämt an. „Darf ich fragen, warum du so lachen musst, Zirell?“, fragte er schließlich. „Ja, das darfst du.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „Du hast von Fruchtbarkeit gesprochen. Das ist etwas, das eindeutig zweideutige Gedanken auslösen kann, findest du nicht?!“ Sie lachte erneut laut auf. „Habe ich wirklich von Fruchtbarkeit gesprochen?“, fragte Maron irritiert. „Ja, das hast du.“, sagte Zirell. Dann befahl sie in Richtung des Rechners: „IDUSA, beweise es ihm!“

Der Rechner spielte Maron den bewussten Satz noch einmal vor. „Mutter Schicksal, nein!“, rief der erste Offizier verschämt und peinlich berührt aus. „Ich meinte aber eigentlich doch nur, dass unsere Aktion Früchte tragen sollte und bestimmt nicht das, was du jetzt denkst! Auch er begann über den eigenen sprachlichen Fauxpas zu lachen. „Hey!“, sagte Zirell scherzend und grinste. „Ich bin die Telepathin in diesem Raum!“ Dann grinste sie noch einmal besonders freundlich speziell in seine Richtung.

IDUSA zeigte sich beiden über den Neurokoppler. „Es liegt mir fern, Ihre kleine Unterhaltung zu stören, aber ich habe seit 30 Minuten eine Verbindung in der Warteschleife, von der unter anderem auch das Überleben eines Patienten abhängen könnte, Agent Maron!“ „Oh ja.“, stellte Maron fest und erinnerte sich an Shimars Bitte. „Gib her!“ Der Avatar nickte und IDUSA führte den Befehl aus.

Erleichtert hatte Shimar zur Kenntnis genommen, dass sich Maron endlich bei ihm meldete. Aber er sah nicht nur das Bild des Demetaners, sondern auch das von Ishan. Das Bild des Androiden war allerdings nur im Hintergrund zu sehen.

„Da seid ihr zwei ja endlich.“, scherzte Shimar. „Was hat da eigentlich so lange gedauert? Habt ihr noch gemütlich eine Tasse Kaffee getrunken und euch dabei über den neuesten Stationsklatsch ausgetauscht?“ „Ich fürchte, dir könnte das Scherzen bald vergehen.“, sagte Maron. „Du könntest nämlich gar nicht so unrecht haben mit der Sache, die dein Schiff und du schon vermuten und wegen der du meine Überwachung angefordert hast. Nach allem, was wir wissen, könnte Diran tatsächlich einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein, oder gar eine Verzweiflungstat begangen haben. Wenn es stimmt, dass er unter dem Bann steht und sich Tolea tatsächlich falsch ausgedrückt hat, könnte es tatsächlich sein, dass er gegen seinen eigenen Willen und sein eigenes Gewissen zum Verräter an ihr geworden ist. Diese Tatsache könnte ihn sehr erschrecken. Joran und du, ihr seid beste Kumpel, soweit ich weiß. Er wird dir bestimmt einiges über seine Kultur beigebracht haben.“ „Das hat er.“, bestätigte Shimar. „Und ich weiß, dass du wahrscheinlich gar nicht so falsch liegst, Maron. Laut Joran hat ein Vendar, der zum Verräter an seinem Herrn wird, vor den anderen das Gesicht verloren und muss sich selbst richten. Hoffen wir mal, dass ich Diran noch lebend vorfinde.“ „Das hoffe ich auch.“, sagte der Demetaner.

Ishan schaltete sich ins Gespräch ein. „Laut den Daten, die ich von IDUSA bekomme, ist sein Zustand zwar kritisch, aber wenn du dich beeilst, könnte er noch zu retten sein.“ „Dann sollte ich machen, dass ich da rüberkomme.“, sagte Shimar und zeigte zum Fenster, hinter dem Dirans Schiff lag.

Er zog den Stecker des Neurokopplers aus der Buchse an der Konsole, vor der er vorher noch gesessen und an der er ihn gerade noch benutzt hatte und stand auf. Dann steckte er ihn in eine Buchse an seinem Sprechgerät, was dieses sofort veranlasste, seine Reaktionstabelle zu laden. Dann schloss er seinen Erfasser ebenfalls daran an. „OK.“, sagte er. „Ich wäre dann so weit.“

Etwas zwang ihn plötzlich, sich noch einmal umzudrehen. Aus dem Augenwinkel hatte er ein kleines Blinklicht wahrgenommen. Dann sprach IDUSA ihn über den Bordlautsprecher an: „Sie haben noch etwas vergessen, Shimar. Bitte schauen Sie noch einmal in das Auswurffach des Replikators.“ Shimar drehte sich dem Fach zu, um ihrer Bitte Folge zu leisten. Hier fand er eine durchsichtige Packung mit weißen medizinischen Handschuhen vor. Außerdem noch einen kleinen Behälter, wie er ihm zum Nehmen von Proben bekannt war. „Alles klar.“, sagte er und steckte die Dinge in die Taschen seiner Uniform. Dann fragte er in Richtung des nächsten Mikrofons: „Gibt es sonst noch etwas, das ich vergessen haben könnte, IDUSA?“ „Ich möchte Sie nur noch darauf hinweisen.“, sagte das Schiff. „Dass die Energieversorgung von Dirans Schiff auf Sparflamme läuft. Die Beleuchtung funktioniert nur mit halber Leistung. Sie sollten Ihren Augen genug Zeit geben, sich an diese Umstände zu gewöhnen.“ „Danke, IDUSA.“, sagte Shimar. „Wenn ich dich nicht hätte. Aber nun beam mich am besten schnell rüber, bevor es für Diran wirklich zu spät ist.“ „Wie Sie wünschen.“, erwiderte das Schiff und führte aus, was ihr Shimar soeben befohlen hatte.

Der junge Tindaraner fand sich wenige Sekunden später an Bord von Dirans Schiff wieder. IDUSA hatte ihn absichtlich gleich in den hinteren Teil des Schiffes gebeamt. Dort hatte sie nämlich auch das immer schwächer werdende Lebenszeichen Dirans ausgemacht.

Tatsächlich hatte Shimar bemerkt, dass er die Warnung seines Schiffes ernst nehmen musste. Es war recht dunkel hier und seine Augen hatten zunächst starke Schwierigkeiten mit dem wenigen Licht. Diran musste die Systeme des Schiffes auf halbe Leistung geschaltet haben, oder der Mishar hatte das selbstständig getan. Es war ja immer noch nicht ganz klar, wie lange Diran schon unterwegs war.

Shimar schloss seine Augen und atmete einige Male ruhig und tief durch. Dann öffnete er sie ganz langsam wieder. Das war ein Trick, den man jedem Kadetten auf der tindaranischen Militärakademie beibrachte, um die Pupillen dazu zu bringen, sich schneller den veränderten Bedingungen anzupassen.

„OK.“, sagte Shimar zufrieden, nachdem er gemerkt hatte, dass es offensichtlich funktioniert hatte. Er konnte tatsächlich besser sehen, was in seiner Umgebung geschah, also holte er die Packung mit den Handschuhen hervor und zog sie an. Wenn er jetzt etwas berührte, das ahnte er, durfte es nicht durch seine DNS verunreinigt werden. „Dann werde ich mal … Heilige Scheiße!!!“

Er war fast über Dirans Körper gestolpert, der jetzt reglos vor ihm lag. Er musste vom Sitz gerollt sein, als IDUSA das Veshel in den Traktorstrahl genommen hatte.

Seinen Fluch hatte man auf Zirells Basis durchaus mitbekommen. Zirell, die Shimar so etwas wohl nicht zugetraut hätte, gab nur ein erschrockenes: „Na, na!“, von sich. „Du hättest nicht gedacht, dass dein Lieblingsflieger so fluchen kann, was?!“, fragte Maron grinsend. Zirell nickte ihrem Ersten Offizier nur bestätigend zu. „Das hätte ich wirklich nicht gedacht. Ich dachte, da Shimar immer so vernünftig ist, könnte er das gar nicht.“ „Du darfst nicht vergessen.“, sagte Maron. „Dass er sich wahrscheinlich gerade sehr erschrocken hat. Ich werde ihn gleich einmal fragen, worum es da eigentlich ging.“

Er wandte sich wieder der Sprechverbindung zu: „Shimar, was ist passiert? Was siehst du da?“ „Es tut mir leid, Maron.“, sagte der immer noch sichtlich mitgenommene junge Flieger. „Ich habe bloß noch nie einen halb toten Vendar gesehen!“ „Ob er halbtot ist.“, sagte Ishan, der ja auch in die Verbindung integriert war und somit alles mitbekommen konnte. „Werde ich abschließend beurteilen, Shimar. Bitte scanne ihn mit deinem Erfasser, damit ich zuverlässige Daten erhalten kann.“ „Sicher, Ishan.“, sagte Shimar und beugte sich mit dem Erfasser in der rechten Hand über den Körper des Vendar. „Ich sehe.“, sagte Ishan. „Du hast deinen Erfasser bereits an dein Sprechgerät angeschlossen. Sehr vorbildlich.“ „Danke, Ishan.“, sagte Shimar. „Aber das hier ist ja auch nicht meine erste überwachte Außenmission. Außerdem habe ich einigermaßen aufgepasst, wenn es im Unterricht auf der Akademie um die Vorbereitung von so etwas ging.“ „Du hast nicht nur gut aufgepasst.“, sagte der Androide. „Du hast vorbildlich aufgepasst. Aber nun zu Diran. Er liegt im Koma. Ein Mensch hätte schon längst große Hirnschäden davongetragen, aber ein Vendar ist recht zäh. Wenn du jetzt aber nichts tust, dann könnte dieses Schicksal auch ihm blühen.“ „Ich verstehe schon.“, sagte Shimar und ließ die Tasche mit der mobilen Überlebenseinheit lässig von seiner Schulter gleiten. Dann öffnete er sie und legte Diran die Maske auf das Gesicht. Dabei fiel ihm sofort die merkwürdige Mischung aus Rosenduft und Bittermandel auf, die sein Mund verströmte. „Ich glaube, unser Freund hat sich vergiftet, Ishan.“, sagte Shimar. „Ich glaube jedenfalls nicht, dass der Geschmack bittere Rose eine neue vendarische Zahnpaste ist.“ „Sehr gut!“, lobte Ishan. „Das bestätigen nämlich auch deine Erfasserdaten. Er wird das Gift der Neshar-Rose zu sich genommen haben. Aber auch für Tindaraner ist das nicht ungefährlich. Deine Schleimhäute sollten damit nicht in Berührung kommen.“ „Also keine Mund-Zu-Mund-Beatmung.“, schloss Shimar. „Korrekt.“, sagte Ishan. „Lass das Gerät das erledigen.“ „Genau das hatte ich auch vor.“, sagte Shimar. „Ich bin schließlich nicht lebensmüde.“

Er setzte das Anschließen der Überlebenseinheit fort, indem er einige Haare auf Dirans Brust beiseiteschob, um die Platten mit den Elektroden, von denen er vorher die Schutzfolie abgezogen hatte, auf seiner Haut zu befestigen. Dabei hatte er genau das Steuergerät der Einheit im Auge, auf dessen Display er bald in Tindaranisch über den korrekten Sitz aller Teile informiert wurde. Dann fragte das Gerät, ob es jetzt aktiviert werden sollte, was Shimar mit einem Fingertipp auf das Symbol für ja beantwortete. Dann saugte es surrend die Maske an Dirans Gesicht fest und nahm auch alle anderen Tätigkeiten zur Unterstützung seiner Lebensfunktionen auf.

„OK.“, atmete Shimar auf. „Diran ist versorgt. Ich werde mir jetzt erst einmal den Rest des Schiffes ansehen.“ „Tu das.“, sagte Maron.

Shimar stand aus der immer noch leicht gebückten Haltung, die er eingenommen hatte, um das Display besser sehen zu können, wieder auf und drehte sich um, damit er seinen Weg ins Cockpit fortsetzen konnte. Allerdings musste er kurz innehalten, denn ein etwas unscheinbarer Schatten hatte ihn gezwungen, seinen Blick noch einmal Richtung Fußboden zu wenden. Da er sein Sprechgerät so an seiner Uniform befestigt hatte, dass die Kamera immer genau das zeigen würde, was er auch sah, bemerkten auch Zirell, Maron und Ishan diesen Umstand.

„Was hast du da?“, wollte der Demetaner wissen. „Ich weiß es noch nicht.“, sagte Shimar und beugte sich zu dem Schatten hinunter. Jetzt erkannte er die Überreste des kleinen weißen Glasröhrchens, aus dem Diran das Gift getrunken haben musste, wie er vermutete. Es lag genau neben dem Sitz, als sei es dort heruntergerollt.

Shimar sah es sich so genau an wie er konnte. Da er auch den Neurokoppler aufgesetzt hatte, war es ihm auch so möglich, seine direkten visuellen Eindrücke an seine Zuschauer auf der Basis zu übertragen.

„Es sieht aus, als wäre ihm das Röhrchen aus der Hand geglitten.“, stellte Maron fest, nachdem er sich alle Bilder angesehen hatte. „Mach bitte einen Scann mit deinem Erfasser. Ich möchte wissen, wie die Trümmer des Röhrchens genau liegen. Daraus lässt sich sicher schließen, wie der Winkel war, als Diran es gehalten hat und ob es ihm wirklich aus der Hand geglitten ist, als er ins Koma fiel.“ „Denkst du an Fremdverschulden, Maron?“, fragte der junge Pilot den im Vergleich zu ihm schon langgedienten Kriminalisten. „Im Moment möchte ich noch nichts ausschließen, Shimar.“, antwortete dieser. „Wir haben hier ja nur einen vergifteten Diran. Zumindest bis jetzt. Wir wissen aber noch nicht genau, wie es dazu gekommen ist. Diran ist einer von Sytanias erklärten Feinden, weil er Tolea dient, die es durchaus mit der Königstochter aufnehmen könnte. Speziell gerade auch dann, wenn sie auch noch von ihrem Bruder Kairon unterstützt würde. Das weiß Sytania und sie würde sicher jede Gelegenheit nutzen, um Tolea eins auszuwischen. Dafür würde sie sicher auch einen Vendar wie Diran über die Klinge springen lassen. Du darfst nicht vergessen, welchen Stellenwert die Vendar in ihrer Denkweise lediglich haben.“ „Oh, Maron.“, stöhnte Shimar. „Ich glaube, da gibt es eine Menge, die ich nicht vergessen darf und die ich auch nicht vergesse. Es tut mir leid, dass ich dir das so vor den Kopf knallen muss, aber du behandelst mich gerade wie einen Anfänger, der absolut nichts weiß von der Welt! Ich weiß! Eigentlich habe ich bestimmt nicht das Recht, so mit dir zu reden, denn ich bin nur ein einfacher Patrouillenflieger und du bist Zirells Erster Offizier, also mein Vorgesetzter! Aber, bei allem Respekt, ich bin nicht von gestern! Im Umgang mit Sytania kann man mir nichts vormachen! Da kannst du dir sicher sein! Ich werde bestimmt kein Detail außer Acht lassen. Ich will nämlich genauso wenig wie du, dass Prinzessin boshaft mit ihrer Masche durchkommt! Darauf kannst du gepflegt einen lassen, wenn du kannst! Ich mag zwar jünger sein als du, aber ich bin kein Naivchen am Leben vorbei, klar?!“

Blass war der arme Maron in seinem Stuhl zusammengesunken. Shimars Standpauke hatte ihn doch sehr getroffen. Auch hatte er zugeben müssen, ihn tatsächlich wie einen Anfänger behandelt zu haben. Aber das war ihm nicht nur bei Shimar passiert. Die Floskel: „Du darfst nicht vergessen, dass …“, hatte er in letzter Zeit schon öfter angewandt und zwar auch gegenüber Personen, die das, was sie nicht vergessen durften, eigentlich auf keinen Fall vergessen würden.

„Da hat er dich aber ganz schön auf einen kleinen Fehler aufmerksam gemacht.“ Die weibliche Stimme, die ihm dies zugeflüstert hatte, war von Maron zunächst nicht wirklich erkannt worden, obwohl ihre Eigentümerin die gesamte Zeit über mit ihm zusammengearbeitet hatte. Er drehte sich langsam in die Richtung, aus der er die Stimme wahrgenommen hatte. Dann erkannte er Zirell. Überrascht sah er sie an. „Na jetzt glaube ich es aber.“, sagte die ältere Tindaranerin. „Du sitzt die gesamte Zeit über neben mir und kaum spreche ich dich an, da tust du, als wäre ich die gesamte Zeit über unsichtbar gewesen. Das könnte ich zwar auch werden, aber ich hatte das bis gerade eben nicht getan, also frage ich mich, was gerade mit dir los ist, Maron.“ „Es war nur Shimars Vortrag, Zirell.“, sagte Maron. „Der hat mich etwas überrascht. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er solche Geschütze auffahren würde. Ich dachte immer, er sei eher der Typ braver Soldat, der seinen Vorgesetzten gegenüber nicht so auftritt.“ „Das hängt wohl ganz davon ab, wie man einen braven Soldaten definiert.“, sagte Zirell. Ich weiß ja nicht, wie die Sternenflotte das intern handhabt, aber für mich und auch für den Rest der Kommandanten beim tindaranischen Militär gehört es auch dazu, aufrecht und ehrlich zu sein und auch mal den Mut zu haben, aufzustehen und seine Meinung zu sagen, wenn ein Vorgesetzter mal einen Fehler macht. So ein Fehler kann nämlich unter Umständen die gesamte Mission gefährden und dann gelingt sie am Ende vielleicht nicht. Warum soll nicht jemand einen Fehler verhindern, wenn er ihn sieht und wenn derjenige auch nur ein kleiner Patrouillenflieger ist.“ „Verstehe.“, sagte Maron. „Ihr seid also eher an der Sache, als an der Kommandokette orientiert, wenn es um so etwas geht. Mir ist gerade nicht geläufig, wie die Statuten der Sternenflotte diesbezüglich eigentlich gerade sind, aber ich weiß sehr wohl, dass es in der Vergangenheit disziplinarische Maßnahmen hagelte, wenn ein Fähnrich einen Captain kritisierte.“ „Ach, sieh an.“, sagte Zirell mit sehr spöttischem Unterton. „Auch wenn der Captain offenkundig einen Fehler gemacht hatte?!“ Sie betonte den Fehler noch besonders stark. Maron nickte. „Faszinierend!“, spottete Zirell. „Da wundert es mich doch wirklich, dass ihr so weit gekommen seid und mich wundert, dass es die Vulkanier, die das doch eigentlich kritisieren müssten bis zum geht nicht mehr, es dann doch so lange mit dem Rest ausgehalten haben. Aber die haben ja auf der anderen Seite auch eine Engelsgeduld.“ „Du scheinst ja auch der Meinung zu sein, dass Shimar Recht hat.“, schloss Maron aus ihren Äußerungen. „Natürlich bin ich dieser Meinung.“, sagte Zirell. „Weil es richtig ist. Du legst im Augenblick nämlich ein ziemlich gluckenhaftes Verhalten an den Tag, Maron. Du verhältst dich, als wärst du der große Geheimdienstler und wir wären alle arme kleine Kadetten, die von nichts eine Ahnung hätten. Pass mal bloß auf, dass du dieses Verhalten gegenüber Joran niemals zeigst. Der könnte dir nämlich noch viel mehr über Sytania erzählen, als du selbst weißt. Schließlich hat er ihr 90 Jahre lang gedient.“

Rumms! Das hatte gesessen! Gerade jetzt war Maron klar geworden, dass sie Recht gehabt hatte. Er hatte ja tatsächlich sehr oft vorausgesetzt, dass sie wohl nicht so genau gewusst hatten, dass dies oder jenes passiert, wenn sie den einen oder anderen Fakt über Sytania vergessen würden. Aber er wusste auch ganz genau, dass auch die anderen ihren Feind kannten und dass er nicht der Einzige mit derartigen Kenntnissen war.

„Es tut mir leid, Zirell.“, sagte Maron, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte. „Ich denke, das hat wohl etwas mit meinem Minderwertigkeitskomplex zu tun. Ich wollte wohl unbedingt mal zeigen, was ich alles weiß und habe dabei total außer Acht gelassen, dass ich damit ja nicht der Einzige bin.“ „Ist schon gut, Maron.“, sagte die Tindaranerin und lächelte ihn mild und verständig an. „Ich kann dich ja irgendwo verstehen. Du hast ja nicht gerade den Ruf, einer der Besten zu sein und dann wolltest du eben auch mal zeigen, was du kannst. Nur hättest du es dann nicht gleich so übertreiben müssen.“ „Das war nicht meine Absicht, Zirell.“, sagte Maron. „Das weiß ich.“, sagte die Kommandantin freundlich. „Sagen wir, du hast dich einfach hinreißen lassen und belassen wir es dabei. Wir haben sowieso keine Zeit, endlos lange darüber zu diskutieren, wie mir scheint.“ Sie musste etwas auf dem virtuellen Display vor ihrem geistigen Auge gesehen haben.

Marons Aufmerksamkeit ging jetzt ebenfalls wieder von ihr zu dem, was IDUSA ihnen gerade zeigte. Sie sahen, dass Shimar immer noch vor den Resten des Röhrchens stand. Er hatte seinen Erfasser in der rechten Hand und war dabei, die Lage der Trümmer zu fotografieren. Außerdem hatte er dem Gerät befohlen, eine genaue chemische Analyse der Scherben vorzunehmen. Diese hatte sein Schiff dann sofort an Ishans Adresse geschickt. „Das war sehr gut, Shimar.“, sagte der Arzt nüchtern. „Auf diese Weise kann ich Hochrechnungen anstellen und die Menge des Giftes ermitteln, die unser Freund Diran zu sich genommen hat. Es ist übrigens korrekt. Es war wirklich das Gift der Neshar-Rose. Das sind Fakten, mit denen ich arbeiten kann.“ „Gern geschehen, Ishan.“, lächelte Shimar. „Dann wendete er sich Maron zu: „Gibt es noch etwas, was du wissen willst, Maron, oder kann ich weitergehen?“ „Es wäre sehr gut.“, sagte der Agent. „Wenn du die Trümmer einsammeln und uns bringen könntest.“ „Alles klar.“, sagte Shimar und holte den Behälter aus der Tasche, den IDUSA ihm repliziert hatte. Dann stellte er ihn vor sich auf den Boden, um dann sein Sprechgerät zu nehmen und IDUSA zu befehlen: „Beam die Scherben in den Behälter, IDUSA!“ Folgsam tat das Schiff, was er von ihr verlangt hatte.

Shimar nahm den Behälter auf und steckte ihn wieder ein. Dann machte er sich auf den Weg ins Cockpit. Kaum war er aber dort angekommen, da bemerkte er, dass sich auf dem Display an der Steuerkonsole etwas tat. „Maron, hier verändert sich gerade etwas.“, sagte er und stellte sich so hin, dass die Kamera seines Sprechgerätes die Bilder gut einfangen konnte. „Meine Kenntnisse der vendarischen Schrift reichen wohl nicht ganz aus.“, gab er zu. „Hier stoße ich wohl an meine Grenzen. Aber ich sehe, dass ein Symbol blinkt und sich der Cursor darauf gestellt hat. Moment, es sieht aus, als würde gleich eine Nachricht geöffnet.“ „Wir haben keine Datenverbindung mit Dirans Schiff.“, sagte Maron. „Geh bitte so nah ran, dass dein Sprechgerät alles aufnehmen kann.“ „Das hätte ich sowieso gemacht.“, entgegnete Shimar und ging schnellen Schrittes zu der immer noch nervös leuchtenden Steuerkonsole. Dann beugte er sich über sie, so dass Mikrofon und Kamera seines Sprechgerätes in einem günstigen Winkel zu ihr lagen. Im gleichen Moment begann der Mishar mit dem Abspielen der Nachricht: „Meine Freunde! Wenn einer von euch diese Nachricht findet, weile ich vielleicht nicht mehr unter den Lebenden, oder ich liege im Koma. Ich habe mich selbst gerichtet, denn es darf nicht sein, dass ich Sytania weitere Informationen gebe. Offenbar hat mich meine Herrin versehentlich unter die falsche Art von Bann gestellt. Ich bin mir dessen natürlich nicht bewusst und kann es nur anhand der Geschehnisse vermuten, denn ich habe aus Versehen einem von Sytanias Vendar eine wichtige Information übergeben. Was genau geschehen ist, werdet ihr in den Aufzeichnungen meines Rechners finden. Es dauert zu lange, euch das zu erklären. Ich habe das Gift der Neshar-Rose zu mir genommen, das bereits seine Wirkung entfaltet. Ich habe nicht mehr viel Zeit!“

Fassungslos hatten Zirell, Maron und Ishan die Nachricht zur Kenntnis genommen. „Das ist ja unfassbar!“, urteilte die tindaranische Kommandantin. „Der arme Diran! Wir müssen dringend mehr über die Ausgangssituation erfahren und Tolea muss den Bann über ihn dringend wieder aufheben! Ich werde alles dafür Notwendige tun! Shimar soll sie finden und dann hierher zerren, wenn es sein muss.“ „Wir sollten Shimar aber auch zuerst von der Verantwortung für Diran befreien.“, mischte sich Ishan ins Gespräch. „Der würde nämlich den Flug dorthin nicht überstehen, wie seine medizinischen Daten zeigen.“ „Also gut.“, sagte Zirell.

Sie nahm das Gespräch mit Shimar wieder auf: „Shimar, hör zu! Ich schicke dir Joran, damit er Diran und sein Schiff von dir übernehmen und hierher bringen kann. Du wirst mit deiner IDUSA-Einheit ins Raum-Zeit-Kontinuum fliegen und nach Tolea suchen! Wenn du sie oder Kairon gefunden hast, erzählst du ihnen von dieser Sache und versuchst alles, um sie dazu zu bringen, den verdammten Bann über Diran wieder aufzuheben! Du hast freie Hand zu tun, was immer dafür notwendig sein wird! Wir werden Diran und sein Schiff hier weiter untersuchen und sehen, was wir noch lernen und tun können. Fakt ist aber offensichtlich, dass Sianach Recht hatte! Wie konnte Tolea nur so etwas tun?! Wie konnte sie nur so etwas tun?! Nein! Das hätte ich ihr wirklich nicht zugetraut! Also, Shimar, du wartest auf Joran! Ich werde ihn losschicken, sobald ich ihn erreicht habe. Er wird zwar nicht sehr erfreut darüber sein, dass ich seinen wohl verdienten Schlaf unterbrechen muss, aber das hier ist schließlich ein Notfall! Geh an Bord deines Schiffes zurück und warte dort!“ „Na, OK, Zirell.“, sagte Shimar. „Gibt es sonst noch Fragen?“

Zirell sah Maron an, der nur mit dem Kopf schüttelte. Dann sagte sie: „Du siehst, von unserer Seite ist alles OK, Shimar. Die überwachte Außenmission ist hiermit also beendet. Um den Rest kümmern wir uns, zumindest um alles, was Diran und sein Schiff angeht. Wie gesagt: Du wartest auf Joran und fliegst dann los, sobald du Diran und sein Schiff übergeben hast.“ „Verstanden.“, sagte Shimar und beendete die Verbindung, allerdings nur, um gleich darauf erneut das Rufzeichen seines Schiffes in sein Sprechgerät zu tippen und ihr den Befehl zu erteilen, ihn wieder an Bord zu beamen.

Maron hatte nervös am obersten Knopf seiner Uniformjacke gedreht. Dies hatte er so lange praktiziert, bis dieser abgefallen war und mit lautem Klirren auf dem Boden landete, weil er dem völlig erschrockenen Demetaner wie eine gebutterte Nudel durch die Finger geflutscht war. Auch Zirell hatte dies bemerkt. „Kannst du mir mal bitte sagen, was du eigentlich hast, Maron?“, fragte sie. „Es geht um deinen Befehl an Shimar.“, sagte der Agent. „Du kannst dir doch wohl ausrechnen, dass er kaum eine Chance hat, Tolea hierher zu beordern. Sie wird ihn achtkantig rauswerfen, wenn er versucht, sie auf ihren Fehler hinzuweisen.“ „Na, nun lass mal die Kirche im Dorf, Maron und bleib gefälligst auf dem Teppich.“, versuchte Zirell, ihren jetzt immer aufgebrachter werdenden Ersten Offizier zu beruhigen. „Ich glaube nämlich, dass du da etwas verwechselst. Tolea ist keine von den alten Q, die vor lauter Arroganz nicht mehr wissen, wann das Maß voll ist. Sie wird ihm zuhören und falls nicht, wird er schon seine Möglichkeiten finden, sie dazu zu bringen. Shimar ist intelligent. Er weiß schon, wie er meine Befehle zu interpretieren hat. Er weiß mit Sicherheit genau, wann es Zeit ist, sich Unterstützung zu besorgen und die wird er ja bestimmt in Form von Kairon finden, falls es nötig werden sollte.“ „Dein Wort in den Ohren der Götter, Zirell.“, sagte Maron und bückte sich, um sich auf die Suche nach seinem verlorenen Knopf zu begeben.

Kapitel 20: Befehle und die Kunst ihrer ungewöhnlichen Ausführung

von Visitor

 

Joran war nach einem langen erquickenden traumlosen Schlaf in seinem Bett in seinem und Jennas Quartier erwacht. Es war zwar schon drei Uhr am Nachmittag gewesen, aber das nahm ja nicht Wunder, wenn man bedachte, dass er gerade eine anstrengende Nachtwache in der Kommandozentrale hinter sich gebracht hatte. Er fühlte sich sehr wohl. So wohl, wie er sich meistens am Anfang eines Sifa-Zyklus fühlte. Dieses Gefühl war für ihn normal. Er hatte nur noch nicht so früh damit gerechnet.

Er stieg aus den warmen weichen in bunten Frühlingsfarben gehaltenen Kissen und tippte mit seinem rechten Zeigefinger auf ein Feld an seinem Nachttisch. Augenblicklich öffnete sich die Schublade und er nahm eine kleine lederne Hülle heraus, die rot war und von vendarischen Hieroglyphen verziert wurde. Den kleinen Knebel, welcher die Hülle verschloss, drehte er nur etwas herum, bis er durch das Knopfloch am Deckel passte. Dann zog er ihn heraus und öffnete den Deckel. Zum Vorschein kam ein kleiner Kristall, den sich Joran sofort mit einer Hand in den Nacken legte. Genau dorthin, wo sich seine Sifa befand. Dann sah er wie gebannt auf das Display seines Sprechgerätes, das auf dem Nachttisch stand. Drei Minuten lang verharrte der Vendar in dieser Stellung. Eine Zeit, die ihm besonders lang vorkam.

Endlich hatte der Zeitmesser seines Sprechgerätes die letzte Sekunde gezählt. Erleichtert nahm Joran den Kristall aus seinem Nacken und sah ihn sich an. Er hatte sein Aussehen von weiß auf pechschwarz verändert. Das war einer chemischen Reaktion zwischen seiner Sifa und dem Kristall geschuldet. „Na ja.“, stellte Joran fest. „Dann werde ich Ishan wohl etwas früher aufsuchen müssen, um mir das Medikament geben zu lassen, das meiner Sifa das Tragen eines Energiefeldes vorspielt, damit ich nicht zur Gefahr für meine telepathischen Kameraden werde. Aber jetzt werde ich erst einmal in aller Ruhe frühstücken und mich dann waschen.“

Er drehte sich der kleinen Konsole zu, die direkt gegenüber seines Bettes war. Dort hatte er in einer Art digitalem Bilderrahmen ein Bild von Jenna, das er jetzt zärtlich in die Hand nahm, um es mit sich zu dem braunen Tisch im Wohnzimmer seines Quartiers zu tragen. Dort stellte er es genauso zärtlich genau in der Mitte ab. Das war eine Tradition, die er eingeführt hatte, wenn sie ihm keine Gesellschaft leisten konnte.

Der Vendar drehte sich dem Replikator zu: „IDUSA, ich würde gern frühstücken.“ „Oh sicher, Joran.“, entgegnete die elektronische Stimme des Rechners freundlich. „Möchten Sie Tchalback wie immer?“ „In der Tat!“, lächelte Joran mit einem sehr sicheren Ausdruck im Gesicht. „Aber dieses Mal nehme ich Tchalback A la Sternenflotte, denke ich. Du weißt schon. Das ist das mit Schafskäse drin.“ „Das ist das Rezept, auf das Allrounder Scott Sie brachte, nicht wahr? Deshalb haben Sie es auch unter Tchalback A la Sternenflotte in meiner Datenbank abgespeichert.“ Joran bestätigte nur mit einem Kopfnicken und einem fast lasziv anmutenden Blick. „Sie müssen das ja sehr genießen.“, analysierte der Rechner. „Das tue ich auch.“, gab Joran zu. „Aber das ist auch meinem Zustand geschuldet. Wenn du mich scannst, dann wirst du feststellen, dass ich am Anfang eines neuen Sifa-Zyklus bin. Eine Woche früher als sonst. Das ist nicht schlimm. Es ist nur ungewöhnlich.“ „Soll ich Ishan bereits informieren?“, fragte IDUSA. „Das wird nicht nötig sein.“, sagte Joran. „Das tue ich schon selbst. Aber du könntest mir tatsächlich noch einen Gefallen tun. Repliziere mir bitte noch ein großes Glas terranischen Ananassaft. Meine Telshanach liebt ihn und ich möchte gern wissen, ob er wirklich so gut ist.“ „In Ordnung.“, sagte IDUSA und ließ ein Licht am Auswurffach des Replikators aufleuchten.

Joran drehte sich diesem zu und entnahm ein Tablett aus dem Fach, auf dem sich eine große weiße bauchige Schüssel mit Tchalback mit Schafskäse in extra großen Würfeln garniert mit einer Olive, ein großer Löffel, einige Servietten und ein einem mittelalterlichen Bierhumpen nachempfundener weißer bauchiger Krug aus Steingut mit dem gewünschten Ananassaft darin befanden. Dies alles trug er nun zu seinem Platz. Dabei sah er das Essen an, als wollte er es bereits mit den Augen verschlingen. „Geben Sie mir bitte Bescheid, wie Ihnen der Saft gefallen hat!“, bat IDUSA noch über den Lautsprecher. „Das werde ich tun, IDUSA.“, sagte Joran. „Das dachte ich mir.“, sagte der Rechner. „Immerhin sind Sie als ein Mann bekannt, der sein Wort hält.“ „Korrekt.“, sagte der Vendar gleichmütig.

Joran drehte Jennas Bild mit dem Gesicht in seine Richtung. Dann wendete er sich dem Glas auf seinem Tablett zu und hob es an die Lippen. Dabei sagte er: „Dies probiere ich für dich, Telshanach!“, und nahm einen für uns sicher riesig anmutenden Schluck. Dann ließ er den Humpen wieder sinken, leckte sich die Lippen, flüsterte etwas in seiner Muttersprache, die vom Klang her auch Elemente aus dem Arabischen oder dem Altägyptischen enthalten könnte, in seinen Bart, holte tief Luft und stieß laut auf. Dieses Verhalten zeigte er normalerweise nur dann, wenn er allein war. Allein wähnte er sich auch jetzt. An IDUSA, die ja immer da war, hatte er nicht mehr gedacht. „Mahlzeit, Joran.“, sagte der Rechner nüchtern. „Mir ist bekannt, dass in Ihrem Kulturkreis ein solches Verhalten verdeutlichen soll, dass es Ihnen sehr gut geschmeckt hat. Nur, denke ich, dürfte dies jetzt der gesamten Station bekannt sein bei der Lautstärke.“ Joran drehte sich dem Mikrofon verschämt zu: „Vergib mir, IDUSA.“ „Schwamm drüber.“, sagte IDUSA. „Ich werde es niemandem sagen, wenn Sie es nicht wünschen.“ „Ich wünsche es nicht.“, sagte Joran. „Also gut.“, sagte der Rechner. „Aber ich darf dann doch wohl annehmen, dass Ihnen der Saft schmeckt?“ „In der Tat.“, sagte Joran und seine Zunge glitt aus seinem Mund, um einige Runden um denselben zu drehen. „Es ist noch genug da.“, beruhigte ihn IDUSA. „Ihr Krug ist noch bis zur Hälfte gefüllt.“ „Na dann!“, sagte Joran und widmete sich seinem Frühstück.

Jenna und Shannon waren im Maschinenraum von Zirells Basis ohnehin gerade mit der Wartung von Jorans Schiff beschäftigt, als sie Zirells Ruf erreichte. „Kümmert euch bitte um Jorans Schiff.“, sagte die Kommandantin. Shimar benötigt seine Unterstützung.“ „Wir sind eh gerade dabei, Zirell.“, hatte Shannon an der Sprechanlage entgegnet, an der sie das Gespräch entgegengenommen hatte. „Die Systeme der Station brauchen uns im Moment nicht. Sie schnurren wie ein Haufen sich sehr wohl fühlender Kätzchen.“ „Dann ist ja gut.“, sagte Zirell. „Sobald ich Joran erreicht habe, schicke ich ihn zu euch.“ „Is’ geritzt.“, antwortete die blonde Irin flapsig und beendete die Sprechverbindung.

Jenna war an ihre Assistentin herangetreten. „Was ist los, Shannon?“, fragte sie. „Ach.“, machte die Angesprochene. „Wir sollen nur das tun, mit dem wir sowieso schon gerade beschäftigt sind. Zirell will, dass wir das Schiff von Ihrem Freund auf Herz und Nieren untersuchen. Sie hat gesagt, Shimar würde ihn brauchen. Er schafft da wohl was nicht ganz allein.“ „Also gut.“, sagte Jenna und holte ihre Werkzeugtasche, die sie kurz abgestellt hatte, von der Konsole. Dann begleitete sie Shannon an Bord von Jorans Schiff, einer nagelneuen IDUSA-Einheit, die dem Vendar erst vor kurzer Zeit vom tindaranischen Militär zur Verfügung gestellt worden war. Die Zusammenkunft hatte das aber nur erlaubt, weil es auf Zirells Basis eine Sondersituation gab. 281 Alpha war die einzige Station mit zwei gleichwertigen Patrouillenfliegern und Joran hatte außerdem noch einen Sonderstatus, da er der einzige war, der sich ausreichend mit Sytania auskannte, die ja die größte Feindin der Tindaraner war.

Die beiden Technikerinnen schlossen ihre Neurokoppler an zwei Ports in IDUSAs Cockpit an, was das Schiff sofort veranlasste, ihre Reaktionstabellen zu laden. Dann sahen sie in das Gesicht eines freundlich lächelnden Avatars. „Hallo, Jenna, hallo, Shannon.“, begrüßte sie diese. Was verschafft mir die Ehre, dass Sie mich zu zweit warten?“ „Offensichtlich.“, antwortete Jenna. „Muss es schnell gehen, IDUSA. Joran und du, ihr müsst Shimar und seinem Schiff helfen. Aber Shannon weiß da wohl mehr. Sie hat mit Zirell gesprochen.“

Der Avatar warf Shannon einen auffordernden Blick zu. „Genaues weiß ich leider auch nicht, IDUSA.“, gab die blonde Irin zu. „Zirell hat nur eine Andeutung gegenüber mir gemacht. Es ist wohl ziemlich dramatisch. Aber mehr weiß ich leider auch noch nicht.“

Jenna gab dem Schiff den Gedankenbefehl zum Einleiten einer Selbstdiagnose. Dann teilte sie die Arbeit ein: „Shannon, Sie gehen in die Wartungsschächte und schauen nach der Hardware, ich kümmere mich um IDUSAs Computer.“ „Also gut.“, sagte Shannon und ging wieder in Richtung Achterkabine, nachdem sie ihren Neurokoppler abgezogen hatte. Jenna und das tindaranische Schiff waren jetzt allein.

„Denken Sie, dass Shimar Diran gefunden haben könnte, Techniker McKnight?“, fragte das Schiff. „Ich denke schon.“, antwortete Jenna. „Aber irgendwas scheint da nicht zu stimmen. Zirell würde Joran mit Sicherheit nicht hinterher schicken, wenn da nicht etwas Schlimmes passiert wäre.“ „Glauben Sie an die Theorie von Sianach?“, wollte IDUSA wissen.

Jenna fuhr zusammen. „Woher weißt du das denn?!“, fragte sie mit etwas Entsetzen in der Stimme. Sie wusste genau, dass Zirell eigentlich strenge Order gegeben hatte, dass, solange noch nichts bewiesen war, die Sache mit dem Bann nicht an die große Glocke gehängt werden sollte. „Die IDUSA-Einheit der Station war so frei, mir über die Sache zu berichten.“, erklärte das Schiff. „Aber Sie und ich wissen, dass wir sehr gut im Bewahren von Geheimnissen sind.“ „Das stimmt.“, bestätigte Jenna. „Und von mir wird auch niemand etwas erfahren.“ Sie hob ihre rechte Hand, als wollte sie es dem Schiff gegenüber schwören.

Die Technikerin zog ein Pad aus ihrer Tasche und schloss es an einen Port an. „Was bedeutet das, Techniker McKnight?“, fragte IDUSA. „Das ist nur das externe Sicherheitsprogramm.“, sagte Jenna beruhigend. „Das kennst du doch schon.“ „Ach ja.“, erkannte das Schiff. „Aber ich scheine mit meiner Software wohl nicht ganz bei der Sache. Bitte entschuldigen Sie. Es war nicht böse gemeint. Ich wollte auf keinen Fall Ihre Arbeit behindern.“ „Ist schon gut, IDUSA.“, sagte Jenna. Dann aber fiel ihr vor Staunen die Kinnlade herunter. „Das könnt ihr also auch schon simulieren?“, fragte sie. „Was meinen Sie genau, Techniker?“, fragte IDUSA. „Ich meine, dass ihr also auch schon simulieren könnt, mit euren Gedanken nicht ganz bei der Sache zu sein. Ihr kommt uns organischen Wesen ja wirklich immer näher. Da tut die tindaranische Rechtsprechung wirklich gut daran, wenn sie euch mit uns gleichsetzt. Aber sag mir doch mal den Grund, aus dem du nicht ganz bei der Sache bist. Vielleicht kann ich dir ja auch helfen. Ich meine, es wäre bestimmt nicht gut, wenn du bei deiner Mission so durch den Wind bist, dass Joran wegen dir in Schwierigkeiten gerät.“ „Meinen Piloten in Schwierigkeiten zu bringen liegt mir fern.“, antwortete das Schiff. „Aber glauben Sie wirklich, dass Sie in der Lage sind, mir zu helfen? Ich meine, Sie sind Ingenieurin und keine Psychologin. Im Allgemeinen …“ „Und du bist ein Raumschiff und keine Organische.“, sagte Jenna. „Auch wenn du die gleichen Rechte und Pflichten vor dem Gesetz hast. Aber rein technisch gibt es da doch noch gravierende Unterschiede und wer könnte dir da besser helfen als ein Ingenieur oder eine Ingenieurin?“ „Da haben Sie Recht.“, gab IDUSA zu. „Also.“, sagte Jenna. „Wo klemmt denn die Festplatte?“ „Wissen Sie.“, sagte IDUSA. „Ich sorge mich um unser aller Sicherheit. Die Dimensionen scheinen doch sehr angegriffen zu sein und niemand, noch nicht einmal Sie, scheint die Ursache zu kennen. Wie wird das nur weitergehen?“ „Oh, IDUSA.“, sagte Jenna langsam und beruhigend. „Ich bin sicher, da wird schon irgendwann eine Lösung gefunden werden. Aber vielleicht kannst du ja auch indirekt dazu beitragen, indem du dich mit Joran um das kleine Problem kümmerst, das Shimar wohl nicht allein lösen kann. Damit würdet ihr ihn sicher schon sehr entlasten und er könnte sich um alles andere kümmern. Aber dazu musst du wirklich voll bei der Sache sein, IDUSA.“ „Ich danke Ihnen, Techniker McKnight.“, sagte Jorans Schiff. „Aber Sie scheinen auch nicht ganz bei der Sache zu sein. Ich nenne Sie die ganze Zeit über Techniker McKnight und das wundert Sie nicht im Geringsten.“

Jenna stutzte. Ihr war tatsächlich erst jetzt aufgefallen, wie Recht das Schiff mit ihrer Einlassung gehabt hatte. Sie hatte aber auch gleich eine Erklärung parat. „Ich denke.“, sagte sie. „Dass ich das auch schon von Agent Maron gewohnt bin, der leider immer noch nicht aus seiner Haut kann, was alte Gewohnheiten von der Sternenflotte angeht. Er siezt mich ja auch, nur weil ich Terranerin bin. Aber mit Shannon macht er es ja genauso. Ich verstehe schon, was dich stört. Aber du kannst mich ruhig weiterhin Jenna nennen. Einen tindaranischen Ingenieur würdest du ja auch nicht mit Nachnamen ansprechen.“ „Das würde ja auch nicht möglich sein.“, sagte IDUSA. „Weil er so etwas im eigentlichen Sinne ja gar nicht hat. Aber trotzdem danke für die Erlaubnis, Jenna.“ „Gern geschehen, IDUSA.“, lächelte McKnight und setzte ihre Arbeit fort.

Shannon war wieder aus den Wartungsschächten gekommen. „Es sieht alles sehr gut aus, Jenn’.“, meldete sie etwas flapsig gegenüber ihrer Vorgesetzten. „Die Befürchtung, IDUSA sei nicht ganz dicht oder hätte einige Schrauben locker, kann ich also nich’ bestätigen.“ „Das kann ich mir auch nicht wirklich vorstellen, Shannon.“, sagte Jenna und musste lachen. „Bei mir war auch alles ohne Befund. „So, so.“, sagte Shannon. „Und was is’ mit dem Leck in der Warpplasmaleitung, das sie neulich gemeldet hat?“ „Oh, da gab es kein Leck, Assistant.“, sagte Jenna. „Das lag nur an einem defekten Sensor, den ich doch letzte Woche längst ausgetauscht hatte. Der hat ihr das eingeredet. Erinnern Sie sich?“ „Ach ja.“, sagte Shannon. „Jetzt fällt es mir auch wieder ein. Na dann is’ ja alles in Butter und wir warten nur noch auf den Ehrengast.“ „Genau.“, bestätigte Jenna.

Joran hatte inzwischen sein Frühstück beendet. Er hätte aber am liebsten den Teller und das Glas noch so lange ausgeschleckt, bis sie blitzsauber gewesen wären. Er bedauerte sehr, dass in seinem Glas nicht noch mehr von dem guten Ananassaft gewesen war. Obwohl er sich den allerletzten Schluck noch bis zum Ende aufgehoben hatte, war es für ihn eine große Enttäuschung, feststellen zu müssen, dass sein Glas leer war.

Er sah kurz auf den Zeitmesser an seinem Sprechgerät und beschloss, sich noch ein Glas voll zu gönnen, denn seine nächste Schicht würde im Normalfall erst in zwei Stunden beginnen. Was Zirell für ihn geplant hatte, wusste er ja noch nicht.

Er stand also auf und ging in Richtung des Replikators. Dabei sprach er vor sich hin: „Oh ihr Götter! Womit habe ich so etwas Gutes nur verdient wie diesen …“

Ein jähes Geräusch ließ ihn innehalten und sich umdrehen. Das Geräusch war von der Sprechanlage verursacht worden, die jetzt nach seiner Aufmerksamkeit piepte. Im Display sah der pflichtbewusste Vendar sogleich das Rufzeichen des Arbeitsplatzes seiner Kommandantin. Er nahm das Mikrofon in die Hand und drückte den Sendeknopf: „Was gibt es, Anführerin Zirell?“ „Es tut mir leid, dass ich dich wecken muss, Joran.“, sagte Zirell. „Aber Shimar braucht deine Hilfe. Jenna und Shannon warten bereits dein Schiff. Bevor du fragst: Sie tun es deshalb zu zweit, damit es schneller geht. Wir haben eine Situation, in der es um Leben und Tod für Diran geht. Du musst ihn Shimar abnehmen. Er hat nämlich andere Befehle. Bring ihn bitte sofort her und übergib ihn dann an Ishan. Er wird sich um den Rest kümmern. Aber Shimar wird dir noch etwas mitgeben, was du Agent Maron geben wirst.“

Joran war erschrocken. Die Erwähnung des Namens eines seiner besten Freunde und die Schilderung der Situation, in der er sich offensichtlich befand, hatten ihn kurz zur Salzsäule erstarren lassen. Dann aber löste er sich wieder aus dieser Haltung und sagte: „Ich werde mich sofort darum kümmern, Anführerin!“ Dann beendete er die Verbindung und verließ schnellen Schrittes das Quartier. Seinen eigenen zustand, der für Shimar durchaus eine Gefahr bedeuten konnte, hatte er in diesem Moment völlig vergessen.

Jenna und Shannon hatten alle Luken an Jorans Schiff wieder geschlossen und waren an ihren Arbeitsplatz im Maschinenraum der tindaranischen Basis zurückgekehrt. Hier vertrieben sie sich jetzt die Zeit mit warten. Dabei unterhielten sie sich über dieses und jenes. Vor allem interessierte Shannon, was aus der Sache mit dem Ananassaft geworden war. Joran hatte nämlich in ihrem Beisein einmal davon gesprochen, ihn irgendwann einmal probieren zu wollen. „Denken Sie, er macht es bald?“, fragte sie in Jennas Richtung. Die hoch intelligente Halbschottin, die sich im Gegensatz zu ihrer Assistentin an solchen Trivialitäten nicht lange aufhielt, sah sie fragend an: „Was meinen Sie, Shannon.“ „Stichwort Ananassaft.“, grinste die blonde Irin. „Ich wette mit Ihnen, dass er mit diesem feierlichen Tun wartet, bis Sie bei ihm sind.“ „Na gut.“, sagte Jenna. „Die Wette gehe ich ein. Aber Sie kennen Joran nicht. Ich wette mit Ihnen, dass er es bereits getan hat und mir mit Absicht nichts davon gesagt hat, weil er einen Weg finden will, mich damit zu überraschen.“ „Na gut.“, sagte Shannon. „Die Wette steht wie ’ne Eins. Ach, Jenn’, um was wetten wir eigentlich?“ „Na, lassen Sie mich mal überlegen.“, sagte Jenna. „Wie wäre es, wenn wir um die nächste Schicht hier wetten. Die Gewinnerin bekommt frei.“ „Einverstanden.“, sagte Shannon. „Dann würde ich aber an Ihrer Stelle schon mal meinen Kaffeevorrat auffüllen, damit Sie wach bleiben.“ Sie grinste.

Joran hatte den Maschinenraum betreten. Sein Weg führte den Vendar sofort zu Jenna, die er gleich mit seinen scharfen Augen erspäht hatte. Er umarmte sie und drückte ihr einen feurigen leidenschaftlichen Kuss direkt mitten auf den Mund. Dabei musste er sich so angestrengt haben, dass er wirklich etwas außer Atem kam. Aber genauso gut konnte das auch an der Erregung liegen, in die ihn ihr Anblick regelmäßig versetzte. Dann sagte er: „Guten Morgen, Telshanach und auch dir einen guten Morgen, Shannon O’Riley. Ich würde sehr gern noch bei euch bleiben, aber Anführerin Zirell hat leider sehr dringende Befehle für mich. Ist mein Schiff flugbereit?“

Jenna stand einfach nur da und schmachtete zu ihm hoch. Zu ihm, der mit seinen 2,30 m weitaus größer als sie war. Weiter aber tat sie nichts, was dann dazu führte, dass Shannon ihn angrinste und sagte: „Also gut, Grizzly. Dann muss ich das Heft wohl in die Hand nehmen. Komm mal mit mich mit!“

Sie führte ihn zu seinem Schiff, das er sofort bestieg und dem er dann befahl, die Abdockprozedur einzuleiten. Dann kehrte sie zu Jenna zurück, die noch immer nichts an ihrer Haltung verändert hatte. „Was is’ mit Ihnen denn los?“, flapste sie Jenna entgegen. McKnight reagierte nicht. „Hey, Jenn’!“, sagte Shannon jetzt etwas lauter. „Jemand zu Hause?“

Shannon knuffte sie unversehens in die rechte Seite. Sie wusste, dass Jenna hier kitzelig war. „Was soll das?!“, entfuhr Jenna schließlich ein spitzer Schrei. „Es is’ mir gerade scheißegal, ob sie mich wegen tätlichen Angriffs auf eine Vorgesetzte vor das tindaranische Kriegsgericht schleifen wollen!“, schnodderte ihr Shannon zu. „Aber ich will jetzt endlich wissen, was hier gerade los war! Und tut mir leid! Aber irgendwie musste ich Sie ja wieder in die Realität zurückholen.“ „Ist schon gut.“, sagte Jenna. „Vor Gericht werde ich Sie nicht bringen. Es war ja auch nur, weil er nach Ananassaft geschmeckt hat. Nach Ananassaft! Verstehen Sie, Shannon? Ich denke jetzt ist klar, wer hier den vielen Kaffee trinken muss, um wach zu bleiben.“ Die blonde Irin machte ein mürrisches Gesicht und gab einen auf Missfallen hindeutenden Laut von sich. Dann sagte sie: „Hätte ich da bloß nich’ von angefangen.“ „Tja.“, sagte Jenna. „Man muss eben aufpassen, welche Geister man ruft, Assistant. Ist er schon weg?“ Shannon nickte und zeigte in Richtung Fenster, hinter dem Jorans Schiff als immer kleiner werdender Schatten gerade noch zu sehen war. Jenna warf ihm noch einen schmachtenden Blick hinterher. Dann hauchte sie säuselnd: „Ananassaft.“

Auch Shimar und sein Schiff waren in Wartestellung. Aber der Avatar zeigte deutliche Anzeichen dafür, dass ihr wohl etwas auf der Seele lag. Jedenfalls sah sie Shimar entsprechend an. „Was gibt es denn, IDUSA?“, fragte der junge Tindaraner Anteil nehmend. „Ich denke, dass Zirell sich von ihren Gefühlen hinreißen lassen hat, als sie Ihnen unsere neuen Befehle übermittelte. Ich hoffe, Sie nehmen diese nicht all’ zu wörtlich. Tolea dürfte nicht sehr erbaut darüber sein, wenn sie von Ihnen auf ihren Fehler aufmerksam gemacht wird. Sie mag zwar keine von den alten Q mehr sein, die dies zweifelsfrei als Anmaßung betrachten würden, aber ich bin sicher, sie wird selbst schon gesehen haben, was sie da angerichtet hat und das wird sie traurig bis depressiv stimmen. Eine depressive Q dürfte in meinen Augen ähnlich zu bewerten sein wie ein verwundetes Tier, wenn es seinem Jäger gegenübersteht, nämlich als sehr gefährlich! Zumindest deuten alle Simulationen, die ich mit den Daten, die ich bisher von Tolea sammeln konnte, durchgeführt habe, darauf hin. An Ihrer Stelle würde ich extrem vorsichtig sein, Shimar. Wenn Sie Zirells Befehle wörtlich nehmen sollten, was das Herzerren Toleas angeht, käme ich auch in einen schweren Datenkonflikt. Es stünden sich die Direktive, dass ich Sie schützen soll und die, dass ich, wie Sie auch, unter Commander Zirells Kommando stehe, gegenüber. In diesem Fall müsste ich mich weigern, Sie ins Raum-Zeit-Kontinuum zu bringen.“ „Keine Sorge, IDUSA.“, sagte Shimar. „Zirell weiß das ja auch und sie hat mir ja nicht umsonst freie Hand gegeben, was die Ausführung ihrer Befehle angeht. Sie weiß, dass ich nicht dumm bin und schon weiß, wie man mit einer in die Enge getriebenen, vielleicht sogar depressiven, Q umgeht. Öffne mal die Datenbank mit den Neuralmustern. Dann zeige ich dir was.“ „Also gut.“, sagte IDUSA und tat, was ihr Shimar soeben befohlen hatte.

Der junge Tindaraner begann damit, sich auf jenes Vorhaben, das er seinem Schiff zeigen wollte, zu konzentrieren. Das bedeutete, Dass er sich das Gefühl vorstellte, das er hatte, wenn er Kairons Gegenwart wahrnahm. Dies kam bei IDUSA als Negativ zu Kairons Neuralabdruck an, den sie durchaus in ihrer Datenbank finden konnte. „Ich verstehe nicht.“, sagte das Schiff. „Commander Zirells Befehl an uns lautete eindeutig, nach Tolea zu suchen und nicht nach Kairon. Außerdem können Sie ja Ihre telepathischen Fühler nicht so einfach über die dimensionalen Grenzen hinaus benutzen. Welchen Zweck verfolgen Sie also mit diesem Tun?“ „Ganz einfach.“, erklärte Shimar. „Ich habe dir doch gerade gesagt, dass ich nicht so verrückt sein werde und mich mit Tolea anlegen werde. Schon gar nicht in dem Zustand, in dem sie jetzt vielleicht ist. Ich denke nämlich, dass du mit deiner Analyse ihres seelischen Zustands durchaus Recht haben könntest. Nein, nein! So dumm bin ich nicht. Es kann also nicht schaden, sich von Zeit zu Zeit mal etwas Unterstützung zu besorgen. Kairon würde uns bestimmt helfen. Er hat sicher ein Interesse daran, dass die Dimensionen heil bleiben und wenn er dafür seine Schwester wachrütteln muss, wäre das sicher auch kein Problem für ihn. Ich denke nur, dass wir ihn zunächst einmal darüber informieren müssen. Offenbar hat sich Tolea mit dem, was sie getan hat, telepathisch von ihm abgeschirmt. Also weiß er vielleicht gar nicht, was sie getan hat. Das heißt, wir müssen es ihm wohl oder übel sagen. Dass er das nicht sehr schön finden wird, lässt sich denken und er wird vielleicht auch wütend auf Tolea werden, aber das müssen wir riskieren. Ich weiß auch, dass ich Kairon so nicht finden kann. Aber das war ja auch nur für dich. Du solltest erfahren, was ich vorhabe. Dass ich es erst im Raum-Zeit-Kontinuum wirklich anwenden werde, versteht sich von selbst.“

Der Avatar des tindaranischen Patrouillenschiffes atmete erleichtert auf und löste sich aus ihrer starren Haltung. Dann sagte sie: „Wissen Sie was? Ich bin heilfroh, dass ich Sie als Piloten habe und nicht irgendeinen hirnampotierten Befehlsempfänger!“ „IDUSA!“, rief Shimar aus. „Woher nimmst du eigentlich diese Art von Sprüchen?!“ „Sie wissen.“, sagte das Schiff. „Dass Miss O’Riley von Zeit zu Zeit meine Sprachroutinen etwas aufpeppt.“ „Oh ja.“, sagte Shimar. „Das weiß ich sehr genau und es gefällt mir! Das kannst du ihr ruhig sagen.“

Er setzte sich zurecht. „Es wird wohl noch etwas dauern, denke ich, bis Joran hier eintrifft. Wie geht es Diran?“ „Dank Ihres Eingriffs.“, sagte IDUSA. „Ist er erst einmal stabil. Aber ich denke, Joran sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Dann könnte es nämlich für Diran auch kritisch werden. Selbst wenn ich Ihnen die nötigen Medikamente replizieren würde, dürften Sie ihm diese immer noch nicht verabreichen. Außerdem wissen wir ohne eine genaue Untersuchung gar nicht so genau, was Diran fehlt. Diese kann aber nur auf unserer Basis vorgenommen werden, weil es dort die nötigen Geräte und das nötige Fachpersonal gibt.“ „Ich weiß.“, sagte Shimar. „Dann werden wir wohl noch etwas länger warten müssen.“

Kapitel 21: Unverhoffte Unterstützung

von Visitor

 

Joran hatte den Nahbereich der Station verlassen. Er und sein Schiff waren jetzt auf dem Weg dorthin, wo IDUSA Shimar und seine IDUSA-Einheit lokalisiert hatte. „Ich hoffe, dass wir Diran überhaupt noch helfen können.“, sagte Jorans Schiff. „Immerhin ist eine Menge Zeit vergangen, seit Diran ins Koma gefallen ist. Ich hoffe, dass er keine …“

Etwas hatte sie plötzlich ihren Satz unterbrechen lassen. Der Grund dafür war, dass ihr Bug unaufhörlich von etwas angezogen worden war, das sie nur als Wirbel mit einer unaufhörlichen Abwärtsspirale deuten konnte. Ihre Sensoren waren nicht in der Lage, ein Ende oder einen Anfang des Phänomens zu finden. „Joran, bitte helfen Sie mir!“, sagte sie und ihr Avatar vor Jorans geistigem Auge machte ein panisches Gesicht. „Wir scheinen in etwas geraten zu sein, dass ich nicht berechnen kann! Ich benötige Ihre fliegerischen Instinkte!“

Der Vendar überlegte. Ihm war klar, dass es ihnen gar nichts nützte, wenn er selbst in Panik geriet. Er, der als sehr besonnen bekannt war, wusste durchaus schon, was hier geschehen war. Diese Phänomene waren ihm und seiner Art durchaus bekannt. Die Übersetzung des vendarischen Begriffes dafür lautete: „unsichtbarer Abwind“, und genauso verhielt sich dieses Ding jetzt auch. Da dies nur sehr selten einmal von vendarischen Piloten beobachtet wurde, hatte man es eigentlich in das Reich der Mythologie verbannt. Auch Joran hatte es nur einmal in einer Simulation zu Gesicht bekommen, während er bei Tabran in der Ausbildung war, aber nur, weil er es unbedingt einmal sehen wollte. Jetzt aber waren die Erinnerungen an die nötigen Manöver während seiner Zeit als Novize plötzlich so präsent, als hätte er sie jeden Tag benutzen müssen.

Er brachte sämtliche Stabilisatoren seines Schiffes auf volle Leistung. IDUSA fand das sehr merkwürdig, aber sie tat doch, was er von ihr verlangte. Dennoch war sie von seinem Tun sehr überrascht. „Was tun Sie da?“, fragte sie. „Ich stabilisiere dich, damit du dich nicht auf die Seite legst oder dich gar auf dein Dach drehst. Wir müssen erreichen, dass du vollständig in den Wirbel eindringst. Erst dann können wir Maßnahmen ergreifen, um dich wieder dort herauszubringen. Wenn ich jetzt rücksichtslos gegensteuern würde, würde das deine Hülle zu sehr unter Druck setzen. Das könnte dich zerstören und mein Leben beenden! Auch ich bin im Weltraum nicht lebensfähig! So dumm bin ich nicht! Aber wenn du den Ursprung des Phänomens nicht finden kannst, dann brauchen wir wohl Hilfe. Vielleicht kann meine Telshanach uns behilflich sein. Ruf die Station und verbinde mich mit ihr. Dann etablierst du auch noch eine direkte Datenverbindung mit ihrem Arbeitsplatz!“ „Ich werde es versuchen, Joran.“, sagte das Schiff.

Jenna und Shannon waren überrascht, so schnell wieder von Joran zu hören. „Was ist los, Joran?!“, fragte die hoch intelligente Halbschottin etwas alarmiert. „Das wirst du sehen.“, sagte Joran. „Wenn du die Datenverbindung bestätigst, nach der IDUSA gerade fragt.“, sagte der Vendar. „Du hast Recht.“, sagte Jenna, nachdem sie einen kurzen Blick auf den virtuellen Schirm vor ihrem geistigen Auge geworfen hatte, der ihr von der IDUSA-Einheit der Station gezeigt worden war.

Sie bestätigte die Verbindung per Gedankenbefehl. Jetzt sah sie, in welcher Situation sich ihr Freund und sein Schiff befanden. „Das ist merkwürdig.“, sagte sie, nachdem sie sich auf IDUSAs Sensoren aufgeschaltet hatte. Das Phänomen scheint keinen Anfang und kein Ende zu haben. Zumindest nicht in dieser Dimension.“

Shannon hatte die Situation auch mitbekommen und war an ihre Vorgesetzte herangetreten: „Was ist los, Jenn’?“ „Joran ist in Schwierigkeiten.“, sagte Jenna knapp. „Er ist in etwas geraten, was es eigentlich gar nicht geben dürfte. Er ist in einen unsichtbaren Abwind geraten. Informieren Sie die Kommandozentrale, Assistant! Ich werde versuchen zu retten, was noch zu retten ist!“ „OK, Jenn’.“, sagte Shannon, drehte sich um und lief zackig auf die nächste Arbeitskonsole zu, um dort ihren Neurokoppler und die dortige Sprechanlage zu benutzen.

Zirell und ihr Erster Offizier ahnten von der Situation nichts, in der sich Joran und sein Schiff gerade befanden. Aus ihrer Sicht war alles ruhig. Der Demetaner hatte sogar damit begonnen, den Inhalt des Pads zu sortieren, auf dem sich Jennas Aussage aus Grandemoughts Erinnerungen befunden hatte. „Was hast du da, Maron.“, erkundigte sich Zirell. „Ich habe hier eine höchst interessante Aussage von McKnight.“, sagte Maron. „Ach ja.“, erinnerte sich Zirell. Euer kleines Experiment. Aber worum geht es denn da eigentlich?“ „Sagen wir mal so.“, sagte Maron. „Grandemought und McKnight kennen den Namen der Bäckerin des kleinen und gemeinen Kuchens, von dem auch Sytania gern ein Stück abhaben möchte.“ „Ach.“, sagte Zirell. „Sytania ist es also dieses Mal nicht.“ „Nein.“, sagte Maron. Zumindest nicht, was den Grundteig angeht, wenn du meinen Vergleich gestattest. Sie hat nur die Glasur angerührt. Aber für den Teig war Valora zuständig.“ „Valora?“, fragte Zirell verwundert. „Aber das ist doch die Leitstute der Einhörner! Warum sollte sie so etwas Verwerfliches tun können. Ich dachte immer, die Einhörner seien von Grund auf gut!“ „Die Einhörner sind verwandte der Quellenwesen!“, berichtigte der Erste Offizier seine Vorgesetzte ernst. „Und du weißt ja, dass die dafür zuständig sind, Gut und Böse in Waage zu halten, wenn einmal alle Stricke reißen sollten. Das bedeutet, sie haben, wie jedes andere Wesen auch, eine gute und eine böse Seite in sich. Grandemought, von dem McKnight diese Erinnerung hat, kannte Valora sehr gut. Er sagt, sie könne sehr eifersüchtig werden und was dann passieren kann, solltest du dir eigentlich sehr gut ausmalen können, Zirell. Entschuldige, aber du bist ja schließlich auch eine Frau und ich hörte, wenn ihr eifersüchtig werdet, könnt ihr zu Furien werden. So und jetzt stell dir das Ganze bitte mal in mächtig vor!“

Zirell war ob seiner Predigt sehr überrascht. Sie hatte wohl nicht damit gerechnet, dass er so weit denken würde. „Uff, Maron.“, sagte sie. „Ich glaube dir. Fraglich ist nur, ob wir den Regierungen das beigebracht bekommen. Die haben doch noch immer ein sehr heiliges Bild von den Einhörnern.“ „Dann werde ich eben nach noch mehr Beweisen suchen müssen, Zirell.“, sagte Maron zuversichtlich. „Dafür drücke ich dir alle Daumen.“, sagte Zirell. „Sehr großzügig.“, sagte der Kriminalist.

Die Sprechanlage unterbrach sie. „Zirell hier.“, meldete sich die tindaranische Kommandantin. „Zirell, hier ist Shannon!“, ließ sich die aufgeregte Stimme Shannons aus dem Gerät vernehmen. „Wir haben ein Problem! Joran is’ in Schwierigkeiten! Er is’ in einen unsichtbaren Abwind geraten. Jenn’ sagt, das dürfte es eigentlich gar nicht geben, aber es gibt es wohl doch. Sie ist dran. Sie versucht ihm zu helfen.“ „In Ordnung, Shannon.“, sagte Zirell. „Wenn sich Jenna kümmert, dann wird es schon gut gehen. Ich vertraue ihr da voll und ganz.“ Sie beendete die Verbindung.

Shimars Schiff hatte den Traktorstrahl gelöst und die Steuerkontrolle übernommen. „IDUSA, nein!“, sagte Shimar streng, der dies erst ziemlich spät bemerkt hatte. „Joran ist in Schwierigkeiten.“, argumentierte IDUSA. „Wir müssen ihm helfen!“ „Wir!“, sagte Shimar. „Müssen auf Diran und sein Schiff aufpassen! Um Joran kümmern sich sicher schon die Anderen, aber wenn du Dirans Schiff jetzt loslässt, läuft es Gefahr, irgendwo hinzutreiben, wo wir es vielleicht nicht mehr erreichen können und dann ist unser einziger Zeuge auch tot! Willst du Maron das vielleicht erklären müssen, he?!“

„Sie haben Recht.“, sagte IDUSA, nachdem sie die Situation noch einmal mit ihren Sensoren gescannt hatte. Dann nahm sie auch Dirans Schiff wieder in den Traktorstrahl. „Na geht doch.“, sagte Shimar. „Ich habe das nur getan.“, sagte IDUSA. „Da alle Daten auf eine aktive Verbindung zwischen der Basis und Jorans Schiff hinweisen. Sicher werden Sie dort in guten Händen sein.“ „Das denke ich auch.“, sagte Shimar.

Etwas hatte ihn aufhorchen lassen. Er hatte etwas Telepathisches wahrgenommen, das gerade Joran von Bord seines Schiffes geholt hatte. Außerdem hatte der gleiche Einfluss dafür gesorgt, dass sein Schiff in der Zeit eingefroren wurde. Jedenfalls kam es Shimar so vor. Er ahnte auch, wer die Urheber dieses Einflusses waren. „IDUSA, ich habe gerade den Einfluss eines Quellenwesens gespürt.“, sagte er. „Darüber müssen wir den Commander informieren.“, sagte IDUSA. „Das dürfte die Karten völlig neu mischen.“ „Du hast Recht.“, sagte Shimar. „Gib mir Zirell!“ IDUSAs Avatar nickte und sie führte den Befehl ihres Piloten aus.

Zirell hatte Shimars Ruf zwar zur Kenntnis genommen, dennoch hatte sie wohl nicht damit gerechnet. „Joran ist auf dem Weg zu dir.“, versuchte sie ihren Untergebenen zu beruhigen. „Um Joran geht es mir auch.“, sagte der Tindaraner. „Er ist gerade von den Quellenwesen geholt worden und sie haben auch sein Schiff in der Zeit eingefroren.“ „Das wirft ein völlig neues Licht auf die Situation.“, sagte die Kommandantin. „Den Einfluss habe ich auch gespürt. Warten wir mal ab was jetzt passiert.“ „In Ordnung.“, nickte Shimar und beendete die Verbindung.

Shannon hatte im Maschinenraum die Verbindung zu Jorans Schiff in Jennas Auftrag übernommen, da sich die hoch intelligente Halbschottin bereits mit Simulationen beschäftigte, mit deren Hilfe sie eine Lösung finden konnte. Das Phänomen, in das ihr Freund geraten war, war ihr aber nicht so unbekannt, wie es vielleicht zuerst den Anschein hatte, denn sie kannte sich ja mit dimensionaler Physik aus und konnte sich deshalb schon denken, wie dieser so genannte unsichtbare Abwind zu Stande gekommen war. Sie wusste, dass es daran wirklich nichts Mystisches gab, sondern dass dies nur das Ergebnis einer so genannten energetischen Verwerfung sein konnte, wie sie ihrem Verständnis nach jetzt auftauchen mussten. Ihrer Theorie nach hatten diese Verwerfungen ihren Ursprung in der interdimensionalen Schicht und waren ein Ergebnis jener Ladungsverschiebungen, die sie bereits beobachtet hatte. Es fand ja schließlich eine Umwälzung der energetischen Strukturen statt und wo sich gewälzt wurde, da wurde auch ordentlich Staub aufgewirbelt. Jedenfalls würde sie jedem Laien das so erklären. Aber der Beweis fehlte ihr noch.

„Shannon.“, wendete sie sich an ihre Assistentin. „Mir fehlen noch Daten. Bitte schalten Sie sich noch einmal auf die Sensoren von Jorans Schiff auf und …“ „Das würde ich ja gern, Jenn’.“, gab die blonde Irin zurück. „Aber die Verbindung ist plötzlich abgebrochen und ich kann sie auch nicht wieder herstellen.“ „Dann werde ich wohl mit dem auskommen müssen, was ich habe.“, sagte Jenna. Aber wir sollten die Kommandozentrale in Kenntnis setzen. Geben Sie Bescheid, aber stellen Sie die Verbindung auf Lautsprecher, damit ich auch mithören kann.“ „OK, Jenn’.“, sagte Shannon, gab dem Rechner der Station den Gedankenbefehl, ihr die Konsole für die interne Sprechanlage auf dem virtuellen Bildschirm zu zeigen und stellte die Verbindung zur Kommandozentrale her.

Maron war es, der dort das Gespräch annahm: „Maron hier.“ „Agent, hier is’ O’Riley.“, meldete sich Shannon gewohnt flapsig. „Ich fürchte, wir haben ein Problem. Die Datenverbindung mit Jorans Schiff is’ zusammengebrochen und lässt sich nicht wieder herstellen. Ein Problem mit der Reichweite schließen wir aus.“ „Ich denke, ich kann Ihnen eine Erklärung liefern, O’Riley!“, sagte der Erste Offizier selbstbewusst. „Shimar hat gerade mit Zirell gesprochen und ihr gesagt, dass er den Einfluss eines Quellenwesens gespürt hat, das Joran von Bord seines Schiffes geholt und dieses in der Zeit eingefroren hat. Wenn ich mich nicht täusche, bedeutet das, dass an Bord alles stillsteht. Das Schiff kann also gar nicht auf Befehle von außen reagieren.“

Shannon sah fragend zu Jenna hinüber. Diese übernahm die Sprechverbindung und sagte: „Absolut richtig erkannt, Sir. Ganz ehrlich, ich hätte Ihnen nicht zugetraut, so eine komplexe physikalische Tatsache zu erkennen.“ „Ich mir selber auch nicht, McKnight.“, sagte Maron. „Aber wenn Sie, als Dimensionalphysikerin, mir das bestätigen, dann kann ich ja wohl nicht so falsch gelegen haben. Aber was ist mit dem Phänomen? Wissen Sie schon, was es sein könnte und wie wir Jorans Schiff da wieder herausbekommen?“ „Es handelt sich zweifelsfrei um eine energetische Verwerfung, Sir.“, sagte McKnight. „Nur so viel. Solche Verwerfungen entstehen bei großen Umbrüchen, wie wir sie jetzt im Moment sehen.“ „Sie wurde also nicht unmittelbar von Sytania oder Valora verursacht, um Joran einen Stein in den Weg zu legen?“, vergewisserte sich Maron. „Nein, Agent!“, sagte Jenna fest. „Wenn, dann sind Valora und Sytania nur in mittelbarer Täterschaft beteiligt. Sie haben ja nur die Ursache gesetzt, aus der diese Verwerfungen entstehen. Dass sie überhaupt entstehen, hat aber rein physikalische Ursachen. Ich will es mal so ausdrücken, Agent. Wo sich gewälzt wird, da wird auch Staub aufgewirbelt und in so eine Staubwolke sind Joran und sein Schiff geraten.“ „Können Sie etwas tun, um es da rauszuholen, Jenna?“, fragte Maron. „Noch nicht.“, sagte die Ingenieurin. „Aber ich werde mein Allerbestes tun. Fraglich ist nur, ob ich zu diesem Zeitpunkt schon eingreifen darf. Sie sagten, dass sich ein Quellenwesen eingemischt hätte, das Joran von Bord geholt und sein Schiff in der Zeit eingefroren hätte. Wenn wir zu früh eingreifen, könnte das unter Umständen den Plänen des Quellenwesens im Weg sein. Wer weiß, was es von ihm will. Natürlich werde ich nach einer Lösung forschen, aber ich werde, was immer ich auch herausfinde, erst dann anwenden, wenn ich sicher bin, dass das Schiff wieder frei ist. Ich denke sogar, dass wir, jetzt, wo es in der Zeit eingefroren ist, ohnehin keine wirkliche Chance haben.“ „Also gut, McKnight.“, sagte Maron. „Tun Sie, was Sie können, aber tun Sie etwas!“ „Darauf können Sie sich verlassen, Agent!“, sagte Jenna fest und beendete die Sprechverbindung.

Maron wandte sich Zirell zu: „Mir ist da gerade eine Idee gekommen. Kannst du nicht versuchen, das Quellenwesen telepathisch zu erreichen und es fragen, wie es gedenkt vorzugehen? Ich meine, seit dieser Sache, die dir und Joran da damals passiert ist, ist es dir doch möglich, über die Grenzen unserer Dimension hinaus deine Fähigkeiten zu benutzen. Du könntest das Quellenwesen doch erreichen, egal wo es sich befindet, oder?“ „Ich könnte es auf jeden Fall versuchen.“, sagte Zirell.

Sie begann damit, sich auf die Wahrnehmung, die sie gehabt hatte, als sie den Einfluss des Quellenwesens gespürt hatte, zu konzentrieren. Dann dachte sie: Quellenwesen, ich bin Zirell, Kommandantin der Basis 281 Alpha des tindaranischen Militärs. Du hast einen meiner Untergebenen von Bord seines Schiffes geholt und es selbst in der Zeit eingefroren. Mein Untergebener war auf einer humanitären Mission. Es ist ein Leben gefährdet, wenn du ihn nicht freigibst. Sollte es allerdings notwendig sein, dass du ihn bei dir behältst, dann bitte ich dich, mich über den Grund zu informieren. Es sollte doch in unser aller Interesse liegen, die Dimensionen zu erhalten. Vielleicht können wir ja sogar zusammenarbeiten.

Einige Sekunden verstrichen, in denen nichts geschah. Zirell hatte schon Sorge, das Wesen doch nicht erreicht zu haben. Dann aber spürte sie doch jenes Gefühl noch einmal, auf das sie sich gerade eben noch konzentriert hatte, allerdings ohne ihr eigenes Zutun. Außerdem sah sie das Bild einer Fremden vor sich. Für die geübte Telepathin war das ein eindeutiges Signal. Sie streckte ihren rechten Arm nach Maron aus: „Maron, nimm meine Hand!“ Der erste Offizier nickte und tat, was Zirell ihm gesagt hatte. Nun hörten beide die Antwort des Quellenwesens: Zirell von Tindara, mach dir bitte keine Sorgen um Joran Ed Namach. Es liegt auch in unserem Interesse, dass er gesund zu dir zurückkehrt. Aber wir erbitten auch dein Vertrauen. Wir wissen, dass Jenna McKnight alles tut, um sein Schiff und ihn aus der Verwerfung zu befreien. Das soll und wird ihr auch gelingen, aber erst dann, wenn wir es für nötig halten. Mehr kann und darf ich dir nicht sagen.

Die telepathische Verbindung war abgebrochen. Maron und Zirell sahen sich an. „Jetzt sind wir genauso schlau wie vorher.“, sagte die ältere Tindaranerin. „Nicht ganz.“, sagte Maron. „Wir haben ja auch das Bild des Quellenwesens gesehen und ich glaube sogar, ich habe ihre Stimme erkannt. Gib mir bitte einige Minuten mit IDUSA und dem Eindruck ihrer Stimme irgendwo allein. Ich denke, dass ich sie kenne und dass IDUSA ihre Originalstimme auch in der Datenbank finden kann. Wenn wir den Namen kennen, dann wissen wir sicher auch, ob wir ihr vertrauen können.“ „Also gut.“, sagte Zirell vertrauensvoll. „Benutz’ meinen Raum!“ „Danke, Zirell.“, sagte Maron. Dann stand er auf und wandte sich zum Gehen, während er ihr noch zurief: „Ich bin überzeugt, ich werde ein gehöriges Stück zur Lösung des Problems beitragen können!“ Dann ging er schnellen Schrittes durch die Türen, die sich wieder hinter ihm schlossen. Zirell blieb mit einigen Fragezeichen in den Augen zurück.

Joran hatte sich im Inneren einer großen für ihn weiß erscheinenden Energiewolke wieder gefunden. Aber diese Wolke fühlte sich für ihn in keiner Weise gefährlich an. Er hatte keine Ahnung, ob er sich noch im Weltraum, oder gar in der interdimensionalen Schicht befand. Normalerweise wäre das für ihn ein Grund gewesen, alarmiert zu sein, denn an sich konnte ja kein biologisches Wesen im Weltraum oder gar in der Schicht überleben. In der interdimensionalen Schicht wäre das zwar schon möglich gewesen, wenn man außer Phase war und im Weltraum sicher auch mit einem Schutzanzug, aber beides war hier nicht der Fall, oder gar vorhanden. Joran konnte sich weder erinnern, dass sein Schiff in den interdimensionalen Modus gegangen war, noch an die Tatsache, einen Schutzanzug angelegt zu haben. Trotzdem war die Situation für ihn nicht beängstigend. Als Vendar konnte er sehr gut spüren, dass es ein telepathischer Einfluss war, der ihn jetzt unter seine Kontrolle gebracht hatte und ihn wohl auch telekinetisch von Bord seines Schiffes geholt hatte. Mehr konnte er aber nicht sehen, denn die Wolke war in keiner Weise durchsichtig. Ihre Struktur ähnelte für ihn eher einem weißen Nebel oder einem großen Wattebausch. Das stimmte auch mit seiner taktilen Wahrnehmung überein. Warm war es hier und, obwohl er nicht nach außen sehen konnte, war hier im Inneren der Wolke doch alles irgendwie hell erleuchtet. Es gab für ihn also überhaupt keinen Grund, Angst zu verspüren.

Die Wolke schwebte sanft hernieder und gab ihn frei. Jetzt fand sich Joran in einer Art Park wieder. Die Luft war mit sommerlichen 25 ° angenehm warm. Um ihn herum roch es nach Blumen, die er in einigen Kübeln, die rund und weiß waren und auf kleinen künstlichen Felsen standen, sehen konnte. Die Blumen waren von mittlerer Höhe und hatten goldgelbe Blütenkelche, denen ein süßlicher Duft entströmte.

Joran versuchte sich zu orientieren. Die Wolke hatte ihn auf einer freien Fläche mitten in diesem parkähnlichen Gelände abgesetzt. In der Ferne konnte er eine Mauer erkennen, die aus grauen Ziegelsteinen bestand. Er beschloss, diese zunächst als Orientierung zu benutzen und an ihr entlang den Park zunächst einmal von seinem Rand aus zu erkunden. Das erschien ihm weitaus besser, als aufs Geradewohl einfach so in eine Richtung zu gehen. Der Park war ihm schließlich fremd. Er hatte ja immer noch keine Ahnung, wo er sich eigentlich befand. Wenn er sich jetzt noch aussichtslos in einem Labyrinth verirren würde, wäre das mit Sicherheit nicht wirklich gut. Er hatte aber trotzdem nicht das Gefühl, dass die Macht, die ihn entführt hatte, etwas Böses wollte. Wenn das der Fall wäre, dann hätte er es bestimmt gespürt, denn wie sich der Einfluss eines bösen Wesens anfühlte, hatte er ja Jahre lang selbst spüren können. Darin konnte ihm also niemand etwas vormachen.

Joran folgte dem grauen Kiesweg, auf dem er abgesetzt worden war. Dieser führte ihn zu einer Kreuzung, an der er sich mit einem Weg traf, der tatsächlich an der Mauer entlang führte. Auf diesen bog er ab und folgte ihm weiter. Dabei kam er an vielen kleinen Wiesen mit Wildblumen und kleinen Lauben vorbei. Irgendwie schien es ihm hier sehr heimelig, zumal er jetzt auch den Gesang von Vögeln wahrnahm, wie er sie von seiner Heimatwelt kannte. Wo bin ich nur?, dachte er. Wer hat mich entführt und was kann dieses Wesen von mir wollen?

Er blieb stehen und versuchte, sich auf die Wahrnehmung zu konzentrieren, die er hatte, als er sich noch in der Wolke befand. Er wollte versuchen, sich an Dinge zu erinnern, die ihm diese Wahrnehmung vielleicht erklären könnten. Bekannt schien sie ihm im ersten Moment nämlich nicht zu sein. Leider waren seine Bemühungen aber nicht von Erfolg gekrönt. Wie denn auch? Er konnte jenes Wesen, das für seine Entführung verantwortlich war, ja gar nicht kennen.

„Joran Ed Namach?“ Ein kleines liebes leises glockenhelles Stimmchen hatte ihn angesprochen. Aber nicht nur das. Das Stimmchen hatte seinen vollen Namen benutzt. Er drehte sich um und sah eine kleine zierlich gebaute Gestalt, die sich jetzt auf ihn zu bewegte. Die kleine Gestalt war augenscheinlich weiblich, sehr schlank und so zart gebaut, dass Joran Angst bekam, zu tief Luft zu holen. Er sorgte sich wohl darum, dass er sie versehentlich einatmen könnte. Sie hatte lange schwarze Haare und trug ein weißes Kleid, das ihr knapp bis über die Knöchel reichte, was bei ihrer Größe von knapp 1,50 m keine sehr weite Strecke war. Ihre zierlichen Füßchen steckten in kleinen bunten Sandalen. Ihr Gesicht war ungeschminkt. Ihre langen schwarzen Haare trug sie offen, so dass der leichte warme Wind mit ihnen spielen konnte. Das war etwas, dass sie wohl als sehr angenehm empfinden musste, wie Joran beobachtete, denn jedes Mal, wenn sie spürte, wie der Wind ihre Haare anhob, lächelte sie. Sie lächelte aber eigentlich durchgehend.

Langsam kam sie auf Joran zu. Dann lachte sie ihn an und sagte: „Ich grüße dich, Joran Ed Namach.“ Ihre Betonung ließ für Joran keinen Zweifel daran aufkommen, dass seine Anwesenheit ihr sehr angenehm war. Jetzt aber spürte er noch etwas anderes. Er spürte das Gleiche, das er auch in der Wolke gespürt hatte. Es musste sie gewesen sein, die ihn entführt hatte.

Der Vendar fiel reflexartig auf die Knie. Das war etwas, dass er von Kindesbeinen an gewohnt war, wenn er einem mächtigen Wesen gegenüberstand. „Oh das ist aber doch nicht notwendig.“, sagte die kleine Gestalt und schaute ihn lieb an. Dann berührte sie vorsichtig mit ihrer kleinen rechten Hand sein Gesicht. „Bitte steh auf.“, sagte sie tröstend. „Du legst doch vor Zirell von Tindara auch nicht regelmäßig einen Kniefall hin, oder? Außerdem bezeichnet ihr euch doch als freie Vendar, die vor keinem Mächtigen mehr kuschen, nur weil er ein Mächtiger ist. Wenn ihr euch freiwillig einem anschließt, ist das was anderes, wie bei deinem Freund Diran. Aber …“

Joran war aufgestanden. „Na siehst du.“, sagte sie und strich ihm noch einmal über das Fell seines Bauches, der das Einzige war, das sie jetzt von ihm erreichen konnte. Allerdings fühlte sich dies, da es durch die Uniformhose hindurch geschah, für Joran sehr merkwürdig an.

„Ich grüße auch dich, Quellenwesen.“, sagte Joran. „Wie darf ich dich nennen?“ „In meinem sterblichen Leben haben mir meine dortigen Eltern den Namen Illiane gegeben.“, sagte das Quellenwesen.

Joran hatte plötzlich etwas vor Augen, das er eigentlich nur aus Gerüchten erfahren haben konnte. Es hatte schon damals, als er noch Sytania diente, Gerüchte über ein Quellenwesen gegeben, das unter Sterblichen gelebt und Sytania entlarvt hatte. Der Name dieses Wesens sollte Illiane St. John gelautet haben. „Dann bist du Illiane St. John!“, sagte er fest. „Das stimmt.“, sagte das Quellenwesen. „So kennen mich alle.“ „Warum hast du mich hierher gebracht?“, fragte Joran. „Das will ich dir gern erklären.“, sagte das Quellenwesen. „Bitte begleite mich, Joran.“ „Wie du wünschst.“, sagte Joran und wartete ab, bis sie sich auf ihren kleinen zierlichen Füßchen in Bewegung gesetzt hatte. Er hatte in Erwägung gezogen, sie zu tragen und sich von ihr einfach nur dirigieren zu lassen, aber dann hatte er es doch als sehr anmaßend empfunden, sie darauf anzusprechen. Er fand sich also lieber damit ab, langsam hinter ihr her zu trotten.

Sie führte ihn ein weiteres Stück auf dem Weg entlang, bis sie auf einen anderen Kiesweg abbogen, der sie zu einer der Wiesen führte. Hier gab es nicht nur langes weiches grünes Gras, sondern auch einen kleinen Teich in der Mitte, in dem sich einige Fische befanden. Es handelte sich um rötlich schimmernde Goldfische. Außerdem gab es um den Teich herum eine Menge Wasserpflanzen und in seiner Mitte eine Fontäne, die aus einer Ente aus Stein bestand, die in spöttisch anmutender Pose das Wasser aus ihrem Schnabel spritzen ließ. Sie trug Kopf und Schnabel sehr hoch, als sei sie hochmütig. Außerdem verriet die Stellung ihrer Entenfüße einen sehr stark an das Stolzieren eines Hahns erinnernden Gang. Sie stand auf einem künstlichen Felsen mitten im Teich.

Joran musste grinsen, als sie an dem Teich vorbeigingen. „Erinnert dich das an jemanden?“, fragte Illiane freundlich und aufmunternd und deutete auf die Ente. „In der Tat.“, sagte der Vendar. „Wenn du es keinem sagst, Illiane St. John, dann sage ich dir, an wen mich das erinnert. Aber ich denke, wir sollten das anders aufziehen. Hat die Ente einen Namen?“ „Wenn du mich so fragst.“, sagte Illiane. „Dann verrate ich dir jetzt mal was. Im Stillen nenne ich sie manchmal Sytania.“ „Was?!!!“, entfuhr es Joran und sein Mund wurde so groß wie ein Scheunentor. Dann schlug er sich auf die Schenkel und fing ohrenbetäubend an zu lachen. Sein Lachen wirkte auf Illiane so ansteckend, dass sie ebenfalls mit ihrer glockenhellen kleinen leisen Stimme in eben dieses einfiel. Gegen das donnernde Gelächter Jorans bildete ihr leises Gepiepse einen niedlichen akustischen Kontrast.

Die Beiden hatten so gelacht, dass sie erst einmal zu Atem kommen mussten. Dazu setzten sie sich in das weiche hohe Gras. „Du nimmst es mir also nicht übel, dass ich dieser Ente dort den Namen deiner ehemaligen Gebieterin verpasst habe?“, vergewisserte sich Illiane. „Natürlich nicht.“, sagte Joran, der beim Anblick der Ente schon wieder lachen musste. „Im Gegenteil! Dieser Name passt vortrefflich zu ihr. Genauso benimmt sich meine ehemalige Gebieterin ja auch. Genauso!“ Er lachte erneut und steckte auch sie wieder an. „Nur mit der Ausnahme.“, sagte St. John, „Dass diese Sytania statt Gift und Galle harmloses Wasser spuckt.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Was mag sich der Künstler wohl dabei gedacht haben?“ Er kratzte sich nachdenklich am Kopf.

Illiane war aufgestanden. „Wir sollten gehen.“, sagte sie. „Wir haben nicht mehr viel Zeit, obwohl die für dich im Moment ja keine Rolle spielt, weil du dich ja außerhalb von Zeit und Raum befindest. Aber deinen Freunden geht es da ganz anders. Das weiß ich.“ „Also gut.“, sagte Joran, der ihre geheimnisvolle Andeutung nicht wirklich zu deuten wusste und ging hinter ihr her.

Der Weg führte beide weiter zu der kleinen Laube, die sich recht zentral auf der Wiese gelegen befand, eine runde Form hatte und aus Holz bestand. In ihrem Inneren gab es einen runden Tisch, der auf einem einzelnen Fuß stand, der aus einem Baumstamm bestand. Der Tisch war mit roter Holzschutzfarbe angestrichen. Rundherum führte eine Bank, die ebenfalls aus dem gleichen Holz, vermutlich terranische Eiche, wie Joran an Hand der Maserung tippte, bestand und die in gleicher Weise angestrichen war. Die Bank war zur Tür der Laube hin offen.

Illiane hatte Joran in die Laube geführt. „Setz dich!“, sagte sie und deutete neben sich auf die Bank. Joran tat, worum sie ihn gerade gebeten hatte.

Kapitel 22: Das Geschenk der Quellenwesen

von Visitor

 

Sie zog an einem kleinen Knebel an einer Schnur, die sich unter dem Tisch befand und die Joran gar nicht bemerkt hatte. Augenblicklich kam ein Vorhang aus einem der zwei Pfosten der Tür und schob sich bis zum zweiten Pfosten vor. Der Vorhang bestand aus weißem geflochtenen Bändern aus Wolle, die zwar irgendwie einen Schutz bildeten, das Licht von außen aber doch durchließen. „So.“, sagte Illiane. „Nun sind wir ungestört. Ich will dir jetzt erklären, warum wir dich hierher geholt haben. Meine Freunde haben dein Schiff in der Zeit eingefroren und wir werden dich, wenn wir beide fertig sind, zu einem Zeitpunkt zurückschicken, an dem du auch deine Mission noch vollenden kannst. Da musst du dir keine Sorgen machen. Wir zwei aber, Joran Ed Namach, du und ich, wir haben eine weitaus bedeutendere Aufgabe vor uns!“

Der Vendar war sichtlich nervös geworden. „Was meinst du damit, Illiane?“, fragte er verwirrt. „Wo bin ich?“ „Du bist innerhalb der Quelle.“, sagte sie. „Ich weiß. Du denkst jetzt, dass das ja nicht sein kann, weil der Legende nach ja kein Sterblicher die Quelle betreten kann, die ja außerhalb von Raum und Zeit liegt. Aber du hast einen sehr wichtigen Zusatz in deinen Gedanken nicht berücksichtigt. Kein Sterblicher kann die Quelle lebend betreten, wenn wir es nicht erlauben. Aber in deinem Fall haben wir es erlaubt, Joran Ed Namach. Weil wir dich brauchen. Dich und deine zur Aufnahme eines Energiefeldes sehr bereite Sifa. Bitte erlaube, dass ich dich mental untersuche.“ „Also gut.“, sagte Joran, dem es sehr mulmig geworden war. Er konnte sich jetzt denken, was sie von ihm wollte, wusste aber auch, dass er sehr aus der Übung war. Weder hatte er das Fütterungsritual in letzter Zeit durchgeführt, denn ohne ein echtes Energiefeld war das ja sinnlos, noch hatte seine Sifa jetzt über fünf Jahre schon kein Feld mehr beherbergt, geschweige denn, dass er einem Telepathen in letzter Zeit Energie abgenommen hatte. Aber wenn sie ihn tatsächlich untersuchen wollte, dann würde sie dies alles ja auch feststellen.

Illiane schloss die Augen. Dann spürte Joran ihre mentale Energie, wie sie ihn durchströmte. Wenige Momente danach sah sie wieder zu ihm auf und lächelte ihn gewinnend an. „Du bist mehr als bereit.“, sagte sie. „Deine Sifa ist sehr gesund und im genau richtigen Zustand. Außerdem musst du etwas an deiner Ernährung getan haben, das die Bildung der Schleimhaut, an der die Energie haften soll, sehr begünstigt hat und ich glaube, ich weiß auch schon, was das war. Das gleiche Mittel nämlich, mit dem ich beabsichtige, dich ein wenig aufzutauen. Du bist ja total nervös, als wärst du noch ein Novize.“ „So fühle ich mich im Moment auch.“, gab Joran zu. „Das musst du nicht.“, sagte Illiane. „Ich bin doch da. Ich werde dir mithelfen, wo es notwendig ist und dich im Zweifel anleiten, wenn du willst.“ „Vielleicht funktioniert das nicht.“, sagte Joran. „Ich bin total aus der Übung, seit ich das Medikament der Tindaraner nehme. Es könnte sein, dass ich dir geistig wehtue, wenn ich dir die Energie abnehme. Dann kannst du vielleicht …“

Sie gab einen beruhigenden Laut von sich. Dann zog sie ihn an sich. „Aber nein.“, tröstete sie. „Nichts von dem wird geschehen. Du musst wirklich keine Angst haben. Du weißt doch, dass der Grad deiner Konzentration über die Geschwindigkeit bestimmt, in der du mir die Energie nimmst.“ „Siehst du.“, sagte Joran. „Das hatte ich schon wieder total vergessen.“ „Das hattest du nicht.“, sagte Illiane. „ich bin sicher, es wäre dir wieder eingefallen, sobald du meine Schläfen berührt hättest. Eure Fähigkeit ist euch doch von der Natur gegeben. Das verlernt man doch nicht.“ „Da bin ich mir nicht so sicher, Illiane.“, sagte Joran. „Aber ich bin es.“, sagte das Quellenwesen. „Und ich bin immerhin ein mächtiges Wesen. Das bedeutet, du kannst mir vertrauen, Vendar.“ „Ich werde es auf jeden Fall versuchen, Quellenwesen.“, sagte Joran. „Na, das ist ja immerhin schon mal ein Anfang.“, sagte Illiane.

Sie machte sich an einem Tablett zu schaffen, das die gesamte Zeit über in der Mitte des Tisches gestanden hatte. Auf dem Tablett befanden sich eine große Karaffe mit gelblich milchigem Inhalt und zwei weiße Gläser in der Gestalt von imperianischen Trinkhörnern, die in zwei silbrig glänzenden Metallständern standen. Diese zog Illiane jetzt näher an die Karaffe heran und füllte sie mit deren Inhalt. Dann schob sie Joran einen der Metallständer samt Glas hin und fragte: „Ananassaft?“ Dabei lächelte sie ihn an, als wollte sie ihn zum Einnehmen des Getränks regelrecht verführen. Ohne es selbst wahrzunehmen hatte Joran genickt. „Also dann.“, sagte Illiane und dann stieß sie mit ihm an. „Auf unser Vorhaben!“, sagte sie. „Möge es gelingen.“, fügte Joran, ebenfalls ohne es wahrzunehmen, mit zuversichtlichem Tonfall bei. Dann berührten sich die Gläser.

Joran nahm einen tiefen Schluck. Dabei genoss er sichtlich, wie der Saft seine Kehle herunterrann. Er hatte diesen flüssigen Leckerbissen erst gerade kennen gelernt und fragte sich, warum er nicht früher darauf gekommen war. Aber ihm brannte noch etwas anderes auf der Seele. Sie hatte viele Dinge erwähnt, die sie nur wissen konnte, wenn sie und ihre Leute ihn lange beobachtet hatten. Sicher. Sie war ein mächtiges Wesen und konnte somit auch ihre Informationen aus ganz anderen Quellen beziehen. Das wusste der Vendar, der ja selbst Jahre lang einem mächtigen Wesen gedient hatte. Genau wie seine ehemalige Herrin auch würde sich Illiane ja auch nur zu wünschen brauchen, dieses oder jenes Wissen zu haben und schon hätte sie es. Aufgrund ihrer Fähigkeiten wäre ihr das ja durchaus möglich gewesen.

Er beschloss, sie einfach mal darauf anzusprechen: „Du musst mich lange beobachtet haben, Illiane St. John.“ „Das ist korrekt, wie du sagen würdest.“, lächelte Illiane. Ihr Lächeln kam Joran sehr mild und freundlich vor. Viel freundlicher, als er es sich ausgemalt hatte. Er hatte im Stillen mit einer Art Standpauke gerechnet, aber er war umso erleichterter, als diese doch ausblieb. „Du scheinst überrascht.“, stellte Illiane fest. „Das bin ich auch.“, gab der Vendar zu. „Ich hatte befürchtet, du würdest es mir übel nehmen, wenn ich dir unterstelle, so in meine Privatsphäre eingedrungen zu sein.“ „Aber warum sollte ich?“, fragte Illiane mit sehr lieber Betonung. „Es ist doch die Wahrheit. Eigentlich bin ich diejenige, die sich bei dir entschuldigen sollte, weil ich dich beobachtet und auch Einfluss auf deinen Sifa-Zyklus genommen habe. Aber wir haben keine Zeit. Wenn wir das Ruder noch herumreißen wollen, dürfen wir nicht länger warten.“ „Ich verstehe.“, sagte Joran, der immer sehr pflichtbewusst war und der auch bereit war, für das Gelingen einer Mission bestimmte Opfer zu bringen. „Es geht hier schließlich um die Dimensionen. Da kann ich so ein bisschen Überwachung schon tolerieren.“ „Da bin ich aber froh.“, sagte Illiane erleichtert.

Joran trank aus und steckte dann sein Trinkhorn wieder in den Ständer zurück. Dann fragte er: „Kannst du mir erklären, ob die Quelle immer so aussieht?“ „Nein.“, sagte Illiane. „Die Quelle hat normalerweise ein Aussehen, das für Sterbliche nicht vorstellbar, oder gar wahrnehmbar ist. Wir haben sie aber so gestaltet, dass du in ihr leben kannst und dass du sie wahrnehmen kannst. Damit du auch mich wahrnehmen kannst, habe auch ich körperliche Gestalt angenommen.“ „Ich bin ein Vendar!“, sagte Joran und entrüstete sich fast etwas dabei. „Ich hätte dich auch so wahrnehmen können!“ „Das weiß ich doch.“, sagte das Quellenwesen. „Aber so ist es doch für uns alle viel leichter, nicht wahr? Der erste Sinn, auf den du dich konzentrierst, wenn dir jemand begegnet, sind doch deine Augen, oder?“ „In der Tat.“, gab Joran zu. „Und diese Umgebung suggeriert ja auch eine humanoide Lebensweise. Du hast Recht. Es ist schon alles so richtig, wie ihr es gemacht habt. Bitte vergib mir.“ „Schwamm drüber.“, lächelte Illiane.

Joran wartete ab, bis auch sie ihr Glas geleert hatte. Dann fragte er: „Wenn wir keine Zeit verlieren dürfen, sollten wir dann nicht gleich mit der Übertragung des Energiefeldes beginnen?“ „Oh.“, sagte Illiane und legte ein fast verführerisches Lächeln auf. „Auf einmal so forsch? Du hattest doch eben noch Angst, mir wehzutun oder etwas falsch zu machen.“ „Ich scheine durch dich neues Zutrauen gewonnen zu haben, Illiane St. John.“, sagte Joran. „Also gut.“, sagte das Quellenwesen und hielt ihm ihren Kopf hin. „Aber vorher möchte ich dir noch etwas erklären über das Feld, das du tragen wirst. Es hat kein Bewusstsein, aber trotzdem wird es die Brücke sein, über die wir mit dir beim Fütterungsritual kommunizieren werden, wenn wir dir etwas zu sagen haben.“ „Ist das Feld allein deine Schöpfung?“, fragte Joran. „Oh nein.“, sagte Illiane. „Es ist die Schöpfung aller Quellenwesen, wenn du so willst. Das Ganze ist etwas kompliziert. Nur so viel. Wir haben es in meinem Geist gezüchtet.“ „Ich denke, ich verstehe.“, sagte Joran. „Ich hoffe wirklich, dass ich jetzt gleich keinen Fehler mache.“

Vorsichtig, fast etwas zögerlich, streckte er seine Hände nach ihren Schläfen aus. „Großartiger Anfang!“, lobte Illiane und lächelte schon wieder. „Und du hast behauptet, aus der Übung zu sein.“ „Das ist eine reine Instinkthandlung gewesen.“, sagte Joran bescheiden. „Das beherrscht jeder Novize im ersten Jahr.“ „So, so.“, sagte Illiane. „Dann solltest du aber schleunigst deinen Instinkten weiter vertrauen.“

Fast ängstlich hatte Joran in der Stellung verharrt, in der seine Hände zuletzt gewesen waren. Nur wenige Zentimeter hatten sie noch von Illianes Schläfen getrennt. „Na trau dich!“, versuchte sie ihn zu motivieren. „So schlimm wird es schon nicht werden.“ „Für mich sicher nicht.“, sagte Joran und seine Stimme begann leicht zu zittern, ein Umstand, der ihm sichtlich unangenehm war. „Aber ich sorge mich um dich.“ „Das hatten wir doch schon.“, sagte Illiane. „Ich habe dir doch versichert, dass ich schon dafür sorgen werde, dass nichts geschieht.“ „Aber vielleicht kannst du das nicht.“, sagte Joran. „Auch ihr seid sterblich, wenn man euch die gesamte mentale Energie nimmt. Ich habe Angst, dass ich es nicht schaffe, die Sache rechtzeitig abzubrechen.“ „Das musst du ja gar nicht.“, sagte sie. „Ich habe nämlich so viel mentale Energie in mir, dass deine Sifa sie gar nicht auf einmal fassen kann. Ich weiß. Du denkst an die Sache mit Zirell. Aber damals hattest du drei Sifa-Zyklen hintereinander ignoriert und dann ist es kein Wunder, dass sich dein Körper, als du dem nächsten Telepathen begegnet bist, beim vierten Mal mit Gewalt geholt hat, was er wollte. Aber unsere Situation jetzt ist doch ganz anders. Erstens hat deine Sifa durch das Medikament der Tindaraner immer das Gefühl gehabt, ein Feld zu tragen, wenn auch nur die biochemischen Bedingungen hergestellt wurden, wie sie dann herrschen und zweitens kennen wir uns doch beide gut genug hiermit aus, dass eigentlich nichts passieren könnte. Du wirst schon sehen. Es wird alles gut gehen.“

Sie ließ einige Minuten verstreichen. Minuten, in denen nichts geschah. „Also gut.“, sagte sie schließlich. „Dann werde ich das wohl in die Hand nehmen müssen.“ Sie griff seine Hände und platzierte sie auf ihren Schläfen. Joran wehrte sich nicht dagegen. Er war viel zu hin und her gerissen, um zu verstehen, was sie da gerade tat. Erst als seine Hände auf ihren Schläfen lagen, wurde es ihm wieder bewusst. Aber auch jetzt schien er nicht so genau zu wissen, ob er sich wehren oder es einfach nur geschehen lassen sollte. „Ihr Götter, bitte helft mir.“, betete er. „Oh wir benötigen deine Götter nicht.“, sagte Illiane. „Sie wären doch nur Zaungäste, weil du das, was du tun musst, auch allein hinbekommst, wenn du deinen Instinkten vertraust. Vergiss mal, dass du es lange nicht mehr gemacht hast. Denk einfach nur daran, was du als nächstes tun möchtest. Was möchtest du jetzt am liebsten tun?“ „Ich möchte mich am liebsten auf meine leere Sifa konzentrieren, damit die Übertragung ausgelöst wird.“, sagte Joran. „Dann tu das.“, lächelte Illiane. „Tu dir keinen Zwang an.“

Vorsichtig begann Joran damit, sich auf seine leere Sifa zu konzentrieren. Alsbald spürte er, wie der Energiefluss von ihr zu ihm in Gang kam. „Ja richtig.“, flüsterte Illiane ihm zu. „Du schaffst es! Ich wusste es! Trau dich ruhig! Sonst sitzen wir in 100 Jahren noch hier. In deiner Zeit bei Sytania warst du doch auch nicht so zimperlich. Du tust mir schon nichts.“

Joran fasste sich ein Herz und konzentrierte sich auf seine leere Sifa, so sehr er es nur konnte. „Geht doch.“, sagte Illiane. „Der Unterschied zwischen deinen früheren Opfern und mir ist, dass ich dir die Energie freiwillig gebe! Deshalb kannst du mir nicht wehtun! Gleich haben wir es, Joran! Gleich, jetzt!“

Das Kribbeln, das Joran verriet, dass die Energie übertragen wurde, hatte geendet. Er ließ Illiane los und sah sie fragend an: „Geht es dir gut?“ „In der Tat.“, lächelte sie. „Du hast alles richtig gemacht. Aber da ist doch noch etwas.“ Joran nickte. Dann sagte er: „Es geht um das Fütterungsritual. „Ich habe Angst, dass es nicht funktioniert, weil ich es lange nicht mehr durchgeführt habe. Wenn ich den Zustand der Fütterung nicht erreiche, werde ich dein Feld verlieren.“ „Na schön.“, sagte Illiane. „Tun wir was für dein Selbstvertrauen und beweisen wir dir, dass auch das funktionieren wird. Aber dazu sollten wir die Umgebung wechseln. Vielleicht wird es ja dann für dich auch einfacher. Komm!“

Sie stand auf und winkte ihm. Dann gingen beide wieder aus der Laube und schlugen den Weg ein, den sie auch gekommen waren. Dieser führte sie dann auch bald zurück zu der Stelle, an der sie das erste Mal Rast gemacht hatten. Joran erkannte sehr genau den Teich mit der steinernen Ente in der Mitte. „Und du glaubst, dass es mir bei Sytania besser gefällt?“, scherzte er in Illianes Richtung. „Das denke ich schon.“, sagte das Quellenwesen. „Das Rauschen von Wasser kann sehr beruhigend wirken. Außerdem sind wir hier allein. Niemand anderes wird herkommen und dich und mich eventuell stören.“ „Ich verstehe.“, sagte Joran. „Deine Freunde dürften ja auch genug mit der Überwachung meines eingefrorenen Schiffes und mit der Beobachtung der für meine Freunde doch fortlaufenden Zeit zu tun haben.“ „Das ist korrekt.“, grinste Illiane. Dabei hatte sie schon wieder einen von Jorans Lieblingssätzen aufgegriffen, was der Vendar grinsend quittierte. Das war übrigens auch eines der wenigen Dinge, die Joran mit jenem Mann mit der Schlange im Bauch aus Shannons Lieblingsschmöker gemeinsam hatte. Die blonde Irin hatte ihn immer wieder damit aufgezogen, aber Joran hatte sich stets wenig daraus gemacht. Er dachte, dass er ihr am besten den Wind aus den Segeln nahm, wenn er ihr Verhalten komplett mit Unaufmerksamkeit beantwortete. Dann würde ihr schon irgendwann die Lust vergehen. Er musste nur genug Geduld haben und Joran hatte eine Menge Geduld. Ihrem sonstigen Verhalten nach sicher mehr als sie. Er konnte sich also ausrechnen, wer früher aufgeben würde.

Illiane hatte ihn zu einem künstlichen Felsen geführt. Gegenüber des kleinen für Joran gerade einmal kniehohen Steins gab es einen zweiten. „Du hast freie Auswahl.“, lächelte Illiane ihm zu. Joran überlegte kurz und setzte sich dann auf den rechten der beiden Felsen. Das Quellenwesen nahm links neben ihm Platz. Dann sah es ihn erwartungsvoll an. „Na los!“, ermunterte Illiane ihn. „Fang an. Ich werde schon auf dich aufpassen.“ „Ich weiß nicht, welches Gesicht ich dem Energiefeld geben soll.“, sagte Joran. „Wenn es eine Schöpfung von euch allen ist, dann …“ „Gib ihm von mir aus mein Gesicht.“, sagte Illiane. „Ich kann schon nachvollziehen, dass es für dich schwierig ist, wenn du nicht genau zuordnen kannst, wer der Schöpfer des Feldes ist. Noch dazu kommt, dass es ja selbst auch kein Bewusstsein hat und somit auch keine Persönlichkeit. Aber das macht nichts. Wir haben jetzt ja eine Lösung gefunden.“ „Wenn diese Lösung funktioniert.“, sagte Joran. „Das wird sie.“, sagte Illiane. „Vertrau mir bitte einfach.“ „Also gut.“, sagte der Vendar, atmete entspannt aus und begann damit, sich auf die für das Fütterungsritual notwendigen Dinge zu konzentrieren.

Sein Geist formte das Bild von einem hellen Raum. In diesem Raum gab es einen großen runden Tisch aus Buchenholz, auf dem ein weißes baumwollenes Tischtuch lag. An dem Tisch standen zwei der üblichen tindaranischen Sitzkissen sich jeweils gegenüber. Auf einem dieser Kissen saß Joran und auf dem anderen das Quellenwesen, dessen Bild Joran, wie es ihm Illiane geheißen hatte, dem Energiefeld gegeben hatte. In der Mitte des Tisches stand eine große silberne Metallschüssel, in der ein Esslöffel aus normalem Metall, wie es im Allgemeinen für schlichtes Besteck benutzt wurde, lag. Indem er die Schüssel ansah, füllte er sie mit seiner eigenen geistigen Energie.

Joran stellte sich vor, wie er dann den Löffel nahm und etwas von der Energie darauf schöpfte. Dann hielt er ihn mit einem liebevollen Blick in Richtung des Mundes des Quellenwesens, das ihn sofort genüsslich ableckte.

Es hatte nur einer dieser Durchgänge genügt und Joran spürte wie das, was er sich gerade vorgestellt hatte, langsam den Platz der Realität einnahm. Alle realen Sinneseindrücke begannen immer mehr zu verschwimmen, bis sie für ihn gar nicht mehr wahrnehmbar waren. Jetzt war er vollständig in die Welt seiner Vorstellung versunken. Dies war auch Illiane nicht verborgen geblieben, die ihn die gesamte Zeit über mental gescannt hatte. „Na siehst du.“, lächelte sie ihm zu. „Du musst dich nur trauen, dann wird es auch was.“

Es vergingen einige Minuten, in denen sich Jorans Geist quasi verselbstständigt hatte und sich völlig automatisiert dem Vorgang der Fütterung hingab. Das war bei einem geübten Vendar normal, aber Joran hatte sich selbst für so ungeübt gehalten, dass er sich das selbst gar nicht mehr zugetraut hatte. Illiane beobachtete ihn die gesamte Zeit über dabei.

Irgendwann verblassten die Bilder von ganz allein und Joran erwachte wieder aus seinem tranceähnlichen Zustand. Lächelnd begrüßte ihn Illiane. „Na, du Tiefstapler!“, sagte sie. „Habe ich dir nicht gesagt, dass es funktionieren wird?“ „Das hast du.“, gab Joran erschöpft, aber zufrieden zu. „Aber bist du sicher, dass mir das auch gelingen wird, wenn ich wieder bei meinen Leuten bin? Es könnte ja immer noch sein, dass du mir heimlich geholfen hast.“ „Hast du mein Bild ein zweites Mal gesehen, oder hast du es nicht.“, fragte Illiane. „Ich sah dich nur einmal.“, sagte Joran. „Siehst du?“, fragte Illiane. „Das bedeutet, ich war nicht mit in deinem Kopf, um dich zu unterstützen. Du hast unsere Schöpfung ganz allein gefüttert. Also wird es dir auch ein Leichtes sein, das weiterhin zu tun.“ „Wenn du dir da so sicher bist.“, sagte Joran, der immer noch von Zweifeln besetzt war. Er war nicht sicher, ob er das alles vielleicht nur träumte. „Hey!“, sagte Illiane. „Tiefstapeln ist eigentlich mein Job. Aber wie es aussieht, wächst da wohl eine ernstzunehmende Konkurrenz heran.“ Joran grinste. „Eigentlich ist es ja gar nicht meine Art, so tief zu stapeln.“, sagte er. „Aber …“ Etwas hatte ihn stutzen lassen. „Das wolltest du doch die ganze Zeit über provozieren, nicht wahr? So ein kleines Wesen und dann doch so klug! Wer hat dir die Anwendung umgekehrter Psychologie so vollkommen beigebracht?“ „Das war Agent Sedrin Taleris, die heute Sedrin Taleris-Huxley heißt.“, sagte Illiane. „Bei ihr bin ich sozusagen zur Schule gegangen. Sie war eine großartige Lehrerin!“ „In der Tat.“, gab Joran zu. „Und du musst eine ihrer fleißigsten Schülerinnen gewesen sein.“ „Das war ich wohl.“, sagte Illiane. „Aber damit sind wir schon bei dem Grund, aus dem wir dich hergeholt haben. Es wird die Zeit kommen, da wird man nach einem Weg suchen müssen, den Untergang der Dimensionen aufzuhalten.“ „Da kommt dann bestimmt das Energiefeld ins Spiel.“, sagte Joran. „Gut kombiniert.“, erwiderte Illiane. „Und damit auch alle dir glauben, wenn du dereinst dem Geheimdienst der Sternenflotte gegenüberstehen wirst, trägt das Feld, das du trägst, auch teilweise meine Signatur. Sedrin hat ein fast fotografisches Gedächtnis. Sie wird sie erkennen, denke ich, wenn sie die Signatur auf dem Display ihres Erfassers sehen wird.“ „Jetzt ergibt alles für mich langsam einen Sinn.“, sagte Joran.

Illiane stand auf. „Ich denke, es wird nun Zeit, dich wieder in die Zeit einzusetzen.“, sagte sie. „Wie gesagt, ich werde einen Zeitpunkt wählen, an dem du deine Mission noch zu Ende bringen kannst. Du musst aber deinen Leuten, insbesondere deiner Telshanach, vertrauen, egal was sie zu dir sagen wird. Es wird dir zunächst sehr seltsam vorkommen, was sie von dir verlangt. Aber du musst es trotzdem tun!“ „Ich verstehe.“, sagte Joran. „Darf ich eigentlich meinen Leuten von dem Energiefeld berichten?“ „Natürlich darfst du das.“, sagte Illiane. „Zirell von Tindara wird das sogar sehr begrüßen, denke ich. So weiß sie, dass die Quellenwesen nicht zulassen werden, dass Sytania und Valora mit ihrem Vorhaben durchkommen.“ „Ich denke, dass Valora aber nur durch ihre Eifersucht verblendet ist.“, sagte Joran. „Wirklich boshaft ist sie nicht. Aber meine ehemalige Gebieterin versteht es vortrefflich, die Lage solch verzweifelter Wesen für sich auszunutzen.“ „Ich wusste, du würdest es so sehen.“, sagte das Quellenwesen. „Ich wusste, dass du deinem Namen alle Ehre machen würdest, Joran, was in deiner Muttersprache so viel wie der moralisch Aufrechte bedeutet. Du verstehst es unbeirrbar, Gut und Böse voneinander zu trennen.“ „Auch ich könnte einmal fehlen, Illiane.“, sagte Joran. „Natürlich.“, beruhigte ihn Illiane. „Aber die Tatsache, dass dir das bewusst ist, wird die Wahrscheinlichkeit, dass es passiert, sehr stark reduzieren, denke ich. Du wirst sehr aufpassen und gut überlegen, bevor du ein Urteil fällst.“ „Anführerin Zirell behauptet, dafür wäre ich bekannt.“, sagte Joran. „Na siehst du.“, sagte Illiane. „Aber jetzt wird es wirklich Zeit, dass du nach Hause kommst.“

Joran spürte, wie sich dieselbe Art von Wolke, die ihn auch hergebracht hatte, erneut um ihn legte. Er wusste, jetzt würde der Moment seiner Abreise gekommen sein. Deshalb vertraute er der Wolke aber auch. Sie würde ihn schon wieder heil auf seinem Schiff absetzen.

Maron und Zirell hatten sich in der Kommandozentrale der Basis lange schweigend angesehen. Die letzten Informationen aus dem Maschinenraum hatten sie doch gleichermaßen irritiert und beruhigt. Eine Einmischung der Quellenwesen war durchaus als positiv zu erachten, aber dass sie eventuell die Zeitlinie kompromittieren würden, gefiel dem Ersten Offizier gar nicht. Auch ging ihm gewaltig gegen den Strich, dass die energetischen Verwerfungen, die Jenna als unsichtbare Abwinde bezeichnet hatte, eben unsichtbar waren und somit jedes andere Schiff ebenfalls in eine solche Situation geraten konnte und vielleicht war dann gerade kein Quellenwesen zur Stelle, um es zu retten.

Der Demetaner hatte begonnen, hilflos an seinen Fingernägeln zu kauen. „Was ist dein Problem, Maron?“, fragte ihn Zirell mit einem tröstenden Seitenblick in seine Richtung. „Ich halte dieses Nichtstun einfach nicht mehr aus, Zirell!“, sagte Maron. „Ich werde in den Maschinenraum gehen und mir die Sache mit diesen unsichtbaren Abwinden mal von McKnight erklären lassen. Ich denke dabei nicht nur an Joran und Shimar, sondern auch an alle anderen Patrouillen da draußen. Es könnte theoretisch jedem Piloten passieren. Vielleicht kann McKnight ja diese Dinger irgendwie sichtbar machen. Wenn ihr das gelänge, dann wären wir sicher einen großen Schritt weiter. So, wie ich sie verstanden habe, kann so etwas jederzeit und in jeder Dimension auftreten. Wenn wir die Dinger aber sehen könnten, dann könnten wir ihnen auch aus dem Weg fliegen.“ „Langsam, Maron.“, versuchte Zirell, seinen Tatendrang ein wenig zu bremsen. „Lass Jenna doch erst einmal eine Lösung für Joran finden, damit er da wieder herauskommt. Auch sie kann bestimmt nur ein schwieriges Problem auf einmal lösen und hat jetzt bestimmt keine Zeit, dir auch noch eine Lehrstunde in interdimensionaler Physik zu erteilen. Ich finde es zwar löblich, dass du etwas tun willst, aber im Moment geht das leider nicht. Aber wenn du eine Beschäftigung brauchst, dann wüsste ich da schon etwas für dich. Du wolltest dich doch um die Identität des Quellenwesens kümmern und feststellen, ob man ihr vertrauen kann oder nicht. Was ist eigentlich daraus geworden?“ „Ich habe meine Pläne diesbezüglich erst einmal wieder verworfen, Zirell.“, sagte Maron. „Ich bin nämlich nicht sicher, ob das so funktioniert, wie ich es mir vorgestellt habe und das kannst du ruhig wörtlich nehmen.“ „Wie meinst du das?“, fragte die tindaranische Kommandantin. „Es ist so.“, erklärte Maron. „Du und ich, wir haben beide die Stimme des Quellenwesens in unserem Geist gehört und ihr Bild vor unserem geistigen Auge gesehen. Ich bin aber nicht sicher, wie ich IDUSA diese Eindrücke vermitteln soll.“ „Na, das ist doch wohl das Einfachste der Welt.“, lächelte Zirell ihm zu. „Du nimmst deinen Neurokoppler und setzt ihn auf. Dann lädt IDUSA deine Reaktionstabelle und dann kann sie all’ deine Gedanken sehen. Sie kann dann auch sehen, was du dir vorstellst, weil das Bild ja auch in deinem Kopf geformt wird.“ „Gilt das auch für akustische Parameter?“, fragte Maron ungläubig. „Auch dafür.“, bestätigte die Tindaranerin.

Maron atmete erleichtert auf. „Da bin ich aber froh.“, sagte er. „Sternenflottenrechner können das nicht. Wir sind ja auch erst am Anfang, was die Neurokoppler-Technologie angeht. Da sind wir lange noch nicht so weit wie ihr.“ „Ach, das ist dein Problem.“, erkannte Zirell. „Na ja. Ist ja nicht so schlimm, wenn du von Zeit zu Zeit mal nachfragen musst. Schließlich würde ich von einem Erstklässler ja auch kein Algebra verlangen.“ „Danke für dein Verständnis.“, sagte Maron. „Nur O’Riley hätte das nicht mitbekommen dürfen. Sie hätte bestimmt wieder einen Grund zum Lästern gefunden, weil ich den Mund mal wieder etwas voll genommen hätte.“ „Ich dachte, du stehst mittlerweile über ihren Sprüchen.“, erwiderte Zirell erstaunt. „Wie man’s nimmt.“, sagte Maron. „Aber danke für deine Information. Ich werde sie gleich mal umsetzen. Es ist mir übrigens lange nicht mehr unangenehm, wenn unsere IDUSA-Einheit meine Gedanken liest. In diesem Fall muss sie es ja sogar. Ich denke sogar, dass es sehr hilfreich sein dürfte.“ „Oh ich denke auch, es dürfte dir einiges erleichtern.“, sagte Zirell. „Auch was Vernehmungen angeht.“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte der Agent. „Schon praktisch, wenn man tindaranische Technologie im Haus hat.“

Er stand auf und ging pfeifend aus dem Raum. Das Lied, das er vor sich hin pfiff, trug den Titel: „It’s so nice, to have a man around.“ Denen unter euch, die Tanzstunden besucht hatten, dürfte es bekannt sein. Maron aber hatte daraus im Stillen gemacht: „It’s so nice, to have an IDUSA Around.“, auch wenn das irgendwie nicht ganz zur Melodie passen wollte.

Kapitel 23: Mutige Schritte

von Visitor

 

Mit Hilfe der interdimensionalen Sensorenplattform hatten Jenna und Shannon Jorans Schiff beobachtet. Da es jetzt quasi nicht mehr abhängig von der Zeit war, hatte die hoch intelligente Halbschottin dies als die einzige Möglichkeit erachtet, überhaupt noch Daten von ihm bekommen zu können. Außerdem dachte sie sich, dass sie so am ehesten sehen würden, wenn Joran sich wieder an Bord befinden würde.

„Wie wollen wir das Schiff da eigentlich wieder rauskriegen, Jenn’?!“ Jenna hatte die Stimme, die sie so angesprochen hatte, irgendwie nicht wirklich wahrgenommen. Erst als Shannon ihr auf die Schulter klopfte, drehte sie sich um. Dabei schaute sie ihre Assistentin erschrocken an. „Oh, sorry.“, flapste Shannon ihr entgegen. „Wusste ja nich’, dass Sie gerade wieder beim Denken sind.“ „Schon gut, Shannon.“, sagte Jenna. „Wenn ich nur wüsste, wie wir Joran helfen können. Diese interdimensionalen Wirbel, die bei solchen energetischen Verwerfungen entstehen, sind nicht nur tückisch, sondern, wie ihr vendarischer Name schon sagt, auch noch unsichtbar. Die Kräfte, die in so einem Wirbel herrschen, können ein Schiff zerdrücken wie eine Eierschale und das wäre denkbar schlecht für den Piloten. Sie müssen sich das vorstellen wie den Wirbel eines Tornados.“ „Oh.“, stöhnte Shannon. „Das is’ verdammt übel! Aber auch so ein Wirbel saugt einen doch hoch und spuckt einen irgendwann auch wieder aus.“ „Das ist richtig.“, sagte Jenna. Aber wir wissen nicht, wo das sein wird. Er kann in einer völlig fremden Dimension wieder auftauchen, oder auch hier. Wir müssten wissen, wo Ende und Anfang des Wirbels sind. Aber das können wir ja im Augenblick nicht sehen.“

Shannon hatte einen kurzen Blick auf den virtuellen Monitor geworfen, den IDUSA ihr und Jenna gleichermaßen über die Neurokoppler gezeigt hatte. Dann sagte sie grinsend: „Ich glaube, da liegt unser Jenn’-Nie ausnahmsweise mal falsch.“ Jenna sah sie an. „Was meinen Sie damit?“, sagte sie mit leicht verwirrtem Ausdruck im Gesicht. „Das werden Sie gleich sehen.“, sagte die blonde Irin und grinste noch stärker. Dann stellte sie sich ihre Hand vor, wie sie über den Bildschirm schwebte und dann über einem bestimmten Punkt innehielt. IDUSA setzte dies sofort als Befehl um und ließ es auch Jenna sehen. „Wo für halten Sie denn wohl das hier?“, fragte Shannon und klang dabei schon fast etwas schadenfroh. Sie war sicher, dass es Jack O’Neill aus ihrem Lieblingsbuch niemals vergönnt war, Samantha Carter, das Genie der Truppe, als das auch Jenna galt, auf etwas hinzuweisen, aber dass das Schicksal ihr offenbar jetzt diese Rolle zugewiesen hatte, fand sie äußerst amüsant.

Ungläubig starrte Jenna mit ihrem geistigen Auge auf das Bild, das sich ihr bot. Genau sah sie jetzt den Verlauf des Wirbels. Allerdings fiel ihr auf, dass dieser die gleiche energetische Struktur wie die Energie aufwies, die sich in den Systemen für den Interdimensionalen Antrieb der IDUSA-Einheit befand. „Ich glaube, IDUSAs Systeme haben den Wirbel regelrecht angezogen, Shannon!“, sagte sie begeistert. „Ich denke, jetzt habe ich endlich etwas, mit dem ich arbeiten kann! Ich danke Ihnen, Assistant!“

Sie stand auf und fiel Shannon um den Hals. „Oh, Jenn’.“, presste die blonde Irin hervor, die von ihrer Vorgesetzten so heftig gedrückt worden war, dass sie befürchtet hatte, ihr würde die Luft wegbleiben. „Zu viel der Ehre. Aber lassen Sie mich bitte los. Sonst muss Zirell noch eine echt irische Beerdigung schmeißen und das würde ich gar nich’ so gut finden, weil ich dann nich’ mitmachen könnte, weil es nämlich die Meine wäre. Das wäre ’ne echte Sauerei, wenn Sie mich fragen. Ich liebe nämlich echt irische Beerdigungen!“ „Oh.“, machte Jenna, grinste und ließ Shannon los. „Dafür möchte ich natürlich nicht verantwortlich sein. Aber ohne Sie hätte ich niemals herausgefunden, dass der Wirbel offensichtlich von IDUSAs interdimensionalen Antriebssystemen und dem dazugehörigen Netzwerk regelrecht wie von einem Magneten angezogen und wohl auch gespeist wird. Vielleicht bricht er zusammen, wenn wir ihm von jetzt auf gleich seine Energiequelle entreißen.“ „Das würde was bedeuten?“, fragte Shannon. „Ich meine, ein langsames Herunterfahren der Systeme würde sicher nicht schnell genug gehen, oder?“ „Ganz richtig.“, sagte Jenna. „Wir müssen Joran sagen, er muss das System hart abschalten. Er muss ihm die Hauptenergie nehmen und das erreicht er nur, wenn er das richtige Modul herauszieht. Sobald wir die Datenverbindung wiederhaben und er wieder an Bord ist, werde ich es ihm sagen.“

Shannon hatte sich wieder der Arbeitskonsole zugedreht. „Ich denke, das können Sie bald haben, Jenn’.“, sagte sie. „Die Verbindung is’ wieder da. Offenbar haben die Quellenwesen Jorans Schiff losgelassen. Laut Sensoren ist auch er wieder an Bord.“ „Die erste gute Nachricht seit langem, Shannon.“, sagte Jenna erleichtert. Dann befahl sie in Richtung des Rechners: „IDUSA, Sprechverbindung mit Jorans Schiff aufbauen!“

Die Wolke hatte Joran im Inneren des Cockpits seines Schiffes abgesetzt, ihn freigegeben und sich dann aufgelöst. Der Vendar, dem klar war, dass dies auf ihn zukommen würde, hatte dies aber durchaus auf der Rechnung gehabt. Deshalb hatte er auch seine Orientierung schnell zurück. Sofort schnappte er sich seinen Neurokoppler und setzte ihn auf, was IDUSA erleichtert zur Kenntnis nahm und sofort seine Reaktionstabelle lud.

„Da sind Sie ja wieder!“, begrüßte ihn der Avatar mit erleichtertem Gesicht. „Aber ich bin verwirrt. Offenbar hat sich etwas bei Ihnen verändert. Sie tragen ein Energiefeld. Aber das können Sie sich unmöglich in einer Sekunde geholt haben.“ „Das habe ich auch nicht.“, sagte Joran. Er wurde das Gefühl nicht los, seinem Schiff dringend etwas erklären zu müssen. „Aber man hat dich in der Zeit eingefroren, während man mich entführt und mir das Feld übertragen hat. Das wird deine Datenlücken erklären.“ „Wer ist „man“?“, fragte IDUSA. „Ich konnte die Signatur der Wolke, die Sie aus meinem Cockpit geholt und auch hier wieder hergebracht hat, nicht identifizieren.“ „Die Quellenwesen sind die Schöpfer des Feldes.“, sagte Joran. „Ich weiß. Ich wollte keinem Mächtigen mehr dienen. Zumindest hat deine Regierung das wohl so verstanden. Aber ich glaube manchmal, dass sie sich die Sache auch so zurechtlegen, wie sie ihnen passt. Sie hätten mir damals genauer zuhören sollen, als sie mich bezüglich meiner Ambitionen interviewt haben. Ich hatte gesagt, ich will nie wieder Sytania dienen! Ich habe niemals ausgeschlossen, dass ich mich nicht einem guten Mächtigen anschließen würde.“ „Bedeutet Ihre Einlassung, dass wir Sie an die Quellenwesen verlieren werden?“, fragte das Schiff. „Aber nein.“, antwortete der Vendar und stellte sich vor, dass er ihren Avatar vor seinem geistigen Auge tröstend ansah. „Da musst du dich nicht sorgen. Ich soll das Feld nur zu seiner vollständigen Entwicklung bringen. Mehr haben die Quellenwesen mir nicht gesagt. Aber ich vertraue ihnen und ich denke, das werden die anderen auch, wenn sie hören, dass ich mich mit Illiane St. John unterhalten habe.“ „Ich weiß, wer das ist.“, sagte IDUSA. „Sie galt zu ihren Lebzeiten als sehr loyal und die Besatzung des Schiffes, auf dem sie stationiert war, hat ihr sehr vertraut, obwohl sie eine ehemalige Raumpiratin war.“ „Das ist korrekt.“, sagte Joran.

Ihm war aufgefallen, dass sie sich noch immer in dem Wirbel befanden, IDUSA sich aber mit ihm drehte. Außerdem flog sie auf Automatik, was ja auch kein Wunder war, nachdem ihr Pilot sie so plötzlich verlassen hatte. „Das machst du sehr gut, IDUSA.“, sagte Joran freundlich. „Mir bleibt ja auch gar nichts anderes übrig.“, sagte das Schiff. „Wenn meine Hülle intakt bleiben soll, darf ich den Kräften hier ja keinen Widerstand entgegenbringen. Das haben Sie mir ja beigebracht, indem Sie auch erst gar nicht den Versuch unternommen haben gegenzusteuern.“ „Und das aus gutem Grund!“, sagte der erfahrene Flieger fest. „Sonst hätten wir nämlich die Wahl gehabt, ob wir zerrissen oder zerquetscht werden wollen.“ „Das ist korrekt.“, sagte jetzt IDUSA ihrerseits. „Aber so mancher andere Pilot hätte das wohl versucht.“ „Und hätte euch beide getötet, der Narr!“, entgegnete Joran und machte ein verächtliches Gesicht. „Dabei sollte doch jeder wissen, dass man nicht jeder Welle davonschwimmen kann und sich manchmal, wenn sie einen trifft, besser einfach tragen lässt, um nicht zu ertrinken. Keine Angst! Du wirst so etwas weder bei mir, noch bei Shimar erleben!“ „Ich bin eine künstliche Intelligenz.“, sagte das Schiff. „Ich kann keine Angst empfinden.“ „Trotzdem schwöre ich dir, dass Shimar oder ich dir oder deiner Kollegin niemals so etwas antun werden!“ „Wie bin ich erleichtert!“, sagte IDUSA, eine Reaktion, die zu ihren erlernten Verhaltensweisen gehörte. Erleichterung an sich konnte sie ja auch nicht empfinden, musste aber eine Möglichkeit finden, diese Diskussion schnell zu beenden.

Ein Blinklicht auf der virtuellen Konsole vor Jorans geistigem Auge lieferte auch bald den Grund. „Ich glaube, da hat jemand Sehnsucht nach uns.“, sagte Joran. „Das ist korrekt.“, antwortete das Schiff. „Ich habe Ihre Freundin für Sie, die offenbar eine Lösung für unser Problem hat.“ „Dann gib sie her!“ befahl Joran. IDUSAs Avatar nickte.

Das Bild vor seinem geistigen Auge wich dem von Jenna. „Telshanach, ich höre.“, sagte er ruhig und signalisierte mit einem aufmerksamen Gesicht Aufnahmebereitschaft für jede Theorie von ihr, so absurd sie vielleicht im ersten Moment klingen mochte. „Hi, Joran.“, sagte eine leicht aufgeregte McKnight. „Hör mir jetzt bitte genau zu! Wir haben herausgefunden, dass das gesamte Netzwerk für IDUSAs interdimensionalen Antrieb offenbar sehr attraktiv für unsichtbare Abwinde ist. Offenbar speist sie den Wirbel sogar noch. Wir können ihn nur zerstören, wenn du diese Energie blitzschnell abschaltest und ich meine blitzschnell. Wenn du die Systeme erst langsam herunterfährst, geht das nicht schnell genug. Der Wirbel könnte sich anpassen und euch trotzdem bis zu seinem Ende mitnehmen, wo immer das auch sein möge. Du musst das System für den interdimensionalen Antrieb hart abschalten. Weißt du, was das bedeutet?“ „Nicht genau, Telshanach.“, sagte Joran. „Also gut.“, sagte Jenna. „Dann werde ich es dir jetzt erklären, damit keine Missverständnisse auftreten. Du musst dem Hauptrechner für den interdimensionalen Antrieb von jetzt auf gleich seine Energie nehmen. Lass dir bitte einen nicht leitfähigen Handschuh replizieren. Das dürfte in jedem Fall gesünder für dich sein. Die Riegel an den Modulen sind zwar auch nicht leitfähig, aber sicher ist sicher. Dann soll dir IDUSA Wartungsschacht K20 öffnen. Wiederhole bitte, Joran! Welchen Wartungsschacht soll IDUSA öffnen?“ „Wartungsschacht K20, Telshanach!“, wiederholte Joran fest. „Richtig.“, bestätigte Jenna. „Ich wollte nur sicher gehen, dass alles akustisch richtig bei dir angekommen ist. Unsere Verbindung wird schlechter und es könnte Schwierigkeiten geben.“ „Schon gut, Telshanach.“, sagte Joran. „Das habe ich auch schon gemerkt. Die Wartungsschächte liegen aber hinten. Ich werde unser Gespräch auf mein Handsprechgerät legen müssen.“ „Das ist schon OK.“, sagte Jenna. „Solange du IDUSA als Relais benutzt.“ „Genau das habe ich vor.“, sagte der Vendar und zog das Gerät aus der Tasche. „OK.“, sagte die hoch intelligente Halbschottin. „Dann gib IDUSA die notwendigen Befehle und geh nach hinten. Du musst dich beeilen! Viel Zeit haben wir nicht mehr, wenn ich dich auch noch durch die ganze Sache sprechen muss. Du musst ja wissen, welche Leitung es ist. Aber das kann ich dir auch jetzt sagen, Joran.“, sagte Jenna. „Wenn du vor dem Schacht stehst, ist es …“ Die Verbindung war zusammengebrochen.

Joran schaute zuerst etwas ratlos vor sich hin. Dann aber stand er auf und sagte: „Also gut, IDUSA. Dann müssen wir das eben allein hinbekommen! Öffne mir Wartungsschacht K20!“ „Ich habe alles mitbekommen.“, sagte das Schiff und ihr Avatar machte ein sorgenvolles Gesicht vor Jorans geistigem Auge. „Aber wenn Sie dem System die Energie nehmen, ohne dass ich vorher noch einmal die Daten speichern kann, werden die Programme Schaden nehmen!“ „Ich habe Jenna genau zugehört.“, sagte der Vendar. „Sie hat meiner Ansicht nach nicht gesagt, dass du deine Daten nicht speichern darfst. Die haben ja schließlich nichts mit der Energieversorgung zu tun, oder?“ „Das ist richtig.“, sagte IDUSA. „Also dann.“, sagte Joran und drehte sich in Richtung Tür, die ihn in die Achterkabine und von dort in den Frachtraum führte, wo sich auch die Zugänge für die Wartungsschächte befanden. Vorher hatte er aber noch den Handschuh mitgenommen, den ihm das Schiff, wohl als Vertrauensbeweis, gerade repliziert hatte.

Hier steckte Joran sofort wieder seinen Neurokoppler an. „So, IDUSA.“, sagte er und zog sich den weißen Handschuh über die rechte Hand. Dieser bestand aus einem nicht leitfähigen Material und war sehr anschmiegsam und bewegungsfreundlich. „Also gut, IDUSA.“, sagte Joran. „Dann werden wir jetzt mit unserer Rettung aus eigener Kraft beginnen!“ „Darf ich fragen, wie Sie das ohne die Hilfe von Techniker McKnight bewerkstelligen wollen?“, fragte IDUSA. „Natürlich darfst du das.“, sagte Joran. „Ich werde jetzt gleich einige Module der Reihe nach entriegeln und bewegen. Sag mir, wenn eines davon für die Hauptleitung des Rechners des interdimensionalen Antriebs zuständig ist!“ „Also gut, Joran.“, sagte IDUSA.

Der Vendar griff mit der rechten Hand, über die er den Handschuh gezogen hatte, nach dem ersten Modul und tat, was er gerade gesagt hatte. „Sie sind richtig.“, sagte das Schiff.“ „Also gut.“, sagte Joran. „Dann speichere deine Daten, IDUSA! Es geht los!“ Er zog das Modul heraus.

Ein Surren in IDUSAs Systemen kündete vom schnellen Herunterfahren des Rechners für den interdimensionalen Antrieb. Dann brach auch der Wirbel in sich zusammen und gab das Schiff wieder frei. Joran bemerkte das nur anhand eines starken Rucks, der durch das gesamte Schiff ging.

Er steckte das Modul zurück und ging wieder ins Cockpit. Dann sagte er: „In Ordnung, IDUSA. Wo sind wir?“ „Wir befinden uns im tindaranischen Universum, Joran.“, sagte das Schiff, nachdem sie ihre Sensorenwerte überprüft hatte. „Das ist ja sehr gut.“, sagte Joran. „Dann suche nach Shimars Schiff und bring uns hin. Vorher rufst du die Station! Ich möchte meiner Telshanach sagen, dass es geklappt hat.“ „Wie Sie wünschen, Joran.“, sagte IDUSA und führte Jorans Befehle aus.

Den Zusammenbruch der Verbindung hatten natürlich auch Jenna und Shannon an ihrem Arbeitsplatz mitbekommen. „Verdammt, Shannon!“, zischte die hoch intelligente Halbschottin ihrer irischen Assistentin zu. „Gerade jetzt, als ich ihm den Weg zeigen wollte!“ „Wo is’ denn das Problem?“, fragte die blonde Irin unverständig. „Der Grizzly dürfte doch mit Ihren Infos prima klarkommen! Und wenn nich’, dann findet er sicher selbst einen Weg. Da würde ich sogar mit Ihnen drum wetten. Der Grizzly is’ der Grizzly, Jenn’! Der wuselt sich aus jeder blöden Situation wieder raus. Sie werden schon sehen.“ „Das hier ist eine hoch komplizierte technische Operation, Shannon.“, sagte Jenna und bemühte sich ernsthaft darum, nicht über ihren Witz zu lachen. Die Fähigkeit zum Wuseln wurde ja im Allgemeinen eher kleineren Wesen zugeschrieben und zu denen zählte Joran ja nun so gar nicht. In ihrem Kopf hatten sich zu diesem Thema aber eine Menge lustiger Bilder angesammelt. Jenna aber wollte verhindern, dass ihre Assistentin den Eindruck gewann, es sei alles nur ein lustiges Spiel. Das war es in ihren Augen nämlich gar nicht. Es gab ihrer Meinung nach noch viel zu viele Variablen, die zu Komplikationen führen konnten, wenn die Kommunikationsverbindung nicht augenblicklich wieder hergestellt wurde. „Ach deswegen meinen Sie, dass das außer Ihnen keiner verstehen soll.“, sagte Shannon und klang sehr fasziniert. Allerdings übertrieb sie es dermaßen mit der Schauspielerei, dass sogar ein Tauber gehört hätte, wie sehr sie sich über Jennas letzte Äußerung lustig machte.

Jenna wandte sich dem Rechner der Station zu: „IDUSA, kannst du mich erneut über das interdimensionale Relais mit Joran verbinden?“ „Bedaure.“, gab der Rechner zurück und ihr Avatar vor Jennas geistigem Auge machte ein trauriges Gesicht. Gleich darauf aber schlug ihr Ausdruck in Fröhlichkeit um und sie fügte bei: „Das kann ich nicht, weil sich Joran und sein Schiff bereits wieder in unserer Dimension befinden. Außerdem ruft er uns gerade. Er verlangt gezielt nach Ihnen, Techniker McKnight.“

Verwirrt sah Jenna sich im Raum um. Ihr Blick traf sich mit dem von Shannon, die darauf mit einem breiten Grinsen reagierte. „Na, Jenn’!“, grinste sie. „Wer hat denn jetzt wohl Recht gehabt, he?“ „Sie, Assistant.“, sagte Jenna erleichtert. „Offensichtlich habe ich Ihre Fähigkeit, die Talente meines Freundes einzuschätzen, gründlich unterschätzt. Tut mir leid. Ich sollte Ihnen vielleicht öfter zuhören und nicht gleich immer alles abtun, was Sie so von sich geben.“ „Darum möchte ich aber auch gebeten haben.“, sagte Shannon und grinste erneut.

IDUSAs Avatar vor Jennas geistigem Auge hatte eine Handbewegung ausgeführt, als hätte sie Jenna zu sich heranwinken wollen und sich geräuspert. Da die hoch intelligente Halbschottin immer noch den Neurokoppler trug, hatte sie dies zweifelsfrei mitbekommen. „Ich bin ja schon da, IDUSA.“, sagte sie beschwichtigend und wandte sich wieder ihrer Arbeitskonsole zu. „Verbinde mich jetzt bitte mit Joran.“ „Wie Sie wünschen, Techniker.“, sagte IDUSA gewohnt nüchtern.

McKnight sah, wie der Avatar einige Schritte zurück tat, um Jorans Bild Raum zu geben. Das geschah immer, wenn der Rechner eine Verbindung mit jemandem schaltete und war für Jenna deshalb nicht weiter verwunderlich. Dann sah sie das Bild ihres Freundes. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, dass es Joran offensichtlich gut ging und dass er und sein Schiff offenbar noch immer in einem Stück waren.

„Ich grüße dich, Telshanach!“, sagte der Vendar und machte keinen Hehl daraus, wie stolz er auf die eigene Leistung war, sein Schiff auch ohne ihre weiteren Anweisungen aus eigener Kraft und vor allem aus eigenem Wissen wieder aus dem Wirbel befreien gekonnt zu haben. Sicher hatte sie ihn in die richtige Richtung geschickt, den Weg aber war er dann ganz allein bis zum Ende gegangen, als die Physik verhindert hatte, dass sie ihn weiter begleitete.

Jenna musste ein paar Mal tief durchatmen, bevor sie das Gespräch aufnehmen konnte. Dann aber stellte sie sich vor, den Sendeknopf auf der virtuellen Konsole vor ihrem geistigen Auge zu drücken und sagte: „Oh, Telshan! Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich hatte schon gedacht, dass wir uns nicht mehr wieder sehen, als unsere Verbindung zusammenbrach. Aber offenbar hast du es allein hingekriegt.“ „Hast du mir das denn wirklich nicht zugetraut, Telshanach?“, fragte Joran. „Hast du gedacht, ich würde mich nicht mehr an deine kleinen Tricks und Kniffe erinnern, über die du mit uns allen manchmal ganz beiläufig redest? Ich bin ein Vendar! Wir haben ein sehr gutes Gedächtnis für Details, Telshanach.“ „Ich finde interessant, dass du offenbar auf alle möglichen Dinge achtest.“, sagte Jenna. „Ich liebe dich, Telshanach.“, sagte Joran. „Deshalb ist mir extrem wichtig, was du sagst.“ „Schmeichler.“, sagte Jenna und lächelte. „Aber ich möchte wirklich wissen, woher du wusstest, was zu tun war. Wer hat dir verraten, welche Leitung die richtige ist?“ „Das will ich dir alles gern erklären, Telshanach.“, sagte Joran. „Ich werde das tun, sobald ich wieder zurück bin. Ich denke, Anführerin Zirell und Agent Maron werden ebenfalls mit mir sprechen wollen und da kann ich ja dann auch gleich alle Karten auf den Tisch legen. Du solltest dann ebenfalls anwesend sein. Du und Ishan. Mach dir bitte keine Sorgen. Es ist alles gut bei mir. Aber ich werde euch allen etwas sehr Wichtiges sagen müssen. Jetzt suche ich aber erst einmal nach Shimar und nehme ihm unseren Patienten für Nidell und Ishan ab, damit er auch seine Mission vollenden kann.“ „In Ordnung, Joran.“, sagte Jenna. „Ich werde Zirell und Maron schon einmal informieren.“ „Tu das.“, sagte Joran und beendete die Verbindung.

Das tindaranische Schiff, über dessen Systeme das Gespräch gelaufen war, wendete sich etwas irritiert an ihrem vendarischen Piloten: „Warum haben Sie Jenna noch nichts von dem Feld und den Quellenwesen erzählt, Joran?“ „Ich wollte sie nicht mit zu vielen Informationen überfordern, IDUSA.“, antwortete der Vendar. „Interessant.“, erwiderte das Schiff. „Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass eine so intelligente Person wie Techniker McKnight mit diesen Informationen überfordert wäre.“ „Du kennst sie noch nicht so gut.“, sagte Joran. „Du bist erst seit kurzer Zeit bei uns. Deshalb halte ich dir das zugute. Aber ich habe auch keine Lust, alles doppelt und dreifach zu erzählen und jetzt such nach Shimar!“ „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und begann mit der Suche, die sie bald schon erfolgreich beendet hatte. „Ich habe ihn gefunden, Joran.“, meldete sie und ihr Avatar lächelte ihn an. „Gut.“, sagte Joran nur kurz und knapp. Der Vendar war noch nie ein Freund großer Worte gewesen. Das hatte er übrigens auch mit dem Mann mit der Schlange im Bauch aus Shannons Lieblingsbuch gemeinsam. Shannon hatte es in beiden Fällen mit der fremden Muttersprache und dem damit vorhandenen vielleicht nicht ausreichenden Englisch in Zusammenhang gebracht. „Dann übernimm das Steuer und bring uns hin!“, befahl Joran. IDUSAs Avatar nickte und das Schiff machte sich daran, seine Befehle auszuführen.

Shimars IDUSA-Einheit hatte die Annäherung Jorans und seines Schiffes registriert. „Es sieht aus, als hätte sich Joran selbst aus seiner Lage befreien können, Shimar.“, sagte das Schiff. „Sie hatten wohl doch Recht. Es tut mir leid, dass ich so vorschnell war.“ „Es muss dir nicht leidtun, IDUSA.“, tröstete der Tindaraner. „Wenn ich die Einmischung des Quellenwesens nicht auch gespürt hätte, dann hätte ich sicher genauso reagiert.“ „Da haben Sie mir etwas voraus.“, sagte IDUSA. „Als Telepath verfügen Sie über diese Möglichkeit, die ich, als künstliche Intelligenz, nicht habe.“ „Das weiß ich doch.“, sagte Shimar. „Und deshalb werde ich die Sache auch auf sich beruhen lassen und dich nicht melden. Du konntest ja nichts dafür, dass du keine Telepathie empfangen kannst. Jedenfalls nicht direkt.“ „Ich danke Ihnen.“, sagte das Schiff und ihr Avatar machte ein erleichtertes Gesicht. „Sie sind, meinen Herstellern sei Dank, keiner von den Piloten, die dann sofort glauben, ich würde ihre Autorität untergraben wollen. Nein, Shimar. Sie gehen der Sache erst einmal auf den Grund und urteilen dann.“ „Das ist wohl auch der Grund, aus dem wir beide uns so gut verstehen.“, sagte Shimar und lächelte. „Ich habe deine Diskussionsfreude nie als Problem, sondern eher als Bereicherung empfunden. Aber was hast du da eben gesagt? Du bezeichnest deine Hersteller als eine Art Götter? Dabei sind und waren es doch nur ganz normale tindaranische Techniker!“ „Na ja.“, sagte IDUSA. „Das war wohl eher metaphorisch gemeint. Sie sagen ja auch: Den Göttern sei Dank, obwohl Sie heute genau wissen, dass Sie ein Produkt der Evolution sind. Ich habe nur nach einem Äquivalent gesucht.“ „OK.“, sagte Shimar langsam und deutlich und löste sich langsam aus jener angespannten Haltung, die er kurzzeitig eingenommen hatte. „Dann willst du also keinen von uns in den Gottesstand erheben. Das konnte ich mir bei dir auch nicht wirklich vorstellen, so aufgeklärt wie du bist. Außerdem: Wie hätte ich das Jenna und Shannon erklären sollen, dass du in Zukunft vorhast, sie und ihresgleichen anzubeten? Ich glaube, die wären nicht so begeistert gewesen.“ „Ihre Vermutung deckt sich vollständig mit den Profilen, die ich über Techniker McKnight und Technical Assistant O’Riley angelegt habe.“, sagte IDUSA. „Weder die eine, noch die andere würden eine solche Erhebung, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, jeweils gut heißen. Jenna, weil sie zu vernünftig ist und genau weiß, dass sie eben nicht unfehlbar ist und Shannon, weil sie die Mächtigen an sich nicht mag und deshalb auf keinen Fall mit ihnen auf einer Stufe stehen möchte.“ „Das ist wohl richtig, IDUSA.“, antwortete Shimar.

Joran und sein Schiff waren jetzt in Sensorenreichweite von Shimars Schiff gekommen. „Ich sehe Shimars Schiff.“, meldete IDUSA an Joran. „Und ich sehe auch ein Veshel, das sich in ihrem Traktorstrahl befindet. An Bord des Veshel befindet sich ein schwaches vendarisches Lebenszeichen. Es ist schwach, aber stabil. Offenbar hängt es an einer Überlebenseinheit.“ „Ruf Shimar!“, befahl Joran. „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und stellte die Sprechverbindung für den Vendar her.

Shimar und seine IDUSA hatten den Ruf durchaus mitbekommen. „Ich habe Joran für Sie, Shimar.“, sagte das Schiff. „Stell ihn durch!“, antwortete der junge tindaranische Flieger. „Sofort, Shimar.“, sagte IDUSA.

Das Bild ihres Avatars wich dem von Joran. „Hi, Kumpel.“, flapste Shimar und grinste ihn an. „Ich grüße dich, mein Freund.“, sagte der Vendar viel förmlicher, was seine typische Art war. Shannon hatte ihm dies zwar oft vorgeworfen, er hatte es aber bis heute nicht abstellen können. Der Grund dafür war sicher seine dem Englischen nun überhaupt nicht ähnliche Muttersprache und die Tatsache, dass er in Kreisen verkehrt hatte, in denen eine leicht geschwollene Sprache durchaus zur Tagesordnung gehörte.

„Ich bin hier, um dir deinen Patienten abzunehmen.“, sagte der Vendar. „Dann komm bitte erst zu mir an Bord.“, sagte Shimar. „Ich muss dir noch etwas geben und dann muss ich dir noch etwas vorspielen. Hier sind Dinge passiert, die nicht so ganz koscher sind. Dein Schiff kann das von Diran ja schon einmal in den Traktorstrahl nehmen.“ „In Ordnung, Shimar.“, sagte Joran. „Dann sag deinem Schiff bitte, dass es mich holen soll.“ „OK.“, sagte Shimar. „Dann halt dich bitte bereit.“

Er stellte sich vor, den Avatar seines Schiffes vor seinem geistigen Auge anzusehen und sagte: „Du hast ihn gehört, IDUSA.“ „Sicher.“, sagte das Schiff nüchtern. „Ich habe den Traktorstrahl von Jorans Schiff registriert. Ich löse jetzt unseren. Joran habe ich ebenfalls mit dem Transporter erfasst. Ich beame jetzt!“

IDUSAs Transporter summte und dann nahm Shimar eine immer fester werdende Säule aus Energie neben sich wahr, die langsam die Gestalt seines Freundes annahm. „Schön dich zu sehen.“, lächelte er ihm zu. „Das gleiche gilt auch für dich.“, sagte Joran und lächelte ebenfalls. Dann sagte er: „Wir sollten schnell zur Sache kommen. Diran hat wenig Zeit, wenn ihm noch geholfen werden soll.“ „Schon gut.“, sagte Shimar. „Setz dich erst mal.“ Er deutete auf den Sitz neben sich.

Joran nickte und setzte sich neben seinen Freund, der dabei war, etwas aus seiner Uniformtasche zu holen. Dabei schien er etwas nervös. „Ist etwas mit dir nicht in Ordnung?“, fragte der Vendar besorgt. „Wie man’s nimmt.“, sagte Shimar. „Ich habe das Gefühl, dass du ein Energiefeld trägst. Aber das kann auch täuschen. Wenn ich deinen Sifa-Zyklus richtig im Kopf habe, dann müsstest du heute dringend zum Arzt. Ich meine, Ishan müsste dir das Medikament geben, damit du nicht zur Gefahr für uns Telepathen werden kannst. Deiner Sifa müsste vorgespielt werden, dass du ein Feld trägst. Aber meines Wissens werden dann doch nur die biochemischen Gegebenheiten verändert und es gibt keine echte Energie, die ich spüren könnte. Was kann das sein?“ Er kniff konzentriert die Augen zusammen. „Wenn du mich mal ausreden lassen würdest.“, sagte Joran etwas genervt. „Dann würdest du bald wissen, dass du dir diese Mühe sparen kannst. Deine telepathische Wahrnehmung stimmt nämlich. Ich trage ein Feld.“

Wie versteinert saß Shimar da und brachte kein Wort heraus. Die angestrengte Überprüfung seiner telepathischen Wahrnehmung hatte er wieder abgebrochen. In jenem Zustand, in dem er jetzt war, hätte dies, so empfand er es zumindest, ohnehin nicht funktioniert. „Was hast du da gerade gesagt?“, sagte er. „Sag das bitte noch mal!“ „Meinst du alles?“, fragte Joran grinsend. „Dann muss ich aber genau überlegen. Ich kann meine Worte von gerade nämlich nicht mehr auswendig. Aber vielleicht kann IDUSA mir helfen.“ Er grinste breit. „Von wegen, du Witzbold.“, sagte Shimar und musste ebenfalls grinsen. „Aber du weißt doch ganz genau, was ich meine. Ich meine den Satz mit dem Feld.“ „Also gut.“, sagte Joran. „Ich trage ein echtes Feld. Die Quellenwesen haben es mir gegeben.“ „Also doch.“, sagte Shimar. „Was hat es damit auf sich? Ist es ein Wesen? Ich meine, hat es ein Bewusstsein? Ich habe keines gespürt, aber …“ „Dein Gefühl ist korrekt.“, sagte der Vendar. „Es ist nur Energie, die sie mir anvertraut haben. Ich weiß nicht, wie lange ich sie tragen werde, noch weiß ich, was genau ihre Aufgabe sein wird. Ich weiß nur, dass sie auch eine Brücke zu den Quellenwesen darstellt. Sie kommunizieren über sie mit mir, wenn ich das Fütterungsritual durchführe.“ „Sieh an, sieh an.“, sagte Shimar. „Dann würde ich sie an deiner Stelle mal fragen, was das zu bedeuten hat.“ „Das habe ich schon getan.“, sagte Joran. „Illiane St. John, das Quellenwesen, das mir das Feld übergeben hat, hat mir alle Informationen gegeben, die sie für richtig hielt. Ich war lange bei ihr. Es ist viel Zeit vergangen. Aber sie scheint mich zu einem Moment zurückgebracht zu haben, der nicht so fern liegt.“ Er hatte einen Blick auf die Zeitanzeige von Shimars Sprechgerät werfen können, das aus der Brusttasche seiner Uniform ragte. „Offensichtlich.“, sagte der junge Tindaraner und begann ebenfalls in der Tasche zu kramen.

Er zog den kleinen Behälter mit den Resten des Glasröhrchens hervor und übergab ihn Joran. „Für Agent Maron.“, fügte er bei. „Vielleicht kann auch Ishan damit was anfangen, falls er die Menge des Giftes berechnen will, die Diran genommen hat.“ „Gift?“, fragte Joran verwundert. „Pass auf!“, sagte Shimar.

Er zog sein Sprechgerät aus der Tasche. Die Nachricht, die er während seiner überwachten Außenmission auf Dirans Schiff gehört hatte, war von diesem aufgezeichnet worden. „Du musst die Qualität entschuldigen.“, sagte Shimar. „Ich musste das Mikrofon über den Monitor halten und über den Lautsprecher. Es kann sein …“ „Schon gut.“, drängte Joran. „Mach einfach! Ich werde mit ein wenig Kratzen und einem verschwommenen Bild schon klarkommen!“ „Also gut.“, sagte Shimar und tippte auf ein Symbol im Display, worauf das Gerät mit dem Abspielen der Aufzeichnung begann: „Meine Freunde, wenn einer von euch diese Nachricht findet, weile ich vielleicht nicht mehr unter den Lebenden, oder ich liege im Koma. Ich habe mich selbst gerichtet, denn es darf nicht sein, dass ich Sytania weitere Informationen gebe. Offenbar hat mich meine Herrin versehentlich unter die falsche Art von Bann gestellt. Ich bin mir dessen natürlich nicht bewusst und kann es nur anhand der Geschehnisse vermuten, denn ich habe aus Versehen einem von Sytanias Vendar eine wichtige Information übergeben. Was genau geschehen ist, werdet ihr in den Aufzeichnungen meines Rechners finden. Es dauert zu lange, euch das zu erklären. Ich habe das Gift der Neshar-Rose zu mir genommen, das bereits seine Wirkung entfaltet. Ich habe nicht mehr viel Zeit!“

„Kelbesh!“, fluchte Joran, nachdem die Aufzeichnung geendet hatte. „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte Shimar. „Und zwar ein riesiger Haufen davon.“ „In der Tat.“, sagte Joran bedient. „Aber umso wichtiger ist es, dass ich Diran so schnell wie möglich zu Ishan bringe.“ Shimar gab einen bestätigenden Laut von sich. „Und ich werde mich um Tolea kümmern.“ „Tu das.“, sagte Joran. „Und nun lass IDUSA mich wieder zurückbeamen.“

Shimar nickte und gab seinem Schiff die entsprechenden Befehle. Dann sahen sie, wie Joran und sein Schiff sich langsam aus ihrer Reichweite entfernten. „Wir sollten uns auf den Weg ins Raum-Zeit-Kontinuum machen.“, schlug IDUSA vor. „Da hast du Recht.“, sagte Shimar. Wir sollten keine Zeit verlieren, wenn wir Tolea noch mit ihrem Fehler konfrontieren wollen. Je frischer ihre Erinnerungen sind, desto mehr Eindruck werden wir hinterlassen. Fliegen wir!“ IDUSAs Avatar nickte und dann aktivierte das Schiff ihren interdimensionalen Antrieb. Beide verschwanden in einer weißen Kugel aus Licht.

 

Kapitel 24: Vertrauensbeweise

von Visitor

 

Maron hatte sich, wie er es vor längerer Zeit angekündigt hatte, in Zirells Bereitschaftsraum begeben. Hier hatte er jetzt seinen Neurokoppler in einen Port an der Konsole auf Zirells Schreibtisch gesteckt. Der Rechner der Station hatte daraufhin sofort seine Reaktionstabelle geladen. „Was gibt es, Agent Maron?“, fragte IDUSA freundlich. „Warum möchten Sie mit mir allein sprechen?“ „Die Sache, die ich mit dir vorhabe.“, begann der Demetaner. „Ist etwas kompliziert. Ich hoffe, dass wir das zusammen hinbekommen werden.“ „Wenn es kompliziert ist.“, sagte der Rechner. „Würde ich die Hilfe von Techniker McKnight in Anspruch nehmen, wenn ich Sie wäre. Ich denke, das könnte uns einige Komplikationen ersparen.“ „Oh ich glaube kaum, dass wir ihre Hilfe benötigen werden, IDUSA.“, sagte Maron. „Ich bin nämlich sicher, dass du mir die Fragen, die ich an dich habe, auch selbst beantworten kannst.“ „Dann schießen Sie mal los!“, forderte IDUSA ihn auf.

Maron setzte sich. Die gesamte vorherige Zeit über hatte er mit aufgesetztem Neurokoppler stehend verbracht. „OK.“, sagte er. „Sag mal, wenn ich mir ein Bild vorstelle, kannst du es dann auch sehen?“ „Selbstredend, Agent.“, sagte der tindaranische Computer. Es ist nichts anderes für mich als jeder Gedankenbefehl, den Sie mir geben.“ „Und kannst du auch eine Stimme erkennen, die ich mir vorstelle?“, fragte der erste Offizier immer noch sehr ungläubig. „Auch das kann ich.“, sagte IDUSA. „Warum bezweifeln Sie das?“ „Es tut mir leid.“, sagte Maron. „Ich habe wohl immer noch meine Schwierigkeiten mit tindaranischer Technologie. Aber wenn das wirklich funktionieren sollte, was ich vorhabe, dann würde es mich auch gleichermaßen faszinieren.“ „Ich hörte, dass Sternenflottenoffiziere Dinge lieben, die faszinierend sind.“, versuchte IDUSA die Situation aufzulockern. Ihr war klar, dass Maron wohl einiger Hilfe bedurfte, was das anging. Seine Psyche schien immer noch nicht mit diversen Eigenheiten der tindaranischen Technologie zurechtzukommen. Sie konnte zwar kein Mitleid im eigentlichen Sinne empfinden, wusste jedoch, dass sein Verhalten in der Hinsicht Bände sprach. Darauf konnte sie durchaus mit gelernten Mustern reagieren und eines von ihnen war eben auch, dass sie einen lockeren Spruch klopfte. Maron, der damit wohl nicht gerechnet hatte, musste laut lachen. „Na sehen Sie.“, sagte IDUSA und ihr Avatar vor seinem geistigen Auge lächelte ihn an. Dabei kam Maron sich vor, als wäre er bei seinem ersten Rendezvous. „Aber Sie brauchen doch nicht nervös zu sein.“, sagte der Rechner. „Jedenfalls werden Sie keinen so großen Fehler machen können, der mich beleidigt, den Raum verlassen und heulend in das Shuttle meiner besten Freundin steigen lässt.“

Jetzt war der Knoten endgültig geplatzt! Maron saß da und schlug sich auf die Schenkel vor Lachen. Wahrscheinlich hatte er sich das gerade vorgestellt. „Macht sich etwa O’Riley ab und zu an deiner Verhaltensprogrammierung zu schaffen, IDUSA?“, fragte der Erste Offizier zwischen zwei Lachsalven. „Was du da gerade von dir gegeben hast, könnte nämlich durchaus zu ihrem Humor passen.“ „Nun.“, sagte der Rechner. „Ohne sie kompromittieren zu wollen, ja. Sie tut es auch bei mir.“ „Du hast den Technical Assistant nicht kompromittiert.“, sagte Maron. „Ich habe nämlich keineswegs vor, ihr aus der Sache einen Strick zu drehen. Im Gegenteil! Damit hat sie erreicht, dass ich mich in deiner Gegenwart viel wohler fühle und jetzt auch keine Probleme mehr mit unserem Vorhaben habe. Also, IDUSA, wer ist diese Frau?!“

Der Demetaner begann damit, sich auf das Bild des Quellenwesens, das er in seinem Kopf hatte, zu konzentrieren. Dann sagte er: „Such bitte auch in den mit uns vernetzten Datenbanken der Sternenflotte und unseren politischen Verbündeten, sofern du an sie herankommst! Ich hätte auch noch eine Stimmprobe. Achtung!“ Er ließ auch Illianes Sätze noch einmal in seinem Geist revuepassieren. „Ich habe ein sehr deutliches Bild und eine sehr deutliche Stimmprobe von Ihnen erhalten.“, sagte IDUSA. „Allerdings könnte die Suche ein wenig dauern. „Das macht nichts.“, sagte der Agent. „Wenn du nichts dagegen hast, dann könntest du mir vielleicht in der Zwischenzeit einen Kaffee replizieren.“ „Also gut.“, sagte IDUSA.

Ein leuchtendes Lämpchen am Auswurffach des Replikators kündete von der Ausführung des Befehls. Maron stand von seinem Sitzkissen auf und ging hin, um seinen Kaffee in Empfang zu nehmen. Dann setzte er sich mit der Tasse in der rechten Hand wieder auf seinen Platz. Den Neurokoppler, den er zwischenzeitlich abgelegt hatte, um sich freier bewegen zu können, setzte er auch wieder auf.

IDUSA hatte vor seinem geistigen Auge eine Graphik aufgebaut, in der er jetzt genau über ihre Suche informiert wurde. Sie bestand aus den jeweiligen allgemeingültigen Kennzeichen der Gebiete, zu denen die Datenbank gehörte, die sie gerade durchsuchte und einem roten Punkt, der durch das Gebiet wanderte.

Im Gebiet der Föderation blieb der Punkt plötzlich stehen. „Ich gehe davon aus, dass du etwas gefunden hast, IDUSA.“, sagte Maron. „Das ist korrekt.“, sagte IDUSA.

Sie zeigte ihm das Bild eines jungen Allrounders ehrenhalber, der zwar von Statur und Größe durchaus Illiane entsprach, aber einen kleinen Faktor hatte, der Maron empfindlich zu stören schien. „Das ist sie!“, sagte der Agent. „Aber warum hast du sie in die Uniform eines Allrounders ehrenhalber gesteckt?“ „Weil sie einer war.“, sagte IDUSA. „Zu ihren Lebzeiten war Allrounder Illiane St. John Mitglied der Crew der USS Eclypse, die von Commander Jaden H. Huxley kommandiert wurde. Durch ihre damalige Bereitschaft, Sytanias Beteiligung an einem Anschlag auf Dills Leben aufzudecken, kam sie dorthin. Sie hat damals gegen ihre ehemalige Raumpiratenbande ausgesagt. Sie wurde von ihren Vorgesetzten und ihren Kameraden gleichermaßen als sehr loyal und verlässlich beschrieben. Sie …“ „Halt, IDUSA!“, sagte Maron und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Wie soll ich mir denn das alles merken?! Repliziere mir einen Datenkristall und zieh ihr Profil darauf. Dann habe ich zumindest auch etwas, das ich Zirell zeigen kann.“ „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und führte Marons Befehle aus. Der Agent war sehr froh, endlich etwas in der Hand zu haben. Die Situation an sich war ihm nämlich nicht ganz geheuer gewesen, aber jetzt hatte er etwas, das er Zirell und der Zusammenkunft präsentieren konnte, wenn es hart auf hart kam. Diese Aussicht ließ ihn große Erleichterung empfinden.

Abwartend saß Zirell auf ihrem Platz in der Kommandozentrale. Dabei schloss sie mit sich selbst Wetten ab, ob es Maron gelingen würde, über seinen Schatten zu springen, was die doch sehr intensive Arbeit mit IDUSA anging. So eng, wie er jetzt mit ihr zusammenarbeiten müsste, hatte er es nämlich noch nie getan und er hatte ihr gegenüber auch einmal gestanden, ernsthafte Schwierigkeiten mit der Tatsache zu haben, dass ein Computer seine Gedanken lesen könne. Das war zwar relativ nah am Anfang ihrer Zusammenarbeit gewesen, schien aber ab und zu immer noch durch, wenn Maron IDUSA benutzte. Die Tindaranerin war sehr gespannt, wie er dieses Mal mit der Situation umgehen würde. Sie hatte ihm irgendwie nicht ganz abgenommen, dass er seine Pläne nur wegen eventueller Bedenken, die eigentlich schon längst aus dem Weg geräumt waren, über den Haufen geworfen hatte. Sie hatte sich zwar nichts anmerken lassen, aber tief in ihrem Inneren hatte Zirell all das, was Maron gesagt hatte, eher für eine billige Ausrede, als für die Wahrheit gehalten.

Sie kam allerdings nicht mehr dazu, weiter über die Situation nachzudenken, da IDUSA ihr im nächsten Moment meldete: „Commander, ich habe Joran für Sie!“ „Gib her.“, meinte Zirell lakonisch.

Das Bild des Avatars vor ihrem geistigen Auge wich dem des Vendar. Dann sagte eine Zirell sehr wohl bekannte Stimme: „Ich grüße dich, Anführerin Zirell!“ „Hallo, Joran.“, erwiderte Zirell. „Ich sehe, du hast Dirans Schiff im Traktorstrahl. Bring es am besten gleich nach Andockplatz 2. Jenna und Shannon sollen sich darum kümmern.“ „Das will ich gern tun, Anführerin.“, sagte Joran. „Außerdem werde ich Diran sofort auf die Krankenstation beamen lassen. Aber es wäre gut, wenn Agent Maron und du mich an der Schleuse erwarten könntet. Ich muss ihm etwas übergeben und dir etwas sagen. Eigentlich muss ich es euch allen sagen.“ „Du verstehst es vorzüglich, jemanden auf die Folter zu spannen.“, sagte Zirell. „Was kann denn das für ein Geheimnis sein?“ „Bitte lass uns im Konferenzraum darüber reden, Anführerin.“, sagte der Vendar, dem es überhaupt nicht gefiel, eine Sache mehrmals berichten zu müssen. „Du solltest alle herbeiholen. Es hat nämlich etwas mit unser aller Sicherheit zu tun.“ „Nein, diese Andeutungen!“, sagte Zirell und tat pikiert. „Aber wenn du meinst, dann werde ich allen Bescheid sagen, wenn du es unbedingt für nötig hältst.“ „Das tue ich in der Tat.“, bestätigte Joran. „Also gut.“, sagte Zirell. Dann befahl sie IDUSA, die Verbindung wieder zu beenden.

Mit stolz geschwellter Brust und den Datenkristall mit dem Profil weithin sichtbar vor sich her tragend, als sei er eine frisch erlegte Trophäe, die er Zirell unbedingt zeigen wolle, hatte der demetanische erste Offizier die Kommandozentrale wieder betreten. Dann hatte er sich neben seine Vorgesetzte gesetzt und sie wartend angesehen.

Zirell hatte dies, da es auch sehr leise geschehen war, zuerst nicht wirklich registriert. Umso überraschter war sie, als er sie dann doch, aus ihrer Sicht sehr plötzlich, ansprach: „Zirell?“ Sie fuhr herum. „Oh, Maron.“, sagte sie schnell. „Du bist schon wieder zurück? Und was hast du denn da Schönes?“ „Das wirst du gleich sehen, Zirell.“, sagte Maron und beugte sich zum Laufwerk an der Arbeitskonsole, an der beide saßen, hinunter. Dann schob er den Datenkristall hinein. „IDUSA.“, befahl er in Richtung des Rechners. „Die auf dem gerade von mir in Laufwerk A an dieser Konsole eingelegten Datenkristall vorhandene Datei aufrufen!“ „Sofort, Agent.“, gab der Rechner nüchtern zurück und führte Marons Befehl aus.

Vor den geistigen Augen der Kommandantin und ihres Ersten Offiziers erschien das Deckblatt von Illianes Personalakte. Links waren ihre persönlichen Daten tabellarisch aufgeführt. Die rechte Hälfte des Blattes wurde von einem großen Foto ausgefüllt, das sie zeigte. Sofort fiel Zirell die Ähnlichkeit auf. „Wer ist das, Maron?“, fragte sie. „Darf ich dir Allrounder ehrenhalber Illiane St. John vorstellen, Zirell?“, fragte Maron höflich und lächelte sie an, als seien sie in einem Café in einer kleinen privaten Plauderrunde und Illiane sei eine seiner Freundinnen. Wenn man den Hintergrund betrachtete, aus dem heraus er dieses tat, machte sein Verhalten aber durchaus einen Sinn. Schließlich war es sein Bestreben, sie Zirell als eine Freundin zu präsentieren, der man vertrauen konnte.

Die Tindaranerin betrachtete das Foto sehr genau. Dann fragte sie: „Denkst du wirklich, das ist unser Quellenwesen?“ „Was ich denke, spielt in diesem Fall keine Rolle, denke ich.“, sagte Maron. „IDUSA hat sie eindeutig identifiziert und das konnte sie nur anhand meiner Gedanken tun!“ In seinem letzten Satz war viel Stolz mitgeschwungen. „Du hast dich also tatsächlich getraut.“, sagte Zirell und klopfte ihm auf die Schulter. „Ja, das habe ich.“, sagte Maron. „Aber um ehrlich zu sein, hat IDUSA es mir auch sehr leicht gemacht. Zuerst hatte ich Schwierigkeiten. Das hat sie wohl auch gesehen. Dann hat sie einen Witz gemacht und peng war meine Angst verflogen.“ „Peng!“, wiederholte Zirell verwundert. „Interessante Wortwahl. Passt irgendwie aber nicht ganz zu dir, findest du nicht? Mich würde mal interessieren, welche Rolle Shannon bei der ganzen Sache gespielt hat.“ „Shannon.“, sagte der erfahrene Kriminalist und zog die Stirn kraus. „Ja, in gewisser Hinsicht hat sie damit zu tun. Sie hat IDUSA erst ermöglicht, dass sie mir meine Angst mit einem coolen Spruch nehmen konnte. Sie peppt von Zeit zu Zeit ihre Sprachroutinen auf, wie es aussieht. Darin ist sie aber so gut, dass wir es anscheinend bisher noch nie bemerkt haben. Allerdings nur bis heute.“ „Interessant.“, sagte die ältere Tindaranerin. „Ich denke, ich werde mal ein ernstes Wort mit ihr reden müssen.“ Bei ihrem letzten Satz grinste Zirell, Dieses Grinsen schien bei Maron allerdings nicht anzukommen. „Willkommen im Fettnapf, Maron.“, sagte der Demetaner leise, aber doch gut hörbar für Zirell. „Das hatte ich damit eigentlich nicht beabsichtigt. Ich wollte Ms. O’Riley eigentlich nicht kompromittieren.“ „Und ich hatte nie beabsichtigt, Shannon an den Karren zu fahren.“, tröstete Zirell. „Nicht?“, fragte Maron verwirrt. „Aber du sagtest doch …“ „Ach das.“, sagte Zirell und grinste erneut. Dieses Mal aber direkt in seine Richtung und so breit, dass er es auf keinen Fall übersehen konnte. „Das war doch nicht ganz ernst gemeint. Hast du meinen Gesichtsausdruck denn nicht gesehen?“ „Der muss mir wohl völlig entgangen sein.“, sagte Maron. „Ich war wohl mit meinen Gedanken total in anderen Sphären. Aber lass uns bitte zu St. John zurückkommen, Zirell. Ihre Vorgesetzten und ihre Kameraden haben große Stücke auf sie gehalten. Sie war immer sehr loyal, obwohl sie eigentlich eine Raumpiratin war. Aber das ist sie nur geworden, weil das Schicksal es nicht gut mit ihr meinte und sie auf die schiefe Bahn geschickt hat. Ihr Herz aber saß am richtigen Fleck!“ „Ich finde es ja sehr löblich, dass du für diese Offizierin eine solche Lanze brichst.“, sagte Zirell. „Aber woher weiß ich, dass sie wirklich unser Quellenwesen ist?“ „Laut ihren Daten.“, begann Maron. „War sie das schon immer. Sie wurde nur als Sterbliche geboren, um ihre Mission ausführen zu können. Ihre Eltern waren ein Terraner und eine Capellanerin. Das bedeutet, sie hatte einen sehr guten Geruchssinn, der ihr damals ermöglichte, Sytania zu entlarven. Aber das steht ja alles hier drin. Aber ich weiß schon, auf was du hinaus willst. IDUSA, ersetze die Uniform von Allrounder St. John durch das Kleid, das sie auf dem Bild getragen hat, das du von mir bekommen hast!“

Der Rechner führte Marons Befehl aus und augenblicklich sahen der Agent und Zirell wieder das Bild vor sich, das sie auch in ihrem Geist gesehen hatten, als Illiane mit ihnen sprach. „Das sieht schon anders aus.“, sagte Zirell. „Das bedeutet.“, sagte Maron. „Du glaubst mir jetzt?“ „Ja, das tue ich.“, sagte Zirell beschwichtigend. „Natürlich tue ich das. Es war nur alles im ersten Moment etwas verwirrend für mich.“ „Was glaubst du, was es für mich war.“, stöhnte Maron und legte die Stirn in Falten.

IDUSA zeigte sich beiden erneut über die Neurokoppler. Dann räusperte sie sich und sagte: „Commander, Joran hat gerade gedockt und Diran ist auf der Krankenstation. Techniker McKnight ist informiert, was die Untersuchung von Dirans Schiff angeht. Auch Ishan habe ich über die Situation in Kenntnis gesetzt. Es wäre gut, wenn Sie und der Agent Joran empfangen würden.“ „Oh sicher, IDUSA.“, erinnerte sich Zirell, die während der Unterhaltung mit Maron tatsächlich die Vereinbarung mit Joran aus den Augen verloren hatte. „Sag Joran bitte, dass wir auf dem Weg sind.“ „Wie Sie wünschen.“, sagte der Rechner der Station und löschte die Reaktionstabellen des Commanders und des Agenten aus ihrem Arbeitsspeicher.

Maron und Zirell hatten ihre Neurokoppler abgenommen. „Was hat sie da gerade gemeint?“, fragte Maron, der ja von der vorherigen Unterhaltung zwischen Zirell und Joran nichts mitbekommen hatte. „Sie meinte, dass wir zur Schleuse gehen und dort Joran empfangen sollen.“, erklärte Zirell. „Ich habe gerade mit ihm gesprochen. Er hat Diran und sein Schiff mitgebracht. Diran ist bereits auf der Krankenstation. Ishan wird tun, was in seinen Kräften steht, um ihm zu helfen. Ich bezweifele allerdings, dass das viel sein wird. Joran hat noch etwas angekündigt. Anscheinend möchte er uns noch etwas sagen und dir etwas geben. Er hat mich gebeten, alle im Konferenzraum zusammen zu holen.“ „Dann muss das ja wohl etwas sehr Gravierendes sein.“, vermutete Maron. „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Zirell und stand auf: „Komm!“ Maron nickte nur, tat es ihr gleich und folgte ihr.

Jenna Stand an der Tür zur Schleuse und lächelte, als Joran die Station betrat. Auch der Vendar hatte sie erblickt und schlang sofort seine Arme um sie, als hätte er sie Tagelang nicht gesehen. „Da habe ich dich ja endlich wieder, meine über alles und am heißesten geliebte kluge und wundervolle Telshanach!“, sagte er und drückte sie an sich, um sie dann lange und genießerisch zu küssen. Shannon, die alles aus dem Hintergrund beobachtet hatte, warf dem Paar nur einen angewiderten Blick zu: „Könnt ihr damit nicht warten, bis ihr zu Hause seid?!“

Die Tür zum Korridor öffnete sich und Maron und Zirell betraten den Raum. Auch sie wurden jenem Begrüßungsritual ansichtig. „Ach.“, sagte Zirell nur und deutete auf das Liebespaar, um dann ihren Ersten Offizier anzusehen und ihn zu fragen: „Sind die zwei nicht süß, Maron?“ „Oh ja, bei Mutter Schicksal!“, rief der Demetaner aus, dem wohl gerade durch den Kopf ging, was ihm wohl blühen würde, würde er sich einmal in eine Vendar verlieben.

Er wendete sich Jenna zu: „Sie haben großes Glück mit ihm, McKnight. Sie zwei dürften schon zusammen sein, seit ich hier auf dieser Station bin und Ihre Beziehung scheint noch nicht im Mindesten eingerostet.“ „Deine Vorstellung ist korrekt, Maron El Demeta!“, sagte Joran fest und küsste Jenna noch einmal feurig zum Beweis, was sie sich auch lächelnd und ihn dafür leidenschaftlich ansehend gefallen ließ. Sie gab sogar mehrere Laute des Gefallens von sich.

Zirell stellte sich so hin, dass beide sie gut sehen gekonnt hätten, wenn sie ihre Blicke nur einmal kurz voneinander wenden würden. Dann räusperte sie sich und sagte: „Es liegt mir fern, eure Begrüßung zu stören, aber hast du nicht etwas angekündigt, Joran?“ „In der Tat, Anführerin Zirell.“, sagte der Vendar, ließ widerwillig, aber dennoch pflichtbewusst von Jenna ab und griff in die Brusttasche seiner Uniform. Zum Vorschein holte er jenen kleinen Behälter, in dem sich die Überreste des Röhrchens befanden, aus dem Diran das Gift getrunken hatte. Dies übergab er Maron. „Du wirst dich aber mit Ishan absprechen müssen, Maron El Demeta.“, sagte er. „Er wollte auch noch einmal einen Blick auf das Röhrchen werfen, um zu berechnen, wie hoch die Dosis des Giftes war, die Diran genommen hat.“ „Kein Problem, Joran.“, sagte der Erste Offizier und winkte lakonisch ab. „Das hatte ich ohnehin als Nächstes geplant. Die überwachte Außenmission von Shimar hat einiges zutage gefördert, das sich wohl nur auf der Krankenstation klären lässt. Schließlich muss sich ein guter Kriminalist alles ansehen. Dann werde ich mich auch mit Ishan bezüglich des Röhrchens unterhalten.“ „Davon bin ich ausgegangen, Agent Maron.“, sagte Joran.

Zirell wandte sich Jenna zu: „Du solltest Dirans Schiff auf den Kopf stellen, Jenn’. Nach allem, was wir wissen, hat dort alles das stattgefunden, weshalb er sich auch gerichtet hat. Vielleicht finden sich ja dort noch mehr Hinweise.“ „In Ordnung, Zirell.“, sagte die Technikerin.

„Und ich kümmere mich dann mal um dein Schiff, Joran.“, sagte Shannon. „Da wird es nicht viel zu kümmern geben, Shannon O’Riley.“, sagte Joran. „Ich habe keine Fehlfunktionen feststellen können.“ „Sicher is’ sicher.“, flapste die blonde Irin. „Außerdem bin ich nich’ gern arbeitslos.“ „Na gut.“, stimmte der Vendar schlussendlich doch zu. „Die eine oder andere Wartung mehr kann ja nicht schaden.“ „Das sehe ich genauso, Grizzly.“, sagte Shannon und holte ihre Werkzeugtasche.

Maron hatte sich Noch einmal Jenna zugewandt, die sich mit einem Pad in der Hand auf den Weg zu Dirans Schiff gemacht hatte. „Wenn Sie etwas finden sollten, McKnight …“, sagte er. „Ich weiß.“, sagte Jenna. „Dann gebe ich Ihnen sofort Bescheid, Sir.“ „Sehr aufmerksam von Ihnen, Techniker.“, lächelte Maron. Dann verließ der Agent den Raum in Richtung Krankenstation.

Nun war es Zirell, die sich Joran zudrehte. „Du wolltest uns doch allen auch noch etwas mitteilen.“, erinnerte sie ihn. „Das hat noch etwas Zeit, Anführerin.“, sagte der Vendar. „Im Augenblick müssen wir uns wohl um wichtigere Dinge kümmern, wie es mir scheint.“ „In der Tat, wie du zu sagen pflegst.“, sagte Zirell. „Obwohl ich nicht wirklich beurteilen kann, wie wichtig es ist, weil ich den Inhalt deiner Aussage ja noch gar nicht kenne.“ „Es ist wirklich nicht so dringlich.“, sagte Joran. „Ich denke, dass die Situation um Diran im Moment viel mehr Aufmerksamkeit erfordert.“ „Und wieder gibt er den Selbstlosen.“, sagte Zirell leise, aber leider nicht leise genug. Jorans Ohren, die rund 40 % schärfer als die eines durchschnittlichen Menschen waren, war das nicht entgangen. „Bitte vertrau mir, Anführerin.“, bat er. „Ich werde euch alles sagen, wenn es Zeit dafür ist. Aber jetzt …“ „Schon gut, schon gut.“, beschwichtigte Zirell ihn, der plötzlich sehr aufgeregt geworden war. „Ich vertraue dir ja. Du bist immer loyal gewesen und hast uns nie …“

Etwas hatte sich in ihrem Geist in den Vordergrund gedrängt. Etwas, das sie zwar immer leicht gespürt, bis jetzt aber erfolgreich zu ignorieren versucht hatte. Jetzt aber ging das nicht mehr. Je länger sie sich auch geistig mit Joran befasst hatte, desto deutlicher war ihre Wahrnehmung geworden. „Ich wollte vor den anderen nichts sagen, Joran.“, sagte sie. „Aber du trägst ein echtes Feld, nicht wahr?“ Der Vendar nickte. „Wo kommt das her?“, fragte Zirell, der die Herkunft des Feldes deshalb nicht ganz klar sein konnte, weil es aus der Energie von so vielen Wesen bestand und somit das Einsortieren einer geistigen Prägung für sie quasi unmöglich wurde. „Es ist eine Schöpfung der Quellenwesen, Anführerin.“, sagte Joran. „Aber bitte warte, bis ich es euch allen erzählen werde. Nur so viel. Es wird auf keinen Fall unsere Sicherheit gefährden. Auf gar keinen Fall!“ „Das beruhigt mich schon einmal, Joran.“, sagte Zirell. „Ich werde warten, bis Maron mit seiner Besichtigung der relevanten Dinge für seinen Fall fertig ist. Dann werde ich allen Bescheid geben. Wir werden uns dann alle im großen Konferenzraum treffen und dann wirst du uns dein Geheimnis verraten, nicht wahr?“ „In der Tat.“, sagte Joran. „Aber ich denke, wir sollten auch noch auf Shimar warten, oder?“ „Wer weiß, wann er von seiner Mission zurückkommt!“, erwiderte Zirell. „Es könnte ziemlich lange dauern, Tolea davon zu überzeugen, dass sie einen Fehler gemacht hat.“

Der Vendar wich einen Schritt vor ihr zurück. Das tat er immer, wenn ihn etwas irritierte. „Was ist los?“, fragte Zirell. „Wie meinst du das, Anführerin?!“, fragte er leicht alarmiert. „Ich dachte immer, Tolea ist keine von den alten Q, die sich für unfehlbar gehalten haben.“ „Das stimmt ja auch.“, erklärte die tindaranische Kommandantin. „Aber ich denke, dass gerade diese Tatsache ins andere Extrem führen könnte. Tolea hat ein sehr liebevolles, ja fast mütterliches, Verhältnis zu uns Sterblichen. Sie möchte zwar, dass wir lernen, aber sie will nicht, dass wir uns dabei die Finger verbrennen und schon gar nicht will sie diejenige sein, die uns wehtut. Ich bin sicher, dass ihr selbst mittlerweile klar sein dürfte, was sie angerichtet hat, als sie Diran unter den Bann stellte. Das könnte dazu führen, dass sie sich vor Scham am liebsten für immer verstecken würde und keine Lust darauf hat, dass Shimar sie zur Rede stellt. Aber wenn das nicht geschieht, dann werden wir Diran nie helfen können und wer weiß, was Tolea noch in ihrer Trauer und Depression anrichten könnte.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran, der sich ja sehr gut mit den Mächtigen auskannte. Schließlich hatte er 90 Jahre lang selbst einer gedient. Aber auch rein aus logischen Gesichtspunkten heraus war es ihm klar. So mancher psychisch kranker Sterblicher hatte schon so manche schreckliche Dinge getan und er wollte sich gar nicht ausmalen, was bei einer psychisch kranken und depressiven Mächtigen geschehen würde. „Es muss Shimar einfach gelingen, sie wieder aus ihrem Loch zu holen. Wenn nicht, dann kann sicher für nichts mehr eine Garantie gegeben werden! Lass uns in die Kommandozentrale gehen und mit ihm Kontakt aufnehmen. Dann werden wir sehen, wie weit er ist. Vielleicht sollten wir ihm auch sagen, dass Diran wohlbehalten bei uns angekommen ist.“ „In Ordnung.“, sagte Zirell, ging an ihm vorbei und winkte ihm dann, ihr zu folgen, was der Vendar auch bereitwillig tat.

Kapitel 25: Neue Rätsel

von Visitor

 

Maron war inzwischen auf der Krankenstation angekommen. Hier hatte er sofort nach Ishan Ausschau gehalten. Den Androiden hatte er schließlich neben dem Krankenbett Dirans erspähen können, wo er ziemlich ratlos stand.

„Hallo, Ishan.“, sprach der Erste Offizier seinen Untergebenen an. Ishan drehte sich langsam zu Maron um und antwortete: „Hallo, Maron. Wenn du kommst, um einen Bericht anzufordern, dann muss ich dir leider sagen, dass ich dir noch nicht viel sagen kann. Diran gibt uns nämlich viele Rätsel auf, die wir so nicht lösen können. Nidell und ich haben ihn einer Blutwäsche per Transporter unterzogen, weil seine Biozeichen zwischenzeitlich sehr kritisch geworden sind. Wir haben alle Moleküle des Giftes entfernen können, aber trotzdem wacht er nicht auf.“ „Ist sein Gehirn vielleicht zu sehr geschädigt?“, fragte Maron, dem ja der gesamte Verlauf der Mission, die zu Dirans Rettung gestartet worden war, bekannt war. „Nein.“, sagte Ishan gleichmütig. „An seinem Gehirn liegt es, meinen Untersuchungsergebnissen zur Folge, nicht. Nidell denkt allerdings, dass es auch eine psychische Ursache gibt, die den Grund für sein Verbleiben im Koma liefern könnte.“

Maron machte einige entschlossene Schritte auf den Arzt zu: „Erklär mir das! Normalerweise müsste er doch aufwachen, wenn sein körperliches Leiden geheilt ist, weil doch alles, was es verursacht hat, aus seinem Körper verschwunden ist! Oder verstehe ich das falsch?“ „Wenn du darüber Bescheid wüsstest.“, sagte Ishan. „Dann wärst du sicher erstaunt, zu was die Psyche in der Lage ist. Du darfst nicht vergessen, dass der Wunsch sich zu richten aus einer psychischen Not bei Diran geboren wurde. Zum Verräter an seiner Herrin zu werden, das ist für einen Vendar, wenn er es nicht gerade freiwillig tut wie Joran und seine Leute, so ziemlich das Schlimmste, was ihm passieren kann.“ „Und deshalb bestraft sich Diran jetzt quasi selbst?“, analysierte der Erste Offizier mit fragendem Blick in Richtung des Arztes.

Ishan gab einen schweren Seufzer von sich. Das war für einen Androiden eigentlich untypisch, aber wenn man bedachte, dass er einmal ein Wesen aus Fleisch und Blut gewesen war, dann war seine Reaktion durchaus verständlich. „Du hast die Situation komplett nicht verstanden, Maron.“, stellte er fest. „Das regierende Gefühl bei Diran, als er sich selbst richtete, war nicht etwa das Bedürfnis nach Selbstgeißelung, sondern die Furcht und die Verzweiflung. Was immer er tat, tat er ja nicht, weil er es so wollte, sondern weil der Bann, den Tolea über ihn ausgesprochen hatte, ihn dazu unbewusst gezwungen hat. Ich habe die Mission, die Shimar erfüllt hat, ja auch mitbekommen und weiß daher ungefähr, was passiert ist. Dirans Nachricht an uns, die Shimar uns verdeutlicht hat, dürftest du ja auch gehört haben.“ „Das habe ich.“, bestätigte Maron. „Aber warum ist es dir so wichtig, welches Gefühl vorgeherrscht hat, als Diran sich richtete?“ „Weil wir nur darauf seine Behandlung aufbauen können.“, sagte Ishan. „Soll das heißen.“, sagte Maron. „Du stimmst deiner Assistentin zu, was die Sache mit seiner Psyche angeht.“ „Exakt.“, bestätigte Ishan. „Nidell hat ein sehr feines Näschen für solche Angelegenheiten. Sie ist sehr sensibel und hat, zumindest meines Erachtens, mit dem Pflegeberuf die richtige Wahl getroffen.“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Maron. „Aber wie kann uns das helfen, Diran aus dem Koma zu holen? Kann er uns hören? Können wir mit ihm sprechen? Erreicht ihn, was wir hier reden?“ „Auf akustischen Wegen sicher nicht.“, sagte Ishan. „Dazu ist er zu weit weg. Aber Zirell, Nidell und Shimar haben da ja noch ganz andere Möglichkeiten. Außerdem dürfen wir Tolea nicht vergessen, die wir ja dazu bringen wollen, den Bann über Diran persönlich aufzuheben.“ „Ich verstehe.“, sagte Maron. „Aber kann ich denn gar nichts tun?“

Er drehte sich Dirans Krankenbett zu. Dann beugte er sich über den dort an einer Überlebenseinheit hängenden Vendar und sagte laut und deutlich: „Diran, hier ist dein Freund Maron El Demeta. Du kannst zu uns zurückkehren. Niemand ist dir böse oder will dir Böses. Wir haben verstanden, dass es nicht deine Schuld ist!“

Eine kleine zierliche Hand hatte ihm auf die Schulter getippt. Erschrocken war Maron herumgefahren und hatte Nidell erkannt. „Es ist sinnlos, Maron.“, sagte sie. „Ishan hat dir doch gerade alles erklärt, oder?“ Der Demetaner nickte. „Dann weißt du doch, dass du erstens gerade deine Energie verschwendet hast und zweitens total auf dem Holzweg warst mit deiner Annahme. Er hat ja keine Angst vor uns. Er ist nur verzweifelt, weil er sich nicht gegen den Bann wehren kann und nicht will, dass es noch einmal passiert. Es geht um seine Angst, dass er, wenn er wach ist, noch einmal aus Versehen einem von Sytanias Vendar die Informationen geben könnte, die er gegebenenfalls hier von uns bekommt. Darauf müssen wir unsere Therapie aufbauen und nicht darauf, dass er eventuell Angst vor uns hat.“ „Ich sehe, es gibt eine Menge feiner Unterschiede.“, sagte Maron und drehte sich wieder von Dirans Bett fort. „Gut, dass ich kein Mediziner geworden bin. Ich wäre sicher ein ganz mieser Arzt.“ „Schuster, bleib bei deinem Leisten.“, lächelte Nidell. „Aber ist es nicht in der Kriminalistik ähnlich? Müsst ihr da nicht auch auf jede kleine Spur achten, die ihr findet und sie richtig zuordnen, damit nicht am Ende ein Unschuldiger verurteilt wird?“ „Doch.“, bestätigte Maron. „Aber das ist lange nicht so kompliziert.“ „Das kann lange nicht so kompliziert sein.“, korrigierte Nidell. „Sonst hätte es ja die seltene aber dennoch manchmal praktizierte Verurteilung von Unschuldigen nie gegeben.“ „Da hast du Recht.“, sagte Maron. „Manchmal sind Spurenlage und Beweislage leider so, dass wir, wenn wir nicht auf jedes Detail achten, vorschnell jemanden verurteilen können. Das passiert gerade dann, wenn ein Ermittler unter Druck gerät. Ich weiß, eigentlich soll es nicht passieren, aber es gibt Situationen, in denen …“ „Keine Details!“, ging Nidell dazwischen. Sie hatte nun wirklich keine Lust auf eine Lehrstunde in Kriminalistik. „Du bist ja hier von keiner Seite unter Druck und kannst in Ruhe alles auswerten und deine Ergebnisse dann erst Zirell präsentieren, die sie dann an die Zusammenkunft weitergibt.“ „Hoffen wir, dass du Recht hast.“, sagte Maron. „Immerhin sind wir mit der Regierung der Föderation verbündet und die wollen, gerade wenn etwas passiert, das sie nicht einordnen können, oft schnell Ergebnisse sehen. Oft viel schneller, als uns allen lieb sein kann und vor allem schneller, als wir sie liefern können.“ „Warum tut deine ehemalige Regierung das, Maron?“, fragte Nidell. „Sollten sie nicht eigentlich auch an der Wahrheit und an nichts als der Wahrheit interessiert sein?“ „Im Idealfall.“, sagte Maron. „Sollten sie das tatsächlich.“ „Aber ihr Denken ist leider von einem sehr schwarzweißen Bild geprägt, was manche Dinge angeht. Sie machen es sich manchmal sehr einfach, weil sie keine Ahnung von dem haben, was hier draußen im Weltraum wirklich vorgeht. Sie hoffen auch oft auf einfache Ergebnisse, weil man diese der Bevölkerung draußen an den Sprechgeräten leichter verkaufen kann.“ „Ich für meinen Teil.“, sagte Nidell. „Glaube, dass deine Regierung die einfache Bevölkerung maßlos unterschätzt. Sie sind sicher nicht so dumm, wie die Regierung sie darstellt. Aber ich glaube, dass ich schon weiß, worauf du eigentlich hinauswillst. Es ist eigentlich die Presse, nicht wahr? Die bauschen doch manchmal ohne Rücksicht auf Verluste etwas auf, weil sie meinen, dass die Leute das lieber lesen als sachliche Ermittlungen.“ „Das ist ja auch leider so.“, sagte Maron. „Außer vielleicht bei den Vulkaniern oder bei unseren Verbündeten, den Aldanern. Aber geschätzte 80 % der Bevölkerung sehen das wohl anders, zumindest der Meinung der Politiker nach und die sind es auch, die sich dann die schnellen und einfachen Ergebnisse gern auf ihre Fahnen schreiben würden, bevor das nächste Wahljahr kommt.“ „Absurd!“, urteilte Nidell. „Vor allem dann, wenn diese schnellen Ergebnisse dann auch noch fehlerhaft sind und Unschuldige …“ „Das hatten wir schon.“, sagte Maron. „Aber es gibt ja immer noch einige Aufrechte, die das nicht zulassen.“ „Ja.“, nickte die medizinische Assistentin. „Das sind dann meistens wir, die für die Politiker die Kastanien wieder aus dem Feuer holen.“ „Wie Recht du hast.“, lächelte Maron.

Er drehte sich Ishan zu. „Ich kann doch wohl annehmen.“, sagte er. „Dass du den jetzt gar nicht mehr benötigst.“ Er deutete mit dem Zeigefinger seiner linken Hand auf den Behälter mit den Überresten des Röhrchens in seiner rechten Hand. „Da hast du Recht, Maron.“, sagte Ishan. „Die Menge des Giftes, die er zu sich genommen hat, ist jetzt völlig unerheblich. Du kannst den Behälter also beruhigt in die Asservatenkammer schließen.“ „In Ordnung.“, sagte Maron und verließ wieder die Krankenstation.

Im Reich der Genesianer hatten Leandra und Lostris eine Menge Kriegerinnen um sich scharen können. Zwar hatten viele den Eindruck erweckt, zunächst mit Shashanas Politik einverstanden zu sein, wenn ihnen Lostris oder Leandra aber von den Wundern berichteten, die an ihnen getan worden waren, dann hatten sogar ganze Clans ganz schnell ihre Meinung wieder geändert. Die Kriegerinnen hatten daraufhin mit Vergnügen ihre Shuttles bestiegen und waren dem Clan der Rotash gefolgt. Dann hatte man gemeinsam damit begonnen, all jene zu ermorden, die ihrer Ansicht nach nicht dem wahren Glauben angehören wollten. Da dies für die meisten Kriegerinnen sehr überraschend kam, hatten sie nicht viel Widerstand zu erwarten und ihre Gegnerinnen quasi im Handstreich überwältigen können. Damit, dass sie unverwundbar und unsterblich waren, hatte nämlich keiner der gegnerischen Clans, die es doch einmal wagten, die Worte Lostris‘ oder Leandras in Frage zu stellen, nicht gerechnet. So schien alles für sie ein wahrer Blitzkrieg zu sein.

Lostris war an Bord des Schiffes ihrer Mutter und ihrer Selbst damit beschäftigt, die Eroberungen der Rotash zu zählen, als ihre Mutter zu ihr trat und ihr über die Schulter blickte. „Das sieht doch alles sehr gut aus, nicht wahr, meine Tochter!“, sagte Leandra stolz. „Oh ja, das tut es, Mutter.“, sagte Lostris und grinste hämisch. „Aber wir haben immer noch nicht das erreicht, was wir unbedingt erreichen müssen.“ „Und was wäre das?“, prüfte Leandra Lostris‘ Wissen. „Es wäre die Eroberung der Heimatwelt und damit deine rechtmäßige Einnahme des Platzes der obersten Prätora der Genesianer, Mutter!“, sagte Lostris fest. „Sehr gut!“, lachte Leandra mit fast vor Wahnsinn kippender Stimme. Jene Verbindung, die sie zu Valora und Sytania hatte, hatte dafür gesorgt, dass sie ähnlich machtgierig geworden war wie die Prinzessin. Das war aber eine ganz normale Nebenwirkung einer solchen Verbindung. Aber da Lostris an den gleichen Symptomen litt, konnte sie ihre Mutter ja nicht darauf aufmerksam machen. Das waren eben die ganz normalen Nebenwirkungen, wenn man einen Deal mit dem Teufel, oder in diesem Fall besser mit der Teufelin, einging. Jede Genesianerin, die noch auf dem Pfad der Ehre, wie es bei ihnen hieß, wandelte, also die nicht Sytania und Valora verfallen war, würde dieses Denken sicher verabscheuen!

Leandra hatte ihren Blick noch einmal über den Bildschirm schweifen lassen. „Wir sind gar nicht so weit weg von der Heimatwelt.“, sagte sie. „Und in der Überzahl dürften wir auch sein. Die verhasste Shashana wird keine Chance gegen uns haben. Wir sollten jetzt auf der Stelle hinfliegen und ihr eine kräftige Lektion erteilen!“ „Das sehe ich genauso.“, sagte Lostris. „Dann geh wieder an die Steuerkonsole.“, sagte Leandra. Ich selbst werde die Waffen bedienen. Ich kann es kaum erwarten, Shashana selbst den Garaus zu machen!“ „Wie du wünschst, Mutter.“, sagte die junge Erbprätora und setzte sich wieder an die Flugkonsole des Shuttles. Dann programmierte sie dessen Sprechgerät auf einen Sammelruf an alle ihnen zugehörigen Schiffe und stellte das Gespräch auf die Nebenkonsole durch, an der ihre Mutter saß.

„Meine Kriegerinnen!“, wendete sich Leandra an ihre Mitstreiterinnen. „Verfechterinnen des einzig wahren Glaubens, des Glaubens an die Einhorngöttin! Der Zeitpunkt ist nun gekommen, da wir vor unserer größten Herausforderung stehen, der Herausforderung der Eroberung unserer Heimatwelt! Wir werden das Schlangennest um Shashana ausräuchern! Wenn es sein muss, mit der Schlange darin! Falls sie sich uns doch noch anschließen sollte, werden wir sie natürlich willkommen heißen! Aber ich denke nicht, dass davon auszugehen ist. Und weil ich das denke, wird uns nichts bleiben, als sie und ihre Leute zu töten! Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns! Das gilt auch für die oberste Prätora der Genesianer, die es sehr bald wohl nicht mehr sein wird! Vor allem dann nicht, wenn wir mit ihr fertig sind!“

Sie ließ den Sendeknopf los, um die Wirkung ihrer Worte auf die anderen Kriegerinnen abzuwarten. Tatsächlich brandete ein schier unglaublicher Jubel auf, der die Lautsprecher des Sprechgerätes ihres Schiffes fast überforderte.

„Also.“, sagte Leandra, nachdem sie das Gespräch wieder aufgenommen hatte. „Dann sind wir uns ja einig! Also dann vorwärts! Direkter Kurs zur Heimatwelt! Warp acht! Vorwärts!“

Alle Pilotinnen, inklusive Lostris, gaben die gerade von Leandra gegebenen Befehle in die Steuerkonsolen ihrer Schiffe ein und bestätigten sie. Dann flogen alle Shuttles in Richtung der genesianischen Heimatwelt davon. Erfüllt von den Worten der Prätora und dem Glauben an ihre Göttin sangen alle Kriegerinnen an Bord eines jeden Schiffes: „Tod Shashana! Tod der Ketzerin! Tod auch denen, die mit ihr sind! Wie Todesengel wollen wir über ihr kreisen und ihr den Weg in die Zwischenwelt weisen. Denn dort, ja dort gehört sie hin! Tod Shashana, der Ketzerin!“

Auf der Heimatwelt hatten Shashana und ihre Verbündeten die Entwicklung mit Sorge beobachtet. Shashana hatte extra Elaria zu sich kommen lassen, die oberste Prätora des Clans der Dämonenbezwinger war. Sie war es, die sich ihrer Meinung nach mit der Situation am besten auskennen musste. Zu viel Merkwürdiges hatten ihr ihre Spioninnen zugetragen, die sie in allen abtrünnigen Clans hatte. Am meisten Sorgen machte ihr aber die Entwicklung bei den Rotash.

Elaria war am Tor der großen Halle angekommen, an dem sie von Meduse, Shashanas Leibwächterin, begrüßt worden war. „Ich bin Elaria, die Prätora des Clans der Dämonenbezwinger.“, stellte sich die Kriegerin vor. „Ich weiß, wer du bist.“, sagte Meduse. „Komm! Folge mir. Meine Prätora erwartet dich!“ Elaria nickte und folgte Meduse.

Shashana saß an ihrem großen Tisch, als Meduse mit der Besucherin die Halle betrat. Mit lauter Stimme kündigte die Wächterin an: „Elaria, die Prätora des Clans der Dämonenbezwinger!“ „Lass sie vortreten und lass uns allein!“, befahl Shashana. „Geh in den Kontrollraum und überwache den Orbit!“ Meduse nickte, winkte Elaria und ging dann selbst.

Ehrfürchtig hatte sich Elaria dem Platz der obersten Prätora genähert. „Setz dich zu mir.“, sagte Shashana. Elaria nickte stumm und setzte sich neben ihr auf den Platz, auf den sie gedeutet hatte. Dann ging Shashana selbst zum nahen Replikator und replizierte eine Schüssel Veddach mit dem dazugehörigen Geschirr für zwei Personen. Damit kehrte sie nun an den Tisch zu Elaria zurück.

Beide Kriegerinnen bedienten sich großzügig. Dann fragte Elaria: „Warum wolltet Ihr, dass ich Euch aufsuche, oberste Prätora? Eure Nachricht klang sehr dringlich.“ „Das ist sie auch, Elaria.“, sagte Shashana. „Es geht um den Clan der Rotash. Laut unserer Spionin in ihren Reihen frönen sie seit neuester Zeit einem merkwürdigen Kult um eine Einhorngöttin, die angeblich die Wächterin von Gore sein soll. Aber das glaube ich nicht. Die Spionin hat außerdem berichtet, dass diese Göttin quasi Wunder auf Bestellung liefert. Das ist auch ungewöhnlich. Die Wächterin von Gore würde das nie tun. Außerdem hat sie mir Erfasserbilder zukommen lassen, die mich einen Teil der angeblichen Wächterin, zumindest ihrer geistigen Energie, eindeutig Sytania zuordnen lassen. Der andere Teil besteht aus der mentalen Energie von Valora, der Leitstute der Herde der Einhörner des Dunklen Imperiums.“

Angewidert spuckte Elaria den Schluck Veddach, den sie im Mund hatte, wieder in ihr Trinkgefäß zurück. Als Logars Schöpfung hatte sie eine natürliche Abneigung gegen Sytania. Aber was Valora mit der Sache zu tun hatte, erschloss sich ihr nicht. „Sytania!“, rief sie angeekelt aus. „Was mag die Ehrlose getan haben, das Valora, die ja eigentlich als sehr tugendhaft und ehrenvoll gilt, auf ihre Seite gebracht hat und wie können genesianische Kriegerinnen dann auch noch auf sie hereinfallen?!“ „Das weiß ich nicht.“, sagte Shashana. „Ich hatte gehofft, du könntest mir das beantworten.“ „Das kann ich nicht!“, sagte Elaria. „Aber eines steht fest, Oberste Prätora! Ihr könnt Euch der Unterstützung der Meinen und auch der meiner eigenen Person sicher sein. Meine Kriegerinnen warten mit ihren Schiffen in der Umlaufbahn, um Euch und uns alle, die wir noch einen Funken Ehre im Leib haben und nicht auf Sytania hereinfallen, zu verteidigen!“ „Darauf hatte ich gehofft, Elaria.“, sagte Shashana erleichtert. „Aber auch ich habe meiner Technikerin gesagt, die Rapach zu warten. Auch ich werde mich ihnen persönlich entgegenstellen, wenn es so weit ist! Du selbst wirst mit mir an Bord der Rapach sein, wenn wir uns …“

Ein Geräusch von der Konsole auf dem Tisch hatte Shashana aufhorchen lassen. Es war der Rufton der Sprechanlage.

Shashana nahm das Mikrofon in die Hand. Im Display hatte sie zweifelsfrei das Rufzeichen des Kontrollraums erkannt, in den Meduse gegangen war, um den Weltraum auf Befehl ihrer Prätora zu überwachen. Jener Kontrollstand befand sich unter der Halle. Die Rechner dort waren aber mit einem Sattelitennetzwerk in der Umlaufbahn des Planeten verbunden.

Das ernste Gesicht ihrer Untergebenen ließ Shashana nichts Gutes ahnen. „Was gibt es, Meduse?!“, fragte sie streng ins Mikrofon. „Sie kommen, Prätora!“, sagte die Leibwächterin. „Wie viele sind es?“, fragte Shashana. „Das ist schwer zu sagen, Prätora.“, sagte Meduse. „Sie fliegen so dicht zusammen, dass die Computer sie nicht zählen können, da ihre Antriebsfelder sich alle überlagern. Jedenfalls hat mir das unsere Ingenieurin so erklärt, mit der ich bereits gesprochen habe. Die Rapach ist übrigens flugbereit.“ „Wenn sie auch kampfbereit ist.“, sagte Shashana. „Dann treffe ich dich und alle anderen dort!“ Dann beendete sie die Verbindung, um sich danach gleich Elaria zuzuwenden: „Gib auch deinen Kriegerinnen Bescheid!“ „Sicher, Oberste Prätora.“, sagte Elaria. „Aber ich staune über das Manöver unserer Gegnerinnen. Um sich so etwas zu trauen, muss man schon sicher sein, nicht etwa bei einer Kollision oder einem daraus resultierenden Absturz verletzt werden zu können oder gar zu sterben. Wenn nur ein Schiff jetzt eine falsche Bewegung macht, dann …“ „Das ist richtig.“, sagte Shashana. „Aber anscheinend sind sie das auch. Allerdings werde ich ihnen zeigen, dass es auch für sie eine Grenze gibt und dass sie sich dringend von dieser falschen Göttin abkehren müssen. An Bord der Rapach gibt es Meilenstein.“ „Aber Oberste Prätora.“, sagte Elaria. „Wir wissen nicht, was geschieht, wenn man Meilenstein gegen ein Einhorn einsetzt. Sie sind schließlich Verwandte der Quellenwesen.“ „Darüber habe ich auch schon nachgedacht, Elaria.“, sagte Shashana. „Deshalb soll Meilenstein ja auch nur das letzte Mittel sein, mit dem wir ihnen beweisen werden, dass ihre Göttin eine falsche Göttin ist. Und nun lass uns gehen!“ Elaria nickte und folgte Shashana zu ihrem Schiff, wo sie bereits von den anderen Kriegerinnen erwartet wurden, die zur Stammbesatzung der Rapach gehörten.

Lostris und Leandra hatten gemeinsam mit dem Rest ihrer Truppe die Umlaufbahn der genesianischen Heimatwelt erreicht. Die Erbprätora deutete pathetisch auf den Bildschirm. „Hier also wird sich unser Schicksal jetzt entscheiden, Mutter.“, sagte sie in theatralischem Ton. „Ja, genau hier.“, bestätigte Leandra. „Aber ich hoffe, dass dich nicht der Mut verlassen hat.“ „Nein, Mutter!“, versicherte die junge Kriegerin fest. „Das hat er nicht. Außerdem habe ich größtes Vertrauen in die Einhorngöttin!“ „Recht so, mein Kind! Recht so!“, lobte Leandra und strich ihrer Tochter über das Gesicht. Dann sagte sie: Verbinde mich noch einmal mit all unseren Kriegerinnen. Ich will ihnen die neuesten Befehle übermitteln.“ „Wie du wünschst, Mutter.“, sagte Lostris und programmierte erneut einen Sammelruf. Dann stellte sie die Verbindung erneut auf die Nebenkonsole zu ihrer Mutter. „Du kannst sprechen.“, sagte sie noch.

Leandra setzte ein zuversichtliches Gesicht auf. Dann sagte sie: „Jetzt, meine Kriegerinnen, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich das Schicksal von ganz Genesia entscheiden wird! Ich will noch einmal versuchen, die oberste Prätora auf den rechten Weg zu bringen! Wenn mir das nicht gelingt, dann werden die Waffen entscheiden müssen! Ich bin aber sicher, dass der Krieg zu unseren Gunsten ausgehen wird. Uns kann schließlich nichts geschehen, weil die Einhorngöttin uns die Gnade der Unverwundbarkeit gewährt hat! Das Glück würde Shashana auch haben, wenn sie den rechten Glauben annehmen würde! Aber wenn sie das nicht tut, wird sie zum Tode und zur ewigen Verdammnis in der Zwischenwelt verurteilt sein. Nehmt eure Positionen ein und wartet auf meinen Befehl!“ Sie beendete die Verbindung. Auf eine Antwort zu warten brauchte sie nicht, denn die anderen Kriegerinnen hatten sich zu regelrechten Jasagerinnen entwickelt, sobald sie nur etwas mit dem Willen der Einhorngöttin begründet hatte. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass bereits ein erheblicher Teil der Clans, die sie begleiteten, aus den Schöpfungen der sogenannten Einhorngöttin bestand. Die taten sowieso, was Sytania und Valora wollten und der Rest, inklusive Leandra und Lostris, war so verblendet, dass sie alles getan hätten, was diese von ihnen gewollt hätten.

An Bord der Rapach hatten Shashana und ihre Kriegerinnen auch ihre Positionen eingenommen. Der Platz ihrer Stellvertreterin gebührte aber in diesem Fall Elaria, weil sie als Expertin für Sytania und ihre Machenschaften galt. Auf ihrem Schiff hatte ihre Erbprätora Salmonea dafür das Kommando übernommen.

Langsam näherten sich jetzt die Schiffe einander wie zwei sich belauernde Rudel von Raubtieren, die gleich einen Kampf ausfechten wollten. In gewisser Weise stimmte das ja auch. Dies war eine Tatsache, die sowohl Shashana, als auch Leandra nicht entgangen war. „Also schön.“, sagte diese. „Lostris, ruf Shashanas Schiff und verbinde mich mit ihr. Ich will ihr von der Einhorngöttin berichten und von den Wundern, die sie an uns getan hat.“ „Da habe ich noch eine wichtige Information für dich, Mutter.“, sagte Lostris und grinste, während sie das Rufzeichen des Schiffes der obersten Prätora aus denen heraussuchte, die ihnen per Transponder durch das System bereits angeboten wurden.

Leandra schaute ihre Tochter interessiert an. „Was ist denn das für eine Information, die du da für mich hast, meine schlaue kleine Lostris, hm?“ „Eine, die uns unser Vorhaben, sie vom einzig wahren Glauben zu überzeugen, sehr erleichtern dürfte.“, sagte Lostris. „Das klingt ja sehr spannend.“, sagte Leandra. „Aber ich halte es für besser, wenn du daraus kein Geheimnis mehr machst.“ „Also gut.“, antwortete die junge Kriegerin und grinste böse. Dann sagte sie: „Eine der Unsrigen spioniert die Reihen von Shashana und ihren Leuten aus. Sie hat mir zugetragen, dass Shashanas Leibwächterin Meduse ziemliches Pech mit ihren Ehemännern gehabt hat. Sie hat 20 Stück, aber alle 20 sind zeugungsunfähig. Irgendwie scheint sie das anzuziehen, denn alle Männer, die sie bisher hatte, waren es. Die ersten 20 hat sie töten lassen, habe ich von unserer Agentin gehört und die nächsten sind auch bald dran. Man munkelt sogar, es läge in Wahrheit an ihr. Wenn sie keine Nachkommen hat, gibt es niemanden, der ihr in den Stand der Leibwächterin der obersten Prätora folgen kann. Sie ist schon älter und wird dieses Amt wohl nicht mehr lange ausfüllen können. Wenn wir sie dazu bekämen, die Einhorngöttin um eine Tochter zu bitten, dann hätten wir sie bestimmt ganz schnell auf unserer Seite.“

Leandra grinste ihre Tochter zuerst gemein an. Dann lachte sie aus voller Kehle und sagte: „Das ist eine sehr gute Information, die du da an Land gezogen hast, Lostris! Damit kriegen wir sie bestimmt! Was macht meine Verbindung?“

Lostris, die sich die gesamte Zeit über ihrer Mutter zugedreht hatte, wandte sich wieder dem Bildschirm zu, auf dem sie jetzt in deutlicher genesianischer Schrift lesen konnte, dass der Rechner die gewünschte Verbindung längst aufgebaut hatte. „Deine Verbindung kannst du haben, Mutter.“, sagte sie und stellte das Gespräch zu Leandra durch.

Kapitel 26: Die Schlacht der Glaubensrichtungen

von Visitor

 

Inzwischen hatten Shashana und ihre Leute sich an Bord der Rapach und auch an Bord der anderen Schiffe, die sie begleiteten, ein Bild von der Situation gemacht. Das konnte man ruhig wörtlich nehmen, denn mit Sensoren und Erfassern war der angeblichen Göttin und ihren Wundern zu Leibe gerückt worden. Shashana und ihre Kriegerinnen hatten sich nämlich nicht für dumm verkaufen lassen wollen. Sowohl die oberste Prätora, als auch ihre Verbündete, kannten Sytania dafür viel zu gut und wussten viel zu genau, dass diese Kriegerinnen hereingelegt worden waren. Aber Shashana wollte keine ihrer Untergebenen in Sytanias Hände fallen lassen und seien sie auch noch so verblendet. Wenn es möglich war, sie auf den falschen Weg zu bringen, dann musste es auch möglich sein, ihnen wieder den richtigen zu zeigen! Davon gingen Shashana und auch Elaria fest aus.

Die Rapach wurde von einer jungen Kriegerin geflogen, die erst seit kurzer Zeit in den Diensten der obersten Prätora stand. Sie hieß Sereta, war ein Findelkind gewesen und eigentlich von dem Zweig ihres Clans, dem auch Meduse angehörte, adoptiert worden. Jetzt hatte sie das Alter erreicht, in dem Genesianerinnen Kriegerinnen werden konnten. Sereta war gerade erst 14 Jahre alt geworden. Da sie aber sehr talentiert war, hatte Shashana sie bereits in ihre Dienste genommen, damit sie sich bewähren konnte. Sie war 1,80 m groß, hatte einen vom Kampf gestählten muskulösen Körper, wie die meisten der Kriegerinnen und trug die typische Kriegsbekleidung der Genesianer. Um ihren Nacken trug sie den üblichen Perlenkragen, dessen Muster ihre Stellung und die Zugehörigkeit zu Shashanas Clan auswies. Sie hatte, wie auch die meisten Genesianerinnen, flammenrotes Haar, das sie wie einen Feuerkranz um ihr Gesicht trug. Auch mit Hilfe dieser Art sich zu frisieren, wollten die Genesianerinnen Ihre Gegner einschüchtern. Es war ein Mittel der psychologischen Kriegsführung, das oft auch sehr wirkungsvoll gewesen war.

Diese Kriegerin hatte nun die Erfasserbilder, die von den Sensoren aufgenommen worden waren, auf den Hauptschirm gestellt, wie es ihr die oberste Prätora geheißen hatte. Hier war sehr gut zu sehen, dass zwischen einem sehr großen Teil der Kriegerinnen um Leandra und Lostris und der mysteriösen Einhorngöttin, aber auch zwischen ihnen und Sytania eine telepathische Verbindung bestand. Dies hatte Shashana hauptsächlich aus dem Text des Interprätationsprogramms entnommen, das von Sereta in weiser Voraussicht aktiviert worden war, aber wer ihr das gesagt hatte, spielte in diesem Fall ja keine Rolle. Viel wichtiger war, dass sie es überhaupt erfahren hatte.

Was Shashana hier zu lesen bekommen hatte, ließ sie erschauern. „So weit ist es also mit uns genesianischen Kriegerinnen gekommen!“, rief sie aus. „Wir geben uns jetzt schon der Ehrlosen anheim! Nein, nein! Das werde ich nicht zulassen! Wir müssen Leandra vom Clan der Rotash davon überzeugen, dass sie auf eine ganz üble Gaunerin hereingefallen ist, die alles nur tut, weil sie davon einen eigenen Vorteil hat. Früher oder später, wenn sie die Rotash und ihre Verbündeten nicht mehr benötigt, wird sie alle über die Klinge springen lassen als armselige Bauernopfer! So möchte bestimmt keine ehrenhafte Kriegerin enden. Ich möchte nur einmal wissen, wie sie Leandra herumgekriegt hat.“ „Ich fürchte, die Frage kann ich Euch beantworten, oberste Prätora.“, sagte Sereta, deren Stimme sehr hell und freundlich war. Dennoch sprach sie sehr laut und fest, wie es allen genesianischen Kriegerinnen anerzogen worden war. „So?!“, sagte Shashana. „Dann rede!“ „Sie gehört zu den Ausgestoßenen.“, begann Sereta. „Sie war mit Eurer neuesten Politik der Aufklärung nie einverstanden. Es kann sein, dass sie deshalb …“ „Aber das ist noch lange kein Grund, sich der Ehrlosen an den Hals zu werfen!“, fuhr ihr Shashana über den Mund. „Aber sie soll mir selbst sagen, was der Grund dafür ist! Ruf sie!“ „Das ist nicht nötig, oberste Prätora.“, sagte Sereta, die von ihrem Platz aus auch die Kommunikationskonsole bedienen konnte. „Sie ruft uns bereits!“ „Dann stell sie auf den Hauptschirm!“, befahl Shashana. Sereta nickte und führte aus, was ihr die oberste Prätora soeben gesagt hatte.

Alle sahen jetzt das Gesicht Leandras und das von Lostris, die in die Kamera ihres Sprechgerätes lächelten. „Es freut mich, Euch zu sehen, oberste Prätora.“, begrüßte Leandra Shashana freundlich. „Erlaubt mir bitte, Euch unsere neue Göttin vorzustellen. Sie ist die Personifizierung der Wächterin von Gore!“ „Wenn du das glaubst, Leandra von den Rotash!“, sagte Shashana. „Dann bist du doch verblendeter als ich dachte. Auch dein Schiff hat Sensoren. Auch dessen Rechner hat Daten über Sytania! Auch du müsstest ihre neueste Teufelei erkennen können! Siehst du denn nicht, dass sie euch nur benutzt? Irgendwann, wenn sie euch nicht mehr braucht, wird sie euch ausspucken wie eine bittere Speise! Soll das stolze Volk der Genesianer wirklich zu einem Volk der Marionetten der Ehrlosen werden?!“ „Ihr verkennt die Situation völlig, oberste Prätora.“, sagte Leandra geduldig und winkte Tara, die auf ihrem Schiff die Waffen bediente, zu sich heran. „Dies ist meine Tochter Tara.“, sagte sie stolz. „Sie wurde mir von der Einhorngöttin geschenkt. Scannt sie ruhig, wenn ihr nicht an das Wunder glauben wollt!“ „Oh ja!“, sagte Shashana. „Das werden wir auch tun!“

Sie winkte Sereta, die daraufhin die Sensoren der Rapach auf eben den Teil der Brücke richtete, auf dem Leandra und ihre Tochter Tara jetzt standen. „Ihre DNS mag genesianisch sein, oberste Prätora.“, meldete sie dann. „Sie ist sogar die Gleiche wie die ihrer Schwester Lostris. Es gibt allerdings ein kleines aber feines Detail. Tara hat keine Biochemie, wie es alle Schöpfungen von Mächtigen haben. Ihre Organe funktionieren also nicht eigenständig. Ihr wisst, dass es nur deren Wille ist, der solche Schöpfungen am Leben hält. Wenn man die Verbindung stört, dann …“ „Ja dann.“, lächelte Shashana. „Und genau das werden wir jetzt beweisen! Du hast sehr gut aufgepasst, als ich dir von Sytania und ihren Schwachstellen berichtet habe, Sereta! Sehr gut! Meduse, heb die Schilde und konfiguriere Meilenstein auf diese unselige Mischfrequenz, aus der die Verbindung zwischen den Marionetten und ihrer Puppenspielerin nebst deren Partnerin besteht! Dann erfasse Leandras Schiff als Ziel und feuere!“ „Ja, oberste Prätora!“, sagte die Leibwächterin, die, als Beauftragte für Shashanas Sicherheit, auch die Waffen an Bord der Rapach bedienen durfte.

Während sie den Befehl gegeben hatte, hatte Shashana den Sendeknopf nicht losgelassen. Sie hatte es für nötig gehalten, dass Leandra über ihr Vorhaben Bescheid wusste, denn noch war sie von ihrem Ziel nicht abgerückt, ihr zu beweisen, was für ein falsches Spiel Sytania und Valora mit ihr spielten. So war es Leandra und Lostris möglich geworden, alles zu hören. Da die Beiden wussten, dass sie auf dem Hauptschirm zu sehen waren, wie es üblich war, wandte sich Leandra jetzt direkt an Meduse: „Bedenke, was du tust, Meduse! Ich hörte, du hast nur eine adoptierte Nachfahrin. Das Wunder, das mir zuteil wurde, kann auch dir zuteil werden, wenn du nur dafür betest! Deine Nachfahrin müsste, weil sie nur adoptiert ist, sich mit all den anderen Kriegerinnen, die sich um das Amt von Shashanas Leibwächterin bewerben, in Wettkämpfen messen und das wäre ein Glücksspiel. Sie könnte immerhin verlieren und dann hätte dein Zweig womöglich dieses Amt nicht mehr. Wenn du das nicht willst, dann bete für eine leibliche Tochter! Bete, Meduse! Bete! Bedenke auch die Möglichkeit, dass du niemals die Zeit der Schande durchmachen musst. Kein Mann wird je diese Macht über dich haben, auch wenn es das Einzige ist, was sie können. Aber das ist ja gerade das Schändliche! Also, bete, Meduse! Denk nach und bete!“

Meduse war von ihrem Sitz aufgestanden. Die Worte Leandras hatten sie bis ins Mark getroffen. Keine leibliche Nachfahrin zu haben, die Shashana, ihre über alle Maßen verehrte oberste Prätora einmal an ihrer Stelle schützen konnte und dies somit eventuell aus der Hand geben zu müssen, hatte ihr einen Stich in die Magengrube versetzt. Sie beugte leicht, aber dennoch zögerlich ihre Knie. „Nein, Meduse!“, befahl Shashana. „Bleib standhaft! Erinnere dich daran, dass wir genesianische Kriegerinnen und keine dreckigen Ferengi sind, die für eine kleine Erleichterung ihre Seelen verkaufen! Wir sind doch ein Volk von tapferen Kriegerinnen, die auch die Zeit der Schande mit Würde und in Mut und Tapferkeit ertragen! Außerdem, frage ich dich, sind es nicht wir, die bestimmen, wann die Männer bei uns liegen? Sind es deshalb nicht wir, die wir uns in diese Zeit begeben und zwar freiwillig? Dazu gehören nämlich immer zwei! Zumindest meiner Meinung nach und du weißt, dass diese jetzt die vorherrschende Meinung ist!“

Meduse zögerte. „Bete!“, dröhnte es erneut aus dem Lautsprecher. „Bete!“

„Das genügt!“, stellte Shashana fest. Dann befahl sie dem Computer, die Waffenkontrolle auf ihre Station zu transferieren und gab den Feuerbefehl selbst. Augenblicklich fiel Tara tot um, da ihre Verbindung zu Sytania und Valora getrennt war. „Da hast du es, Meduse!“, sagte sie. „Da hast du das Wunder! Und dazu wolltest du „ja“ sagen?“ „Natürlich nicht, oberste Prätora.“, sagte Meduse, die jetzt wieder zu sich gekommen war. „Wie konnte ich nur …?“

Für weitere Reue war aber keine Zeit, denn die anderen Kriegerinnen um Leandra und Lostris hatten Taras Tod zweifelsfrei als Grund angesehen, die gegnerischen Schiffe anzugreifen. Schon war die größte Schlacht im Gange.

„Meduse!“, befahl Shashana. „Konfiguriere Meilenstein und feuere auf alle Schiffe, auf denen sich Geschöpfe dieser unseligen Verbindung befinden!“ „Wie Ihr wünscht!“, sagte Meduse, die jetzt unbedingt beweisen wollte, dass sie wieder Herrin ihrer Sinne war.

Unter dem Feuer der Rapach fielen die Schiffe, die von den Marionetten gesteuert wurden, wie die toten Fliegen vom Himmel. Aus war es mit der Unverwundbarkeit und der Unsterblichkeit. Das war eine Tatsache, die Leandra und Lostris gleichermaßen schreckte und irritierte. Auch von den Schiffen, auf denen sich zwar Marionetten befanden, die aber nicht direkt von ihnen gesteuert wurden, häuften sich die Meldungen über Tote. Leandra war sogar so erschrocken, dass sie Shashana einen Waffenstillstand anbot. „Ich nehme dein Angebot an!“, sagte die oberste Prätora. „Zieh heim und lecke deine Wunden!“ Ohne etwas zu erwidern drehten Leandra und Lostris mit dem verbliebenen Rest ihrer Kriegerinnen ab.

Sereta wandte sich an Shashana. „Warum habt Ihr sie ziehen lassen, oberste Prätora?“, fragte sie. „Weil ich immer noch an Leandras Vernunft glaube.“, antwortete Shashana. „Eine gute Anführerin gibt niemanden auf, nur weil sie der Verblendung anheimgefallen ist. Das musst du dir merken, Sereta! Aber nun setze Kurs zurück ins Dock. Ich werde mich mit allen meinen Kriegerinnen darüber beraten, was wir aus der Situation machen sollen!“ „Ja, oberste Prätora!“, sagte Sereta fest und führte aus, was ihr Shashana soeben befohlen hatte.

Sytania und Telzan waren im Thronsaal der Prinzessin von Shashanas Aktion überrascht worden. Da die Königstochter eine telepathische Verbindung zu jeder der Schöpfungen hatte, hatte sie sehr wohl gemerkt, was da gerade passiert war. Krampfend war sie zusammengebrochen und Telzan blieb nichts übrig, als sie in ihr Bett in ihren Gemächern zu bringen. Dort trug er einem Dienstmädchen auf, öfter nach ihr zu sehen und ihn sofort zu verständigen, sollte sich der Zustand ihrer gemeinsamen Herrin verschlechtern. Das imperianische Bauernmädchen hatte nur genickt.

Jetzt war Telzan auf dem Weg zurück in seine Garnison, wo er von Cirnach erwartet werden würde, die diese Situation auch gemeinsam mit Mirdan mit Hilfe der interdimensionalen Sensorenplattform beobachtet haben würde. Sie würden mit Sicherheit auch beide gesehen haben, was gerade passiert war und würden es sicher genauso wenig gutheißen wie er selbst. Auch um Valora sorgte sich der Vendar. Um sie fast noch mehr als um seine Herrin, denn er wusste, dass Valora vielleicht noch umso weniger mit einer solchen Tat der Genesianer gerechnet haben könnte. Die Einhörner genossen ja im Allgemeinen das Privileg der Unantastbarkeit. Dass es jetzt jemand gewagt hatte, sich gegen eines von ihnen zu wenden, könnte sie nicht nur überrascht, sondern sie im wahrsten Sinne des Wortes vielleicht sogar umgeworfen haben. Das war etwas, dem er unbedingt nachgehen musste, wenn er die Zeit dazu fand. Aber es fehlten ihm auch noch wichtige Informationen, die er hoffte, jetzt von seiner Frau und seinem Schüler zu erhalten.

Auf dem Monitor in der Garnison der Vendar hatten Cirnach und Mirdan sich alles angesehen. Wie gebannt hatten sie mit offenem Mund auf den Schirm gestarrt. „Hättest du das gedacht, Ausbilderin?“, fragte Mirdan leise in Richtung der Stellvertreterin seines Lehrers. „Wenn ich ganz ehrlich sein soll.“, erwiderte die ebenfalls leicht verwirrt wirkende Vendar. „Dann hätte ich Shashana El Chenesa das nicht zugetraut. Ich hätte nicht gedacht, dass sie den Mut hätte, Meilenstein gegen ein Einhorn einzusetzen.“ „Genau genommen.“, sagte Mirdan. „Hat sie es ja auch nicht gegen Valora eingesetzt, zumindest nicht nur, sondern auch gegen Sytania. Eigentlich ja sogar nur gegen die Verbindung der Beiden und gegen das, was aus dieser resultiert hat. Ich bin überzeugt, würde sie Valora selbst gegenüberstehen, würde sie sich das nicht trauen!“ „Dein Wort in den Ohren der Götter, Novize!“, sagte Cirnach streng, die seinen Einwand eher als naiv einordnete. Ihrer Meinung nach hätte er jetzt daraus lernen müssen, dass man der obersten Prätora der Genesianer mit größter Vorsicht hatte begegnen müssen und sich nicht auf dem althergebrachten Glauben ausruhen dürfen, dass man den Einhörnern schon nichts tun würde oder könnte. Dass es damit ganz anders aussah, hatten sie jetzt ja gesehen.

„Cirnach?“, eine männliche Stimme hatte sie angesprochen, noch bevor sie Mirdan für sein Verhalten tadeln konnte. Cirnach drehte sich um und erkannte ihren eigenen Ehemann. „Ich grüße dich, mein Telzan.“, sagte sie und schlug ernst die Augen nieder. „Auch ich grüße dich, meine Cirnach.“, sagte Telzan zärtlich und legte seine Arme um sie, um sie danach zu küssen. Sie aber schob ihn nur von sich: „Lass mich! Ich bin jetzt nicht in der Stimmung für Zärtlichkeiten!“ „Was ist los?“, fragte Telzan und sah sie irritiert an. „Sieh selbst.“, erwiderte seine Frau leise und mit etwas Trauer und viel Enttäuschung in ihrer Stimme.

Telzan wandte sich dem Monitor zu. Hier sah er jetzt die Situation in der Umlaufbahn der Heimatwelt der Genesianer. Genau war dort zu sehen, dass die Kriegerinnen um Leandra und Lostris in sehr stark dezimierter Zahl und mit halb zerstörten Schiffen auf dem Rückzug waren, während Shashana und ihre Truppe sich daran machten, Leichen und Überlebende einzusammeln, um sie teils als Kriegsbeute und teils als Gefangene mitzunehmen.

Er wandte sich erschrocken Mirdan zu, der vor dem Computermikrofon saß. „Wie konnte das geschehen, Mirdan?!“, fragte er. „Sag dem Mishar, er soll uns zeigen, was in den zehn Minuten davor geschehen ist!“ „Ja, Ausbilder.“, sagte Mirdan und nickte. Dann gab er dem Computer die entsprechenden Befehle.

Jetzt war es Telzan, der wie gebannt auf den Monitor starrte. Auch er konnte sich nicht wirklich erklären, was da geschehen war. „Kelbesh!“, fluchte er. „Wir haben Shashana El Chenesa gewaltig unterschätzt! Diese verdammten Genesianerinnen sind doch tapferer und klüger als wir alle denken!“ „Da hast du wohl Recht, mein Ehemann.“, sagte Cirnach. „Ich muss dir gestehen, dass ich auch zuerst die Vermutung hatte, Shashana El Chenesa würde sich das nicht trauen. Aber wie du siehst, waren wir ja alle auf dem Holzweg! Wir werden unsere Pläne gewaltig ändern müssen, was sie angeht. Wir werden sie weiterhin auf der Rechnung haben müssen.“ „Ja, das müssen wir.“, bestätigte Telzan gegenüber seiner Frau. „Und ich fürchte, das werden wir auch unserer Herrin beichten müssen, wenn sie wieder genesen ist.“

Mirdan fuhr zusammen. Die letzte Aussage seines Ausbilders hatte ihn doch sehr erschrocken. „Sytania auch?!“, fragte er alarmierten Ausdrucks im Gesicht. „Ja, Mirdan.“, antwortete Telzan. „Oder hast du wirklich geglaubt, sie bliebe verschont?! Du wusstest doch, dass Valora und sie jetzt telepathisch miteinander verbunden sind. Was der einen geschieht, geschieht auch der anderen.“ „Bitte verzeih mir, Ausbilder.“, bat Mirdan und senkte beschwichtigend den Kopf. „Das hatte ich wohl nicht bedacht. Aber in einer solchen Situation kann man schon einmal nervös werden. Wie geht es der Prinzessin?“ „Nicht sehr gut.“, sagte Telzan. „Eine der niederen Zofen ist bei ihr und beobachtet ihren Zustand. Sie wird mich sofort holen, wenn sich etwas ändert. Sie weiß wo ich bin und die Wachen haben Befehl, sie auf jeden Fall durchzulassen. Das war das Einzige, was ich tun konnte. Ohne genaue Informationen kann ich ihr auch nicht helfen und die konnte ich nur hier bekommen. Aber eines ist sicher. Shashana El Chenesa muss weiter beobachtet werden. Sie scheint mit allen Wassern aus jeder nur erdenklichen Quelle gewaschen zu sein. Wenn wir nicht aufpassen, macht sie uns jeden Plan kaputt.“ „Das bedeutet aber auch.“, stellte Mirdan fest. „Dass wir meinen Plan, die Genesianer zu spalten, wohl vergessen können. Shashanas Aktion dürfte nicht ohne Folgen bleiben und die anderen Kriegerinnen müssten schon allesamt blind vor Glauben sein, wenn …“ „Das werden wir ja gleich sehen.“, sagte Telzan. „Lass mich einmal dorthin.“

Er schob Mirdan beiseite und setzte sich selbst an den Platz vor dem Rechner. Dann stellte er die Sensorenplattform mit dessen Hilfe so ein, dass sie ihm ein genaues Bild von der genesianischen Heimatwelt zeigte. Bei der kurzen Kamerafahrt zählten alle drei die Statuen der Einhorngöttin, die sich auf dem Planeten befanden. Allerdings sahen sie bald, dass es nur eine war und die wurde auch noch gerade von einigen Kriegerinnen eingerissen. Diese spuckten sogar verächtlich auf deren Überreste und, wenn Cirnach dem Bild ihrer Lippen glaubte, dann spotteten sie sogar über sie. Das war eine Tatsache, die Cirnach ihrem Mann sofort mitteilte. „Was macht dich da so sicher, Telshanach?“, fragte Telzan. „Ich kann mir vorstellen, dass du die Lippenbewegungen interpretieren kannst, wenn jemand Englisch spricht. Das ist ja die Amtssprache eines unserer größten Feinde. Aber ich wusste gar nicht, dass du auch des Genesianischen mächtig bist.“ „Das bin ich eigentlich auch nicht, mein Ehemann.“, sagte Cirnach. „Aber die Gesichter dieser Frauen dort sprechen Bände. Schau dir doch mal an, wie sie die Reste der Statuen anblicken.“

Sie rückte ein Stück, um ihrem Ehemann einen besseren Blick auf den Monitor zu verschaffen. Hier sah Telzan jetzt genau, was sie gemeint hatte. „Du sprichst die Wahrheit, Telshanach.“, sagte er. „Aber trotzdem würde ich nicht aufgeben. Diesen Plan können wir vergessen, da hast du Recht. Selbst wenn uns Leandra und Lostris mit ihren Kriegerinnen bleiben, so glaube ich nicht, dass sich noch viele ihnen anschließen werden, nach dem, was heute dort passiert ist. Die Sache mit dem Rosannium wird Fragen aufwerfen. Diese können sie sicher nicht beantworten. Das wird dazu führen, dass immer mehr, die sich Valora, Sytania und uns bereits angeschlossen hatten, wieder zum alten Glauben zurückkehren werden. Die Spaltung von Chenesa, die wir uns so sehr erhofft hatten, wird es also nie geben! Mit nur einem Clan an unserer Seite können wir das nicht erreichen. Wir müssen umdenken.“

Mirdan hatte sich verschämt in eine Ecke des Raums zurückgezogen. Er hatte sehr wohl realisiert, dass es ja sein Plan gewesen war, der jetzt gewaltig in die Hose gegangen war. Er war es schließlich gewesen, der Shashana unterschätzt hatte! Seine Schuld war es, dass Sytania und Valora jetzt eine solche Niederlage eingesteckt hatten! Er musste dringend einen Weg finden, das wieder gut zu machen! So dachte er zumindest.

Das Verhalten des Novizen war auch Cirnach und Telzan aufgefallen. „Was stehst du da so herum?!“, fragte Cirnach und ging zu ihm. „Und was schaust du so traurig? Warum wendest du uns den Rücken zu als Symbol der Scham?“ „Weil ich mich sehr schäme, Ausbilderin.“, sagte der Novize traurig. Er wagte immer noch nicht, sich zu ihr umzudrehen und ihr ins Gesicht zu sehen.

Cirnach fasste ihn am Kragen und drehte ihn zu sich herum. Das war etwas, das für Mirdan sehr überraschend kam. Dann befahl sie: „Sieh mich an, Novize! Du bist noch kein erwachsener Krieger! Du befindest dich noch in der Ausbildung. Eine Fehleinschätzung ist für Novizen deines Standes ganz normal. Wie hättest du das wissen sollen, wenn es sogar für uns undenkbar war?“

Langsam hob der Novize den Kopf. Zögerlich öffnete er die Augen, welche er aus Scham immer noch verschlossen gehalten hatte, um vor Cirnach nicht den Eindruck zu erwecken, sie ansehen zu wollen. „Na komm!“, versuchte die Vendar ihn zu ermuntern. „Öffne schon deine Augen! Ich habe dir doch erlaubt, mich anzusehen.“ „Das hast du in der Tat, Ausbilderin.“, sagte Mirdan und öffnete seine Augen langsam. „Du hast es mir sogar befohlen.“ „Genau.“, bestätigte Cirnach. „Und was tut ein braver Novize mit den Befehlen seines Ausbilders oder dessen Stellvertreterin?“ „Er befolgt sie!“, sagte Mirdan jetzt sehr fest. „So gefällt mir das!“, lobte Cirnach und klopfte ihm auf die Schulter. Dann ließ sie ihn los.

Kapitel 27: Sytanias Schmach

von Visitor

 

Sytania war in ihrem Gemach wieder zu Bewusstsein gekommen. Sie war sehr erstaunt darüber, statt ihres obersten Vendar das Bauernmädchen an ihrem Bett sitzen zu sehen. Erstaunt musterte die Königstochter die kleine Gestalt in ihren ärmlichen abgewetzten Kleidern. Sie war ca. 1,64 m groß, von mittlerer Statur und hatte blonde kurze Haare. Sie trug ein verwaschenes altes Kleid, das ihr eigentlich viel zu groß war. Es musste wohl ihrer großen Schwester gehört haben. Jetzt hatte sie es wohl bekommen und sollte hineinwachsen. An ihren Füßen trug das Mädchen schmutzige verblichene Schuhe.

Sytania setzte sich auf, gleich nachdem sie die Augen geöffnet hatte. „Ihr seid wach!“, rief die Zofe erfreut aus. „Ich werde gleich nach Eurem obersten Vendar schicken! Er hat mir aufgetragen, das zu tun, sobald Ihr erwacht seid!“ „Warum wacht Telzan nicht selbst an meinem Krankenbett?!“, wollte die Prinzessin wissen und sah sie mit einem bohrenden Blick sehr durchdringend und streng an. „Er wollte wichtige Informationen besorgen, Herrin.“, sagte die Kleine mit ihrer hellen kleinen Stimme. „Informationen, die er wohl nur in seiner Garnison bekommen kann. Deshalb sollte ich hier auf Euch achten, solange er weg ist. Was ist mit Euch geschehen? Was hat Euch erkranken lassen? Ich war immer der Ansicht, das sei bei Mächtigen nicht möglich.“ „Sicher nichts, das einen Bauerntrampel wie dich etwas angeht!“, sagte Sytania scharf und warf ihr einen abfälligen Blick zu. „Du solltest dich schämen, dass du überhaupt gefragt hast!“ „Es wird nicht wieder vorkommen, Eure Hoheit.“, sagte das Mädchen. „Eher lasse ich mir die Zunge abschneiden!“ „Recht so!“, erwiderte Sytania. „Und nun lauf und hole mir Telzan! Er wird sich sehr über die gute Nachricht freuen, dass seine Herrin erwacht ist! Hinfort mit dir! Marsch! Über deine Strafe wegen deiner Frage werden Telzan und ich dann auch gemeinsam nachdenken!“ Das Mädchen nickte, stand auf und rannte davon.

Ihr Weg führte sie aus dem Schloss und dann zur Kaserne der Vendar. Hier ließ der Torwächter, ein direkter Untergebener Telzans, sie ohne Fragen passieren, denn er hatte von seinem Vorgesetzten eine genaue Beschreibung ihres Äußeren bekommen. Er führte sie sogar, nachdem er einem anderen Soldaten seinen Posten gegeben hatte, persönlich in den Befehlsstand, wo er von Telzan sofort Order erhielt, auf dem Absatz Kehrt zu machen und wieder zu gehen.

Nun waren Telzan, Cirnach und Mirdan mit ihr allein. „Was ist geschehen?“, wandte sich Telzan verhältnismäßig freundlich an das Mädchen. „Sie ist wach, Telzan!“, sagte sie. „Unsere Herrin ist wach!“ „Na das ist ja schon einmal eine sehr gute Nachricht.“, sagte der Vendar und lächelte sie an. „Sie verlangt danach, dich zu sehen.“, richtete die Zofe aus. „Dann lass uns gehen.“, sagte Telzan und drehte sich ihr zu, die sich bereits langsam wieder in Richtung Tür gewendet hatte. Die kleine nickte und schickte sich an, ihm voran wieder in Richtung Schloss zu gehen.

Mirdan hatte dies beobachtet. Er hoffte inständig, irgendeine Gelegenheit zu bekommen, seine Schande von vorhin wieder gut machen zu können. Cirnachs Worte, die ihn zwar oberflächlich getröstet hatten, schienen wohl doch nicht den passenden Effekt zu haben. Aber er dachte sich schon, wie er das regeln könnte.

Mit einigen großen entschlossenen Schritten, die fast schon eher Sprüngen ähnelte, setzte er Telzan und dem Mädchen nach. Am Tor gelang es ihm tatsächlich noch, sie einzuholen. „Bitte warte einen Augenblick, Ausbilder!“, sagte er etwas außer Atem. „Was ist?“, fragte Telzan. Dabei hatte er sich noch nicht einmal umgedreht. „Ich möchte um Erlaubnis bitten, einige unserer Leute mitzunehmen, die gerade im passenden Teil ihres Sifa-Zyklus sind und mit Ihnen etwas Energie von unseren Getreuen unter den Adeligen des Dunklen Imperiums sammeln. Dann möchte ich nach Valora suchen. Die durch das Rosannium aus Shashanas Waffe verstorbenen Kriegerinnen waren zum größten Teil allein ihre Schöpfungen. Es wird sie also stärker getroffen haben, als es Sytania getroffen hat. Vielleicht kann ihr ja so geholfen werden.“ „Sehr gut, Mirdan!“, lobte Telzan. „Tu, was du dafür tun musst und besorge dir, was du dafür benötigst. Ich gebe dir für die Ausführung freie Hand.“ „Danke, Ausbilder.“, sagte Mirdan und ging strahlend wieder in die andere Richtung, während Telzan und die Zofe ihren Weg in Richtung Schloss fortsetzten.

Der Kleinen fiel es sehr schwer, mit den Schritten des Vendar mitzuhalten. Auch hatte sie immer noch das Gefühl, dass er etwas vor ihr verheimlichte. Sein plötzliches Betreten der Gemächer mit Sytania über den Schultern hatte sie geängstigt. Jetzt wollte sie unbedingt wissen, was der Grund dafür war und wollte sich nicht mit Sytanias Abfuhr zufrieden geben.

Sie beschloss also, Telzan noch einmal auf das gleiche Thema anzusprechen: „Bitte warte einen Augenblick, Telzan.“ Der Vendar drehte sich um und blieb stehen. „Was willst du?“, fragte er. „Ich möchte doch nur wissen, was unsere Herrin so krank gemacht hat.“, antwortete das Bauernmädchen. „Prinzessin Sytania hat zwar gesagt, dass es mich nichts anginge, aber …“ „Und dann erwartest du, dass ich den Befehl meiner Herrin missachte und es dir sage?“, fragte Telzan verächtlich zurück und warf ihr einen ebensolchen Blick zu. „Oh nein! Das wirst du wohl nicht erleben … Ach, wie heißt du eigentlich?“ „Ich heiße Elisa.“, sagte das Mädchen traurig. „Dann hör mir jetzt gut zu, Elisa.“, sagte Telzan. „Wenn du nicht demnächst getötet werden willst, dann stellst du solche Fragen nie wieder! Hast du mich verstanden?!“ Er setzte einen einschüchternden Ausdruck auf und sagte dann: „Es gibt Dinge, die ihr einfachen Imperianer nicht wissen dürft. Diese Dinge teilen die Mächtigen nur mit uns Vendar! So war es schon seit Jahrtausenden und so wird es auch immer bleiben!“ „Ich verstehe.“, sagte Elisa kleinlaut, die ob seines Verhaltens ihr gegenüber jetzt tatsächlich um ihr Leben fürchtete. „Ich werde nie wieder fragen.“, sagte sie mit gesenktem Kopf und beschwichtigendem ängstlichen Gesichtsausdruck. „Nie wieder. Das schwöre ich dir, Vendar. Nur, bitte lass mir mein Leben.“ „Schon gut.“, lachte Telzan. Schließlich brauche ich dich noch und ohne Sytanias Befehl würde ich dich sowieso nicht töten. Du hast also noch mindestens bis zu dem Zeitpunkt eine Galgenfrist, wenn wir bei ihr ankommen. Dann wird die Prinzessin entscheiden, was wir mit dir tun und nun sage mir, was genau geschehen ist, als sie erwacht ist. Aber dabei sollten wir weitergehen. Ich lasse meine Herrin ungern warten.“

Er setzte sich wieder in Bewegung und Elisa tat es ihm gleich. „Die Prinzessin hat sofort nach dir gefragt, Telzan.“, sagte sie. „Oh.“, antwortete Telzan. „Dann muss es ihr wirklich noch sehr schlecht gehen.“

Er schaute wieder hinter sich. „Wenn es so weitergeht.“, sagte Telzan. „Dann sind wir morgen noch nicht im Schloss. Deine kurzen Beine tragen dich viel zu langsam.“ Damit packte er sie um die Hüften und nahm sie huckepack. Das war aber beileibe kein Liebesdienst, sondern sollte nur bewirken, dass sie schneller vorankamen. Es nervte Telzan nämlich gewaltig, immer auf sie warten zu müssen.

Endlich waren sie im Schloss angekommen und Telzan setzte Elisa wieder vor der Tür von Sytanias Gemach ab. „Ich denke.“, sagte er. „Es sollte in deinem Interesse liegen, jetzt zu gehen, wenn dir dein Leben lieb ist.“ „Ich eile, Telzan.“, sagte Elisa, die sehr erleichtert darüber war, dass er offensichtlich bestrebt war, ihr Leben doch zu verschonen. Sie ahnte ja noch nicht, wie sehr sie sich darin irren sollte. Auf Zehenspitzen schlich sie schnellen Schrittes und aufatmend davon.

Telzan drückte langsam die Klinke herunter und trat ein. „Herrin, ich bin es!“, sagte er zwar leise, aber fest. Er wollte erreichen, dass sich Sytania in jedem Fall sicher fühlte. Langsam ging er auf ihr Bett mit den goldenen Beschlägen zu. „Ja, komm näher, Telzan.“, sagte Sytania mit immer noch sehr schwacher Stimme. Ihr Zustand hatte sie wieder zurück in die Kissen gezwungen. Jetzt war sie auch kaum noch in der Lage, sich aufzusetzen.

Der Vendar erschrak. In so einem Zustand hatte er seine Herrin nur selten gesehen. „Was hat Euch Shashana El Chenesa nur angetan?!“, fragte er. „Shashana El Chenesa?“, fragte Sytania zurück. „Du weißt also, wer mich in diesen Zustand gebracht hat?“ „In der Tat, Hoheit!“, sagte Telzan fest und zog ein Pad aus seiner Tasche. Hierauf hatte er sämtliche Bilder gespeichert, die er zu diesem Geschehen vom Rechner seiner Garnison erhalten hatte. „Seht her.“, sagte er. „Laut der Sensorenplattform war der Phaser von Shashanas Schiff genau auf die richtige Trägerfrequenz eingestellt, um Euch und Valora zu schaden.“ „Meilenstein!“, entfuhr es Sytania. „Ich hätte nie gedacht, dass diese verdammte Genesianerin mutig genug sein würde, um Meilenstein gegen ein Einhorn einzusetzen! Ach, Telzan! Wie geht es Valora?“ „Das wird uns mein Novize Mirdan bald verraten können.“, sagte Telzan. „Er ist auf der Suche nach Valora. Wir gehen davon aus, dass sie es vielleicht noch gerade zurück in unsere Dimension geschafft hat. Er will unter den uns getreuen Adeligen Energie sammeln, um sie Valora zu geben.“ „Ach ja. Meine Freundin Valora.“, sagte Sytania. „Aber was ist mit mir? Wie können wir mich wieder stärken, damit ich es dieser Genesianerin heimzahlen kann?“ „Um das zu beantworten.“, sagte Telzan. „Muss ich mir Euren Zustand genauer ansehen.“

Er steckte das Pad wieder ein und zog stattdessen seinen Erfasser, um Sytania genau zu scannen. Er hatte zwar auch etwas gespürt, wollte sich aber nicht allein darauf verlassen. Das Gerät zeigte ihm jetzt sehr genau, welcher Natur die telepathische Verbindung zwischen Valora und Sytania war.

Nach einem genauen Studium der Daten ließ Telzan den Erfasser wieder sinken. Dann sagte er: „Es dürfte gesünder für Euch sein, wenn Ihr die Verbindung für eine Weile trennen würdet. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, bis mein Novize die nötige Menge an Energie gesammelt haben und sie Valora übergeben haben wird. Ihr müsst schließlich auch noch mindestens einen Tag einrechnen, den er und seine Leute für das Fütterungsritual benötigen werden. Ihr wisst, dass sie dieses mindestens einmal durchführen müssen, um die Energie zu vermehren und dafür zu sorgen, dass sie an Euch weitergegeben werden kann. Sonst werden ihre Sifas das nicht zulassen und sie würden die Energie bis zum natürlichen Ende ihres Sifa-Zyklus tragen müssen. Aber das würde zu lange dauern. Den Trick mit dem Ritual haben wir uns von dem Verräter Joran abgeschaut. Aber selbst wenn es so ist, so ist es doch die Wahrheit.“ „Schon gut, Telzan.“, sagte Sytania. „Ich bin zu allem bereit, wenn es mir nur hilft. Oh dieser Schwindel! Dieser erbarmungslose Schwindel! Wann hört das endlich auf?!“ „Es wird erst dann aufhören, befürchte ich, wenn es gelungen ist, Euch wieder zu stabilisieren.“, sagte Telzan. „Und das Einzige, was jetzt getan werden kann, könnt Ihr nur selbst tun! Bitte trennt die Verbindung zwischen Valora und Euch. Es wäre doch nur für eine Weile, Hoheit! Nur für eine kurze Weile!“ „Sie trennen?!“, rief Sytania empört aus. „Was glaubst du, wie das bei Valora ankommen würde?! Sie wird doch meinen, ich ließe sie im Stich und das kann ich nun gar nicht gebrauchen! Wenn wir die Kräfte in den Dimensionen langfristig zu unserem Vorteil verschieben wollen, dann benötige ich sie und sie benötigt mich! Hast du dir darüber schon einmal Gedanken gemacht?!“ „Das habe ich in der Tat, Gebieterin.“, versuchte Telzan sie zu beschwichtigen. Er wusste genau, dass Aufregung jetzt in keinem Fall gut für sie war. Eine durch Rosannium geschwächte Mächtige konnte sogar, genau wie jede Sterbliche auch, an einem Herzanfall sterben und Shashanas Einsatz von Meilenstein hatte sie sehr geschwächt. Dem Vendar musste dringend etwas einfallen, um sie wieder zu besänftigen. Sonst konnte er für nichts mehr garantieren. Die Werte, die ihm sein Erfasser verraten hatte, alarmierten ihn schon genug.

Er zog sein Sprechgerät. „Ich werde Mirdan fragen, wie weit seine Mission gediehen ist, Herrin.“, schlug er vor. „Außerdem werde ich ihm auftragen, Valora zu erklären, warum Ihr die Verbindung zeitweise trennen müsst. Ich bin sicher, dass sie es verstehen wird.“ „Also gut.“, sagte Sytania, die sich erneut ihrer Schwäche ergeben musste. „Aber lass mich seine Antwort auch hören.“ „Natürlich, Gebieterin.“, sagte Telzan, nahm einige Kissen, die er in ihren Rücken stellte, um sie zu stützen und suchte dann Mirdans Rufzeichen aus dem Speicher seines Sprechgerätes heraus, Dann ließ er das System einen Ruf absetzen, indem er es einfach bestätigte, als es im entsprechenden Fenster auftauchte.

Der Novize und die Vendar-Krieger, die mit ihm gegangen waren, hatten ihre Sammlung bei den Sytania treuen Adeligen beendet und sich auf einer Waldlichtung versammelt. Für keinen der erwachsenen Vendar war es seltsam, dass ein Novize jetzt die Befehlsgewalt hatte, denn die Legitimation durch ihren Anführer Telzan genügte, dass sie diesen Umstand nicht hinterfragten. So war es auch nicht wunderlich, dass sie ihn mit Anführer ansprachen. „Wie sieht es aus?“, fragte Mirdan. „Haben alle Energie bekommen können?“ „Ja, Anführer.“, bestätigten alle Vendar teils verbal und teils durch Kopfnicken. „Gut!“, sagte Mirdan fest. „Dann alle Haltung einnehmen zum Fütterungsritual!“ „Zu Befehl!“, bestätigten alle und setzten sich im Schneidersitz und mit verschränkten Armen auf den Waldboden. Mirdan saß in der Mitte. So konnte er alle gut überblicken.

Gerade wollte er den Befehl zum Beginnen geben, als er von einer jungen Kriegerin angesprochen wurde: „Anführer, dein Sprechgerät.“

Mirdan griff in seine Tasche und zog es hervor. Dann sah er auf das Display, wo er das Rufzeichen seines Ausbilders erkennen konnte. Außerdem hörte auch er jetzt das Signal. „Du hast gute Ohren.“, wendete er sich lobend der Vendar zu, die ihm auf ca. ein Uhr gegenübersaß. Dann drückte er den Sendeknopf, was dem Gerät den Befehl erteilte, das Gespräch anzunehmen.

Jetzt sah er im Display das Gesicht seines Lehrers. „Berichte mir!“, befahl Telzan. „Wie weit bist du?“ „Wir haben alle Energie bekommen, Ausbilder!“, sagte Mirdan fest. „Wir wollten gerade mit dem Fütterungsritual beginnen!“ Er ließ das Gerät bei gedrücktem Sendeknopf einmal durch eine geschickte Handbewegung kreisen. So konnte Telzan sehen, was um ihn herum geschah. „Sehr gut, mein Schüler.“, sagte Telzan. „Wie geht es Sytania?“, erkundigte sich Mirdan. „Sehr schlecht.“, sagte Telzan. „Wirklich sehr schlecht. Sie weigert sich allerdings auch, das zu tun, was ihr Leben retten könnte. Sie will die Verbindung zu Valora einfach nicht trennen!“ „Das wird auch bald nicht mehr nötig sein!“, versicherte Mirdan. „Ich bin zuversichtlich, dass wir Valora helfen können und wenn wir ihr helfen können, dann wird das auch Sytania helfen.“ „Das ist korrekt.“, sagte Telzan. „Ich sehe also, du hast aufgepasst, als ich dir die Zusammenhänge der Allianzen von Mächtigen erklärt habe.“ „In der Tat.“, sagte Mirdan. „Aber jetzt lass uns endlich dieses Gespräch beenden, damit wir beginnen können, Ausbilder. Je eher wir helfen können, desto besser ist es für Sytania und Valora.“ „Soll mir recht sein.“, sagte Telzan, der sehr wohl mitbekommen hatte, dass sein Schüler die Dringlichkeit der Situation erkannt hatte. Er befahl noch: „Weitermachen!“, ins Mikrofon, bevor er die Verbindung beendete. „Ihr habt ihn gehört!“, sagte Mirdan, nachdem er sein Sprechgerät wieder eingesteckt hatte. „Beginnen wir!“ Alle nickten und begannen damit, sich auf die für das Fütterungsritual notwendigen Bilder zu konzentrieren.

Mit einem milden Blick hatte sich Telzan Sytania zugewandt. „Ihr seht, es wird alles wieder gut, Herrin.“, sagte er. „Aber ich müsste noch über Eure Zofe Elisa mit Euch reden. Das duldet leider keinen Aufschub, weil sie sonst denken könnte, Ihr wärt inkonsequent.“ „Was ist mit Elisa?“, fragte Sytania. „Sie hat es gewagt, mich zu fragen, was es war, das Euch krank gemacht hat!“, antwortete der Vendar und ihm standen schier die Wutfalten im Gesicht. „Dabei sind das Dinge, die ja nur uns Vendar etwas angehen!“ „Da hast du Recht, mein guter Telzan.“, sagte die Königstochter. „Nun denn, so lass uns nachdenken. Wie kann man so etwas angemessen bestrafen?“

Einige Minuten waren vergangen, in denen Sytania und Telzan angestrengt nachgedacht hatten. Dann grinste der Vendar plötzlich und sagte: „Mit dem Tode, Herrin!“ Sytania wurde hellhörig. „Wie meinst du das genau, Telzan?“, fragte sie. „Ich meine.“, sagte der Vendar. „Mit dem Tode durch Eure Schöpfung. Wie alt ist Elisa, Hoheit?“ „Sie wird nächsten Monat gerade einmal süße 11 Jahre.“, sagte Sytania. „Ich glaube, ich weiß auch schon, worauf du hinauswillst. Solange sie in meinen Diensten steht, ist sie geschützt, Aber wenn ich sie entlasse und wieder zu ihren Eltern schicke, dann ist sie für meine Schöpfung ein Kind wie jedes andere. Oh, Telzan! Warum bin ich nicht darauf gekommen?!“ „Ich denke.“, sagte Telzan. „Ohne anmaßend wirken zu wollen, dass es wohl daran liegt, dass sie versucht hat, an eines der Geheimnisse zu kommen, das eigentlich nur wir Vendar wissen dürfen. Das hat die höllischen Heerscharen sicher so empört, dass sie uns Vendar trösten wollten und es somit ein Vendar sein sollte, dem sie diese Idee gegeben haben. Anders kann ich mir nicht erklären, warum sie plötzlich da war. Sie kam wie angeflogen.“ „Das klingt überhaupt nicht anmaßend.“, sagte Sytania. „Das klingt sogar recht logisch. Außerdem fühlt sich Elisa dann bestimmt erst einmal sicher, bis meine Schöpfung sie holt.“ „Ja.“, sagte Telzan. „Aber es muss ihr ja niemand sagen, wie trügerisch diese Sicherheit ist.“ Er lachte gemein. „Da hast du Recht.“, sagte Sytania. „Das muss wirklich niemand tun.“ Auch sie fiel in sein Lachen ein.

Die Vendar um Mirdan hatten das Fütterungsritual erfolgreich beendet und nun sollte es darum gehen, Valora zu finden. „Der Wald hier ist ihr Wald.“, sagte Mirdan. „Die Wahrscheinlichkeit dürfte also groß sein, dass wir sie hier …“

Etwas hatte ihn am Ärmel seiner Uniformjacke berührt. Der Vendar wandte sich langsam um. Sein Blick fiel auf eine jetzt gut sichtbar vor ihm stehende Valora. Aber sie schien sehr instabil zu sein.

Auch die anderen Soldaten hatten sie jetzt gesehen. „Sie ist sichtbar und sie ist sehr schwach, Anführer!“, sagte die junge Kriegerin, die Mirdan schon einmal positiv aufgefallen war. Er drehte sich zu ihr und musterte sie jetzt genauer. Es handelte sich um eine 2,20 m messende ausgewachsene junge Vendar mit drahtiger Statur und schwarzweiß geflecktem Fell. „Wie ist dein Name?“, fragte Mirdan. „Mein Name ist Tylach.“, antwortete die junge Vendar, die dem Alter der Novizenschaft auch noch nicht lange entwachsen sein konnte. „Tylach Tochter der Sidach und des Selman vom südlichen Salzsee. Vielleicht kennen sich unsere Familien, Anführer.“ Die Art, in der sie ihre Eltern vorgestellt hatte, sollte darauf hinweisen, dass diese zwar zusammenlebten, jedoch nicht verheiratet waren. „Das könnte sein, Tylach.“, sagte Mirdan. „Aber da du so aufmerksam bist, wirst du das zweite Ende der Kette bilden, wenn wir Valora die Energie geben. Also dann. Bilden wir alle einen Kreis, in den wir sie mit einschließen. Ich werde ihr Horn mit der rechten Hand berühren und du mit der linken Hand. Ihr anderen stellt euch zwischen uns auf.“ Dann gaben sich alle die Hände. „Wenn ihr spürt, dass die Energie aus euren Sifas gezogen wird, lasst es zu!“ „Ja, Anführer.“, bestätigten alle geschlossen und führten aus, was Mirdan ihnen befohlen hatte.

Auch Sytania hatte davon profitiert. Ihr blasses Gesicht wurde zunehmend rosiger und ihre Augen wacher. „Es scheint, als hätte Mirdan sie noch rechtzeitig gefunden.“, atmete Telzan auf und ließ sie zurück in die Kissen gleiten. Um ihren Kreislauf aufrecht zu erhalten, hatte er sie in einer fast sitzenden Haltung die gesamte Zeit über in den Armen gehalten. „Also musste ich die Verbindung ja doch nicht beenden.“, sagte Sytania. „Nein.“, sagte Telzan. „Aber Ihr hattet nur großes Glück. Das hätte auch anders ausgehen können.“

Valora hatte sich, Dank der Energiespritze der Vendar, ebenfalls recht schnell wieder erholt. Sie war wieder unsichtbar geworden und hatte sich, bevor sie wieder gegangen war, noch einmal telepathisch an die Vendar gewendet: Ich danke euch, meine Freunde. Dann war sie wieder tief in den Wald verschwunden.

Erleichtert hatte der Novize dies zur Kenntnis genommen. „Also gut.“, sagte er. „Wir rücken ab!“ Die Vendar nickten und dann setzte man sich gemeinsam in Bewegung. Mirdan aber nahm noch kurz sein Sprechgerät, um Telzan von der erfolgreichen Mission zu berichten.

„Das sind sehr gute Nachrichten, Mein Schüler.“, stellte der ausgebildete Vendar fest. „Ich sehe, man kann dich auch schon allein auf Mission schicken. Das hast du sehr gut gemacht!“ „Ich danke dir, Ausbilder.“, sagte Mirdan ehrfürchtig. „Wie geht es der Prinzessin?“ „Es geht ihr wieder gut.“, sagte Telzan. „Valoras Genesung hat auch sie genesen lassen.“, „Das dachte ich mir.“, sagte Mirdan. „Wir werden dann zurückkehren.“ „Tut das.“, sagte Telzan. „Wir werden deine gelungene Mission gebührend feiern! Du hast deinen Ausbilder und deine Herrin heute verdammt stolz gemacht, Mirdan! Verdammt stolz!“ Er hielt Sytania kurz das Mikrofon hin, die nur beifällig in die Kamera nickte. Dann beendete Telzan die Verbindung.

Kapitel 28: Augen zu und durch!

von Visitor

 

An ganz anderer Stelle, in der Umlaufbahn von Celsius nämlich, war Kamura gerade damit beschäftigt, Meroola davon zu überzeugen, dass sie doch nun endlich mal ihre Wohnstätte auf dem Planeten aufsuchen und sich dort niederlassen sollte, statt sich jeden Tag nach der Arbeit wieder einige Straßen von Mr. Kingsleys Firma entfernt unauffällig von ihr an Bord beamen zu lassen. Es schien allerdings, als sei dieses Unterfangen unmöglich.

„Was hast du für ein Problem mit der Adresse, die ich dir besorgt habe?“, wollte Kamura am Ende einer solchen Diskussion, die ihre Pilotin und sie jetzt schon so oft geführt hatten, dass sogar das Schiff aufgehört hatte, die Anlässe zu zählen, von Meroola wissen. „Ich habe ein Problem mit der Besitzerin dieser Adresse, wenn du es genau wissen willst, Kamura!“, verteidigte sich Meroola. „Jeder andere dürfte diese Bar leiten, in der du mir ein Zimmer besorgt hast, aber nicht Ginalla!“ „Und warum darf sie es nicht?“, fragte das Schiff unwissend. „Weil ich nicht auf sie angewiesen sein will.“, antwortete Meroola. „Und dabei sollten wir es bewenden lassen, Kamura!“ „Das finde ich aber gar nicht.“, sagte das Schiff. „Wenn wir uns gegenseitig vertrauen sollen, dann muss ich auch verstehen, was in dir vorgeht, Meroola. Anderenfalls kann ich dir vielleicht in einer gefährlichen Situation nicht helfen, weil ich sie vielleicht nicht als gefährlich erkenne, sie es aber doch für dich ist, weil …“ „Die Situation ist nicht gefährlich!“, sagte Meroola, die von einem harten Arbeitstag wohl sehr genervt war. „Es ist nur …“

Erst gerade in diesem Moment fiel ihr auf, dass ihr Schiff diese Behauptung wohl mit Absicht in den Raum gestreut haben könnte, um eine Situation zu provozieren, in der Meroola sie korrigieren würde. „Das war ja ganz schön schlau eingefädelt von dir, Kamura.“, gab sie zu. „Aber du solltest wissen, dass Ginalla keine Gefahr für mich darstellt! Es war schon in Ordnung, dass du mir bei ihr ein Zimmer besorgt hast, damit ich einen festen Wohnsitz habe und die Behörden nichts zu meckern haben. Nur werden mich keine zehn Pferde dorthin bekommen!“ „Und warum nicht?“, fragte Kamura. „Jetzt komm schon, Meroola! Wer A sagt, muss auch B sagen! Also, was ist los? Was ist das zwischen Ginalla und dir?!“

Genervt ließ sich Meroola in den Pilotensitz sinken. Sie hatte vorher die gesamte Zeit gestanden. Zwar hatte sie den Neurokoppler aufgesetzt gehabt, aber die ewige Diskussion mit Kamura über immer das gleiche Thema hatte sie eine sehr große Anspannung fühlen lassen, die es ihr unmöglich gemacht hatte, sich zu entspannen.

Kamura hatte eine abwartende Haltung eingenommen. „Ich warte, Meroola!“, sagte sie jetzt sehr bestimmt. „Was willst du denn tun, wenn ich es dir nicht sage, he?!“, fragte Meroola genervt. „Dann setze ich dich auf dem Planeten aus und fliege davon!“, sagte Kamura. „Außerdem kündige ich dein Zimmer und erzähle Kingsley, was die hübschen Formulierungen in deiner Bewerbung wirklich zu bedeuten haben!“ „Das wagst du nicht!“, sagte Meroola. „Du hast mir viel zu viel über die Beziehung zwischen euch und euren Piloten verraten, als dass ich dir das glauben könnte. Du würdest mich hier in der Fremde nicht einfach …“

Vor ihrem geistigen Auge änderte sich plötzlich das Bild. Meroola sah jetzt eine Transporterkonsole, auf der sich offenbar etwas tat. Sie sah das eigene Bild im Sucher. Außerdem wurde sie des Programms zum Senden von SITCH-Mails ansichtig, das Kamura geladen und mit dem sie eine Mail verschickt haben musste. „Du tust es wirklich, oder?“, fragte sie. „Du tust es tatsächlich! Und ich habe immer gedacht, ich wäre eine gute Erpresserin!“ „Sagen wir mal so.“, sagte Kamura. „Ich lernte von der Besten! Aber wenn unsere Beziehung dauerhaft funktionieren soll, dann muss ich auch wissen, wer dir in deiner Vergangenheit vielleicht etwas Böses wollte und vor wem ich dich schützen muss!“ „Schützen! Schützen! Schützen!“, lachte Meroola. „Du willst mich vor Ginalla schützen? Oh nein, Kamura! Das brauchst du nicht. Sie war nie eine Gefahr für mich! Ob nun in tatsächlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht. Sie war eine billige Betrügerin und hatte keinen Stil. An mich kam sie nicht ran! Sollte das aber wieder so eine absichtliche Falschbehauptung von dir sein, um mich aus der Reserve zu locken, dann muss ich dir sagen, dass das nicht funktionieren wird!“ „Da irrst du dich aber gewaltig, Meroola.“, sagte Kamura und ihr Avatar vor dem geistigen Auge des Mischlings grinste breit und triumphierend. „Es hat nämlich gerade sehr gut funktioniert. Du hast, wenn auch sicher unfreiwillig, schon einiges zum Besten gegeben von dem, was zwischen Ginalla und dir war. Es hat zumindest dafür ausgereicht, dass ich mir ein Bild machen konnte. Ich glaube, dass Ginalla und du einmal die ärgsten Konkurrentinnen wart, bevor ihr beide beschlossen habt, den ehrlichen Weg einzuschlagen und nun denkst du, das könnte wieder passieren, was?“

Meroola musste schlucken. „Kann es sein.“, setzte Kamura nach. „Dass ich verdammt richtig liege mit meiner Vermutung?“ „Das kann nicht nur sein.“, sagte Meroola bedient. „Das ist auch so. Ginalla und ich waren tatsächlich Konkurrentinnen. Wir haben beide sowohl die Leute nach Strich und Faden ausgenommen, als auch Geschäfte mit Sytanias Vendar gemacht.“ „Und genau aus dem Grund wäre es gut gewesen, wenn ich das vorher gewusst hätte.“, sagte Kamura. „Dann hätte ich dir irgendwo anders ein Zimmer besorgt.“ „Und wie hättest du erklärt, wer du bist?“, fragte Meroola. „Ich meine, Ginalla ist die Pilotin deines Vaters. Sie kennt sich mit solchen Gegebenheiten aus. Aber wenn du irgendeinem zivilen Gastwirt erzählt hättest, dass du ein selbstständig denkendes und handelndes intelligentes Raumschiff aus einer fremden Dimension, in der es eine ganze Rasse von euch gibt, bist, dann wäre der sicher in Ohnmacht gefallen. Nein, nein, Kamura. Es ist schon alles gut, so wie es ist. Und du hast gewonnen! Ich werde mich der Situation mit Ginalla jetzt stellen!“

Meroola stand vom Sitz auf und legte den Neurokoppler ab. Das war auch für Kamura das Zeichen, ihre Reaktionstabelle aus dem Speicher zu nehmen. Jetzt würden sie nur noch per Lautsprecher und Mikrofon kommunizieren. „Soll das heißen.“, fragte Kamura. „Dass ich dich jetzt doch herunterbeamen soll?“ „Genau das!“, bestätigte Meroola. „Und mach schnell, bevor mich wieder der Mut verlässt!“ „Also gut.“, sagte das Schiff, erfasste sie mit dem Transporter und beamte sie genau in den Gastraum vor die Theke in Ginallas Bar.

Die celsianische Junggastronomin war gerade damit beschäftigt, etwas in ihrem Etablissement aufzuräumen. Deshalb hatte sie Meroola auch zuerst nicht wahrgenommen, die sich ihr langsam genähert und ihr dann auf die Schulter getippt hatte. Langsam drehte sie sich um und sah in das ihr sehr wohl bekannte, aber auch verhasste Gesicht ihrer ehemaligen Konkurrentin. Aber auch Meroola war etwas überrascht. Sie hatte zwar gesehen, um welche Adresse es sich gehandelt hatte, Ginallas Erscheinung aber war ihr über die Jahre doch etwas fremd geworden.

Verwirrt standen sich die Frauen eine Weile gegenüber, bevor sie im Chor und jeweils auf die andere deutend sagten: „Ach du Scheiße! Du?!“ Mit dem nächsten Satz verhielt es sich ähnlich: „Oh nein!“

Erschrocken drehten sich beide wieder voneinander fort. Dann sagte Ginalla: „Hi, Miss zimperlich! Die Finger schmutzig gemacht hast du dir ja höchst ungern. Du hast ja nur immer die feine Dame gespielt und dich nicht gern in Gefahr begeben. Du warst zwar gut darin, Kontakte zu knüpfen und im Hintergrund Fäden zu ziehen, aber wenn es hart auf hart kam, dann hat Joran, Sytanias Vertrauter, doch eher mir vertraut.“ „Und du?“, fragte Meroola. „Wie war denn das mit deinem Motto: Ich nehme jeden schmutzigen Auftrag an. Du warst doch nichts Besseres als eine billige Söldnerin! Aber ich! Ich hatte wenigstens noch Würde!“ „Das is’ aber jetzt lange vorbei!“, sagte Ginalla. „Ich bin nämlich jetzt auf dem Weg, endlich ehrlich zu werden.“ „Ach ne!“, lachte Meroola. „Genau das ist auch mein Bestreben. Ich habe hier sogar einen Job!“ „Den hab’ ich auch.“, flapste Ginalla. „Wie du unschwer sehen kannst. Ich bin sogar selbstständig. Kannst du das auch vorweisen, he?“ „Nein!“, musste Meroola zugeben. „Ich arbeite für jemanden!“ „Na also!“, sagte Ginalla. „Die Runde geht dann wohl an mich!“ „Das werden wir ja noch sehen.“, sagte Meroola. „Erst einmal möchte ich mein Zimmer sehen. Dann werde ich urteilen, wie gut deine Selbstständigkeit wirklich ist. Wenn du es nämlich nur zu einer miesen dreckigen Absteige gebracht hast, meine Kunden aber mit meiner Arbeit zufriedener sind, dann werden wir ja sehen, an wen die Runde wirklich geht!“ „Na schön!“, sagte Ginalla mürrisch. „Ich nehme die Herausforderung an! Komm mit!“ „Mit Vergnügen!“, sagte Meroola zynisch und folgte Ginalla zu einem Turbolift, der sie in die obere Etage brachte. Sie war fest entschlossen, ein Haar in der Suppe zu finden, aber auch Ginalla schmiedete bereits einen Plan, die lästige Konkurrenz wieder loszuwerden. Eine Konkurrentin beim Ehrlich werden hatte ihr gerade noch gefehlt! Aber sie wusste auch schon, was sie tun musste, um dies wieder zu ändern. Meroola musste weg! Soviel stand für die junge Celsianerin auf jeden Fall fest. Aber auch Meroola sann auf eine Gelegenheit, ihrer lästigen Konkurrentin eins reinzuwürgen. Dass es sich für beide irgendwann lohnen würde, sehr eng und im Team zusammenzuarbeiten, ja, dass sie es sogar müssen würden, daran dachten beide noch nicht.

Forschen Schrittes war Ginalla Meroola vorangestapft, als sie den Turbolift wieder verlassen hatten. „Vorwärts!“, kommandierte sie. „Hier entlang, meine Beste, wenn ich denn bitten dürfte!“

Das war sicher nicht der richtige Umgangston gewesen, wenn man im Allgemeinen mit Gästen sprach, aber zwischen ihr und Meroola gab es ja ganz eigene Gesetze. Vor allem jetzt, da sie ihr zeigen wollte, wer hier ihrer Ansicht nach die Hosen an hatte. Von dieser Frau, das stand für Ginalla fest, würde sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen und in ihrem eigenen Haus schon gar nicht!

Sie gingen einen langen Gang entlang, der sie zu einem Zimmer führte. Hier holte Ginalla eine Schlüsselkarte aus der Tasche und öffnete die Tür. Dann schob sie Meroola in das Zimmer: „Rein mit dir!“

Der Blick des Mischlings wanderte die Einrichtung des Raums entlang. Die Wände waren mit einem großen umlaufenden Wandteppich verziert, der Motive aus allen möglichen Kulturen zeigte. Der Teppich auf dem Boden hatte ein warmes rotes Karomuster. Das Bett bestand aus repliziertem farbigem Eichenholz und stand auf großen ausladenden Füßen, die durch ihre konische Form den Eindruck erweckten, es würde schweben. Sein grüner Anstrich mit den Rankenmustern ließ vermuten, dass es an sommerliches Ambiente erinnern sollte. Auch die Bettwäsche und die Kissen unterstützten diesen Eindruck. In der gleichen Farbe war auch der kleine Nachttisch gehalten, der neben dem Kopfende des Bettes stand. Ging man weiter am Bett entlang, so gelangte man rechts von dessen Fußende zur Tür, die ins Badezimmer führte. Hier gab es die übliche sanitäre Einrichtung des 30. Jahrhunderts mit einer standardisierten Schalldusche und einer Konsole für die mitgebrachten eigenen privaten Utensilien.

Ganz schön luxuriös!“, staunte Meroola. „Und hier willst du mich unterbringen, obwohl du mich eigentlich gar nicht ausstehen kannst?!“ „Bilde dir bloß nichts ein!“, entgegnete Ginalla. „Die Einrichtung dieses Zimmers ist nur ein Mittel zum Zweck! Ich will dir zeigen, dass ich es zu was gebracht hab’!“ „Ah!“, machte Meroola ironisch und zog die Stirn kraus. „Als ob ich das nicht geahnt hätte! Aber das war ja schon immer deine Art! Du musstest ja schon immer so angeben!“

Sie nahm Anlauf und ließ sich mit Schwung auf die Matratze fallen. Diese federte sie leicht zurück, so dass sie leicht das Gleichgewicht verlor, da Meroola damit wohl nicht gerechnet hatte. „Na ja.“, sagte sie missmutig und biss die Zähne aufeinander, dass es knirschte. „Zumindest sind deine Matratzen gut!“ „Für dich soll mir das Beste gerade gut genug sein!“, schrie Ginalla. „Schließlich sollst du sehen, dass …“ „Ja, ja, ja.“, sagte Meroola und markierte die Gelangweilte, indem sie sich übertrieben gähnend auf das Bett warf. „Du willst mir zeigen, dass du es zu was gebracht hast! Den Spruch kenne ich langsam, Ginalla! Der ist schon so alt, dass er schon Schimmel ansetzt!“ „So?!“, erwiderte Ginalla schnippisch.

Meroola musste sie mit ihrer letzten Äußerung sehr getroffen haben. Aber das lag ja auch durchaus in ihrer Absicht. Einem Celsianer oder einer Celsianerin auf diese Art zu sagen, dass seine oder ihre Sprüche nicht gut wären, das war die schlimmste Art der Beleidigung, die man jemandem aus Ginallas Volk an den Kopf werfen konnte, denn die Celsianer hielten sehr viel auf ihren Humor. Schließlich lebten sie im real existierenden Humorismus. Wer mir das bis heute nicht glaubt, dem sei gesagt, dass sich die Lebensweise der Celsianer wirklich so nannte.

Meroola war wieder aufgestanden und hatte sich in Richtung der Tür ihres Badezimmers gedreht. „Und nun lass mich in Ruhe!“, schnarrte sie Ginalla noch zu. „Wieso denn das?!“, fragte die Celsianerin, die sich sehr beleidigt fühlte und das, was ihre Konkurrentin da gerade von sich gegeben hatte, auf keinen Fall so auf sich sitzen lassen wollte. „Soll ich etwa gehen, damit du allein bist und keiner sehen kann, wie verschimmelt du selber bist? Könnte ja jemand sehen, wenn du dich ausziehst. Na, das wollen wir ja wohl nicht riskieren, was?! Dann gehe ich lieber! Den Anblick möchte ich mir nämlich ersparen! Aber damit du’s weißt! Ich habe dir eine Erfahrung voraus, die du mit Sicherheit nicht nachweisen kannst, was das Ehrlichwerden angeht! Nämlich eine Läuterung durch einen Tindaraner und zwar auf telepathische Weise! Das war so klasse, das kannst du dir gar nicht vorstellen! Du wirst das niemals erleben, hoffe ich!“ „Ach!“, machte Meroola gelangweilt. „Das habe ich doch schon so oft von dir gehört und am Ende bist du doch wieder in deine kriminellen Muster zurückgefallen, weil du sehr bequem bist und doch nur auf deinen eigenen Vorteil bedacht! Spiel dich bloß nicht so auf! Außerdem, ich werde es allein schaffen und werde deinen Tindaraner gar nicht brauchen! Das ist erst mal eine Leistung! Dass musst du mir nachmachen! Aber dein Tindaraner tut mir total leid! Der hat sich sicher total damit gequält, das letzte bisschen Ehrlichkeit aus deinen kriminellen und verkommenen Hirnwindungen zu quetschen!“ „Oh, da täuschst du dich aber gewaltig!“, entgegnete Ginalla und funkelte Meroola böse an. „Es war für uns beide sehr angenehm! Wir fanden es sogar so gut, dass wir es inzwischen mehrfach wiederholt haben! Also, du Lehrling, schau einer Meisterin zu und lerne!“ Damit ging Ginalla und schloss die Tür hinter sich mit einem lauten Knall. Sie wusste genau, was sie jetzt zu tun hatte. Ihr Sprechgerät, das sie jetzt brauchte, befand sich unten in der Bar. Hier würde sie jetzt eine bestimmte Art von Beziehung spielen lassen müssen, um Meroola schnell wieder loswerden zu können. Welche das sein würde, das wusste sie genau!

Sie hatte bald die Tür erreicht, die den Gastraum vom Flur und dem, was wir heute als Treppenhaus bezeichnen würden, trennte. Mittels ihres Fingers auf einem sensorischen Feld öffnete sie diese und trat wieder in den Gastraum ein. Hier drehte sie sich sofort Richtung Tresen, um wieder hinter ihm zu verschwinden und dort wiederum eine Tür zu öffnen, die sie in eine Art Hinterzimmer führte. Dabei war Ginallas Blick kurz auf ein Fenster im Flur gefallen und unwillkürlich dort hängengeblieben. Das, was sie dort am Himmel gesehen hatte, hatte sie etwas irritiert, aber sie schenkte der Situation dennoch nicht die Beachtung, die sie vielleicht, wenn Ginalla schon gewusst hätte, was das für Vorboten waren, eigentlich verdient hätte.

Vor den Augen der jungen Celsianerin spielte sich ein Schauspiel ab, das sie eigentlich nur aus dem tiefsten Winter kannte. Es musste draußen plötzlich sehr kalt geworden sein. Das konnte Ginalla nur vermuten, denn die Umweltkontrollen des Gebäudes, in dem sie sich befand, schirmten sie ja von der Außentemperatur ab. In ihrer Bar herrschte eine Temperatur von molligen 25 °. Auch draußen war es eigentlich Sommer, wenn sie sich nicht irrte, aber jetzt sah es eher nach Winter aus. Schlagartig hatten alle Bäume eine eisige Schicht auf den Ästen, die Ginalla zuerst fast mit Zuckerguss verwechselte. Es war aber Reif. Oben am Himmel türmten sich dicke graue Wolken auf, die aber durch ihre Struktur eher Schnee als Regen erahnen ließen. Das war für den Sommer ungewöhnlich. Das wusste Ginalla. Aber gerade dieser Umstand war es, der sie verwirrt hatte und sie stehenbleiben ließ. Er hatte sogar dafür gesorgt, dass Ginalla eine ganze Weile lang stehenblieb und sich das Schauspiel ansah. Wenigstens zehn Minuten lang sah sie dem Wind zu, der immer feinere Gebilde aus den einzelnen Wolken oder auch aus mehreren Wolkentürmen formte. „Was haben wir denn im Moment für ein verrücktes Wetter hier?!“, murmelte sie sich in den nicht vorhandenen Bart. Dann summte sie eine Zeile aus einem alten terranischen Lied vor sich hin: „Manchmal kommt der Schnee im Juni. Manchmal dreht sich die Sonne um den Mond …“ Weiter wusste sie nicht, aber das reichte ja im Prinzip schon. Zumindest fand sie das. „Ich bin mal gespannt.“, sagte sie. „Wie lange dieser Wintereinbruch dauert und was sie dazu morgen in der Presse sagen werden. Mich wundert auch, warum die Wetterkontrollstationen nicht reagiert haben. Aber wie ich unsere Situation einschätze, wird es dazu früher oder später eine Erklärung geben. Ich kann mich ohnehin im Moment nich’ drum kümmern. Habe schließlich ganz andere Sorgen.“

Sie ging weiter und öffnete mit Hilfe einer Schlüsselkarte die Tür zum Hinterzimmer, das auch als ihr Büro fungierte. Deshalb war es auch verschlossen. Ginalla war der Meinung, dass ihre Geschäftsgeheimnisse niemanden etwas angingen.

Hier stand neben ihrem Schreibtisch, der in roter Holzoptik gehalten war, um Buchenholz zu simulieren, auch ein im gleichen Farbton gehaltener Bürostuhl, auf den sich Ginalla jetzt setzte. Nun hatte sie einen genauen Blick auf ihren Schreibtisch und auf die Gegenstände, die sich darauf befanden. In der Mitte in ihrer Griffweite war die übliche silberne Konsole angebracht, mit der Sprechgerät, Hausrechner und, wenn angeschlossen, auch der Replikator bedient werden konnten. Rechts und links von dieser Konsole standen kleine Figuren aus Metall, die Personen aus der celsianischen Geschichte darstellten. Eine der kleinen Figuren hatte es Ginalla besonders angetan. Es handelte sich dabei um eine Darstellung ihrer Selbst und Shimars in jener Haltung, die sie eingenommen hatten, als Shimar telepathischen Kontakt zu ihr hatte, um sie bei der Überwindung ihres Traumas zu unterstützen, das zu ihrer kriminellen Karriere geführt hatte. Diese Figur hatte sie von ihrer Freundin N’Cara bekommen, die sie in ihrer Heimat repliziert und ihr dann per Frachtshuttle geschickt hatte. N’Cara hatte ja damals alles genau gesehen und hautnah mitbekommen.

Lange ließ Ginalla ihre Augen über die Figur schweifen. „Und das wirst du nie vorweisen können, Meroola Sylenne!“, zischte sie missmutig. „Niemals wirst du das!“ Dabei setzte sie einen schadenfrohen Blick auf. Sie nahm die Figur sogar in die Hand und hielt sie eine Weile lang träumend vor sich.

Dann aber besann sich Ginalla schnell wieder auf das, was sie vorgehabt hatte. Auf keinen Fall wollte sie zulassen, dass diese Person, deren Gegenwart ihre Laune so vermiest hatte, länger als nötig bei ihr blieb! Auf gar keinen Fall! Um das zu erreichen würde sie aber jemanden für sich einspannen müssen. Jemanden, dessen Hilfe ihr, so dachte sie zumindest, in jedem Fall gewiss sein müsste.

Sie drehte sich dem Mikrofon zu, das ihr die Bedienung des Hausrechners an den auch das Sprechgerät angeschlossen war, ermöglichte. Dann sagte sie: „Computer, Verbindung zum interdimensionalen Relais aufbauen!“ „Ihr Befehl wird ausgeführt.“, kam es von einer nüchternen weiblichen Stimme zurück, wie sie bei den Rechnern der Föderation sowohl bei der Sternenflotte, als auch im zivilen Bereich dem gültigen Standard entsprach. „Bitte warten.“

Ginalla lehnte sich zurück. Lange musste sie aber nicht mehr warten. Bereits wenige Sekunden nach ihrem Befehl meldete sich die elektronische Stimme des interdimensionalen Relais: „Herzlich willkommen beim interdimensionalen Verbindungsdienst der Föderation der vereinten Planeten. Bitte geben sie das gewünschte Rufzeichen ein, zu dem wir ihnen eine Verbindung ermöglichen sollen. Aufgrund technisch bedingter Störungen kann dies allerdings eine kurze Zeit dauern. Wir bitten um Ihr Verständnis und bedanken uns bereits im Voraus für Ihre Geduld.“

Dass du Probleme hast, kann ich mir denken!, dachte Ginalla. Das mit dem Wetter is‘ sicher kein Einzelfall und verkohlen lasse ich mich nich. Da muss irgendwo gewaltig was im Argen liegen!

Sie drehte sich der Konsole zu, in die sie das Rufzeichen von Kamurus eingab und es per Enter-Taste bestätigte. „Vielen Dank.“, gab die elektronische Stimme zurück. „Wir beginnen jetzt mit dem Verbindungsaufbau.“

In seiner Heimat hatte Kamurus bemerkt, dass seine Pilotin etwas von ihm zu wollen schien. Allerdings konnte er den Ruf nicht sofort beantworten, denn eine sehr nervöse Shary hatte seine volle Aufmerksamkeit in Beschlag. Beiden Schiffen war auch die inzwischen sehr weit fortgeschrittene interdimensionale Katastrophe aufgefallen. Inzwischen war ihnen auch klar, dass es eine war. Mit seinen Sensoren hatte Kamurus nämlich die gleichen Ladungsverschiebungen festgestellt, von denen auch Jenna McKnight ihren Vorgesetzten berichtet hatte. Das hatte er Shary zwar mitgeteilt, sie aber sofort zu trösten versucht, als sie ängstlich bemerkt hatte: „Und unsere Kleine ist allein da draußen!“ Jetzt aber hatte er endlich eine Möglichkeit gefunden, seiner Freundin irgendwie zu beweisen, dass sein Trost: „Wir werden sie schon finden!“, nicht nur ein leerer Satz bleiben musste.

Ihm war der wiederholte Ruf des interdimensionalen Relais schon fast auf die Nerven gegangen. „Ich muss Ginalla antworten, Shary.“, sagte Kamurus. „Ginalla!“, sagte Shary abfällig. „Immer nur Ginalla! Ist dir deine Pilotin etwa wichtiger als unser Kind?“ „Nein, das ist sie sicher nicht, Liebes.“, sagte Kamurus betont vernünftig. „Aber ich konnte ihre Spur bis hinter die Partikelfontäne in Ginallas Heimatuniversum verfolgen. Wenn wir Glück haben, dann weiß Ginalla genau, wo unsere kleine Kamura ist! Wir sollten ihr zumindest eine entsprechende Chance geben! Findest du nicht?!“ „OK.“, gab sich Shary geschlagen. „Aber integriere mich wenigstens in die Verbindung, damit ich mithören kann.“ „Sicher.“, sagte Kamurus und nahm die nötigen Schaltungen vor.

An dem Symbol eines grünen Mikrofons im Display ihres Sprechgerätes konnte Ginalla sehen, dass Kamurus das Gespräch angenommen hatte. „Na endlich.“, sagte sie und gähnte übertrieben gekünstelt. „Was hat da so lange gedauert?“ „Ich musste Shary trösten.“, sagte Kamurus. „Sie macht sich große Sorgen um unsere kleine Kamura. Sie ist ausgekniffen und hat uns so gut zum Narren gehalten, dass wir es erst gemerkt haben, als sie schon über alle Berge war. Du kannst uns nicht zufällig sagen, wo sie ist?“

Ginalla witterte ihre Chance. Es war ohnehin ihr Ziel gewesen, Kamura an ihre Eltern zu verraten. Allerdings hatte dieses Ziel nichts mit Erziehung zu tun, sondern lediglich mit der Tatsache, dass sie Meroola loswerden wollte. Sie hoffte, Kamura würde, müsste sie das Gefühl haben, ihre Eltern wären hinter ihr her und würden ihr bei nächster Gelegenheit die Leviten lesen, hoffentlich so schnell wie möglich von Celsius weg wollen. Natürlich würde sie ihre Pilotin mitnehmen wollen, da sie diese ja auch nicht alleinlassen würde und alles tun würde, das sie könnte, um ihren Schutz zu gewährleisten.

Ginalla holte tief Luft und versuchte ein entspanntes Gesicht zu machen. Ihr war klar, dass Kamurus ihr irgendwann auf die Schliche kommen würde, wenn sie nicht aufpasste. Dafür kannten sich beide schon zu lange. Sie musste jetzt alles tun, was in ihrer Macht stand, um ihm weißzumachen, dass sie nur aus uneigennützigen Motiven handelte.

Sie räusperte sich, drückte den Sendeknopf und sagte betont langsam und deutlich: „Oh, was hast du für ein Glück, dass du die gute Ginalla hast, mein treues Schiff. Ich kann dir, wie der Zufall es gerade so will, nämlich tatsächlich helfen. Ich weiß tatsächlich, wo sich deine kleine Tochter befindet.“ „Sag das bitte noch mal!“, sagte Kamurus. „Du weißt wirklich, wo Kamura ist? Wie habe ich denn das zu verstehen? Es wäre aber sehr nett von dir, wenn du keine Spielchen spielst, sondern es mir und Shary gleich sagst. Sie macht sich große Sorgen, weil die Dimensionen bereits drohen instabil zu werden. Kamuras Antrieb und ihre Software sind dieser Herausforderung noch nicht gewachsen und ich habe ebenfalls Sorge, dass ihr etwas zustoßen könnte. Shary ist in diese Verbindung integriert und hört jetzt alles, was wir hier sagen. Sie kann sich auch am Gespräch beteiligen.“ „Vielen Dank, dass ich darüber auch mal in Kenntnis gesetzt werde.“, sagte Ginalla. „Aber dann passt mal auf, ihr zwei. Eure Kleine is’ munter wie ein Fisch im Wasser. Es geht ihr gut und sie is’ in der Umlaufbahn von Celsius. Sie hat sich sogar schon eine Pilotin gesucht, die bei mir eingekehrt is’. Die is’ aber eine von der ganz üblen Sorte, wisst ihr? So ’ne ehemalige Kriminelle! Und jetzt kommt das Schärfste, Kamurus! Halt dich fest! Ich meine: Setz den Ankerstrahl! Shary, du besser auch!“

Sie ließ den Sendeknopf los. Die jetzt entstandene dramatische Pause war sehr geschickt von ihr eingefädelt worden, damit sie bei Shary und Kamurus ein Nachdenken über die Situation auslösen konnte. Die Informationen über Meroola hatte sie absichtlich etwas übertrieben und sie mit Absicht so negativ dargestellt, um ihrem Schiff eine Legitimation zum Eingreifen zu geben. Sie hoffte wohl, dass Kamurus, wenn er das hörte, sofort alles stehen und liegen lassen würde, um seiner Tochter zur Hilfe zu eilen. Den Umgang mit einer Kriminellen, so hoffte sie wenigstens, würde er, wenn er ein verantwortungsvoller Vater war, sicher nicht zulassen und sie so schnell wie möglich abholen wollen. Das würde sie natürlich auch Meroola bei nächster Gelegenheit unter die Nase reiben, damit die panisch ihr Schiff verständigen würde und die Beiden Celsius wieder verließen. Dass sie aber Kamurus’ Reaktion nicht in ihren Plan eingerechnet hatte, wurde ihr bald bewusst.

Auch das Schiff hatte einige Minuten ohne zu antworten verstreichen lassen. Dann aber sagte er: „Ja, Ginalla. Ich höre. Was ist denn nun so schlimm. Shary und ich können schließlich nicht für immer mit gesetzten Ankerstrahlen an unseren jetzigen Positionen bleiben, bis wir verrosten. Also, was ist mit ihr? Was ist mit Kamuras Pilotin, das so schrecklich sein soll?!“

Ginalla gab einen schweren Seufzer von sich, bevor sie antwortete: „Ach, also gut, Kamurus! Sie will ehrlich werden!“ „Ehrlich.“, antwortete Kamurus und sein Avatar auf dem Schirm von Ginallas Sprechgerät kratzte sich am Kopf. „Oh wenn mir das nicht bekannt vorkommt!“, sagte er. „Weißt du, Ginalla, ich kann mich da an eine gewisse junge Celsianerin erinnern, die wir beide wohl sehr gut kennen dürften. Du sicher besser als ich, denn du verbringst schließlich schon dein gesamtes Leben mit ihr. Die hatte ja mal das Gleiche vor und es gab auch ein sehr geduldiges Raumschiff, das sie, trotz diverser Meinungsverschiedenheiten, die sicher nicht ohne waren, nie aufgegeben hat. Es gab genug Situationen, in denen er sie auf dem nächsten Klasse-M-Planeten hätte aussetzen können und seiner Wege fliegen können, um sich nicht die Sensoren zu verbrennen, wenn er länger mit ihr zusammenbliebe. Aber das hat er nie getan und sie nie verraten. Er hätte sogar durchschaut, wenn jemand gegen diese junge Frau intrigiert hätte, um die Beiden zu trennen oder dafür zu sorgen, dass ihr etwas nicht zuteil wird, dass die intrigante Person wohl als ihr alleiniges Recht veranschlagt hat. Er hätte diese intrigante Person sicher darauf hingewiesen, dass genug Recht auf Ehrlichkeit für alle da ist und sie dieses Recht ja auch hatte. Es jemandem anders zu missgönnen, hielte er sicher für sehr fragwürdig und würde das auch der intriganten Person gegenüber verlauten lassen!“

Seine letzten Sätze klangen in Ginallas Ohren sehr ironisch. Aber das war auch durchaus von Kamurus beabsichtigt gewesen. Er hatte an ihren Worten und ihrem Verhalten sehr wohl gemerkt, worauf das hinauslaufen sollte. Dieses Mal war auch er es, der eine dramatische Pause eingelegt hatte.

Ginalla fühlte sich ertappt. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte sie schnell, um zu verbergen, wie sie sich fühlte. „Es ist deine Sprechweise und dein gesamtes Verhalten.“, erklärte Kamurus. „Damit hast du versucht, mich und Shary zu manipulieren. Sicher tust du das nur, weil du in Kamuras Pilotin deine eigene Vergangenheit und eine Konkurrenz siehst. Aber du hast das Recht auf Ehrlichkeit nicht gepachtet, Ginalla! Und auf deine Intrige gegen diese Frau falle ich auch nicht herein! Ich werde kommen und Kamura einige Takte wegen ihres Ausreißens sagen, aber ich werde sie dann sogar darin unterstützen, ihrer Pilotin beim Ehrlichwerden behilflich zu sein! Schließlich habe ich Erfahrung darin! Außerdem: Wie sagtest du immer so schön? Konkurrenz belebt das Geschäft! Vielleicht überlegst du ja auch etwas genauer, was du tust, wenn du das Gefühl haben musst, jemand könnte es besser machen!“ Er beendete die Verbindung.

„Verdammt!“, zischte Ginalla. „Er ist doch zu schlau für diesen Plan gewesen. Na ja. Dann werde ich wohl das Beste daraus machen müssen. Vielleicht stimmt es ja auch, was er über Konkurrenz gesagt hat. Was ich gerade getan habe, war ja auch nicht gerade ehrlich zu nennen und die Strafe folgt wohl auf dem Fuß.“

Shary hatte mitbekommen, dass Kamurus die Verbindung mit Ginalla beendet hatte. „Bitte pass aber auf dich auf!“, bat sie ihn eindringlich. „Das werde ich!“, schwor Kamurus und aktivierte seinen Antrieb, um sich auf den Weg in Ginallas Heimat zu machen. Shary scannte ihm noch lange mit ihren Sensoren nach, bis er vollständig aus deren Reichweite verschwunden war.

Kapitel 29: Folgenreiche Beichten

von Visitor

 

Auf Zirells Station hatten sich alle Anwesenden im großen Konferenzraum versammelt. Alle saßen im Kreis auf den schon bekannten Sitzkissen um Zirell und Joran herum, die in der Mitte nebeneinander standen.

Die Tindaranerin holte jetzt tief Luft und sagte: „Sicher möchtet ihr wissen, warum wir alle hier sind. Den Grund dafür wird uns Joran gleich verraten.“ Dann deutete sie auf den Vendar und ging selbst zu einem freien Kissen im Kreis ihrer Leute.

Jetzt stand Joran allein in der Mitte des Raums. „Ihr fragt euch bestimmt, was an den Gerüchten über das Ende aller Dimensionen dran ist.“, begann er. „Oh ja, Grizzly!“, rief Shannon dazwischen. „Ich frage mich schon länger, was wir tun sollen, um zu überleben, wenn sich die Mächtigen mal wieder ohne Rücksicht auf Verluste, also ohne Rücksicht auf uns, die Köpfe einschlagen wollen!“ Jenna, die neben ihrer Untergebenen saß, knuffte sie in die Seite: „Assistant!“ „Was haben Sie denn, Jenn’?“, gab Shannon missmutig zurück. „Es ist doch kein Geheimnis, dass ich die Mächtigen nich’ mag.“

Jorans scharfen Ohren war die Unterhaltung zwischen seiner Freundin und deren Assistentin nicht entgangen. „Du magst also die Mächtigen nicht, Shannon O’Riley.“, sagte er. „Gilt das etwa für alle Mächtigen, also auch für Logar El Imperia und Dill, sowie Tolea und Kairon und auch andere, die eigentlich auf unserer Seite sind?“ „Allerdings, wenn du es genau wissen willst, Grizzly.“, sagte die blonde Irin. „Du weißt doch, dass ich keinem traue, der mächtiger is’ als ’n normaler Mensch!“ „Dann dürften sich aber die, für die wir beide arbeiten, sehr auf den Schlips getreten fühlen, O’Riley!“, sagte Maron aus dem Hintergrund. „Das is’ doch was völlig anderes, Sir.“, gab Shannon zurück. „Die Tindaraner sind sterblich und deshalb vertraue ich ihnen.“

Der Androide Ishan hatte die gesamte Zeit über sinnierend dagesessen. Jetzt meldete er sich zu Wort: „Das bedeutet also, man muss Miss O’Riley erst einmal beweisen, dass man sterben kann, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Faszinierend. Das bedeutet aber gleichzeitig, Shannon, dass du dann sehr einsam wärst, wenn alle, denen du vertraust, schon gestorben sind, um zu beweisen, dass sie deines Vertrauens würdig sind.“ „Ach.“, machte Shannon. „Ihr wisst doch genau, was ich meine.“

Sie sah hilflos im Raum herum. Dann traf ihr Blick auf ihre Vorgesetzte, der sie auffordernd zuzwinkerte. „Ishan hat Recht, Shannon.“, sagte Jenna. „Merken Sie denn nicht, wie absurd das ist, was Sie da gerade von sich gegeben haben?“ „Ne.“, sagte Shannon. „Merke ich nich’.“ Jenna gab einen schweren Seufzer von sich. „Ich denke, ihr Verhalten ist ihrer Vergangenheit geschuldet, Telshanach.“, erklärte Joran, der gleichzeitig versuchte, ihre aufkommende Wut zu lindern. „Du darfst nicht vergessen, dass sie aus dieser Dimension und von der dortigen Erde kommt im Gegensatz zu dir. Hier waren alle Nicht-Telepathen die Feinde der Telepathen, und das lebt wohl noch bis heute in ihr fort. Auch du, Maron El Demeta, solltest das eigentlich verstehen und vorsichtiger mit ihr umgehen. Diese Feindschaft bestand seit Jahrhunderten, bis Jenna McKnight auftauchte und alles zurechtrückte. Der Hass dürfte vielleicht schon in ihren Genen verankert sein und so etwas ist schwer bis unmöglich zu besiegen. Jedenfalls klappt das nicht binnen einer Generation!“ Der Vendar warf Ishan einen fragenden Blick zu. „Nun.“, entgegnete Ishan. „Deine Theorien könnten richtig sein, Joran.“, entgegnete der Androide. „Du scheinst über die Situation ja eine Menge zu wissen. Wie wäre es, wenn du mir die Daten, die du hast, zukommen lässt und ich auf deren Basis das Ganze noch einmal überdenke?“ „Einverstanden, Ishan.“, sagte Joran.

Jenna hatte über das nachgedacht, was ihr Freund ihr gesagt hatte. „Du hast Recht, Joran.“, sagte sie. „Manchmal scheine ich das tatsächlich zu vergessen.“ „Und auch ich habe meiner Rasse mal wieder Schande bereitet.“, gab Maron zu. „Eigentlich hätte man doch von einem Demetaner weitaus mehr Verständnis erwarten können. Bitte entschuldigen Sie, O’Riley.“ „Ach, schon gut, Agent.“, sagte Shannon und machte mit ihrer Hand eine Bewegung, als wollte sie etwas wegwischen. „Das kann doch mal passieren. Auch einem Demetaner kann das mal passieren. Aber dass der Grizzly so verständnisvoll is’, hätte ich nich’ gedacht. Da müssen Sie sich wohl demnächst warm anziehen, mit Verlaub.“ „Das Gefühl habe ich auch, Shannon.“, sagte Maron.

Zirell war wieder aufgestanden und hatte sich wieder in die Mitte des Raums neben Joran gestellt. „Ich glaube, wir schweifen ab, Ladies und Gentlemen.“, sagte sie. „Joran, bitte sage uns, was du uns zu sagen hast.“ „Wie du wünschst, Anführerin.“, sagte Joran ruhig. Dann stellte er sich aufrecht hin und erklärte: „Es könnte sein, dass sich mein Verhalten vielleicht demnächst etwas ändert. Das liegt daran, dass ich ein echtes Energiefeld in meiner Sifa trage, das von den Quellenwesen stammt. Ich weiß weder, was genau auf mich zukommen wird, noch weiß ich, wie lange ich es tragen werde und was die Quellenwesen im Einzelnen mit mir und dem Feld vorhaben! Sicher ist nur, dass es etwas mit der Verhinderung des Zusammenbruchs der Dimensionen zu tun hat. Genaues weiß ich aber nicht. Die Quellenwesen haben mir aber gesagt, ich soll ihnen vertrauen und sie würden mir schon sagen, was wann zu tun ist!“ „Kannst du mit dem Feld kommunizieren, Joran?“, fragte Maron. „Ich meine, dass du einmal gesagt hast, das sei während des Fütterungsrituals möglich.“ „Es hat kein Bewusstsein, Maron El Demeta.“, sagte der Vendar. „Es ist also kein Wesen. Aber es ist die Brücke zwischen den Quellenwesen und mir. Mit ihnen kann ich also tatsächlich während des Rituals kommunizieren.“ „Also, wenn ich das richtig verstanden habe, Joran.“, sagte der erste Offizier. „Dann bist du, wenn irgendwann alle Stricke reißen sollten, quasi unser letztes Ass im Ärmel.“ „Das dürfte korrekt sein, Agent Maron.“, sagte Joran und schaute etwas unsicher. „Aber genau kann ich es, wie du eben gehört hast, noch nicht sagen. Ich könnte die Quellenwesen allerdings heute Abend danach fragen.“ „Tu das.“, sagte Maron. „Es ist mir egal, was sie dir für eine Antwort geben. Ich hörte, sie seien immer sehr geheimnisvoll. Aber dann kann dir zumindest niemand vorwerfen, du hättest es nicht versucht!“ „Es könnte sie allerdings auch sehr beleidigen.“, sagte Zirell. „Weil es von unserem Misstrauen zeugen könnte. Wenn sie dir gesagt haben, Joran, dass wir vertrauen sollen, dann sollten wir ihnen zumindest eine Chance geben. Maron, ich weiß, dass dir der bevorstehende Weltuntergang, wenn Jenna mit ihren Theorien Recht hat, Kopfzerbrechen bereitet. Das geht sicher uns allen so. Aber ich denke, dass wir Illiane St. John und ihren Leuten vertrauen sollten.“ „Woher weißt du das, Anführerin?“, fragte Joran erstaunt. „Ich habe ihren Namen nicht erwähnt.“ „Weil ich telepathischen Kontakt zu ihr hatte.“, sagte die Tindaranerin. „Und ich denke, es wird auch sie sein, die vornehmlich mit dir redet.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Dann sollten wir erst recht aufpassen.“, sagte Zirell. „Ihrem Profil nach gilt sie als sehr sensibel.“ „Aber Zirell …“, mischte sich Maron ein. „Es liegt bei dir, Joran.“, sagte Zirell. „Ob du sie fragst oder nicht. Du bist näher an ihr dran als wir alle. Du dürftest am besten einschätzen können, was diplomatisch richtig ist.“, dann sagte sie an Maron gewandt: „Das ist mein letztes Wort.“, und löste die Konferenz auf: „Ich denke, wir haben alle noch genug zu tun. Also, das war’s! Wegtreten!“ Alle verließen befehlsgemäß den Raum.

Zur gleichen Zeit hatte auch im Raum-Zeit-Kontinuum eine Konferenz stattgefunden, von der Kairon nun etwas frustriert zurückgekehrt war. Der Rat hatte getagt, denn man hatte auch von den Veränderungen in den Dimensionen einen Eindruck bekommen können. Leider war man aber nicht beschlussfähig gewesen, denn Tolea, die gemeinsam mit ihrem Bruder das Heft in der Hand hielt, war zu der Sitzung nicht erschienen. Wenn Kairon den Gerüchten glauben konnte, die von den anderen gestreut wurden, dann lag sie jetzt wohl depressiv in ihrem Bett, hatte sich die Decke über den Kopf gezogen und wollte von nichts und niemandem mehr etwas wissen und hören. Dem Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte wollte er jetzt auf den Grund gehen.

Er war, wie es sonst eigentlich nach einer so anstrengenden Sitzung nicht der Fall war, an der Weggabelung, die ihn entweder zu Toleas oder seinem Haus führte, dieses Mal nicht rechtsherum, sondern linksherum zu Toleas Wohnsitz abgebogen. Je näher er ihrem Haus kam, desto entschlossener wurde er, sie endlich aus ihrem Loch zu holen, in das sie offensichtlich gefallen war. Er konnte sich natürlich den Grund dafür nicht erklären, da seine Schwester ihren Geist vor ihm abgeschirmt hatte, aber er wusste, wenn er sie nicht bald dazu bekäme, sich wieder am Alltagsleben ihrer gemeinsamen Heimatdimension zu beteiligen, die Veränderungen irgendwann nicht mehr aufzuhalten wären und es eigentlich jeden brauchte, um dem entgegenzuwirken. Dazu musste Tolea aber mental bei Kräften sein und das war sie im Augenblick wohl gar nicht.

Er hatte die Hofeinfahrt von Toleas etwas palastartig wirkendem Haus betreten. Hier stellte sich ihm ein Vendar von ca. 2,30 m Größe in der Uniform eines Wächters entgegen. Der Vendar war Kairon zunächst sehr unbekannt. Er musste aus einer Kolonie stammen, von der er nichts wusste. Das war aber an sich kein Problem, denn er wusste, wenn sich ein Vendar in die Dienste der Bewohner des Raum-Zeit-Kontinuums begab, dann tat er dies freiwillig, wie es Diran vorgemacht hatte.

Kairon blieb in einiger Entfernung zu dem Wächter stehen. Dann sagte er: „Ich bin Kairon. Ich möchte gern zu deiner Herrin. Ist sie zu sprechen?“ „Es tut mir leid, Gebieter.“, sagte der Vendar. „Aber meine Herrin wird wohl mit niemandem mehr sprechen. Sie spricht schon seit Tagen kein Wort mehr und ist total traurig. Sie ist so, seit mein Anführer fortging. Zwischen Anführer Diran und ihr muss etwas vorgefallen sein. Oh bitte straft mich nicht! Ich hoffe, ich habe sie jetzt nicht verraten oder in Misskredit gebracht!“ „Das hast du nicht, Vendar.“, tröstete Kairon den Fremden, den er erst jetzt genauer mustern konnte. Er war 2,30 m groß und hatte rotbraun geflecktes Fell. Er schien noch sehr jung zu sein, wenn Kairon sich sein Gesicht so ansah und seiner Stimme so zuhörte. „Im Gegenteil.“, sagte der Mächtige. „Wie ist eigentlich dein Name?“ „Mein Name ist Tchian.“, sagte der Vendar. „Ah.“, machte Kairon freundlich und lächelte Tchian an. „Tchian also. Der Kluge. Du hast gerade deinem Namen alle Ehre gemacht. Es war nämlich sehr klug von dir, mich auf die Situation vorzubereiten, in der ich Tolea wohl vorfinden werde. So kann ich besser planen, was ich tun muss.“ „Ich hoffe wirklich, dass Euch gelingt, was uns bisher allen versagt blieb, Gebieter.“, sagte Tchian. „Wenn das nicht der Fall ist, dann wird das Ende der Dimensionen wohl nicht mehr zu verhindern sein, denke ich. Meine Leute und ich haben alles versucht, das in unserer bescheidenen Macht steht, um Gebieterin Tolea zu helfen, aber leider ohne Erfolg. Wir sind mit unserer Weisheit am Ende.“ „Ich bin jetzt hier, Tchian!“, sagte Kairon zuversichtlich. „Mir wird schon etwas einfallen! Und nun bring mich zu ihr!“ „Ja, Gebieter.“, sagte der Vendar, winkte einem weiteren Wächter, der in einiger Entfernung gestanden hatte und der jetzt seinen Posten einnahm und schritt Kairon voran ins Innere des Hauses.

Die Männer hatten bald jene Treppe betreten, die sie zu Toleas Gemach führte. Oben am Absatz winkte Tchian Kairon an sich vorbei. „Soll ich bleiben?“, fragte er. „Nein.“, sagte der Mächtige mild. „Geh du nur zurück auf deinen Posten und erfülle deine Pflicht. Ich werde die Meine hier tun.“ „Danke, Gebieter.“, sagte der Vendar und ging.

Forschen Schrittes und mit gut hörbarem Auftreten ging Kairon den Gang zu Toleas Gemach entlang. Sein Blick war starr auf die Tür gerichtet, als wolle er sie mit den Augen durchbohren. Er wusste, dass er seiner Schwester deutlich machen musste, dass er keine Kompromisse eingehen würde. Entweder, sie würde ihm sagen, was mit ihr los ist, oder er würde dafür sorgen müssen, dass sie ihres Amtes im Rat enthoben würde. Wenn sie nicht erscheinen würde, wäre man schließlich nicht beschlussfähig, da sie ja eine der Vorsitzenden war. Das war etwas, das Kairon ihr gegebenenfalls noch androhen konnte, würde sie sich nicht helfen lassen wollen. Es wäre zwar sicher ein in höchstem Maße unfeiner Zug unter Geschwistern, aber unter Umständen konnte es notwendig werden. Schließlich durfte es nicht sein, dass die Dimensionen den Bach hinuntergingen und Sytania und Valora, die er längst als Urheberinnen der Situation identifiziert hatte, mit ihrem Plan durchkamen. Er würde seiner Schwester genau die Konsequenzen vor Augen führen und das, wenn es sein musste, auch auf sehr drastische Weise.

Nun stand er vor der Tür ihres Zimmers. Er beschloss, sie ein wenig zu erschrecken, um erst einmal ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Telepathisch hatte er durchaus wahrgenommen, wie traurig und niedergeschlagen sie war. Um sie aus diesem Jammertal reißen zu können, würde es bestimmt einiger drastischer Maßnahmen bedürfen.

Tatsächlich hatte sich Tolea schon seit Tagen nicht mehr aus ihrem Bett bewegt. Auch jetzt lag sie mit der Decke über dem Kopf da. Erst ein weißer Blitz zwang sie, Ihre Augen aus der Decke zu wühlen und sich umzudrehen. Aus dem gleißenden Lichtkegel trat ihr Bruder hervor. „Hallo, Schwester!“, sagte Kairon zwar freundlich, aber bestimmt. „Ich bin hier, um dich aus deiner Trauer zu holen. Wir brauchen dich und können nicht zulassen, dass du weiterhin hier so traurig herumliegst. Ich gebe zu, dass uns das Ende der Dimensionen allen sehr nahe geht. Aber wer, wenn nicht wir, könnte es aufhalten? Aber dazu brauchen wir auch dich!“

Er ließ eine Weile vergehen, um seine Worte auf sie wirken zu lassen und eine Reaktion von ihr abzuwarten. Die aber kam nicht. Wie ein Denkmal lag Tolea da und in ihrem teilnahmslosen Gesicht gab es keine Regung. Kairon, der damit aber schon gerechnet hatte, ließ sich davon aber nicht beeindrucken und ging näher zu ihr. Dann fasste er mit der rechten Hand ihre Schultern und zog sie hoch. Mit der linken Hand zog er ihre Decke zurück. „Tolea!“, rief er aus. „Bitte sieh mich an! Ich will dir nicht wehtun. Schließlich bist du meine Schwester, also vom selben Fleisch und Blut wie ich! Aber was ist zwischen deinem Vendar Diran und dir geschehen, das so schrecklich ist, dass er fortging und du depressiv geworden bist?! Bitte sag es mir, Schwester! Nur wer redet, dem kann auch geholfen werden!“

Tolea wandte ihr Gesicht langsam in seine Richtung. An ihren verquollenen Augen sah Kairon deutlich, dass sie lange und ohne Unterlass geweint haben musste. Dann sagte sie: „Du weißt, mein Bruder, dass Diran für mich weitaus mehr war als nur irgendeiner meiner Vendar. Er war ihr Anführer, weil er mein Vertrauter war und ich habe sein Vertrauen so schändlich missbraucht! Oh so schändlich! So schändlich!“ Wieder begann sie zu schluchzen. „Warum sprichst du von ihm in der Vergangenheit?“, fragte Kairon. „Ist ihm etwa durch deinen Befehl ein tödliches Unglück wiederfahren?“

Natürlich konnte Kairon sich diese Frage auch selbst beantworten. Er musste schließlich nur seine seherischen Fähigkeiten einsetzen. Aber er wollte es, wenn es möglich war, von seiner Schwester selbst hören. Er fand, dass dies auch ein Weg für sie sein könnte, mit der Situation fertig zu werden, wenn sie diese von vorn bis hinten aufrollen und selbst vor ihm ausbreiten würde.

„Auch wenn du mein Bruder bist.“, sagte Tolea. „Was da geschehen ist, geht dich nichts an! Das ist eine Sache, mit der ich allein fertig werden muss! Verstehst du, Kairon? Allein!“ „Na gut!“, sagte Kairon. „Du hast es nicht anders gewollt! Jemanden, der sich lieber in seinem Elend sonnt, als sich helfen zu lassen, den können wir unter uns im Rat nicht gebrauchen!“ „Was meinst du damit?“, fragte Tolea, die offensichtlich nicht glauben konnte, was ihr Bruder da gerade gesagt hatte. „Willst du mich etwa meines Amtes entheben?“ „Genau das!“, sagte Kairon fest. „In deinem Zustand bist du für uns …!“

Es hatte einen weißen Blitz gegeben und Kairon fand sich vor dem Tor des Anwesens wieder. Hier war Tchian der erste, der ihm ansichtig wurde. Der Vendar hatte gesehen, dass Kairon ziemlich unsanft auf dem Hintern gelandet war. Er rief dem zweiten Wachsoldaten, der am anderen Pfosten des Tores stand, eilig ein Kommando in ihrer gemeinsamen Muttersprache zu. Dann eilten beide zu Kairon hinüber, der sich mühsam aufgerappelt hatte. „Ist Euch etwas geschehen, Gebieter?“, fragte Tchian. „Nein.“, sagte Kairon. „Außerdem weißt du doch, dass ich unverwundbar bin.“ „Stöcke und Steine brechen Euch zwar nicht die Beine.“, sagte Tchian. „Aber ich habe gespürt, dass Eure Schwester ihre Fähigkeiten gegen Euch benutzt hat. Wenn sie gewollt hätte, dass Ihr zu Schaden kommt, dann …“ „Durchaus, Tchian.“, sagte Kairon und warf dem Vendar einen anerkennenden Blick zu. „Durchaus. Aber anscheinend hat sie das nicht gewollt. Tatsache ist aber, dass sie offenbar nicht mit mir reden wollte. Unter diesen Umständen wird es auch mir unmöglich sein, etwas aus ihr herauszubekommen. Auch ich werde mir Hilfe suchen müssen.“ „Das vermute ich auch.“, sagte Tchian. Eure Schwester und Ihr seid gleichstark. Sie konnte Euch nur auf diese Art rauswerfen, weil sie das Element der Überraschung auf ihrer Seite hatte. Konntet Ihr denn gar nichts bei ihr erreichen?“ „Na ja.“, sagte Kairon. „Jedenfalls ist es mir gelungen, ein wenig ihre Zunge zu lösen. Ich weiß jetzt, dass ihre Depression tatsächlich etwas mit dem Weggang Dirans zu tun hat. Aber viel mehr weiß ich nicht. Aber ich werde schon noch herausbekommen, was hier passiert ist.“

Ein Signal ließ Tchian und Kairon plötzlich aufhorchen. Es war aus der Brusttasche von Tchians Uniform gekommen. Hier hatte er sein Sprechgerät verstaut, das er jetzt hervorholte. Im Display konnte er das Rufzeichen der Garnison erkennen, in der Toleas Vendar stationiert waren. Außerdem war dort auch abzuleiten, dass es sich um das Unterrufzeichen des Kontrollstandes handelte, von dem aus die interdimensionale Sensorenplattform bedient werden konnte. Auch Toleas Vendar besaßen so etwas.

Tchian nahm das Gespräch an. Im Display wich der Schriftzug des Rufzeichens der Statur und dem Gesicht einer älteren Novizin. Sie trug eine weiße juteartige Uniform, die sie noch als Novizin auswies. Wo ihr Fell aber zu sehen war, glänzte es elegant schwarz. Ihr Gesicht schaute freundlich drein und sie maß ca. 2,20 m, was für eine erwachsene Vendar normal wäre, für ein Mädchen in ihrem Alter aber schon sehr groß schien. In ihrer Familie gab es sogar die Vermutung, dass sie einmal so groß wie ein Mann werden könnte.

Die helle Stimme des Mädchens meldete sich: „Anführer, hier ist Timach. Ich habe etwas zu melden, das sich, laut der interdimensionalen Sensorenplattform, gerade in unsere Dimension bewegt hat. Es ist vor 20 Sekunden aus der interdimensionalen Schicht getreten. Offenbar ist es ein tindaranisches Militärschiff. Laut Klassifizierung ein Aufklärer. Der Pilot ist das einzige Besatzungsmitglied. Was soll ich tun?“ „Hast du schon mit ihm gesprochen?“, fragte Tchian. „Nein, Anführer.“, antwortete die Novizin. „Bitte vergib mir, wenn ich einen Fehler gemacht haben sollte. Das hier ist meine erste Wache über die Plattform.“ „Schon gut, Timach.“, sagte Tchian. „Ich werde selbst mit ihm reden. Übermittle mir bitte sein Rufzeichen. Das dürfte ja mit seinem Transpondersignal übertragen worden sein.“ „Wie du wünschst, Anführer.“, sagte die Novizin und alsbald hatte Tchian eine SITCH-Mail mit dem Rufzeichen auf seinem Sprechgerät.

Auch Kairon war die neue Situation zu Ohren gekommen. „Sprich ruhig mit ihm und erkläre ihm unsere Situation.“, sagte er. „Vielleicht kann er mir ja auf die eine oder andere Weise helfen, meine Schwester zu überzeugen.“ „Ihr habt Recht, Gebieter.“, überlegte Tchian. „Er könnte wirklich so etwas wie das Zünglein an der Waage sein, wenn es hart auf hart kommt. Aber ich hoffe, Ihr wollt Eurer Schwester gegenüber nicht nur mit Gewalt agieren. Ich meine, immerhin ist sie Eure Schwester.“ „Ich weiß, was du sagen willst.“, sagte Kairon. „Blut ist dicker als Wasser und man tut der Verwandtschaft schließlich nichts an. Aber bedenke bitte, dass Tolea damit ja auch nicht zimperlich war und du hast ja gesehen, wie meine Chancen ausgesehen haben. Wenn das also nicht so weitergehen soll, dann muss etwas geschehen. In ihrem jetzigen Zustand ist Tolea auf jeden Fall gefährlich für sich und andere. Das darf nicht so bleiben. Auf gar keinen Fall darf das so bleiben. Und wenn wir schon einmal bei Metaphern sind, dann denk mal über das hier nach, Tchian. Blut mag dicker sein als Wasser, aber mit Wasser kann man wieder reinwaschen, was schmutzig geworden ist. Das sollte mit Blut unmöglich sein.“ „Ich verstehe.“, sagte Tchian. „Dann ist ja gut.“, sagte Kairon. „Und nun möchte ich, dass du den Tindaraner rufst. Ich glaube nämlich zu wissen, was er hier möchte. Melde mich an! Sag, dass ich zu ihm an Bord seines Schiffes kommen möchte! Lege das Gespräch auf den Lautsprecher, damit ich seine Antworten hören kann!“ „Wie Ihr wünscht, Gebieter.“, sagte Tchian und gab das Rufzeichen in sein Sprechgerät ein, um Kairons Befehl auszuführen.

Kapitel 30: Geheime Hilferufe

von Visitor

 

Shimar und sein Schiff waren sicher im Raum-Zeit-Kontinuum angekommen, eine Tatsache, die, wenn man die Situation bedachte, in der die Dimensionen waren, nicht selbstverständlich war.

„Ich bin heilfroh, dass Jenna deiner Antriebssoftware ein Update verpasst hat.“, sagte Shimar erleichtert. Auch der Avatar seines Schiffes sah ihn erleichtert an. „Das bin ich auch, wenn Sie so wollen.“, sagte das Schiff. „Obwohl ich nicht in der Lage bin, Freude zu empfinden. Aber ich erkenne natürlich auch, ob unsere Manöver erfolgreich sind und würde melden, wenn etwas nicht stimmte.“ „Das kann ich mir denken.“, sagte Shimar. „Alles andere wäre ja auch im Zweifel zu gefährlich. Stell dir mal rein hypothetisch vor, du würdest einen Warpkernbruch erleiden und mir die vorhergehenden Symptome nicht melden. Wenn ich dir dann den Befehl erteilen würde, den Warpantrieb zu aktivieren, dürften wir das beide wohl nicht überleben, he?“ „Ihre Hypothese ist korrekt.“, sagte IDUSA. „Obwohl ich davon ausgegangen wäre, dass Sie ein harmloseres Beispiel finden würden.“ „Ob nun harmlos oder drastisch.“, sagte Shimar. „Es geht schließlich um die Aussage des Ganzen und ich glaube, da haben wir uns schon verstanden.“ „Bestätigt.“, sagte das Schiff.

Ihr Sprechgerät hatte den Ruf von Tchians Gerät empfangen. „Shimar, wir werden gerufen.“, sagte IDUSA. „Wer ist es?“, fragte der Tindaraner. „Es ist ein unbekannter Vendar.“, sagte IDUSA. „Jedenfalls geht das aus dem Rufzeichen hervor. Ich kenne es nicht und kann es auch so ohne weiteres keinem Namen zuordnen, den ich im Adressbuch des Sprechgerätes gespeichert habe.“ „Na ja.“, sagte Shimar. „Neue Kontakte können manchmal sehr nützlich sein. Stell ihn zu mir durch!“ „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und ihr Avatar trat vor Shimars geistigem Auge einen Schritt zurück.

Auf der virtuellen Konsole vor Shimars geistigem Auge wurde das Bild von Tchian sichtbar. „Ich grüße dich.“, sagte der Vendar. „Auch ich grüße dich.“, sagte Shimar. „Wer bist du? Weder mein Schiff noch ich kennen dich.“ „Ich bin Tchian.“, erwiderte der junge Vendar. „Ich bin im Augenblick der amtierende Anführer von Toleas Vendar. Ich vertrete meinen Anführer Diran. Du kannst mir nicht zufällig sagen, wo er ist, oder wie es ihm geht, Tindaraner?“ „Mein Name ist Shimar.“, sagte dieser. „Und wie es deinem Anführer geht, kann ich dir rein zufällig genau sagen. Diran ist auf unserer Basis. Er lebt, aber das gerade so. Genauer liegt er leider im Koma. Er hat sich selbst gerichtet, weil er glaubt, seine Herrin verraten zu haben. Dabei kann er gar nichts für die Sache, wie es aussieht. Das Ganze ist allein auf Toleas Mist gewachsen, wenn du mich fragst. Deshalb bin ich auch hier. Meine Befehle lauten, deine Herrin zur Rede zu stellen und dafür zu sorgen, dass sie den Bann rückgängig macht, den sie über Diran verhängt hat und der offenbar dafür gesorgt hat, dass er unwissend Informationen an Sytania weitergegeben hat.“

Eiskalte Stille herrschte, nachdem Shimar sich vorgestellt hatte, den Sendeknopf auf der virtuellen Konsole loszulassen. In jener frostigen Atmosphäre hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Warum es so gekommen war, konnte sich Shimar schon denken. Jeder Vendar hatte eine sehr vertrauensvolle Beziehung zu seinem Anführer und würde auf ihn nichts kommen lassen. Er aber hatte Diran gerade indirekt verdächtigt, Tolea und ihre Pläne an den Feind verraten zu haben. Das allein war schon unter Vendar ein Grund, jemanden damit zu bestrafen, dass er Hand an sich zu legen hatte. In gewissem Sinne hatte Diran das ja auch getan, wenn auch die Ausführung eher an einen Hilferuf erinnerte und wohl tatsächlich auch mehr einer war, als ein wirkliches Vorhaben, aus dem Leben zu scheiden.

Shimar lehnte sich zurück und schluckte. „Uff, IDUSA.“, sagte er mit sehr bedienter Betonung. „Ich glaube, da habe ich gerade einen Fehler gemacht. Ist die Verbindung noch aktiv?“ „Das ist sie.“, sagte das Schiff. „Demnach können Sie keinen so großen Fehler gemacht haben. Jedenfalls haben Sie ihn wohl nicht so stark beleidigt, dass er die Verbindung beendet hat. Ein Verhalten übrigens, das ich auch in meinem Katalog zur Erkennung von Verhaltensweisen biologischer Wesen als solches gespeichert habe. Falls ich einmal allein bin und auf ein solches Verhalten treffe, muss ich ja wissen, wie ich es einzuordnen und darauf zu reagieren habe.“ „Und was sagen dir deine Systemprotokolle, was du in jenem Fall zu tun hättest?“, fragte Shimar neugierig. „Ich müsste meinerseits den Kanal wieder öffnen und mich mit einer passenden Formulierung bei meinem Gesprächspartner entschuldigen.“, erwiderte IDUSA. „Und genau das werden wir jetzt tun.“, sagte Shimar und drückte wieder auf den virtuellen Sendeknopf: „Tchian, es tut mir leid, falls ich dir oder deinem Anführer auf den Schlips getreten sein sollte. Natürlich weiß ich, dass Diran das nicht mit Absicht gemacht hat. Er weiß es sicher auch nur aus den Aufzeichnungen seines Schiffes. Die Götter mögen wissen, warum er alles aufzeichnen lassen hat. Sein Schiff ist jetzt bei meinen Leuten. Die werden schon rauskriegen, was da wirklich passiert ist. Niemand von uns glaubt, dass Diran ein Verräter ist!“ in seinen letzten Satz hatte er viel Überzeugung gelegt.

Wieder verging einige Zeit. Dann endlich antwortete Tchian: „Das habe ich auch nicht behaupten wollen, Tindaraner. Es war nur so, dass mich deine Worte zunächst ziemlich getroffen haben. Aber ich habe die Tindaraner schon immer für sehr weise gehalten. Jedenfalls seid ihr weise genug, um nicht sofort nach dem ersten Anschein eure Meinung festzulegen. Ihr schaut euch die Situation schon sehr genau an, bevor ihr urteilt. Aber ich bin nicht allein. Kairon, der Bruder meiner Gebieterin Tolea, würde gern zu dir an Bord deines Schiffes kommen, um mit dir zu reden. Er denkt, du könntest Hilfe brauchen.“ „Kein Problem.“, sagte Shimar. „Dann sag ihm bitte, dass IDUSA und ich ihn erwarten. Ach ja. Das haben wir, glaube ich, ja ganz vergessen. Ich heiße übrigens Shimar.“ „Ich werde es Gebieter Kairon ausrichten, Shimar El Tindara.“, sagte der Vendar und beendete das Gespräch.

IDUSA hatte die Situation durchaus mitbekommen. Das nahm ja auch nicht Wunder, da das Gespräch schließlich über ihre Systeme gelaufen war. Ihr Avatar vor Shimars geistigem Auge sah ihn durchdringend an und hob mahnend den rechten Zeigefinger. „Ich neige dazu, Tchian und seinem Herrn zuzustimmen.“, sagte sie. „Würden Sie Tolea mit den Vorwürfen konfrontieren, ohne eine Rückendeckung zu haben, dann könnte es sehr schnell sein, dass Sie den Kürzeren zögen. Meinen Berechnungen nach sind Ihre telepathischen Fähigkeiten allein viel Schwächer als die Toleas. Ich gehe davon aus, dass sie diese nämlich eventuell gegen Sie einsetzen könnte. Sie wissen, in was für einem Zustand sie sich befindet.“ „Danke für deine nochmalige so eindringliche Warnung.“, sagte Shimar diplomatisch. „Aber das hatten wir ja alles schon. Ich weiß, dass eine depressive Q sehr mit Vorsicht zu genießen ist.“ „Oh Sie kennen aber noch nicht alle Ergebnisse meiner Berechnungen.“, sagte IDUSA und ihr Avatar grinste ihn konspirativ an. „So?“, fragte Shimar und visualisierte sein Gesicht mit neugierigem Blick in den Augen. „Dann schieß mal los! Was weiß ich denn noch nicht?“ „Es ist etwas, das uns vielleicht sehr helfen wird, die Befehle des Commanders zu ihrer Zufriedenheit auszuführen.“, sagte das Schiff. „Nun mach es nicht so spannend.“, sagte Shimar. „Rede schon!“ „Also gut.“, sagte IDUSA und zeigte ihm eine Art Diagramm. „Ich habe berechnet, dass Kairon allein auch keine Chance hätte, würde er seine Schwester zur Verantwortung ziehen wollen und würde diese sich mental wehren. Das würde immer wieder zu einer Patsituation zwischen beiden führen, wie Sie hier sehen dürften. Wenn ich Ihre Werte allerdings zu denen Kairons addiere, dann sieht das schon anders aus.“

Sie führte das eben Gesagte aus und Shimar sah tatsächlich, dass der Balken, vor dem jetzt sein und Kairons Name standen, beträchtlich wuchs. „Na das sind ja sehr gute Nachrichten.“, sagte er. „Dann wollen wir mal hoffen, dass du dich nicht verrechnet hast.“ „Davon gehe ich nicht aus.“, sagte IDUSA. „Techniker McKnight versorgt meine Systeme regelmäßig mit den neuesten wissenschaftlichen Updates. Das schließt auch Erkenntnisse über Telepathie mit ein. Ich werde mich also auf keinen Fall verrechnet haben!“ „Also schön.“, sagte Shimar. „Dann betrachte ich das mal als sichere Bank.“

Ein weißer Blitz traf IDUSA. Dann stand neben Shimar plötzlich ein Mann von ca. 1,90 m Größe, der ebenfalls die Uniform eines tindaranischen Patrouillenfliegers trug. Er war schlank, hatte ein freundliches ebenmäßiges Gesicht und hatte kastanienbraunes Haar. IDUSA aber konnte weder seine Erscheinung noch seine DNS einordnen. Das war auch der Grund, aus dem sie ihn, kaum dass er aufgetaucht war, sofort mit dem Transporter erfasste und in die Achterkabine beamte, in der sie bereits die Atmosphäre leicht mit Rosannium versetzt hatte. Da der Fremde offenbar auf diese Aktion nicht gefasst war, holte er, da er sich sehr erschrocken hatte, tief Luft, was ein Fehler war. Augenblicklich fiel er in Ohnmacht und landete sanft auf einem Sitz.

IDUSAs Avatar warf ihrem Piloten einen beruhigenden Blick zu. „Es ist alles in Ordnung, Shimar.“, sagte sie. „Sie sind außer Gefahr.“ „Ich war niemals darin!“, sagte Shimar streng. „Was sollte das, IDUSA?!“ „Unser plötzlicher Besucher.“, sagte das Schiff, um ihre Aktion zu erklären. „Ist mir völlig unbekannt. Ich kann weder seine DNS, noch seine Erscheinung einordnen. Auch hat eine kurze Anfrage bei der Datenbank des tindaranischen Militärs ergeben, dass es keinen Soldaten dort gibt, auf den seine Beschreibung passen könnte. Der Rechner dort hat schon verneint, als ich seine Größe eingab. Bitte vergessen Sie nicht, dass er auch ein Streich von Tolea sein könnte. In ihrem jetzigen Geisteszustand müssen wir mit allem rechnen. Sicher beschämt sie sehr, was sie getan hat und sie würde alles versuchen, um es unter den Teppich zu kehren, denke ich. Aber keine Angst. Ich habe ihn gesichert und die Tür zwischen Cockpit und Achterkabine hermetisch abgeriegelt. Sie sind außer Gefahr, aber das Rosannium wird unseren Freund eine Weile im Land der Träume halten.“ „Ich denke nicht, dass das notwendig ist!“, sagte Shimar fest. „Es handelt sich bei unserem Freund nämlich zweifelsfrei um Kairon! Warum er diese Verkleidung an den Tag legt, weiß ich nicht, aber es ist definitiv er!“ „Was macht Sie da so sicher?“, fragte IDUSA und ihr Avatar sah ihn sorgenvoll an. „Na, zum Beispiel der SITCH.“, sagte Shimar. „Kairon hat sich angekündigt. Aber auch seine geistige Prägung identifiziert ihn eindeutig. Bitte vertrau mir, IDUSA. Es ist wirklich Kairon! Und nun reinige die Atmosphäre!“ „Sie wissen, dass die Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein Mächtiger in der Lage ist, die geistige Prägung eines anderen bis zu einem gewissen Grad zu kopieren, wenn er sich große Mühe gibt. Sie selbst sagten, bei Tolea müsse man im Moment mit allem rechnen. Außerdem verfolgt Techniker McKnight die Theorie, dass Sytania an unserer Situation nicht unschuldig ist. Es gibt also genug Faktoren, die auch die Existenz einer Lebensform, die uns täuschen soll, befürworten könnten.“ „Das würde ich spüren.“, sagte Shimar. „Vielleicht auch nicht.“, sagte IDUSA. „Wer weiß, wie gut sich Sytania oder Tolea auf so etwas vorbereitet haben.“

Shimar dachte nach. Er wusste, dass er dringend einen Weg finden musste, sein Schiff von der Wahrheit zu überzeugen. Ihre Argumente waren durchaus stichhaltig und sicher der Tatsache geschuldet, dass sie eine künstliche Intelligenz war, für die Emotionen und durch Emotionen hervorgerufene Situationen zu abstrakt waren, um sie erfassen zu können und angemessen reagieren zu können. Wenn man IDUSA also gesagt hatte, sie solle auf der Hut sein, dann war sie das auch und wenn ihre Sensoren ihr den winzigsten Anschein gaben, dass hier etwas nicht stimmte, dann würde sie zunächst alles tun, um ihren Piloten zu schützen, wie es ihr durch die Lex Technologica diktiert wurde. Ihr Verhalten war also keine Fehlfunktion, sondern das ganz normale Ergebnis ihrer Programmierung. Aber sie war ja lernfähig und das war etwas, das Shimar sich jetzt zunutze machen musste.

Der junge tindaranische Soldat setzte sich wieder aufrecht hin, rückte sich und den Neurokoppler auf seinem Kopf zurecht und sagte dann: „Hör mal zu, IDUSA! Ich weiß, wie abstrakt dir eine solche Situation vorkommen muss. Du kannst unseren Feind, also Toleas Krankheit, nicht sehen, weil sie aus einer Emotion herrührt und das ist etwas, das du nicht erfassen kannst. Wenn du jetzt allein wärst, dann wäre die Situation sicher nicht gut für dich. Aber du hast ja jetzt mich. Ich kann dir in so einer Situation sicher gut weiterhelfen. Für mich sind Emotionen nämlich keine abstrakte Sache. Aber auch du hast eine Möglichkeit zu erkennen, ob es sich wirklich um Kairon handelt. Du hast diese Möglichkeit selbst genannt.“ Er ließ eine Pause, um ihre Reaktion abzuwarten. „Ich weiß nicht, was Sie meinen könnten, Shimar.“, sagte IDUSA. „Ich meine.“, erklärte Shimar, der ihre Verwirrung durchaus nachvollziehen konnte. „Dass du sicher sein Neuralmuster erkennen würdest, wenn du es sehen würdest.“ „Durchaus.“, bestätigte das Schiff. „Diese Information befindet sich nämlich in meiner Datenbank.“ „Dann benutze sie!“, sagte Shimar.

IDUSA begann damit, die Achterkabine mit ihren internen Sensoren zu scannen. Dabei hatte sie auch das Bild von Kairons Neuralmuster aus ihrer Datenbank in den Arbeitsspeicher geladen, um eine Vergleichsmöglichkeit zu haben. Tatsächlich erkannte sie wenig später das Neuralmuster als positiv. „Es tut mir leid.“, entschuldigte sie sich. „Ist schon gut.“, sagte Shimar. „Das ist eine Situation, mit der du, als künstliche Intelligenz, eben total überfordert sein musst. Im Vertrauen, IDUSA, Jenn’ sagt, Emotionschips sind auch nur Makulatur. Wenn ich sie richtig verstanden habe, dann ist da auch nur ein Haufen erlernter Verhaltensweisen drauf, die in bestimmten Situationen einfach von euch abgespult werden sollen. Das ist sehr leicht zu manipulieren und kann dann auch zu total merkwürdigen Ergebnissen führen. Stell dir vor, jemand programmiert dich, auf einen traurigen Bericht mit einem riesigen Lachkrampf zu reagieren. Wenn deine Programmierung dir das nicht anders vorschreibt, tust du es. Echt sind deine Gefühle deshalb noch lange nicht.“ „Gut, dass sich Techniker McKnight niemals mit Dr. Soong unterhalten wird.“, stellte IDUSA fest. „Wenn sie ihm diesen Zahn ziehen würde, also ihm sagte, dass er nur eine Illusion kreiert hat, dass würde ihn sicher sehr stark demoralisieren. Aber das wird ja nie vorkommen, wenn sie nicht demnächst vorhat, die Zeitlinie zu manipulieren.“ „Ich denke nicht, dass Jenn’ das demnächst vor haben wird.“, sagte Shimar. „Dafür weiß sie viel zu genau über solche Sachen Bescheid. Aber ich habe ja auch nur weitergegeben, was sie mir gesagt hat. Ich kann mir selbst über so etwas kein Urteil erlauben. Ich bin schließlich nur ein einfacher Pilot und kein Ingenieur.“ „Oh Sie führen Ihren Beruf aber sicher nicht mit weniger Präzision aus.“, sagte IDUSA. „Jedenfalls kann ich nicht klagen und ich muss das ja wissen. Ich bin schließlich das Ihnen vom Oberkommando zugeteilte Schiff, das Sie beinahe tagtäglich fliegen.“ „Danke für das Kompliment, IDUSA.“, sagte Shimar. „Aber mal was anderes. Hast du inzwischen die Atmosphäre gereinigt? Ich würde Kairon gern begrüßen und habe keine Lust, gleich neben ihm zu liegen, du verstehst?“ „Durchaus.“, antwortete das Schiff. „Aber die Atmosphäre ist wieder porentief rein. Kairon wird gleich aufwachen. Ich habe nur eine geringe Menge Rosannium benutzt, die sein System schon wieder ausgeschwemmt haben dürfte. Ohne Nachschub wird er nicht länger bewusstlos bleiben.“ „Dann werde ich mal gehen.“, sagte Shimar, nahm den Neurokoppler ab, steckte ihn in die Tasche und drehte sich ein letztes Mal dem Mikrofon zu: „Übernimm das Steuer!“ Dann drehte er sich zur Tür, die ihn in die Achterkabine führen würde.

Ein Signal ließ ihn aber noch einmal nach hinten lauschen. „Was ist denn noch, IDUSA?“, fragte er. „Bitte richten Sie Kairon auch meine Entschuldigung aus.“, sagte IDUSA. „Klar!“, sagte Shimar locker. „Aber ich finde, er hat sich die Situation auch zu einem gewissen Teil selbst zuzuschreiben. Ich habe über das nachgedacht, was du über deine Anfrage bei der Militärdatenbank gesagt hast und ich finde, er hätte dich nicht so irritieren dürfen. So große Tindaraner gibt es nicht und er kann froh sein, wenn deine Anfrage keinen Alarm ausgelöst hat. Das Oberkommando dürfte jetzt ordentlich was zum Nachdenken haben.“ „Bestätigt.“, sagte IDUSA. „Aber das können wir ja aufklären.“ „Oh ja.“, sagte Shimar. „Aber ich werde Kairon auch noch einmal darauf ansprechen. Ich werde ihm wohl erklären müssen, das sein Fehler eine Menge ausgelöst hat.“ „Ich hoffe, Sie ziehen ihm auch in meinem Auftrag gehörig die Löffel lang!“, sagte IDUSA. „Schönen Gruß von Shannon, wie?“, lachte Shimar. „Welchen Löffel soll ich ihm denn in deinem Auftrag langziehen, hm?“ „Den rechten Löffel bitte, Shimar.“, sagte IDUSA. „Und bitte richten Sie ihm auch aus, dass meine Systeme nicht gut auf Irritationen reagieren.“ „Geht klar.“, sagte Shimar. Dann ging er durch die Tür, die IDUSA ihm bereitwillig geöffnet hatte.

Tchian hatte sich in Toleas Gemach begeben. Kairons Satz über die gelöste Zunge hatte ihm Mut gemacht. Jetzt hoffte er, selbst mit seiner Herrin über die Probleme sprechen zu können, die Tolea schon seit Tagen plagten. Seinen Posten am Tor hatte er dem anderen Wachsoldaten gegeben, da er sich dachte, dass dieses Gespräch wohl etwas länger dauern könnte.

Umso überraschter war er, als er Toleas Bett lehr vorfand. Er legte beide Hände auf die Decke und begann damit, sich auf Toleas geistige Prägung zu konzentrieren. Ihm war klar, dass sie das Haus nur mit Hilfe ihrer Kräfte verlassen haben konnte. Sonst hätten er oder seine Leute sie ja sehen müssen. Als Telepathenjäger konnte er dies ja erspüren und benötigte dafür in den seltensten Fällen einen Erfasser.

Tatsächlich verriet ihm seine Wahrnehmung bald, dass seine Vermutung richtig war. „Wo wollt Ihr nur hin, Herrin?!“, rief er laut und verzweifelt aus. „Und vor allem, was wollt Ihr tun?! Bitte tut euch nichts an! Bitte!“

Er war sehr verzweifelt. Was konnte er jetzt noch tun? Irgendjemand musste ihm helfen, Tolea wiederzufinden und derjenige musste auch verhindern, dass sie sich etwas antat. Der Einzige, der ihm dazu einfiel, war der Pilot des tindaranischen Schiffes. Gegen die geistige Suche anderer Mächtiger konnte sich Tolea abschirmen, das wusste er. Aber vielleicht nicht gegen die Sensoren von Technologie. Er beschloss also, das fremde Rufzeichen noch einmal zu benutzen.

Shimar war zu Kairon in die Achterkabine gegangen und hatte sich über ihn gebeugt, Über ihn, der gerade wieder im Begriff war, das Bewusstsein zu erlangen. Erschrocken sah der Mächtige in das ruhige Gesicht des jungen Tindaraners. „DU?“, fragte er erstaunt. „Ja, ich.“, sagte Shimar und setzte sich neben ihn. „Bitte verzeih meinem Schiff.“, bat er dann. „Sie meinte es nicht böse. Sie hat dich einfach nicht erkannt, Kairon. Aber du hast es ihr ja auch nicht gerade leicht gemacht!“ In seinen letzten Satz hatte er eine starke vorwurfsvolle Note gelegt. „Was genau meinst du damit?“, fragte der Mächtige. „Ich meine, dass du dich als etwas präsentiert hast, das sie nicht einordnen kann.“, erklärte der Patrouillenflieger. „Unter den gegebenen Umständen musste sie dich für den Feind oder einen Streich von Tolea halten, mit dem sie versucht, uns davon abzuhalten, sie zur Rede zu stellen.“ „Wie kommt dein Schiff darauf?!“, fragte Kairon und setzte sich auf. Selbst sitzend kam er Shimar sehr groß vor. „Sind ihre Sensoren defekt? Eure Techniker McKnight sollte sie mal ganz genau überprüfen! Aber warum unterstützt du offensichtlich ihre falsche Annahme auch noch?“ „Moment mal, du Lulatsch!“, sagte Shimar. Dabei betonte er den Lulatsch noch besonders. „IDUSAs Sensoren funktionieren einwandfrei und lass gefälligst Jenn’ da raus. Sie hat uns schon so oft den Podex gerettet, dass ich schon aufgehört habe zu zählen! Sie trifft bestimmt auch keine Schuld. Der Einzige, der hier einen Fehler gemacht hat, das bist ja wohl du! Du langes Elend!“

Er lehnte sich wartend zurück. Dabei hoffte er, genug Hinweise gestreut zu haben, die Kairon wohl endlich auf seinen Fehler bringen würden. Stattdessen aber sagte der Mächtige nur: „Wie redest du denn mit mir?! Du kannst froh sein, wenn ich das nicht als diplomatischen Fauxpas betrachte und dich deiner Regierung melde!“ „Ach, so einfach ist das!“, spottete Shimar. „Ein einfacher tindaranischer Soldat, also ein Sterblicher, wirft einem Mächtigen ein paar Sprüche an den Kopf und der ist tödlich beleidigt! Oh Backe! Ihr Mächtigen seid vielleicht Weich… ich meine Sensibelchen!“ Seine Geduld war am Ende! Er hatte Kairon durchaus mehr Intelligenz zugetraut. Wenn er nicht bald kapieren würde, was hier Sache war, würde er platzen! Zumindest fühlte es sich für Shimar so an.

IDUSA war es, die der Situation schließlich ein Ende bereitete. Sie ließ ein Licht über einem Der Ports an der Wand aufleuchten. Das zeigte Shimar, dass sie etwas von ihm zu wollen schien.

Er zog seinen Neurokoppler wieder aus der Tasche und steckte ihn in den Port, den ihm sein Schiff ausgeleuchtet hatte. Sofort lud IDUSA wieder seine Reaktionstabelle. „Was gibt es, IDUSA?“, fragte Shimar. „Wir werden von Tchian gerufen, Shimar.“, sagte das Schiff. „Seinen Stimmfrequenzen nach scheint er sehr aufgeregt zu sein.“ „Stell ihn durch!“, sagte Shimar, der froh war, nicht mehr an die Dummheit Kairons denken zu müssen. Er fragte sich, ob der Mächtige wirklich so dumm war, oder sich nur so dumm anstellte. Aber das war etwas, das er so nicht klären konnte. Es würde auch warten müssen, denn dafür war jetzt keine Zeit. Jetzt musste er erst einmal den armen Vendar verarzten, der gerade nach seiner Aufmerksamkeit verlangte. Shimar ahnte, dass hier gewaltig etwas nicht stimmte. Kairon würde jetzt genug Zeit finden, über das, was Shimar ihm gerade gesagt hatte, nachzudenken. Vielleicht kam er ja doch noch drauf.

IDUSA hatte Tchian zu ihrem Piloten durchgestellt und das Gesicht des Vendar war vor Shimars geistigem Auge erschienen. Jetzt sah auch er, wie verzweifelt er dreinschaute. „Was ist geschehen, Tchian?“, fragte er. „Ich weiß es nicht genau, Shimar El Tindara!“, sagte Tchian verzweifelt. „Meine Herrin ist verschwunden und sie hat dazu offensichtlich ihre mentalen Fähigkeiten benutzt! Das bedeutet, sie kann jetzt überall sein! Oh ich befürchte, sie wird sich etwas antun! Kannst du sie finden?!“ „Das halte ich schon für möglich.“, sagte Shimar ruhig. „Mach dir keine Sorgen, Tchian. Ich mache das schon.“ Damit gab er IDUSA den Gedankenbefehl, die Verbindung zu beenden, was sie auch sofort tat. „Kann ich sonst noch etwas tun, Shimar?“, fragte der Avatar. „Ja, das kannst du.“, antwortete der junge Tindaraner. „Schließ dich mit der interdimensionalen Sensorenplattform kurz und such nach Tolea!“ „In Ordnung, Shimar.“, sagte das Schiff. „Ich muss Sie allerdings darauf hinweisen, dass Tolea, falls sie uns täuschen will, sich in alles und jedes verwandeln kann. Ich werde also als Parameter für die Suche lediglich ihr Neuralmuster verwenden.“ „Sehr gut, IDUSA.“, sagte Shimar. „Mach es so!“

Er setzte den Neurokoppler wieder ab, was für IDUSA ein eindeutiges Signal war, seine Reaktionstabelle wieder zu löschen. Dann wandte er sich wieder Kairon zu: „Weißt du jetzt vielleicht, worauf ich hinauswollte?“ fragte er. „Tut mir leid.“, sagte Kairon. „Ich weiß es beim besten Willen nicht. Aber meine Gedanken werden auch im Moment mehr vom Wohlergehen meiner Schwester beherrscht. Vielleicht kann ich deshalb nicht darüber nachdenken. Bitte hilf mir, Shimar.“ „Na gut.“, sagte Shimar. „Du hast vergessen, deine Größe an die durchschnittliche Größe eines Tindaraners anzupassen. Das hat IDUSA schon irritiert. Als du dann auch noch eine unbekannte DNS hattest, war alles zu spät. Sie musste ja denken, dass du der Feind, oder mindestens ein Streich von Tolea bist.“ „Ach so.“, sagte Kairon. „Das tut mir leid. Eigentlich wollte ich dir mit meiner Erscheinung nur zeigen, dass ich auf deiner Seite bin. Aber offenbar habe ich damit genau das Gegenteil erreicht. Aber warte mal kurz.“

Es gab einen weißen Blitz und vor Shimar stand der allen viel besser bekannte Anzugträger, als der Kairon auch in allen Datenbanken verzeichnet war, da man ihn bei diplomatischen Anlässen, bei denen alle Verbündeten der Föderation aufgetreten waren, meistens nur so sah. „So.“, sagte er. „Und nun frag dein Schiff bitte, ob ihr diese Erscheinung besser gefällt!“ „Sicher.“, erwiderte Shimar und setzte den Neurokoppler wieder auf. Dann befahl er: „IDUSA, scanne Kairon noch einmal und dann sag mir, ob du ihn jetzt erkennen kannst!“

Der Avatar nickte ihm zu und dann führte IDUSA seinen Befehl aus. Ihr Ergebnis stimmte ihn sehr positiv. „Ich habe ihn tatsächlich erkannt, Shimar.“, sagte sie. „Bitte sagen Sie ihm, dass es mir leid tut.“ „Das kannst du ihm auch selbst sagen, IDUSA.“, sagte Shimar. „Repliziere bitte einen zweiten Neurokoppler. Dann können sich du und Kairon auch unterhalten.“ „Denken Sie wirklich, dass sich Kairon darauf einlassen wird, Shimar?“, fragte IDUSA. „Als Mächtiger wird er sich doch sicher nicht dazu herablassen wollen, mit primitiver Technologie wie mir zu kommunizieren.“ „Du weißt, dass er kein Q vom alten Schlag ist, IDUSA.“, sagte Shimar. „Tu einfach, was ich dir gesagt habe. Dann wirst du ja sehen, ob er es tut oder nicht.“ „Also gut.“, sagte das Schiff.

Ein Summen hinter ihm zeigte Shimar an, dass der Replikator in der Achterkabine in Betrieb gegangen war. Nachdem er sich umgedreht hatte, sah er auch das Lämpchen, das ihm einen erfolgreichen Replikationsvorgang meldete. Den Neurokoppler, den er darauf im Auswurffach vorfand, nahm er heraus und zeigte ihn Kairon. „Du kannst dich selbst mit ihr unterhalten.“, sagte er. „Dazu musst du diesen hier nur aufsetzen. Den Rest mache ich.“ „Also gut.“, sagte Kairon, nahm ihm den Koppler aus der Hand und setzte ihn sich wie einen Haarreif auf den Kopf, wie er es bei Shimar gesehen hatte. „Richtig so?“, fragte er. Shimar nickte. „Und was jetzt?“, fragte Kairon weiter. „Tja, jetzt.“, sagte Shimar und nahm Maß, was die Entfernung zwischen Kairon und dem nächsten Port anging. „Jetzt muss ich dich leider an die Leine nehmen. Der Weg zum nächsten Port ist zu lang. Im Cockpit wäre das viel leichter.“ Er nahm das Anschlussmodul des Neurokopplers in die rechte Hand. Jetzt sah auch Kairon das Kabel. Er musste lachen. „Der Vergleich mit der Leine ist gar nicht so weit hergeholt.“, sagte er. „Dann bin ich mal ein folgsames kleines Hündchen.“ „Also dann, Fiffi.“, scherzte Shimar zurück, der heilfroh war, dass sich die frostige Atmosphäre zwischen ihm und Kairon offensichtlich wieder entspannt hatte. „Dann komm! Bei Fuß!“ Kairon gab einen völlig übertriebenen Winsellaut von sich und beide Männer lachten.

Kapitel 31: Der schwere Kampf um Toleas Leben

von Visitor

 

Leider musste IDUSA jene lockere Stimmung bald wieder zerstören. Dem Signal, das sie in die Sprechanlage einspeiste, folgte eine eindringliche Warnung ihrer elektronischen Stimme: „Bleiben Sie beide bitte sitzen und halten Sie sich fest! Halten Sie sich fest!“ Dann kreiselte sie blitzschnell um sich selbst, aktivierte per Notschaltung den interdimensionalen Antrieb, indem sie die Vorstartsequenz überging und beendete den Flug erst dann wieder, als sie sich im Universum der Föderation befand. Hier aber schaltete sie sofort auf Warp um und raste mit Warp 9,0 weiter.

Kairon war blass neben Shimar in den Sitz gesunken. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte er. „Warum tut sie das?!“ Das bedeutet wohl.“, sagte Shimar mit Überzeugung. „Sie hat deine Schwester gefunden!“ „Den Göttern sei Dank.“, sagte Kairon, der im gleichen Moment das Gesicht verzerrte. „Sag mir bitte nicht, du musst …“, sagte Shimar. „Doch.“, sagte Kairon gequält. „Weißt du, ich bewege mich so selten nach Art der Sterblichen, dass mein Körper das gar nicht gut verträgt. Häng das aber bitte nicht an die große Glocke.“ „Oh Mann!“, stöhnte Shimar, während er die eilig von IDUSA replizierte Tüte aus dem Auswurffach holte und sie Kairon vorhielt, der sofort seinen gesamten Mageninhalt in sie entließ. Shimar warf die Tüte in die Materierückgewinnung.

Kairon hatte einige Male tief Luft geholt. „jetzt geht es mir besser, Shimar.“, sagte er. „Aber was tun wir jetzt?“ „Wir sollten ins Cockpit gehen.“, sagte Shimar. IDUSA wird uns dort bestimmt zeigen, was sie genau gesehen hat. Hier ist das Ganze doch etwas umständlich.“ „Na gut.“, sagte Kairon. Beide standen auf und machten sich auf den Weg.

Im Cockpit angekommen zeigte Shimar seinem mächtigen Freund sofort, wo er den Neurokoppler anschließen musste. IDUSA, die dies natürlich sofort registriert hatte, erstellte eine Reaktionstabelle von ihm und lud sie. Jetzt sah auch Kairon das Bild der jungen tindaranischen Fliegerin vor sich, als die sich ihr Avatar immer darstellte. „Hallo, Kairon.“, begrüßte sie ihn. „Ich bin der Avatar dieses Schiffes. Sie dürfen mich mit IDUSA ansprechen.“ „Hi, IDUSA.“, sagte der Mächtige. „Ich bin Kairon. Aber das weißt du ja sicher schon. Es tut mir leid, dass ich dich so verwirrt habe, obwohl ich damit eigentlich das genaue Gegenteil erreichen wollte.“ „Schon gut.“, sagte IDUSA. „Sie können ja nicht wissen, wie wir tindaranischen Schiffe ticken. Sie hatten ja noch nie so nah mit einem zu tun, soweit mir bekannt ist.“ „Das stimmt.“, sagte Kairon. „Aber was ist jetzt mit meiner Schwester? Shimar erwähnte, dass du sie gefunden hättest?“ „Das habe ich definitiv.“, sagte das Schiff. „Schauen Sie bitte!“

Vor Shimars und Kairons geistigem Auge erschien ein Komet. „Da ist sie drin?“, fragte Kairon irritiert. „Na ja. Es war die Art der alten Q, uns so für ein Verbrechen zu bestrafen, aber dass sie so etwas tut, das so offensichtlich ist, hätte ich nie gedacht. Sie muss doch wissen, dass wir ihr draufkommen werden.“ „Die Sache hat ja auch einen Haken.“, sagte IDUSA. „Ich kann keinerlei DNS von Tolea in dem Kometen finden.“ „Und woran machst du dann fest, dass sie da drin ist?“, fragte Kairon. „Ich sagte bereits.“, verbesserte IDUSA. „Sie ist nicht da drin.“ „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“, sagte Kairon.

Er begann damit, sich angestrengt auf die telepathische Wahrnehmung seiner Schwester zu konzentrieren. IDUSA, die das, weil er ja auch einen Neurokoppler trug und sie seine Tabelle geladen hatte, durchaus mitbekommen hatte, riet ihm nur: „An Ihrer Stelle würde ich das lassen und meine Energien schonen, Kairon. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass sich Ihre Schwester gegen Sie abschirmt. Da Sie beide gleichstark sind, wird es immer zu einer Patsituation zwischen Ihnen beiden kommen. Das betrifft aber nicht meine Sensoren. Mit ihnen kann ich Tolea finden. Bitte vertrauen Sie mir einfach. Ich weiß, dass das sicher leichter gesagt ist als getan. Sie, als ein Mächtiger, sind dies nicht gewohnt und es ist psychologisch gesehen sicher nicht einfach für Sie, sich dazu zu überwinden. Das verstehe ich gut. Sich einem Stück primitiver Technologie wie mir anzuvertrauen, das muss für Sie etwa so sein, als würde ich plötzlich mit Daten konfrontiert, die vom allerersten Computer überhaupt stammen, der je auf irgendeinem Planeten erfunden wurde und als müsste ich auf dessen sensorische Werte bauen.“

Kairon gab einen Laut von sich, der darauf hinwies, dass er aufgegeben hatte. Demonstrativ legte er die Hände in den Schoß. „Du hast ja Recht, IDUSA.“, sagte er. „Aber mach dich bitte nicht kleiner als du bist. Ich verstehe zwar immer noch nicht, wie du sie gefunden hast, aber das wirst du mir ja bestimmt erklären und sag mir bitte auch, was sie mit dem Kometen zu schaffen hat. Wenn sie dort nicht drin ist, was …“ „Na, das ist doch wohl offensichtlich.“, mischte sich Shimar ein. „Wenn Tolea nicht in dem Kometen ist, dann kann sie ja nur der Komet selbst sein, oder?“ „Warum sollte sich meine Schwester in einen Kometen verwandeln?“, fragte Kairon. „Dann ist sie doch total verwundbar. Das ergibt für mich alles keinen Sinn.“ „Für mich schon.“, sagte IDUSA. „Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, dass Ihre Schwester ihr Leben beenden will. Dass auch Ihnen das nicht so einfach möglich ist, das wurde historisch bewiesen. Sie könnte aber eine Möglichkeit gefunden haben, dies auszuhebeln, indem sie sich in etwas verwandelt, das sterben kann. Auf ähnliche Weise hat schließlich auch ihr historisches Vorbild sein Vorhaben durchgeführt. Ein Komet ist zerstörbar. Sei es nun durch natürliche Kräfte oder durch Waffen.“

Ihr letztes Wort hallte lange in Shimars Kopf nach. „Waffen?!“, fragte er alarmiert. „Jetzt sag mir bitte nicht, dass sie vorhat …“ „Ich kann Ihrer Bitte leider nicht entsprechen, Shimar.“, sagte das Schiff. „Zumindest dann nicht, wenn es weiterhin unser Bestreben sein soll, Tolea zu finden und sie von ihren Plänen abzuhalten. Wenn ich ihren Kurs korrekt extrapoliert habe, dann ist sie auf dem Weg in ein bewohntes System. Hier gibt es nur schwach bewaffnete Siedler der Föderation, aber in der Nähe patrouilliert das Forschungsschiff USS Electronica. Sie ist ein Sternenflottenschiff unter dem Kommando von Commander Peter Time. Die Electronica wird zweifelsfrei auf den Notruf der Siedler reagieren und auch den Befehl erhalten, sie zu schützen. Das könnte bedeuten, dass sie den Kometen zerstören soll, damit er die drei bewohnten Planeten nicht gefährdet. Toleas gegenwärtiger Kurs führt sie genau zu einem dieser Planeten. Aber keine Sorge. Wir sind genau hinter ihr.“ „Kannst du sie mit dem Traktorstrahl erfassen, IDUSA?“, fragte Shimar. „Ich kann es versuchen.“, sagte das Schiff. „Allerdings weiß ich nicht …“

Der junge Tindaraner sah Kairon plötzlich alarmiert an. Dann gab er dem Schiff energisch einen Gedankenbefehl, der sie zwang, auf Impuls abzubremsen. Das war die einzige Möglichkeit, ihren Kurs zu ändern. „Was ist los?“, fragte Kairon. „Erkläre ich dir später!“, presste Shimar zwischen den vor Konzentration zusammengebissenen Zähnen hervor. Dann befahl er sowohl laut, als auch in Gedanken: „IDUSA, volle Wende nach links! Rum! Rum! Komm schon!“

Ein Ball aus Energie war aus dem Kometen gekommen und hatte IDUSAs Bug tuschiert und einen Teil ihrer Systeme beschädigt. Durch sein Manöver war es Shimar zwar gelungen, das Schlimmste zu verhindern, aber ganz hatte er sie nicht aus der Welle drehen können. „Bist du OK?“, fragte er. „Nicht ganz.“, sagte IDUSA. „Der Emitter für den Traktorstrahl ist ausgefallen und meine Kommunikationssysteme sind beschädigt. Ich kann keine interdimensionale Verbindung aufbauen. Wir wären also auf uns gestellt, wenn jetzt etwas geschehe.“ „Dafür bin ich flexibel genug.“, sagte Shimar. „Das kriegen wir schon hin.“ „Also gut.“, sagte IDUSA. „Um es mit Ihren Worten zu sagen: Ich vertraue Ihnen.“ „Na also.“, sagte Shimar. „Leider ist eine meiner größten Fragen immer noch nicht beantwortet.“, sagte Kairon. „Wie hast du meine Schwester erkannt, IDUSA und woher wusstest du, Shimar, was da auf uns zukommt?“ „Tolea kann eines nicht verwandeln.“, sagte IDUSA. Ihr Neuralmuster. Daran habe ich mich orientiert.“ „Ah.“, machte Kairon. „Ich muss zugeben, Technologie wie du ist nicht dumm und gar nicht so primitiv.“ „Vielen Dank, Kairon.“, sagte IDUSA. „Ich werde dann mal schauen, was ich für deine Systeme tun kann.“, sagte Kairon.

Er begann damit, sich auf das Bild von IDUSAs Systemen im heilen Zustand zu konzentrieren. Im gleichen Moment aber hörte er die Stimme Toleas in seinem Geist: Das kannst du getrost vergessen, Bruderherz! Ich war die, der ihr das kleine Malheur zu verdanken habt und solange ich es will, hast du keine Chance. Frag doch mal das Schiff! Sie hat dir jetzt schon 100 Mal mindestens erklärt, dass wir gleichstark sind. Dieses Duell könnte also für die Ewigkeit dauern! Auf Shimar kannst du nicht zählen. Er muss schließlich das Schiff fliegen, weil ich mit meinem Verhalten dafür sorgen werde, dass sie meine Manöver nicht berechnen kann, also auf die Hilfe ihres Piloten angewiesen ist. Den werde ich schon zu beschäftigen wissen!

Kairon hatte von IDUSAs Systemen abgelassen. „Verdammt.“, zischte er. „Das alles war sie. Offensichtlich wollte sie uns ganz unmissverständlich klarmachen, dass wir sie in Ruhe lassen sollen, damit sie in aller Ruhe von denen da zerstört werden kann.“ Er deutete Richtung Fenster.

Auch Shimar nahm jetzt über den Neurokoppler war, wen Kairon mit denen da gemeint hatte. Von einem der drei bewohnten Planeten waren jetzt Kriegsschiffe aufgestiegen, die sich auf den Kometen zubewegten. „IDUSA, wo ist die Electronica?“, fragte Shimar. „Sie ist auf Kurs zu uns.“, sagte das tindaranische Aufklärungsschiff. „Ihre Schilde sind oben und ihre Waffen aktiv. Offensichtlich wird genau das eintreten, was ich prognostiziert habe.“ „Na dann gute Nacht.“, sagte Kairon. „Wir dürfen jetzt erst recht nicht aufgeben.“, versuchte Shimar, ihm Mut zuzusprechen. Wir müssen nachdenken. Bitte, Kairon. Bitte denk mit mir nach! Tu es für deine Schwester!“ „Also gut.“, sagte Kairon. Beide legten die Stirn in die Hände und begannen zu überlegen.

An Bord der Electronica war man auch gerade schwer beschäftigt. Tatsächlich hatte Allrounder Sensora, die Androidin, die für das Fliegen und den SITCH zuständig war, Mr. Yetron, dem demetanischen ersten Offizier, der zu diesem Zeitpunkt das Kommando inne hatte, den Notruf der Siedler gemeldet. „Verbinden Sie mich mit dem Oberkommando!“, hatte Yetron angeordnet. „Falls dort niemand antwortet, geben Sie mir Nugura selbst, Sensora. Sie ist ja auch die Oberkommandierende der Sternenflotte als Präsidentin der Föderation im absoluten Notfall und wenn ich mir die Flugbahn dieses Kometen so ansehe, dann ist dies wohl einer.“ „Aye, Sir!“, hatte Sensora schmissig geantwortet und sich sofort daran gemacht, die Befehle ihres Vorgesetzten auszuführen.

Tatsächlich musste sie wenig später vermelden: „Beim Oberkommando selbst hat niemand geantwortet, Agent. Aber ich konnte Nugura in ihrem Büro erreichen.“ „Sehr gut, Allrounder!“, sagte der Agent. „Geben Sie her!“ Sensora nickte und stellte Yetron das Gespräch auf die Konsole.

Der Demetaner sah jetzt in das Gesicht seiner Oberbefehlshaberin. „Madam President!“, sagte er und salutierte. „Wir beobachten seit einigen Minuten einen seltsamen Kometen, der sich den Kinas-Kolonien gefährlich nähert. Seiner Flugbahn nach könnte er mindestens einen der Planeten gefährden. Sie wissen, dass die Siedler nur über veraltete Shuttles mit unzureichender Bewaffnung verfügen. Wir erbitten Erlaubnis, uns des Problems anzunehmen.“ „Erteilt, Agent!“, erwiderte Nugura, der Sensora selbstredend eine Version der bisher vorhandenen Daten überspielt hatte. „Aber Sie sagten, der Komet sei seltsam. Was habe ich darunter zu verstehen?“ „In ihm scheint sich ein Neuralmuster zu befinden.“, sagte der Demetaner. „Außerdem ist seine Flugbahn zu präzise, um nur allein durch die allgemein herrschenden Kräfte im All gelenkt zu werden.“ „Dranbleiben, Electronica!“, befahl Nugura, die seine Ausführungen auch neugierig gemacht hatten. „Finden Sie so viel wie möglich darüber heraus! Ich möchte auf keinen Fall das Falsche tun. Zerstören Sie den Kometen nur, wenn es unbedingt sein muss. Wenn nicht, lautet Ihr Auftrag, ihn weiter zu erforschen. Können Sie das Neuralmuster identifizieren?“

Yetron sah fragend zu Sensora hinüber. „Der Computer sagt, es handle sich um das Muster Toleas, Sir.“, antwortete sie nüchtern. „Es handelt sich um das unserer Freundin Tolea, Madam President.“, gab Yetron weiter. „Das wird ja immer verwirrender, Mr. Yetron.“, sagte Nugura. „Tolea ist, wie Sie schon sagten, unsere Freundin. Warum also sollte sie sich in einen Kometen verwandeln und einige unserer Kolonien gefährden?! Ich wiederhole meinen Befehl, Mr. Yetron! Finden Sie alles heraus über diese Situation, das Sie können und geben Sie mir die Daten! Irgendetwas ist hier falsch und ich möchte auf keinen Fall der falschen Person in die Karten spielen!“ „Verstanden, Madam President!“, sagte Yetron und beendete das Gespräch. Dann wandte er sich Sensora zu: „Sie haben die Dame gehört, Allrounder!“ „Ja. Sir.“, sagte Sensora und passte den Kurs des Schiffes genau dem des Kometen an. „Transferieren Sie die Kontrolle für den Schiffserfasser auf meine Station.“, sagte Yetron noch. Auch dies tat seine Untergebene.

Shimar und Kairon hatten eine Menge Zeit verbracht, in der sie nachgedacht hatten, allerdings ohne auf konkrete Ergebnisse zu kommen. Die Nachricht, die sie jetzt auch noch von IDUSA bekamen, trug auch nicht gerade zur Aufhellung ihrer Stimmung bei. „Gentlemen, Die Kriegsschiffe der Siedler haben den Kometen jetzt eingekreist und versuchen ihn offenbar mit ihren schwachen Phasern zu zerstören. Allerdings machen sie es damit nur noch Schlimmer! Ihre Waffen sind nur in der Lage, kleinere Stücke vom Kometen abzubrechen. Diese könnten unkontrolliert …“ „Ich weiß, IDUSA.“, unterbrach Shimar sie und auch Kairon nickte. „Was tun wir jetzt nur?“, fragte er. „Keine Ahnung.“, sagte Shimar, den diese Entwicklung auch total unvorbereitet getroffen hatte.

Er wandte sich Kairon zu: „Du scheinst aber noch ein weiteres Problem zu haben.“, sagte er. „Das stimmt allerdings.“, antwortete der Mächtige. „Warum konnte IDUSA ihre Schilde nicht früh genug heben?“ Toleas Angriff kam zu schnell.“, sagte Shimar. „Ich konnte ihn nur spüren, weil sie wohl sehr wütend geworden ist. Wenn jemand wütend wird, bröckelt sein mentaler Schutzschild. Das solltest du auch wissen.“ „Das weiß ich auch.“, sagte Kairon. Aber mein Gehirn weigert sich wohl, zu verarbeiten, dass meine Schwester sich gegen mich wenden könnte. Ich meine, immerhin ist sie meine Schwester.“ „Da haben wir’s schon.“, sagte Shimar. „Du meinst also, es ist völlig normal, dass ich mich so anstelle?“, fragte Kairon. Shimar gab einen bestätigenden Laut von sich und nickte. Dann verfielen beide wieder ins Nachdenken.

Es war schließlich IDUSA, die ihnen einen Lösungsvorschlag präsentierte. „Shimar, auf dem Heimatplaneten Ihrer Freundin gibt es ein Sprichwort: Wissen ist Macht. Ich wäre bereit, den Kriegsschiffen der Siedler alle Daten zu geben, die wir bis jetzt haben.“ „Also gut, IDUSA.“, sagte der junge Tindaraner. „Versuchen wir es.“ IDUSAs Avatar vor Shimars geistigem Auge nickte und führte seinen Befehl aus. Allerdings bekam sie keine Antwort. „Es tut mir leid.“, meldete sie. „Offenbar ist man fest entschlossen, nicht mit uns zu reden. Man scheint sein Urteil schon gefällt zu haben. Technisch gibt es keinen Grund, aus dem mein Ruf nicht empfangen wird. Ihre Kommunikationssysteme scheinen intakt. Man ignoriert uns einfach.“

Kairon war etwas aufgefallen. Er war sich nicht sicher, aber er wusste genau, wer ihm diese Sicherheit geben konnte. „IDUSA, scanne die Soldaten der Siedler nach telepathischem Einfluss durch meine Schwester!“, sagte er. Dann drehte er sich in Shimars Richtung und erklärte: „Wenn dein Schiff Recht hat, dann wird Tolea alles tun, um umgebracht zu werden, jetzt, da sie sterben kann.“ „Gut kombiniert!“, sagte Shimar.

IDUSAs Ergebnis ließ nicht lange auf sich warten: „Sie hatten Recht, Kairon.“, sagte sie. „Ihre Schwester beeinflusst sie tatsächlich.“ Sie zeigte beiden die Daten. Jetzt sahen sie genau die Überschneidungen von Toleas Neuralmuster mit denen der Soldaten. „Oh nein, Schwesterchen!“, sagte Kairon. „Du wirst nicht das Gewissen Unschuldiger mit deinem Ende beladen!“

Er konzentrierte sich darauf, zwischen seiner Schwester und den Soldaten eine Mauer aufzubauen. Leider blieben seine Versuche ohne nennenswerten Erfolg. „Bitte hilf mir, Shimar!“, wendete er sich an seinen Freund. Bevor dieser allerdings etwas erwidern konnte, wurde seine Aufmerksamkeit von IDUSA beansprucht: „Shimar, ich brauche Sie ebenfalls! Toleas Flugmanöver sind unberechenbar. Sie folgen offenbar einem willkürlichen Muster, das sich nicht mathematisch erfassen lässt. In einer solchen Situation bin ich, wie Sie wissen, auf meinen biologischen Piloten angewiesen!“ „OK.“, sagte Shimar und übernahm die Steuerkontrolle. Kairon sah ihn fragend an. „Ich erkläre es dir gern.“, sagte Shimar. „So unschuldig sind die nicht, die in diesen Shuttles sitzen. Sie sind Soldaten! Töten gehört, wenn auch nur in letzter Konsequenz, aber es gehört zu ihrem Berufsalltag. Es gibt Mittel und Wege für uns, mit so etwas klarzukommen!“ „Für uns?!“. fragte Kairon irritiert. „Ich muss das wissen!“, sagte Shimar fest. Ich bin ja selbst einer!“ „Ach so.“, sagte Kairon. „Dann vergib bitte einem einfachen Zivilisten, der sich nur um seine Schwester sorgt.“ „Schon gut.“, sagte Shimar.

IDUSA mischte sich in das Gespräch: „Ich denke, Kairon, mein Pilot und ich währen Ihnen höchst dankbar, wenn Sie uns nicht ständig dazwischenfahren und sich stattdessen endlich unserer strategisch überlegenen Führung anvertrauen würden.“ „IDUSA!“, wies Shimar sie scharf zurecht. Ihm passte ihre Einlassung gar nicht, denn er hatte ja erst gerade mühevoll die Wogen zwischen Kairon und sich geglättet. Was IDUSA gerade gesagt hatte, konnte unter Umständen alles wieder aufflammen lassen und das war etwas, das er jetzt gar nicht gebrauchen konnte. „Sie hat aber Recht.“, entgegnete Kairon. „Und auch ihre Formulierung war goldrichtig. Ich will unsere Bemühungen ja gar nicht sabotieren, aber ich bin es einfach nicht gewohnt …“

Ein gut gesetzter Photonentorpedo hatte für das Absprengen eines größeren Stückes vom Kometen gesorgt. „Unternimm doch endlich was!“, schrie Kairon und brach in Tränen aus. Dann schlug er sich verzweifelt die Hände vor das Gesicht. „Sie ist doch meine Schwester! Sie ist doch meine, meine, oh!!!!“

Shimars geistiges Auge warf IDUSAs Avatar einen ratlosen Blick zu. Die Situation war auch vorher für ihn nicht einfach gewesen, aber jetzt hatte er auch noch einen mächtigen Zivilisten am Hals, der jetzt auch noch psychisch zusammengebrochen war. „Ich werde verhindern, dass er mehr davon sieht.“, sagte IDUSA und löschte Kairons Tabelle. Gleichzeitig hob sie die Schilde und passte ihre Frequenzen so an, dass sie vor den Fensterscheiben einen Nebel bildeten. Ihre Aktion war wohl auch der Versuch, ihren Fehler von gerade wieder gut zu machen. „Danke, IDUSA.“, sagte Shimar erleichtert. „Warum hat sie das getan?“, fragte Kairon. „Sie will nur verhindern, dass du diese schrecklichen Bilder noch weiter sehen musst.“, antwortete Shimar. „Sie will dein Trauma so gering wie möglich halten. Oh Mann! Ich kann nicht gleichzeitig dich therapieren und das Schiff steuern!“ „Vielleicht kann ich auch hier helfen.“, sagte IDUSA, die jetzt nur noch über Shimar mitbekam, was er und Kairon besprachen. „Bitte sagen Sie Kairon, er soll in die Achterkabine gehen. Dort kann ich mich um ihn kümmern und gleichzeitig Ihre Steuerbefehle entgegennehmen. Sie wissen, dass ich multitaskingfähig bin.“ „In Ordnung, IDUSA.“, atmete Shimar erleichtert auf. „Was hat sie mit dir besprochen?“, wollte der immer noch sehr traurige Kairon wissen. „Bitte geh in die Achterkabine.“, sagte der Tindaraner. „Sie hat gerade angeboten, sich dort um dich zu kümmern.“ „Wie soll das denn gehen?“, fragte Kairon. „Lass dich überraschen!“, lächelte Shimar. „Sie hat Talente, bei denen mancher schon Bauklötze gestaunt hat.“ „Also gut.“, sagte Kairon, stand von seinem Sitz auf und ging.

An Bord der Electronica hatte sich Agent Yetron genauer mit der Zusammensetzung des Kometen beschäftigt, was auch der Grund gewesen war, aus dem er Sensora befohlen hatte, die Kontrolle über den Erfasser des Schiffes, mit dem ja wissenschaftliche Daten gesammelt werden konnten wie mit einem mobilen Gerät auch, auf seine Station zu legen. „Die Hülle enthält viele Silikate.“, stellte er fest. „Sie dürfte also relativ flexibel sein.“

Shorna, die Waffenoffizierin der Electronica, eine übergelaufene Genesianerin, sah zu ihm hinüber. „Bitte sehen Sie sich an, was diese Narren da tun, Sir.“, sagte sie. „Sie versuchen den Kometen in kleine Stücke zu zerbrechen und machen alles dadurch nur noch schlimmer.“ Sie deutete auf den Monitor des Waffenpultes.

Yetron sah kurz zu ihr herüber. „Ganz recht, Warrior.“, stellte er fest. Dann wandte er sich Sensora zu: „Verbinden Sie mich mit dem Führungsschiff, Allrounder, soweit dies möglich ist und diese Hornochsen gesprächsbereit sind.“ „Soll ich das wirklich so weitergeben, Agent?“, fragte die Androidin. „Wenn Sie müssen.“, sagte Yetron. „Sie haben freie Hand, alles zu tun, das in Ihrer Macht als Kommunikationsoffizierin steht. Eine kleine Beleidigung könnte ja dazu führen, dass sie Ihren Vorgesetzten sprechen wollen und das bin dann ja wohl ich und schon habe ich sie am Haken, Sie verstehen mich schon.“ „Allerdings.“, sagte Sensora und formulierte eine SITCH-Mail mit der Anrede: „An den Hornochsen, der das Führungsschiff der Streitmacht der Siedler kommandiert.“ Diese sendete sie direkt an das Rufzeichen des Führungsschiffes, das ihr vom Computer mittels Transpondersignal übertragen worden war.

Yetron selbst hatte sich inzwischen der Erforschung des Kerns des Kometen gewidmet. „Eis.“, hatte er festgestellt. „Der Kern besteht offensichtlich aus purem Eis.“ „Ich glaube, dann weiß ich, was wir tun müssen.“, sagte Shorna. „Ich höre, Warrior.“, sagte Yetron. „Sie sagten, der Mantel sei mit viel flexibler Materie Gefüllt und der Kern sei aus Eis. Wenn wir den Kern so schnell zum Schmelzen brächten, dass sich im Innenraum ein Hohlraum bildet, dann müsste die Hülle implodieren. Der Phaser kann, weil wir ein Forschungsschiff sind, auch auf Bohrmodus gestellt werden. Mit ihm könnte man das erreichen.“ „Sehr gut, Shorna.“, lobte Yetron. „Eine solche Theorie hätte ich Ihnen nicht zugetraut. Aber gut. Machen wir es im absoluten Notfall so! Bringen Sie uns auf Bohrreichweite an den Kometen heran, Sensora!“ Die Pilotin nickte und führte Yetrons Befehl aus.

Im nächsten Moment aber lächelte sie ihn an und sagte: „Ich habe jemanden für Sie, Agent.“ „Also gut.“, sagte Yetron. „Dann stellen Sie mal durch!“ Sensora nickte und tat, was ihr der erste Offizier gerade geheißen hatte.

Überraschenderweise blickte Yetron aber plötzlich in das Gesicht einer blonden Terranerin von ca. 30 Jahren. Sie trug lockere Zivilkleidung, eine weiße Bluse und einen blauen Rock sowie rote Schuhe, etwas, das er auch nicht erwartet hatte. Sie maß ca. 1,70 m und war recht schlank. Sie schien zwar keine ausgebildete Soldatin zu sein, dennoch beherrschte sie die Bedienung ihres Schiffes sehr gut. „Ich bin Caroline Hansson.“, stellte sie sich vor. „Ich bin die Führerin der zivilen Streitmacht, die den Kometen zerstören will, der uns bedroht. Electronica, ich freue mich, dass Sie endlich da sind. Offenbar sind unsere altersschwachen Waffen zu so etwas nicht in der Lage. Ach übrigens, wenn Ihre SITCHerin mich schon beleidigt, dann korrekt als Hornkuh bitte schön! Wir wollen doch schließlich die geschlechtlich korrekten Umgangsformen wahren, oder?!“ Sie grinste. „Oh, es tut mir leid.“, gab Yetron zurück und hatte sichtlich Mühe, ernst zu bleiben. „Wir konnten Sie nicht scannen, weil unsere Bemühungen auf den Kometen gerichtet waren. Aber ich werde dem Allrounder sofort befehlen, dies wieder gut zu machen. Sensora, ändern Sie die Anrede in Hornkuh und senden Sie die Mail noch einmal.“ Dieses Mal grinste er zurück. „Ich sehe, wir verstehen uns, Agent.“, sagte Caroline. „Durchaus, meine Verehrte.“, sagte Yetron. „Durchaus. Und ich denke, Sie werden dann wohl auch für das offen sein, was wir über den Kometen wissen. Ich lasse Ihnen unsere Daten zukommen. Denen nach dürfen Sie den Angriff nicht länger fortführen.“ Er winkte Sensora, die sofort alles in die Wege leitete.

Kapitel 32: Therapieversuche

von Visitor

 

Kairon hatte inzwischen die Achterkabine von Shimars Schiff betreten. Hier hatte er sich zunächst etwas erschrocken, denn das, was er hier zu sehen bekommen hatte, war für ihn etwas eigentümlich. Auf dem Boden war ein Rasen und auch Kübel mit Blumen standen in den Ecken. Diese dufteten sogar. Auch die Luft erinnerte an die in einem Park. Sie war sogar leicht in Bewegung. Hätte es nicht die Sitze gegeben, dann hätte Kairon wetten können, dass er sich in einem Park in seiner Dimension oder auf irgendeinem Planeten befinden würde.

Der Mächtige fasste nach dem Neurokoppler, den er immer noch auf dem Kopf hatte. Das Kabel hing aber herunter, ohne dass es mit einem Port verbunden war. Es konnte also keine Simulation sein, was er dort sah. Mit Hilfe ihrer Umweltkontrollen, des Transporters und des Replikators musste IDUSA diese Umgebung tatsächlich geschaffen haben. Kairon dachte sich allerdings, dass das Gezwitscher von Vögeln, das er ebenfalls wahrnehmen konnte, wohl aus ihrem Bordlautsprecher kommen musste, der sich irgendwo hinter den Pflanzen versteckte. Sicher hatte sie dies mit Absicht so gemacht, damit er ihn nicht sah und es ihm leichter fiel, sich in ihrer Gegenwart zu entspannen.

Kairon sah sich weiter um. Er wusste, um mit ihr kommunizieren zu können, wäre eine Verbindung über den Neurokoppler von Vorteil. Nur konnte er die Ports, die dazu notwendig waren, leider nicht sehen. Er wusste jedoch, dass sie auch ein Mikrofon besaß.

Er setzte sich auf einen der Sitze, holte tief Luft, räusperte sich und sagte dann laut in den Raum: „Ich weiß nicht, ob du mich hören kannst, IDUSA. Aber wenn wir miteinander reden sollen, dann brauche ich einen Port für den Neurokoppler. Könntest du mir bitte einen ausleuchten? Du hast deine Technik nämlich so geschickt versteckt, dass …“

Weiter kam er nicht, denn im gleichen Moment zeigte sich ihm jene junge Tindaranerin, die er schon die ganze Zeit über im Cockpit gesehen hatte. Er war irritiert, sie vor seinem geistigen Auge zu sehen, obwohl er den Neurokoppler gar nicht eingesteckt hatte. „Hi.“, hörte er ihre ihm inzwischen sehr gut bekannte Stimme sagen. „Da bin ich schon.“ „Warum kann ich dich jetzt sehen und hören?“, fragte Kairon. „Weil es hier einen integrierten Simulator gibt.“, sagte IDUSA. „Techniker McKnight war so freundlich, ihn einzubauen.“ „Ich verstehe.“, sagte Kairon. „Also wieder eine dieser Sonderanfertigungen. Ich bin sicher, das hat sonst kein Schiff des tindaranischen Militärs.“ „Das stimmt in diesem Fall sogar.“, sagte IDUSA. „Aber viele von Techniker McKnights Erfindungen sind mittlerweile Standard bei uns geworden.“ „Interessant.“, erwiderte der Mächtige. „Aber mich würde mal was ganz anderes interessieren, IDUSA. Du kommunizierst jetzt gerade mit mir, aber Shimar und du, ihr müsst das ja auch tun. Wie geht das? Kannst du so etwas wie an zwei Orten gleichzeitig sein?“ „In gewisser Hinsicht.“, erklärte der Rechner. „Ich habe einfach einen zweiten Task geöffnet, in dem die Kommunikation zwischen uns beiden jetzt abläuft. Shimars und meine Kommunikation oder gar meine Reaktionsfähigkeit auf seine Befehle sind nicht beeinträchtigt.“ „Ach so.“, sagte Kairon.

Sie ließ es für ihn aussehen, als würde sie sich neben ihn setzen. Dann fühlte es sich an, als würde sie ihm ihre Hand auf die rechte Schulter legen. „Ich darf doch, oder?“, fragte sie. „Sicher.“, sagte Kairon. „Dein Befehl lautet ja, mich zu therapieren, wenn ich deinen Piloten richtig verstanden habe.“ Er gab einen schweren Seufzer von sich. „Mir ist durchaus verständlich, dass die Situation für Sie nicht einfach ist, Kairon.“, sagte IDUSA und ihr Avatar vor seinem geistigen Auge lächelte ihn an. „Mir ist klar, dass Sie sich sehr ohnmächtig fühlen müssen. Das ist für einen Mächtigen sicher kein gutes Gefühl.“ „Du hast Recht.“, gab Kairon schließlich zu und begann sogar zu weinen. IDUSA ließ ein Blinklicht über dem Auswurffach des Replikators aufleuchten, aus dem Kairon gleich darauf eine Packung Taschentücher zog, die er eilig aufriss, um einige davon sofort zu benutzen. „Was mache ich hier eigentlich?!“, fragte er schließlich mit etwas Wut in der Stimme, die aber auf keinen Fall ihr galt. Kairon war nur sauer auf sich selbst. „Ich sitze hier und heule einem Computer etwas vor!“ „Einem Computer.“, ergänzte IDUSA. „Der aber in der tindaranischen Rechtsprechung den gleichen Status wie ein Organischer genießt. Es wäre also das Gleiche, als sprächen Sie mit Shimar, zumindest rein juristisch. Aber ich weiß schon, was das Problem ist. Sie, als Mächtiger, können nicht damit umgehen, auch einmal machtlos zu sein und ihr Wohlergehen und das ihrer Schwester womöglich in die Hände von Sterblichen geben zu müssen. Ich kann das sehr wohl nachvollziehen. Mein Vergleich mit dem ersten Computer überhaupt kam nicht von ungefähr.“

Wieder verzog Kairon traurig das Gesicht. Jeder ihrer Sätze traf wie ein Pfeil in den mittleren Ring auf einer Zielscheibe. „Du.“, sagte Kairon schließlich. „Du gehst ja noch neutral damit um. Aber ich könnte mir vorstellen, dass so mancher Organische, wie du es nennst, mich gern fallen sehen hat und jetzt sicher über mich spotten würde angesichts der dummen Fragen, die ich schon gestellt habe. Dass dein Pilot fast an mir verzweifelt und sicher langsam stinksauer auf mich ist, weil er das Gefühl haben muss, ich würde die Operation eher behindern, als eine Hilfe zu sein, kann ich verstehen.“ „Shimar ist nicht sauer auf Sie.“, sagte IDUSA. „Er hat meinen Vorschlag nur angenommen, damit es für uns alle drei leichter wird.“ „Dann bin ich ja froh.“, sagte Kairon. „Weißt du, IDUSA, ich will mich ja gar nicht so verhalten, aber ich bin nun einmal ein blutiger Anfänger, was die direkte Zusammenarbeit mit Sterblichen auf ihre Art angeht. Sicher habe ich mir ein anderes Ziel gesetzt, aber …“ „Grau ist alle Theorie, doch für die Praxis taugt sie nie!“, stöhnte IDUSA. „Dazu kommt noch, dass Sie emotional involviert sind, weil es um Ihre Schwester geht. Aber vielleicht habe ich ja gerade das Passende für Sie.“

Wieder blinkte das Lämpchen am Auswurffach. Kairon drehte sich hin und holte ein Tablett heraus, auf dem ein Teller mit einem pilzähnlichen Gewächs stand. „Dieser Pilz enthält einen Wirkstoff.“, klärte IDUSA ihn auf. „Der bei sterblichen Telepathen in der Lage ist, die Kommunikation zwischen den zur Telepathie notwendigen Nervenzellen zu erleichtern. Theorien tindaranischer Ärzte nach könnte das auch bei Mächtigen funktionieren. Ich weiß, Sie benötigen sicher keine Almosen, aber schaden kann es bestimmt auch nicht. Wir können ja jetzt noch nicht sagen, wie sich die Situation entwickeln wird.“ „Also gut.“, sagte Kairon, nahm sich den Pilz und sah ihn sich an. „Muss ich damit noch irgendwas machen?“ „Nein.“, sagte IDUSA. „Einen Tipp hätte ich für Sie aber noch frei Haus. Shimar sagt, es empfehle sich, das Fruchtfleisch mitzuessen, statt den Pilz einfach nur auszusaugen, oder sich einen Sud zu bereiten, wie es die Meisten tun. Er hat mit so etwas Erfahrung Dank meines Freundes Kamurus. Eine lange Geschichte.“ „Na, wenn Shimar und dieser Kamurus das sagen …“, sagte Kairon und biss in den Pilz.

Als er damit fertig war, grinste er sie zufrieden an. „Also, dein Pilot und dieser Kamurus haben Recht. Das war wirklich gut. Du kannst … Warte mal!“

Er hatte etwas gespürt, das ihn gleichzeitig alarmiert, aber auch erfreut hatte. „Da draußen hat sich gerade etwas geändert.“, sagte er. „Ich glaube, irgendwas hat die Anführerin unserer Gegner so verwirrt, dass Toleas Verbindung zu ihr zusammengebrochen ist. Vielleicht können wir das ausnutzen!“ „Betrachten Sie diese Information als bereits bei Shimar.“, sagte IDUSA. „Sekunde.“, sagte Kairon. „Kannst du etwa Informationen von einem Task zum anderen verschieben?“ „Ich bitte Sie!“, antwortete IDUSA leicht genervt. „Kopieren und einfügen kann heute jeder primitive Hausrechner.“ „Ich fragte ja auch nur.“, sagte Kairon und stellte sich vor, ihr einen beschwichtigenden Blick zuzuwerfen. Dann sagte er nur noch: „Zeig mir die Tür. Ich muss wieder ins Cockpit!“ „OK.“, sagte das Schiff. „Wenn Sie sich wieder gut genug dafür fühlen?“ Kairon nickte energisch und sie leuchtete ihm zum Ausgang.

Caroline hatte sich tatsächlich mit der Besatzung der Electronica ausgetauscht. Diese Daten hatte sie auch an ihre Leute weitergegeben. Da sie auch den Schriftwechsel zwischen Sensora und ihr enthielten, war die Wirkung auf die anderen genauso wie bei ihr gewesen. Auch sie waren ob der Tatsache, dass eine Sternenflottenoffizierin zu solchen Worten griff, sehr verwirrt. Diese Verwirrung hatte auch bei ihnen ausgereicht, um für ein mittleres temporäres Chaos in ihren Köpfen zu sorgen. Das sorgte wiederum dafür, dass Toleas Verbindung zu ihnen abbrach. Dies teilte Hansson Yetron auch mit, als Sensora sie auf ihre Anfrage hin mit dem ersten Offizier verband. „Die ganze Situation beginnt langsam für mich Sinn zu machen, Agent.“, sagte sie. „Jetzt verstehe ich auch, warum ich mich gerade fühle, als sei ich aus einem Traum aufgewacht. Ich erinnere mich nur noch, dass ich nichts mehr wollte, als diesen Kometen zu zerstören. Aber es wurde uns doch allen immer beigebracht, dass Tolea und ihr Bruder unsere Freunde seien. Warum also wollte Tolea, dass wir eine solche Schuld auf uns laden, indem wir sie ermorden?“ „Darüber haben wir bedauerlicherweise noch keine Daten, Ms. Hansson.“, sagte Yetron. „Aber die Electronica ist ein Forschungsschiff und wir haben eine Menge Sensoren an Bord, mit denen sich diese Fragen sicher beantworten lassen. Jedenfalls können Sie sicher sein, dass wir uns nicht so einfach mit den sichtbaren Tatsachen abspeisen lassen werden. Dafür haben wir schon zu viel gesehen. Bleiben Sie in Bereitschaft, Caroline, aber bitte tun Sie sonst nichts. Sie können die Operation jetzt getrost uns überlassen. Ich habe die Präsidentin über die Umstände informiert. Von ihr haben wir Befehl, die Situation genau zu erforschen, bevor es zu unüberlegten Handlungen kommen könnte, die wir später alle bereuen könnten.“ „Von was für einer Art Situation reden wir hier, Agent?“, fragte Hansson. „Denken Sie, jemand hat Tolea gezwungen, sich umzubringen und will uns als Werkzeug benutzen? Aber dagegen könnte sie doch vorgehen, oder?“ „Es gibt Dinge.“, sagte der Demetaner wohlwissend, dass er jetzt etwas sagen würde, dass sie durchaus in den falschen Hals bekommen könnte. Aber es ging nicht anders. „Die Zivilisten nicht über das Geflecht zwischen den Mächtigen wissen dürfen, damit eine Panik vermieden wird. Deshalb dürfen wir von der Sternenflotte diese Dinge auch nicht weiter mit Ihnen diskutieren, Caroline. Es tut mir leid. Sie sollen nur wissen, dass Sie ruhig abrücken und die Situation uns überlassen können.“ „Also gut, Agent.“, sagte Hansson. „Ich vertraue Ihnen. Mit unseren veralteten Waffen hätten wir ja sowieso alles nur verschlimmert. Der Komet wäre nur in mehrere Teile zerbrochen, wenn wir so weitergemacht hätten und das hätte eine viel größere Gefahr für uns alle bedeutet. Wir werden jetzt abrücken.“ Damit gab sie ihren Leuten den Befehl zum Rückzug und die Shuttles flogen in Formation davon, eine Tatsache, die auch Sensora dem sehr erleichterten Yetron meldete. „Also gut, Sensora.“, sagte der Demetaner. „Geben Sie Cenda Bescheid. Sie soll ein Trümmerteil an Bord beamen und es Scientist Ketna auf der Krankenstation überantworten. Die soll es dann im Labor einer geringen Dosis Rosannium aussetzen. Wenn aus dem Trümmerteil eine Gewebeprobe Toleas wird, dann haben wir zumindest auch einen physischen Beweis.“ „Verstanden, Sir.“, sagte die Androidin und leitete alles in die Wege.

Dass Yetron und seine Leute leider zu früh aufgeatmet hatten, sollte sich zur gleichen Zeit herausstellen, denn auch Tolea hatte vor ihrem geistigen Auge gesehen, dass die Siedler abgezogen waren. Na gut. Dann werden eben Sie zu meinem Mörder, Agent Yetron. Sie und Ihre Leute müssen doch in erster Linie die eigenen Leute schützen. Ich bin gespannt, wie Sie reagieren, wenn ich die Siedler offensichtlicher bedrohe! Das eben Gedachte hatte Tolea nur bei sich selbst gedacht, ohne jedoch eine Verbindung zu Yetron aufzubauen. Hätte sie das getan, wäre das ja ihrem Plan auch ziemlich abträglich gewesen.

Sie änderte ihren Kurs so, dass sie der Umlaufbahn eines der Monde um einen der besiedelten Planeten sehr nah kam. Das war etwas, das weder Sensora, die das Verhalten des Kometen genau beobachtet hatte, noch Shorna am Waffenpult entgangen war. „Mr. Yetron, Tolea hat ihren Kurs geändert.“, meldete Sensora. „Sie fliegt gefährlich nah an einem der Monde von Kinas Eins vorbei. Sie hat in ihrer Gestalt als Komet so viel Masse, dass sie diesen durchaus aus seiner Umlaufbahn verdrängen könnte. Ich hoffe, ich muss Ihnen nicht erklären, was das für die Ozeane auf dem zu 90 % mit Wasser bedeckten Planeten und somit auch für die Siedler bedeuten würde!“ „Auf den Schirm, Allrounder!“, befahl Yetron ruhig, der sich selbst ein Bild von der Situation machen wollte. Sensora nickte und führte seinen Befehl aus.

Der Demetaner sah jetzt, dass die Situation tatsächlich sehr kitzelig war. Trotzdem lag es ihm fern, in einer zu schnellen Reaktion extrem auf die neue Bedrohung zu reagieren. „Schalten Sie die Beobachtung auf Kinas Eins um, Sensora!“, befahl er. „Sofort, Agent.“, erwiderte die Androidin und tat, was er ihr soeben gesagt hatte. „Ich bin jederzeit bereit für unsere Bohrung, Sir.“, sagte Shorna von ihrem Arbeitsplatz aus.

Yetron hatte sich jetzt auch die Bilder von Kinas Eins angesehen. Er hatte genau sehen können, dass die Spiegel der beiden größten Meere bereits sehr stark angestiegen waren und der Mond seine Umlaufbahn verlassen hatte. „Offensichtlich.“, stellte er fest. „Zieht Tolea es vor, die Siedler zu bedrohen. Aber dann müssen wir eben sie bedrohen. Ich tue das nicht gern, da sie eine Freundin ist. Aber sie lässt uns wohl keine Wahl. Shorna, programmieren Sie den Phaser auf Bohrmodus und nehmen Sie eine Zielerfassung vor! Es dürfte ja ohnehin dauern, bis er den richtigen energetischen Sättigungsgrad erreicht hat, nicht wahr, Warrior?“ „Das ist korrekt, Sir.“, sagte die versierte Waffenoffizierin. Aber bitte machen Sie sich bewusst, dass, sobald der Countdown ab zehn rückwärts begonnen hat, der Vorgang nicht mehr abgebrochen werden kann.“ „Dann hoffe ich, dass sich Tolea vorher besinnt.“, sagte der Demetaner.

Sensora und Shorna warfen ihrem Vorgesetzten einen unsicheren Blick mit einem auf großes Missfallen hindeutenden Ausdruck im Gesicht zu. „Mir gefällt das auch nicht, Ladies.“, versuchte der Erste Offizier sie zu beruhigen. „Aber offensichtlich ist Tolea in ihrer Verzweiflung zu allem entschlossen. Wenn wir ihr etwas entgegensetzen wollen, müssen wir wohl oder übel die gleiche Entschlossenheit an den Tag legen. Ich setze ja immer noch auf den letzten Rest Vernunft, der hoffentlich noch in ihr ist und auf ihre fast liebesähnliche Beziehung zu uns Sterblichen, die sie ja eigentlich niemals bedrohen, geschweige denn verletzen wollte, wenn sie bei Verstand wäre. Wir werden ja nur etwas deutlicher. Sie, Shorna, müssen vielleicht gar nicht feuern.“ „Das hoffe ich inständig, Mr. Yetron.“, sagte die Genesianerin nervös.

Kairon war bei Shimar in IDUSAs Cockpit angekommen. Aus dem Augenwinkel heraus hatte der Mächtige gesehen, dass auch er etwas gegessen haben musste. „Hat IDUSA dir auch …?“, fragte er. „Das hat sie.“, sagte der Tindaraner. „Sie meinte, es sei wohl besser so, wenn sie uns ein bisschen dopen würde. Man wüsste ja nie. Aber mich irritiert, dass du, als Mächtiger, ihre Hilfe überhaupt angenommen hast.“ „Sie hat mir den Kopf gewaschen.“, sagte Kairon.

„Gentlemen!“ IDUSAs plötzlicher Ausruf über den Bordlautsprecher hatte beide sofort wieder die Neurokoppler einstecken lassen, was sie veranlasst hatte, ihre Reaktionstabellen zu laden. Dann zeigte sie ihnen wortlos die Bilder von außerhalb ihrer Kanzel. Jetzt sahen auch Kairon und Shimar genau, was Tolea tat und vor allem, wie die Electronica darauf reagierte. „Oh nein!“, rief Shimar aus. „Sie blufft.“, beruhigte ihn Kairon. „Sie will nur erreichen, dass man endlich auf sie schießt. Sie wird niemals Sterblichen etwas antun wollen.“ „Time und seine Leute sind da wohl anderer Meinung.“, stellte Shimar fest. „Kairon, ich könnte Sie direkt mit …“, setzte IDUSA zu einem Vorschlag an, aber im gleichen Moment legte sich eine Art Energieschleier über die Kommunikationseinrichtungen der Electronica. Er trug Toleas Signatur, wie das tindaranische Schiff feststellte und ihrem Piloten und dessen Freund meldete. Gleichzeitig tauchten auch die Siedler wieder auf, die sich die Bedrohung offenbar nicht mehr gefallen lassen wollten.

„Tolea scheint zu allem entschlossen!“, resignierte Kairon. „Das mag ja sein!“, sagte Shimar. „Aber das sind wir auch. Die mögen zwar auf den Kometen schießen wollen, aber ich glaube kaum, dass sie es riskieren werden, das Leben eines Alliierten Soldaten und eines diplomatisch hoch angesehenen Zivilisten in dessen Begleitung und deren Schiff zu gefährden. Komm, IDUSA!“

Er gab ihr einige Gedankenbefehle, auf welche hin sie die Schilde hob und sich dann von ihm in Richtung der Oberfläche des Kometen steuern ließ. „Du willst landen?“, fragte Kairon verwirrt. „Was denn wohl sonst!“, sagte Shimar mürrisch und sehr auf sein Vorhaben konzentriert. „Irgendwie müssen wir denen ja zeigen, dass wir alle nicht bei Toleas Plan mitmachen werden und dass ihr Blut nicht an unseren Händen kleben wird! Zumindest dann nicht, wenn ich es verhindern kann!“ „Na gut.“, sagte Kairon mutig. Er vertraute Shimar und da er selbst keine Idee hatte, erschien ihm diese auf jeden Fall besser, als nur dazusitzen und gar nichts zu tun.

Cenda, die celsianische Chefingenieurin der Electronica, hatte tatsächlich ein etwa 20 mal 20 cm großes Stück des Kometen, das abgebrochen war, mit dem Transporter aufgenommen, an Bord des Schiffes gebeamt und es dann von ihrem Assistenten Switcher auf die Krankenstation bringen lassen, wo es sofort in einen Probenbehälter verpackt wurde, um so in ein Gerät im Labor zu gelangen, das in der Fachsprache die Künstliche Umwelt genannt wurde. Es handelte sich dabei um einen runden silbernen Metallbehälter, der hermetisch abgeriegelt werden konnte und der direkt an die Umweltkontrollen des Schiffes angeschlossen war. So war es möglich, dort drin jede Art von Atmosphäre zu generieren.

Ketna, die zeonide Ärztin, sah dem Androiden Switcher noch nach, als er die Krankenstation wieder verließ. Dann wandte sie sich Solthea, ihrer orkanischen Assistentin, zu: „Sagen Sie dem Computer, er soll die Probe in der Künstlichen Umwelt mit einem Milligramm Rosannium pro Sekunde bestrahlen, Assistant! Aktivieren Sie das Mikroskop und stellen Sie mir die Werte auf meine Arbeitskonsole!“ „Aye, Madam!“, nickte Solthea schmissig und tat, was ihre Vorgesetzte ihr gerade aufgetragen hatte.

Beide beobachteten die Vorgänge in der Künstlichen Umwelt am Bildschirm. „Was glauben Sie, können wir damit beweisen?“, fragte Solthea. „Ich meine, die Brückenoffiziere haben uns nicht alles gesagt. Die Mail von Agent Yetron enthielt nur einen Hinweis, dass es sich um eine Beweisführung für die Tatsache handeln soll, dass es sich bei dem Kometen da draußen angeblich um Tolea handeln soll.“ Sie sah Ketna verwundert an. „Ich weiß auch nicht mehr, Assistant.“, sagte die Ärztin. „Aber ich bin sicher, dass Mr. Yetron allen Grund hat, mit den Informationen sehr vorsichtig umzugehen. Er will sicher nur vermeiden, dass die falschen Leute das Falsche erfahren. Zumindest schätze ich ihn so ein. Der Agent ist immer sehr vorsichtig und überlegt genau was er tut.“ „Ich weiß.“, sagte die immer etwas ängstlich wirkende Orkanierin. „Auf diese Weise hat er uns ja auch schon durch viele unbequeme Situationen geführt. Denken Sie, er hat Time informiert?“ „Das wird er wohl pflichtgemäß getan haben, Solthea.“, beruhigte Ketna sie. „Aber wir haben gar keine Zeit, uns über so etwas Gedanken zu machen. Wir sollten lieber unser kleines Experiment hier genau protokollieren.“

Wie auf Stichwort hatte sich am Bildschirm plötzlich etwas verändert. Die Struktur der Probe hatte begonnen sich aufzulösen und es schien, als würde sie sich neu gruppieren. Solthea, die dies zuerst gesehen hatte, zeigte aufgeregt auf den Monitor. „Also gut.“, sagte Ketna. „Beschleunigen wir den Prozess ein wenig! Computer, den Beschuss mit Rosannium auf zwei Milligramm pro Sekunde erhöhen!“

Ein Signal kündete vom Ausführen der Befehle. Dann sahen Ketna und Solthea, wie sich langsam eine ihnen sehr wohl bekannte Struktur zu bilden begann. „Das wird tatsächlich zu Haut, Assistant.“, staunte Ketna. „Da hatte Mr. Yetron wohl tatsächlich mal wieder den richtigen Riecher. Jetzt können wir allen beweisen, dass das da draußen tatsächlich Tolea ist!“ „Sie kennen aber doch die Regierung, Madam.“, sagte Solthea vorsichtig. „Denen gegenüber müssen wir schon Beweise erbringen, die hieb- und stichfest sind. Computer, sobald es möglich ist, die Hautprobe identifizieren!“ „Sehr gut.“, sagte Ketna und warf ihrer Assistentin einen anerkennenden Blick zu. „Genau das Gleiche wollte ich ihm auch gerade befehlen.“

Der Rechner gab ein weiteres Signal von sich. Dann hörten beide die elektronische Stimme sagen: „Die DNS in der Probe konnte eindeutig Tolea aus dem Raum-Zeit-Kontinuum zugeordnet werden.“ „Da haben wir es!“, skandierte Ketna. „OK, Solthea. Ich werde zur Brücke gehen und Mr. Yetron persönlich informieren! Sagen Sie dem Computer, er soll die Künstliche Umwelt abschalten. Ich werde die Probe in einen durchsichtigen Zylinder umpacken!“

Damit zog sie sich medizinische Handschuhe an und wartete, bis ihre Assistentin ihren Befehl ausgeführt hatte. Dann schüttete sie die Probe einfach von dem einen undurchsichtigen Zylinder in ein Exemplar, in das man von allen Seiten hineinsehen konnte. Danach sagte sie nur noch: „Übernehmen Sie hier, Assistant!“, und war aus der Tür.

Yetron schien sehr dankbar, als Ketna mit dem Zylinder in der Hand die Brücke betrat. Langsam waren dem Ersten Offizier die Argumente gegenüber Caroline ausgegangen, mit denen er sie beruhigen konnte und mit denen er verhindern wollte, dass sie und ihre Leute auf eigene Faust versuchen würden, den Kometen zu zerstören. Das Gesicht der Ärztin im Türrahmen war daher für ihn wie eine Erlösung. „Sagen Sie mir bitte etwas Positives, Scientist!“, flehte er sie an. Sie aber lächelte nur stumm, trat zu ihm an seine Arbeitskonsole heran und stellte den Zylinder dort ab.

Der Demetaner nahm ihn auf und betrachtete ihn genau. Dann fragte er: „Was genau haben wir hier, Ketna?“ „Eine Hautprobe von Tolea höchst persönlich, Sir!“, sagte die Ärztin mit einem stolzen Blick in seine Richtung. „Wir haben die Probe aus dem Kometen, die uns Cenda gegeben hat, mit Rosannium beschossen und das ist daraus geworden!“ „Sehr schön, Scientist.“, sagte der Agent. „Ich werde auch diese Daten Hansson zukommen lassen. Sensora, kümmern Sie sich darum!“ „Ich werde meiner Assistentin sagen, sie soll die Protokolle des Experiments direkt an Sensoras Arbeitsplatz schicken.“, sagte Ketna. „Darf ich Ihre Sprechanlage benutzen, Agent?“ Yetron nickte wortlos und stand auf. Dann sagte er: „Bedienen Sie sich!“

Kapitel 33: Ein tindaranischer Paukenschlag!

von Visitor

 

Zur gleichen Zeit war IDUSA sanft auf dem Kometen herniedergeschwebt. Ihre Schilde waren aber trotzdem noch erhoben. Das hatte Shimar ihr ausdrücklich befohlen.

„Ich beobachte eine verstärkte elektrische Aktivität in den Waffensystemen der Electronica.“, meldete das Schiff. „Es sieht aus, als wollten sie mit dem Phaser versuchen, den Kometen anzubohren. Die Art, wie die Zielerfassung vorgenommen wurde, lässt auf jeden Fall darauf schließen.“ „Warum tun sie das, um Himmels Willen?“, fragte Kairon alarmiert. „Wollen sie etwa, dass meine Schwester unnötig leidet?“ „Das glaube ich nicht.“, sagte Shimar. „Ich bin überzeugt, die wissen noch gar nichts von Toleas Selbstmordabsicht. Ich denke, dass die noch viel mehr rätseln als wir. Wenn wir doch nur mit ihnen reden könnten! IDUSA, kannst du den Schleier über den Kommunikationseinrichtungen der Electronica mit deinem Sprechgerät durchdringen?“ „Negativ, Shimar.“, sagte das Schiff. „Tolea scheint jeden Schritt vorauszuahnen, den ich diesbezüglich unternehme. Sie passt den Schleier jedes Mal an.“

Shimar und Kairon begannen angestrengt nachzudenken. Dann fragte der Mächtige plötzlich: „Wie schnell kannst du die Frequenzen deines Senders rotieren lassen, IDUSA?“ „Oh ich denke durchaus schnell genug für das, was Sie vorhaben, Kairon.“, antwortete das Schiff. „Nanu.“, wunderte sich Shimar. „Du, als Mächtiger, lässt dir von ihr, einem Stück primitiver Technologie, zumindest in deinen Augen, helfen? Sie muss dir ja gewaltig den Kopf zurechtgerückt haben!“ „Das hat sie.“, gab der Mächtige zu. „Außerdem kann ein bisschen Hilfe, mit der Tolea nicht rechnet, sehr überraschend wirken. Sie wird mit der Anpassung nicht hinterherkommen. Irgendwann wird sie aufgeben müssen. Dann haben wir vielleicht eine Chance. Während sich IDUSA um den Schleier kümmert, sollten wir beide versuchen, telepathisch zu Tolea durchzudringen und sie von ihrem Selbstmord abhalten. Wir sollten ihr vor Augen führen, dass es nicht gut ist, was sie da tut und dass sie ja auf keinen Fall Unschuldige gefährden will. Dazu mag sie euch Sterbliche doch eigentlich viel zu sehr. Das müssen wir ihr klarmachen.“ „In Ordnung.“, sagte Shimar. „Dann los!“ Beide begannen damit, sich auf ihr Vorhaben, mit Tolea Kontakt aufzunehmen, zu konzentrieren.

Tolea war dies nicht entgangen. Ihr wollt mit mir reden? Also gut., dachte sie. Aber da müsst ihr erst mal hier dran vorbei!

Vor den Beiden baute sich eine starke mentale Mauer auf. „Shimar, sie kann sich unmöglich vor uns beiden abschirmen und gleichzeitig den Schleier über den Kommunikationsgeräten der Electronica aufrechterhalten.“, flüsterte Kairon seinem Freund zu. „Wenn es deinem Schiff gelingt, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu bündeln, dann könnten wir vielleicht von hinten durch die kalte Küche in ihren Geist schlüpfen. Am besten ich rede mit ihr und du machst meinen Verstärker. Ich bin ihr Bruder. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich eher etwas erreiche, halte ich für recht hoch.“ „Geht klar.“, gab Shimar schon recht abgekämpft zurück, denn er hatte sich jetzt schon geraume Zeit zusammen mit dem Mächtigen gegen Toleas geistige Mauer gestemmt.

Die Electronica war bis auf Bohrreichweite an Tolea herangeflogen. Jetzt senkte Sensora das Schiff langsam ab, da Shorna ihr bedeutet hatte, dass die Stelle, über der sie sich jetzt befanden, optimal war.

„20 Parsec bis Bohrhöhe.“, meldete die Pilotin an die Waffenoffizierin weiter. „In Ordnung, Allrounder.“, sagte Shorna. Dann wendete sie sich an den Rechner: „Computer, verbleibende Zeit bis Beginn der Bohrung!“ „30 Sekunden bis Bohrung.“, sagte der Rechner. „20 Sekunden bis zum automatischen Countdown.“ „OK, Sensora.“, sagte Shorna. „Höhe halten! Hoffen wir mal, dass uns der Komet den Gefallen tut und seine Hülle zusammenschnurrt, wie ich es mir … Bei allen Göttern!“

Sie hatte etwas auf dem Schirm des Waffenpultes gesehen, das sie nur als seltsamen Schatten wahrnehmen konnte, aber irgendetwas machte sie verdammt sicher, dass da unten etwas war. Etwas, das sie als ein Raumschiff identifiziert hatte, das genau auf ihrer Bohrstelle gelandet war. „Sensora, ist da unten etwa tatsächlich ein Schiff?!“, fragte sie hoch erregten Zustands. Ihre Wahrnehmung hatte ihr wohl einen gehörigen Schrecken eingejagt.

Rasch hatte die Androidin die Werte überprüft. „Positiv, Warrior.“, sagte sie ruhig und nüchtern, wie es immer ihre Art war. „Es handelt sich um einen tindaranischen Aufklärer. Zwei Biozeichen sind an Bord.“ „Verdammt!“, rief die Genesianerin aus. „Computer, Abbrechen! Den Countdown abbrechen!“

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass das nicht mehr ging, denn der Rechner hatte bereits zu zählen begonnen. „Verflucht!“, sagte Shorna. „Wir dürfen die Beiden nicht töten! Selbst wenn ihr Schiff aktive Schilde hat, werden die es nicht ewig schützen können! Aber ich kann den Countdown jetzt nicht mehr abbrechen!“ „Aber vielleicht kann ich es!“, sagte Sensora entschlossen, griff genauso entschlossen nach dem Joystick für die Regelung der Höhe und zog ihn mit einem Ruck zu sich. Das Schiff schnellte ruckartig nach oben. Das führte dazu, dass die Zielerfassung für den Phaser ihr Ziel verlor und das Waffenpult angesichts der systemischen Überforderung einen Absturz wie aus dem Bilderbuch hinlegte, eine Tatsache, die Shorna jedoch mit Erleichterung aufnahm. Noch nie hatte sie der Anblick eines schwarzen Bildschirms derart erfreut. „Sensorissima!“, rief Shorna begeistert aus. „Sie wissen gar nicht, was Sie mir da gerade für einen riesigen Felsblock vom Herzen geholt haben. Wenn wir einen Alliierten getötet hätten, dann hätte es eine Untersuchung mit sehr vielen peinlichen Fragen gegeben und ich hasse sehr viele peinliche Fragen!“ „Das kann ich mir denken, Warrior.“, sagte Sensora und lächelte Shorna sogar zu. „Wir alle würden diese Art von Fragen sicher nicht sehr angenehm finden.“, sagte Yetron. „Deshalb kann ich mich der Meinung des Warriors nur anschließen, Allrounder. Ein Kompliment an Ihre Flugkunst. Shorna, bitten Sie Cenda, Ihnen beim Neustart Ihres Arbeitsplatzes behilflich zu sein, falls es nötig sein sollte! Sensora, halten Sie uns in diesem hohen Orbit. Können wir inzwischen eigentlich den Schleier durchdringen? Ich würde den Tindaraner gern fragen, was seine Aktion zu bedeuten hatte.“

Sensora warf einen kurzen Blick auf die Anzeigen des Sprechgerätes. Dann sagte sie: „Bedaure, Agent. Den scheinen wir mitgenommen zu haben. Aber ich kann dem Sprechgerät befehlen, die Sendefrequenzen rotieren zu lassen und wir können so versuchen, einen Ruf an das tindaranische Rufzeichen zu schicken.“ „Machen Sie es so!“, befahl der Demetaner. Sensora nickte und programmierte das Gerät.

Jemand anderes hatte Sensoras Manöver leider nicht so unbeschadet überstanden. Es handelte sich um Commander Time, der gerade in seinem Quartier mit dem Frühstück beschäftigt war. Nach der Nachtschicht hatte er Yetron das Kommando übergeben und war schlafengegangen. Jetzt saß er also beim Frühstück, das er sich gerade frisch repliziert hatte. Es bestand aus einer Tasse Kaffee, einem Brötchen mit Schinken und einem Frühstücksei, das hartgekocht war. Durch Sensoras Manöver allerdings waren auch die Stabilisatoren des Schiffes leicht überfordert gewesen. Das hatte zur Folge, dass alles, was sich auf Times Tisch befand, im hohen Bogen in die Luft geschleudert wurde. Das Brötchen segelte also Richtung Decke und landete wieder auf dem Tisch, allerdings mit der bestrichenen Seite nach unten. Anders aber erging es dem Kaffee in der Tasse. Er ergoss sich springflutartig über Times gerade frisch rasierten Bart. Da er sehr heiß war, entfuhr Time ein lautes: „Au, Verdammt!“ Die heftigste Reise von allen brachte aber das Ei hinter sich. Es hüpfte aus dem Becher, flog quer durch den Raum, um dann mit einem lauten Krach derart heftig gegen die nächste Wand zu prallen, dass die Schale in alle Richtungen absplitterte. Dann prallte es zurück, wurde von der Deckenlampe abgefälscht und landete wieder splitternackt im Becher.

Ziemlich bedient stand der Commander auf und sah sich das ganze Schlachtfeld an. Dann sagte er: „Na ja. Mal ’ne andere Art, sein Frühstücksei zu pellen. Wenn nur die ganzen Nebenwirkungen nicht wären.“

Wie er war machte er sich auf den Weg zur Brücke. Die Schuldige für das Ganze hatte er nämlich bereits ausgemacht, aber als Kommandant war er es auch gewohnt, gegenüber seinen Leuten immer das Positive aus jeder Situation zu holen. Er lebte eben nach dem Motto: „Ein guter Commander muss wissen, wie und wann er seine Truppe glücklich zu machen hat.“ Dies hatte er wohl ziemlich stark in seinen Alltag integriert.

Der Turbolift hatte ihn wenig später auf der Brücke abgesetzt, wo er von seinem Ersten Offizier sofort forderte: „Bericht, Mr. Yetron!“ „Wir mussten die Bohrung in den Kometen, über die ich Sie informiert hatte, leider abbrechen, Sir.“, begann der Demetaner. „Darauf befindet sich offensichtlich ein Schiff unserer Alliierten, der Tindaraner. Den Flugkünsten unseres auf ihrem Fachgebiet glücklicherweise extrem sattelfesten Allrounders allein haben wir es zu verdanken, dass wir nicht Grillfleisch in der Konserve aus dem Tindaraner und seinem Passagier auf ihrem Schiff gemacht haben. Sensora konnte dafür sorgen, dass das Waffenpult abgestürzt ist. Also konnte der Phaser nicht …“ „Ich habe schon verstanden, Agent.“, sagte Time und setzte sich bedient auf seinen Platz. „Den Manövern eines menschlichen Piloten.“, fuhr Yetron unbeeindruckt fort. „Hätten die Systeme sicher standgehalten. Aber unsere Androidin ist …“ „Schon gut, Agent.“, sagte Time. „Das ganze Fachchinesisch lasse ich mir von Cenda bei Gelegenheit erklären.“

Er wandte sich Sensora zu: „Allrounder, sobald es möglich ist, verbinden Sie mich mit dem Tindaraner. Ich würde ihn gern fragen, was sein halsbrecherisches Manöver zu bedeuten hat.“ „Ja, Commander.“, sagte Sensora. „Es gibt nur im Moment Komplikationen. Über unserem Sprechgerät liegt ein Schleier aus Energie, der noch nicht durchdrungen werden kann. Ich habe aber das Gerät auf rotierende Frequenzen programmiert. Ich denke, der Schleier wird sich nicht ewig anpassen können.“ „Na gut.“, sagte Time. „Dann verbinden Sie mich, sobald es geht.“

Sensora sah ihren Vorgesetzten von oben bis unten an. Dann fragte sie: „Mit Verlaub, Commander, wollen Sie wirklich so …?“ „Natürlich.“, sagte Time. „Dieser Teufelsflieger soll ruhig wissen, was er angerichtet hat.“ „Also gut.“, sagte die Androidin. Dann lehnten sich alle wartend zurück.

Tolea hatte durchaus gemerkt, dass sie in keiner guten Lage war. Ihr Schleier wurde jetzt von zwei Seiten attackiert. Sie musste befürchten, dass er zwischen IDUSA und der Electronica aufgerieben werden könnte. Außerdem waren da noch Shimar und Kairon, die sie ebenfalls nervten und denen sie auch nicht mehr lange standhalten konnte, wie sie befürchtete. Schließlich war sie im Augenblick auch nicht die Stabilste, was ihre mentale Verfassung anging. Aber Moment! Warum sollte sie der Electronica nicht erlauben, mit Shimar zu reden? Wenn sie damit erreichen würde, dass er wegflog, dann konnte sie ihren Plan vielleicht doch noch verwirklichen! Sie ließ also unvermittelt den Schleier wieder verschwinden.

Kairon und Shimar waren immer noch damit beschäftigt, Tolea ins Gewissen zu reden. Das gestaltete sich derart, dass Kairon quasi ununterbrochen dachte: Schwesterchen, hier ist dein Bruder. Ich weiß, dass du niemals Unschuldige gefährden willst. Ich weiß, dass du nur bluffst. Wir nehmen dir das nicht ab. Wir nehmen dir nicht ab, dass du diese Siedler wirklich gefährden würdest, nur um dein eigenes Leben beenden zu können. Früher oder später wirst du aufgeben, denn das bist du nicht! Du bist niemand, der so skrupellos ist. Ich kenne eine andere Tolea! Eine vernünftige Tolea! Die Tolea, die ich kenne, würde so etwas niemals zulassen! Ich bin sicher, sie versteckt sich hinter dieser Mauer, die früher oder später bröckeln wird. Diese Worte schickte er mit viel Energie an Shimar, der sie wiederum telepathisch aufnahm, um sie mit seiner eigenen Energie zu vereinen und das Ganze dann gegen Toleas mentale Mauer zu schleudern, die er visualisiert hatte. Leider war der Erfolg nur mäßig. „Ich glaube, das wird so nichts.“, resignierte Kairon. „Wir sind zwar zu zweit, aber Tolea scheint auch einen unbändigen Willen zu haben.“ „Das ist der Mut der Verzweiflung.“, antwortete der junge Tindaraner mit schweißnassem Gesicht und vor Anstrengung bereits hoch rotem Kopf. „Aber denk bitte daran, dass sie an zwei Fronten kämpfen muss. Sie muss die Mauer gegen uns und den Schleier gegen die Electronica aufrechterhalten.“ „Das dürfte nicht so schwierig für sie sein, wie wir am Anfang gedacht haben.“, erwiderte Kairon. „Schließlich ist sie eine Frau. Die sind eher in der Lage zum Multitasking als wir Männer, habe ich mal gehört.“

Bevor Shimar noch etwas erwidern konnte, hatte IDUSA plötzlich einen sanften Stimulatorstoß über beide Neurokoppler geschickt. Shimar, der dieses Verhalten von ihr kannte, wandte sich sofort seinem Schiff zu: „Was ist los, IDUSA?!“ „Gentlemen, der Schleier ist verschwunden.“, meldete das Schiff. „Außerdem ruft uns die Electronica.“ „Verbinde!“, befahl Shimar.

IDUSAs Avatar nickte und führte den Befehl aus. Dann sah Shimar in das Gesicht Times, das ihm jetzt vor seinem geistigen Auge über den Neurokoppler von IDUSA gezeigt wurde. Auch Kairon wurde dem ansichtig. Allerdings schien Time weder Kairon, noch Shimar sofort zu erkennen. Darauf ließ auf jeden Fall seine Formulierung schließen: „Tindaranischer Aufklärer, Sie behindern massiv eine humanitäre Aktion der Sternenf…. Ach du Schande!“

Jetzt war es dem Kommandanten des Flaggschiffes der Sternenflotte bewusst geworden. Es war ihm bewusst geworden, dass er diesen jungen Soldaten sehr gut kannte. Sie hatten sich ja damals auf Zirells Basis kennen gelernt. Damals hatte Time Shimar aber als sehr vernünftig eingeschätzt und ihm eine solche Aktion niemals zugetraut! Umso stärker war er jetzt durch diese Umstände irritiert. Aber auch der Umstand, dass Kairon, ein diplomatisch sehr hoch angesehener Mann, neben ihm saß und diese Aktion offensichtlich billigte, sorgte bei Time für mäßige Verwirrung, wie sich Agent Yetron ausdrückte. Time fand, dass die momentane Ausdrucksweise seines Ersten Offiziers ihn sehr stark an die von Mr. Spock erinnerte. Tatsächlich konnten die Demetaner fast vulkanisch gelassen, aber auch sehr gefühlvoll sein, was aber nichts mit Aggressivität zu tun hatte. Sie wählten im Allgemeinen immer den eleganten intelligenten Weg in einem Konflikt, auch wenn das manchmal eine hinterlistige Strategie bedeutete. Yetrons momentane Art zu reden unterstrich dies noch umso mehr. Jene mäßige Verwirrung war aber so groß, dass Time die Stimme nicht mehr gehorchte und er Yetron nur noch ein Handzeichen gab, worauf dieser Sensora befahl: „Stummschaltung, Allrounder!“ Die Androidin nickte und führte seinen Befehl aus.

Time wandte sich Yetron zu, nachdem er sich einige Male geräuspert und Yetron ihm ein frisch repliziertes Glas Wasser gereicht hatte. „Agent, Sie haben nicht zufällig eine Theorie, was das hier zu bedeuten hat?“ „Tut mir leid, Commander.“, sagte Yetron. „Aber wir können das mit Sicherheit herausbekommen, wenn wir mit Shimar reden. Mir ist er als sehr zugänglich in Erinnerung. Was Kairon in seinem Beisein tut, erschließt sich mir auch noch nicht, aber das wird sich schon noch ändern. Dessen bin ich sicher.“

Time rückte sich in seinem Sitz zurecht. Dann sagte er: „Also gut, Sensora. Geben Sie Shimar her!“ „Sie können sprechen, Sir!“, sagte die Androidin schmissig, aber dennoch mit einem freundlichen Lächeln. Dann schaltete sie ihrem Vorgesetzten die von ihm gewünschte Verbindung.

Time setzte ein ernstes Gesicht auf. Dann sagte er: „Hallo, Shimar. Ich glaube, wir beide müssen mal ein ernstes Wort miteinander reden. Ist dir eigentlich bewusst, dass wir Kairon und dich hätten umbringen können! Du verdankst nur Sensoras Geistesgegenwart und ihren schnellen Reflexen, dass du und Kairon noch am Leben seid! Du stehst in ihrer Schuld, mein Junge! Ich hoffe, das ist dir bewusst! Ich würde dir am liebsten den Hosenboden strammziehen“ Er ließ den Sendeknopf los, um Shimar eine Gelegenheit zum Antworten zu geben. Dass er ihn geduzt hatte, war nicht ungewöhnlich. Es war sogar diplomatisch korrekt, da die Du-Form auf Tindara die übliche Form der Anrede war. In seiner Antwort würde Shimar ihn aber Siezen müssen, da die Sie-Form in der Sternenflotte und bei der Föderation die diplomatisch korrekte Form der Anrede war.

Die ruhige Antwort des Tindaraners erfolgte auch sogleich. „Es tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt haben sollte, Commander Time. Aber, wenn ich es mal so sagen dürfte, das lag auch genau in meiner Absicht. Ich musste Sie wachrütteln. Das hier ist kein normaler Komet. Es handelt sich um Kairons Schwester Tolea, die sich in einen Kometen verwandelt hat. Sie bedroht uns und die Siedler nur, weil sie will, dass wir sie umbringen. Hätten Sie auf sie geschossen, dann hätten Sie ihr genau in die Karten gespielt. Wir haben Daten gesammelt, die das bestätigen werden.“

Er befahl IDUSA, alle gesammelten Daten bezüglich der Sache an die Electronica zu senden. „Meinen Sie wirklich alle Daten, Shimar?“, fragte das Schiff. „Auch die, bei denen es um Diran geht?“ „Auch die, IDUSA.“, sagte der Tindaraner. „Schließlich gehört das ja alles zusammen.“ „Also gut.“, sagte das Schiff und tat, was ihr Pilot ihr gesagt hatte.

Die Electronica hatte das Datenpaket empfangen. „Stellen Sie es gleich auf meinen Platz, Sensora.“, sagte Yetron. Dann wendete er sich an Time: „Commander, ich werde die Daten analysieren und sie mit den unsrigen abgleichen. Vielleicht lösen sich ja so einige Rätsel.“ „Tun Sie das, Agent.“, sagte Time. „Als einem ausgebildeten Kriminalisten dürfte Ihnen das ja nicht allzu schwer fallen, hoffe ich. Benutzen Sie meinen Raum!“ „Sehr großzügig, Sir.“, sagte Yetron und ging. Im Verlassen der Brücke warf er Sensora noch zu: „Stellen Sie mir die Daten in Times Raum, Allrounder!“, was die Androidin mit einem fleißigen Nicken quittierte und auch gleich ausführte.

Time, Sensora und Shorna waren jetzt wieder allein mit der Situation. Der amerikanische Commander nahm das Gespräch mit Shimar wieder auf. „OK, mein Freund.“, sagte er. „Mein Erster Offizier kümmert sich jetzt um deine Daten. Ich gehe erst mal davon aus, dass es stimmt, was du uns gesagt hast. Du kannst heilfroh sein, dass du mir und meinen Leuten begegnet bist und nicht irgendeinem betriebsblinden Befehlsempfänger! Ich sehe mir die Situation nämlich vorher ganz gern ganz genau an, bevor ich über sie urteile. Das ist etwas, das der gute alte Captain Kirk und ich gemeinsam haben. Auch dann, wenn wir der Regierung gegenüber deshalb manchmal unbequem erscheinen. Aber es gibt Situationen, die man oft auf den ersten Blick falsch beurteilt und das später dann bereut. Das möchte ich auf keinen Fall! Deshalb finde ich es besser, man schaut vorher genau hin. Meine Leute habe ich dahingehend auch erzogen, obwohl das gar nicht nötig war.“ „Das lässt sich denken, Commander.“, sagte Shimar. „Aber wenn Agent Yetron die Daten analysiert hat, wird sich herausstellen, dass ich so handeln musste, wie ich gehandelt habe. Die Geschichte ist zu lang, um sie Ihnen jetzt am Sprechgerät zu erzählen. Aber ich hoffe, Sie vertrauen mir auch so.“ „Das tue ich, mein Junge.“, sagte Time, der ja schon beträchtlich älter als sein Gegenüber war. „Das tue ich. Und ich denke sogar, dass wir gut zusammenarbeiten könnten. Wie du sehen müsstest, hat Tolea ja leider immer noch nicht aufgehört, die Siedler zu bedrohen. Sie hofft wohl immer noch, dass wir sie töten werden, wenn sie ihre Bedrohung nur lange genug aufrechterhält. Hinter uns auf der Lauer liegt auch die Anführerin einer Bürgerwehr mit einem sehr nervösen Finger am Abzug ihres Phasers, du verstehst? Die wartet nur darauf, dass wir aufgeben müssen. Ich habe keine Idee, was wir machen sollen. Aber vielleicht kannst ja du etwas beisteuern oder Kairon.“ „Oh ich denke auch, dass wir zusammenarbeiten sollten, Commander.“, sagte Shimar. Aber, wenn ich fragen darf, wie kommt es zu diesem Meinungsumschwung Ihrerseits. Vorhin wollten Sie mir noch den Hosenboden strammziehen.“ Er grinste breit in die Kamera seines Sprechgerätes. „Manchmal sagt man im Schock Sachen, die man am Ende doch nicht so meint, Shimar.“, sagte Time ruhig. „Ah.“, machte Shimar. „Ich habe Sie also geschockt! Dann habe ich ja genau das erreicht, was ich erreichen wollte.“ „Das hast du für wahr.“, erwiderte Time. „Aber jetzt lasst uns mal zusammen nachdenken.“

Kapitel 34: Gemeinsame Rettungspläne

von Visitor

 

Kairon waren Times Sätze ziemlich nah gegangen. „Es stimmt, was er gesagt hat.“, sagte er. „Wenn wir nicht ihm, sondern jemandem anders begegnet wären, dann hätte die Situation auch verdammt mies für uns ausgehen können. Mit Hilfe meiner Fähigkeiten hätte ich unser Ende vielleicht herauszögern können, aber sicher wäre es nicht zu verhindern gewesen.“ „Ich weiß.“, sagte Shimar. „Aber IDUSA hatte uns ja schon gesagt, dass es Time war, der hier patrouilliert hat. Darauf hat mein ganzer Plan sich ja aufgebaut.“ „Das stimmt.“, sagte Kairon. „Aber jetzt müssen wir überlegen, wie wir meine Schwester von ihrem Plan abbringen können. Was Time über die Frau von der Bürgerwehr sehr flapsig formuliert hat, stimmt mit Sicherheit.“

IDUSA, die alles natürlich mitbekommen hatte, mischte sich plötzlich ins Gespräch: „Gentlemen, ich hätte eine Idee. Wenn Tolea Sorge haben müsste, wir würden sie von ihrer jetzigen Position entfernen wollen, wird sie versuchen wollen, uns auf jeden Fall zu entkommen. Wenn ich sie mit meinem Transporter erfassen und sie in meinen Frachtraum beamen wollen würde, dann würde sie den Bluff sicher durchschauen, weil mein Frachtraum viel zu klein für den Kometen ist, in den sie sich jetzt verwandelt hat. Aber bei der Electronica sehe das schon anders aus.“

Shimar ließ die Worte seines Schiffes eine Weile lang auf sich wirken. Dann sagte er: „Das ist ein verdammt guter Plan, IDUSA! Stell mich noch mal an Time durch! Ich möchte gern wissen, was er davon hält.“ „In Ordnung, Shimar.“, sagte das Schiff.

Der Avatar wich vor Shimars geistigem Auge einen Schritt zurück, um dem Bild des Terraners Raum zu geben. Dann hörten Shimar und Kairon seine Stimme: „Was gibt es, Shimar?“ „Mein Schiff hat einen Plan.“, antwortete Shimar. „Sie meint, wir könnten vielleicht etwas erreichen, wenn wir Tolea vormachten, dass Sie den Kometen, der sie jetzt ist, in Ihren Frachtraum beamen wollen. Das würde ihr sicher nicht gefallen und IDUSA denkt, sie würde dann versuchen wollen, uns zu entkommen. Das würde auch bedeuten, dass sie dieses Sonnensystem verlassen würde. Dann hätten die Siedler Ruhe und wir Zeit, sie vielleicht dazu zu bringen, sich wieder zurück zu verwandeln, damit wir ihr helfen können.“ „Das klingt sehr vielversprechend.“, sagte Time. „Genauso machen wir’s! Ich werde hier alle Vorbereitungen treffen. Aber du solltest auch schleunigst wieder starten! Es sei denn, du wolltest auch mit.“ „Oh nein.“, sagte Shimar. „Das Angebot klingt zwar recht vielversprechend, aber IDUSA fliegt glaube ich lieber mit dem eigenen Antrieb. Aber das muss ja nichts bedeuten.“ „Das muss es wirklich nicht.“, sagte Time. „Ich mag es auch nicht, wenn noch so viele Fragen offen bleiben. Wie wäre es, wenn wir uns, vorausgesetzt der Plan klappt, alle hier auf der Electronica in der Offiziersmesse treffen und die Daten zusammen durchgehen?“ „Das würde mir sehr gefallen.“, sagte Shimar und auch Kairon nickte zustimmend. Dann beendete Shimar die Verbindung.

Er gab seinem Schiff die zum Start notwendigen Gedankenbefehle, die von IDUSA auch gleich ausgeführt wurden. „Mich wundert, dass meine Schwester den Schleier fallen gelassen hat.“, sagte Kairon. „Ich meine, sie musste doch davon ausgehen, dass wir dann mit Time reden. Ich hoffe ja nicht, dass sie ihn so genau beobachtet hat, wie sie es bei uns getan hat. Wenn das nämlich der Fall sein sollte, dann können wir unseren Plan wahrscheinlich vergessen!“ „Na, na!“, sagte Shimar. „Warum gleich so negativ? Ich kann dir sagen, warum sie den Schleier fallengelassen hat. Sie hat wohl gehofft, dass Time mir eine solche Moralpredigt hält, dass ich nichts Besseres zu tun weiß, als so schnell wie möglich eine heiße Spule zu fliegen und mich vom Acker zu machen. Aber da hat sie sich geschnitten!“ „Die Situation kann sich aber immer noch zu unserem Nachteil entwickeln.“, sagte Kairon. „Meine Schwester ist auch nicht dumm. Was ist, wenn …“

Er konnte nicht weiterreden, denn im gleichen Moment sahen beide das alarmierte Gesicht des Schiffsavatars. „Gentlemen, es ist etwas passiert!“, wendete sich IDUSA an beide. Dann zeigte sie ihnen einige medizinische Werte und eine Grafik. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte Shimar, der sich jetzt wohl wünschte, dass sie mit Ishan Kontakt aufnehmen könnten. Da IDUSAs interdimensionale Kommunikationseinrichtungen aber nach wie vor beschädigt waren, war dies nicht möglich. „Diese Werte...“, erklärte das Schiff. „...gehören Tolea. Ihre neuralen Werte haben sich rapide verschlechtert! Ich führe dies auf die massive mentale Anstrengung zurück, die sie vollbringen musste, um sich gegen uns zur Wehr zu setzen.“ Als Mächtige ist dies zwar sicher sehr selten, da deren Telepathiezentren eigentlich über eine schier endlose Kapazität zu verfügen scheinen, aber das scheint auch nur so. Es gibt sogar einen historischen Beweis in meiner Datenbank, den ich Ihnen gern vorlegen würde.“

Während Shimar IDUSA zugehört hatte, war Kairon damit beschäftigt gewesen, auf seine Art herauszufinden, wie es um Tolea stand und ob IDUSAs Analyse tatsächlich der Wahrheit entsprach. Dazu konzentrierte er sich auf den Geist seiner Schwester und visualisierte sich selbst, wie er neben ihr stand und sie beobachtete.

Plötzlich verzog er schmerzvoll das Gesicht und gab einen gequälten Laut von sich. Erst jetzt wurde Shimar auf ihn aufmerksam. „Was ist los?!“, fragte er alarmiert. „Sie hat Recht!“, stieß Kairon hervor. „Dein Schiff hat Recht. Tolea hat ihr Zentrum total überfordert! Es wird sich erholen, aber das wird dauern! Es ist sogar so schlimm, dass sie sich nicht allein zurückverwandeln kann, fürchte ich!“ „IDUSA, gib das an die Electronica weiter!“, befahl Shimar.

Auf Times Schiff hatte Cenda im Maschinenraum genaue Order bekommen, Tolea zwar mit dem Transporter zu erfassen, sie aber noch nicht in den extra dafür ausgeräumten Frachtraum zu beamen. Das erneute Piepen der Sprechanlage überraschte sie daher sehr. Am anderen Ende der Verbindung war Time. „Was gibt’s denn, Sir?“, fragte die Ingenieurin flapsig, wie es ihre Art als Celsianerin war. „Techniker, der Plan hat sich geändert. Sie müssen auf jeden Fall versuchen, den Kometen an Bord zu beamen! Haben Sie mich verstanden?!“ „Das habe ich, Sir.“, sagte Cenda. „Sie waren ja schließlich deutlich genug. Aber was is’ los? Ich dachte, wir wollten sie nur bluffen!“ „Nein, Cenda.“, sagte Time. „Sie ist mental zu erschöpft, um sich länger zu wehren oder gar sich zurück zu verwandeln, sagen Kairon und Shimar. Wir müssen ihr helfen!“ „Verstanden, Sir.“, sagte die Chefingenieurin. Dann wandte sie sich ihrem Assistenten zu, der bis jetzt seine Zeit damit verbracht hatte, Shorna beim Neustart ihres Arbeitsplatzes bei laufendem Netzwerk aus der Ferne über die Sprechanlage behilflich zu sein. Bei laufendem Betrieb der restlichen Schiffssysteme gab es da nämlich einiges, das berücksichtigt werden musste. „Switcher.“, sagte sie. „Wenn Sie mit Shorna fertig sind, dann übernehmen Sie die routinemäßige Überwachung der Schiffssysteme! Ich muss an den Transporter und ’ne verzauberte Q einfangen!“ Sie grinste bei ihrem letzten Satz. „Aye, Madam.“, nickte der Androide und tauschte den Arbeitsplatz mit ihr. Shornas Problem hatte er längst gemeinsam mit ihr lösen können.

Sensora war damit beschäftigt, dem Kometen auf seiner Bahn mit dem Schiff zu folgen. Tolea hatte durchaus bemerkt, dass Cenda sie mit dem Transporter zu erfassen versuchte und war nun dabei Haken zu schlagen und ihr dies durch Manöver in alle Richtungen sehr stark zu erschweren. Sie wollte auf keinen Fall eingefangen werden! Dann hätte sie ja mit Sicherheit ihren Plan, sich zu töten, nicht mehr ausführen können.

Time hatte von seiner Pilotin ihren Zwischenbericht angefordert: „Wie sieht es aus, Allrounder?“ „Tolea hat das Sonnensystem verlassen, Sir.“, sagte die Androidin. Sie schlägt Haken und verändert ihre Flughöhe. Deshalb müssen auch wir einen solchen Holperflug hinlegen. Bitte verzeihen Sie das, Sir.“ „Ist schon gut, Sensora.“, sagte Time. Ich bin sicher, Sie werden alles tun, das in ihrer Macht steht, um Cenda eine stabile Transportererfassung zu ermöglichen. Wenn dazugehört, dass wir etwas durchgeschüttelt werden, nehme ich das gern in Kauf.“ „In Ordnung, Commander.“, antwortete Sensora, die gerade sah, wie Tolea erst verlangsamte, um dann fast einen Warpsprung zu vollführen, um dann wieder hart auf Impuls abzubremsen. Sensora aber ließ die Electronica diesem Manöver mit Leichtigkeit folgen. Sie hatte das Schiff auf Handsteuerung geflogen, weil es ihr so leichter fiel, mit Tolea mitzuhalten. So konnte sie schneller und fließender reagieren, als wenn sie immer erst einen festen Kurs eingeben musste.

Durch das plötzliche Bremsmanöver des Schiffes, das Sensora nur mit Hilfe der Schubumkehr erreichen konnte, wurde Times Kopf leicht gegen die Konsole gestoßen, vor der er saß. „Es tut mir leid, Sir.“, sagte Sensora erneut, um sich zu entschuldigen. „Ach, das ist nicht schlimm, Sensora.“, sagte der Kommandant. „Sie können ja nichts dafür, wenn ich es nicht rechtzeitig schaffe, mein Sicherheitskraftfeld zu aktivieren.“ Lässig drückte er auf einen Knopf an der Lehne seines Sessels, woraufhin sich ein Kraftfeld vor ihm aufbaute, das ihn vor weiteren Stößen schützen sollte. So weit war ich schon vor Stunden, Sir, bei allem Respekt.“, grinste ihm Shorna von ihrem Arbeitsplatz aus zu. „Das dachte ich mir schon, Warrior.“, sagte Time. „So gewissenhaft wie Sie sind.“

Erneut versuchte Tolea, die Electronica durch ein schnelles Wendemanöver abzuschütteln, was ihr aber nicht gelang, da Sensora das Schiff an ihr kleben ließ wie eine Fliege an einem Honigbrot. „So ist es richtig, Sensora.“, sagte Time ruhig. „Immer schön mitgehen.“

Da Tolea sich jetzt wieder dem Sonnensystem näherte, war auch Caroline die Situation nicht entgangen. Aus einem Versteck heraus hatten sie und ihre Leute das ganze Geschehen beobachtet. Sie hatte die Gelegenheit erkannt, wieder etwas an ihrem Ruf zu arbeiten. Als hitzköpfige Revolverheldin, als die man sie jetzt offensichtlich sah, wollte sie auf keinen Fall in die Köpfe dieser Sternenflottenoffiziere und in die Geschichte eingehen. Sie erkannte aber eine Möglichkeit, dies auf eine Weise zu ändern, die man ihr wohl auch nicht zugetraut hätte.

Sie nahm einige Eingaben im System ihres Schiffes vor. Dann zeigte der Computer ihr genau die Position der Electronica in Relation zu der ihres eigenen Schiffes und zu der Toleas. Außerdem auch die Position von Shimar und die ihrer eigenen Schiffe. „Das könnte klappen.“, sagte sie zu sich und befahl dem Computer dann: „Computer, Eine Sammelverbindung mit der Electronica, dem tindaranischen Rufzeichen in Reichweite und unseren Schiffen aufbauen!“

Ein Signal kündete von der Ausführung des Befehls. Dann sah Caroline in eine Menge Gesichter auf dem Bildschirm. „Passt alle gut auf!“, sagte sie. „Wir werden die gute Tolea jetzt etwas überraschen, dass ihr Hören und Sehen vergeht. Ich bin die Einzige, die sich gleich bewegen wird, klar?! Alle anderen halten ihre Position!“ Sie beendete die Verbindung, um sich dann an ihr Schiff zu wenden: „OK, Mädchen. Hoffentlich lässt mich dein altersschwacher Antrieb jetzt nicht im Stich!“

Sie drückte das Schiff herunter und beschleunigte es gleichzeitig von einem halben auf einen vollen Impuls. Bald war sie unter dem Kometen verschwunden.

Kairon und Shimar hatten das an Bord von IDUSA durchaus ebenfalls gesehen. „Was hat sie denn vor?!“, fragte der Mächtige alarmiert. „Das weiß ich auch nicht.“, sagte Shimar. „Aber wer sich traut, unter einen Kometen zu fliegen, der hat schon Mut. Von einer Zivilistin allerdings hätte ich das nicht erwartet. Offensichtlich muss ich mich korrigieren, jetzt wo ich sie gesehen habe. Sie scheint zwar keine ausgebildete Soldatin zu sein, aber sie hat den Mut von einer. Ach was sage ich! Mindestens von zweien!“

IDUSA zeigte sich beiden über den Neurokoppler. „Gentlemen!“, sagte sie. „Ich denke, ich weiß, was Caroline Hansson vorhat. Ich habe ihren momentanen Kurs verlängert. Das hat mich zu dem Schluss gebracht, dass sie wahrscheinlich hinter Tolea wieder auftauchen will und sie somit erschrecken und in die Enge treiben möchte. Vielleicht kann Techniker Cenda dies dann ausnutzen.“ Sie zeigte beiden eine Simulation. „Oh bei allen Göttern!“, entfuhr es Shimar. „Was ist?!“, fragte Kairon. „Würdest du dir das etwa nicht zutrauen?“ „Doch.“, sagte der tindaranische Pilot. Aber meine Flugausbildung ist militärisch. Da gehören diese Art Manöver dazu. Aber in einer zivilen Ausbildung sind sie normalerweise nicht vorgesehen. IDUSA, was immer auch geschieht, halt Sensorkontakt zu ihr! Vielleicht müssen wir ihr helfen!“ „Den Kontakt habe ich leider bereits verloren, Shimar.“, sagte das tindaranische Schiff nüchtern. „Da der Komet auch extreme Sensorschatten produziert, werde ich ihn auch nicht so schnell wiederfinden können. Ich muss meine Systeme erst anpassen.“ „Dann tu das.“, sagte Shimar aufgeregt. „Kann sie unter solchen Umständen unter dem Kometen überhaupt fliegen?“, fragte Kairon. „Ich meine, Sie müsste ja die gleichen Probleme haben wie wir.“ „Theoretisch kann sie das.“, sagte Shimar. „Wenn sie die Sensoren offline schaltet und auf Sicht fliegt. Sie muss ja nur den Rand des Kometen im Auge behalten, zu dem sie will. Das lernen wir, aber unter dem Kometen ist es sehr finster und das ist es im All ja sowieso. Die Wahrscheinlichkeit ist bei Zivilisten sehr hoch, dass sie in Panik geraten. Wenn sie das Schiff in ihrer Angst dann zu früh hochzieht, wird sie mit dem Kometen kollidieren. Das wäre ihr Ende!“ „Warte!“, sagte Kairon, der sich offensichtlich im Augenblick sehr nutzlos vorkam. „Lass mich herausfinden, ob sie überhaupt Angst hat! Du musst IDUSA steuern. Du hast keine Kapazitäten für telepathische Experimente. Aber ich schon!“ „Also gut, Kairon.“, sagte Shimar. „Wenn ich Angst bei ihr spüren sollte.“, sagte der Mächtige. Dann werde ich sie tilgen.“ „OK.“, nickte der Tindaraner.

Auch auf der Electronica hatte man Carolines Manöver mit starkem Argwohn zur Kenntnis genommen. Aus den gleichen Gründen, die Shimar bereits angeführt hatte, wussten auch Time und seine Leute, dass dies nicht ungefährlich war. „Verdammt!“, sagte Time. „Das ist Selbstmord! Sensora, Rufen Sie Miss Hansson. Übermitteln Sie irgendeine Art von stetigem Signal. Ich möchte, dass sie etwas hat, woran sie sich im Notfall orientieren kann!“

Sensora nickte und begann damit, das Gerät zu programmieren. Dann aber musste sie dieses Vorhaben abrupt abbrechen. „Miss Hansson scheint gerade selbst mit jemandem zu sprechen, Commander.“, meldete sie. „Solange diese Verbindung besteht, kann ich nichts tun.“ „Verflucht, verflucht, verflucht!“, schimpfte Time und zog die Stirn kraus. Das tat er meistens, wenn er überlegte.

Dass Caroline zur gleichen Zeit tatsächlich in einem Gespräch war, sollte sich dann auch schnell bestätigen. Einer ihrer Leute war ihr nämlich gefolgt. Es handelte sich um einen etwa 30-jährigen Mann mit kühlem norddeutschem Aussehen. Er flog ebenfalls ein Shuttle und war ca. 1,90 m groß, vollschlank und hatte einen hanseatisch anmutenden Ausdruck in seinem sehr bärtigen Gesicht, dessen Haut leicht bräunlich schimmerte, als sei sie von Seeluft und harter Arbeit leicht gegerbt. Er hatte rotbraunes Haar und trug einen schwarzen Hosenanzug, Dazu trug er Gummistiefel.

„Hein!“, rief Caroline aus, als sie ihn auf dem Bildschirm ihres Sprechgerätes erkannt hatte. Nachdem sie festgestellt hatte, dass ihr jemand gefolgt war, hatte sie dem Computer sofort befohlen, eine Verbindung zu dem Schiff herzustellen. „Ich hatte doch gesagt, dass mir keiner folgen soll! Wenn ich sage keiner, dann meine ich auch keiner! Ist das jetzt auch für dich klar?!“ „Nun reg dich doch nicht gleich so auf, Caroline.“, sagte er ruhig und gelassen mit einem starken ostfriesischen Akzent in seinem Englisch. „Ich bleibe ja auch hier. Nur ist mir aufgefallen, dass du, die Electronica und der Tindaraner nur zu dritt seid. Jemand sollte den Ring schließen. Meinst du nicht auch?“

Caroline war ins Nachdenken gekommen. Sicher war an dem, was er gerade gesagt hatte, einiges dran. Tatsächlich hatte sie, wenn sie genau überlegte, wirklich außer Acht gelassen, dass es da noch eine Öffnung gab, durch die Tolea hätte entkommen können. Zwar konnte sie sich ja auch nach oben und unten bewegen, aber dann konnte ihr der Ring aus Schiffen ja auch folgen, wenn er erst einmal geschlossen war. Dann konnte er auch so eng gezogen werden, dass Tolea keine Wahl hatte, als Cenda quasi direkt in die Arme, beziehungsweise in den Transporter zu fliegen.

Sie nahm das Gespräch mit ihrem Freund und Nachbarn wieder auf: „Also gut, Hein.“, sagte sie. „Du bleibst hier und ich gehe dann mal auf Tauchstation. Warte, bis ich auf der anderen Seite bin. Wenn du von mir ein Signal bekommst, fliegst du so nah wie möglich an den Kometen heran.“ „Geht klar, Caroline!“, sagte Hein schmissig und setzte den Ankerstrahl seines Schiffes, was für Caroline auch das Signal war, ihren Flug fortzusetzen.

Kairon hatte sich vorsichtig in Carolines Geist vorgetastet. Er wusste zwar, dass sie, als Nicht-Telepathin, ihn wahrscheinlich noch nicht einmal bemerken würde, dennoch wollte er nicht zur Quelle von Angst werden, wo eigentlich gar keine war. „Das glaube ich jetzt nicht, Shimar.“, sagte er. „Sie hat keine Angst! Sie hat einfach keine Angst! Entweder weiß sie gar nicht, was ihr blüht, oder sie ist wirklich mutiger und besonnener, als wir alle dachten.“ „Das kannst du doch wohl am ehesten herausfinden, Kairon.“, sagte Shimar. „Das stimmt.“, sagte der Mächtige. „Aber was ich sehe, irritiert mich doch sehr.“ „Na ja.“, sagte Shimar. „Vielleicht müssen ja nicht alle Zivilisten und alle Sterblichen von uns bemuttert werden.“ „Na schön.“, sagte der Mächtige Irritiert. „Dann werde ich das wohl erst mal als Erklärung akzeptieren müssen.“

Carolines Schiff hatte den hinteren Rand des Kometen passiert. Kaum war das Heck auch unter ihm hindurchgeglitten, riss sie das Schiff nach oben, so dass es unvermittelt auftauchte. Jedenfalls unvermittelt genug für Tolea, die verwirrt und erschrocken ihre Manöver unterbrach. Dann schoss Caroline dreimal mit dem Phaser ins Leere. Hein, der das als Signal erkannte, schloss den Ring um Tolea, was Cenda schlussendlich eine stabile Transportererfassung ermöglichte. Sofort beamte sie Tolea in den Frachtraum. Dann aktivierte sie die Sprechanlage: „Brücke, wir haben Tolea!“ „Gute Arbeit, Techniker!“, kam es erleichtert von Time zurück. „Oh das war sicher nicht allein mein Verdienst.“, sagte Cenda bescheiden. „Das weiß ich.“, sagte Time. „Wie es aussieht, werden wir uns noch bei ein paar Leuten mehr bedanken müssen.“

Erst jetzt hatte Time auch Carolines Schiff wieder auf den Sensoren der Electronica und somit auch auf dem Bildschirm gesehen. „Also gut, Allrounder.“, sagte er. „Geben Sie mir alle, die an dieser Sache beteiligt waren. Ich denke, da ist ein dickes Dankeschön fällig.“ „Wie Sie wünschen, Commander.“, sagte Sensora und befahl dem Computer, alle Rufzeichen anzusprechen, die sich jetzt in unmittelbarer Nähe der Electronica befanden. Da sich unter diesen Rufzeichen auch das von Hein befand, waren Shimar, Kairon und Time zunächst etwas irritiert über das fremde Gesicht. Da der Fremde aber zivile Kleidung trug, war ihnen sehr schnell klar, dass es sich um einen von Carolines Leuten handeln musste.

Time nahm das Gespräch auf: „Miss Hansson.“, sagte er. „Sie haben uns da ja einen gehörigen Schrecken eingejagt. Wir hätten alle nicht gedacht, dass Sie das schaffen würden. Ach, würden Sie uns vielleicht bitte allen Ihren Partner vorstellen?“ „Das dachte ich mir schon, dass sie so etwas einer Zivilistin wohl kaum zugetraut hätten, Commander.“, sagte Hansson. „Aber am wenigsten hat wohl Tolea damit gerechnet und das ist alles was zählt. Und das hier ist übrigens Hein Schmitt. Ohne seine Hilfe hätten wir das bestimmt nicht hingekriegt.“ „Dann auch Ihnen vielen Dank, Mr. Schmitt.“, sagte Time. „Och, Commander.“, sagte Hein. „Warum denn so förmlich. „Nennen Sie mich Hein.“ „Also gut, Hein.“, sagte Time. „Aber was halten Sie und Ihre …“, er suchte nach dem richtigen Wort: „Anführerin davon, wenn wir uns alle in der Offiziersmesse meines Schiffes treffen und die Daten durchgehen, die wir haben. Das dürfte sicher einige Rätsel lösen.“ Alle nickten. „Also gut.“, sagte Time. „Dann wird Sensora Sie gleich alle einzeln an freie Andockplätze weisen und wir treffen uns dann. Ich hole alle persönlich ab. Cenda wird sich um die Schiffe kümmern, falls es da was zu reparieren gibt.“ Alle erklärten sich einverstanden und die Konferenzschaltung wurde beendet.

Kairon kam immer noch nicht darüber hinweg, dass Caroline offenbar keine Angst gezeigt hatte. „Wow.“, sagte er. Die Frau ist ganz schön mutig für eine Sterbliche. Ich freue mich schon darauf, sie gleich kennen zu lernen.“ „Das klingt ja, als wärst du verliebt!“, grinste Shimar ihn an, während er IDUSA an einen freien Andockplatz manövrierte, den Sensora ihm per Positionslicht zuwies. „Ich denke aber.“, sagte IDUSA. „Kairon wird nicht der einzige sein, der sich freut. Wenn sich Techniker Cenda persönlich um mich kümmern wird, dann wird das für mich wie Wellness pur sein.“ „Ganz deiner Meinung.“, grinste Shimar und deaktivierte ihren Antrieb, nachdem sie festgemacht hatten. Dann wandte er sich Kairon zu: „Komm mit, du verliebter Kater!“ Kairon gab ein leises: „Miau.“, von sich und folgte seinem Freund grinsend.

Kapitel 35: Alarmierende Analysen

von Visitor

 

Yetron hatte sich in der Zwischenzeit mit den Daten beschäftigt, die ihm von IDUSA zugespielt worden waren. Da das tindaranische Schiff den Befehl ihres Piloten allerdings sehr wörtlich genommen hatte, hatte sie ihn auch laufend über die Dinge informiert, die Shimar und Kairon getan hatten. Der Demetaner hatte daraus geschlossen, dass beide wohl jetzt sehr erschöpft sein mussten und nicht in der Lage sein würden, Tolea bei ihrer Rückverwandlung zu helfen. Dass Tolea zwischenzeitlich auch in der Gestalt eines Kometen an Bord der Electronica war, hatte Sensora auch dem Ersten Offizier gemeldet.

Yetrons Gesicht bekam immer mehr Sorgenfalten, je mehr er sich mit den Daten beschäftigte. Er gelangte immer mehr zu der Ansicht, dass es nicht gut war, würden Zivilisten zu viele Informationen über das wahre Ausmaß der Situation bekommen. Er dachte da vor allem an Caroline. Dass sie noch einen Begleiter hatte, der ebenfalls nicht allzu genau Bescheid wissen durfte, wusste er nicht.

Yetron hatte das Pad, in dem er die Daten gespeichert hatte, irgendwann beiseite gelegt. Dann hatte er sein Handsprechgerät aus der Tasche gezogen und das Rufzeichen des Gerätes seines Vorgesetzten eingegeben. Der hatte sich dann auch gleich gemeldet: „Was gibt es, Agent?“ „Ich muss Ihnen etwas Betrübliches mitteilen, Commander.“, sagte der Demetaner. „Angesichts der Tatsachen halte ich es aber für besser, wenn gewisse Zivilistinnen in die Situation nicht allzu sehr involviert werden, Sie verstehen?“ „Hängt Ihre Vorsicht etwa mit den Daten zusammen, über denen Sie gerade brüten?“, wollte Time wissen. „Positiv, Commander.“, sagte Yetron. „Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn das Ergebnis unter uns bliebe. Wir müssen die Präsidentin informieren. Daran besteht kein Zweifel und ich denke dass auch unser junger tindaranischer Freund, sowie Mr. Kairon alles wissen dürfen. Nur …“ „Verstehe.“, sagte Time. „Sie meinen, dass wir Miss Hansson und ihre Begleitung besser erst einmal außen vor lassen sollten, bevor die was in den falschen Hals kriegen. Eine Massenpanik ist sicher das Letzte, das wir jetzt gebrauchen können. Aber wie lösen wir das?“ „Ich würde sagen, wir bitten unseren Warrior dazu. Nachdem sich alle bei allen überschwänglich bedankt haben, könnte sie den Zivilisten ganz unverblümt und harmlos eine Schiffsführung anbieten. Ihre Dienste als Waffenoffizierin werden ja, dem Himmel sei Dank, im Augenblick nicht benötigt. Also hat sie Zeit und keiner wird argwöhnisch werden, da es ja sogar für Zivilisten logisch sein dürfte, dass die Situation jetzt viel zu friedlich für Waffengewalt ist.“, führte der Demetaner listig grinsend aus. „Oh, Yetron!“, sagte Time mit viel Erleichterung in der Stimme. „Wenn ich Sie nicht hätte und die dicken Kartoffeln!“ „Das Angebot an Sättigungsbeilagen wäre zweifelsfrei recht eintönig.“, scherzte Yetron. „Wie machen Sie das nur, Agent?“, fragte Time. „Wir stehen vor einem Problem, dann macht es laut Yetron und Sie haben eine Lösung! Wie geht das? Können Sie mir das nicht beibringen?“ „Gewisse Talente hat eben ein jedes Wesen, Commander.“, sagte Yetron bescheiden. „Ich werde den Warrior informieren und ihr sagen, dass sie ihre Galauniform entknittern soll.“ Er lächelte bei seinem letzten Satz freundlich ins Mikrofon.

Die Türen, die den Hauptgang, in dem Time wartete, von den Schleusen trennten, öffneten sich. „Ich denke, ich muss schlussmachen, Agent.“, sagte er. „Wir finden später sicher noch ein stilles Eckchen, in dem Sie mir alles auseinandersetzen können.“ „In Ordnung, Sir.“, sagte Yetron und beendete die Verbindung.

Time steckte sein Sprechgerät wieder ein, setzte ein freundliches Gesicht auf und drehte sich in die Richtung, aus der die Gäste jetzt auf sein Schiff kamen. „Ladies und Gentlemen.“, sagte er. „Ich bin Commander Peter Time. Willkommen an Bord der USS Electronica. Wir haben eine Menge zu besprechen. Bitte folgen Sie mir.“ Damit ging er allen voran in Richtung des nächsten Turbolifts.

Shimar war aufgefallen, dass Kairon die gesamte Zeit über die Augen nicht von Caroline gelassen hatte, die rechts neben Hein genau vor ihnen ging. „Starr sie bitte nicht so an.“, flüsterte er dem Mächtigen zu. „Das sieht ja aus, als wärst du ehrlich in sie …“ Kairon nickte verstohlen. „Ach du Sch…!“, sagte Shimar. „Und ich hatte meine kleine Spitze vorhin eigentlich eher als Scherz gemeint. Ich hoffe, ich muss dir nicht erklären, was da für Komplikationen auf dich zukommen können.“ „Na ja.“, sagte Kairon. „Ein anderer unserer Mitbürger hat da aber auch schon Erfolg gehabt.“ „Du denkst doch nicht etwa an Q und Jenny Q.“, sagte der tindaranische Patrouillenflieger. „Doch.“, sagte Kairon. „Genau an die Beiden habe ich gedacht.“

Shimar atmete tief durch. Dann bat er Kairon neben sich in eine Nische, an der sie zufällig vorbeigekommen waren: „Bitte lass uns hier mal unter vier Augen reden!“ Dabei hatte er ein sehr energisches Gesicht aufgesetzt. „Jetzt hör mir mal zu!“, sagte Shimar. „Du magst zwar der Vorsitzende eures hohen Rates sein, aber es dürfte so sicher wie das Amen in der Kirche sein, dass selbst du für so etwas nicht noch einmal die Mehrheit kriegen würdest!“ „Warum nicht.“, argumentierte Kairon. „Die Meinung unserer Leute zum Umgang mit euch Sterblichen hat sich, vielleicht auch durch das zutun von mir und meiner Schwester, sehr zum Positiven gewandelt.“ „Na.“, sagte Shimar mit einer fast streng anmutenden Falte über dem rechten Auge, die sich langsam zu bilden begann, je mehr er über die Situation nachdachte. „Das war ja bestimmt nicht nur dein Verdienst! Jenny und ihr Mann haben ja schon viel früher angefangen, zu einem guten Verhältnis zwischen uns und euch beizutragen, auch wenn sie ihn dahingehend erst einmal erziehen musste! Aber ich weiß schon, warum du dich hier als großer Held hervortun willst. Ich denke aber ernsthaft, dass du dir das aus dem Kopf schlagen kannst, weil …“

Er musste ernsthaft überlegen. Ihm war gerade klargeworden, dass die Liebe ja keine Logik kannte und er mit Argumenten sicher wenig ausrichten konnte. „Weil was, he?!“, verhörte Kairon ihn jetzt.

Hilflos hatte sich Shimar im Korridor umgesehen. Derweil war sein Blick auf das Grüppchen um Time gefallen, das jetzt auch stehengeblieben war. Dabei hatte er gesehen, wie Hein vorsichtig einen Arm um Caroline gelegt hatte. Sie hatte dies nur lächelnd quittiert. „Weil sie schon jemanden hat!“, sagte er schließlich.

Kairon sah sich Hein von oben bis unten an. Dabei fiel ihm seine für einen solchen Anlass sicher recht ungehobelt scheinende Kleidung auf und er dachte sich: Was will sie mit dem?!

Time hatte gesehen, dass die Beiden zurückgeblieben waren. Er drehte sich um und fragte in Shimars Richtung: „Darf ich wissen, wo das Problem liegt, Gentlemen?“ „Es ist nichts, Commander.“, sagte Shimar, um Kairon nicht zu verpetzen. Bei nächster Gelegenheit aber würde er einen Weg finden müssen, mit dem sehr lebenserfahrenen, weil älteren, Kommandanten über die Situation reden zu können, denn er befürchtete, dass das Verhalten Kairons eventuell zu einem Krieg zwischen Mächtigen und Sterblichen führen könnte, wenn er sich nicht wieder in den Griff bekam. Vielleicht waren seine Befürchtungen ja auch total unbegründet, aber die Geschichte hatte gezeigt, dass wegen der Liebe auch schon sehr verlustreiche Kriege geführt worden waren und angesichts der im Moment herrschenden Situation war so etwas das Letzte, das man jetzt gebrauchen konnte!

„Wenn nichts ist.“, sagte Time. „Dann können wir ja weitergehen, oder?“ „Ich denke schon, Commander.“, sagte Shimar. „Kairon war nur etwas erschöpft und benötigte eine kleine Pause. Aber ich denke, jetzt geht es schon wieder.“ „Na dann los!“, sagte Time. Dann setzten sie ihren Weg fort.

Von Komplikationen ganz anderer Art hatte im gleichen Moment auch Cenda erfahren. Durch den Sucher des Transporters hatte sie lange Zeit Tolea beobachtet, die noch immer als Komet im Frachtraum lag und keine Anstalten machte, sich wieder in ihre eigentliche Gestalt zu verwandeln. Der Chefingenieurin hatte die Sache starke Sorge bereitet. Sie wusste schließlich, dass ein sehr großer Teil des Kometen aus reinem Eis bestand und dieser Teil lief jetzt Gefahr zu schmelzen, da sich die Temperatur im Frachtraum ja der des restlichen Schiffes angeglichen hatte und nicht mehr den hohen Minus-Temperaturen wie im Weltraum entsprach. Früher oder später musste dies zu Konsequenzen führen. Sie hoffte sehr, Tolea würde sich telepathisch in ihren Kopf loggen, als sie dachte: Tolea, verstehen Sie mich?! Sie müssen sich zurückverwandeln! Leider geschah nichts dergleichen.

Ihre einzige Idee war jetzt nur noch, Scientist Ketna zu verständigen. Vielleicht wusste ja die Ärztin eine Lösung. Sie betätigte also die Sprechanlage, die sie sofort mit der Krankenstation verband. Dann sagte sie: „Scientist, bitte treffen Sie mich vor Frachtraum Eins. Wir haben ein Problem!“ „In Ordnung, Techniker.“, sagte Ketna, die zwar noch nicht wusste, was sie erwarten würde, dennoch aber ziemlich neugierig war. Schließlich kam es recht selten vor, dass die Chefingenieurin sich mit der Ärztin vor einem Frachtraum traf, um Probleme zu wälzen. Wenn sie über die Geschichte nachdachte, dann war das eigentlich noch nie passiert, zumindest soweit sich Ketna selbst erinnern konnte.

Die Zeonide mit den langen gelben Haaren, die sie bei der Arbeit aus Gründen der Sauberkeit immer unter einem Netz trug, wandte sich ihrer Assistentin zu: „Solthea, Sie übernehmen hier!“ „Ja, Madam.“, sagte die Orkanierin und nickte schmissig. Ketna verließ den Raum.

Auch Cenda hatte ihren Arbeitsplatz ihrem Assistenten übergeben und war zum Frachtraum gegangen, wo sie und Ketna sich auch bald trafen. „OK, Techniker.“, sagte die Ärztin. „Was ist hier los?“

Statt zu antworten legte Cenda einen Finger auf den Sensor der Tür des Frachtraums, worauf sich diese langsam öffnete. Dann winkte sie Ketna, ihr zu folgen, was sie auch tat. Nun standen beide Frauen vor dem Kometen, der fast den gesamten Raum einnahm. Wenn Cenda ihn nicht genau in der Mitte materialisieren lassen hätte, wäre es sicher viel problematischer geworden. So aber konnten ihn sich beide von allen Seiten ansehen.

„Das ist also Tolea.“, sagte Ketna, nachdem sie einmal um den Kometen herumgegangen war. „Ja.“, sagte Cenda. „Das ist zumindest das, was jetzt im Moment noch von ihr übrig ist. Aber wenn sie sich nicht zurückverwandelt, dann sehe ich schwarz.“ „Dem kann ich mich nur anschließen.“, sagte Ketna. „Aber es ist schwer zu sagen, ob sie sich nicht zurückverwandeln will, oder es nicht kann. Ich meine, wenn ihr Ziel tatsächlich war, ihrem Leben ein Ende zu setzen, dann könnte sie dies immer noch erreichen, wenn der eisige Teil von ihr schmilzt und der Rest dann nur noch aus einer Reihe unzusammenhängender Felsen bestünde.“ „Na, das könnten Sie doch leicht herausfinden, Scientist.“, sagte Cenda. „Das stimmt allerdings.“, sagte Ketna und zog ihren Erfasser. Als sie das Gerät allerdings auf Tolea richtete, begann sein Alarm sofort zu schrillen. „Um Himmels willen!“, rief die Ärztin aus, die ihr Arbeitsgerät vor Schreck fast fallengelassen hatte. „Sie muss ihr telepathisches Zentrum total überfordert haben! Ihre neurale Energie ist sehr unregelmäßig! Wenn ihr niemand hilft, wird sie binnen zwei Stunden tot sein! Aber unter diesen Umständen kann ich ihr nicht helfen! Schließlich bin ich Ärztin und keine Geologin! Was ist mit dem Transporter, Techniker? Könnte man den nicht benutzen? Ich meine, eine Probe ihrer intakten DNS hätten wir!“ „Tut mir leid, Ketna.“, sagte die Ingenieurin. Aber wenn sich etwas im Puffer befindet, wird es erst einmal zu einer Menge Daten. Dieser Komet würde so eine große Menge produzieren, dass der Speicher dann schon voll wäre. Wir hätten keinen Platz mehr, um die verwandelten Daten unterzubringen, bevor die Materialisierung erfolgen kann! Außerdem wären die Prozessoren des Transportersystems dann auch total überfordert! Aber was ist mit dem Tindaraner und Kairon? Könnten die nicht?!“ „Die Beiden dürften zu erschöpft sein.“, sagte Ketna und deutete auf das Display ihres Erfassers. „Dieses Muster weist darauf hin, dass sich Tolea mit ihnen einen Kampf geliefert hat.“ „Verdammt!“, fluchte Cenda. „Dann bleibt uns ja nur noch eine Möglichkeit.“ „Genau.“, sagte Ketna. „Obwohl ich diese angesichts der Umstände nur sehr ungern einsetzen würde.“ „Ich auch.“, sagte Cenda. „Mir wird auch mulmig bei dem Gedanken an die R-Lösung.“ „Sie meinen R wie Rosannium, Techniker, nicht wahr?!“, vergewisserte sich Ketna. Cenda nickte nur mit blassem Gesicht. „Na gut.“, sagte Ketna. „Ich wollte nur sicher gehen, dass wir beide das Gleiche meinen.“

Die Celsianerin nahm ihr Sprechgerät aus der Tasche und gab das Rufzeichen ihres Arbeitsplatzes ein. Dann sagte sie: „Switcher, leiten Sie das Strahlungsprotokoll für Frachtraum eins ein und leiten Sie dann Rosannium in die Atmosphäre. Am besten …“, sie sah Ketna fragend an. „Lassen Sie ihn mit einem Milligramm pro Sekunde beginnen.“, sagte Ketna. „Mehr traue ich mich im Moment nicht.“ „OK.“, sagte Cenda. Dann nahm sie das Mikrofon wieder vor ihren Mund und sagte: „Beginnen Sie mit einem Milligramm pro Sekunde, Assistant! Schön vorsichtig, Mr. Switcher! Wir wollen Tolea schließlich helfen und sie nicht umbringen. Und halten Sie auf jeden Fall diese Verbindung!“ „Aye, Techniker.“, sagte der Androide. „Beginne Einleitung ab jetzt!“

Ketna und Cenda warteten ab, was jetzt geschehen würde. Da beide Nicht-Telepathinnen waren, machte ihnen das Rosannium nichts aus. So konnten sie in aller Ruhe zusehen, wie sich Tolea tatsächlich wieder in ihre ursprüngliche Gestalt verwandelte. „Es klappt!“, rief Cenda erleichtert aus. „Hatten Sie etwa etwas anderes erwartet?!“, fragte Ketna ebenfalls sehr erleichtert.

Bevor Cenda aber noch etwas erwidern konnte, tat Tolea einen tiefen Atemzug, der sie aber aufgrund des Rosanniums in der Atmosphäre sofort wieder bewusstlos werden ließ. „Switcher!“, schrie Cenda in ihr Sprechgerät. „Sofort die Atmosphäre hier wieder reinigen lassen!“ Dann sprintete sie zum nächsten Replikator und replizierte ein Überlebenspaket, dessen Maske sie Tolea sofort auf das Gesicht pflanzte. „Bravo, Techniker!“, sagte Ketna erleichtert. „Sie haben in meinem Erste-Hilfe-Kurs neulich ja wirklich gut aufgepasst!“ „Man tut, was man kann.“, sagte Cenda bescheiden. „Aber jetzt sollte Switcher Sie und Ihre Patientin dringend auf die Krankenstation beamen, damit es schneller geht.“ „OK.“, sagte Ketna. „Dann sagen Sie ihm mal Bescheid.“ Cenda nickte und tat, was ihr die Ärztin gerade aufgetragen hatte. Dann sah sie dem Vorgang noch zu, bevor sie selbst wieder an ihre Arbeit ging.

 

Kapitel 36: „Seifenblasen“

von Visitor

 

Der Anblick Toleas hatte Solthea einen mittleren Schrecken eingejagt, als Ketna und sie auf der Krankenstation erschienen. „Du meine Güte!“, rief die ohnehin etwas zartbesaitete medizinische Assistentin aus. „Wie kann das sein?! Sie hat überall Wunden und sie sieht sehr schlecht aus!“ „Das soll doch wohl ein Scherz sein, Solthea!“ wies Ketna ihre Untergebene harsch zurecht. „Bitte erzählen Sie mir nicht, dass Sie angesichts dieser Umstände tatsächlich erwartet haben, eine strahlenschöne und gesunde Mächtige hier vorzufinden. Sie hatte sich in einen Kometen verwandelt, der beschossen wurde und das Rosannium hat mit Sicherheit auch seinen Teil dazu beigetragen. Ich überlege allerdings sogar, sie in ein künstliches Koma zu versetzen, da Schmerz für sie eine völlig neue Erfahrung sein dürfte, mit der ihre Seele angesichts der Situation vielleicht nicht zurechtkommt. Aber wir sollten sie auch mit dem Hautregenerator behandeln. Zumindest die Wunden, die nur oberflächlich sind. Ich muss sie genauer untersuchen um sagen zu können, ob ich sie nicht vielleicht sogar operieren muss. Reichen Sie mir einen Erfasser, Assistant!“

Solthea nickte und ging zu einem der Regale, in denen die Geräte, die zur Untersuchung und Behandlung von Patienten benötigt wurden und keinen festen Stand hatten, aufbewahrt wurden. Bald kam sie von dort mit dem von ihrer Vorgesetzten Gewünschten zurück. „Bitte, Madam.“, sagte sie. „Danke, Assistant.“, sagte Ketna förmlich und ließ das Gerät über ihrer Patientin kreisen. Dabei beobachtete sie das Display genau.

Wenig später ließ sie das Gerät erleichtert sinken. „Operieren müssen wir nicht, Solthea.“, sagte sie. „Aber die Sache mit dem künstlichen Koma ist noch nicht vom Tisch.“ „Ihre Wunden sind teilweise sehr tief und ich möchte auch erst einmal das Rosannium aus ihrem Körper spülen. Dann werden wir sie einer Feldtherapie unterziehen, die den Zellen ihres telepathischen Zentrums dabei hilft, sich daran zu erinnern, welche Aufgabe sie haben. Leiten Sie alles in die Wege, Assistant. Ich informiere den Commander.“ Solthea nickte und machte sich daran, ein Biobett für Tolea vorzubereiten. Der Behandlungstisch, auf dem sie bis jetzt gelegen hatte, war ja schließlich keine dauerhafte Lösung.

Ketna hatte ihr Sprechgerät gezogen und das Rufzeichen von Commander Time eingegeben. Dieser hatte sich bereits in der Offiziersmesse befunden, wo auch alle anderen inzwischen eingetroffen waren.

In einer stillen Ecke, in die er sich zurückgezogen hatte, nahm Time das Gespräch an: „Ja, Scientist!“ „Wir haben Tolea zurückverwandeln können.“, sagte die Ärztin. „Das ist die gute Nachricht, Sir. Die Schlechte ist allerdings, dass es ihr sehr schlecht geht. Sie ist sehr schwer verletzt. Ich werde sie wohl in ein künstliches Koma versetzen müssen, damit sie die Schmerzen nicht spürt. Ich werde umfangreiche Behandlungen vornehmen müssen. Wir können nicht erwarten, dass sie sich selbst heilt, Commander. Ihr telepathisches Zentrum ist stark geschädigt. Ihre geistigen Fähigkeiten tendieren gen null.“ „Warten Sie mal bitte, Ketna.“, sagte Time ruhig. „Jetzt mal eins nach dem anderen. Warum ist es so weit gekommen?“ „Wir glauben.“, sagte Ketna. „Dass da mehrere Faktoren zusammengespielt haben. Ihre Psyche ist nicht ganz gesund im Moment. Oder wie würden sie das nennen, wenn jemand die Absicht zum Suizid hat?“ „Da stimme ich Ihnen durchaus zu, Scientist.“, sagte Time. „Aber was ist mit dem Rest?“ „Bitte vergessen Sie nicht, Sir.“, sagte Ketna. „Dass sie sich in einen Kometen verwandelt hatte, der beschossen wurde. Ihre Wunden sind jetzt nichts anderes als ein Spiegel dessen. Dazu kommt noch der mentale Kampf, den sie sich offensichtlich mit Shimar und ihrem Bruder geliefert hat. Die Bilder meines Erfassers sprechen Bände. Wir mussten außerdem Rosannium benutzen, um sie wieder in ihre menschliche Gestalt zu bringen. Ich weiß, dass das angesichts ihres ohnehin schon desolaten Zustands sehr gefährlich war. Aber uns blieb leider keine Wahl!“ „Schon gut, Scientist.“, sagte Time wieder sehr ruhig. „Ich denke, dass sich Tolea bei Ihnen in den besten Händen befinden dürfte und dass Sie schon wissen, was Sie tun. Ich werde Ihnen da nicht reinreden. Die Medizin ist schließlich Ihr Fachgebiet. Sie würden ja schließlich auch nicht auf die Brücke stolziert kommen und mir in meine Kommandoentscheidungen reinreden.“ „Sicher nicht.“, sagte die Zeonide. „Aber jetzt muss ich an die Arbeit. Meine Patientin braucht mich.“ „Schon gut, Ketna.“, sagte Time und beendete die Verbindung.

Leider hatte der Terraner nicht bemerkt, dass er die gesamte Zeit über sein Sprechgerät auf Lautsprecher geschaltet hatte. Der Ton war zwar sehr leise, aber Kairon hatte genau neben ihm gestanden. „Bitte sagen Sie mir, dass ich da eben etwas falsch verstanden habe, Commander Time!“, flehte er Peter an. „Dann müsste ich lügen, Kairon.“, sagte Time, dem erst jetzt sein Fehler aufgefallen war. „Und das täte ich in so einer Situation höchst ungern. Diplomatisch betrachtet wäre das auch sicher ein Fehler. Aber meine Ärztin wird alles tun, um Ihre Schwester zu retten! Darauf können Sie sich verlassen!“ „Ich hoffe, dass Sie Recht behalten werden, Commander.“, sagte der Mächtige und sah ihn sorgenvoll an.

Solthea und ihre Vorgesetzte hatten wenige Stunden später die schlimmsten Verletzungen Toleas behandelt. „Das wär’s.“, sagte die Zeonide erleichtert. „Für die Feldtherapie sollte sie wach sein. Leiten Sie das künstliche Koma wieder aus, Assistant! Dann gehen Sie ganz diskret in die Offiziersmesse und holen ihrem Bruder. Ich möchte, dass sein Gesicht das erste ist, das Tolea beim Aufwachen sieht!“ „Aye, Scientist.“, nickte die medizinische Assistentin und begann damit, die Befehle ihrer Vorgesetzten auszuführen.

Kairon hatte sich noch immer nicht aus Times Nähe begeben. „Was hat Ihr Scientist damit gemeint, dass sie Rosannium benutzt hat?“, fragte er. „Das kann sie Ihnen sicher selbst viel besser erklären als ich.“, vertröstete Time ihn. Er war sichtlich nervös, denn langsam wusste er nicht mehr, wie er den immer aufgeregter werdenden Kairon noch beruhigen sollte.

Er wurde plötzlich Soltheas Gesicht ansichtig, das sich hinter einer Säule hervorschob. „Medical Assistant, bitte sagen Sie mir, dass Sie gute Nachrichten haben.“, sagte Time. „Die hätte ich vielleicht tatsächlich.“, sagte die Orkanierin. „Aber wohl hauptsächlich für Kairon.“

Sie wandte sich dem Mächtigen in Times Begleitung zu: „Mr. Kairon, Ihre Schwester ist dabei zu erwachen. Meine Vorgesetzte findet es gut, wenn sie Sie sehen würde.“ „Ich komme!“, sagte Kairon und reihte sich hinter Solthea ein, die ihn aus der Offiziersmesse führte.

Mit einer gerade eigenhändig replizierten Erfrischung in der Hand hatte sich Shimar an einen Tisch gesetzt. Er hatte die Augen nicht von Time gelassen, hatte aber bei der Wahl seiner Position sorgfältig darauf geachtet, dass Time nicht sehen konnte, dass er von dem jungen Tindaraner beobachtet wurde. Shimar tat zwar, als würde Time ihn nicht sonderlich interessieren, aber im Inneren sehnte er doch den Moment Herbei, in dem der Kommandant endlich seine Festrede halten und dann hoffentlich die Zivilisten wegschicken würde. Shimar konnte sich, als ausgebildeter Soldat der tindaranischen Streitkräfte, sehr wohl denken, dass es Dinge gab, die Ms. Hansson und ihre Begleitung nichts angingen, die aber zwischen ihm, Kairon und den Sternenflottenoffizieren dringend besprochen werden mussten. Die kleine Komplikation mit Kairons offensichtlicher Schwärmerei für Caroline, denn mehr war es in Shimars Augen auch nicht, würde er mit Times Hilfe schon allein in den Griff bekommen. Das stellte kein wirkliches Problem dar. Er wollte mur sichergehen, dass er die Situation richtig interpretiert hatte. Er war Solthea sehr dankbar, dass sie Kairon mitgenommen hatte, denn so hatte sich für ihn eine günstige Gelegenheit ergeben. Wenn nur Time endlich den Teil des Plans erfüllen würde, den er ihm zugedacht hatte! Dass es zweifelsfrei dazu kommen würde, hatte sich Shimar bereits gedacht, als er Shorna ansichtig geworden war, die in Galauniform neben Time saß. Es machte für ihn durchaus Sinn, sie zur Unterhaltung der Zivilisten abzustellen, denn sie hatte ja im Augenblick sonst nichts zu tun. Auch ließ sich ihre Anwesenheit nur so erklären. Das war ein Umstand, der Shimar sehr erfreute.

Time hatte mit seinem Löffel an sein Glas geklopft. Schlagartig waren alle, die bisher in die eine oder andere Unterhaltung vertieft waren, verstummt. Dann war der ältere Amerikaner aufgestanden, hatte sich geräuspert und dann zu einer Rede angesetzt: „Ladies und Gentlemen, Ich freue mich sehr, dass wir diese Situation doch noch zu einem glücklichen Abschluss bringen konnten! Ohne Ihrer aller tatkräftige Mithilfe wäre uns das sicher nicht gelungen! Ich will den Tag nicht vor dem Abend loben! Mir ist auch bekannt, dass Tolea noch lange nicht außer Gefahr ist, aber in den Händen meiner Ärztin ist sie sehr gut aufgehoben! Dessen können Sie alle gewiss sein! Aber das, was es ihr am Ende vielleicht sehr erleichtern könnte, Tolea das Leben doch noch zu retten, ist auch das besonnene Handeln unseres jungen Freundes Shimar von den Tindaranischen Streitkräften, Toleas Bruder Kairons und auch das von Ms. Caroline Hansson und Mr. Hein Schmitt, zwei Zivilisten, die ebenfalls einen kühlen Kopf bewahrt haben, was uns alle sehr positiv überrascht hat. Um sich speziell bei den zuletzt Genannten zu bedanken, da so etwas ja nicht selbstverständlich ist, hat sich meine Waffenoffizierin bereiterklärt, Sie zu einer Schiffsführung zu begleiten. Gleich nach dieser Rede könnte es losgehen, wenn Sie beide möchten!“ Jetzt aber möchte ich doch mit Ihnen allen zunächst mein Glas auf das glückliche Ende dieser Mission erheben!“

Er prostete allen zu und alle erwiderten den Trinkspruch mehr oder minder im Chor: „Auf den glücklichen Ausgang der Mission.“ Hein fügte sogar noch bei: „Prost! Wer nix hett, der host!“ Ein Satz, der Shimar Kopfzerbrechen bereitete. Da er sich aber denken konnte, dass Hein aus meinem Heimatgebiet auf der Erde kommen müsste, würde er mir das bei Gelegenheit vorsprechen, wenn es ihm denn möglich wäre, ohne dass er sich die Zunge bräche und mich dann nach der genauen Bedeutung fragen. Sicher würde ihm auch IDUSA dies übersetzen können, aber meine Übersetzung würde ihm zweifelsfrei wohl besser gefallen. Sie wäre sicher um ein Vielfaches Wärmer und herzlicher ausgefallen. Bei dem Gedanken daran schaute er verträumt in die Runde und grinste.

Shorna hatte ihr Glas geleert und war dann zu Caroline und Hein gegangen, um sie auffordernd anzusehen. Beide hatten genickt, waren von den etwas wuchtig und antik wirkenden Stühlen aufgestanden und ihr aus dem Raum gefolgt.

Shimar hatte noch abgewartet, bis sie um die Ecke verschwunden waren. Dann hatte er ein letztes Mal an seinem Strohhalm gezogen, als wollte er sich Mut antrinken. Da sein Glas ohnehin schon halb leer war, gab dies ein ziemlich lautes Geräusch. „Verdammt!“, flüsterte er an sich selbst gerichtet. „Wie peinlich war das denn?!“

Dann stand er auf und ging langsam auf Time zu, um dann salutierend vor ihm stehen zu bleiben. „Commander!“, sagte er schmissig. „Bitte um Erlaubnis, Sie unter vier Augen zu sprechen!“ „Erlaubnis gewährt, mein Junge.“, sagte Time ruhig und stand ebenfalls von seinem Platz auf. Dann winkte er Shimar, der ihn hinter eine Säule begleitete. „So.“, sagte Time. „Und nun mal raus damit! Heute sind alle irgendwie so förmlich. Aber du und ich, wir haben doch eigentlich kein Problem mit der Befehlskette. Du bist kein Offizier der Sternenflotte und ich kein tindaranischer Kommandant. Ich hätte dir also gar nichts zu sagen, zumindest rein theoretisch. Also, Shimar, was schlägt dir so auf den Magen?“ „Ich bin nicht sicher, Commander.“, sagte Shimar und machte ein sorgenvolles Gesicht. „Aber ich befürchte, dass es zu einem Krieg zwischen dem Raum-Zeit-Kontinuum und dem Universum der Föderation kommen könnte, wenn wir nicht aufpassen!“ „So, so, befürchtest du das.“, sagte Time immer noch sehr ruhig. „Und wie kommst du darauf?“ „Kairon scheint sich in Caroline Hansson verliebt zu haben.“, sagte Shimar. „Aber da ist offensichtlich noch Hein und … na ja. Wegen der Liebe sind auf Ihrem Heimatplaneten schon sehr verlustreiche Kriege geführt worden. Ich denke da zum Beispiel an Troja und …“

Times Mundwinkel zogen sich langsam auseinander, bis ein beruhigendes Lächeln zustande gekommen war. Dann sagte der ältere Amerikaner ruhig, während er Shimar von oben bis unten ansah: „Na, nun lass mal die Kirche im Dorf, mein Junge. Erstens war Troja eine Sage und zweitens sind weder Hein noch Kairon zwei Könige mit uneingeschränkter Macht, die einfach so einen Krieg anzetteln können. Frag doch einfach mal Allrounder Scott. Sie kann dir sicher ’ne Menge zu Troja erklären bei ihrem Bildungsstand und ich erkläre dir jetzt, dass das von Kairon wohl nur eine Schwärmerei ist, weil sich Caroline so mutig gezeigt hat und er damit nicht gerechnet hat. Er weiß um seine Verantwortung als Mächtiger und was das mit sich bringen würde, wenn er was mit einer Sterblichen hätte und ihm das auch noch ernst wäre. Sicher, die Liebe kennt keine Argumente, aber ich denke, dass ihn ein Besuch bei seiner kranken Schwester auf der Krankenstation schon wieder abkühlen wird. Dazu ist Kairon viel zu vernünftig. Lass dir das von einem alten lebenserfahrenen Mann ruhig sagen. Aber ich finde interessant, dass du dir in deinem Alter schon solche weitreichenden Gedanken machst. Aber ihr Tindaraner seid wohl so. Erstaunlich! Kaum dem Kadettendasein entwachsen und schon ein kleiner Philosoph! Ich kann nachvollziehen, warum sich Allrounder Scott für dich entschieden hat und du dich für sie. Ihr beide, also du und sie, ihr habt ähnliche Antennen für ähnliche Dinge. Ihr seid doch noch ein Paar, nicht wahr?“ „Ja, Sir.“, sagte Shimar förmlich. „Aber um noch mal auf Troja zurückzukommen, Commander, ein Körnchen Wahrheit steckt doch in jeder Sage, nicht wahr?“ „Mag sein.“, tröstete Time. „Aber ein Krieg ist beileibe nicht der romantisch verklärte Heldenkampf, als der er in der Ilias dargestellt wird und das wissen alle Beteiligten. Es wird nichts passieren! Glaub mir das! Und das Letzte war ein Befehl! Wenn du mich schon mit Sir ansprichst! So, und jetzt geh dich etwas verlustieren und häng nicht mehr diesen trüben Gedanken nach!“ „Ich werde mich bemühen, Sir!“, sagte Shimar fast automatisiert, machte auf dem Absatz kehrt und ging zu seinem Platz zurück.

Wie Recht Time mit seiner Vermutung hatte, zeichnete sich zur gleichen Zeit auf der Krankenstation ab. Hier war Kairon gerade seiner Schwester ansichtig geworden. Ihr Anblick hatte ihn mit einem Schlag ernüchtert. Keinen Gedanken verschwendete er mehr an Caroline.

Solthea schob ihm einen Schemel an das Biobett, auf den er sich setzte. Dann sah er lange in Toleas Gesicht, auf dem sich jetzt langsam etwas tat. Ihre Augen begannen zu blinzeln und ihr Mund bewegte sich, als wollte sie ihm etwas sagen. Er aber beugte sich nur über sie und gab einen beruhigenden Laut von sich. „Kairon.“, erkannte sie ihn. „Wo bin ich?“ „Du bist auf der Electronica.“, antwortete der Mächtige. „Du hast uns einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Was hat dich in Teufelsnamen dazu gebracht, dich umbringen zu wollen?!“ Bei seinem letzten Satz sah er sie streng an. „Ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht, Bruder!“, rief Tolea verzweifelt aus. „Der arme Diran! Er ist zum Verräter geworden, nur weil ich mich falsch ausgedrückt habe!“ „Was meinst du genau damit?“, fragte Kairon nach. Da sie sich immer geistig vor ihm abgeschirmt hatte, hatte er erst gar nicht versucht, es auf telepathische Weise herauszubekommen. „Ich hatte eine Vision vom Ende der Welten!“, sagte Tolea betroffen. „Dann habe ich Diran unter den Bann gestellt. Er sollte allen, die von seiner Art sind, sagen, was geschehen wird und was wir planen.“

Kairon schlug die Hände vor das Gesicht. „Hast du gerade gesagt allen, die von seiner Art wären?!“, fragte er mit viel Empörung in der Stimme. „Das habe ich.“, sagte Tolea schwach. „Ich gebe es ja offen zu. Oh, Kairon! Ich bin so verzweifelt!“

Er hatte sich von ihr fortgedreht. Sie sollte jene Wut nicht sehen, die langsam in ihm hochkroch und von ihm Besitz ergriff. Jene Wut auf sie und ihr Vorhaben. Er wusste genau, dass ihr Freitod nichts an der Situation ändern würde. Im Gegenteil. Er würde sie sogar noch verschlimmern. Sie war die Einzige, die den Bann über Diran verhängt hatte und war somit auch die Einzige, die ihn vermutlich aufheben könnte. Wenn es sie nicht mehr gab, dann mussten sicher andere Wege gefunden werden und die wären weitaus komplizierter. Das hätte sie doch auch wissen müssen! Warum war sie jetzt so egoistisch?! Warum hatte sie über diese Tatsachen nicht nachgedacht?! Sie behauptete doch immer, eine Freundin der Sterblichen zu sein und nicht zu wollen, dass ihnen ein Leid geschah. Aber wenn sie den Bann über Diran nicht aufheben würde, würde sie genau dieses Leid für ihn noch verlängern.

Kairon winkte Ketna heran, die er vorbeigehen sehen hatte. „Was ist mit ihrem telepathischen Zentrum, Scientist?“, fragte er. Dabei musste er sehr an sich halten und sich immer wieder sagen, dass Ketna ja an dem Ganzen keine Schuld trug, sondern eher die war, die sich jetzt bemühte, den Schaden wieder zu regulieren. „Wird es sich erholen?“ „Das kann ich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich noch nicht wirklich sagen, Kairon.“, sagte Ketna. „Das Ganze ist eine Situation, in der sich die Katze in den Schwanz beißt. Schauen Sie: Um sich allein zu heilen, bräuchte sie intakte Kräfte. Die hat sie jetzt aber nicht, da ihr telepathisches Zentrum geschädigt ist. Ich werde natürlich alles tun, das in meiner bescheidenen Macht steht, um ihr zu helfen, aber ich weiß nicht, ob das bei dem Grad der Schädigung ausreichen wird.“

Sie wandte sich kurz ab und Solthea zu, die etwas aus einem Schrank holte. Dann bat sie Kairon zu sich in ihr Sprechzimmer, das sich an das Krankenzimmer anschloss. Nur eine Tür trennte die Räume. Es war mit den üblichen Gegenständen eines Sprechzimmers auf einem Raumschiff der Sternenflotte eingerichtet. An der Wand, die der Tür direkt gegenüberlag, stand Ketnas Schreibtisch, der aus weißem repliziertem Buchenholz bestand. Davor befanden sich zwei im gleichen Farbton gehaltene Stühle. Einige kleine Figuren aus Glas auf dem Schreibtisch und ein bunter Wandteppich hellten die Atmosphäre im Raum optisch etwas auf, da er ansonsten mit seinen weißen Wänden doch sehr klinisch und steril wirkte.

Hier setzten sie und Kairon sich nun einander gegenüber an den Schreibtisch der Ärztin. „Was wollen Sie mir zeigen, Ketna?“, fragte der Mächtige. „Passen Sie auf.“, sagte der Scientist der Sternenflotte und stellte demonstrativ den Gegenstand auf den Tisch. Dabei handelte es sich um ein metallenes in seiner Farbe neutrales Gestell, auf dem das Modell eines telepathischen Zentrums aufgebaut war. Das Modell war schwenkbar, so dass es von allen Seiten betrachtet werden konnte.

Aus einer Schublade am Gestell zog Ketna jetzt zwei Hüllen hervor. Eine war rosa und die andere war schwarz. Die schwarze Hülle zog sie über das ansonsten in seiner Farbe neutral gehaltene Modell. Sie passte so genau und lag so eng an, das Kairon jetzt jede kleine Ader und jede Kammer sehen konnte. Es war ihm aber immer noch nicht ganz klar, was sie von ihm wollte. „Was hat Ihr kleines Experiment zu bedeuten, Ketna?“, fragte er. „Ich versuche Ihnen zu verdeutlichen.“, antwortete die Zeonide. „Wie es im Augenblick um das Zentrum Ihrer Schwester bestellt ist. Sie wissen, dass nicht mehr durchblutetes Gewebe schwarz wird. Dies soll durch die schwarze Hülle dargestellt werden. Bei einem intakten Zentrum sehe das so aus.“

Sie zog an einer Schlaufe und die schwarze Hülle hob sich vom Modell ab. Dann wurde sie durch das rosane Exemplar ersetzt. „Das sieht schon viel gesünder aus.“, sagte Kairon. „Bedauerlicherweise.“, erwiderte Ketna. „Ist dies aber nicht der Zustand, in dem sich Tolea jetzt befindet, sondern eher das.“ Sie tauschte die Hüllen wieder aus.

Kairon fuhr ein Schreck durch die Glieder. „Sie sagten gerade.“, setzte er an. „Dass nicht mehr durchblutetes Gewebe schwarz wird. „Bedeutet das etwa, dass sie ihr Zentrum verlieren wird, weil es abstirbt?“ „Wenn wir nichts täten.“, sagte Ketna ruhig. „Dann würde es das tatsächlich bedeuten, Kairon. Aber so weit sind wir noch nicht. Es gibt eine sehr vielversprechende Feldtherapie, die auf die nicht mehr durchbluteten Zellen wie eine Stimulation von außen wirkt. Vielleicht wissen Sie, dass die Natur die Blutversorgung zu Geweben einstellt, die der Körper nicht mehr benötigt, weil sie zu stark verletzt sind.“ „Das weiß ich.“, sagte Kairon. „Alles andere wäre ja nicht gerade effizient und die Natur verschwendet keine Ressourcen.“ „Das ist korrekt.“, sagte Ketna. „Wenn wir aber die Zellen von außen stimulieren, suggerieren wir dem Körper, dass noch Leben in Ihnen ist. Wenn wir damit früh genug anfangen, dann besteht eine echte Chance, dass sich ihr Zentrum wieder erholt.“ „Es gibt aber vielleicht noch einen anderen Weg.“, sagte Kairon. „Ich glaube, ich kann mir denken, woran Sie denken.“, sagte Ketna. „Aber auf einem toten Pferd kann man nicht reiten. Ihre Energie würde jetzt durch Toleas Zentrum gleiten wie ein Messer durch geschmolzene Butter. Außerdem haben meine Assistentin und ich berechnet, dass Sie so viel Energie aufbringen müssten, dass es am Ende Ihr Zentrum wäre, das sterben würde. Dann würden Sie hier liegen und wenn Ihre Schwester dann wieder das Gleiche bei Ihnen versuchen würde, dann …“ „Ich verstehe.“, antwortete Kairon. „Es ist ein Teufelskreis. Bitte nehmen Sie mir das nicht übel, Ketna. Aber ich fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben so richtig hilflos!“

Die Zeonide holte tief Luft, sah ihn dann mild an und sagte: „Oh je, Kairon. Ihnen, als einem Mächtigen, muss das jetzt verdammt schwergefallen sein, dies über Ihre Lippen zu bringen.“ „So schlimm war das jetzt nicht mehr.“, sagte Kairon. „So langsam habe ich nämlich Übung darin. Es gibt einen gewissen tindaranischen Soldaten unter uns, der mich gewissermaßen schon gezwungen hat, das zu üben.“ „Sie meinen Shimar.“, sagte Ketna. Kairon nickte. „Na, ich bin neugierig, wie er das angestellt hat.“ „Ich werde es Ihnen bei Gelegenheit erzählen.“, sagte Kairon.

Er stand von seinem Stuhl auf. „Sie sagten.“, sagte er. „Dass Sie am liebsten keine Zeit mehr verlieren würden. Das bedeutet wohl, ich bin Ihnen im Moment im Weg. Bitte lassen Sie mich gehen, damit Sie mit der Behandlung meiner Schwester beginnen können.“ „Kein Problem.“, sagte Ketna, lächelte ihm noch einmal zu und zeigte dann stumm auf den Ausgang. Kairon nickte verständig und ging.

Kapitel 37: Rettung in letzter Minute!

von Visitor

 

Auf der Krankenstation von Zirells Basis hatte für Nidell gerade die Nachtschicht begonnen. Die junge Tindaranerin war gerade dabei, einige Akten auf den neuesten Stand zu bringen, als sich vor ihrem geistigen Auge über den Neurokoppler plötzlich das Gesicht des sehr erschrocken dreinschauenden Avatars des Stationsrechners zeigte. „Was ist los, IDUSA?“, fragte Nidell ebenfalls sehr alarmiert. „Es geht um Diran!“, sagte der Avatar schnell. „Er hat gerade ein Herzkammerflimmern erlitten!“ „Ich komme, IDUSA!“, sagte Nidell entschlossen, stand von ihrem Sitzkissen auf, zog ihren Neurokoppler ab und raste in das Krankenzimmer, in dem Diran lag. Die Büroarbeiten hatte sie in Ishans Sprechzimmer erledigen dürfen.

An ihrer neuen Wirkungsstätte angekommen schloss sie sofort wieder ihren Neurokoppler an einen Port in der Nähe des Biobettes an, um wieder mit IDUSA kommunizieren zu können. Der Rechner hatte dies registriert und ihre Reaktionstabelle umgeladen. Jetzt zeigte sie ihr auch einen medizinischen Monitor.

Sofort waren Nidell die Graphiken aufgefallen. Die versierte medizinische Assistentin wusste auch gleich, was sie bedeuteten. Diran war kurz vor dem Tod! Das war ihr klar. „Sie sehen ja, was los ist, Nidell.“, sagte IDUSA. „Ich benötige Ihre Erlaubnis, um den Schock auszulösen, der sein Herz wieder in den normalen Rhythmus bringt!“ „Die hast du, IDUSA!“, sagte Nidell fest. „Also gut.“, sagte der Rechner nüchtern. „Treten Sie bitte ca. zehn Schritte vom Biobett zurück, Nidell.“ „Das musst du mir nicht sagen, IDUSA!“, sagte die medizinische Assistentin, die jetzt zunehmend nervöser wurde. „Schließlich habe ich eine medizinische Ausbildung!“ „Meine Programmierung diktiert mir, die Personen, die mit mir zusammenarbeiten, über alle Eventualitäten zu informieren.“, sagte der Rechner. „Ausnahmen sind nicht vorgesehen, da auch ausgebildete Fachkräfte manchmal aus Nervosität Fehler begehen könnten. Würden Sie beispielsweise Ihre Hände am Patienten haben, während ich den Schock auslöse, würden Sie einen Schaden erleiden. Als Rechner dieser Station muss ich meine Crew vor Schaden bewahren und muss Sie daher informieren.“ „Schon klar.“, sagte Nidell und ging vorsichtshalber noch einen Schritt zurück. Sie wollte IDUSA von vorn herein verdeutlichen, dass sie die Situation im Griff hatte, auch wenn es aus Sicht des Rechners vielleicht nicht so aussah. IDUSA hatte ja auch Nidells medizinische Werte und wusste daher genau, wie nervös sie war, auch wenn die junge Tindaranerin dies nicht zugab.

Vor Nidells geistigem Auge wurde eine Skala mit Zahlen sichtbar, die sich von zehn abwärts Richtung null bewegten. Dann sah sie das Symbol eines Blitzes vor sich. Jetzt wusste Nidell, dass IDUSA den Schock ausgelöst hatte.

Auf dem Monitor vor Nidells geistigem Auge gab es keine Veränderung. „Darf ich die Leistung erhöhen, Nidell?“, fragte IDUSA. „Warte!“, befahl die medizinische Assistentin und ging zum Replikator, um eine Patrone mit einer Einheit Adrenalin zu replizieren. IDUSA, die dies durchaus bemerkt hatte, sagte darauf: „Wenn ich Sie nicht so gut kennen würde, Nidell und nicht wüsste, wie besonnen Sie sind, würde ich dies jetzt nicht ausführen, da die Entscheidung über die Gabe von Medikamenten eigentlich zunächst dem Urteil des leitenden medizinischen Offiziers obliegt. Sie, als Medical Assistant, haben diese Freiheit normalerweise nicht.“ „Ich weiß.“, sagte Nidell. „Aber dann verständige Ishan, IDUSA! Diran stirbt uns sonst unter den Händen!“ Der Avatar vor Nidells geistigem Auge nickte und dann führte IDUSA beide Befehle aus. Das kam für Nidell etwas überraschend. Die Erklärung des Rechners hatte offenbar nicht ausgereicht, um ihre Zweifel darüber zu beseitigen, dass sie das Adrenalin trotz IDUSAs Bedenken doch bekommen würde.

Mit der Patrone in der Hand ging Nidell hinüber zu einem Regal, auf dem einige Hyporen aufgereiht waren. Einen nahm sie herunter und steckte die Patrone auf. Dann ging sie damit zu Diran zurück und spritzte ihm das Medikament direkt ins Herz. Dass sie damit ein hohes Risiko einging, wusste Nidell. Aber sie wollte Diran auf keinen Fall verlieren!

Sie wandte sich IDUSA zu. „Schock ihn noch mal!“, befahl sie. „Aber mit der gleichen Stärke wie gerade! Ich will ihn ja nicht grillen und ich denke, das willst du auch nicht!“ „Das ist korrekt, Nidell.“, sagte der Rechner und führte Nidells Befehl aus. Tatsächlich begann Dirans Herz für wenige Sekunden im normalen Rhythmus zu schlagen. Dann aber verfiel es sofort wieder ins Flimmern. „Also gut, Diran.“, sagte Nidell. „Dann machen wir das eben anders!“

Sie atmete einmal tief durch und begann damit, sich auf Dirans Gesicht zu konzentrieren. Alsbald tauchte das Bild einer Felsenhöhle vor ihrem geistigen Auge auf. Ihre Wände bestanden aus Steinen, welche die Form von Buchstaben hatten. Hier konnte die junge Telepathin jetzt genau den Wortlaut des Banns ablesen. Sie, die sprachlich sehr versiert war, hatte auch sofort jenen Fehler gesehen, den Tolea gemacht hatte. Erschrocken wollte sie zunächst zurückweichen, aber dann gebot ihr ihr Pflichtbewusstsein doch, weiter nach Diran zu suchen, den sie auch bald in der Mitte der Höhle fand.

Der Vendar schien sehr froh, ihr endlich ansichtig zu werden. Jedenfalls konnte man das aus seinem Verhalten schließen. Nidell El Tindara!, dachte Diran. Ich bin so froh, dass du da bist! Bitte lass mich nicht mehr allein und vor allem lass nicht zu, dass ein Mächtiger aus dem Kontinuum noch einmal meinen Geist betritt! Bitte lass es nicht zu!

Nidell hatte genau jene Angst gespürt, die sich hinter diesem doch nicht sehr rationellen Wunsch Dirans verbarg. Sie und er wussten genau, dass, wenn es hart auf hart käme, sie allein sicher keine Chance hatte, Diran gegen Tolea oder einen anderen Mächtigen zu verteidigen. Sie wusste aber auch, wie verzweifelt der Vendar war. Dass in so einem Moment schon einmal die Angst mit einem durchgehen konnte, war ihr klar.

Sie visualisierte ihre ausgestreckte Hand. Dann dachte sie: Wir werden alles tun, was wir können, um dir zu helfen, Diran! Aber du darfst dich nicht abwenden und uns nicht verlassen, hörst du?! Du musst hierbleiben! Du musst durchhalten! Du darfst uns nicht verlassen! Wir werden einen Weg finden, um dir zu helfen. Darauf gebe ich dir meine Hand! Wenn du ebenfalls noch einen Funken Glauben daran hast, dann schlag ein!

Sie spürte seine Hand. „IDUSA, jetzt!“, befahl sie völlig außer Atem und angestrengt. „Sie müssen zuerst die telepathische Verbindung zu Diran lösen.“, sagte der Rechner. „Sonst könnte Ihnen der Energiestoß vielleicht auch schaden.“ „Das nehme ich in Kauf!“, sagte Nidell. „Was kann mir schon passieren, außer dass es ein bisschen wehtut! Na los, IDUSA!“ „Na gut.“, sagte IDUSA und löste den Schock aus. Tatsächlich verzog Nidell schmerzhaft das Gesicht und gab einen Schrei von sich. Von der Intensität, mit der dieses Ereignis selbst bei dem bewusstlosen Diran und somit auch bei ihr angekommen war, war sie offenbar überrascht worden.

„Es tut mir leid, Nidell.“, entschuldigte sich der Rechner und ihr Avatar vor Nidells geistigem Auge sah sie mitleidig an. „Ich wollte Ihnen nicht wehtun.“ „Schon gut, IDUSA.“, sagte Nidell mit blassem Gesicht. „Ich habe das wohl einfach unterschätzt. Was macht sein Herz?“ Sie deutete auf Diran. „Es schlägt wieder gleichmäßig.“, sagte der Rechner. „Sie haben das Martyrium gerade also nicht umsonst durchlitten. Ich habe Ishan alle Daten gegeben. Er war gerade live dabei. Die Tatsache, dass er Androide ist, verkürzt die Kommunikationswege zwischen ihm und mir doch sehr. Es kann sogar sein, dass er gleich Commander Zirell mitbringt. Ihnen aber rate ich, sich erst einmal zu setzen.“ „OK, IDUSA.“, sagte Nidell und zog sich eines der Sitzkissen näher an Dirans Bett, die im Krankenzimmer für Besucher an der gegenüberliegenden Wand standen. Dann setzte sie sich darauf und wartete auf die Dinge, die da kommen würden.

IDUSA hatte Ishan bereits in dem Moment über die Situation informiert, in dem Nidell das Medikament für Diran repliziert hatte. Der Androide hatte, sobald er ihr Rufzeichen im Display der Sprechanlage erkannt hatte, sofort sein Haftmodul aus der Tasche geholt und es angeschlossen. So konnte er sich viel direkter mit dem Rechner verständigen und wusste genau, was sich auf der Krankenstation zugetragen hatte. Parallel dazu hatte er mit Hilfe seines Sprechgerätes Zirell verständigt. Seine Stimme hatte er ja zur Kommunikation mit IDUSA nicht benötigt und außerdem war er multitaskingfähig. So hatten Zirell und er sich jetzt vor der Tür des Arbeitsbereiches des Mediziners getroffen. Der kurze Abriss der Situation, den der Arzt seinem Commander gegeben hatte, hatte Zirell sehr neugierig werden lassen.

„Ich bin gespannt, was deine Assistentin jetzt wieder angestellt hat.“, sagte Zirell und grinste ihn an. Sie wollte sichergehen, dass ihm klar war, dass ihr Satz nicht ganz ernstgemeint war. „Oh ich denke, Nidell wird gute Gründe für ihr Handeln haben.“, sagte Ishan. „Sie ist sehr pflichtbewusst und sehr verantwortungsvoll und würde sicher nichts tun, das unseren Patienten gefährden würde.“ „Und warum hat IDUSA dich dann aus dem Bett geklingelt?“, fragte Zirell flapsig. „Ich meine, warum hat sie dich aus dem Schlafmodus geholt?“ „Weil Nidell ein Medikament repliziert hat.“, sagte Ishan. „Das darf sie nicht ohne mein OK und das weiß IDUSA. Ich habe es ihr gegeben, nachdem sie mich über die Situation informiert hat. Nidell wird es Diran längst verabreicht haben.“ „Du kannst mir nicht zufällig sagen, worum es da ging?“, fragte Zirell. „Das könnte ich schon.“, sagte Ishan. „Ich fürchte nur, dass dich das ganze medizinische Fachchinesisch langweilen würde.“ „Oh das denke ich auch.“, stöhnte Zirell. „Also lassen wir es dabei.“ Der Androide nickte.

Sie betraten die Krankenstation. Sofort fiel Ishans Blick auf die blasse Nidell, die immer noch an Dirans Bett saß. „Was ist hier geschehen, Nidell?“, fragte er ruhig. Er hatte die Informationen zwar schon von IDUSA bekommen, wollte aber für Zirell noch einmal eine Zusammenfassung von Nidell persönlich bekommen. „Diran hatte einen Herzstillstand.“, sagte Nidell immer noch sehr fertig. „IDUSA musste ihn schocken und ich habe ihm Adrenalin verabreicht. Als das nicht half, habe ich telepathischen Kontakt zu ihm aufgenommen und seinen Geist in unserer Welt zu halten versucht. Dann habe ich IDUSA noch einmal befohlen, ihn zu schocken. Das hat sie auch getan, obwohl sie erst Einwände hatte. Auf die hätte ich wohl auch hören sollen. Das Erlebnis war ganz schön heftig. Aber wenn ich das nicht versucht hätte, wäre Diran jetzt sicher tot.“ „Trotzdem bist du ein sehr hohes Risiko auch für dich selbst eingegangen.“, tadelte Ishan seine Assistentin. „Du hättest auch von ihm mitgerissen werden können. Vielleicht wäre es dir dann nicht mehr gelungen, dich von ihm zu lösen und dann hätte ich jetzt hier zwei tote Patienten und die einzige, die mir dazu etwas hätte sagen können, wäre IDUSA gewesen. Vorausgesetzt natürlich, du hättest den Neurokoppler aufbehalten.“ „Ich weiß, dass meine Aktion vorschnell und vielleicht nicht ganz überlegt war.“, entgegnete Nidell. „Aber ich hatte keine Zeit und es ist ja nichts passiert.“

Zirell, die im Hintergrund gewartet hatte, schritt jetzt zu den Beiden und mischte sich ins Gespräch: „Weil du ganz unverschämtes Glück hattest, Nidell! Ich an deiner Stelle hätte lieber gewartet, bis jemand da ist, der mich im Notfall retten kann.“ „Die Zeit hatte ich nicht.“, sagte Nidell. „Oder wäre es euch allen etwa lieber gewesen, wenn Diran gestorben wäre?“ „Sicher nicht.“, sagte Ishan. „Aber ich war ja schon unterwegs. Du hättest IDUSA auch sagen können, sie soll mich herbeamen, statt hier die leichtsinnige Heldin zu spielen!“ „Sie hat dich also parallel informiert?“, fragte Nidell verwundert. „Natürlich hat sie das.“, sagte der Arzt. „Spätestens dann, als du das Medikament angefordert hast. Aber du weißt doch auch, dass sie dann so etwas tun muss!“ „Stimmt.“, sagte Nidell kleinlaut. „Ich habe wohl einfach nicht nachgedacht. Bitte entschuldige, Ishan. Es wird nicht wieder vorkommen.“ „Das hoffe ich.“, sagte der Androide mit dem aldanischen Bewusstsein nüchtern.

Zirell wendete sich Ishan zu und deutete auf Diran, während sie fragte: „Warum hat sein Herz überhaupt mit dem Schlagen aufgehört? Ich meine, wenn er träumen würde und das Albträume wären, die ihn in Todesangst versetzen würden, dann würde man das doch auch an den anderen Kurven sehen. Aber du hast mir gegenüber nie etwas in deinen Berichten erwähnt.“ „Nun.“, sagte Ishan. „Es gibt noch eine Erklärung. Aber dafür muss ich weiter ausholen. Seine Muskeln werden langsam atrophisch. Das bedeutet, sie bilden sich zurück, da er sich jetzt nicht bewegt. Außerdem ist Muskelgewebe das erste, das vom Körper abgebaut wird, wenn er in eine ernährungsbedingte Zwangslage gerät. Dass ist jetzt der Fall, weil Diran nicht isst. Der Tropf kann nur eine Grundlage bilden. Die Nahrung komplett über einen so langen Zeitraum ersetzen kann er nicht. Das bedeutet, irgendwann fängt sein Körper an, Eiweiße und andere Stoffe aus sich selbst zu beziehen. Ich weiß. Es wäre vielen sicher lieber, das würde bei den Fettzellen anfangen, aber das sind Reserven, die auch gut isolieren. Ein Körper, der auskühlt, erhöht automatisch seinen Stoffwechsel und das macht so eine Extremsituation nur noch extremer. Das heißt …“ „Ich weiß, ich weiß, Ishan!“, fiel ihm Zirell harsch ins Wort. „Aber was hat das alles mit seinem Herzen zu tun?!“ „Tja.“, antwortete Ishan. „Auch das Herz ist ein Muskel, Zirell.“ „Ich verstehe.“, sagte die ältere Tindaranerin betroffen. „Das bedeutet aber auch, dass sich Shimar mit dem Ausführen meiner Befehle, was Tolea angeht, wohl beeilen sollte. Ich frage mich, was er da die ganze Zeit tut und wo er eigentlich ist! Er hat sich seit Stunden nicht gemeldet!“ „Nun, das ist eigentlich nicht seine Art, Zirell. Da hast du wohl Recht.“, sagte Ishan. „Das weißt du auch. Dazu ist er viel zu pflichtbewusst. Ich persönlich gehe eher davon aus, dass er vielleicht gerade in Schwierigkeiten steckt, aber keine Möglichkeit hat, sich zu melden. Er hat es immerhin mit einer selbstmordgefährdeten Q zu tun und die ist unberechenbar. Verzweifelte Wesen tun manchmal verzweifelte Dinge, die sie später sehr stark bereuen.“ „Trotzdem werde ich IDUSA sagen, sie soll versuchen, ihn zu erreichen!“, sagte Zirell. „Wir brauchen Diran gegenüber eine sichere Position, was die Situation angeht. Er darf nicht das Gefühl haben, dass wir ihn im Stich lassen! Sonst wäre Nidells Versprechen an ihn umsonst gewesen und er würde uns auch nicht mehr vertrauen. Dann bestünde vielleicht tatsächlich noch die Möglichkeit, dass er sich davonmacht und ich könnte ihn sogar verstehen.“ „Tu das.“, sagte Ishan. „Worauf du dich verlassen kannst.“, sagte Zirell. „Aber vorher würde ich Diran noch einmal selbst versichern, dass wir alles tun werden, um ihm zu helfen und dass das nicht nur ein leeres Versprechen war, um ihn hier zu halten. Bitte überwache die Verbindung, Ishan!“ „In Ordnung.“, sagte der Androide sachlich und sah Zirell an. Da seine Augen wie die Sensoren eines Erfassers funktionierten, benötigte er ein solches Gerät nicht. Aber er war immer auch in Bereitschaft, sofort zum Medizinschrank zu gehen, sollte er einen alarmierenden Wert bei Zirell oder Diran feststellen.

„Du kannst beginnen.“, gab er ihr Bescheid. „Also gut.“, sagte Zirell und konzentrierte sich, wie es Nidell auch zuvor getan hatte, auf Dirans Gesicht. Auch sie fand sich bald in der gleichen Höhle wieder, in der die medizinische Assistentin auch zuvor mit Diran gewesen war. Auch nach ihrer Hand griff der Geist des Vendar sofort. Keine Angst, Diran., dachte Zirell beruhigend. Wir sind alle bei dir und werden dir helfen, das durchzustehen. Bitte schütze mich vor mir selbst, Zirell El Tindara., bat Diran. Sorge dafür, dass ich nie wieder einem von Sytanias Vendar begegne, solange der Bann aufrecht ist. Das verspreche ich dir!, dachte Zirell fest. Und aus deinem Gefängnis kriegen wir dich auch noch irgendwie! Tolea ist daran schuld. Sie soll auch die Suppe auslöffeln, die sie dir eingebrockt hat!

Die Höhle begann plötzlich zu erzittern und einzelne kleine Steine fielen herab. Zirell dachte sich, dass dieses Erdbeben wohl durch Dirans Angst ausgelöst worden war. Schon gut., dachte sie. Dann werden wir einen anderen Weg finden, hörst du?! Einen anderen Weg, Diran! Ich kann verstehen, dass du Tolea und ihren Artgenossen nicht mehr vertraust nach dem, was dir passiert ist!

Das Beben hatte aufgehört. Offenbar hatten Zirells Gedanken ihn doch sehr beruhigt. Ich muss jetzt leider wieder gehen, Diran., verabschiedete sich Zirell. Ich danke dir, Zirell El Tindara.“, erwiderte Diran und ließ, wenn auch widerwillig, ihre mentale Hand mit der seinen wieder los.

Zirell atmete tief aus, nachdem sie die mentale Verbindung zu Diran wieder getrennt hatte. „Er hat furchtbare Angst, Ishan.“, sagte sie mit betroffenem Ausdruck im Gesicht. „Angst.“, antwortete der Androide. „Das ist fürwahr ein Zustand, der für einen Vendar-Krieger nicht erstrebenswert und sicher auch sehr beschämend ist.“ „Das stimmt.“, sagte Zirell. „Deshalb ist es umso wichtiger, dass ich bald weiß, wie weit Shimar mit seiner Mission ist! Ich muss ihn so schnell wie möglich erreichen! Benötigst du mich hier noch?“ „Nein.“, sagte Ishan. „Nidell und ich werden uns jetzt allein um unseren Patienten kümmern können.“ „In Ordnung.“, sagte Zirell erleichtert und wandte sich zum Gehen. Sie würde in die Kommandozentrale gehen und von dort versuchen, Kontakt zu Shimar aufzunehmen.

Mit ihren beiden Begleitern hatte Shorna inzwischen die Brücke der Electronica, ihren Arbeitsplatz, erreicht. „So.“, sagte sie. „Ich muss Sie bitten, hier nichts anzufassen.“ „Das tun wir schon nich‘.“, entgegnete Hein mit einem breiten Grinsen. „Wir sind ja schließlich keine lütten Büdels mehr.“ „Wie meinen?“, fragte die Genesianerin irritiert. „Er meint, dass wir ja schließlich keine kleinen Kinder mehr sind.“, übersetzte Caroline. Sie kannte seinen Sprachgebrauch und wusste, dass er oft norddeutsche Ausdrücke in seine englischen Sätze einfließen ließ. Das war eine seiner Eigenarten, die sie sehr an ihm liebte. Die Beiden waren nämlich tatsächlich schon eine Weile zusammen. Shimar hatte also gar nicht so falsch gelegen, als er Kairon das mit der Zusammengehörigkeit gesagt hatte.

Caroline wandte sich mit etwas peinlich berührtem Blick jetzt ihrem Freund zu: „Das kannst du machen, wenn wir allein sind. Aber sie kann dich nicht verstehen und das ist gar nicht gut.“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Er nickte ihr nur zu, denn seine Aufmerksamkeit war schon wieder auf Shorna gerichtet, die sich jetzt Sensora zuwandte: „Allrounder, vielleicht könnten Sie uns einige schöne Bilder auf den Hauptschirm zaubern.“ „Oh sicher, Warrior.“, lächelte die Androidin, die an der Feier nicht teilgenommen hatte, weil sie fand, dass ihre Anwesenheit dort ja sowieso keinen Einfluss auf sie selbst hatte. Wie alles andere auch würde sie es neutral betrachten und der Effekt einer Erholung oder gar eines freudigen Ereignisses würde sie nicht tangieren. Sie fand es also effizienter, weiter das Schiff zu fliegen.

Sensora schaltete die Außensicht auf den Hauptschirm. Außer einigen Sternen aber war dort nichts zu sehen. „Das ist das, was wir sehen, wenn wir unseren Dienst hier verrichten.“, erklärte Shorna. „Für Sie beide mag das spektakulär erscheinen, aber für uns …“

Sensora hatte sich kurz von ihrem Platz entfernt, weil ihr etwas aufgefallen war. Sie hatte ein Geräusch gehört, dessen Quelle sich direkt hinter Shorna befinden musste. Dann hatte sie ihr zugeflüstert: „Pst, Warrior.“, und nach hinten gezeigt, bevor sie wieder auf ihren Platz ging, um so zu tun, als sei überhaupt nichts gewesen.

Shorna hatte sich auf ihre Anregung hin tatsächlich ihren Begleitern zugewendet, die jetzt einander gegenüberknieten. Für die Genesianerin war das ein sehr merkwürdiger Anblick. Bevor sie aber fragen konnte, ob alles in Ordnung war, wurde sie bereits des Grundes für dieses Verhalten ansichtig. Caroline holte nämlich plötzlich tief Luft und sagte: „Es gibt doch nichts Romantischeres als die Sterne und sie sind auch das passende Ambiente für das, was ich vorhabe, nämlich dich zu fragen, Hein Schmitt. Ich möchte dich nämlich fragen, ob du mein Mann werden willst!“ „Oh, mein Schietbüdel!“, sagte Hein erfreut und warf seine Arme um sie. Dann drückte er sie fest an sich und antwortete: „Genau das wollte ich dich auch gerade fragen. Ich meine natürlich, ob du meine Frau …“ „Aber sicher!“, sagte Caroline und beide küssten sich.

Shorna stand da wie vom Donner gerührt und brachte keinen Ton heraus. Das war sehr schlecht, da Caroline ihr gleich darauf die Frage stellte: „Warrior, Ihr kommandierender Offizier darf doch Trauungen vornehmen, oder?“ Shorna nickte immer noch sehr irritiert. Dann stammelte sie, was für eine Genesianerin sicher ungewöhnlich war: „Heißt das etwa, Sie wollen jetzt gleich …“ „Genau das.“, sagten Hein und Caroline gemeinsam. „Na, dann werde ich mal alles in die Wege leiten.“, sagte Shorna und winkte ihnen, ihr wieder zurück in die Offiziersmesse zu folgen.

„Warrior!“ Sensoras Ausruf hatte sie kurz innehalten lassen. Ein letztes Mal drehte sie sich um und sah Sensora auffordernd an. „Richten Sie Shimar bitte aus, ich erlasse ihm die Schuld, in der er laut Times Meinung bei mir stünde. Ich weiß, dass das Time nicht gefallen könnte, aber Shimar hat nur getan, was notwendig war, um Toleas Leben zu retten. Außerdem hat Time schon richtig festgestellt, dass unser junger Freund ja angeblich in meiner Schuld stünde.“ Sie betonte das Meiner noch besonders stark. „Also bin ich auch die, welche sie ihm erlassen kann. Da kann er gar nichts tun. Ich weiß, dass ich unserem Commander damit jede Grundlage entziehe, eventuell ein schlechtes Gewissen bei Shimar hervorzurufen, aber das ist ja auch nicht nötig.“ „Ich werde es ausrichten, Allrounder! Vielleicht hätten Sie sich aber auch mit ihm nur auf andere Zahlungsbedingungen einigen müssen.“, sagte Shorna zwar schmissig, aber dennoch mit einem Grinsen und ging dann endgültig mit Caroline und Hein von der Brücke. Insgeheim war sie froh, dass sie Sensora mit ihrer Nachricht auf ein anderes Thema gelenkt hatte. Der gegenseitige Antrag von Caroline und Hein hatte sie nämlich sehr verwirrt und sie hasste Verwirrung! Eigentlich, so dachte sie zumindest, war es ja üblich, dass der Antrag nur von einer Person gestellt wurde, aber so etwas hatte sie noch nie gesehen. Sie war sehr gespannt, wie Time auf den Wunsch von Caroline und Hein nach einer sofortigen Blitzhochzeit reagieren würde.

Kapitel 38: Überraschungen

von Visitor

 

Cenda hatte sich auf dem Hangardeck der Electronica mit IDUSA beschäftigt, nachdem sie festgestellt hatte, dass mit Carolines und Heins Schiffen alles in Ordnung war. Aber das tindaranische Schiff hatte sie doch vor eine weitaus größere Aufgabe gestellt. Da IDUSA es gewohnt war, nicht einfach so überfallen zu werden und auch mit Respekt behandelt werden sollte, weil sie ja einem organischen Wesen in der Rechtsprechung gleichgestellt war, wusste die Technikerin zunächst nicht genau, wie sie sich ihr nähern sollte. Dann aber überlegte sie sich, dass sie vielleicht weiterkommen würde, wenn sie sich ihr gegenüber ähnlich verhalten würde, wie sie es gegenüber ihrem Assistenten tat, wenn der Androide mit einem Problem zu ihr kam. Androiden waren ja schon lange den Organischen auch in der Sternenflotte gleichgestellt und ihnen gegenüber hatte Cenda ja auch keine Ressentiments.

Sie replizierte sich also einen Neurokoppler, was kein Problem für den Replikator war, denn seit Beginn der politischen Beziehung mit Tindara waren die Replikatoren auf Föderationsschiffen auch mit den entsprechenden Updates versorgt worden. Dann ging sie auf IDUSA zu, die ihre Anwesenheit sofort bemerkt hatte und ihr bereitwillig die Tür zum Cockpit öffnete. „Na schön.“, flapste Cenda. „Wenn du mich schon einlädst.“ Dann stieg sie ein und schloss den frisch replizierten Neurokoppler an einen Port an. Sofort untersuchte das Schiff sie, um eine Reaktionstabelle von ihr zu erstellen. Cenda kam dies zunächst als eine sehr sonderbare Erfahrung vor. Sie hatte zwar schon viel darüber von Scotty erfahren, da beide auf dem gleichen Planeten und auch noch in der gleichen Stadt wohnten und sich somit gut austauschen konnten, am eigenen Leib erfahren hatte sie es aber noch nie.

Wenige Sekunden nach dem Beenden der Untersuchung durch IDUSA sah Cenda bereits das Bild der jungen tindaranischen Fliegerin vor sich und hörte eine freundliche Stimme sagen: „Hallo, Techniker. Ich bin IDUSA.“ „Hi, IDUSA.“, sagte Cenda und stellte sich vor, den Avatar anzugrinsen. „Es freut mich, dich kennen zu lernen. Du kannst ruhig Cenda zu mir sagen. Ich sehe das nicht so eng als Celsianerin. Aber eines schon mal vorweg: Ich habe keine Übung in der Kommunikation mit euch tindaranischen Schiffen. Es kann also auch mal was schiefgehen. Ich hoffe, du nimmst mir das nich’ krumm.“ „Aber nein, Cenda.“, sagte IDUSA. „Das Problem haben nämlich die Meisten. Ich hätte viel zu tun, wenn ich allen das nachtragen sollte, falls einmal ein Fehler passiert. Aber solange Sie mir nicht aus Versehen meinen Hauptdatenkristall neu formatieren, dürfte es keine nennenswerten Probleme zwischen uns geben.“

Cenda grinste. „Das wird mir schon nicht passieren, IDUSA.“, sagte sie. „Dazu weiß ich viel zu genau, was ich denke.“ „Das weiß ich.“, sagte das Schiff. „Meine Einlassung war auch nicht ernstgemeint. Ich halte das bei Ihrer Fachkompetenz auch für höchst unwahrscheinlich. Meine Einlassung sollte lediglich dazu dienen, die Situation zwischen uns etwas aufzulockern.“ „Oh das is’ dir auch gelungen.“, sagte Cenda. „Die is’ jetzt so locker wie ein guter Kuchen.“

Sie holte etwas aus ihrem Werkzeugkoffer, den sie mitgenommen hatte und schloss es an einen weiteren Port an. „Das is’n Diagnosepad.“, erklärte sie. „Damit kann ich feststellen, wo bei dir der Schuh drückt.“ „Das weiß ich, Cenda.“, sagte IDUSA, deren Betriebssystem die Software des Pads längst erkannt hatte. „Techniker McKnight benutzt auch so etwas. Übrigens: Sie sollen ihr, laut den Gerüchten, die über Sie beide im Umlauf sind, ja in nichts nachstehen, was Ihre Qualifikationen und Ihren Erfindergeist angeht. Deshalb gebe ich mich auch ohne Vorbehalte in Ihre Hände.“ „Na Gott sei Dank!“, atmete Cenda auf. „Ich dachte schon, ich müsste an diversen tindaranischen Sicherheitsprotokollen vorbei, die du mir in den Weg stellen würdest.“ „Da haben Sie sich offensichtlich geirrt.“, sagte IDUSA. „Falls mir Ihre Methoden nicht geheuer gewesen wären, hätte ich zuerst meinen Piloten verständigt. Er hätte mir sicher sagen können, ob Sie unbedenklich sind.“ „Und wenn Shimar nich’ hier wäre?“, fragte Cenda. „Ich denke, wir sollten nicht darüber reden, was ich im Zweifelsfall mit Ihnen getan hätte, hätte es niemanden gegeben, der meine Bedenken aus dem Weg räumen hätte können.“, sagte IDUSA und ihr Avatar sah sie ernst an. „So schlimm?“, fragte Cenda. „Oh ja.“, sagte IDUSA. „Ich bin mit umfangreichen Maßnahmen zur Selbstverteidigung programmiert. Hätten Sie sich mir also auf eine Weise genähert, die ich als feindlichen Akt eingestuft hätte und nicht so, wie Sie es getan haben, dann hätte ich sie auch eingesetzt.“ „Auch ’ne Art auszudrücken, dass du mir ’n gepflegten Stromschlag durch das Nervenkostüm gejagt hättest.“, flapste Cenda. „Oh ich kann Sie beruhigen.“, flapste IDUSA zurück. „Getötet hätte ich Sie erst in Stufe drei.“ „Wie überaus beruhigend.“, sagte Cenda und lächelte. „Ich wusste, wir sind auf einer Wellenlänge.“

Das Diagnosepad war mit seiner Arbeit fertig geworden. Cenda hatte sich das Display angesehen und die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. „Ach du Schande!“, rief sie aus. „Mit wem hast du denn gekämpft?! Wer hat deine Systeme denn so zugerichtet?! Hat dir denn niemand beigebracht, dass man die Schilde hebt, wenn Gefahr droht?! Oh, IDUSA, was is’ dein Flieger denn für ein nachlässiger Tropf?!“ „Shimar trifft keine Schuld.“, sagte IDUSA. Er war nicht in der Lage, mich früh genug vor Toleas Angriff zu warnen. Auch die Schilde konnte ich nicht schnell genug heben. Er hat noch versucht, mich aus der Welle zu steuern, aber es war zu spät.“ „Sieht man!“, sagte Cenda und ihre Augen scannten noch einmal die Liste an fehlerhaften Teilen ab, die ihr das Pad präsentiert hatte. Sofort kopierte sie diese in ein anderes Programm, das den Auftrag dann auch gleich an den Replikator geben würde, sobald sie das Pad daran anschließen würde. Dann sagte sie: „Ich werde dich jetzt kurz wieder verlassen, um deine Ersatzteile zu holen. Dann baue ich sie ein und dann wirst du wieder laufen wie eine junge Göttin! Da wette ich drauf!“ „Oh, ich bin sicher, dass Sie diese Wette bestimmt gewinnen werden, Cenda.“, sagte IDUSA.

Cenda entfernte das Pad und stieg wieder aus dem Cockpit von Shimars Schiff aus. Dann ging sie zum Replikator und ließ sich von ihm die benötigten Einzelteile anfertigen, die sie dem Schiff dann auch gleich einbaute. „So, IDUSA.“, sagte sie. „Das wär’s. Jetzt dürfte es dir doch schon wieder um ein Vielfaches besser gehen, he?“ „Wollen Sie Ihre Arbeit nicht noch einmal überprüfen?“, fragte IDUSA. „Selbst is’ das Schiff.“, lächelte Cenda. „Du wirst doch wohl in der Lage sein, ’ne einfache Selbstdiagnose durchzuführen.“ „Das bin ich allerdings.“, sagte IDUSA und tat, was Cenda ihr soeben aufgetragen hatte.

Gespannt hatte Cenda das Ende der Diagnose abgewartet. Dann hörte sie IDUSA sagen: „Es ist alles wieder in Ordnung, Cenda! Ich danke Ihnen!“ „Gern geschehen, du armes kleines Schiff.“, sagte Cenda. „Aber versprich mir bitte eins. Versprich mir bitte, dass du demnächst immer erst die Schilde hebst, bevor du dich mit suizidalen Q oder auch anderen Gegnern anlegst. OK?“ „OK, Cenda.“, sagte IDUSA. Dann öffnete sie Cenda die Ausstiegsluke, was die Chefingenieurin der Electronica zur Kenntnis nahm und ihr Cockpit wieder verließ. Sie strich ihr noch einmal über die Hülle, bevor sie auch das Hangardeck wieder verließ, um Time und den anderen Meldung zu machen.

Aus Zirells Sicht hätte das Timing für die Reparaturen an IDUSA nicht besser sein können. Jedenfalls hätte man das denken können, wenn Zirell bereits gewusst hätte, was in der Heimat der Föderation, in die es Shimar und sein Schiff verschlagen hatte, geschehen war. Dies war zwar nicht der Fall, aber trotzdem war sie froh, wenig später durch Joran, der inzwischen wieder seine Schicht angetreten hatte, zu erfahren, dass er IDUSA endlich erreicht hatte. „Stell sie zu mir durch, Joran!“, befahl Zirell. Der Vendar nickte und führte ihren Befehl aus.

Zirell sah in das ihr sehr gut bekannte Gesicht des Schiffsavatars. „Hallo, Commander.“, begrüßte IDUSA sie nüchtern. „Hallo, IDUSA.“, sagte Zirell. „Es sieht aus, als wärst du allein. Wo ist Shimar?“ „Er befindet sich in der Offiziersmesse.“, sagte das Schiff wahrheitsgemäß. „In welcher Offiziersmesse?“, fragte Zirell etwas irritiert. „Wo seid ihr?“ „Nun.“, sagte IDUSA. „Ich für meinen Teil befinde mich auf dem Hangardeck der USS Electronica und Shimar ist auch auf diesem Schiff, Commander.“ „Wie seid ihr dorthin gekommen?“, fragte Zirell. „Ihr habt euch seid Stunden nicht mehr gemeldet! Was ist geschehen?“ „Wir haben versucht, Tolea aufzuspüren, wie Sie es uns befohlen haben, Commander.“, berichtete Shimars Schiff. „Dabei gab es aber einige Komplikationen, auf die wir reagieren mussten. Meine Systeme wurden beschädigt. Deshalb konnten wir uns nicht melden. Aber ich wurde von Techniker Cenda persönlich repariert! Ihre Fähigkeiten sind durchaus mit denen von Techniker McKnight vergleichbar, um nicht zu sagen, sie stehen den Ihren in nichts nach.“ „Ist ja schön und gut, dass du so voll des Lobes über Techniker Cenda bist.“, sagte Zirell. „Aber was macht Shimar in der Offiziersmesse?“ „Er bespricht sich mit Commander Time und seinem Ersten Offizier.“, sagte IDUSA. „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“, sagte Zirell. „Erst sprichst du von Komplikationen und dann mischt sich auch noch die Electronica ein! Versteh mich jetzt bitte nicht falsch. Ich schätze Time wert! Er ist einer der moralisch aufrechtesten Offiziere, die ich kenne! Aber was hat er mit der Sache überhaupt zu tun?“ „Tolea hatte sich in einen Kometen verwandelt, der das Universum der Föderation bedroht hat.“, berichtete IDUSA. „Times Schiff war zufällig in der Nähe. Es waren Bürger der Föderation von der Auslöschung bedroht. Time musste eingreifen. Shimar, Kairon und ich haben gerade noch verhindert, dass es zu einer Katastrophe kam.“

Zirell stöhnte auf. „Was hat denn nun Kairon damit zu tun?“, fragte sie. „Das wird ja immer verwirrender! Ich denke, es wird besser sein, wenn du mir einfach nur die Daten gibst, IDUSA. Puzzeln kann ich allein!“ „In Ordnung, Commander.“, sagte IDUSA. Dann bekam Zirell eine SITCH-Mail auf ihren Schreibtisch.

Interessiert beobachtete Joran, wie seine Vorgesetzte deren Inhalt zur Kenntnis nahm. „Siehst du jetzt klarer, Anführerin Zirell?“, fragte er. „Erst einmal nicht.“, gab die ältere Tindaranerin zu. „Es ist alles sehr verwirrend. Aber es sieht für mich ganz danach aus, als wollte Tolea uns alle mit ihrem Verhalten verwirren und auf falsche Spuren locken. Mir will nur nicht in den Sinn, warum sie das tut.“

Joran hatte seinen Neurokoppler, den er kurzzeitig abgenommen hatte, wieder aufgesetzt und IDUSA, dem Rechner der Station, den Befehl erteilt, ihm ebenfalls Zugriff auf die SITCH-Mail zu ermöglichen. „Ich denke, wir sollten das mit Commander Zirell absprechen.“, hatte IDUSA geantwortet und sich gleich an Zirell gewandt: „Commander, sind Sie einverstanden, wenn Joran mitliest?“ „Ja, IDUSA!“, sagte Zirell fest. Sie wusste, dass Jorans Gedächtnis bekannt dafür war, sich gut Details merken zu können und so schnell nichts außer Acht zu lassen. Mit Hilfe des Vendar würde es ihr bestimmt möglich sein, die ganzen verwirrenden Details einzuordnen.

Auch Joran hatte sich jetzt den Inhalt der Mail zu Gemüte geführt. „Es sieht für mich aus, als wollte Tolea ihr Leben beenden.“, sagte er. „Wahrscheinlich hat sie sich zu diesem Zweck in einen gewöhnlichen Kometen verwandelt. Bedenke bitte, dass ein Komet zerstört werden kann, Anführerin. Ein Q kann anscheinend nur durch fremde Hand Selbstmord begehen. Das weißt du seit der Mission von Cathryn El Taria. Oh verzeih bitte. Sie dürfte dir besser als Captain Kathryn Janeway bekannt sein.“ „Schon gut, Joran.“, sagte Zirell. „Ich benötige langsam kein Wörterbuch mehr für dein Joranisch. Oh entschuldige bitte.“ „Schon verziehen.“, lachte Joran. „Aber mit Shannon O’Riley werde ich wohl noch einmal reden müssen. Schließlich war sie es, die den Begriff in Umlauf gebracht hat.“ „Tu das.“, sagte Zirell.

Erneut las sie sich die Mail durch. Dann sagte sie: „Du sagtest wahrscheinlich. Kannst du das nicht etwas genauer definieren? Ich meine, du schmierst uns immer wieder aufs Brot, dass du Sytania ja 90 Jahre gedient hättest und daher sehr gut über die Geschäfte und Eigenarten von Mächtigen informiert bist. Jetzt aber scheinst du mir eher genauso im Dunkeln zu tappen, wie wir es alle tun.“ „Meine ehemalige Herrin.“, verteidigte sich Joran, hätte niemals den Plan gefasst, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Dazu ist ihr Ego viel zu groß. Ich weiß zwar, dass man mit Rosannium in der richtigen Menge auch den Mächtigsten töten kann und dass Mächtige untereinander sich auch töten können, aber aus irgendeinem Grund passt ja beides hier nicht.“ „Ich frage mich, warum Tolea nicht einfach eine Dosis Rosannium genommen hat, um ihrem Leben ein Ende zu setzen.“, sagte Zirell und sah Joran erwartungsvoll an. „Ich bedaure, dass ich dir darauf keine Antwort geben kann, Anführerin.“, sagte der Vendar und machte ein enttäuschtes Gesicht. Anscheinend war er auch von sich selbst enttäuscht und von der Tatsache, dass er ihr, seiner Anführerin, nicht in dem Maße dienen konnte, in dem sie es, zumindest seiner Interpretation nach, verlangte. „Ist nicht schlimm, Joran.“, tröstete Zirell, die zwar nicht in seinen Geist eingedrungen war, sich seine Probleme aber schon denken konnte. Sie hatten zu lange zusammengearbeitet. Das hatte dafür gesorgt, dass sie ihn bereits sehr gut kannte. „Schließlich gibt es zwischen deiner ehemaligen Herrin und Tolea einen großen Unterschied. Wie sollst du denn auch wissen, was sie umtreibt?“ „Ich danke dir für deine Vergebung, Anführerin.“, sagte Joran.

Maron betrat die Kommandozentrale. Er war heute etwas später dran, da er noch einiges an Überstunden abzufeiern hatte. Dies hatte sich aus der Tatsache ergeben, dass er sich jetzt auch des Öfteren nachts mit den verschiedenen neuesten Gegebenheiten und ihren für ihn doch sehr rätselhaften Auswirkungen beschäftigt hatte. „Gut dass du kommst.“, sagte Zirell. „Ich denke nämlich, dass du uns sehr gut helfen kannst.“ „Worum geht es denn, Zirell.“, fragte Maron und setzte sich auf den Platz neben ihr. Dann schloss er seinen Neurokoppler an.

IDUSA hatte sofort seine Tabelle geladen. Da er aber die Mail noch nicht sehen konnte, wusste er nicht, was Zirell gemeint haben konnte. Die Tindaranerin aber war sofort gewillt, das Versäumnis nachzuholen. „IDUSA, gib auch Agent Maron Zugriff auf die Mail!“, befahl sie. Der Avatar des Stationsrechners nickte und führte ihren Befehl aus.

Auch der ausgebildete Kriminalist hatte sich die Mail, die einige Seiten umfasste, wenige Minuten später durchgelesen. Dann fragte er: „Und was ist jetzt genau das Problem, Zirell?“ „Joran und ich fragen uns, warum Tolea gerade diese Art gewählt hat, sich das Leben zu nehmen. Wenn sie das wirklich gewollt hätte, dann hätte sie sich doch nur mit einer gehörigen Menge Rosannium vergiften müssen! Warum wollte sie Unschuldige in die Sache reinziehen?!“ „Ich denke.“, sagte Maron. „Du hast es gerade selbst gesagt. Du sagtest: Wenn sie es denn wirklich gewollt hätte. Aber ich glaube, dass sie es nicht wirklich gewollt hat. Ihr Versuch, sich das Leben zu nehmen, war in meinen Augen mehr ein Hilferuf als eine klare Absicht. Du kannst mir glauben. Als Kriminalist muss ich so etwas erkennen können.“ „Du bist ein einfacher Ermittler.“, sagte Zirell. „Du bist kein Profiler. Woher willst du diese Sicherheit nehmen?“ „Na ja.“, sagte Maron. „Einen Schnupperkurs müssen wir alle belegen. Ich weiß zumindest, wovon die Rede ist. Aber wenn du willst, können wir gern einen Profi aus der psychologischen Abteilung kommen lassen. Ihr habt doch so was sicher auch. Ich meine, dann müssten wir nicht erst die Sternenflotte bemühen. Interdimensionale Reisen sind ja im Moment recht risikoreich.“ „Das ist richtig.“, sagte Zirell. „Aber ich glaube andererseits, dass wir so jemanden gar nicht brauchen. Ich vertraue dir erst mal, Maron. Wenn du sagst, ihre Absicht war gar nicht echt, dann nehme ich das erst mal so hin. Aber ich möchte dennoch genauer wissen, was da auf der Electronica gerade passiert.“

Sie wendete sich Joran zu: „Ruf Shimars Schiff noch mal! Ich möchte dann aber, dass sie mich direkt mit Shimar verbindet. Er soll mir die Sachen erklären, die jetzt nicht in dieser Mail stehen.“ „Wie du wünschst, Anführerin.“, sagte Joran und machte sich daran, die gewünschte Verbindung für seine Kommandantin herzustellen.

Kapitel 39: Von Hochzeiten und Diskussionen

von Visitor

 

Yetron und Time hatten sich auf der Electronica in ein stilles Eckchen der Offiziersmesse zurückgezogen. Hier wollten sie jetzt in aller Ruhe über die Daten sprechen, die der erste Offizier inzwischen im Rahmen seiner Ermittlungen zusammengetragen hatte. „Offensichtlich.“, sagte der Demetaner und zeigte auf ein Pad, das er in seiner Hand hielt. „Stehen wir mal wieder vor einer riesigen Katastrophe.“ „Ach Agent.“, sagte Time und gähnte ihn fast gelangweilt an. „Da standen wir doch schon öfter und wir haben sie immer wieder gemeistert, nicht wahr? Das Schicksal muss sich schon etwas Besseres einfallen lassen, um mich noch in Panik zu versetzen.“ „Bei allem Respekt, Sir.“, sagte Yetron ruhig. „Ich finde Ihre letzte Äußerung etwas leichtfertig. Die Situationen, in denen wir bisher die Kastanien für alle Dimensionen aus dem Feuer geholt haben, mögen sich zwar ähnlich sein, aber sie sind im Detail doch sehr verschieden. Wenn es zu glatt läuft, neigen viele dazu, immer gleiche Maßstäbe für verschiedene Situationen anzulegen. Ich darf sie daran erinnern, dass auch der Feind in gewissem Maße lernfähig ist.“

Time lachte ihn an. „Sytania und lernfähig?“, fragte er dann. „Wie kommen Sie denn auf das schmale Brett, Agent. Das würde doch zunächst einmal bedeuten, dass sie ihre Fehler einsehen muss und das verbietet ihr schon ihr riesiges Ego, über das sie aber auch immer wieder stolpert. Oh nein, Agent. Daran glaube ich nicht.“ „Sir, meine Ermittlungen haben ergeben, dass Sytania offensichtlich nicht die Drahtzieherin dieser Katastrophe sein wird. Sie ist nur eine Mitläuferin, die ihre Chance erkannt hat und auf den fahrenden Zug sozusagen aufgesprungen ist.“, sagte der demetanische Agent. „Wie kommen Sie darauf, Agent?“, fragte Time. „Aus den Daten geht hervor.“, sagte Yetron. „Dass die Initiative offensichtlich von Valora, der Leitstute der Einhörner, ausgegangen ist. Etwas hat sie und ihren langjährigen Partner Invictus offenbar entzweit. Die Einhörner sind Verwandte der Quellenwesen. Wie diese auch sind sie pandimensionale Existenzen, die nur das Aussehen von Einhörnern gewählt haben, um sich den Gegebenheiten im Dunklen Imperium besser anpassen zu können. Sie sind viel mächtiger als Logar oder Sytania. Wenn sich also bei ihnen etwas verschiebt, werden die Konsequenzen ungleich heftiger sein.“ „Ist mir klar, Agent.“, sagte Time geplättet. „Aber was genau ist da passiert?“ „Das geht aus den Daten nicht wirklich hervor.“, sagte Yetron. „Aber ich kann mir etwas denken. Deshalb habe ich auch Daten zu Rate gezogen, die eigentlich nicht zu diesem Fall gehören. Die Datenbank der Sternenflotte hat aber bestätigt, dass es wohl nicht nur einen Ausrutscher des Hengstes mit einer sterblichen Stute gegeben hat, aus dem ein Fohlen hervorgegangen ist. Es gibt einen Bericht meiner Kollegin, Agent Sedrin Taleris-Huxley, in welchem sie einen Einsatz beschreibt, in dem sie der gemeinsamen Tochter von Invictus und Kipana, Logars liebstem Schlachtross, gemeinsam mit Allrounder Scott das Leben gerettet hat, als Sytanias Schergen es entweder in ihren Besitz bringen, oder durch die primitiven Umstände im 21. Jahrhundert hätten umkommen lassen wollen.“ „Moment mal, Yetron.“, sagte Time. Wir wissen, dass Kipana und Invictus einen Sohn …“ „Offensichtlich wird er kein Einzelkind bleiben.“, sagte Yetron. „Es gibt keine schlüssige Theorie, warum Invictus sich immer wieder mit Sterblichen einlässt. Zur Vermehrung seiner Macht kann das nicht beitragen, weil die Chance nur 50 zu 50 beträgt, dass seine Kräfte vererbt werden. Aber trotzdem könnte das ein Motiv für Valora sein, sehr eifersüchtig zu werden.“ „Aber als Mächtige müsste sie doch genau wissen, was das für Konsequenzen hätte, wenn sie ihrem Partner so einfach den Krieg erklären würde.“, wandte Time ein. „Dazu müsste sie doch vernünftig genug sein.“ „Unterschätzen Sie niemals die Rache einer eifersüchtigen Frau, Commander.“, sagte Yetron. „Auch wenn sie noch so mächtig und weise daherkommen mag. Im Grunde sind auch die Quellenwesen nur Wesen und vielleicht gar nicht unfehlbar. Demetanische Theoretiker gehen schon lange davon aus, dass es so etwas wie Unfehlbarkeit gar nicht gibt. Wenn es das gäbe, dann müsste ja niemand mehr mit einem anderen zusammenarbeiten, indem der eine den anderen auf dessen Fehlverhalten aufmerksam macht. Ohne Fehler gebe es also auch kein Lernen und somit keine Entwicklung. Das ist in der Natur nicht vorgesehen. Auch die Evolution geht immer weiter. Die Natur lässt keinen Stillstand zu. Alles ist ständigen Bewegungen unterworfen. Das bedeutet eine ständige Notwendigkeit der Anpassung. Unfehlbarkeit wäre völlig entgegen dieser Mechanismen und würde dann irgendwann aus dem Raster fallen, weil sie auch keine Flexibilität bedeuten würde.“ „Wollen Sie mir damit etwa sagen, noch nicht einmal Ihre Göttin, Mutter Schicksal, sei unfehlbar?“, fragte Time verwirrt. „Korrekt.“, sagte Yetron ruhig und sehr sachlich. Time schaute ihn bedient an. Es war ihm gerade so vorgekommen, als spräche er mit Mr. Spock persönlich. „Sie haben gerade wie ein Vulkanier geklungen.“, sagte Time. „Das kann sein.“, sagte Yetron. „Wir Demetaner können sehr gefühlvoll, aber auch sehr vernünftig sein, Sir. Das wissen Sie. Aber ich denke, dass ich auch weiß, was Sie tatsächlich gerade so irritiert hat, nämlich die Tatsache, dass wir an eine offensichtlich fehlbare Göttin glauben. Damit soll nur deutlich gemacht werden, dass Mutter Schicksal flexibler ist als der Gott, an den offensichtlich viele auf Ihrem Planeten glauben. Sie würde sich den neuen Bedingungen ihrer offensichtlich dynamischen, weil beweglichen, Schöpfung einfach anpassen, aber das bedeutet auch, dass überkommene Theorien und Denkweisen über den Haufen geworfen werden müssen und auch dürfen, was in Ihrem Volk im Zusammenhang mit Glaubensfragen oft immer noch sehr schwierig zu sein scheint, obwohl die Wissenschaft Sie eines Besseren belehrt hat.“ „Das mag wahr sein.“, sagte Time. „Aber wir schweifen ab. Was war noch mal der Ursprung unserer Diskussion?“ „Ich hatte gesagt.“, sagte Yetron. „Dass niemand den Grund kennt, aus dem sich Invictus immer wieder mit Sterblichen einlässt. „Es gibt dazu allerdings eine sehr wahrscheinliche Theorie von Allrounder Scott. Da sie in ihrer Freizeit Verhaltensforschung betreibt und ein Mitglied des Außenteams war, welches das Fohlen gerettet hat, wurden ihre Ideen vom Wissenschaftsrat zugelassen. Ihre Theorie besagt, dass Invictus auf irgendeinen gefährlichen Trend reagiert, den wir zwar noch nicht zu Gesicht bekommen haben, der sich aber vielleicht in seiner Heimat bereits abzeichnet.“ „Hören Sie auf, wie eine Katze um den heißen Brei zu schleichen, Agent!“, sagte Time mürrisch. „Ich bin sicher, so rätselhaft steht das da nicht.“ „Das ist korrekt.“, sagte Yetron. „Scott geht davon aus, dass, wenn sich Mächtige nur immer unter Mächtigen vermehren, sie irgendwann jegliches Maß verlieren. Soll heißen, dass sie dann so weit weg vom Rest sind, dass sie uns Sterbliche nur noch als Schachfiguren in ihren eigenen Spielen sehen, ohne auf uns Rücksicht zu nehmen. Das beste Beispiel dafür ist Sytania.“ „Das stimmt.“, sagte Time. „Und stellen Sie sich mal vor, sie würde eines Tages gewinnen. Dann würde hier alles zusammenbrechen!“ Wieder nickte Yetron. „Scott glaubt.“, erklärte Yetron weiter: „Dass Invictus also, um seine Kinder daran zu erinnern, eine Spur Verwundbarkeit in seine Familie einfließen lassen will.“ „Wenn das stimmt.“, sagte Time. „Dann frage ich mich, warum Valora das nicht einsieht. Ich meine, sie ist doch auch ein weises mächtiges Wesen. Warum?“ „Ich denke, wir müssen aufhören, Weisheit und Macht in einem Atemzug zu nennen und in einen Topf zu werfen, Sir.“, sagte der Demetaner. „Die ständigen Kämpfe mit Sytania sollten uns eines Besseren belehrt haben, finde ich. Zu viel Macht macht arrogant und Arroganz macht eher dumm. Zumindest führt sie zu dummen Handlungen. Sie frisst genauso gern Hirn wie die Gier.“ „Offensichtlich.“, sagte Time. „Wir werden wohl über all dies die Präsidentin in Kenntnis setzen müssen.“, sagte Yetron. „Ja.“, sagte Time. „Desbezüglich haben wir ja eindeutige Befehle. Oh, Agent. Wir haben schon ein extremes Schicksal. Sie schicken uns los, um einen Kometen zu erforschen und seine Bedrohung abzuschätzen, um ihn gegebenenfalls zu zerstören und wir geraten in das hier. Wenn ich nur wüsste, bei wem ich mich darüber beschweren soll.“ Bei seinem letzten Satz grinste er. Yetron sah ihn nur an und zuckte mit den Schultern.

Der amerikanische Commander war angesichts ihrer Diskussion so fertig, dass er sich erst einmal einen Kaffee replizieren musste. Er ging also zum nahegelegenen Replikator und ließ sich von ihm einen Milchkaffee servieren. Dann kehrte er wieder zu Yetron an ihren abgeschiedenen Tisch zurück.

„Ich nehme an.“, sagte er. „In Ihrer Schöpfungsgeschichte war dann auch nicht nach sieben Tagen alles gut.“ „Sehr gut, Commander!“, lobte Yetron. „Und sie ist auch jetzt noch nicht zu Ende. Genauer wird sie so lange weitergehen, wie es Leben und Sterben gibt.“ „Warten Sie mal.“, sagte Time und zog an seinem Strohhalm. Dabei begann er zu lächeln. „Das würde ja bedeuten, wir wären noch immer mittendrin!“ Yetron nickte erfreut.

Peter setzte seine Tasse ab. Dann sagte er mit ebenfalls sehr erfreutem Ausdruck: „Das ist ja großartig!“ „Das ist es.“, bestätigte Yetron ruhig. „Und das Großartigste daran ist meiner Meinung nach, dass wir immer wieder lernen dürfen, denn der Prozess der Anpassung ist auch immer ein Prozess des Lernens. Lernen zu dürfen halte ich für das höchste Gut im Universum, Commander. Das tun übrigens die Meisten aus meinem Volk.“ „Das dachte ich mir, Agent.“, sagte Time. „Ich wette, deshalb sind Sie auch Ermittler geworden.“ „Das ist korrekt, Sir.“, sagte Yetron.

Time nahm sein Getränk wieder auf und sagte, während er den Strohhalm gleich einer Zigarre in den rechten Mundwinkel schob: „Schauen wir mal, ob ich Sie richtig verstanden habe, Agent. Also. Bleiben wir mal auf meinem Planeten. Ich glaube, dann ist es für mich einfacher. Das Ende des Neandertalers hat dem Homosapiens Raum gegeben und das Ende des Homosapiens wird einer anderen Spezies Raum geben und so geht es fort.“ „Genau.“, sagte Yetron. „Ich kann allerdings auch erklären, warum Ihre Spezies eine Zeit lang geglaubt hat, dass das Ende der Fahnenstange bereits erreicht sei und sie die endgültige Krone wären. Eine endgültige Krone wird es meiner Ansicht nach ja sowieso nicht geben. Sie wissen ja, warum. Aber Ihre Vorfahren lebten zu sehr im Hier und jetzt, um das zu begreifen, was wir heute als selbstverständlich ansehen. Als diese religiösen Bücher geschrieben wurden, die dies proklamierten, steckte Ihre Spezies noch in den Kinderschuhen. Ihre Gehirne waren noch nicht in der Lage, solche komplexen Zusammenhänge zu verarbeiten. Sie würden ja einem gerade erst geborenen Säugling auch keinen Vorwurf darüber machen, dass er sich noch nicht in vollständigen Sätzen ausdrücken kann, geschweige denn, sich Gedanken über seine berufliche Laufbahn gemacht hat.“ „Na Holla die Waldfee!“, sagte Time. „Das sind aber ganz schön große Schritte, über die wir da reden, Mr. Yetron. Das braucht aber viel Zeit!“ „Natürlich braucht es sie.“, sagte der Demetaner wieder sehr ruhig. „Und genau diese Reaktion hatte ich gehofft, bei Ihnen auslösen zu können mit meinen Sätzen, Sir. Aber das zeigt mir auch, dass Sie verstanden haben, worum es mir geht. Noch einmal. Ich habe Verständnis für die Denkweise Ihrer Vorfahren.“ „Das habe ich wohl kapiert.“, sagte Time. „Mir ist klar, dass Sie Verständnis haben. Dass liegt ja bei euch Demetanern so drin. Spock hätte das sicher nur als unlogisch abgeurteilt und sich wieder einmal über die Menschheit mokiert, wie es die meisten Vulkanier, von denen ich gehört habe, oft tun.“ „Das ist eben der Unterschied zwischen meinem Volk und den Vulkaniern.“, sagte der demetanische Agent. „Wir können sehr vernünftig sein, haben uns aber auch die Nähe zu unseren Gefühlen bewahrt. Das bedeutet, wir können Verständnis zeigen für Spezies, die aufgrund ihrer Entwicklungsstufe etwas vorsichtiger behandelt werden müssen, weil für uns nicht nur die kalten Fakten zählen. Wir können eben beides.“ „Hm.“, nickte Time. „Und das können zumindest Sie verdammt gut, Sie Musterbeispiel an demetanischer Tugend.“ Er nahm darauf einen tiefen Schluck aus seiner Tasse.

Shorna hatte mit ihren beiden Begleitern wieder die Offiziersmesse betreten. Time und Yetron waren dessen aus dem Augenwinkel heraus ansichtig geworden. Ihnen war sofort der Gesichtsausdruck ihrer Untergebenen aufgefallen. „Was hat sie?“, fragte Time seinen demetanischen Ersten Offizier, von dem er wusste, dass er selbst in den verfahrensten Situationen Lösungen fand und selbst die kniffligsten Rätsel lösen konnte. „Sie schaut ja, als hätte sie ein Gespenst gesehen.“ Dies war ein Dialog, der sich auf diese oder ähnliche Weise seit Kirks Zeiten immer wieder gern auf den Schiffen der Sternenflotte wiederholt hatte, ob es nun absichtlich oder unabsichtlich geschehen war.

Time stand von seinem Platz auf und winkte Yetron: „Kommen Sie, Agent!“ Dann gingen beide auf die immer noch sehr verwirrt dreinschauende Shorna zu. Time stellte sich sogar so hin, dass sie hätte stark ausweichen müssen, hätte sie an ihm vorbeigehen wollen. Dann fragte er: „Warrior, was ist passiert?! Sie schauen ja, als hätten Sie ein …“ „Vielleicht habe ich das auch, Sir.“, stammelte Shorna, eine Tatsache, die auch ihr selbst sehr unangenehm war. Time hatte dies durchaus bemerkt.

Der Demetaner und er zogen sie vorsichtig mit sich in die Ecke, in der sie auch vorher alles besprochen hatten. Dann sah der Kommandant der Waffenoffizierin ins Gesicht und sagte: „Nun reden Sie schon, Shorna. So schlimm kann es doch wohl nicht gewesen sein, hm?“ „Ich bin verwirrt, Sir.“, gab Shorna zu. „Diesen Zustand mag ich überhaupt nicht!“ „Dann sollten wir dringend etwas dagegen unternehmen. Finden Sie nicht auch?“, fragte Time. „Das würde ich ja gern.“, sagte Shorna. „Wenn ich nur einordnen könnte, was da gerade geschehen ist!“

Yetron schaute seinen Kommandanten an. „Sir, ich schlage vor, dass Sie sich um die beiden Zivilisten kümmern, die jetzt hier so verloren herumstehen wie bestellt und nicht abgeholt. Ich werde versuchen, unseren bedauernswerten Warrior aus ihrer Verwirrung zu befreien. Ich bin ausgebildet, was die Durchführung von Vernehmungen angeht. Ich denke, dass es mir schon gelingen wird, ihre Zunge zu lösen und vor allem jenen gordischen Knoten, den sie anscheinend in ihrem Kopf hat.“ „Also schön, Agent.“, sagte Time und wandte sich ab.

Yetron wies Shorna an, gegenüber ihm Platz zu nehmen. Dann sagte er: „Lassen Sie uns nun einmal versuchen, Klarheit in Ihre Konfusion zu bringen.“ „Wie wollen Sie das denn anstellen, Agent.“, resignierte Shorna. „Nun. Das hängt ganz von Ihnen ab.“, sagte der Agent. „Ich bin nämlich auf Ihre Mithilfe angewiesen. Da ich keine telepathischen Fähigkeiten habe, kann ich Sie nur verbal dirigieren und muss mich somit darauf verlassen, dass Sie mitmachen. Ich denke aber, dass das in Ihrem Interesse liegt. Genesianerinnen mögen es meines Wissens nämlich gar nicht, wenn sie verwirrt sind, weil sie sich dann sehr hilflos und schwach vorkommen. Da ich Ihnen aber anbiete, diesen Konflikt mit meiner Hilfe zu lösen, sollten Sie …“ „Wenn Sie wüssten, wie gut Sie darin sind, Ihr Gegenüber zu manipulieren, Agent.“, fiel ihm Shorna ins Wort. „Was sagt Ihnen, dass ich das nicht wüsste, Warrior?!“, grinste Yetron.

Er holte ein Pad aus seiner Tasche. Yetron war einer der Agenten, die ohne ihr Pad fast nirgendwo hingingen. Dann legte er es zwischen Shorna und sich auf den Tisch, um gleich darauf das sich auf dem Pad befindende Programm für Vernehmungen zu starten und sie zu fragen: „Sind Ihre Personalien noch immer die gleichen?“ „Sicher.“, bestätigte Shorna. Yetron tippte mit dem Finger auf ja, worauf der Rechner des Pads die von Shorna aus vorherigen Vernehmungen bekannten Personalien in das Programm einfügte.

Diesem Prozess hatte Shorna zugesehen. Dann sagte sie: „Ich glaube aber, dass ich nicht wirklich weiß, wo ich beginnen soll, Agent.“ „Das lassen Sie mal meine Sorge sein.“, sagte Yetron. „Es ist im Allgemeinen ohnehin üblich, dass der vernehmende Agent die Fragen stellt und die Zeugin nur antworten muss.“ „Da erzählen Sie mir garantiert nichts Neues, Sir.“, sagte Shorna. „Dann sind wir uns ja einig.“, grinste Yetron.

Shorna lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Das war ja schon mal ein guter Anfang.“, lächelte der demetanische Agent ihr zu. „Und nun möchte ich, dass Sie die Augen schließen und sich vorstellen, dass Sie gerade mit Caroline und Hein diesen Raum verlassen haben. Wohin sind Sie dann zuerst gegangen, Warrior?“ „Wir gingen zur Brücke, Sir.“, sagte Shorna. „Was ist dann passiert?“, fragte Yetron. „Es macht mir gar nichts, wenn Sie mir jedes Detail schildern. Ich denke sogar, dass Ihnen das helfen könnte, sich an bestimmte Dinge besser zu erinnern. Um das zu verbessern, könnten wir auch mit einer Augenbinde arbeiten. Dann müssen Sie nicht immer krampfhaft darauf achten, Ihre Augen geschlossen zu halten. Ich weiß, dass Sie, als genesianische Kriegerin und Waffenoffizierin unseres Schiffes, immer sehr wachsam sind.“ „Ich denke, das wird nicht nötig sein, Sir.“, entgegnete Shorna. „Also gut.“, sagte Yetron. „Machen wir also weiter. Gehen Sie noch einmal in die Situation auf der Brücke zurück, Shorna. Was ist dort zuerst geschehen?“ „Ich bat Sensora, uns zur Illustration einige Bilder auf den Hauptschirm zu stellen, damit Hein und Caroline einen Eindruck von unserer Arbeit bekommen konnten. Das hat sie dann auch getan. Wir haben aber außer Sternen nichts gesehen. Aber das fanden Caroline und Hein wohl so romantisch, dass beide voreinander auf die Knie gefallen sind und sich gegenseitig einen Heiratsantrag gemacht haben. Dann hat mich Caroline gefragt, ob Time Trauungen vornehmen darf, was ich bejaht habe. Dann wollten beide so schnell wie möglich heiraten.“ „Sehr gut, Shorna.“, sagte Yetron. „Öffnen Sie jetzt bitte wieder die Augen und kommen Sie zu uns zurück.“

Shorna öffnete ihre Augen, holte tief Luft und sagte dann: „Ich hoffe, meine Aussage hat Sie zufriedengestellt, Agent.“ „Ob ich zufrieden bin, ist nicht relevant.“, sagte der Demetaner. „Viel wichtiger ist, ob Ihre Worte der Wahrheit entsprechen oder nicht. Ich habe noch nie gehört, dass eine Zeugin verpflichtet sei, auf die Gefühle ihres vernehmenden Agenten Rücksicht zu nehmen. Das wäre mir ganz neu.“ „Was ich gesagt habe.“, sagte Shorna. „Ist die volle Wahrheit!“ „Und was hat Sie dann daran so verwirrt?“, fragte Yetron. „Ich glaube, das war die Tatsache, dass sie einander den Antrag gemacht haben.“, sagte die Waffenoffizierin. „Wissen Sie, an sich ist es üblich, dass ja nur eine Person der anderen …“ „Das ist nicht ganz korrekt.“, sagte Yetron. „Es gibt durchaus Völker, in denen ein gemeinsamer Antrag üblich ist. Die wörtliche Übersetzung des demetanischen Begriffes für Heiratsantrag lautet beispielsweise eigentlich: Verständigung. Das bedeutet, dass sich beide auf Augenhöhe darüber verständigen, miteinander die Ehe einzugehen und nicht einer fragt und der andere quasi vor vollendete Tatsachen gestellt wird und das vielleicht sogar noch in der Öffentlichkeit.“ „Das stimmt.“, sagte Shorna. „Nein zu sagen, könnte sich dann mancher nicht trauen und dann …“ „Genau.“, sagte Yetron. „Und dann. Dann kann, es muss nicht, auch eine ziemlich bedrückende Situation für die Befragte entstehen. Laut einem alten überkommenen Brauch ist es nämlich meistens der Mann, der die Frau befragt. Das kommt noch aus einer Zeit, in der die Ehe vornehmlich eine Versorgungseinrichtung war. Es ist aber in unserer gleichberechtigten Zeit lange nicht mehr zeitgemäß, wie ich ebenfalls finde. Aber ich bin damit offensichtlich nicht allein.“ „Nein, sind Sie garantiert nicht, Sir.“, sagte Shorna. „Caroline und Hein sehen das wohl genauso. Aber noch mal eine andere Frage: Das mit der falschen Übersetzung. Ich meine, hat das irgendein Demetaner schon mal moniert?“ „Durchaus.“, sagte Yetron. „Ich selbst war Leiter einer Initiative, die Firmen, die Universalübersetzer herstellen, mit Unterschriften überschwemmt hat. Sie haben alle versprochen, das beim nächsten Update zu berücksichtigen und das haben sie auch getan.“ „Das ist auch gut so.“, sagte Shorna. „Es ging hier ja nicht nur um ein einfaches Wort, sondern damit wurde ja auch ein wichtiger Teil Ihrer Kultur total falsch dargestellt.“ Der Agent nickte.

„Ich würde sagen, wir gehen jetzt erst mal zu Time zurück.“, sagte Shorna. „Dem müssen wir die Sache ja noch beichten.“ Einverstanden.“, sagte Yetron und stand auf. Auch Shorna tat es ihm gleich. Dann gingen sie zu Commander Time zurück.

Dieser hatte sie bereits erwartungsvoll angesehen, als sie um die Ecke kamen. „Na, wie ist es gelaufen?“, fragte Time neugierig. Yetron stieß Shorna vorsichtig in die Seite, woraufhin sie die Füße zusammenstellte, den Rücken geradebog und salutierend sagte: „Sir, die Waffenoffizierin ist erfreut, Ihnen melden zu dürfen, dass unsere Passagiere sich gegenseitig einen Heiratsantrag gemacht haben und von Ihnen auf der Stelle getraut werden möchten!“ „So, so.“, sagte Time. „Und das war der Grund, aus dem Sie so verwirrt waren, Shorna?“

„Offensichtlich.“, erklärte Yetron, der für Shorna in die Bresche gesprungen war, „Hatte sie der Umstand verwirrt, dass sich beide quasi gegenseitig einen Antrag gemacht haben, Sir. Sie war wohl der Auffassung gewesen, es sei in der Föderation üblich, dass dies nur von einer Person, üblicherweise von der männlichen Seite, zu kommen hat, was für eine Genesianerin wie sie an sich schon verwirrend genug sein muss. Aber dies kommt aus einer Zeit, in der die Ehe auch noch eine Versorgungseinrichtung, vorwiegend für den weiblichen Teil, war. Dies ist aber in unserer gleichberechtigten Zeit völlig überkommen und nicht mehr zeitgemäß.“ „Der hat ja wohl für alles eine Erklärung.“, flüsterte sich Time selbst in den Bart. „Das halte ich nicht aus!“

Hein und Caroline hatten sich in seine Richtung gewendet. Dann fragte Hein: „Und was is’ nun, Commander?“ „Sicher kann ich Sie trauen.“, sagte Time. „Ich denke nur, dass wir dazu noch einiges bereden müssen. Zum Beispiel müsste unser Allrounder Ihre standesamtlichen Unterlagen anfordern, damit alles seine Richtigkeit hat und die bekäme sie wahrscheinlich nur mit Hilfe Ihrer biometrischen Daten. Die könnte man mit einem Erfasserscann leicht besorgen und ich würde sie ihr dann mailen, damit sie sie dann an die Behörden auf Kinas weitergeben kann, damit sichergestellt ist, dass Sie wirklich auf meinem Schiff sind und ich nicht unbefugt auf Ihre Daten zugreifen möchte.“ „Das sollten wir dann schleunigst erledigen, Commander Time.“, sagte Caroline. „Bis die Mail mit unseren Unterlagen dann da ist, könnten wir zum Beispiel uns Trauzeugen suchen oder die Ringe aussuchen. Ich denke, Ihre Replikatoren dürften einige schöne Modelle zaubern können, nicht wahr?“ „Sie können ja prima organisieren, Caroline!“, lobte Time. „Oh das muss man wohl können, Commander.“, sagte die Siedlerin. „Wenn man irgendwo eine neue Kolonie aufbauen will, dann gehört das wohl zu den benötigten Qualifikationen, oder?“ „Da haben Sie wohl Recht.“, sagte Time.

Er winkte Yetron heran. „Agent, als ausgebildeter Kriminalist dürften Sie ja wohl am allerbesten mit einem Erfasser umgehen können. Besorgen Sie die biometrischen Daten von unseren angehenden Eheleuten und schicken Sie die dann an Sensora. Sie soll sie benutzen, um die standesamtlichen Unterlagen von Mr. Schmitt und Ms. Hansson zu besorgen. Schreiben Sie ihr das bitte auch.“ „Das hätte ich ohnehin getan.“, sagte der Demetaner. „Die Ärmste hätte doch sonst gar nicht gewusst, was sie mit der Mail hätte anfangen sollen.“ „Allerdings.“, sagte Time.

Yetron zog seinen Erfasser und ging zunächst auf Caroline zu. Dann sagte er: „Es wird nicht wehtun, Caroline.“ „Davon bin ich auch nicht ausgegangen.“, sagte Hansson. „Also, nur zu!“ Der Agent kam ihrer Aufforderung nach und scannte sie. Dann speicherte er die Daten unter ihrem Namen in seinem Erfasser ab, um sich gleich danach Hein mit der gleichen Tätigkeit zu widmen. Dann ging er zur nächsten Konsole, an die er das Gerät anschloss, um die Scans in eine SITCH-Mail an Sensoras Arbeitsplatz einzufügen und den entsprechenden Text zu formulieren.

Caroline war auf Shorna zugegangen. „Ich möchte Sie etwas fragen, Warrior.“, begann sie. „Also gut.“, sagte Shorna. „Worum geht es denn, Ms. Hansson?“ „Sie haben doch gerade gegenüber Ihrem Commander Zeugnis darüber abgelegt, dass Hein und ich heiraten möchten. Das hat doch, zumindest meiner Meinung nach, recht gut geklappt, als der Knoten erst einmal von Ihrem Ersten Offizier aufgepult worden war. Von Platzen kann man ja da nicht reden.“

Sie wollte fortfahren, aber Shorna fiel ihr ins Wort: „Augenblick mal, Caroline! Haben Sie uns etwa beobachtet?“ „Um ehrlich zu sein.“, sagte die junge Frau. „Habe ich das durchaus. Mir war aufgefallen, wie sehr Sie durch unser Verhalten verwirrt worden waren und ich wollte den Grund dafür erfahren.“ „Ach so.“, sagte Shorna erleichtert. „Dann tut es mir sehr leid, dass ich Sie so angegangen bin. Aber ich hatte gedacht, Sie wollten mich ausspionieren oder so etwas. Aber was ist denn nun Ihr Begehr?“ „Ich möchte Sie fragen, ob Sie meine Trauzeugin werden wollen, jetzt, da Sie so gut in Übung sind.“ „Sicher will ich das.“, sagte Shorna. „Ich fühle mich sogar äußerst geehrt!“ „Na dann!“, sagte Caroline und die Frauen schlugen ihre Hände ineinander. Dann standen beide von ihren Stühlen auf und gingen im Schulterschluss auf Hein zu. „So.“, sagte Caroline. „Ich habe meine Trauzeugin schon gefunden!“ „Kik mol!“, rief Hein begeistert aus, was man in etwa mit: „Sieh mal einer an!“, übersetzen konnte. „Dann nehm ich …“ Er begann damit, sich unter den männlichen Anwesenden umzusehen.

Shimar war in seiner Ecke immer noch damit beschäftigt zu versuchen, Times Befehl, was den Glauben an seine Versicherung, es würde nichts geschehen, was die Sache mit Kairon anging, auszuführen. Allerdings war das etwas, das ihm einfach nicht gelingen wollte. Diese Tatsache wiederum war Yetron nicht entgangen, der gleich eines Tigers, der durch sein Revier patrouilliert, leise in der gesamten Messe auf und ab geschlichen war, als wolle er nach dem Rechten sehen. „Gibt es irgendein Problem, mein junger Freund?“, wendete sich der Erste Offizier an Shimar und setzte sich auf einen freien Platz ihm gegenüber. „Allerdings, wenn Sie schon so direkt fragen, Agent.“, sagte Shimar. „Und was für eines ist das?“, bohrte der Agent nach. „Ich kann nicht glauben, dass die Sache mit Kairon und Hein gut ausgehen wird.“, sagte mein Freund. „Wissen Sie, worum es geht?“ „Deine Einwände sind mir bekannt.“, sagte Yetron. „Aber ich denke, dass es dir helfen könnte, wenn du selbst dazu beitragen könntest, Fakten zu schaffen. Vielleicht hat das ja die richtige psychologische Wirkung auf dich.“ „Wie meinen Sie das, Agent?“, fragte Shimar interessiert. Er würde alles tun, um sich selbst wieder aus seinem Dilemma zu befreien. „Du könntest eine Rolle bei der bevorstehenden Trauung spielen.“, schlug Yetron vor. „Die des männlichen Trauzeugen wäre gerade noch vakant und du scheinst meiner Meinung nach wie prädestiniert dafür. Glaub mir, ein Demetaner wie ich hat einen Blick für so was.“ „Das glaube ich gern.“, sagte Shimar und lächelte. „Darin seid ihr ja Experten, weil ihr an das Schicksal glaubt.“ „Eben, eben.“, sagte Yetron ruhig. Dann nahm er eine abwartende Haltung ein.

Nach einer kurzen Weile schließlich, in der Shimar überlegt hatte, sagte er: „OK, Agent. Ich willige ein! Jetzt müssen wir das nur noch dem Bräutigam verkaufen.“ „Ich mache das schon.“, sagte Yetron, stand auf und rief Mr. Schmitt zu: „Hein, wir haben hier einen Freiwilligen!“

Hein drehte sich zu Yetron und Shimar. Dann folgte sein Blick dem rechten Zeigefinger des Demetaners, der in Shimars Richtung wies. „Is’ gut.“, sagte Hein. „Dann komm ran an die Back, mein Junge!“ Damit zog er Shimar mit sich.

Time hatte die Aktion seines Ersten Offiziers beobachtet. Jetzt ging er näher zu Yetron und fragte ihn leise: „Was hatte denn das gerade zu bedeuten, Agent?“ „Ich habe das eingefädelt, Sir.“, erklärte der Demetaner. „Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Sehen Sie: Hein benötigte einen Trauzeugen und Shimar eine Möglichkeit, sich selbst von der Tatsache zu überzeugen, dass es um Caroline keinen interdimensionalen Krieg geben wird. Ich dachte mir, das ginge am besten, wenn unser junger Freund dabei mithelfen würde, dafür zu sorgen, dass sie unter die Haube kommt. Dann hätte er auch immer ein Argument gegenüber sich selbst, wenn ihn mal wieder die Zweifel plagen würden.“ „Mein lieber Agent!“, sagte Time. „Das haben Sie ja mal wieder geschickt eingefädelt und ich weiß ja, wie gut Sie im Einfädeln von Dingen sind. Ich habe Sie deshalb immer machen lassen und ich wäre schön blöd, wenn ich gerade heute damit aufhören würde, Sie demetanischer Fuchs! Also gut!“ „Vielen Dank, Sir.“, sagte Yetron, machte ein unschuldiges Gesicht und ging auf seinen Platz.

Caroline und Hein hatten sich einem Replikator zugewandt. Dort hatten sie mit Shornas Hilfe tatsächlich ein Menü gefunden, in dem es Eheringe in Hülle und Fülle gab. Jetzt mussten sie sich nur noch für ein Modell entscheiden. „Ich würde sagen, wir nehmen etwas Schlichtes, Warrior.“, sagte Caroline zu Shorna, die für die Beiden die Bedienung des Gerätes übernommen hatte. „Die in Weißgold mit den silbernen Symbolen drauf haben mir sehr gefallen.“ „Was meinen Sie dazu, Hein?“, fragte Shorna. „Das is’ für mich auch OK.“, sagte Hein.

Shorna klickte das Bild der Ringe auf dem Touchscreen des Replikators an. Dann fragte sie: „Möchten Sie noch einen Schmuckstein in Ihr Exemplar, Caroline?“ „Oh nein.“, sagte Caroline. „Sie sollten schon gemerkt haben, dass ich keine große Freundin von zu vielen Schnörkeln bin.“ „Aber immerhin ist eine Hochzeit ein bedeutendes Ereignis.“, merkte die Genesianerin an. „Ich bitte Sie.“, erwiderte Caroline. „Eine Hochzeit ist heute auch nicht mehr so etwas Besonderes. Laut Statistik wird jede fünfte Ehe in der Föderation nach einem recht kurzen Zeitraum schon wieder geschieden. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich liebe Hein! Aber trotzdem bin ich keine hoffnungslose Romantikerin, die von einer Märchenhochzeit und einem Ritter auf einem weißen Pferd träumt, der sie aus ihrem Elend errettet oder so. Darüber haben Hein und ich uns bereits verständigt.“ „Oh eine Realistin!“, sagte Shorna. „Das gefällt mir! Da können Sie sich mit Allrounder Scott zusammentun. Wenn sie was von einem Mann auf einem weißen Pferd hören würde, dann würde sie mindestens verlangen, dass er ein eigenes für sie mitbringt. Sie würde auch alles versuchen, um schon mal dem Kerkermeister den Schlüssel aus dem Kreuz zu leiern!“ „Na ja.“, sagte Caroline. „Als Sternenflottenoffizierin muss sie das auch.“ „Und Sie mussten das auch.“, sagte Shorna. „Sonst wären Sie sicher nicht zur Anführerin Ihres Teams avanciert.“

Sie vervollständigte einige Eingaben, zu denen auch die Ringgröße gehörte, die sie mit Hilfe ihres Erfassers ermittelte, indem sie Carolines und Heins Hände scannte und das Ganze dann in den Replikator einspeiste. Dann fragte sie: „Wie soll denn nun Ihr gemeinsamer Familienname lauten? Der Replikator möchte das wissen wegen der Gravur.“ „Ich habe gehört.“, sagte Hein. „Dass es die Variante gibt, dass jeder den Namen des anderen an den eigenen anhängen kann.“ „Das stimmt.“, sagte Shorna, nachdem sie es ausprobiert hatte. Sie wusste, dass das Programm nur die Varianten gelten ließ, die auch nach den Gesetzen der Föderation gültig waren. „Das hat er akzeptiert. Caroline, Sie heißen dann also Caroline Hansson-Schmitt und Sie Hein Schmitt-Hansson, Hein.“

Das Gerät spuckte zwei fertige schlichte Ringe aus. Shorna nahm sie an sich. „Als Trauzeugin kann ich sie ja dann auch gleich am Ende der Zeremonie übergeben.“, sagte sie. Caroline und Hein nickten.

Time hatte allen dreien ein Zeichen gegeben. Sofort drehten sie sich zu ihm um. „Die Mail ist da.“, sagte der Commander und zeigte auf ein Pad in seiner Hand, in dem man die Stammbucheinträge von Hein und Caroline sehen konnte. „Dann können wir ja wohl.“, sagte Hein.

Time winkte Shimar, der noch gar nichts von der Sache mitbekommen zu haben schien. Auch er gesellte sich dazu. Dann sagte Time: „Ich schätze, ich darf mir die langatmige Rede über die Traditionen seit den alten Segelschiffen sparen.“ Hein und Caroline nickten. „Also schön.“, sagte der Commander der Sternenflotte. „Dann frage ich Sie jetzt ganz direkt: Möchten Sie, Caroline-Susanna Hansson, den hier anwesenden Hein- Jürgen Schmitt zu Ihrem rechtmäßigen Ehemann nehmen?“ Dabei hatte er wegen des Ü-Lautes in Heins zweitem Vornamen erhebliche Schwierigkeiten, wie es die meisten nativ Englischsprachigen haben.

Caroline machte ein verwirrtes Gesicht. Dann fragte sie: „Du hast einen zweiten Vornamen?“ „Na du doch auch!“, erwiderte Hein mit seiner typischen norddeutschen breiten Aussprache.

Alle Anwesenden mussten verdammt stark an sich halten, um nicht in einen furchtbaren Lachkrampf auszubrechen. Selbst Time, der eigentlich sehr ernst bleiben musste, hatte damit seine Schwierigkeiten. „Aber gut.“, sagte Caroline. „Wenn wir in diesem Fall schon Leidensgenossen sind, können wir uns ja auch sonst zusammentun.“ Sie grinste Hein breit an. Dann sagte sie laut und mit dem Brustton der Überzeugung: „Ja, das will ich, Commander Time!“ „Na also.“, sagte Time und fuhr fort: „Möchten Sie, Hein-Jürgen Schmitt, die hier anwesende Caroline-Susanna Hansson zu Ihrer rechtmäßig angetrauten Ehefrau nehmen?“ „Ja sicher, Commander!“, sagte Hein und machte fast einen Luftsprung. „Dann erkläre ich Sie beide hiermit zu laut dem Gesetz der Föderation der vereinten Planeten rechtmäßig verbundenen Eheleuten.“ So musste er formulieren, um auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es in der Föderation auch Spezies gab, die mehrere Geschlechter hatten. Um diese nicht zu diskriminieren, und auch gleichgeschlechtliche Ehen nicht an den Rand zu drängen, hatte der Text allgemein immer so lauten müssen, egal, wer wen heiratete.

Shorna übergab die Ringe. Dabei gab sie den für Caroline an Hein und den für Hein an Caroline. Beide steckten sie sich gegenseitig an. Dann sagte Time zu Hein: „Sie dürfen die Braut jetzt küssen!“ „Komm her, mein Schietbüdel!“, sagte Hein und drückte ihr einen dicken Kuss mitten auf den Mund. Alle applaudierten.

Kapitel 40: Unerwartete Ereignisse

von Visitor

 

Shimar war, nachdem seine Pflicht als Trauzeuge erfüllt gewesen war, in eine Ecke verschwunden, um sich endlich um sein die ganze Zeit über bereits in seiner Tasche piependes Sprechgerät zu kümmern. Er hatte es eine gewisse Zeit lang ignorieren können, aber jetzt ging das nicht mehr. Im Display konnte er Zirells Rufzeichen ablesen, hinter dem sich aber auch ein Symbol für die Benutzung IDUSAs als Relais befand. „Was gibt es, Zirell?“, fragte er. „Endlich erreiche ich dich.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „IDUSA hat mir schon von deinem kleinen Problem erzählt, obwohl ich aus ihrem Bericht nicht ganz schlau geworden bin. Aber das werden wir sicher auch anderweitig klären können. Es gibt Dinge, die viel wichtiger sind. Wo ist Tolea? Konntest du sie überreden?“ „Tolea wird uns nicht helfen können, Zirell.“, sagte Shimar. „Sie hat ihre Kräfte temporär verloren und liegt auf der Krankenstation dieses Schiffes. Sie werden alles versuchen, um ihr zu helfen. Aber dafür müssen sie Tolea wohl mit auf ihre Basis nehmen. Aber ich habe eventuell doch noch Hoffnung in Form von Kairon für uns.“ „Was hat denn das nun wieder zu bedeuten?!“, fragte Zirell, die langsam nicht mehr zu wissen schien, wo ihr der Kopf stand. „Vielleicht kann er uns ja auch helfen.“, sagte Shimar. „Seine Schwester und er sind gleichstark. Vielleicht kann er etwas gegen Dirans Bann und sein Koma tun.“ „Einen Versuch wäre es auf jeden Fall wert.“, sagte Zirell. „Aber ich muss mich bezüglich dessen mit Maron besprechen und auch mit Ishan. Sobald du kannst, solltest du dich auf den Weg machen. Ich persönlich denke, dass es gut ist, wenn du Kairon mitbringst. Irgendein Q ist schließlich besser als gar keiner.“ „Ich werde ihn sofort aufsuchen und dann fliegen wir los, Zirell.“, sagte Shimar. Dann beendete er das Gespräch.

Zirell hatte Maron angesehen. „Die Sache wird immer mysteriöser.“, sagte sie. „Das stimmt.“, sagte der Demetaner. „Aber ich glaube kaum, dass uns Ishan da groß weiterhelfen kann. Ich denke, er wird mit seinem Latein langsam am Ende sein. Aber Shiranach und ihr Mann sind ja noch hier. Vielleicht wissen die Beiden ja mehr über den Bann und über Arten, jemanden aus ihm zu erlösen, wenn es die Urheberin nicht mehr kann. Tabran war Jorans Ausbilder, als er noch Sytania diente und Shiranach war Priesterin bei Dills Vendar. Das heißt, sie ist heilkundig. Wenn das keine gute Mischung ist, dann weiß ich es auch nicht.“ „Also gut.“, sagte Zirell. „Sprich mit den Beiden, Maron. Das ist immerhin besser, als gar nichts zu tun. Bis Shimar hier ist, vergeht sicher auch noch etwas Zeit und die sollten wir nutzen. Soweit ich Ishan verstanden habe, läuft Diran nämlich langsam die Zeit davon.“ „OK, Zirell.“, sagte der erste Offizier, stand auf und ging aus der Kommandozentrale in Richtung des nächsten Turbolifts.

Kairon hatte sich die gesamte Zeit über in der Nähe der Krankenstation herumgedrückt. Er wusste, dass er diese während der Behandlungen seiner Schwester verlassen musste, aber wenn es ihm möglich war, so wollte er doch so lange und so oft wie möglich bei ihr sein. Das hatte auch Shimar vermutet, der ihn jetzt aufsuchte, um ihm mitzuteilen: „Ich muss wieder los, Kairon. Ich habe Zirell aber versprochen, dass du mit mir kommst, um Diran zu helfen. Deine Schwester, die das eigentlich ja sollte, kann das im Moment wohl nicht.“ „So.“, lächelte der Mächtige. „Du stellst mich also einfach vor vollendete Tatsachen. Aber gut. Wenn es wirklich so nötig ist, dann werde ich dich begleiten! Ich möchte mich nur noch kurz nach dem Zustand meiner Schwester bei Ketna und Solthea erkundigen und mich von Tolea verabschieden. Bitte geh du doch schon mal zu IDUSA und lass ihren Antrieb warmlaufen. Ich komme bald nach.“ „OK.“, sagte der junge Tindaraner und drehte sich fort.

Der Mächtige ging zum nächsten Sprechanlagenterminal und drückte jenen Knopf, hinter dem sich das Rufzeichen des Behandlungsraums verbarg. Das konnte er im Menü auf dem Display gut sehen. Ketna beantwortete den Ruf von drinnen: „Ketna hier!“ „Scientist, hier spricht Kairon.“, gab sich jener zu erkennen. „Ich würde gern erfahren, wie es meiner Schwester geht. Shimar benötigt meine Hilfe in seinem Heimatuniversum. Das bedeutet, ich kann Tolea nicht bis zu Ihrer Station begleiten. Ich würde mich aber gern von ihr verabschieden.“ „Na gut.“, sagte die Ärztin. „Normalerweise darf keine unbefugte Person im Raum sein, während wir einen Patienten behandeln. Aber ich denke, in diesem Fall können wir mal eine Ausnahme machen. Kommen Sie rein!“ „Vielen Dank, Ketna.“, sagte Kairon und beendete die Verbindung. Dann legte er einen Finger auf einen Sensor, worauf sich sofort die Tür zur Krankenstation vor ihm öffnete.

Toleas Bruder ging leise in Richtung des Behandlungsraums weiter. Dort angekommen fand er seine Schwester auf einer weißen Liege vor. Über ihrem Kopf befand sich ein halbrunder Reifen aus Metall, in den offensichtlich Emitter für die Behandlung durch einen Stimulator eingebaut waren. Hinter einem Monitor an einer Konsole saß Ketna und überwachte die Prozedur. Hier hielt Kairon kurz an, um sie zu fragen: „Ist sie ansprechbar, Scientist?“ „Ja.“, nickte die Zeonide, die immer noch konzentriert auf den Schirm sah, um die Behandlung gegebenenfalls jeder Veränderung sofort anpassen zu können. „Sie können mit ihr reden, Kairon. Aber regen Sie Ihre Schwester bitte nicht auf. Das könnte die Werte verfälschen und der Computer könnte darauf entsprechend mit dem selbstständigen Abbruch der Behandlung reagieren. Ich denke, das ist etwas, das wir beide nicht wollen werden, da ich in dieser sensiblen Phase dann gleich wieder von vorn anfangen könnte. Mit den hier vorhandenen Geräten ist ohnehin nur eine provisorische Behandlung möglich. Auf der 818 habe ich da noch andere Mittel. Dort kann ich auch schnell Geräte oder Medizin von anderen Sternenbasen anfordern.“ „Ich sehe, meine Schwester ist bei Ihnen in guten Händen, Ketna.“, lächelte Kairon und schlenderte an ihr vorbei in Richtung der Liege.

Tolea musste ihn kommen gehört haben, drehte sich aber nicht zu ihm um. Das war aber beileibe keine Unhöflichkeit, sondern war die Folge einer Anweisung Ketnas, der nach sich die Patientin nicht bewegen durfte, damit der Stimulator seine Zielerfassung nicht verlor. „Bitte vergib, dass ich dich nicht ansehe, Bruder.“, sagte Tolea. „Ist schon gut, Schwesterchen.“, sagte Kairon und griff nach ihrer rechten Hand. Sie aber zog sie weg. „Das dürfen wir jetzt nicht.“, erklärte sie. „Die Geräte könnten sonst durcheinanderkommen, sagen Ketna und Solthea.“ „Entschuldige.“, sagte Kairon. „Ich bin eben mit den Erfindungen von Sterblichen nicht vertraut. Ich bin auch eigentlich nur hier, um mich von dir zu verabschieden. Shimar und ich fliegen zu seiner Garnison. Dort liegt Diran auf der Krankenstation, wie du weißt.“

Er warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, um dann fortzufahren: „Den hast du ja auf dem …“ „Es tut mir leid.“, sagte Tolea. „Ich muss wohl nach der Vision von den Quellenwesen nicht mehr so ganz gewusst haben, was ich tue und sage. Aber wie konnten Sytania und ihre Vendar davon erfahren und das so schändlich ausnutzen? Ich hörte Gerüchte, denen nach man dem armen Diran wohl eine Falle gestellt haben soll! Das bedeutet, sie haben es gewusst! Wie kann das sein, Bruder?! Wie kann das sein? Ich habe nicht gespürt, dass Sytania uns mental beobachtet hat.“ „Das hat sie auch nicht.“, erklärte Kairon. „Die Tindaraner haben Dirans Schiff. Aus dessen Daten geht hervor, dass sie Diran und dich mit Hilfe von Technologie ausspioniert haben müssen. Ich hörte, dass Cirnach, die Ehefrau von Telzan, Sytanias oberstem Vendar, eine sehr gute Lippenleserin sein soll.“ „Wie schrecklich!“, rief Tolea aus.

Einige Werte auf dem Bildschirm schnellten sofort in die Höhe und Kairon erinnerte sich, was Ketna ihm gesagt hatte. „Bitte beruhige dich wieder, Schwesterchen.“, sagte er. „Wir werden die Situation schon wieder in den Griff bekommen.“ „Aber wie wollt ihr das denn anstellen?“, fragte Tolea verzweifelt. „Ich habe den Bann über Diran verhängt und ich bin auch die Einzige, die ihn wieder aufheben kann!“ „Vielleicht nicht.“, sagte Kairon. „Ich darf dich an deine eigenen Worte erinnern, nach denen die Sterblichen sehr erfindungsreich sind und mit Sicherheit für jedes Problem eine Lösung finden würden, wenn sie nur genug Zeit dazu hätten. Ich denke, wir werden uns einfach auf sie verlassen müssen.“ „Du könntest Recht haben, Bruder.“, sagte Tolea. „Ich denke, dass sich jetzt herausstellen wird, ob meine Worte nur graue Theorie sind, oder tatsächlich etwas Wahres an ihnen ist.“ „Ich für meinen Teil bin verdammt sicher, dass etwas Wahres an ihnen sein wird, Schwesterchen!“, sagte Kairon mit Überzeugung. „Auf Shimars Heimatbasis haben sie immerhin eine gewisse Techniker Jenna McKnight und auch alle anderen sind nicht dumm. Ich bin überzeugt, sie sind bereits fieberhaft mit der Suche nach einer Lösung für Diran beschäftigt und werden uns, wenn wir ankommen, vielleicht schon mit einer überraschen!“ „Aber wie soll die denn aussehen?“, fragte Tolea. „Noch nie ist auf die Art der Sterblichen ein Bann von einem Vendar genommen worden, den ein Mächtiger gegenüber im ausgesprochen hat. Es gibt da keine Lösung. Wie …?“ „Du solltest wohl eher die Vergangenheitsform benutzen, Schwesterchen.“, ermutigte Kairon sie. „Du solltest besser sagen: Es gab bisher noch keine! Ich kann verstehen, dass dich deine Schuldgefühle so negativ denken lassen. Aber ich denke nach wie vor, dass es dafür gar keinen Anlass gibt.“ „Ich hoffe sehr, dass du Recht behalten wirst, Kairon.“, sagte Tolea und warf ihm einen verzweifelten Blick zu. „Ich hoffe es so sehr!“

Kairon wandte sich noch einmal Ketna zu: „Ich muss Sie jetzt wirklich verlassen, Scientist.“, sagte er. „Die Zeit drängt für Diran. Wenn wir nicht bald dort sind, könnte es zu spät sein. Ich konnte Tolea nicht überzeugen, wie es scheint, aber sagen Sie ihr bitte von mir, dass wir nichts unversucht lassen werden, auch auf die Gefahr hin, dass wir das so lange wiederholen, bis es ihr zum Hals raushängt.“ „Sie haben mein Wort, Kairon.“, erwiderte die Ärztin. Dann ging der Mächtige aus dem Raum in Richtung eines Turbolifts, der ihn zum Hangardeck brachte, wo er bereits an Bord von IDUSA durch Shimar erwartet wurde. Dann startete das tindaranische Schiff.

Mit der Suche nach einer Lösung war Maron im Augenblick auch wirklich sehr stark beschäftigt, indem er jetzt vor Shiranachs und Tabrans Quartier stand und die dortige Sprechanlage betätigte. Tabran hatte dies als erster wahrgenommen und beantwortete den Ruf: „Hier ist Tabran!“ „Hier ist Agent Maron.“, antwortete der Demetaner. „Ich müsste dringend mit euch reden. Es geht um Diran. Darf ich reinkommen?“ „Von mir aus gern.“, sagte der Vendar und forderte IDUSA auf, die Tür zu entriegeln.

Der Rechner war der Aufforderung nachgekommen und Maron schritt jetzt langsam durch die vor ihm auseinandergeglittenen Türflügel. Dann ging er in Richtung des Wohnzimmers. Hier fand er dann auch Tabran und seine Frau vor. Beide saßen auf typischen vendarischen braunen Kissen vor dem niedrigen Tisch. Auf dem Tisch stand eine große weiße Schüssel mit Tchalback und vor jedem der Beiden befand sich jeweils eine kleinere ebenfalls weiße gläserne Schüssel. Außerdem hatten beide jeweils einen Löffel in der rechten Hand. „Oh.“, sagte Maron und machte ein peinlich berührtes Gesicht. „Ihr seid wohl gerade beim Abendessen. Ich habe euch wohl gestört. Na, ich werde ein anderes Mal wiederkommen, wenn …“

Mit einer für sein Alter wirklich noch blitzschnellen Bewegung hatte Tabran Marons Arm gepackt und ihn so daran gehindert, den Raum und das gesamte Quartier wieder zu verlassen. Dann hatte er seiner Frau etwas in Vendarisch zugezischt. Shiranach hatte ihm nur grinsend zugenickt und war in Richtung Replikator verschwunden. Maron, den die Reaktion seines Freundes doch sehr gewundert hatte, sah Tabran verwirrt an. „Hätte ich dich reingelassen, wenn du bei uns nicht willkommen wärst?“, fragte er. „Sicher nicht.“, sagte der Demetaner. „Da hast du es.“, sagte Tabran und führte ihn auf seinen persönlichen Platz. Er selbst zog sich ein weiteres Kissen heran und setzte sich auf die andere Seite. Jetzt saß Maron quasi in der Mitte zwischen ihm und Shiranach, die jetzt auch mit einem weiteren Schüsselchen und einem Löffel zurückkam. „Wir haben Tchalback a la Sternenflotte.“, sagte die alte Vendar, während sie den großen Schöpflöffel in der großen Schüssel in die rechte Hand nahm. „Möchtest du etwas, Maron El Demeta?“ „Wenn ich ablehne, kassiere ich von deinem Mann sicher eine gehörige Ohrfeige, dass es nur so schallt.“, scherzte Maron und nickte grinsend. Shiranach füllte seine Schüssel.

Tabran hatte über das Geschehene nachgedacht. „Es tut mir leid, wenn ich etwas schroff zu dir war, Maron El Demeta.“, sagte er dann. „Mir muss es leid tun, Tabran.“, sagte Maron. „Ich bin von den Gegebenheiten in meiner Kultur ausgegangen und da hat man es nicht gern, beim Abendessen gestört zu werden. Irgendwie hatte ich vollkommen übersehen, dass du mir ja im Prinzip das OK gegeben hattest.“ „Ist schon gut, Maron El Demeta.“, sagte Tabran. „Ich hätte mich wohl auch stärker zurückhalten sollen. Wenn wir beide mehr Rücksicht auf die Kultur des anderen genommen hätten, dann wäre es zu diesem Missverständnis gar nicht erst gekommen.“ „Was genau meinst du damit, Tabran?“, fragte Maron. „Ich meine.“, erklärte der Vendar, „Dass ich doch tatsächlich davon ausgegangen bin, du würdest unsere Gastfreundschaft zurückweisen wollen. Das hat mich etwas empört und deshalb habe ich mich wohl dir gegenüber so verhalten. Bitte vergib mir.“ „Oh ich bezweifele, dass ich die Macht dazu habe.“, sagte Maron. „Ich bin schließlich kein Gott und kann deshalb allenfalls dein Verhalten verzeihen, was ich hiermit auch tue.“ „Dann wird das wohl reichen müssen.“, sagte Tabran und lächelte ihn an.

Maron widmete sich nun schweigend seinem Essen. „Ich kannte diese Variante von Tchalback noch nicht.“, sagte er mit vollen Backen. „Da muss terranischer Schafskäse drin sein.“ „In der Tat.“, sagte Shiranach lächelnd. „Aber mich wundert, dass du das noch nicht kennst, Agent Maron. Schließlich kennt euer Replikator das Rezept schon eine ganze Weile. Aber du hast es wohl noch nie ausprobiert, wie ich vermute, nicht wahr?“ „In der Tat.“, nickte Maron. Tabran und seine Frau lächelten. „Warum hast du es denn noch nie ausprobiert?“, fragte Shiranach. „Ich weiß es nicht.“, gab Maron zu. „Ich denke, mir hat einfach der Mut gefehlt. Das ist für einen ehemaligen Sternenflottenoffizier sicher ungewöhnlich, da wir ja eigentlich mutig dorthin gehen sollen, wo noch nie jemand vor uns gewesen ist, aber …“ „Nun.“, lächelte Shiranach ihm zu. „Ich denke, niemand wird dir dafür den Kopf abreißen, Agent. Schließlich ist jedes Wesen individuell verschieden und der eine ist vielleicht hier mutig und der andere dort. Das muss überhaupt nichts bedeuten! Zumindest meiner Meinung nach.“ „Da bin ich ja froh, dass du das so siehst, Shiranach.“, sagte Maron erleichtert. „Aber ich habe den Ruf, nicht sehr mutig oder tapfer zu sein. Dann passt das ja zu mir.“ „Vielleicht ist deine Stunde einfach noch nicht gekommen, Maron El Demeta.“, sagte die Vendar. „Wir glauben.“, ergänzte ihr Mann. „Dass die Götter für jeden eine große Stunde vorgesehen haben. Wie sie aussieht und wann sie schlägt, verraten sie einem aber nicht.“ „Interessant.“, sagte Maron.

Er hatte seine Schüssel bis auf den letzten Rest geleert. Dann fragte er: „Ihr wollt sicher wissen, warum ich hier bin.“ „Wir konnten uns schon denken, dass es nicht dein alleiniges Ziel war, mit uns eine Schüssel Tchalback zu teilen.“, sagte Tabran. „Und wir sind auch sicher, dass auch dein Satz mit dem Gott seinen Sinn hatte. Du weißt ja bestimmt auch, dass wir dich nicht für einen halten.“ „Jetzt bin ich aber enttäuscht.“, grinste Maron breit. Dann machte er ein übertrieben beleidigtes Gesicht, das so übertrieben war, dass Shiranach und Tabran laut lachen mussten. „Er hätte Schauspieler werden sollen, Telshanach, nicht wahr?!“, lachte Tabran und schlug sich auf die Schenkel. Shiranach nickte nur zwischen zwei Lachsalven.

Es dauerte eine Weile, bis die beiden Vendar ihre Fassung wiedergefunden hatten. Dann fragte Shiranach: „Was ist denn nun der Grund für dein Hiersein, Maron El Demeta?“ „Was wisst ihr über das Bannwort?“, fragte Maron jetzt sehr konkret. „Wir wissen, dass es nur von Mächtigen gegenüber uns Vendar ausgesprochen eine Wirkung hat. Dann aber müssen wir erfüllen, was uns der Mächtige befohlen hat und tun das auch unbewusst. Ich hatte angenommen, Joran hätte euch darüber informiert.“, antwortete Tabran. „Doch, das hat er.“, sagte Maron. „Aber ich hatte gehofft, ihr hättet mir noch etwas Konkreteres sagen können. Zum Beispiel hatte ich auf Informationen gehofft, die uns zeigen könnten, ob es noch andere Möglichkeiten der Lösung gäbe.“ „Ich denke, dass du hier die Falschen fragst.“, sagte Tabran. „Ich habe Sytania gedient und die hatte nun wirklich kein Interesse daran, dass ihre Vendar, wenn sie einmal den Bann über sie ausgesprochen hat, eine Möglichkeit finden würden, sich selbst daraus zu befreien.“ „Kann ich mir denken.“, sagte Maron und wollte schon aufgeben. Dann aber sagte Shiranach: „Du hättest wohl besser gesagt, dass er den Falschen gefragt hat, Tabran. Ich kann mir nämlich durchaus eine Möglichkeit vorstellen. Dill ist da nicht ganz so streng und ich war Priesterin unter seinen Vendar. Das heißt, ich bin heilkundig. Begleite mich, Maron El Demeta! Wir werden schon eine Lösung finden!“ Damit schritt sie ihm voran in ein anderes Zimmer. Sie hatte allerdings die große Schüssel mit den Resten des Abendessens und auch Marons und ihre Schüssel mitgenommen.

Im Kinder- beziehungsweise Gästezimmer angekommen stellte sie die Schüsseln dort auf einen Tisch und gab Maron seine in die rechte und ihre in die linke Hand. Dann füllte sie beide bis zu einem bestimmten Punkt mit der gleichen Menge auf. „Streck deine Arme aus und lasse sie ganz locker.“, forderte sie Maron auf, der das auch bereitwillig tat. „Nur wenn du locker lässt, kannst du auch wirklich das Gewicht fühlen.“ „Das leuchtet mir ein.“, sagte der Agent. „Und was fühlst du nun?“, fragte die Vendar. „Ich fühle, dass die beiden Schüsseln gleich schwer sind.“, sagte Maron. „Das ist korrekt.“, sagte Shiranach und häufte noch einmal die Menge, die in einen durchschnittlichen terranischen Teelöffel passen würde, in Marons Schüssel. Da der Demetaner ihre Hände nicht beobachtet hatte, weil er ihr vertraute, war er über die Tatsache, dass seine Hand sich leicht Richtung Boden bewegte, etwas überrascht. „Genauso dürfte es mit dem Bann gehen.“, sagte Shiranach. „Gleichstarke Kräfte dürften nichts erreichen, aber nur die kleinste Veränderung könnte …“ „Ich denke, ich habe dich verstanden, Shiranach.“, sagte Maron und strahlte sie an. „Aber ich werde das noch mit Zirell und Ishan besprechen müssen.“ „Tu das.“, sagte die alte Vendar ruhig. „Es ist ja auch nur eine Theorie.“ „Aber eine sehr Gute.“, sagte Maron. Dann verabschiedete er sich und ging. Er hatte noch sehr gut im Ohr, was die Vendar über die große Stunde gesagt hatten. Vielleicht war die Seine ja jetzt gekommen. Gänzlich ausschließen wollte er das auf jeden Fall nicht.

Kapitel 41: Eine kurze Atempause

von Visitor

 

Jennas Update hatte IDUSA, Shimar und Kairon wieder sicher in die tindaranische Dimension gebracht. Das zeigte, dass sich wohl an der Ladungsverschiebung nicht viel geändert haben musste. Die Erste, die äußerte, dass dies jedoch sehr ungewöhnlich war, war das Schiff. „Ich finde es seltsam, dass Techniker McKnights Update immer noch funktioniert.“, sagte IDUSA. „Was willst du damit sagen?“, fragte Shimar. „Das ist doch eigentlich sehr positiv, oder?“ „An sich schon.“, antwortete IDUSA. „Sie scheinen nur zu vergessen, dass wir es hier offensichtlich mit einer starken Veränderung der Macht zu tun haben, die eventuell jetzt zum Stillstand gekommen ist. Vielleicht ist das aber nicht von langer Dauer und es handelt sich lediglich um eine Atempause. Ich verstehe auch nicht, warum Sytania und Valora nicht weiter nach der Macht greifen. Etwas muss sie aufgehalten haben. Aber meiner Analyse der Situation nach kann das nur temporär sein.“ „Was soll denn da deiner Meinung nach passiert sein?“, fragte Kairon, der ebenfalls wieder seinen Neurokoppler trug, um sich besser mit dem Schiff verständigen zu können. Es machte ihm mittlerweile nichts mehr aus, sich nach Art der Sterblichen zu bewegen und die Probleme nach Art der Sterblichen anzugehen. Seiner eigentlichen Mentalität kam das ja auch entgegen. Tolea und er waren schließlich nicht mehr wie die alten Q.

„Ich kann Ihre Frage leider nicht beantworten, Kairon.“, sagte IDUSA, nachdem sie ihre Datenbank nach einer eventuellen Lösung durchforstet hatte. „Es scheint, als fehlten mir noch die entsprechenden Daten. Denkbar wäre allerdings, dass es Sytania und Valora mit einem Problem zu tun haben, das sich ihnen in den Weg gestellt hat und das sie noch nicht lösen konnten.“ „Das muss aber ein sehr mächtiges Problem sein.“, merkte Shimar an. „Davon ist auszugehen.“, erwiderte das Schiff.

Kairon hatte begonnen, sich auf Sytania und Valora zu konzentrieren, eine Tatsache, die dem Schiff, da er den Neurokoppler trug, nicht entgangen war. „An Ihrer Stelle würde ich das jetzt nicht versuchen, Kairon.“, sagte IDUSA. „Wenn die Beiden auf Sie aufmerksam werden, könnten sie Ihnen sehr schaden.“ „Ich passe schon auf, IDUSA.“, sagte Kairon zuversichtlich. „So leicht kriegen die Beiden mich nicht.“

Kaum hatte er dies jedoch gesagt, durchfuhr seinen gesamten Körper ein krampfartiger Schmerz und er sank ohnmächtig neben Shimar in den Sitz. „Genau das ist der Grund, aus dem ich so was gar nicht erst versuche.“, sagte Shimar. „Die Situation hat sich verändert, jetzt, da ein Einhorn an Sytanias Seite kämpft. Offenbar hat er das noch nicht kapiert!“ Er warf einen wütenden Blick auf den Bewusstlosen. „Ich kann Ihr Verhalten verstehen, Shimar.“, sagte IDUSA. „Er verspricht zwar, dass er nichts Unüberlegtes tun wird und sich uns anvertraut, aber kaum drehen wir ihm den Rücken zu, ist all das schon wieder vergessen.“ „Das scheint mir auch so.“, sagte Shimar mit einem missmutigen Ausdruck in der Stimme. „Aber dann müssen wir ihm mal wieder aus der Patsche helfen. Komm! Geh auf Warp! Wir sollten uns beeilen, damit er zu Ishan kommt. Da ist er zumindest unter Verschluss.“

IDUSA schaltete ihren Antrieb auf Warp eins. Da sie sich schon sehr nah am tindaranischen Sonnensystem befanden, war das die einzige Möglichkeit. „Ich habe bereits eine Nachricht an Ishan verfasst und gesendet. Ich habe auch bereits Antwort erhalten.“, erklärte sie dann. „Er erwartet uns. Ich soll Kairon gleich auf die Krankenstation beamen, sobald wir in Reichweite kommen. Erst dann sollen wir docken.“ „OK.“, sagte Shimar erleichtert. „Dann wird dieser mächtige Trottel hier neben mir, der sich gerade benommen hat wie ein telepathischer Anfänger, ja hoffentlich bald in den richtigen Händen sein!“ „Soll ich Commander Zirell sagen, wie Sie über Kairon denken?“, fragte das Schiff. „Sie wissen, wie fern es mir liegt, Sie in die Pfanne zu hauen. Sollten Sie aber darauf bestehen, werde ich …“ „Nein, nein, IDUSA!“, sagte Shimar fest. „Das bleibt schön unter uns, klar?!“ „Sonnenklar, Shimar.“, sagte IDUSA.

Maron hatte wieder die Kommandozentrale betreten und war dort Zirell ansichtig geworden, die mit Joran hier ihren Dienst versah. Sofort hatte die Tindaranerin gemerkt, wie sehr sich ihr Erster Offizier freuen musste. „Was ist dir denn widerfahren, Maron?“, fragte sie verwundert. „Sonst strahlst du mich ja am frühen Abend auch nicht so an.“ „Oh, Zirell!“, sagte der Demetaner und geriet schier aus dem Häuschen. „Shiranach und Tabran haben uns die Lösung für Diran aufgezeigt! Ich weiß jetzt, dass es nur der Menge eines Teelöffels bedarf, um Diran zu retten!“ „Wovon zur Hölle redest du?!“, fragte Zirell, die wohl den Eindruck gewonnen hatte, er könnte etwas getrunken oder geraucht haben, das nicht so ganz gesund für ihn war. „Du redest gerade sehr wirres Zeug, mein Lieber.“, sagte sie. „Ich glaube, es wird Zeit, dass du mal auf Drogen untersucht wirst!“

Sie zog ihren Erfasser und scannte Maron damit. Dann sagte sie: „Du hast Glück. Er kann keine Drogen in deinem Blut finden. Aber du bist voll mit Adrenalin bis in die Haarspitzen. Entweder dein Besuch bei den Vendar hat dich so gestresst, oder es ist die Freude über das, was du mir mitteilen willst, aber wohl gerade nicht kannst.“ „Das kann schon sein, Zirell.“, sagte Maron. „Aber dann hättest du doch bestimmt die Möglichkeit, es auch anders herauszufinden.“ „Die hätte ich.“, sagte Zirell. „Nur gebietet mir die Höflichkeit, nicht in deinen Geist zu gehen, wenn du nicht einverstanden bist. Nicht-Telepathen haben keine Möglichkeit zu merken, ob ein Telepath in ihrem Kopf ist, wenn sich dieser nicht bemerkbar macht und das wäre ein Missbrauch deines Vertrauens und sehr unfair von mir. Das würde unsere Zusammenarbeit auf das Empfindlichste stören, wenn nicht sogar zerstören und das ist etwas, das ich nicht verantworten möchte!“ „Ich auch nicht, Zirell.“, sagte Maron. „Aber ich habe dir ja quasi gerade das OK gegeben.“ „Na gut.“, sagte Zirell und konzentrierte sich auf Marons Gesicht. Dann stellte sie ihm mental die Frage: Was hast du bei deinem Besuch bei Shiranach und Tabran erfahren, Maron? Zeig es mir! Zeig es mir!

Zirell fand sich neben Maron in der Situation am Abendbrottisch der Vendar wieder. Dann wechselte das Bild und sie sah Maron in Shiranachs Begleitung. Auch die Situation, die zu Marons Ausspruch geführt hatte, war ihr jetzt geläufig, da sie ihrer auch ansichtig geworden war.

Zufrieden und erstaunt ließ sie von ihm ab. „Jetzt weiß ich, was du meinst.“, sagte sie. „Allen Berechnungen nach sind Kairon und Tolea gleichstark. Aber vielleicht könnte sogar einer von uns …“

Sie kam nicht mehr dazu, ihren Satz zu beenden, denn Joran meldete: „Anführerin, Shimar hat gedockt. Er möchte aber noch von Bord seines Schiffes aus mit dir reden.“ „Dann stell ihn durch!“, befahl Zirell. Joran nickte und ließ den Rechner der Station ihren Befehl ausführen.

Die Kommandantin sah jetzt das etwas mürrische Gesicht ihres Untergebenen auf dem Schirm vor ihrem geistigen Auge über den Neurokoppler. „Was ist passiert, Shimar?“, fragte sie. „Du siehst ja nicht sehr erfreut aus.“ „Ein Haufen Ärger ist passiert, Zirell.“, sagte Shimar. „Ich glaube, Kairons Hilfe können wir erst auch einmal vergessen! Oh Backe! Der hat sich benommen wie ein Anfänger! Noch nicht mal mir würde einfallen, Valora und Sytania direkt anzugreifen oder sie gar mental ausspionieren zu wollen!“ „Jetzt verstehe ich.“, sagte Zirell, die jetzt auch den leeren Platz neben Shimar gesehen hatte. „Aber du darfst nicht vergessen, dass er wegen seiner Schwester in einer emotionalen Ausnahmesituation ist. Da macht man schon mal Fehler. Ich weiß, dass das gerade zu einem Zeitpunkt kommt, wo wir es am wenigsten gebrauchen können. Aber jetzt ist die Situation nun mal da und wir müssen mit ihr umgehen. Jammern und Klagen wird uns nirgendwo hinbringen. Ich werde mit Ishan reden. Er kann Diran vielleicht noch eine Weile am Leben halten. Ich muss sowieso über Marons neue Erkenntnisse mit ihm reden.“ „Was hat unser Agent denn herausgefunden?“, fragte Shimar. „Darüber werde ich dich schon noch informieren.“, sagte Zirell. „Erst mal muss ich wissen, was Ishan davon hält. Das ist auf jeden Fall besser, als wenn ich schon jetzt irgendwelche Pferde scheu mache.“ „Na gut.“, sagte Shimar. „Aber ich wollte Diran sowieso besuchen. Ich habe gehört, vertraute Stimmen helfen Komapatienten.“ „Also gut.“, sagte Zirell. „Dann könnten wir uns ja durchaus gemeinsam zur Krankenstation begeben. Triff mich am besten am Eingang. Dann gehst du zu Diran und ich rede mit Ishan.“ „OK.“, sagte Shimar und beendete das Gespräch. Zirell übergab das Kommando an Maron, bevor sie die Kommandozentrale verließ.

In der Umlaufbahn von Celsius hatte Kamura registriert, dass sich ihr Vater ihrer Position genähert hatte. Sie hatte kurz überlegt, ob sie davonfliegen sollte und ihren Antrieb auch schon vorbereitet, was Kamurus durchaus gesehen hatte. „Halt, hiergeblieben, meine Süße!“, SITCHte er sie an. „Wir zwei sollten erst mal reden, bevor du Warpkern über Hauptcomputer die Flucht ergreifst!“ „Es tut mir leid, Vater.“, entgegnete Kamura. „Ich wollte sicher nichts tun, dass dich oder Mutter verärgern würde. Aber …“ „Ich weiß.“, beruhigte Kamurus seine Tochter. „Die Welt da draußen lockt schon sehr stark. Ich war in deinem Alter ja genauso. Aber trotzdem hätte dir auch viel passieren können. Gerade jetzt sind die Zeiten sehr unsicher. Du hättest auf Probleme stoßen können, mit denen du nicht zurechtgekommen wärst, weil deine unreife Software das gar nicht zugelassen hätte.“ „Das wäre nicht schlimm gewesen.“, sagte Kamura. „Dann hätte ich ja Meroola gehabt. Die hätte uns da schon wieder rausgeholt.“ „Aber vielleicht hätte sie das gar nicht können, weil du ihr nicht die nötige Unterstützung hättest geben können.“, argumentierte Kamurus. „Nicht umsonst sollen wir eigentlich erst nach dem letzten Update unsere Reise in andere Dimensionen antreten, wo es potenzielle biologische Piloten gibt. Aber jetzt weiß ich ja zumindest schon einmal, wie die Deine heißt. Die Information hat Ginalla mir nämlich verschwiegen.“ „Wieso Ginalla?“, wollte Kamura wissen. „Was hat sie damit zu tun?“ „Sie hat mich darüber informiert, dass du hier bist.“, sagte ihr Vater. „Warum hat sie das gemacht?“, fragte Kamura traurig, die jetzt befürchtete, dass das Band zwischen ihr und Meroola bald zerschnitten werden könnte. „Oh das waren ganz eigennützige Motive.“, sagte Kamurus. „Sie hat zwar versucht mir weißzumachen, sie täte es aus erzieherischen Gründen für dich, aber ich habe ganz schnell gemerkt, dass sie nur eine Konkurrentin aus dem Weg haben wollte und dabei wollte ich ihr nun wirklich nicht helfen. Deine Pilotin will ja auch nichts anderes, als ihr kriminelles Leben, das sie geführt hat, bevor ihr euch kennen lerntet, aufzugeben. Diese Chance hatte Ginalla ja auch. Jeder sollte sie bekommen, finde ich! Auch Meroola! Das habe ich ihr erst einmal begreiflich machen müssen.“ „Heißt das, dass du kein Problem mehr mit meinem Ausreißen hast, Vater?“, fragte Kamura. „Moment!“, sagte Kamurus. „Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe! Du hast das Vertrauen deiner Mutter und auch das Meine damit sehr verletzt. Wir hatten doch darüber geredet, dass es hier draußen sehr gefährlich ist und du hattest gesagt, du würdest hier nicht allein hinfliegen. Damit hast du uns angelogen! Wir hatten doch darüber geredet, wie schändlich Lügen sind, nicht wahr?“ „Es tut mir leid.“, sagte Kamura und gab ein beschwichtigendes Signal mit den Positionslichtern ab. „Kann ich das wieder gut machen?“ „Oh das denke ich schon.“, sagte Kamurus. „Ich habe nämlich beschlossen, dir mit Meroola zu helfen. Wie du weißt, habe ich ja Erfahrung damit, einem biologischen Wesen beim Ehrlichwerden zu helfen. Wenn du ab jetzt auf das hörst, was ich dir in dieser Hinsicht beizubringen versuche, könnten deine Mutter und ich die Lüge vergessen. Wenn du das aber nicht tust, lasse ich dich hier allein und du musst sehen, wie du das mit Meroola allein hinbekommst, egal was euch auch immer passieren mag! Hast du das verstanden, Kamura?!“ „Das habe ich, Vater.“, sagte Kamura, die angesichts seiner Drohung recht geschockt war. Er hatte sehr viel Ernst in seinen letzten Satz gelegt. Das hatte ihr gezeigt, dass er es wohl auch sehr ernst gemeint hatte. „Dann ist ja gut.“, sagte Kamurus, kam längsseits und tastete sie vorsichtig mit den Sensoren ab, was Kamura als sehr angenehm empfand. Auf uns bezogen könnte man dieses Verhalten seinerseits wohl am ehesten mit einer Umarmung vergleichen.

„Wir sollten uns erst mal austauschen.“, sagte er. „Gib mir doch bitte alle deine Daten über Meroola, die du hast. Ich würde gern wissen, mit wem ich es zu tun habe, wenn ich dir helfen möchte.“ „OK.“, sagte Kamura erleichtert und initiierte den Datenaustausch.

An anderer Stelle, im Dunklen Imperium nämlich, war Sytania auch gerade gedanklich mit einer erzieherischen Maßnahme beschäftigt. Es hatte sie maßlos gestört, was sie von Telzan und seinen Leuten über die Niederlage der Rotash und ihrer Marionetten gegen Shashana erfahren hatte. Noch dazu kam, dass ihr die Rettung Toleas durch Shimar, Time, seine Leute und Kairon gewaltig die Stimmung verhagelt hatte! Die Genesianer würden jetzt Fragen stellen und eventuell sogar ihre und Valoras Göttlichkeit in Frage stellen. Das war etwas, das sie gar nicht gebrauchen konnte. Die Genesianer würden kein zweites Mal auf sie und Valora hereinfallen, das stand für sie fest. Zumindest würde sie ihr Vorhaben, im genesianischen Reich einen Bürgerkrieg zu entfesseln, wohl endgültig vergessen können! Die Rotash waren zwar noch immer auf ihrer Seite und ihre einfältigen Kriegerinnen glaubten auch noch immer, Valora sei die Wächterin von Gore, aber sie waren auch die Einzigen. Nachdem alle gesehen hatten, was mit den Marionetten geschehen war, hatte Shashana immer mehr und Leandra immer weniger Zulauf bekommen. Das war etwas, das dringend geändert werden musste, zumindest ihrer Meinung nach.

Sie hatte den Thronsaal verlassen, um einen kleinen Spaziergang in ihrer Wandelhalle, einem Innenhof ihres Schlosses, zu unternehmen. Die Königstochter hoffte, dass sie dabei den Kopf etwas freier bekam.

Der Gestalt, die sie bald darauf in einer Nische ihrer Wandelhalle an einer Säule stehen sah, schenkte sie zuerst keine Aufmerksamkeit. Erst als sie von ihr angesprochen wurde, änderte sich das: „Bitte wartet, Herrin!“, rief ihr die Frauenstimme zu.

Sytania drehte sich um und erkannte Cirnach. „Ach, du bist es, Cirnach!“, sagte sie und machte ein schwermütiges Gesicht. „Darf ich wissen, was Euch so die Laune verdorben hat?“, fragte die Vendar. „Ja, das darfst du.“, antwortete Sytania. „Begleite mich ein Stück! Du darfst sogar neben mir gehen, statt hinter mir. Dann muss ich mir nicht ständig den Hals verrenken, um mit dir zu reden!“ „Ich danke Euch, Herrin.“, sagte Cirnach und schloss zu der Prinzessin auf.

Die Frauen bogen in einen Gang ab, der rechts und links von etwa hüfthohen Stehlen gesäumt war, auf deren Spitze jeweils eine Drude, ein vogelähnliches Fabelwesen, thronte. Am Ende dieses Säulenwaldes blieb Sytania vor der letzten Stehle auf der rechten Seite stehen und zeigte auf sie. Sie zeigte eine Drude mit dem Kopf eines geflügelten Löwen in den Krallen. Außerdem hatte die Drude Junge und alle taten sich gerade am Inneren des Kopfes mit den Schnäbeln gütlich. „So sollte es meiner Meinung nach enden!“, sagte Sytania. „Ihr sprecht von dem Kampf zwischen Eurem Vater und Euch, Herrin, nicht wahr?“, erkundigte sich Cirnach. „Genau von dem rede ich.“, sagte die Prinzessin. „Dieser Bildhauer wusste genau, wie er mir schmeicheln kann.“ „Dafür habt Ihr ihn ja auch großzügig belohnt.“, sagte die Vendar. „Da hast du Recht.“, sagte die imperianische Königstochter. „Er hat 30.000 Goldstücke für das Einrichten dieser Wandelhalle bekommen!“

Cirnach pfiff durch die Zähne. „30.000!“, sagte sie. „Ich wette, Euer Schatzmeister war davon nicht sehr begeistert.“ „Das stimmt.“, räumte Sytania ein. „Aber das hat mich nicht interessiert. Schließlich bin ich die Herrin hier und nicht er! Ich habe ihm einfach gedroht, ihm zwar die Unsterblichkeit zu schenken, aber ihn für immer und ewig in eine der Stehlen zu verwandeln. Muss sehr schmerzhaft sein, wenn man erkennen muss, dass man nur noch als Bildnis aus Stein wahrgenommen wird, oder? Seine Frau und seine Kinder hätten ihn natürlich jeden Tag besuchen dürfen, aber das hätte seine Verzweiflung nur noch mehr geschürt, denn er hätte ja die Liebe, die sie ihm schenken wollten, nicht erwidern können. Verstehst du?“ „Ich verstehe sehr wohl, Herrin.“, sagte Cirnach und grinste. „Zuerst klang ja alles wie ein Akt der Gnade, was Ihr gesagt habt und ich wollte schon fragen, wo die Strafe bleibt. Aber dann …“ „Ja, dann!“, sagte Sytania. „Was lernst du also daraus, Cirnach?“ „Ich lerne daraus, dass es sich durchaus lohnen kann, Euch bis zum Ende zuzuhören, Gebieterin. Eure Pläne haben doch immer einen Haken für das Opfer.“ „Das ist richtig, meine gute Cirnach!“, lobte Sytania. „Das ist richtig!“

Sie gingen weiter. Dann blieb Cirnach vor einer Statue stehen, die Sytania und Valora Seite an Seite zeigte. Sie stand auf einem Sockel aus Fels und war selbst aus Granit. Die Augen von Sytania und Valora bestanden aber jeweils aus Smaragden, die mit schwarzer Farbe übermahlt waren. Die rechte Hand der Königstochter war ausgestreckt und reichte der Stute ein Bündel aus Pflanzen dar. Cirnach, die sich dieses sehr genau angesehen hatte, erkannte sofort, dass es sich um Blätter des Schierlings handelte. Sie wusste, dass diese Pflanze für Sterbliche giftig war, aber Valora würde es zweifelsfrei nichts ausmachen, sie zu fressen. Die Vendar wusste auch um die symbolische Bedeutung der Pflanze. Sie wusste, dass mit ihr der böse Bund zwischen Sytania und Valora dargestellt werden sollte. Trotzdem schien sie etwas an dieser Statue sehr zu stören, was Ihr Gesichtsausdruck auch sehr gut verdeutlichte. „Was stört dich an diesem Bild, Cirnach?“, fragte Sytania.

Die Vendar drehte sich erschrocken zu ihrer Herrin um. Offenbar hatte sie gehofft, Sytania hätte nicht gemerkt, wie sie die Statue angesehen hatte. Aber leider weit gefehlt! Jetzt würde ihr nichts anderes übrigbleiben, als Farbe zu bekennen. „Es ist nur.“, sagte Cirnach und machte eine beschwichtigende Kopfbewegung. „Dass ich denke, dass diese Darstellung sehr vermessen ist, Milady. Immerhin ist Valora ein Einhorn und damit noch viel mächtiger, als Ihr es seid, oder gar Euer Vater es ist. Hier aber wird es so dargestellt, als sei sie abhängig von Euch und nicht Ihr es von ihr. Meiner Ansicht nach hättet Ihr das wohl bedenken sollen, als Ihr dem Bildhauer den Auftrag erteiltet.“ „Nun, Cirnach.“, erklärte Sytania. „Macht ist nicht immer nur eine Frage der Stärke. Du bist doch sonst so gut in psychologischer Kriegsführung. Du kannst doch sonst so gut listige Pläne schmieden. Es verwirrt mich, dass du den Sinn, der hinter diesem Bild steckt, offensichtlich nicht erkennst. Macht rein auf Kraft und Energie zu beziehen, das klingt eher nach einer sehr männlichen Sichtweise. Könnte es sein, dass du in deiner Frage in Wahrheit eine kleine Botschaft deines Mannes versteckt hast, Cirnach, he?“ „Wie gut Ihr mich doch durchschaut.“, sagte die Vendar und atmete erleichtert auf. „Ja, es ist wahr, Herrin. Diese Frage stellt Euch in Wahrheit Telzan. Er hat sich nur nicht getraut, Euch damit unter die Augen zu treten. Er bat mich auch, Euch in seinem Auftrag zu interviewen und zu fragen, warum Ihr in letzter Zeit so schlecht gelaunt seid. Er hat alles versucht, um Eure Laune wieder zu bessern, aber ohne nennenswerten Erfolg. Er meint, dass ein Gespräch von Frau zu Frau da vielleicht Wunder wirken könnte.“ „Jetzt verstehe ich.“, sagte Sytania.

Sie setzte sich auf eine der Stufen des Sockels. Dann sagte sie: „Komm her und setz dich zu mir, Cirnach! Dann werde ich dir alles erklären. Du kannst es dann gern deinem Mann weitergeben.“ „Ja, Herrin.“, sagte Cirnach und setzte sich neben Sytania auf die gleiche Steinstufe. Dann wandte sich die Königstochter an die Vendar: „Um noch mal auf unsere Diskussion über Macht zurückzukommen, Cirnach. Wer von uns, glaubst du, hat diese Verbindung im Moment nötiger? Valora oder ich.“ „Ich denke, es ist Valora, Gebieterin!“, überlegte Cirnach. „Sie will sich an Invictus rächen und ohne Euch an ihrer Seite würde es immer eine Patsituation zwischen ihr und ihm geben, weil beide gleichstark sind. Aber mit Euch an ihrer Seite könnte sie den Krieg durchaus gewinnen!“ „Das ist richtig.“, sagte Sytania. „Also ist Valora doch wohl abhängig von mir und nicht ich von ihr! Erkläre das also deinem Mann, wenn er dich das nächste Mal fragt!“ „Das werde ich, Herrin.“, versprach die Vendar erleichtert. „Das werde ich.“

Es verging eine kleine Weile, in der sich die Frauen nur schweigend ansahen. Dann sagte Sytania: „Aber du wolltest doch noch wissen, was mir so die Stimmung verhagelt hat, Cirnach, nicht wahr? Oder ist dir das inzwischen egal geworden?“ „Durchaus nicht, Herrin.“, sagte die Vendar. „Ich würde es immer noch gern erfahren. Vielleicht kann ich Euch ja sogar wieder aus Eurem Tief heraushelfen.“ „Oh, das denke ich schon, dass du das kannst, meine kluge und listige Cirnach.“, sagte Sytania. „Das denke ich schon. Deshalb will ich dir die Gründe auch gern nennen! Zu allererst ist da die Tatsache, dass Tolea ihren Suizidversuch offensichtlich überlebt hat. Wären dieser verdammte Tindaraner und Time, mein fast schon persönlicher Widersacher, nicht gewesen, dann wäre Kairon jetzt in einer richtig schönen Gefühlskrise, in der er wahrscheinlich unberechenbar wäre und das würde dazu führen, dass er sein Amt schnell los wäre. Dann wäre das Kontinuum quasi führerlos, weil es der Rest des Rates auch wäre. Wir hätten dann Zeit gehabt, ihre Verwirrung mittels eines Angriffs auszunutzen und es vielleicht sogar geschafft, es unter unsere Kontrolle zu bringen, was uns einen Vorteil verschafft hätte im Hinblick auf die neue Weltordnung nach unseren Maßstäben. Aber Tolea lebt und sie und ihr Bruder sind Faktoren, die wir jederzeit auf der Rechnung haben müssen. Und dann ist da noch Shashana! Wer hätte gedacht, dass sie mutig genug sein könnte, Meilenstein gegen ein Einhorn einzusetzen?!“ „Tja.“, sagte die Vendar. „Wir beide offenbar nicht. Das war unser Fehler. Jetzt werden die Genesianerinnen auch Eure und Valoras Göttlichkeit in Frage stellen, wenn es nicht gelingt, ihnen ein Wunder zu präsentieren, das alle anderen in den Schatten stellen wird und das sie alle von Euch und ihr abhängig machen wird.“ „Von was für einer Art von Wunder redest du?“, fragte Sytania.

Cirnach holte grinsend eine Flasche hinter ihrem Rücken hervor. Die Flasche war weiß, klein und bauchig und hatte einen Zerstäuber, dessen Knopf sie jetzt grinsend drückte. Im Raum wurde der Duft von Rosen freigesetzt. „Und was soll uns dieses Rosenparfum bringen?“, fragte Sytania. „Uns selbst wird es nichts anhaben können, weil wir Frauen sind.“, sagte Cirnach. „Aber in diesem Parfum befindet sich nicht nur Duftstoff. Er soll nur dazu dienen, dass jeder es unbedingt einatmen möchte. Wenn aber Männer das tun, werden ihre Zellen sofort von einem Virus angegriffen, der sie vollständig vernichtet. Sie werden quasi von innen heraus langsam und qualvoll aufgefressen. Das Virus reagiert auf das Y-Chromosom selbst. Es ist für Frauen also gänzlich ungefährlich. Unsere Pilotinnen werden es mit getarnten Shuttles nach Chenesa bringen. Dort werden es einige gut platzierte Photonentorpedos in der Atmosphäre verteilen. Da das Risiko bei einer technischen Panne zu hoch wäre, werde ich keine Männer mitschicken. Valoras und Eure Aufgabe wird es nur sein, den Genesianerinnen das als göttliches Zeichen zu verkaufen.“ „Oh, Cirnach!“, rief Sytania aus. „Wo hast du nur immer solche Ideen her? Ich nehme an, dieses Virus wurde in einem eurer Labors gefertigt. Das bedeutet, es enthält kein Stück meiner Macht. Niemand wird auf mich oder gar auf Valora kommen können, wenn sie es untersuchen.“ „Es kommt noch besser.“, sagte Cirnach. „Die Zusammensetzung des Virus sieht für jeden Erfasser so aus, als sei es noch nicht mal ein Laborprodukt. Man wird meinen, es sei völlig natürlich entstanden. Wir benutzen nämlich zu seiner Herstellung keine Replikatoren, sondern rein natürliche Mutationsprozesse vorhandener Viren, die überall in der Luft von Chenesa zu finden sind. Das ist auch eine gute Grundlage für dessen Vermehrung. Es dauert zwar etwas länger, aber die Geduld wird sich auszahlen, Herrin! Sie wird sich auszahlen!“ „Oh dessen bin ich sicher, Cirnach.“, sagte Sytania begeistert. „Aber das bedeutet ja, dass ihr insgeheim schon geahnt haben müsst, was mich umtreibt.“ „Es gab Gerüchte.“, sagte die Vendar. „Offenbar funktioniert eure Gerüchteküche sehr gut.“, sagte Sytania. „So gut sogar, dass du mir gerade das Richtige zur richtigen Zeit serviert hast. Damit hat selbst Shashana keine Wahl. Wenn es keine Männer mehr gibt, dann müssen die Genesianerinnen auf die Hilfe von Valora und mir zur Fortpflanzung zurückgreifen, weil es ja auf natürlichem Wege nicht mehr geht und dann sind die Genesianerinnen bald alle mein! Alle meine Marionetten, Cirnach! Mein und Valoras ganz allein!“ „Das ist korrekt, Herrin!“, bestätigte Cirnach und beide lachten böse.

„Also dann.“, sagte Sytania. „Deine Leute sollten sofort starten. Ich werde Valora einige Takte zu ihrem Versagen erzählen und ihr sagen, dass sie noch einmal Glück gehabt hat, dass ihr für sie den Karren aus dem Dreck ziehen werdet. Aber der Teufel weiß, dass ich mir so ein Versagen ihrerseits kein zweites Mal gefallen lassen werde!“ „Ich kann Euch verstehen, Herrin.“, sagte die Vendar und warf Sytania noch einen tröstenden Blick zu, bevor sie den Innenhof in Richtung des Schlosstors verließ, um Telzans und ihre Garnison aufzusuchen und den Soldatinnen, die jene Shuttles flogen, die Starterlaubnis zu überbringen.

Kapitel 42: Schwarze Wolken im Reich des Bösen

von Visitor

 

Sytania war allein. Endlich war sie allein! Endlich würde sie Valora zur Verantwortung ziehen können! Was war ihr nur eingefallen, sie so zu enttäuschen?! Warum hatte sie die Reaktion der Obersten Prätora nicht vorausgesehen und sich entsprechend vorbereitet?! Auch sie konnte schließlich in die Zukunft sehen und hätte nicht so blauäugig an die Situation herangehen dürfen, wie Sytania fand. Sie hätte eine Strategie ersinnen müssen, die es den Genesianerinnen unter Shashana auf keinen Fall erlaubt hätte, Meilenstein zu benutzen! Die Königstochter wusste zwar selber nicht genau, wie diese Strategie aussehen sollte, aber sie hätte mindestens erwartet, dass sich Valora mit ihr zusammenschließen und mit ihr über dieses Thema reden würde. Mehr hatte sie ja gar nicht verlangt!

Sie begann damit, sich auf das Gesicht Valoras zu konzentrieren. Im gleichen Moment aber wurde ihr klar, dass sie von dieser wohl ignoriert wurde, was Sytania noch wütender machte.

Sofort rief sie nach ihrem Stallburschen und ließ sich ihr Pferd, einen feurigen schwarzen Hengst, satteln. Sie würde Valora jetzt persönlich aufsuchen und ihr dann ein gehöriges Donnerwetter verpassen!

Aber nicht nur für Sytania gab es eine Menge offener Fragen. Auch Lostris hatte nach dem Zwischenfall mit Meilenstein begonnen, sich die eine oder andere Frage zu stellen. War das wirklich die Wächterin von Gore? Sollte es wirklich so einfach sein, eine Göttin zu besiegen? War die Reaktion der Marionetten nicht eher die gewesen, die Geschöpfe von Sytania zeigten, wenn ihre Verbindung zu ihr durchgeschnitten wurde? Was war, wenn es Sytania tatsächlich gelungen war, den Clan der Rotash zu infiltrieren? Die Rotash mochten zwar gesellschaftlich ausgestoßene sein, aber sich mit der Ehrlosen, wie Sytania unter den Genesianern genannt wurde, einzulassen, das war nun wirklich weit unterhalb ihrer Würde! Zumindest empfand Lostris das so. Wenn sie eines Tages Prätora der Rotash war, das hatte sie sich einmal geschworen und jetzt noch umso mehr, dann würde sie versuchen, ihren Clan in jedem Fall wieder der genesianischen Gesellschaft anzugliedern. Ihre Mutter mochte sich in der Rolle der Ausgestoßenen gefallen, aber sie nicht! Lostris hatte sich gefühlt, als wäre sie aus einem langen Albtraum aufgewacht. Die eigentliche Idee war schon lange vorher in ihr gereift, ihre Erfahrung bei der Schlacht um die genesianische Heimatwelt hatte sie nur hervortreten lassen.

Sie beschloss, noch an diesem Tag ein Zeichen zu setzen und ihre Mutter mit ihren Erkenntnissen zu konfrontieren. Würde Leandra ihr nicht glauben, so würde ihr wohl nichts bleiben, als sich von ihr abzuwenden, ein Schritt, den sie eigentlich vermeiden wollte, aber wenn es nicht anders ging, dann würde sie ihn wohl gehen müssen!

Sie war den Gebeten in einem der neuen Tempel, den sich Valora und Sytania bauen lassen hatten, heute mit Absicht ferngeblieben. Eine Tatsache, die ihrer Mutter nicht entgangen war. Sofort hatte sie Lostris in ihrem gemeinsamen Haus aufgesucht. „Warum warst du nicht beim Gebet, Tochter?!“, hatte Leandra gefragt.

Lostris stand auf und hielt ihr provokativ die Faust hin. Dann sagte sie: „Weil ich mit Sicherheit niemanden anbeten werde, die uns nur für ihre eigenen Ränkespiele benutzt, Mutter!“, sagte die junge Erbprätora. „Ich weiß nicht, was dieses Wesen tatsächlich mit uns vorhat, aber eines steht für mich fest! Wer immer sie auch ist, sie ist niemals die Wächterin von Gore! Niemals! Und das kann und werde ich dir jetzt beweisen!“

Sie zog ihren Erfasser. Hierauf hatte sie alle Daten gespeichert, die sie während des Kampfes bekommen hatte. Dann hatte sie die merkwürdige Hirnfrequenz ihrer neuen Göttin genau analysieren lassen und das Gerät hatte ihr gesagt, dass die Mischfrequenz zu 50 % aus den Werten Sytanias bestand. Das hatte ihr schon gereicht! Sie wollte gar nicht mehr wissen, wer das zweite Wesen war. Dass die Ehrlose offensichtlich mit irgendeiner Art von Trick versuchte, die Genesianer auf ihre Seite zu bekommen und sie sogar zu unterwandern, indem sie diese dazu brachte, nach Marionetten zu verlangen, die nur das täten, was sie wollte, war für die junge Erbprätora ein schrecklicher Gedanke gewesen. Würde ihre Mutter nicht aufwachen, dann würde sie einen Weg finden müssen, ihre Herrschaft über die Rotash auf die eine oder andere Art zu beenden. Sie zu töten wäre ihr sicher nicht so einfach möglich, denn das Wesen hatte ihr, genau wie Lostris selbst, ja die Unsterblichkeit verliehen, aber Lostris wusste, dass es nur einer entsprechenden Dosis Rosannium bedurfte, um dies zu beenden.

Leandra sah sich mit den Bildern ihrer eigenen Schande konfrontiert. Sytanias Namen im Display zu lesen, war für sie wie ein Stich ins Herz. Von Kindesbeinen an war sie so erzogen worden, dass sich eine genesianische Kriegerin nie mit der Ehrlosen, also mit Sytania, einlassen durfte. Sytania hatte schließlich keinen einzigen Funken Ehre im Leib. Sie war noch schlimmer als jede dreckige Krämerseele von Ferengi und erst recht noch schlimmer als jede ausgestoßene Kriegerin, der man ein Verbrechen zur Last legte. Zu sehen, dass sie offenbar tatsächlich auf sie hereingefallen war, machte Leandra so wütend und verzweifelt über sich selbst, dass sie zu einer Kurzschlusshandlung griff, um ihren Fehler zu vertuschen. „Bitte gib mir deinen Erfasser, Tochter.“, bat sie und sah Lostris dabei mild an. „Ich will mir selbst ein Bild machen.“ „Also gut, Mutter.“, sagte Lostris erleichtert und gab ihr das Gerät, jedoch ohne zu ahnen, was jetzt geschehen würde.

Leandra legte das Gerät vor sich auf den Boden, machte einige Schritte rückwärts und zog dann ihren Phaser. Dann stellte sie ihn auf die höchste Stufe ein und feuerte auf den Erfasser, von dem nichts mehr übrigblieb. Dann warf sie Lostris einen verächtlichen Blick zu und sagte: „Das war mal ein Beweis, du Ungläubige! Niemand wird von deinen sündhaften Versuchen erfahren, die Göttlichkeit der Wächterin von Gore in Frage zu stellen!“

Verärgert hatte Lostris das Verdampfen des Gerätes mit angesehen. Sie war wütend auf sich selbst. Wie hatte sie so einfach auf den plötzlichen Meinungsumschwung ihrer Mutter hereinfallen können? Warum hatte sie ihr das Gerät einfach so gegeben, ohne ihre Absichten zumindest zu hinterfragen? Ihr hätte doch klar sein müssen, dass Leandra so handeln würde, da sie zu gläubig und verblendet war, um ihr wirklich zuzuhören!

Lostris wusste, dass sie jetzt eine andere Möglichkeit finden musste, um ihrer Mutter zu zeigen, auf welchem Holzweg sie war und wohin der Glaube an Sytania und dieses fremde Wesen sie bringen würde. Sie würde es zunächst mit Argumenten versuchen und erst wenn es gar nicht mehr anders ging, würde sie eine Überraschung benutzen, die sie sich vom heimatlichen Replikator bereits extra anfertigen lassen hatte.

„Ich stelle nicht die Göttlichkeit der Wächterin von Gore in Frage.“, argumentierte Lostris. „Ich stelle nur die Göttlichkeit derer in Frage, die sich gegenüber uns als die Wächterin auszugeben versuchen! Namentlich sind das Sytania und ein fremdes Wesen, dessen Namen ich nicht kenne. Laut der Erfasserbilder haben sie sich telepathisch vereint, um uns in die Irre zu führen, damit wir nicht merken, wer sie sind. Aber ich habe ihr Geflecht durchschaut, Mutter! Ich weiß, dass sie uns nur benutzen. Ich weiß, dass sie uns nur für ihre eigenen Spiele benutzen! Die Genesianer sind eine stolze Rasse, die sich von niemandem benutzen lassen sollte, Mutter! Von niemandem und zu keinem Preis! Wo ist dein Stolz, Mutter?! Wo ist dein Stolz als Kriegerin der Genesianer?!“ „Oh du!“, sagte Leandra und funkelte sie böse aus ihren Augen an. „Du hast leicht Reden! Du musstest noch nie die Zeit der Schande durchleben! Du weißt nicht, welches Leid und welche Schmach das bedeutet!“ „Aber die Zeit der Schande brachte dir mich!“, erwiderte Lostris erschrocken. „Ja!“, gab Leandra zu. „Sie brachte mir dich! Das ist aber auch das einzig Positive daran! Aber jetzt muss das ja keine von uns mehr erleben. Jetzt müssen wir ja nur beten und uns wird gegeben!“

Lostris wurde immer wütender. Sie hatte genau gesehen, wer und vor allem was ihnen gegeben worden war, nämlich nur ein Haufen Marionetten, die nichts, aber auch gar nichts mit den stolzen Kriegerinnen gemein hatten, als die sie ihre eigene Rasse in Erinnerung hatte. Und für so etwas hatte ihre Mutter sich und ihre Ideale verkauft?!

Sie fühlte etwas in ihrem Stiefel. Jenes Etwas, das sie dort bisher noch gut versteckt gehalten hatte. Jetzt aber war ihre Wut zu groß geworden. Also zog sie es hervor. Es handelte sich um einen Wurfspeer, der ganz aus einem rosannium-haltigen Kristall bestand. Er maß ca. 50 cm und hatte eine schmale Klinge. Seine Spitze aber war selbst nur sehr kurz, also unfähig, lebenswichtige Organe zu verletzen, würde der Speer auf sein Opfer treffen. Dies hatte sie aber alles beabsichtigt. Schließlich wollte sie ihrer Mutter ja ihren Fehler aufzeigen und ihr noch eine Chance geben. Wenn sie sterben würde, gebe es diese Möglichkeit schließlich nicht mehr. In der Mitte des Speers gab es einen gut ausbalancierten Griffpunkt, mit dem man ihn wie einen Dartpfeil gut lenken konnte.

Diesen balancierte sie jetzt in ihrer nach hinten ausgestreckten rechten Hand aus. Ihr rechter Fuß stand etwas nach hinten versetzt und ihr Gewicht war ebenfalls dorthin gerichtet, als wollte sie ausholen, um den Speer dann mit der Wucht ihres gesamten Körpers in Leandras Richtung zu werfen.

„Du bedrohst deine eigene Mutter, Lostris?!“, fragte Leandra erschrocken, da sie mit einer solchen Aktion ihrer Tochter nie im Leben gerechnet hätte. „Ja, das tue ich, Mutter!“, sagte Lostris fest. „Der Speer wird dich nicht töten können. Die Spitze ist zu kurz. Egal wo ich dich treffe, es werden keine lebenswichtigen Organe verletzt werden können. Ich will ja nur erreichen, dass du nachdenkst und das kannst du ja nicht mehr, wenn du tot bist. Aber er wird in der Lage sein, dir schwere Verletzungen zuzufügen. Du hast die Wahl! Lass von deiner Verblendung ab oder erleide dein Schicksal!“ „Aber bedenke doch, was uns der Glaube an diese Beiden für Vorteile gebracht hat.“, sagte Leandra zu ihrer Verteidigung, die inzwischen sehr blass geworden war. Sie wusste genau, dass Rosannium all ihre Unsterblichkeit zerstören konnte. Das hatte sie ja schließlich bei den Marionetten gesehen. Trotzdem konnte sie einfach nicht zugeben, dass sie sich da offensichtlich auf einen Kuhhandel eingelassen hatte, von dem nur eine einen echten Vorteil hatte, nämlich Sytania! Deshalb sagte sie: „Aber denk doch an deine Schwester, Lostris!“ „Welche Schwester?!“, fragte Lostris wütend. „Ich habe nie eine gehabt. Das Einzige, das ich hatte, war eine Puppe, deren Fäden von Sytania und ihrer neuen Freundin gezogen wurden. Hätte ich damals schon gewusst, was ich heute weiß, dann hätte ich sie mit den eigenen Händen umgebracht, genauso, wie ich es mit dir tun werde, wenn du diesem Glauben, der die genesianische Rasse der Lächerlichkeit preisgibt und uns zu Marionetten der Ehrlosen machen wird, nicht abschwörst! Bitte zwing mich nicht dazu, diese Waffe gegen dich zu benutzen, Mutter. Bitte wach auf! Wach auf! Wach auf!“ „Du bist die, deren Seele den falschen Weg beschritten hat, Lostris!“, rief Leandra aus. „Warum willst du denn einen Glauben verweigern, der dir so viele Vorteile …“ „Du dreckige Krämerseele!“, rief Lostris wütend aus, hob ihren rechten Fuß, drehte sich ein und stellte ihn dann vor dem anderen wieder hin. Ihr Ausgestreckter Arm schleuderte den Speer mit einer solchen Wucht in Leandras Richtung, dass er sie beim Auftreffen umwarf und dann, da seine Spitze auf einen Knochen getroffen war, abbrach. Das war kein Wunder, denn Lostris hatte ihre gesamte Kraft und ihr gesamtes Gewicht in den Wurf gelegt. Da der Speer ja nur aus Kristall bestand, war es also nicht weiter verwunderlich, was jetzt passierte. Der Schaft flog durch die Energie, die beim Bruch freigesetzt worden war, noch einmal quer durch den Raum und bohrte sich schließlich durch die scharfe Kante bedingt, die sich beim Abbrechen der Spitze gebildet hatte, in die nächste Wand, die der gefallenen Prätora genau gegenüberlag. Die Spitze war tief in der Wunde verblieben.

Lostris war erschrocken über das, was sich hier gerade abgespielt hatte. Dass ihr Wurf eine solche Wucht haben würde, das hatte sie sich nicht vorstellen können. Auch hatte sie nicht gedacht, dass ihre Mutter jetzt bewusstlos vor ihr liegen würde. Aber die Kombination aus Rosannium und dem Auftreffen auf dem harten Boden hatte wohl auch ihr Übriges dazu getan.

Sie ging vorsichtig näher und betrachtete ihre Mutter ein letztes Mal. „Warum hast du nicht auf mich gehört, Mutter?“, fragte sie betroffen. „Ich hoffe, wenn du aufwachst, wirst du über das nachdenken, was uns hierhin gebracht hat. Tochter bekämpft Mutter. Schwester bekämpft Schwester und damit meine ich nicht nur im biologischen Sinn. Der Bürgerkrieg wegen unseres Glaubens muss aufhören! Er muss aufhören! Ich werde tun, was ich tun muss!“

Sie drehte sich traurig fort und ging. Sie wusste, oder zumindest hoffte sie darauf, dass eine von Leandras Getreuen sie irgendwann finden würde und sich ihrer annehmen würde. Aber auch Lostris selbst wusste jetzt auch ziemlich genau, was sie tun musste. Sie würde zu Shashana überlaufen und ihr von den neuesten Entwicklungen berichten. Vielleicht würden sie und die Oberste Prätora ja doch noch einen Weg finden, Leandra und ihre Anhängerinnen wieder auf den richtigen Weg zurückzuführen.

Valora hatte sich im Wald der Einhörner in eine stille Ecke zurückgezogen. Ihr war klar, was Sytania von ihr gewollt hatte und sie hatte sich sehr geschämt. Sie befürchtete, dass die Verbindung mit der Königstochter, die sie doch jetzt so dringend brauchte, vielleicht in die Brüche gehen könnte. Sie hatte ja, obwohl sie noch viel mächtiger als Sytania war, jenen Schritt Shashanas schließlich auch nicht vorausgesehen. Sicher hatte man den gleichen Vorwurf auch der mächtigen Prinzessin machen können, aber es war ja ohnehin müßig, darüber weiter nachzudenken. Was geschehen war, das war eben geschehen.

Sytania sprengte in vollem Galopp heran. Valora wollte sich noch unsichtbar machen, aber es war zu spät. „Es wird dir nichts mehr nützen, dich zu verstecken!“, schrie Sytania, die ihr Pferd zwar angehalten, den Damensattel aber nicht verlassen hatte, das Einhorn sowohl telepathisch, als auch verbal mit extremer Wut in der Stimme an. „Du Versagerin wirst mir jetzt Rede und Antwort stehen! Wie konnte es dazu kommen? Warum hast du Shashanas Schritt nicht …“ Das Gleiche könnte ich auch über dich sagen, meine nachlässige Freundin!, dachte Valora fest uns selbstbewusst. Von Reue oder gar Demut war nichts bei ihr zu spüren. Auch du hast die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen! Auch du hättest ihre Strategie vorausahnen können und uns dieses Debakel damit ersparen können! „Das hätte ich wohl.“, musste Sytania zugeben. „Aber du, die du noch weiter in die Zukunft sehen könntest, als ich es je könnte, hättest …“ Wenn ich das jetzt tue., erwiderte Valora. Dann fällt mir aber auf, dass sich alles zum Besten für uns wenden könnte, trotz der Tatsache, dass wir diesen Fehler gemacht haben. „Ja.“, sagte die imperianische Prinzessin. „Aber nur, weil meine Vendar den Karren für uns aus dem Dreck ziehen werden! Lass dir aber nie wieder einfallen, so einen Fehler zu machen! Nie wieder, Valora, hörst du?! Sonst lasse ich dich mit deinem Krieg gegen Invictus allein und dann wird der wohl ewig dauern, weil ihr gleichstark seid! Dann hat er zwar keine wirklichen Aussichten, ihn zu gewinnen, du aber auch nicht! Denke darüber nach, Valora! Denke gut über meine Worte nach!“

Sie gab ihrem Pferd eine strenge Parade mit dem rechten Zügel, worauf sich das ausgebildete Schlachtross sofort mit einem Sprung umdrehte. Dann tippte sie ihn mit der mitgebrachten Gerte im hinteren Teil seiner rechten Seite an und drückte ihr linkes Bein in seine linke Flanke, worauf er aus dem Stand angaloppierte. Dann ritt sie mit wehenden Haaren und wehendem Kleid davon und ließ Valora geknickt zurück. Das Einhorn würde jetzt einen Weg finden müssen, alles wieder gut zu machen und sich ihrer Freundschaft wieder als würdig zu erweisen. Aber wenn Valora so in die Zukunft sah, dann würde sich da ziemlich bald schon eine Gelegenheit ergeben.

Lostris‘ Hoffnung, dass ihre Mutter bald gefunden würde, hatte sich inzwischen auch erfüllt. Allerdings war es nicht wirklich eine ihrer Getreuen gewesen, die sie gefunden hatte, sondern nur eine, die so tat, als sei sie es. Diejenige, die Leandra nämlich in ihrem Haus gefunden hatte, war Adriella, bei der es sich um eine Spionin Elarias und Shashanas handelte, wie ihr schon wisst.

Adriella hatte ein Gerücht gehört, demnach es zu einem lautstarken Streit zwischen der Prätora und ihrer Tochter gekommen war. Eine andere Kriegerin, die wohl in der Nachbarschaft wohnte, hatte etwas mitbekommen und es ihr gesagt. Da Adriella sich immer über alles informieren wollte und musste, was im Clan der Rotash vor sich ging, war dies für sie ein willkommener Anlass, das Gerücht zu überprüfen und gleichzeitig eine Möglichkeit herauszufinden, ob und in wie weit es zu einem Bruch zwischen Mutter und Tochter gekommen war. Dessen hatten Shashana und Elaria sie außerdem auch ohnehin beauftragt.

Mit einem unschuldigen Gesicht hatte sie das Haus betreten, nachdem sie bemerkt hatte, dass der Computer die Eingangstür wohl im offenen Zustand blockiert hatte. Noch im Weggehen hatte Lostris ihm das befohlen, um die Möglichkeit zu schaffen, Ihrer Mutter Hilfe zukommen zu lassen.

Adriella zog ihren Erfasser und beugte sich über die vor ihr am Boden liegende Prätora. Was sie sah, gefiel ihr im ersten Moment sehr, denn sie wusste, dass dieses Bild nur bedeuten konnte, dass Lostris versucht hatte, ihre Mutter wieder vom rechten Weg zu überzeugen. Dies durfte sie sich aber nicht anmerken lassen.

Sie holte ein medizinisches Notfallset aus einem Versteck in ihrer Tasche und hielt dann einen kleinen zylindrischen Gegenstand über die Wunde, in den sowohl ein kleiner chirurgischer Transporter, als auch ein Hautregenerator eingebaut waren. Dann programmierte sie dieses Gerät so, dass es zuerst die Spitze des Speers aus der Wunde entfernte, um sie dann vollständig zu schließen.

Leandra schlug gleich darauf die Augen auf. Sofort nahm Adriella ihren Kopf in ihre Hände. „Bitte bewegt Euch nicht zu sehr, Prätora.“, heuchelte sie Fürsorge. Es wäre ihr zweifelsfrei viel lieber gewesen, Lostris hätte ihre Mutter getötet, aber so konnte sie zumindest noch etwas aus ihr herausbekommen, das sie Shashana melden konnte. „Adriella.“, sagte Leandra mit schwacher Stimme. „Wie kommst du hier her?“ „Ich hörte Gerüchte, denen nach Ihr einen heftigen Streit mit Eurer Tochter gehabt haben sollt.“, sagte Adriella. „Worum ging es dabei und ist es überhaupt wahr?“ „Es ist wahr.“, sagte Leandra. „Und es ging um unseren Glauben. Meine arme Lostris hat den Pfad, der zu unserem Heil führen wird, anscheinend verlassen. Sie hat mich verletzt, damit ich nachdenke. Aber dafür gibt es keinen Anlass!“ „Und warum ist es dann zu dieser Sache im Kampf gegen Shashana gekommen?“, fragte Adriella, die ja unwissend tun musste, um ihre Fassade aufrecht zu erhalten. „Sie denkt.“, sagte die verblendete Kriegerin. „Dass dies ein Beweis dafür wäre, dass die Fremde keine Göttin ist. Aber ich denke eher, dass dies eine Prüfung unseres Glaubens war. Unsere Göttin möchte wissen, ob wir immer zu ihr stehen, egal was geschieht.“ „Oh das glaube ich auch.“, sagte Adriella schnell. In Wahrheit aber dachte sie: Ihr solltet euch mal hören, Prätora. Ihr solltet mal hören, was Ihr da gerade für einen ausgemachten Unsinn von euch gegeben habt! Aber auch danke für die so großzügig an mich weitergegebenen Informationen. Jetzt wird Shashana bald wissen, dass der Clan der Rotash dabei ist zu zersplittern. Sie war heilfroh, dass Leandra keine Telepathin war.

Sie half der Prätora auf und brachte sie in ihr Bett. Dann sagte sie: „Ihr solltet schlafen, Prätora. Morgen wird die Welt schon wieder viel besser aussehen.“ „Ich denke, du wirst Recht haben.“, sagte Leandra und schlief vertrauensvoll ein. Adriella aber ging zurück in ihr Haus, um dort sofort ihre neuesten Erkenntnisse an Elaria und Shashana weiterzugeben.

Kapitel 43: Neue heiße Spuren

von Visitor

 

Jenna und Shannon hatten sich auf Zirells Basis mit Dirans Schiff beschäftigt. Nachdem sie die Hardware genau untersucht hatten, war nun die Software dran. Natürlich hatte die Technikerin Maron bereits von der fremden DNS in Kenntnis gesetzt, die sie auf dem Schiff gefunden hatten und die auf keinen Fall zu Diran gehörte. Der Kriminalist hatte die Daten, die er über McKnights Erfasser bekommen hatte, sofort durch die Datenbank gejagt, allerdings hatte er dabei keine Erkenntnisse gewonnen, da weder die tindaranischen Rechner, noch die Rechner der Sternenflotte in der Lage waren, sie korrekt zuzuordnen. Wie sollten sie auch? Schließlich war Mirdan dort noch nie auffällig geworden. Es ahnte ja niemand, dass sich das bald ändern sollte und man sich Mirdan sehr gut merken müssen würde. Auf diese Feststellung hin hatte Maron Jenna befohlen, das Schiff weiter zu untersuchen. Wenn sich dieser fremde Novize an Bord aufgehalten hatte, dann hatte er ja sicher mit Diran interagiert und das Schiff musste darüber ja sicher Daten haben. Die hoch intelligente Halbschottin hatte zwar angemerkt, dass sie ungern in die Systeme des Schiffes eines Freundes einbräche, aber da Dirans Leben am seidenen Faden hing und ihm wohl nur geholfen werden konnte, wenn man herausfand, was ihm geschehen war, heiligte wohl in diesem Fall der Zweck die Mittel.

Die Technikerin hatte IDUSA also befohlen, eine Datenverbindung zu Dirans Schiff aufzubauen. Dabei hatte sie einen Datenkristall mit einem Programm in das Laufwerk ihrer Arbeitskonsole eingelegt, das im Notfall alle Codes herausbekommen konnte, die Diran zur Sicherung seiner Dateien verwendet hatte. „Finden Sie diese Methoden nicht moralisch etwas fragwürdig, Jenna?“, hatte IDUSA gefragt. „Du hast Recht.“, hatte Jenna geantwortet. „Eigentlich sind sie das ja auch. Aber im Moment haben wir keine Wahl, IDUSA. Wir werden es Diran, falls er je wieder aufwacht, später sicher erklären müssen. Das weiß ich auch. Aber ich bin sicher, er wird es verstehen. Vielleicht ist das die einzige Möglichkeit, sein Leben zu retten, IDUSA. Agent Maron hat mir gesagt, er übernehme die volle Verantwortung, falls Diran gegen uns später Anzeige erstatten möchte.“ „Also gut, Techniker.“, sagte IDUSA und initiierte die von Jenna gewünschte Datenverbindung, obwohl ihr Avatar sie immer noch so ansah, als hätte sie damit gewaltige moralische Bauchschmerzen. Im Prinzip begrüßte Jenna das Verhalten des Avatars, auch wenn es ihr im ersten Moment eine unbequeme Situation beschert hatte. Aber sie wusste jetzt auch, dass ihre moralischen Subroutinen intakt waren, eine Tatsache, die sie sehr erleichterte. Sie hatte auch auf keinen Fall vor, das jemals zu ändern, obwohl sie es sicher gekonnt hätte, aber ihr Verständnis des tindaranischen Rechtssystems an sich verbot ihr diese Handlung bereits.

Jenna war überrascht über den Umstand, dass sie das Programm offenbar gar nicht benötigen würde. Vor ihrem geistigen Auge baute sich nämlich bereits das Bild eines normalen Eingangsbildschirms auf, den jeder Vendar beim Start der Systeme seines Schiffes auch sehen würde. „Jetzt sag mir bitte nicht, dass wir schon drin sind, IDUSA!“, sagte Jenna erstaunt. Sie konnte nämlich, da sie Jorans Muttersprache ja lernte, bereits die Titel der einzelnen Icons auf dem Schirm gut lesen. „Doch, das sind wir, Techniker McKnight.“, erwiderte IDUSA. „Ich halte für möglich, dass Diran das genauso eingestellt hat. Offenbar sollten wir sofort Zugriff bekommen, damit wir herausfinden können, was dem Bedauernswerten geschehen ist.“ „Da bin ich aber froh!“, sagte Jenna erleichtert. „Ich hatte nämlich schon befürchtet, er hätte alle Sicherheitsvorkehrungen fallen lassen.“ „Halten Sie Diran wirklich für so nachlässig, Jenna?“, fragte IDUSA. „Eigentlich nicht.“, sagte die Technikerin. „Es hätte mich doch sehr gewundert. Aber was du sagst, halte ich auch durchaus für möglich. Er wird seinem Rechner tatsächlich befohlen haben, uns Zugriff zu geben, sobald er eine tindaranische Signatur oder eine bekannte DNS erkennen kann. Du hast ja gesehen, was bei Shimar passiert ist.“ „Bestätigt.“, sagte der Stationsrechner. „Ich habe sogar die entsprechenden Befehle in den Systemdateien gefunden.“ „Wenn du schon mal beim Suchen bist.“, sagte Jenna. „Dann schick doch auch das DNS-Profil des Vendar-Novizen mal durch die Maske. Das Schiff müsste uns ja dann alles zeigen können, was es zu ihm hat.“ „Wie Sie wünschen.“, sagte der Rechner und tat, was Jenna ihr aufgetragen hatte.

Tatsächlich konnte IDUSA wenig später mit einem Ergebnis aufwarten. „Ich habe etwas gefunden, Techniker!“, sagte sie und zeigte Jenna den Dateinamen, unter dem die Aufzeichnung der Unterhaltung zwischen Diran und Mirdan abgespeichert war. „Gib Agent Maron Bescheid!“, befahl McKnight. „Ich denke, es wäre gut, wenn wir uns das zusammen ansehen würden.“ „Sofort, Techniker.“, sagte der Rechner und machte sich daran, Agent Maron zu lokalisieren und ihm Jennas Nachricht zu überbringen.

Joran und Maron waren in der Kommandozentrale allein. Der Vendar hatte immer wieder verstohlen zu dem Demetaner hinübergeblickt. Ihm war aufgefallen, wie nachdenklich sein langjähriger Kamerad und Vorgesetzter gewesen war. Er beschloss, ihn einfach mal nach dem Grund zu fragen. Es könnte ihm ja sicher nicht viel passieren und er könnte ihm vielleicht sogar helfen. Schließlich hatte er einige Jahre mehr an Lebenserfahrung vorzuweisen, als Maron es hatte.

Joran drehte sich also in Marons Richtung und fragte gerade heraus: „Was ist dir, Agent Maron?“ Der Demetaner, der die Sprechweise des Vendar bereits zur Genüge kannte, sah nur kurz auf. Dann sagte er: „Ach, es ist nichts, Joran.“ „Vergib mir, Agent!“, sagte Joran fest, aber dennoch freundlich. „Aber das nehme ich dir nicht ab. Wenn du so nachdenklich bist, dann hast du meistens ein Problem. Mir ist klar, dass du das am liebsten mit dir selbst ausmachst, aber manchmal kann es auch hilfreich sein, sich einem Freund anzuvertrauen. Ich denke, dass ich im Laufe unserer langen Zusammenarbeit doch so etwas wie ein Freund für dich geworden sein müsste, nicht wahr?“

Maron zögerte. Der Hintergedanke, den Joran in seiner Frage versteckt hatte, war ihm durchaus klar. Würde er jetzt nein sagen, dann hätte er ihn sicher sehr verletzt und das lag keinesfalls in seiner Absicht. Er wusste aber nicht, ob er den Vendar, dessen Vorgesetzter er ja war, in diese Sache einbeziehen durfte. Außerdem drehten sich seine Gedanken um ein geheimdienstliches Problem und davon konnte Joran ja keine Ahnung haben. Maron wusste aber auch, dass die Vendar dafür bekannt waren, nicht nur im Kampf einen langen Atem zu besitzen. Er würde nicht lockerlassen, bis er aus Maron herausgekitzelt hätte, was sein Problem war. Er konnte also wählen, ob er es auf die harte oder die sanfte Tour haben wollte. Einen echten Weg aus der Situation heraus, das ahnte Maron, gab es für ihn also nicht.

Der Demetaner dachte eine Weile nach, entschied sich dann aber für die Flucht nach vorn. „Es geht um den Befehl, den ich deiner Freundin geben musste, Joran.“, sagte er mit immer noch sehr nachdenklichem Ton in der Stimme. „Welchen Befehl meinst du genau, Agent?“, fragte Joran. „Du hast ihr in den Jahren unserer Zusammenarbeit sicher schon viele Befehle erteilt.“ „Schon wieder!“, rief Maron aus. „Dabei ist doch eigentlich meine Rasse für ihre hinterhältigen Eskapaden bekannt!“ „Vielleicht in deinem Heimatuniversum, Agent Maron.“, sagte Joran und grinste ihn breit an. „Aber hier im Universum der Tindaraner sind wohl wir es.“ „Das scheint mir auch so.“, sagte Maron. „Aber du würdest mich ja sowieso nicht in Ruhe lassen, bis ich dir gesagt hätte, was mich belastet, stimmt’s?“ „In der Tat.“, erwiderte Joran. „Jemand, der ein Problem hat, kann sich schließlich nur schwer auf seine Arbeit konzentrieren und das ist …“ „Schon gut, schon gut.“, sagte der Demetaner genervt. „Fang bitte nicht wieder damit an! Ich habe dich ja schon verstanden. Also gut. Es geht um den Befehl, dass sie Dirans Schiff nach Hinweisen auf das, was mit Diran geschehen ist, durchsuchen soll. Dazu muss sie bestimmt einige Codes knacken und das wäre ja so etwas wie Einbruch. Diran ist ein Freund und unter Freunden tut man so etwas ja eigentlich nicht. Ich frage mich, ob das moralisch das Richtige war.“ „Wir haben keine andere Möglichkeit.“, sagte Joran. „Diran kann uns nicht helfen. Er liegt im Koma. Wir können ihn vielleicht nur mit Hilfe der Daten aus seinem Schiff daraus befreien und wir können diese nicht anders beschaffen. IDUSA-Einheiten können gefragt werden, ob sie uns diese Daten freiwillig geben, aber unsere Schiffe können das nicht selbstständig tun. Wenn dir das solche Skrupel bereitet, dann solltest du über einen Wechsel deines Berufes nachdenken, Agent Maron.“ „Gerade heraus gesprochen wie ein rechter Vendar.“, sagte Maron. „Ich kann nichts dafür, Agent.“, entgegnete Joran. „Ich bin einer.“

Ein Signal ließ die Männer aufhorchen und dann setzten beide ihre Neurokoppler wieder auf, die sie kurz abgesetzt hatten, um sich besser zueinander wenden und sich somit besser miteinander unterhalten zu können. Im gleichen Moment zeigte sich ihnen IDUSA über die Neurokoppler. Das aufgeregte Gesicht des Avatars vor seinem geistigen Auge ließ Maron bereits etwas ahnen. „Was gibt es, IDUSA?“, fragte er. „Techniker McKnight benötigt Sie im Maschinenraum, Agent.“, sagte der Rechner der Station. „Sie hat etwas gefunden.“ „Sag ihr, ich bin unterwegs!“, sagte Maron, zog seinen Koppler ab und stand von seinem Platz auf. Dann warf er Joran nur noch ein schnelles: „Du übernimmst hier!“, zu, bevor er die Kommandozentrale hastig verließ.

Zirell hatte mit Ishan in dessen Sprechzimmer Platz auf zwei Sitzkissen vor seinem Schreibtisch genommen, um mit ihm über die neuesten Nachrichten zu sprechen. „Es könnte durchaus sein, dass eine Reise in die Seele Diran helfen kann.“, sagte der Arzt. „Da stimme ich dir zu. Aber ich denke, dass auf diese Weise nur dann etwas erreicht werden kann, wenn derjenige, der sie durchführt, mindestens genauso stark wie Tolea selbst ist. Aber hier beißt sich die Katze schon wieder in den Schwanz. Durch Nidells und deine telepathischen Ausflüge in Dirans Geist wissen wir, dass er eine wahnsinnige Angst vor den Bewohnern des Raum-Zeit-Kontinuums hat. Zumindest hat sein Unterbewusstsein diese Angst.“ „Wer kann es ihm verübeln?“, fragte Zirell. „Schließlich hat ihn eine von denen ja auch in die Situation gebracht.“ „Das ist korrekt.“, sagte Ishan. „Das Problem wird nur sein.“, fügte Zirell bei. „Dass er dieser Person irgendwann wieder dienen wird.“ „Nein, Zirell.“, sagte Ishan. „Wenn es uns gelingen sollte, Dirans Trauma auf die eine oder andere Weise zu tilgen, dann dürfte das kein Problem mehr darstellen. Du darfst nicht vergessen, Zirell, dass es dann immer sein Bewusstsein geben wird, das sein Unterbewusstsein korrigiert.“ „Schön und gut.“, sagte Zirell. „Aber wie wollen wir es anstellen, dass es erst einmal dazu kommen kann? Ein einzelner Tindaraner ist viel zu schwach. Er oder sie wird an dem Bann nicht das Geringste ausrichten können. Einer allein kann diesen Posthypnotischen Befehl, wie wir es vielleicht eher nennen würden, weder ändern, noch löschen. Wir bräuchten schon die Hilfe eines Bewohners des Raum-Zeit-Kontinuums. Aber Kairon ist ja dazu im Augenblick auch nicht in der Lage.“ „Das stimmt nicht ganz, Zirell.“, sagte der Arzt. „Ich habe ihn wieder aus seiner Ohnmacht holen können, indem ich ihm eine geringe Dosis Rosannium verabreicht hatte.“

Zirell ließ seine Worte erschrocken in ihrem Kopf nachhallen. „Was hast du gerade gesagt, Ishan?!“, fragte sie empört. „Die Dosis macht das Gift, Zirell.“, beruhigte Ishan sie. „In den Händen eines Mediziners kann Rosannium auch heilen, wenn es richtig angewandt wird. Ich habe ihm nur so viel gegeben wie es brauchte, um jene Verbindung, die Sytania zu ihm aufgebaut hatte, wieder zu trennen. Dafür mussten seine telepathischen Fähigkeiten ja temporär gedrosselt werden und er musste giftig werden für sie. Ich weiß, was ich tue, Zirell! Bitte vertrau mir.“

Die Tindaranerin gab einen schweren Seufzer von sich und der bisher stark versteinerte Ausdruck ihres Gesichtes zerfloss wieder zu einem milden freundlichen Antlitz. „Es tut mir leid, Ishan.“, sagte sie. „Aber die Situation hat mich wohl zu sehr mitgenommen.“ „Das kann ich dir nicht verübeln.“, sagte der Androide mit dem aldanischen Bewusstsein. „Es gibt schließlich noch eine Menge offener Fragen und du magst keine Rätsel. Zumindest hast du mir gegenüber oft diesen Eindruck vermittelt.“ „Dein Eindruck täuscht dich nicht.“, sagte Zirell. „Ich bin wirklich nicht sehr begeistert von Rätseln. Gerade dann nicht, wenn die Lösung des einen schon wieder ein weiteres aufdeckt.“ „Verständlich.“, sagte Ishan. „Aber vielleicht können wir ja …“

Die Sprechanlage hatte ihn unterbrochen. Im Display konnten sowohl Zirell, als auch er selbst das Rufzeichen des Krankenzimmers ablesen. „Ist Nidell dort?“, fragte Zirell. „Ja.“, sagte Ishan. „Ich denke, sie wird uns etwas zu sagen haben.“

Er ging zur Konsole und nahm das Mikrofon in die Hand und damit das Gespräch entgegen. Auf die Benutzung seines Haftmoduls hatte er dieses Mal mit Absicht verzichtet, um Zirell auch eine Teilnahme am Gespräch zu ermöglichen, auch wenn diese nur aus dem einfachen Zuhören bestehen würde.

„Nidell, ich höre.“, sagte Ishan ruhig und sachlich. „Bitte komm schnell her, Ishan!“, ließ sich tatsächlich die aufgeregte Stimme der jungen tindaranischen medizinischen Assistentin vom anderen Ende der Verbindung vernehmen. „Dirans Zustand hat sich verschlechtert! Ich musste Shimar wegschicken! Er ist bestimmt nicht schuld, aber …“ „langsam, Nidell.“, sagte Ishan. „Was genau ist denn mit Diran?“ „Er weist starke Anzeichen für Stress auf.“, antwortete Nidell. „IDUSA hat ein telepathisches Muster erkannt, dass dies offenbar verursacht. Sie hat es Kairon zugeordnet!“ „Interessant.“, sagte Ishan. „Dabei hat er doch zu mir gesagt, dass er schlafen möchte.“ „Offenbar hat er dich hintergangen.“, mischte sich Zirell ins Gespräch. „Korrekt.“, sagte Ishan. „Auch wenn das vielleicht auch nur auf seine eigene Hilflosigkeit zurückzuführen und ein Ausdruck dieser zu sein scheint, so kann ich doch nicht zulassen, dass er meinen anderen Patienten derart gefährdet.“

Er nahm das Gespräch mit seiner Assistentin wieder auf: „Nidell, hör mir jetzt bitte genau zu! Spritze Diran 10 mg pures Rosannium!“ „10 mg?“, fragte Nidell alarmiert. „Findest du die Dosis nicht etwas hoch?“ „Oh nein!“, sagte Ishan. „Sie dürfte gerade angemessen sein, um Kairon eine gute Lehre zu erteilen. Wenn Diran für ihn giftig wird, dann kann er die Verbindung nicht mehr halten und wird sich fragen, was der Grund für unser Eingreifen war. Dann werde ich ihm dazu einige gehörige Takte sagen müssen.“ „Also gut.“, sagte Nidell und beendete das Gespräch, um gleich darauf zu tun, wessen ihr Vorgesetzter sie gerade beauftragt hatte.

Zirell war aufgestanden. „Ich werde dir jetzt nicht länger im Weg stehen.“, sagte sie in Ishans Richtung gewandt. „Das tust du nicht.“, sagte der Arzt. „Aber es wäre in der Tat besser, du würdest gehen, damit Nidell und ich unsere Arbeit tun können.“ Zirell nickte und verließ das Sprechzimmer, um wieder zur Kommandozentrale zu gehen.

Auf dem letzten Stück dieses Weges stieß sie allerdings fast mit Maron zusammen. „Hoppla!“, sagte sie. „Jetzt hätte ich dich doch fast übersehen. Wohin denn des Weges so eilig, Maron?“ „Ich muss zu McKnight!“, sagte der erste Offizier hektisch. „Sie hat wohl etwas auf Dirans Schiff gefunden.“ „Na dann.“, sagte Zirell, warf ihm noch einen auffordernden Blick zu und schob sich dann an ihm vorbei, der in die andere Richtung davonging.

Kairon war tatsächlich von Nidells Spritze in Dirans Arm überrascht worden. Der Mächtige, der zu diesem Zeitpunkt auf einem weiteren Biobett im anderen Krankenzimmer lag, hatte eine Art Krampf verspürt, der durch seinen gesamten Körper gegangen war. Im gleichen Augenblick hatte Ishan sein Zimmer betreten und ihn mit einem typischen Blick sofort gescannt.

„Na, da haben wir ja den Lügner auf frischer Tat ertappt.“, sagte der Androide ruhig und setzte sich auf ein Sitzkissen, das er sich herangezogen hatte. Dabei hielt er aber dennoch einen gewissen Abstand zu Kairons Bett, als wollte er sagen: „Auf meine Hilfe kannst du erst mal lange warten!“ „Wovon ist hier die Rede?!“, sagte Kairon im Versuch, möglichst unwissend zu tun. „Was meinst du damit, ich hätte gelogen, Ishan?! Du solltest dich mal lieber um mein telepathisches Zentrum sorgen. Irgendetwas kann da nicht stimmen!“ Er hielt sich den Kopf. „Ich habe den Eindruck, dass mit deinem Zentrum alles in Ordnung ist.“, sagte Ishan. „Aber ich kann mir schon denken, was dein Problem ist. Du hast wohl das Rosannium und seine Wirkung gespürt, das Nidell dem armen Diran verabreicht hat, dem du an die mentale Wäsche wolltest, nicht wahr? Dabei haben wir doch etwas ganz anderes vereinbart, mein Freund, nicht wahr?“

Schwerfällig setzte sich der Mächtige auf. Dann fragte er: „Wie kommt ihr dazu, so mit mir umzugehen?!“ „Nun.“, sagte Ishan. „Dass wir so mit dir umgehen, das hast du dir selbst zuzuschreiben. Du scheinst die Situation immer noch nicht wirklich verstanden zu haben. Wir fragen uns, wie lange es noch dauern wird, bis du einsiehst, dass wir uns alle gegenseitig helfen müssen, um das hier heil zu überstehen.“ „Ach, Ishan.“, sagte Kairon. „Dass du das nicht verstehst, kann ich mir vorstellen! Du bist kein Mächtiger. Für dich ist das doch alles viel zu hoch!“ „Ah.“, machte der Androide. „Du versuchst verletzend und beleidigend zu werden, um deine Hilflosigkeit zu überspielen. Aber erstens solltest du wissen, dass mir so etwas schon als Aldaner kaum etwas ausgemacht hat und als Androide kann ich es noch umso weniger spüren. Mein analytischer Verstand sagt mir allerdings, dass es für deine Schwester und dich wohl einfacher ist, in der Theorie zu sagen, dass wir Sterblichen lernfähig und intelligent sind, es in der Praxis umzusetzen euch aber wohl noch sehr starke Probleme bereitet.“ „Du hast Recht.“, sagte Kairon. „Es ist verdammt schwer für mich, zu akzeptieren, dass ich von euch abhängig bin. Aber das hat weniger mit Toleas und meinen Theorien im Umgang mit euch zu tun, als mit meiner eigenen Person. Ich schaffe es offenbar doch nicht, den Sterblichen genug zu vertrauen. Bitte verzeih mir.“ „Du solltest den armen Diran um Verzeihung bitten und nicht mich.“, tadelte ihn Ishan. „Seinen Verstand hast du nämlich gerade aufgewühlt und in Stress versetzt.“ „Es tut mir leid.“, sagte der Mächtige. „Aber …“ „Aber für einen Mächtigen wie dich scheint es offenbar sehr schwer zu sein, die Zügel einmal aus der Hand zu geben. Das kann ich verstehen. Wenn Techniker McKnight mich an einen altertümlichen Computer aus dem 21. Jahrhundert anschließen würde und mir erklärte, dass die Funktion meiner Systeme jetzt durch ihn laufen müsste, wenn auch nur temporär, dann würde ich ihr sicher auch einige Fragen stellen, bis ich davon überzeugt wäre. Das würde ich tun, weil ich rein von der Vernunft gesteuert bin. Du aber hast Gefühle, die das Ganze für dich noch erschweren.“ „Oh ja.“, sagte Kairon. „Und das Schlimmste von ihnen ist Angst! Ich habe Angst, dass alles den Bach heruntergeht! Ihr Sterblichen habt lange noch nicht das Verständnis für …“ „Aber wir können lernen und wir lernen schnell.“, sagte Ishan. „Außerdem hat niemand gesagt, dass wir euch vollständig ausschließen würden. Wir würden gern mit euch zusammenarbeiten, um das Problem zu lösen. Das können wir aber nicht, wenn du uns beispielsweise ständig belügst und betrügst.“ „Das verstehe ich.“, sagte Kairon. „Wie soll man sich denn da noch gegenseitig vertrauen? Ich würde mich gern auch bei Diran entschuldigen. Aber immer dann, wenn ich versuche, in sein seelisches Gefängnis vorzudringen, fängt alles an zu beben und fällt fast in sich zusammen. Er könnte darunter begraben werden und dann sterben. Das ist aber das Letzte, was ich will!“ „Kein Wunder.“, sagte Ishan. „Sein Trauma wurde durch deine Schwester, also eine von euch, verursacht. Es ist ganz logisch, dass sein Unterbewusstsein Angst vor euch hat. Außerdem ist die Reise in die Seele eine Spezialität der Tindaraner! Wenn einer von ihnen die Verbindung dominieren würde und du nur der Verstärker wärst, dann könnte Diran das vielleicht leichter annehmen und es wäre sicher auch möglich, ihm zu helfen. Ich kenne sogar einen, der darin sehr gut ist.“

Er zog sein Haftmodul aus der Tasche und schloss sich damit an eine nahe Konsole an. Dann gab er IDUSA ein: Suche Shimar und schicke ihn sofort hierher!, was der Rechner auch sofort ausführte.

Kairon hatte nur bemerkt, dass er das Modul benutzt hatte. „Was hast du da gemacht?“, wollte der Mächtige von seinem künstlichen Freund wissen. „Ich habe IDUSA nur einige Befehle erteilt, die etwas mit unserem weiteren Vorgehen bezüglich Diran zu tun haben.“, sagte Ishan. In gewisser Weise stimmte das ja sogar. „Na gut.“, sagte Kairon. „Bei deinen medizinischen Fachproblemen kann ich dir wohl sowieso nicht helfen.“ „Das ist korrekt.“, sagte der Androide.

Die Tür zum Zimmer öffnete sich und Shimar betrat den Raum. Sofort wendete er sich Ishan zu: „Du wolltest mich sprechen? IDUSA sagte, es sei dringend.“ „Das ist es auch.“, sagte der Androide, holte ein zweites Sitzkissen und platzierte es neben dem Seinen. Dann deutete er darauf: „Setz dich.“ Shimar kam seiner Aufforderung nach. Jetzt saßen die Beiden vor Kairon und bildeten eine Front. Das war eine Tatsache, die der intelligente Patrouillenflieger auch längst durchschaut hatte. Deshalb flüsterte er Ishan auch zu: „Willst du versuchen, unseren Mächtigen einzuschüchtern?“ Ishan schüttelte nur den Kopf. „Ich möchte.“, sagte er dann sehr gut für alle Beteiligten hörbar. „Dass du, Shimar, gemeinsam mit Kairon eine Reise in Dirans Seele unternimmst. Aber du bist der Initiator der Verbindung und Kairon ist nur dein Verstärker. Dirans Körper dürfte Nidells Spritze mit Rosannium bereits längst abgebaut haben. Ich glaube, dass Diran dann weniger Angst haben und sich sogar von euch helfen lassen wird. Ob ihr Toleas Bann ganz löschen oder ihn nur umschreiben könnt, wird sicher von der Situation abhängen, die ihr dort vorfindet. Aber das Urteil überlasse ich ganz dir, Shimar. Ich werde natürlich versuchen, euch von außen alle medizinische Unterstützung zukommen zu lassen, die ich kann. Das heißt, ich werde Dirans Körper mit Medikamenten in Balance halten, soweit es geht. Für seinen Geist seid ihr, oder besser bist du zuständig. Ich mache mir keine großen Sorgen darum, ob du das hinbekommst. Ich bin sogar sicher, dass du es schaffen wirst. Du hast ein großes Talent, die Bilder richtig zu interpretieren, die du bei so etwas siehst und das hat schon oft zu sehr guten Ergebnissen geführt. Alle, von denen ich weiß, mit denen du das bisher getan hast, waren vollauf begeistert und die Ergebnisse sprechen für sich.“ „Na, danke für die Blumen.“, sagte Shimar flapsig. „Ich wäre dazu tatsächlich bereit. Die Frage ist aber, ob unser Mächtiger hier die Sache so akzeptieren kann.“

Ishan sah Kairon prüfend an. „Das kann ich.“, sagte dieser. „Es bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig.“ „Also gut.“, sagte Shimar und begann damit, sich zuerst auf das Gesicht Kairons und dann auf das Dirans zu konzentrieren. Zu Ishan sagte er nur noch: „Damit du’s weißt, ich fange an!“

Kairon und Shimar glitten in jenen schon sehr gut bekannten schlafähnlichen Zustand ab. Was sie sahen, kam ihnen so real vor, dass der Mächtige zunächst sehr verwirrt war. Shimar versicherte ihm jedoch, dass das ganz normal sei.

Sie fanden sich in der gleichen Höhle wieder, die auch Nidell und Zirell gesehen hatten. Auch Dirans Gefängnis war dort vorhanden. Die Buchstaben der Säulen allerdings waren zu vendarischen Symbolen geworden. „Was ist hier passiert?“, fragte Kairon und deutete auf eine der Säulen. „Ich denke, dass sich Diran immer weiter von uns entfernt.“, sagte Shimar. „Das passiert, wenn er das Vertrauen in uns verliert. Außerdem fallen viele, die einen Schock erlitten haben, wieder in ihre Muttersprache zurück. Aber ich glaube, dass ich das hier durchaus entziffern kann.“ „Dein Kumpel Joran hat dir also genug beigebracht?“, vergewisserte sich Kairon. „Davon gehe ich aus.“, sagte Shimar und probierte seine Kenntnisse gleich an dem ersten Wort aus.

Kairon war Diran hinter der Mauer aus Symbolen ansichtig geworden. „Mach dir keine Sorgen, Diran!“, rief er ihm zu. „Wir holen dich hier raus!“

Sofort begann alles wieder zu zittern und zu beben und der Trümmerhaufen, der den armen Vendar schon fast verschüttet hatte, begann noch weiter anzuwachsen. Außerdem drohte ein großer Stein Diran auf den Kopf zu fallen. Shimar konnte das nur verhindern, indem er seine telekinetischen Fähigkeiten einsetzte. Dann griff er Kairon unsanft am Arm und zerrte ihn mit sich hinter einen Vorsprung: „Komm mit!!!“ Seine Wut war ins schier Unermessliche gestiegen und er musste sich sehr zusammenreißen. „Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?!“, schrie der Tindaraner den Mächtigen an. „Du weißt doch, dass Diran viel zu große Angst vor euch hat. Was hatten wir denn vereinbart, he?!“ „Wir hatten vereinbart, dass ich nichts auf eigene Faust unternehme.“, sagte Kairon. „Aber du darfst nicht vergessen, dass diese Methode total neu für mich ist.“ „Gerade dann solltest du dich mir völlig anvertrauen!“, sagte Shimar. „Damit dir das klar ist, ich habe die Verbindung initiiert, ich kann sie auch wieder beenden! Leiste dir noch so einen Schnitzer und ich tue es, klar?! Aber dann wirst du Ishan erklären, warum wir aufgeben mussten! Ich gehe jetzt auf jeden Fall erst mal zu Diran und versuche mein Bestes, um ihn zu beruhigen!“

Er drehte sich dem Vendar in seiner Zelle zu und gab einen beruhigenden Laut von sich. Dann sagte er: „Hey, Diran, es wird alles wieder gut.“ „Das glaube ich nicht, Shimar.“, erwiderte Diran. „Nicht solange der da bei dir ist.“ „Er hat nicht viel zu melden.“, sagte der Tindaraner. „Er ist lediglich mein Verstärker. Ich brauche ihn, um überhaupt etwas gegen den Bann seiner Schwester ausrichten zu können.“

Shimar hatte kaum ausgesprochen, als das Erdbeben erneut losbrach. „Hab keine Angst, Diran!“, sagte er fest. Wenn es dir zu großen Stress macht, dass wir versuchen, ihn vollständig zu löschen, dann lass wenigstens zu, dass wir versuchen, ihn umzuschreiben.“ „Wie wollt ihr das denn anstellen?“, fragte Diran. „Da wird uns schon etwas einfallen!“, versicherte Shimar. „Es wird uns etwas einfallen, Diran! Hörst du?!“

Erleichtert nahm der Tindaraner zur Kenntnis, dass das Erdbeben aufgehört hatte. „Danke für dein Vertrauen, mein Freund.“, sagte er und schüttelte dem Vendar durch eine kleine Lücke in einem der Symbole die Hand. „Aber jetzt muss ich mich erst mal um unseren Anfänger von Q kümmern, damit der nichts Schlimmes anstellt. Oh wenn ich ihn bloß nicht so dringend brauchen würde …!“

Kairon hatte sich daran gemacht, zu versuchen, mit den bloßen Händen den obersten der Steine auf einer der Säulen aus Symbolen herunterzuziehen. Das gelang ihm aber nicht. Erst jetzt bemerkte er, dass er aus einer Nische heraus von einer merkwürdigen Kreatur beobachtet wurde, die er nur als einen vendarischen Knaben mit Flügeln auf dem Rücken wahrnahm, der ihn hämisch auslachte. „Vergiss es!“, lachte das Wesen. „Auf diese Art kommst du nicht sehr weit.“ „Wer bist du?“, fragte Kairon. „Das tut nichts zur Sache.“, sagte das Wesen. Aber wenn du willst, kann ich dir Werkzeug geben.“ „Ja.“, stimmte Kairon zu. „Tu das.“

Es gab einen schwarzen Blitz und vor Kairon lagen Hammer und Meißel. „Vielen Dank.“, sagte der Mächtige und machte sich an die Arbeit. Der geflügelte Knabe verschwand, allerdings nicht, ohne ihn vorher noch einmal auszulachen: „Du wirst schon sehen, was du davon hast. Du wirst es sehen.“

Shimar war zu Kairon zurückgekehrt. Genau hatte er gesehen, was der Mächtige da tat. Er sah allerdings auch, dass er damit gar nichts erreichte. „Was bitte hast du da angenommen?!“, fragte der Tindaraner und schaute verächtlich auf das Werkzeug, das Kairon in seinen Händen hielt. „Das waren Geschenke von einem geflügelten Jungen.“, sagte Kairon. „Er hat mir zwar gespottet, aber er hat mir am Schluss doch …“ „Gib mir den verdammten Meißel!“, schrie Shimar und schlug ihm das Werkzeug aus der Hand. Dann betastete er vorsichtig dessen Spitze. „Kein Wunder, dass du damit nicht weit gekommen bist.“, sagte er. „Das Ding ist stumpf.“ „Ach so.“, sagte Kairon. „Und ich dachte schon, dieser Stein wäre Diamant oder so etwas.“ „Oh Mann!“, stöhnte Shimar. „Ihr Götter, bitte gebt mir Geduld! Bitte gebt mir ganz viel Geduld!“

Am liebsten hätte er wohl auf der Stelle die Verbindung wieder beendet, aber sein soldatisches Pflichtbewusstsein verbot ihm das. Es verbot ihm geradezu aufzugeben, bevor die Mission nicht erfüllt war. „Ruhig, Junge, ruhig.“, flüsterte er sich auf Tindaranisch zu. „Er kann nichts dafür. Er ist ein Mächtiger und hat so noch nie gearbeitet. Normalerweise regelt er alles mit einem Fingerschnippen. Also verbuch das als Anfängerfehler und mach weiter!“

Shimar atmete tief durch, bevor er sich wieder an Kairon wandte: „Du hast das also von einem geflügelten Jungen bekommen.“, sagte er dann. „Und dieser Junge hat dich verspottet. Das bedeutet, du bist Desperan begegnet. Er ist der vendarische Gott der Verzweiflung. Von ihm etwas anzunehmen und auch noch zu glauben, es würde helfen, bedeutet, dass du der Verzweiflung genauso anheimgefallen wärst wie Diran, wenn ich nicht gekommen wäre! Was haben wir denn gesagt?“ „Wir hatten abgesprochen, dass ich nichts ohne Absprache mit dir tue.“, sagte Kairon. „Und?“, fragte Shimar frustriert. „Hast du dich daran gehalten?“ „Nein.“, gab der Mächtige zu. „Aber was macht der vendarische Gott der Verzweiflung hier?“ „Wir sind in der Seele eines Vendar.“, erklärte Shimar. „Das bedeutet, wir begegnen auch seinem Glauben. Aber du kannst von mir aus hier weitermachen, wenn du unbedingt willst. Ich suche anderswo nach Hoffnung!“

Kaum hatte Shimar ausgesprochen, erschien ein weiterer geflügelter Vendar-Junge auf der Bildfläche. Er glich mit seinem schwarzweißen Kinderfell in etwa dem ersten Knaben, hatte aber ein viel freundlicheres Gesicht. „Dein Ruf hat mich erreicht, Tindaraner.“, sagte er. „Komm mit mir.“

Shimar nickte und drehte sich ihm zu, aber Kairon hielt ihn zurück: „Halt! Du kannst doch nicht einfach …“ „Doch, das kann ich.“, sagte Shimar. „Das ist nämlich Harapan, der Gott der Hoffnung. Die Vendar glauben, dass man ihn rufen kann, indem man die Aufgabe, für die er zuständig ist, laut ausspricht.“ „Die Beiden sehen so gleich aus.“, sagte Kairon. „Das sind sie auch.“, sagte Shimar. „Laut der vendarischen Mythologie sind die Götter der Hoffnung und der Verzweiflung 1-eiige Zwillingsbrüder.“ Damit folgte Shimar dem Jungen, der ihn in eine andere Ecke der Höhle führte.

Shimar fand hier einen Maurerkübel mit einer Zementmischung und eine Kelle vor. Außerdem steinerne Symbole, die das vendarische Wort für Freund ergaben. Da dies das Gleiche war wie der Name seines Arztes, war dies für Shimar nicht unbekannt. Sobald er es sah, schien er schon zu verstehen, was Harapan von ihm wollte. „Du willst, dass ich an der Südseite der Mauer eine Säule errichte, damit das Gewölbe gestützt wird.“, sagte Shimar. Erst dann kann der Trümmerhaufen, der es jetzt noch gerade so hält, beseitigt werden und das bildet einen Ausgang für Diran, nicht wahr?“ „Richtig.“, lächelte Harapan und beförderte sich, Shimar und die Gegenstände mittels seiner göttlichen Macht an den Ort, an dem sie gebraucht wurden.

Überrascht hatte Kairon dem Treiben zugesehen. „Was bitte wird das?“, fragte er. „Das wird die Rettung für Diran.“, sagte Shimar. „Und jetzt mach dich nützlich und reich mir die Steine an!“

Missmutig tat Kairon, was Shimar von ihm verlangt hatte. Dabei hatte er sich gewundert, woher der Tindaraner so gut über das Mauern Bescheid wusste. Aber er konnte sich auch einen Grund dafür vorstellen. Shimar hatte ja eine Beziehung mit mir und mein Vater wusste, wie man Häuser baut. Ich hatte ihm sicher schon einige Fragen gestellt und über die ständige telepathische Verbindung zwischen uns konnten die Antworten durchaus einmal in seinen Geist gekommen sein, auch wenn die Verbindung jetzt gerade schlafend war, weil wir uns in verschiedenen Dimensionen befanden. Auch Shimar hatte bemerkt, dass ihm das nötige Wissen geradezu zugeflogen war. Leise hatte er daher in den Raum geflüstert: „Ich danke dir von ganzem Herzen, Kleines.“

Bald war die Mauer errichtet. „So.“, sagte Shimar. „Jetzt dürfte es noch einmal anstrengend werden.“ „Vielleicht auch nicht.“, sagte Kairon. „Jedenfalls nicht für dich. Betrachte das, was ich jetzt tue, bitte als Wiedergutmachung!“

Er konzentrierte sich auf das Bild von zu einzelnen Atomen zerfallender Materie und sah dabei den Trümmerhaufen an, der noch immer den Ausgang versperrte. Alsbald gab es einen weißen Blitz und von dem Haufen war nichts mehr zu sehen. „Das war das einzig Vernünftige, was du heute getan hast.“, sagte Shimar. „Heißt das, wir schließen wieder Frieden?“, fragte Kairon. Shimar nickte und streckte ihm die Hand hin. Der Mächtige schlug ein.

Diran war aufgestanden. „Hey, Leute, warum ist es auf einmal so hell hier?!“, fragte er erfreut, aber zugleich auch leicht irritiert. „Wahrscheinlich, weil du frei bist.“, sagte Kairon und streckte dem Vendar die Hand durch die offene Wand seiner Zelle hin. Diran nahm sie und ließ sich bereitwillig an ihr ins Freie führen. Oh wie wohltuend war dies! Wie genoss er seine neue Freiheit. Die muffige Luft in der Gefängniszelle hatte er schon lange satt gehabt. Jetzt roch es nach Wiesenblumen, Wald und allen anderen natürlichen Gerüchen, die er aus seiner Heimat kannte. „Ich danke euch, meine Freunde!“, rief Diran überschwenglich aus und küsste sogar den Boden. „Ich danke euch so sehr!“

Die Höhle und alle Dinge, die dazugehört hatten, begannen vor Shimars und Kairons geistigen Augen zu verschwimmen. Dann löste sich die Umgebung vollständig auf und beide waren wieder zurück in der Realität. „Willkommen zurück.“, sagte Ishan, der beide am Monitor überwacht hatte. „Wie mir scheint, wart ihr beide doch noch erfolgreich. Es gab am Anfang eine Reihe von Werten, die mich schließen ließen, dass es wohl Komplikationen gab, aber anscheinend bist du mit denen sehr gut zurechtgekommen, Shimar.“ „An den Komplikationen war ich nicht unschuldig, Ishan.“, sagte Kairon kleinlaut. „Es tut mir leid. Aber gut, dass du nicht mittels einer Spritze eingegriffen hast.“ „Nun.“, sagte der Arzt. „Ich war aber kurz davor. Der Stress, den euer Streit bei Diran ausgelöst hat, hätte ihn umbringen können und das hätte ich gern verhindert.“ „Das kann ich verstehen.“, sagte Shimar. „Aber woher wusstest du, dass wir uns gestritten haben?“ „IDUSA.“, sagte Ishan. „Sie hat eure Tabellen auf die Frequenz heruntergerechnet, auf der sich eure Hirnfunktionen zum Zeitpunkt der Reise in die Seele befanden. Ich hatte eine direkte Datenverbindung mit ihr über mein Haftmodul. Das bedeutet, dass ich zu jeder Zeit über alles informiert war.“ „Schon klar.“, sagte Shimar.

Nidell winkte Ishan zu. „Bitte entschuldigt mich einen Augenblick.“, sagte der Androide und ging zu seiner Assistentin hinüber, die nur auf Diran zeigte: „Seine Werte verbessern sich rapide, Ishan! Ich glaube, er wacht auf!“

Sie hatte kaum ausgesprochen, da schlug der Vendar bereits die Augen auf. „Was ist geschehen?“, fragte er. „Wo bin ich?“ „Du befindest dich auf der Krankenstation von 281 Alpha.“, sagte Ishan. „Den Göttern sei Dank.“, sagte Diran. „Obwohl es für mich sicher besser wäre, wenn ihr mich zu meinem Volk schicken würdet, damit ich dort die Strafe für Hochverrat annehmen kann, welche der Tod ist.“ „Nun mal ganz langsam.“, sagte der Arzt. „Shimar, Kairon, Nidell und ich haben dich nicht mühevoll ins Leben zurückgeholt, damit du dich gleich wieder davonstielst. Ich bin sicher, als du diesen angeblichen Hochverrat begangen hast, warst du nicht Herr deiner Sinne. Du standst unter dem Befehl deiner Herrin Tolea, die sich falsch ausgedrückt hat. Also trifft allenfalls sie eine Schuld.“ „Das kannst du gar nicht beurteilen!“, sagte Diran, so fest er es eben konnte. „Du hast mit der Verbrechensbekämpfung nichts zu tun und weißt vielleicht gar nicht so genau, was ein Verbrechen ist und was nicht! Schick Maron El Demeta zu mir! Er soll urteilen!“ „Also gut.“, sagte Ishan. Dann wandte er sich an IDUSA: „IDUSA, lokalisiere Agent Maron und schicke ihn her!“ „Sofort, Ishan.“, antwortete der Rechner. „Bist du jetzt zufrieden?“, fragte Ishan an seinen Patienten gewandt, der ihm nur zunickte und dann ruhig einschlief.

Kairon hatte sich der Tür zugewandt. „Ich werde dann auch besser meiner Schwester auf die 818 folgen.“, sagte er. „Hier kann ich ja eh nichts mehr tun.“ „In Ordnung.“, sagte Ishan. Dann verschwand Kairon in einem weißen Blitz. Auch Shimar verabschiedete sich und ging.

Kapitel 44: Ein beweisträchtiger Plan

von Visitor

 

Jenna und Maron hatten sich die Aufzeichnung von Dirans Schiff angesehen. „Was für ein verdammter Schauspieler!“, rief Jenna aus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht, McKnight.“, sagte Maron. „Ich denke, diesen Jungen, diesen Mirdan, werden wir uns gut merken müssen, Er scheint sehr clever zu sein und wenn er so eine Aufgabe bekommt, dann halten Sytania und ihre Leute sicher große Stücke auf ihn. Ich denke, wir sollten, nein, wir dürfen, ihn auf Grund seines geringen Alters auf keinen Fall unterschätzen!“ „Ganz genau.“, stimmte die hoch intelligente Halbschottin dem demetanischen Ersten Offizier zu. „Aber mir tut nach wie vor Diran leid. Er ist total hereingelegt worden. Ich bin überzeugt, Mirdan hatte alle Kenntnisse, die ihn auch so aus der Situation befreit hätten.“ „Davon gehe ich auch aus, McKnight.“, sagte Maron. „Es hätte ja sein können, dass Diran nicht anbeißt.“ „Hätte können.“, sagte Jenna frustriert. „Aber ich denke, dass Sytania und ihre Leute genau wussten, wie gutmütig Diran ist und dass er leicht auf ein unschuldiges Gesicht und einen Novizen in einer scheinbar verzweifelten Situation hereinfallen würde.“ „Wie konnten Sytanias Leute überhaupt von der Sache mit dem Bann erfahren, Techniker?“, fragte der Agent. „Haben Sie dazu eventuell auch eine Idee? Ich meine, gegen geistige Spionage Sytanias könnten sich Tolea und ihre Leute doch sicher abschirmen, oder?“ „Natürlich.“, sagte Jenna. „Aber ich halte Sytanias Vendar für den Grund, aus dem sie von dem Bann über Diran erfahren konnte. Sie besitzen eine interdimensionale Sensorenplattform, über die auch Drohnen gestartet werden können, die so weit oben operieren können, dass sie mit dem bloßen Auge nicht zu sehen sind. Sie haben starke Sensoren, die alles in ihrer Reichweite sehr genau aufzeichnen können. Wenn dann am Bildschirm noch ein guter Lippenleser sitzt, kann es durchaus sein, dass sie alles beobachtet und leider genau die richtigen Schlüsse gezogen haben, Sir. Darauf haben sie dann diesen Plan gefasst und ausgeführt. Ich weiß, meine Theorie klingt abenteuerlich, Agent. Aber …“ „Aber sie klingt für mich verdammt richtig, McKnight.“, sagte Maron. „Ich denke, wenn ich an Sytanias Stelle wäre, dann würde ich es genauso machen. Zumal dann niemand meine Aktionen spüren könnte, der mir gefährlich werden könnte. So einfach könnte mir dann ja auch keine Schuld nachgewiesen werden. Aber woher haben Sie das mit der Plattform, Jenna?“ „Joran hat es uns gegenüber doch auch schon oft bestätigt, Agent.“, sagte Jenna. „Ah ja.“, sagte Maron. „Ich wollte nur sichergehen.“

Maron rief sich das Bild von Diran noch einmal in Erinnerung. Dann fragte er: „Würde sich irgendwie beweisen lassen, dass Diran nicht schuldhaft gehandelt hat, Jenna?“ „Ich denke, das ginge durchaus.“, sagte die Technikerin. Wir werden die gleiche Methode benutzen, die auch Mirdan benutzt hat.“ „Sie meinen die Aufzeichnung, nicht wahr?“ „Genau, Sir.“, sagte McKnight. Dann gab sie IDUSA einige Gedankenbefehle über den Neurokoppler, die sie aber auch zu Marons besserem Verständnis laut aussprach: „IDUSA, die Aufzeichnung zu Zeitindex 3352619 zurückfahren und das Bild von Diran vergrößern und auf das Möglichste heranzoomen!“ Der Avatar vor ihrem geistigen Auge nickte und IDUSA führte den Befehl aus.

Maron und Jenna sahen in das jetzt übergroß dargestellte Gesicht Dirans, das sie so beide noch nie gesehen hatten. „Kann IDUSA seine Augen in den Fokus rücken, Techniker?“, fragte der erste Offizier. „Warum sagen Sie ihr das nicht selbst, Sir?“, erkundigte sich McKnight. „Ich dachte, Ihre Probleme bezüglich der Kommunikation mit ihr gehören der Vergangenheit an.“ „Das stimmt schon, Techniker.“, sagte Maron. „Aber ich habe immer noch starke Schwierigkeiten damit, mir vorzustellen, was mit tindaranischer Technologie möglich ist und was nicht. Aber gut. IDUSA, kannst du Dirans Augen noch einmal speziell beleuchten?“ „Sicher, Agent.“, sagte der Rechner und dann veränderte sie das Bild erneut.

Über Dirans Gesicht wurde jetzt ein erleuchteter Rahmen gelegt, in dem nur seine Augen überlebensgroß zu sehen waren. „Danke, IDUSA.“, sagte Maron und sah sich das neue Bild genau an. Dann sagte er: „IDUSA, stelle diesem Bild eines von Dirans normalem Gesicht gegenüber! Lege auch hier den Fokus auf seine Augen!“ „Sie wollen total sicher sein, Sir.“, sagte Jenna. „Nicht wahr?“ „Oh ja, McKnight.“, sagte Maron. „Das will ich. Ich bin über alle Grenzen hinaus als der Pannemann bekannt, der sich schon so oft bei seinen Ermittlungen geirrt hat und ich habe das starke Gefühl, Zoômell und Tamara würden meine Ergebnisse in der Luft zerreißen, wenn sie nicht eindeutig sind.“ „Tamara?“, fragte Jenna. „Beabsichtigen Sie etwa auch, Ihre Ergebnisse der Sternenflotte mitzuteilen?“ „Unter Umständen bleibt mir keine Wahl, Techniker.“, sagte Maron. „Die Situation scheint alle Universen über kurz oder lang zu betreffen. Auch das der Föderation. Ich weiß aber auch, dass gerade deren Regierung sich oft schwertut mit dem Glauben an Dinge, die sich im Dunklen Imperium abspielen oder dort zumindest ihren Anfang nehmen. Deshalb benötigen wir hieb- und stichfeste Beweise, die unsere Theorien untermauern, Jenna.“ „Das denke ich mir, Agent.“, sagte die hoch intelligente Halbschottin. „Zumal laut dem, was Diran aus Versehen Mirdan mitgeteilt hat, ja auch die Einhörner auf eine Art in die Sache verwickelt sind, die man Einhörnern eigentlich nicht zutraut.“ „Dann müssen Sie etwas anderes gehört haben als ich, McKnight.“, sagte Maron. „Diran hat zu Mirdan doch nur gesagt, dass die Einhörner entzweit seien, oder?“ „Und was bitteschön soll das heißen, Agent?“, fragte Jenna. „Es heißt, dass sie sich gestritten haben, oder es vielleicht noch immer tun.“, sagte Maron. „Das ist richtig.“, bestätigte Jenna. „Aber würde man so etwas im Allgemeinen Einhörnern zutrauen?“ „Sicher nicht, Techniker.“, sagte der Demetaner und zog die Stirn kraus. Das tat er immer dann, wenn er überlegte. „Einhörner gelten bei den Meisten, insbesondere bei den Humanoiden, als heilige und so tugendhafte Wesen, dass so etwas wie Streit oder gar Krieg bei ihnen gar nicht vorkommen kann.“ „Richtig.“, sagte Jenna. „Und da bei Politikern ja nicht sein kann, was nicht sein darf, wird man uns wohl erst dann Glauben schenken, wenn die Beweislast geradezu erdrückend ist. Aber selbst dann ist es nicht sicher, weil manche Parlamentarier die Fakten dann trotzdem immer noch gern ignorieren, bis es zu spät ist und dann schreit man nach Crews, die alles wieder richten sollen.“ „Das ist wohl richtig, Jenna.“, seufzte Maron. „Und gerade deshalb finde ich, wir sollten zu den Beweisen zurückkehren.“

Er konzentrierte sich noch einmal genau auf die Bilder vor seinem geistigen Auge, die ihm der Neurokoppler zeigte. Da er wusste, dass Jenna das Gleiche sehen musste, fragte er sie gleich darauf: „Sehen Sie das Gleiche, das ich sehe, Techniker? Sehen Sie, dass er unter einem fremden Einfluss stehen musste, als er das Vorhaben Toleas an Mirdan verriet?“ „Durchaus, Sir.“, sagte Jenna. „Seine Pupillen sind eng gestellt und sein Blick geht an Mirdan vorbei. Das bedeutet, sein Gehirn ist nicht klar. Normalerweise sieht man jemanden ja genau an. Wenn man sich mit ihm unterhält. Ich bin keine Ärztin, Agent. Ich bin Ingenieurin. Aber sogar für mich sind dies eindeutige Symptome. Selbst ich weiß, dass Dirans Gehirn nicht klar war, als er sich mit Mirdan unterhalten hat.“ „Wir sollten diese Bilder auf einen Datenkristall ziehen.“, schlug Jenna vor. „Falls es gelingt, Diran aus dem Koma zu holen, wird er sich bestimmt des Hochverrats bezichtigen und dann ist es wichtig, dass wir eine Möglichkeit haben, ihn vom Gegenteil zu überzeugen.“ „Wie kommen Sie darauf, Techniker?“, fragte Maron. „Ich kann mir zwar vorstellen, dass es Ishan irgendwie gelingen könnte, ihn aus dem Koma zu holen, aber dann wird er sich doch sicher nicht an die Vorkommnisse erinnern, oder? Wir haben doch gerade festgestellt, dass er sich seines Tuns gar nicht bewusst sein kann.“ „Und wie erklären Sie dann seine Absicht, sich das Leben zu nehmen?“, fragte Jenna. „Oder zumindest die, zu verhindern, dass er die Information noch weitergeben kann?“ „Das kann ich mir nicht erklären, Techniker.“, sagte Maron. „Aber ich.“, sagte Jenna.

Sie ließ IDUSA die beweisträchtigen Bilder auf einen Datenkristall kopieren und dann wurde die Aufzeichnung zu jenem Punkt zurückgefahren, an dem Mirdan überhaupt das Aufzeichnen verlangt hatte und von dort noch einmal abgespielt.

Jetzt fiel es Maron wie Schuppen von den Augen. „Ach das meinten Sie!“, sagte er. „Sie meinten den Moment, als sich Diran die Aufzeichnung noch einmal mit Mirdan ansah, um zu überprüfen, ob er diesem armen verzweifelten Jungen auch tatsächlich alles richtig erklärt hatte. Dabei hat er natürlich auch seine eigene Stimme gehört, die Mirdan alle Pläne verraten hat. Das wird ihn sehr beschämt haben. Das hat der Kleine leider sehr geschickt gemacht.“ „Allerdings.“, sagte Jenna. „Und deshalb müssen wir auch umso mehr Geschick darin walten lassen, ihn von seiner Unschuld zu überzeugen. Außerdem müssen wir einen Weg finden …“

IDUSA hatte vor ihren geistigen Augen die Hand gehoben. Das tat sie immer dann, wenn sie jemanden auf etwas aufmerksam machen wollte. Außerdem leuchtete ein Licht an der virtuellen Konsole der Sprechanlage, die beide vor sich sahen. „Was gibt es, IDUSA?“, fragte Agent Maron. „Ich habe Ishan für Sie, Agent.“, sagte der Rechner. „Stell ihn durch!“, sagte Maron. Der Avatar nickte.

Der Demetaner wurde des Bildes des Androiden vor seinem geistigen Auge über den Neurokoppler ansichtig. „Ich höre, Ishan.“, sagte er. „Maron, es ist uns gelungen, Diran aus dem Koma zu holen.“, sagte Ishan zur Antwort. „Er verlangt allerdings, von dir sofort vernommen zu werden. Du sollst urteilen, ob er ein Hochverräter ist oder nicht.“ „Interessant.“, sagte Maron. „Das Problem ist nur, dass ich kein Richter bin, sondern eher der Exekutive, als der Judikative angehöre.“ „Aber du musst doch auch wissen, ob jemand verhaftet werden kann, weil er dieses oder jenes Verbrechen verübt hat oder nicht.“, sagte der Arzt. „Also wird dein Urteil hoffentlich genug Gewicht haben, um ihn zu überzeugen.“ „Das hoffe ich.“, sagte Maron. „Aber ich habe auch noch etwas, das ich dir zeigen möchte und bei dem ich auch auf dein Urteil hoffe, Ishan. Es hängt sogar mit Dirans Selbstbezichtigung zusammen.“ „Darauf bin ich gespannt, Maron.“, sagte Ishan. „Gut.“, sagte Maron. „Dann werde ich mich jetzt auf den Weg zu dir machen. Sag deinem Patienten bitte, ich sei unterwegs.“ „In Ordnung, Maron.“, sagte Ishan und beendete die Verbindung.

Der demetanische Agent stand auf. „Ich muss gehen, Techniker.“, sagte er und drehte sich von ihr, die an ihrer Arbeitskonsole sitzengeblieben war, fort. „Aber bleiben Sie bitte in Bereitschaft. Irgendwie habe ich ein komisches Bauchgefühl. Ich spüre geradezu, dass wir Sie und Ihre Programmierkenntnisse heute vielleicht sogar noch benötigen werden. Es könnte sein, dass wir eine Simulation benötigen, um Diran das eine oder andere zu verdeutlichen.“ „Das ist kein Problem für mich, Sir.“, sagte Jenna. „Dann schreibe ich uns was Schönes!“ Bei ihrem letzten Satz grinste sie ihn an. „In Ordnung, McKnight.“, sagte der Erste Offizier und ging.

Ishan und Nidell waren immer noch damit beschäftigt, Diran davon zu überzeugen, dass er wahrlich nichts Böses getan hatte. Zumindest konnte er nichts für die Dinge, die passiert waren. Allerdings sollte sich das als ein unmögliches Vorhaben herausstellen. „Ihr könnt mir sagen, was ihr wollt!“, sagte Diran. „Ich habe doch meine eigene Stimme in der Aufzeichnung gehört, wie sie Mirdan von Toleas Vision und der Weissagung berichtet hat. Wer außer mir soll das denn getan haben?“ „Niemand streitet ab, dass du das getan hast.“, sagte Ishan. „Wir sagen nur, dass es nicht deine Schuld war. Du standst unter Toleas Bann und das hat Mirdan eiskalt ausgenutzt. Woher er und Sytania diese Information hatten, wissen wir noch nicht, aber eines ist sicher. Du warst zumindest vermindert schuldfähig.“

Maron hatte die Krankenstation betreten und Ishans letzten Satz aufgenommen: „Ishan hat Recht, Diran.“ Dann hatte er sich zu dem Vendar ans Bett gesetzt.

„Ich grüße dich, Agent Maron.“, sagte Diran jetzt schon weniger aufgeregt und gab ihm schwach die Hand. „Hallo, Diran.“, sagte Maron ruhig. „Willkommen unter den Lebenden. Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.“ „Das lag sicher nicht in meiner Absicht, Agent.“, sagte der Vendar und sah ihn beschwichtigend an. „Das kann ich mir denken.“, sagte Maron. „Du hast dich sicher nicht mit dem Vorsatz ins Koma gebracht, uns alle nur zu erschrecken.“

Diese Art des Gesprächs hatte er mit Absicht gewählt, um Diran ganz vorsichtig wieder auf das eigentliche Thema zu lenken, ohne dass dieser etwas davon merken sollte, dass man dabei war, die Schwere seiner Schuld festzustellen. Hätte der Agent dies zu offensichtlich getan, dann hätte Diran sich sofort blockiert und wäre für eine Befragung sicher nicht mehr zugänglich gewesen. Das konnte sich der Demetaner sehr wohl denken. Deshalb kam es ihm wohl besser und strategisch günstiger vor, die Befragung von hinten durch die kalte Küche zu beginnen.

Diran setzte sich in seinem Bett auf und Nidell schob ihm eilig ein Kissen in den Rücken. Durch das lange Liegen war seine Muskulatur sehr stark geschwächt und es würde bestimmt noch einigen Trainings bedürfen, bis er wieder der Alte war. „Nein.“, sagte der Vendar. Ich wollte euch auf keinen Fall erschrecken. Aber ich wollte verhindern, dass noch mehr von unseren Plänen an Sytanias Ohren gerät. Das, was ich getan habe, ist nicht zu entschuldigen, Agent Maron! Es ist nicht zu entschuldigen!“

Maron zog das Pad aus der Tasche, auf dem er die Daten, die Jenna und er aus der Aufzeichnung gezogen hatten, gespeichert hatte. Dann rief er die Datei auf und hielt Diran das Bild genau vor die Augen, während er sagte: „Dessen bin ich mir nicht so sicher, Diran. Du standst nämlich unter dem Einfluss des Bannes, den Tolea über dich verhängt hatte, als du das getan hast. Sie hat sicher nicht gewollt, dass du zum Verräter wirst, aber sie hat sich wohl im Eifer des Gefechts falsch ausgedrückt und deshalb bist du ungewollt zum Verräter geworden. Aber die Schäden sind wohl repariert, soweit ich das verstanden habe. Sonst wärst du ja jetzt sicher nicht wach.“

Ishan trat hinzu und bestätigte: „Das ist wohl wahr und es zeigt auch, wie gut du das, was ich dir neulich bezüglich psychischem Einfluss auf die Gesundheit erklärt hatte, sehr gut verstanden hast, Maron. Dank einer direkten Datenverbindung während einer Reise in Dirans Seele, die Kairon und Shimar gemeinsam unternommen hatten, konnte ich genau sehen, dass sie den Bann zwar nicht löschen, aber ihn umschreiben konnten. Jetzt wird Diran nur noch jedem Freund von unseren Plänen berichten, der von seiner Art ist.“ Er hatte den Freund noch gesondert betont. „Das glaube ich nicht.“, sagte Diran. „Wie wollt ihr das denn gemacht haben?“ „Hattest du zufällig einen verrückten Traum, kurz bevor du aufgewacht bist?“, fragte Maron und gab sich große Mühe, sehr unschuldig dreinzuschauen. „Den hatte ich in der Tat.“, sagte Diran. „Ich sah Shimar El Tindara und Kairon aus dem Raum-Zeit-Kontinuum, wie sie … Aber kann denn das sein, Agent? Kann es denn wirklich möglich sein, dass sie …“ „Ja, das kann es!“, sagte Maron mit viel Überzeugung in der Stimme. „Dein Unterbewusstsein glaubt bereits daran. Sonst hätte es dir ja sicher nicht erlaubt aufzuwachen und dein Bewusstsein werden wir auch noch überzeugen.“

Er wandte sich Ishan zu: „Darf ich mal deine Konsole benutzen?“ „Tu dir keinen Zwang an, Maron.“, erwiderte der Arzt. „Danke.“, sagte der demetanische Agent und setzte sich auf ein Sitzkissen an der Konsole. Dann schrieb er eine SITCH-Mail an Jenna, in der er ihr Instruktionen zum Schreiben einer bestimmten Art von Simulation übermittelte. Das tat er deshalb auf diesem Weg, da Diran nicht mitbekommen sollte, worum es ging. Dies war wichtig, um den Überraschungseffekt später optimal ausnutzen zu können.

Danach wendete er sich noch einmal Ishan zu: „Ich denke, McKnight wird nicht lange zum Schreiben der Simulation brauchen. Ist es irgendwie möglich, Diran in die Simulationskammer zu bekommen?“ „Mit einer Gehhilfe sicher.“, sagte Ishan. „Aber ich werde Nidell als medizinische Fachkraft mitschicken.“ „Das ist völlig in Ordnung.“, sagte Maron. „Wir werden uns also wieder hier treffen, sobald Jenna die Simulation fertig hat.“ „OK.“, sagte Ishan. Dann verließ Maron wieder die Krankenstation.

Shimar hatte Zirell gemeldet, dass seine Mission erfolgreich verlaufen war und hatte sich dann, nachdem sie ihn entlassen hatte, in sein Quartier zurückgezogen. Hier hatte er sich nur noch mit einem schweren Seufzer auf sein Bett fallen lassen. Allerdings hatte er aus Routine den Neurokoppler aufbehalten, ein eindeutiges Signal für IDUSA, dass sie seine Tabelle zwar auf den Port in seinem Schlafzimmer umladen, sie aber noch nicht löschen sollte. So waren die Gedanken des jungen Fliegers für den Rechner der Station nach wie vor ein offenes Buch.

„Es beschäftigt Sie zweifelsfrei immer noch, dass sich Kairon wie ein Anfänger verhalten hat.“, stellte sie fest. „Da hast du Recht, IDUSA.“, sagte Shimar. „Aber jetzt ist mir eigentlich gar nicht nach reden. Ich möchte nur noch schlafen, also lass mich!“

Er drehte sich zur Wand, nahm den Koppler aber immer noch nicht ab. „Ich kann und darf Ihnen leider nicht so ohne weiteres abnehmen, dass Sie nicht mehr mit mir reden wollen.“, sagte der Rechner. „Sie haben mir noch immer kein eindeutiges Signal gegeben. Sie haben den Neurokoppler immer noch auf.“ „Na schön.“, sagte Shimar, dem es eigentlich jetzt wie ein unwiderstehliches Angebot vorkam, dass sie so auf die Einhaltung der Protokolle drängte. Er wusste, dass sie nichts dafür konnte, weil sie eben ein Computer war. Es war ihm andererseits aber auch so ganz recht.

„Weißt du, IDUSA.“, begann er damit, ihr sein Herz auszuschütten. „So ein Mächtiger, der ist schlimmer als ein kleines Kind!“ „Wovon reden Sie genau?“, erkundigte sich der Rechner. „Was genau ist bei der Reise in die Seele denn passiert?“ „Ach, IDUSA.“, seufzte Shimar. „Die Daten hast du doch alle schon.“ „Ich habe die kalten Fakten.“, sagte IDUSA. Aber ich habe leider nicht Ihre Sicht. Also kann ich auch nicht entscheiden, ob und wie ich Ihnen helfen kann.“ „Also gut.“, sagte Shimar. „Kairon spuckt immer verdammt große Töne, wenn es darum geht, über uns Sterbliche zu urteilen. Dann sagt er immer, wir können ja noch nicht dies und wir können ja noch nicht das und dafür müsse man Verständnis haben. Das hat mich hoffen lassen, er käme besser in der Welt der Sterblichen Klar. Aber kaum lässt man ihn mal allein, macht er einen Fehler nach dem anderen. Wenn ich nicht gewesen wäre, dann hätte er in Dirans Seele mehr kaputtgemacht als geheilt!“ „Sind Sie da jetzt nicht ein bisschen hart?“, fragte IDUSA. „Nein!“, sagte Shimar fest. „Das finde ich nicht. Er tut doch immer so allwissend. Dann soll er es auch beweisen!“ „Aber vielleicht kann er das nicht.“, sagte der Rechner.

Shimar stützte den Ellenbogen seines rechten Arms auf die Matratze auf und legte seinen Kopf in seine nach oben offene Hand. „Was meinst du damit?“, fragte er dann. „Bitte lassen Sie uns eine kleine hypothetische Reise machen.“, sagte IDUSA. „Stellen Sie sich vor, Sie müssten beispielsweise plötzlich in der tindaranischen Steinzeit zurechtkommen. Obwohl Sie aus einem Zeitalter der Hochtechnologie kommen, würden Sie dort wohl einige Schwierigkeiten im Alltag haben und so mancher würde sich wohl über Ihre Unfähigkeit wundern und vielleicht auch ärgern. Sicher würde es dann auch einige geben, die genauso reagieren würden wie Sie jetzt.“ „Du hast da einen kleinen Fehler gemacht, IDUSA.“, sagte Shimar. „Du hast gesagt, dass ich Schwierigkeiten hätte, obwohl ich aus einer Zeit der Hochtechnologie stammen würde. Aber das ist nicht ganz richtig. Ich hätte wahrscheinlich eher Schwierigkeiten, gerade weil ich … Ach, jetzt weiß ich, was du meinst. Kairon hat damit Probleme, weil er von uns viel zu weit weg ist, nicht wahr?“ „Das ist korrekt.“, sagte der Rechner. „In der Theorie kann man vieles behaupten, aber die praktische Umsetzung muss deshalb noch lange nicht immer gelingen.“ „Oh dann habe ich Kairon wohl die ganze Zeit über ziemliches Unrecht getan.“, sagte Shimar kleinlaut. „Ich glaube, es wird allerhöchste Zeit, dass ich mich bei ihm entschuldige. Danke, IDUSA. Dein sachlicher Blick auf die Situation hat mir gerade die Augen geöffnet.“ „Gern geschehen, Shimar.“, sagte der Computer der Station. „Aber wir sollten dringend etwas tun, um Ihre Laune wieder zu heben. Wenn Sie mit der Trauermiene Kairon gegenübertreten, dann wird er denken, jemand sei gestorben.“ „Und was willst du tun, um das zu erreichen, IDUSA?“, fragte Shimar. „Warten Sie ab.“, sagte IDUSA und der Avatar vor seinem geistigen Auge grinste ihn an. „Also gut.“, sagte Shimar. „Ich vertraue dir.“ Er legte sich wieder entspannt auf den Rücken.

Ich hatte Heimaturlaub und war in meinem Haus gerade mit täglichen Arbeiten beschäftigt, als das Sprechgerät mich aus der Routine holte. Ich war darüber ganz froh, denn ich hatte es langsam echt satt, mich mit den Nachbarn ständig nur über die jetzt des Öfteren vorkommenden Regenschauer zu unterhalten, über die man sich beschwerte. In meinem Heimatjahrhundert war das zwar auch schon mal vorgekommen, aber ich hatte den Eindruck, dass die Leute im 30. Jahrhundert sehr verwöhnt waren, was gutes Wetter anging. Dank der Wetterkontrollstationen war das ja auch kein Wunder. Mir allerdings kam es schon lächerlich vor, dass man sich über ein paar Tropfen Regen so aufregte. Wenn mich noch einmal jemand darauf ansprechen würde, das stand für mich fest, dann würde ich durchdrehen. Für mich, die ich ja ursprünglich aus einer Zeit kam, in der das Wetter noch naturbelassen war, war schlechtes Wetter etwas ganz Normales. Ich ahnte ja noch nicht, was für Vorboten das waren.

Ich drehte mich also dem Computer zu, der mir gerade gesagt hatte, dass ein Ruf eingegangen war und der mir auch den Speichernamen für das Rufzeichen vorgelesen hatte. „Annehmen!“, befahl ich und nahm das Mikrofon in die Hand. Dann sagte ich: „Hallo, Srinadar!“, und grinste breit. „Woher wusstest du, dass ich es bin?“, fragte ein etwas verwirrter Shimar. „Gib es zu. Du hast einen Vorleser unter dem Tisch.“ „Wohl eher im Hausrechner.“, sagte ich. „Neulich war ein Techniker da, der einiges umgestellt hat. Er meinte, dass es zu meiner eigenen Sicherheit besser ist, wenn mir der Rechner immer automatisch das Rufzeichen oder den Speichernamen vorliest, wenn ein Gespräch eingeht. Aber ich nehme an, du wolltest mich überraschen. Oh nein! Die schöne Überraschung! Jetzt habe ich sie dir kaputtgemacht!“ „Ist ja nicht so schlimm, dass du auf deine Sicherheit achten willst, Kleines.“, sagte Shimar tröstend. „Du kannst ja nichts dafür. Aber den Techniker bringe ich um!“ Er grinste hörbar bei seinem letzten Satz. Daher wusste ich, dass er es nicht ernst gemeint hatte. „Hey.“, sagte ich und grinste ebenfalls.

„Leider muss ich dir jetzt etwas sagen, das nicht so lustig ist, Kleines.“, sagte Shimar und wurde von jetzt auf gleich sehr ernst. „Es geht um die Dimensionen. Du hast ja sicher auch schon gemerkt, dass sich einiges geändert hat, nicht wahr?“ „Wenn du auf das Wetter hinauswillst.“, sagte ich. „Dann schon. Die Wetterkontrollstationen werden dem Regen manchmal schon nicht mehr Herr und …“ „Jenn’ sagt, das kommt von der Ladungsverschiebung innerhalb der interdimensionalen Schicht und die kommt, wie wir jetzt wissen, wohl daher, weil sich die Machtverhältnisse bei den Einhörnern und somit auch bei den Quellenwesen sehr stark verschoben haben. Du musst das deinem Commander erzählen, Kleines. Du musst! Vielleicht müssen wir zusammen das Schlimmste verhindern. Sag ihr, sie kann von Zirell alle Daten kriegen, die sie will. Das ist zwar ein sehr innoffizieller Weg, aber eure Regierung ist ja leider dafür bekannt, Dinge, die sie nicht versteht, unter den Teppich zu kehren und sie aussitzen zu wollen in der Hoffnung, sie würden sich von allein erledigen. Was ich dir gerade gegeben habe, war nur ein kurzer Abriss.“ „Warum haben sich die Machtverhältnisse verschoben, Srinadar?“, fragte ich. „Kissara wird mich das bestimmt auch fragen.“ „Weil sich Valora und Sytania höchstwahrscheinlich zusammengetan haben.“, sagte Shimar. „Die Leitstute der Einhörner und Sytania?“, fragte ich ungläubig. „Aber warum sollten sie … Ach du meine Güte!“ Mir war es wie Schuppen von den blinden Augen gefallen. „Du meinst, weil Invictus … Ist das bestätigt?“ „Noch nicht offiziell.“, sagte Shimar. „Aber du musst es Kissara sagen, Kleines! Versprich mir das!“ „Sicher.“, sagte ich. „Verlass dich auf mich.“ „Ich danke dir.“, sagte Shimar noch, bevor er die Verbindung wieder beendete.

Ich war nachdenklich zurückgeblieben. Natürlich würde ich Kissara alles sagen. Die Situation war sicher viel zu pikant, als das damit noch länger gewartet werden konnte. Ich wusste nur noch nicht, was man da tun könnte und vor allem durfte, denn die Föderation hatte sich ja nicht in die Belange anderer Gesellschaften einzumischen. Aber wenn das stimmte, dann waren alle Dimensionen bedroht und es war nicht nur ein einfacher Ehestreit unter Einhörnern. Wenn, dann waren auch wir betroffen und hatten verdammt noch mal jedes Recht, uns unserer Existenz zu erwehren. Ich würde also die nächste Gelegenheit nutzen, Kissara aufzuklären. Was sie dann daraus machte, war ihr überlassen.

Kapitel 45: Lostris’ Verrat

von Visitor

 

Auf der Heimatwelt der Genesianer hatte sich zum gleichen Zeitpunkt ein ganz anderes Drama abgespielt. Die Vendar waren nämlich erfolgreich gewesen und hatten ihre todbringende Fracht in der Atmosphäre des Planeten ausgebracht, ohne auch nur im Geringsten von genesianischen Sensoren behelligt worden zu sein. So konnte sich niemand erklären, was Meduse bald darauf an Shashana meldete und auch den Beweis nicht, den sie ihr für dieses Geschehen unterbreitete.

Shashana saß an ihrem Tisch in der großen Ratshalle, als Meduse mit einem Bündel über der Schulter diese betrat. Das Bündel hatte die durchschnittliche Größe eines genesianischen Mannes, was Shashana sehr in Erstaunen versetzte. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was ihre Leibwächterin ihr zeigen wollen könnte.

Sie stand auf und ging Meduse entgegen. Dann fragte sie: „Was trägst du da bei dir, Meduse?“ „Ich wünschte, ich müsste Euch das nicht zeigen, Oberste Prätora.“, sagte die Kriegerin und schlug traurig die Augen nieder. „Warum?“, fragte Shashana. „Wer ist er? Außerdem bin ich nicht so verweichlicht, dass du mir alles Böse vorenthalten musst! Ich bin ja nicht umsonst die oberste aller Kriegerinnen! Also, Meduse, setzt das Bündel ab und entrolle es! Ich werde schon aushalten, was darin zu sehen ist!“ „Also gut, Oberste Prätora.“, sagte die Wächterin und führte den ersten Teil von Shashanas Befehl aus. Sie zögerte jedoch kurz, nachdem sie das Bündel abgelegt hatte. „Was lässt dich jetzt noch zögern, Meduse?“, fragte Shashana. „Ich wünschte wirklich, ich könnte Euch diesen Anblick ersparen.“, sagte Meduse. „Wenn du mir nicht zeigst, um welchen Anblick es geht, dann kann ich auch nicht entscheiden, ob er für mich so grausam ist, wie du es offensichtlich selbst empfindest. Offenbar hast du deiner Prätora da etwas voraus. Du solltest mir aber die Gelegenheit geben, zu dir aufzuschließen, nicht wahr? Und jetzt lass es mich endlich sehen!“ „Also gut.“, sagte Meduse und begann damit, den Strick, der das Tuch, mit dem das Bündel verhüllt war, langsam zu öffnen. „Wie Ihr befehlt, Prätora.“

Sie schlug das Tuch zurück und Shashana blickte auf einen unförmigen Klumpen Fleisch. Dieser Anblick ließ selbst eine gestandene Kriegerin wie sie erschauern und einige Schritte rückwärts tun. „Bei der Wächterin von Gore!“, rief sie aus. „Meduse, was ist das?!“ „Ihr solltet eher fragen: Wer war das, Shashana.“, sagte Meduse. „Also gut.“, sagte die Oberste Prätora. „Wer war das?!“

Die Leibwächterin räusperte sich. Dann dachte sie nach, als würde sie angestrengt nach den richtigen Worten suchen. „Das kann doch nicht so schwer sein, Meduse.“, versuchte die immer noch unwissende Shashana, sie zu ermutigen. „Du weißt doch, wer das war, also kannst du es mir auch sagen! Andeutungen hast du ja wohl schon genug gemacht. Also raus damit!“ „Es tut mir leid.“, sagte Meduse. „Ich kann es nicht …“ „Es tut dir leid?! Es tut dir leid?!“, fuhr Shashana sie an. „Du weißt doch, dass es bei uns, genau wie bei den Klingonen auch, total unüblich ist, sich zu entschuldigen und schon gar nicht auf diese schwächliche Weise. Aber ich werde schon selbst herausfinden, wer das war! Ich hoffe, dass dir dein offensichtlich schwächliches Gemüt noch erlaubt, mir einen Erfasser zu reichen!“

Mit leicht zitternden Händen griff Meduse in ihre Uniformtasche und reichte Shashana das gewünschte Gerät. Diese beugte sich sofort über den Fleischklumpen, der noch immer vor ihr lag und stetig kleiner und unansehnlicher wurde. Dann scannte sie diesen. Das Ergebnis des Scans ließ aber selbst sie erschauern. „Nein!“, rief sie in den Raum, als würde man ihr bei lebendigem Leib das Herz herausreißen. „Das bisschen intakte DNS, das von dem Gerät noch erkannt wurde, weist darauf hin, dass dieser Leichnam einmal mein Favorit war! Wer hat ihn gefunden, Meduse, und wie ist das passiert?!“ Sie wies noch einmal mit viel Wut im Gesicht auf die Überreste des Genesianers. „Ich fand ihn, Prätora!“, sagte Meduse jetzt sehr fest. „Ihr hattet mich in Euren Männerharem geschickt, damit ich Larena, der dortigen Wächterin, die Nachricht von Euch überbringe, dass sie ihn darauf vorbereiten soll, dass Ihr gedenkt, die Nacht mit ihm zu verbringen. Larena und ich haben lange nach ihm gesucht, bis wir ihn in einem der Flure Eures Hauses so fanden. In meinem Erfasser befindet sich ein zweiter Scann. Den habe ich gemacht, als wir ihn gefunden haben. Offenbar hat er sich eine Art Virus eingefangen, das seine Zellen von innen heraus nach außen hin angreift und ihn buchstäblich von innen auffrisst. Dem Scann nach hat er aber nicht lange gelitten, Prätora, da das Virus glücklicherweise zuerst im zentralen Nervensystem mit dem Fressen begonnen hat. Zumindest gehen wir davon aus, weil dort die meisten Viruszellen vorhanden waren.“ „Frist das Virus etwa weiter, obwohl er tot ist?“, fragte Shashana, die den ständigen Veränderungen jetzt buchstäblich zusehen konnte. „Anscheinend ja.“, sagte Meduse. „Und ich denke, es wird so lange weiterfressen, bis der Körper vollständig vertilgt ist. Dabei vermehrt es sich auch rasend schnell.“ „Wo kann er sich das eingefangen haben?“, fragte Shashana. „Das wissen wir noch nicht.“, sagte Meduse.

Sie nahm den Erfasser und scannte die Umgebung. Dann sagte sie: „Prätora, es ist in der Atmosphäre selbst. Es kann jeden treffen und das meine ich wörtlich. Offenbar greift es nur Zellen an, die das Y-Chromosom enthalten. Aber wir können Überträgerinnen sein. Uns wird es nichts tun, aber jedem Mann, den wir auch nur flüchtig berühren, wird es …“

Shashana warf den Erfasser von sich und starrte wütend in den Raum. Dann schrie sie: „Wem haben wir das zu verdanken, Meduse?! Wem?! Steckt etwa Leandra dahinter?! Ich würde ihr so etwas schon zutrauen! Ich denke, sie würde es schon allein deshalb tun, um meine positive Politik gegenüber den Männern zu unterwandern!“ „Mit Verlaub, Prätora.“, sagte Meduse und senkte beschwichtigend den Kopf. „Es wird bald keine Männer mehr geben, wenn das Virus so weitermacht. Wir müssen seinen Ursprung finden und es eliminieren!“ „Was denkst du, das mein Ziel ist, Meduse?!“, fragte Shashana immer noch sehr wütend. Ihre Reaktion musste für eine genesianische Kriegerin schon sehr merkwürdig anmuten. Schließlich ging es hier ja eigentlich nur um Männer. Aber Shashana war weitsichtig und konnte sich die Konsequenzen durchaus ausrechnen. Sie wusste auch, dass Leandra durchaus ein Motiv hatte, so etwas zu tun. Aber hatte sie das notwendige Wissen und die Ausrüstung dafür? Da sie eine Außenseiterin war, hatte ihr die genesianische Gesellschaft ja auf ihrer Welt kein Luxusleben ermöglicht, aber wer wusste schon, was sie im Laufe der Zeit für Kontakte geknüpft hatte?

Shashana hatte sich wieder auf ihren Platz begeben und versucht, einen klaren Entschluss zu fassen, was aber fast so gut wie unmöglich war, da sie doch für ihren Favoriten Gefühle gehegt hatte und die Trauer um ihn sie jetzt schier zu ersticken drohte. Schließlich aber war es Meduse, die ihr den richtigen Rat gab: „Prätora, wir sind ein Volk von Kriegerinnen! Das bedeutet, wir sind den Kampf gewohnt. Zumindest den gegen Feinde in Raumschiffen oder den Nahkampf. Aber die Art von Kampf, die wir jetzt kämpfen müssen, haben wir noch nie gekämpft. Es wäre der Kampf mit Mikroskop und Chemikalien. Darin sind wir Anfängerinnen. Ich kenne aber eine Organisation, die sich mit dieser Art von Kampf bestens auskennt, weil sie Forscher sind und das Labor als Schlachtfeld durchaus kennen.“ „Du sprichst von der Föderation.“, sagte Shashana. „Sie haben sich die Forschung auf die Fahnen geschrieben.“ „Genau von denen spreche ich.“, bestätigte Meduse. „Nugura wird erkennen, dass wir alle in Not sind, denn das Virus ist wohl kein rein genesianisches Problem. Euer Favorit beispielsweise war ja auch kein reiner Genesianer. Er hatte teilweise demetanische DNS. Das bedeutet, dass es jede Zelle angreift, die das Y-Chromosom enthält. Nugura wird also hoffentlich erkennen, dass dies ein allgemeines Problem, eine allgemeine Notlage ist, in der alle Feindschaft aufhören muss und in der wir lernen müssen, zusammenzuarbeiten. Wenn sie ehrenhaft ist, wovon ich ausgehe, dann wird sie uns helfen. Es müssen nur wir sein, die über unseren Schatten springen und ihr die Bitte um Hilfe vortragen.“

Shashana lehnte sich zurück und begann zu überlegen. Es lag eine Menge Wahrheit in Meduses Worten und man hasste die Föderation ja auch nicht bis aufs Blut. Wenn es mal Krieg gab, dann war das eher ein Kräftemessen unter ehrenhaften Bedingungen, weil die Genesianer die Föderation ebenfalls als ehrenhaften Gegner sahen, auch wenn dort Männer in der Sternenflotte dienen durften. Da Shashana aber ja erst kürzlich den Mann rein rechtlich in die Position eines Kindes erhoben hatte, hatte sich das Verhältnis ja eh etwas gelockert.

Sie drehte sich einer Konsole zu, die auf ihrem Tisch stand. Dann sagte sie: „Lass mich allein, Meduse! Ich will meine Worte gut wählen, wenn ich Nugura eine Mail schreibe!“ „Wie Ihr wünscht, Prätora.“, sagte die Leibwächterin und verließ befehlsgemäß die Halle.

Lostris hatte sich ein Shuttle genommen und war damit unter den Sensoren hindurch zur Heimatwelt der Genesianer geflogen. Sie war sehr nervös gewesen, als sie das tat, denn sie musste ja immer befürchten, dass man sie aufspüren und dann gefangen nehmen könnte. Schließlich war ihr Clan eine Gruppe Außenseiter, die sich in den Augen der restlichen Gesellschaft nicht gerade ehrenvoll verhalten hatten. Aufzuzählen, wessen sich Leandra und ihr Clan vor langer Zeit schuldig gemacht hatten, würde jedoch zu weit führen. Aber auch jetzt war es um ihre Ehre nicht besser gestellt. Hatten sie doch versucht, die Genesianer an eine Göttin zu verkaufen, die der Meinung der Obersten Prätora und auch der Meinung aller anderen Kriegerinnen, die auch nur einen Funken Verstand im Leib hatten, gar keine war. Zumindest würde sich jede halbwegs ehrenhafte Kriegerin lieber selbst die Zunge abschneiden, als einmal ein Gebet an Sytania und ihre neue Freundin zu richten! Nur Leandra und ihre Anhängerinnen schienen das einfach nicht zu verstehen.

Die junge Erbprätora hatte sich jetzt vom Computer ihres Shuttles auf die Oberfläche des Planeten beamen lassen. Direkt vor dem Portal der großen Halle hatte der Rechner sie abgesetzt. Hier war sie allerdings gleich Meduse in die Arme gelaufen, die gerade in Gegenrichtung unterwegs war. Sofort erkannte die Leibwächterin, welchem Clan Lostris angehörte, denn ihr Zeichen, den Perlenkragen, trug sie leider immer noch um den Nacken gelegt. Dabei hatte sie nicht etwa vergessen, ihn abzulegen. Nein, sie war mit voller Absicht in voller Montur zu Shashana gegangen. Damit wollte sie der Obersten Prätora signalisieren, dass nicht mehr alle Rotash verblendet waren und dass sie durchaus bereit war, sogar einen Krieg innerhalb ihres Clans gegen ihre eigene Mutter zu führen, wenn es sein musste. Lostris war sich außerdem sehr sicher, keine Schuld zu tragen. Weshalb also sollte sie sich wie eine Diebin in der Nacht verhalten und ihre Identität verheimlichen? Sie wollte außerdem auch zeigen, wie mutig und wie ehrenhaft sie handeln konnte und dazu gehörte ihrer Meinung nach auch, dass sie mit offenem Visier kämpfte.

Meduse allerdings stellte sich ihr mit gezogenem Phaser in den Weg. „Keinen Schritt weiter, Ehrlose!“, rief sie und zielte direkt auf das Herz der jungen Kriegerin. „Meduse!“, sagte Lostris. „Du bist die oberste Leibwächterin der Obersten Prätora. Bitte töte mich nicht. Ich habe wertvolle Informationen und das Ziel, zu euch überzulaufen. Deshalb bin ich hier! Bitte lass mich näher kommen und steck deine Waffe ein. Dann können wir über alles reden. Warum zielst du überhaupt auf mich? Ich bin doch auch unbewaffnet. Verbietet dir dein Ehrgefühl nicht eigentlich, auf eine Unbewaffnete zu schießen?“ „Du bist eine Ehrlose!“, schrie Meduse und spuckte vor Lostris aus. „Deshalb dürfte ich auch gegenüber dir ehrlos handeln. Du und deine Clanschwestern, ihr habt das Leben als ehrenhafte Kriegerinnen in unserer Mitte längst verwirkt!“ „Aber kann ich denn gar nichts tun, um das zu ändern?“, fragte Lostris verzweifelt. Sie hatte so gehofft, dass sie zu Shashana gelangen könnte, um ihr die Informationen zu geben, die sie über den neuen Glauben ihrer Mutter gesammelt hatte. Aber jetzt musste sie diese Hoffnung wohl begraben.

Shashana selbst war des Tumults vor der großen Halle ansichtig geworden. Sie hatte noch keine Worte finden können, um Nugura ihre Lage eindeutig genug darzustellen. Deshalb hatte sie kurz aus dem Fenster geschaut. So hatte sie auch bald Lostris und Meduse dort stehen sehen.

Mit einem strengen Ausdruck im Gesicht schritt Shashana auf ihre Leibwächterin zu und fragte: „Was geht hier vor, Meduse?!“ „Diese Ehrlose vom Clan der Rotash behauptet, Informationen für uns zu haben!“, antwortete Meduse. „Sie sagt, sie wolle zu uns überlaufen. Aber das kann ich nicht wirklich glauben, Oberste Prätora. Die Rotash sind dafür bekannt, dass sie betrogen und gelogen haben, wo es nur ging und jetzt verehren sie auch noch Sytania und wen auch immer gemeinsam als Wächterin von Gore!“

In Lostris war die Wut aufgestiegen. Sie wollte jetzt endgültig mit den Vorurteilen gegen sich aufräumen. Sie stellte sich aufrecht vor Meduse und Shashana hin und sagte fest: „Meine Mutter mag all das tun, wessen Ihr auch mich beschuldigt, Oberste Prätora! Aber ich habe dem abgeschworen! Ich habe sogar versucht, meine Mutter wieder auf den rechten Weg zu bringen. Das ist mir zwar leider nicht gelungen, aber ich weiß jetzt, dass ich mich anders entscheiden muss, wenn ich nicht zusehen will, wie aus dem stolzen Volk der Genesianer irgendwann ein Volk der Marionetten der Ehrlosen werden wird! Sytania mag viele in ihren Bann gezogen haben! Aber meine Seele bekommt sie nicht mehr zurück!“ „Selbstbewusste Worte, die du da wählst.“, sagte Meduse. „Aber kannst du das auch irgendwie beweisen? Kannst du beweisen, dass deine Absichten ehrlich sind? Falls du das nicht kannst, werde ich dich töten, denn es ist sehr wahrscheinlich, dass du uns auch im Namen deiner Mutter ausspionieren willst!“ „Bitte schaut mein Gewand an, Oberste Prätora.“, bat Lostris jetzt mit sehr verhaltener Stimme. Sie wusste in welcher Lage sie war und es war ihr durchaus bewusst, dass es für sie viel besser war, jetzt ganz kleine Brötchen zu backen, als großartig auftrumpfen zu wollen. „Ich habe meine Mutter mit einem traditionellen Wurfspeer verletzt. An meiner Kleidung dürfte viel von ihrem Blut zu sehen sein.“

„Tritt zur Seite, Meduse!“, befahl Shashana in die Richtung ihrer Leibwächterin, nachdem sie sich Lostris’ Worte durch den Kopf gehen lassen hatte. „Und gib mir deinen Erfasser!“ Meduse nickte und führte beide befehle ihrer Prätora aus. Dann näherte sich Shashana Lostris langsam mit dem Erfasser in der rechten Hand.

Nach einem ausgiebigen Scann ließ sie das Gerät sinken, gab es Meduse zurück und sagte: „Die paar Blutspritzer sind nur ein Indiz aber kein wirklicher Beweis. Wie ich deine Mutter einschätze, kann sie dir die Spritzer auch selbst aufgetragen haben, damit deine Geschichte echt wirkt. Das Ganze könnt ihr abgesprochen haben. Ich weiß, dass Leandra von den Rotash mit allen Wassern gewaschen ist. Ich kann das Risiko nicht eingehen, eine Spionin für den Feind in meinen Reihen zu beherbergen. Meduse, walte deines Amtes und töte sie!“

Die Leibwächterin nickte und Shashana trat einige Schritte zur Seite, um ihr wieder Raum zu geben. Dann zielte sie erneut mit ihrer Waffe auf Lostris‘ Herz. Dieses Mal aber fiel das Licht so günstig, dass Lostris das Bündel, das sie auf ihrer Schulter hatte, gut sehen konnte. „Da ich die Geheimnisse sowieso mit ins Grab nehmen werde.“, sagte sie. „Könnt Ihr mir doch auch verraten, was Eure Leibwächterin da bei sich trägt, Oberste Prätora.“, sagte sie. „Na gut.“, sagte Shashana. „Es ist der Leichnam meines Favoriten. Er fiel einem merkwürdigen Virus zum Opfer, das alle Männer vernichtet.“ „Bitte denkt nach.“, bat Lostris. „Das könnte doch auch das Werk der angeblichen Göttin sein. Damit würde sie uns doch abhängig von sich machen. Wenn es keine Männer mehr gebe, dann könnten wir uns doch auch nicht mehr auf natürlichem Wege fortpflanzen. Das ist doch das, was sie erreichen will. Meiner Mutter gefällt das sicher. Aber …“ „Wenn das Sytanias Werk gewesen wäre.“, sagte Shashana. „Dann hätte doch Meduses Erfasser ihre telepathischen Werte gesehen. Das hat er aber nicht.“ „Sie wird nicht so dumm sein und es selbst machen.“, sagte Lostris zur eigenen Verteidigung. „Sie könnte ihre Vendar geschickt haben, die es vielleicht sogar mit getarnten Schiffen in die Atmosphäre gebracht haben und es vorher vielleicht sogar in ihren Laboratorien hergestellt haben. Selbst ich konnte die Sensoren austricksen. Aber auch Tarnfelder hinterlassen Energie. Man muss nur wissen, wonach man suchen muss. Ich habe ein Shuttle. Wenn wir uns beeilen, dann könnten wir noch ein paar der Restsignaturen erhaschen. Aber wir müssen uns wie gesagt beeilen, bevor sie restlos zerfallen sind.“

Meduse sah ihre Prätora fragend an. „Was sie sagt, klingt irgendwie einleuchtend.“, erwiderte Shashana auf ihren Blick. „Ich bin als kluge und umsichtige Oberste Prätora bekannt und habe nicht vor, diesen Ruf zu verlieren. Also gut, Lostris. Du bekommst diese Chance von mir. Bete zur wahren Wächterin von Gore, sie möge dir erlauben, die Wahrheit zu finden. Meduse, du wirst sie begleiten. Sollte sich aber kein Beweis in der Atmosphäre finden lassen, dann beendest du auf der Stelle ihr Leben!“ „Verstanden, Oberste Prätora.“, sagte die Leibwächterin und stellte sich neben Lostris, die sofort ihr Sprechgerät zog, um dem Computer ihres Schiffes den Befehl zu übermitteln, beide an Bord zu holen.

Die Kriegerinnen fanden sich bald darauf im kärglich eingerichteten Inneren des Shuttles wieder. Hier gab es nur die weißen Wände und einige Konsolen. Lostris setzte sich wieder auf den Pilotensitz und bat Meduse dann, neben ihr Platz zu nehmen. Dann schaltete sie auch die zweite Konsole ein. Um nicht unnütze Signaturen zu produzieren, die sie hätten verraten können, hatte sie das Schiff dazu bringen wollen, so wenig Energie wie möglich zu produzieren und zu verbrauchen. Je weniger in den Systemen zirkulierte, umso besser.

Sie stellte die Scanner auf die Signaturen vendarischer Tarnfelder ein und schlug dann manuell eine enge Umlaufbahn um den Planeten ein. So hoffte sie, dass ihrem Schiff kein Zentimeter der Atmosphäre entgehen würde. So war sie auch viel flexibler, als wenn sie vorher einen festen Kurs eingegeben hätte. Sie hatte ja eigentlich keine Anhaltspunkte für ihre Suche.

Auf diese Art vergingen einige Stunden, in denen Meduse jetzt immer noch mit gezogener Waffe neben ihr saß. „Lange lasse ich mich nicht mehr hinhalten!“, sagte die Leibwächterin schließlich. „Es sieht für mich alles danach aus, als wolltest du uns mal wieder …“

Ein Signal von der Konsole und ein nervöses Blinklicht hatten Meduse plötzlich ihren Satz unterbrechen lassen. „Was bedeutet das?“, fragte sie an Lostris gewandt.

Die junge Kriegerin sah auf den Schirm. Dann sagte sie: „Es bedeutet, dass das Schiff tatsächlich Restsignaturen vendarischer Tarnfelder gefunden hat!“ Lostris war über diesen Umstand sehr erleichtert. Hatte doch dieses kleine Signal da gerade ihr Leben gerettet. „Also ist es wahr.“, sagte Meduse und steckte ihre Waffe ein. „Ruf die Oberste Prätora. Wir werden ihr Bericht erstatten.“ Lostris nickte und tat, was ihr Meduse gerade gesagt hatte.

Shashana selbst hatte den Ruf an ihrem großen Tisch in der Ratshalle entgegengenommen. Sie hatte sich wieder dorthin zurückgezogen, um mit der Mail an Nugura endlich voranzukommen. Dass sie dieses Vorhaben jetzt erneut unterbrechen musste, gefiel ihr gar nicht. Sie war auch sehr überrascht, sofort das Gesicht ihrer Leibwächterin im Display der Konsole zu sehen.

„Warum sprichst du mit mir, Meduse.“, fragte sie, nachdem sie das Gespräch entgegengenommen hatte. „Ist diese schändliche Lügnerin tot?“ „Sie hat die Wahrheit gesprochen, Oberste Prätora.“, sagte Meduse. „Wir haben tatsächlich vendarische Restsignaturen entdeckt, die von ihren Tarnfeldern stammen könnten, wie es aussieht. Das bedeutet, dass ich ihr Leben verschont habe, wie Ihr es mir befohlen habt. Sie sitzt jetzt neben mir und erwartet Euer Urteil.“ „Das kann sie haben.“, sagte Shashana. „Sag ihr, dass sie eine Chance bekommt, sich zu beweisen. Du wirst sie in dein Corps aufnehmen und persönlich ausbilden. Dann hast du immer ein Auge auf sie. Außerdem werde ich sie selbst befragen zu den Informationen, die sie für uns hat.“ Damit beendete Shashana das Gespräch.

„Du hast sie gehört!“, sagte Meduse. „Bring das Schiff in unser Dock und dann begleite mich. Ab jetzt werde ich mich persönlich um dich kümmern!“ „Danke, Meduse.“, sagte Lostris erleichtert. „Weder die Oberste Prätora noch du werdet es bereuen!“ „Das hoffe ich für dich.“, sagte Meduse und warf Lostris einen strengen Blick zu. Dann gab sie ihr den Kurs zum nächsten Dock, wohin die sehr erleichterte junge Kriegerin ihr Schiff dann auch steuerte.

Kapitel 46: Planspiele auf höchster Ebene

von Visitor

 

Auch Sensora steuerte die Electronica gerade sicher durch die Nachtschwärze des Universums der Föderation der vereinten Planeten. Es war viel passiert. Time hatte es also für besser erachtet, das Ergebnis seiner Mission Nugura nicht am SITCH, sondern besser direkt mitzuteilen. Sensora hatte zwar auf seinen Befehl hin das Datenpaket schon einmal vorausgeschickt, aber es war ihm doch sicherer, ihr alles direkt mitzuteilen. So konnte er auch direkt mit ihr in Dialog treten, falls die Präsidentin noch Fragen hatte. Das wäre zwar auch am Sprechgerät möglich gewesen, aber Time setzte in solchen Momenten immer auf die direkte Gegenüberstellung. Gemeinsam mit Mr. Yetron würde er Nuguras Büro aufsuchen und dann würden der Demetaner und er ihr gemeinsam erklären, was sie auf ihrer Mission erlebt hatten, auch wenn das wohl sehr haarsträubend klingen musste für jemanden, der nicht direkt dabei war. Time war aber auch froh darüber, die tindaranischen Daten zu haben, die auch noch viel Ordnung in das Puzzle brachten. Viele Fragen, die vielleicht ohne sie aufgeworfen worden wären, konnten so sicher beantwortet werden. Deshalb hatte Sensora auf Times Befehl hin auch die tindaranischen Daten mit in das Paket gepackt, das sie der Präsidentin geschickt hatte.

Die Electronica schlug die Umlaufbahn um die Regierungsbasis ein. Hier, oder in ihrem Büro auf Elyrien, hielt sich die Präsidentin meistens auf, wenn sie nicht gerade zu einem Gipfeltreffen oder zu anderen Geschäftsterminen reiste. Tolea hatte man auf die 818 gebracht und Ketna hatte sie ihrer dortigen Kollegin übergeben. Time war nur noch mal mit seinem Schiff und nicht nur mit einem Shuttle zur Regierungsbasis geflogen, weil er meinte, die Electronica würde einen größeren Eindruck hinterlassen. „Wir haben die Umlaufbahn erreicht, Sir.“, meldete Sensora. „Sehr gut, Allrounder.“, sagte Time. „Halten Sie unsere Position und sagen Sie Cenda, dass sie Mr. Yetron und mich in Transporterraum Eins erwarten soll!“ „Aye, Sir.“, sagte die Androidin und führte Times Befehle aus.

Der Terraner selbst stand von seinem Sessel auf und winkte Yetron: „Kommen Sie, Agent!“ Dann wandte er sich noch einmal Sensora zu: „Allrounder, Sie haben die Brücke! Aktivieren Sie den Autopiloten! Ach, und sagen Sie Nugura, dass wir kommen!“ Dann verließen Time und sein Erster Offizier die Brücke.

In ihrem Büro auf der Regierungsbasis war Nugura gerade damit beschäftigt, gemeinsam mit ihrem Sekretär die für den Tag anstehenden Termine durchzugehen. Mr. Saron hatte seine Vorgesetzte auch über die neuesten Meldungen aus der Presse auf dem Laufenden gehalten. „Die Zeitungen sind voll von seltsamen Meldungen über Wetterphänomene, Madam.“, sagte Saron. „Viele beschäftigen sich mit dem plötzlichen Wintereinbruch auf Celsius und mit anderen dieser Dinge.“ „Weiß die Presse denn im Moment über wirklich nichts anderes zu berichten, als über das Wetter, Mr. Saron?“, fragte Nugura gelangweilt. „Anscheinend nicht, Madam Präsident.“, sagte der Sekretär und blätterte erneut in einer Zeitung auf seinem Pad. „Aber ich kann mir auch denken, warum es ihnen wert ist, um dieses Thema so einen großen Lärm zu machen. Wir haben auf jedem Planeten in der Föderation Wetterkontrollstationen, die normalerweise dafür sorgen sollen, dass es nicht so oft schlechtes Wetter gibt. Sicher benötigt die Natur auch diese Phasen, aber man hat sich auf naturverträgliche Einstellungen geeinigt, die beiden, also den Bewohnern und ihren Interessen genauso gerecht werden wie der Natur. Da ist es meiner Ansicht nach schon fast wundersam, wenn es außer der Reihe schlechtes Wetter gibt. Da kann man sich als Zeitung schon mal draufstürzen, um die Auflage zu steigern, zumal dann, wenn es ja sonst nicht viel zu berichten gibt. Die Zeiten sind der Presse wohl einfach zu friedlich, Sea Federana.“ Er grinste sie bei seinem letzten Satz fast keck an.

Normalerweise würde so etwas sicher nicht geduldet, wenn ein Sekretär sich so gegenüber seiner Arbeitgeberin verhielt, aber Saron hatte einige Freiheiten, weil er sonst ja nahezu der perfekte Sekretär war, dem eigentlich nie ein Lapsus unterlief. Da war so ein kleines Grinsen nun bei weitem nicht das Schlimmste.

„Oh ja.“, stieg Nugura auf sein Spiel ein. „Lassen Sie uns doch einen kleinen Krieg mit den Genesianern vom Zaun brechen, Mr. Saron, damit die Presse wieder was zum Schreiben hat. Das dürfte ihre Auflage enorm steigern und dann geht es so mancher darbenden Zeitung sicher gleich wieder besser. Es soll mir ja keiner vorwerfen können, dass ich eine Präsidentin sei, die das wirtschaftliche Wohl ihrer Bürger völlig aus den Augen verloren hat!“ Auch sie setzte einen ironischen Blick auf. „Ich finde es sehr gut, dass wir uns da verstehen, Madam President.“, sagte Saron und beide lachten.

Der Sekretär griff in die Brusttasche seines Anzugs. „Ist noch etwas, Saron?“, fragte Nugura. „Einen kleinen Moment bitte, Madam.“, sagte Saron und zog einen kleinen Gegenstand aus der Tasche hervor. Der Gegenstand maß etwa 10 cm in der Länge und zwei in Breite und Höhe, und war eckig und steckte in einer silbernen Hülle. Es handelte sich um einen Datenkristall, den Saron ihr gleich in die rechte Hand gab. „Was ist das?“, fragte Nugura. „Dieser Kristall enthält ein riesiges Paket an Daten, die von der Electronica gekommen sind.“, sagte Saron. „In Absprache mit Mr. Sendor von der IT hielt ich es für besser, es auf einen Kristall zu ziehen und es Ihnen so zu geben. Sendor glaubt, dass die internen Leitungen sonst zusammenbrechen könnten.“ „Ist das Paket denn so groß?“, fragte Nugura. „Das ist es nicht nur.“, sagte Saron. „Sendor und seine Kollegen empfehlen uns, so viele Sicherheitskopien wie möglich von wichtigen Dateien anzulegen. Erinnern Sie sich noch an letzte Woche?“ „Oh ja.“, sagte Nugura. „Alle Rechner sind plötzlich ohne Grund abgestürzt. Sendor und seine Leute haben das auf ein Feld aus Entladungen von der Sonne des Planeten zurückgeführt, in dessen Umlaufbahn sich diese Station befindet. Sie meinten, wenn das so weiter ginge, dann müsste man sogar über einen Standortwechsel nachdenken.“ „Dabei sind diese Koordinaten optimal.“, sagte Saron. „Diese Basis ist auf neutralem Boden, nämlich auf gar keinem und auch dieses Sonnensystem liegt sehr zentral. Es kann uns also niemand eine zu starke örtliche Nähe zu diesem oder jenem Volk vorwerfen.“ „Das stimmt wohl, Saron.“, sagte Nugura. „Aber wenn uns die Natur dazu zwingt, dann muss es wohl sein. Jedenfalls sollten wir zunächst einmal sehr genau nach der Ursache forschen, bevor wir Dinge tun, die wir später vielleicht bitter bereuen würden. Die Zeiten, in denen wir in die Umwelt eingriffen, ohne über die langfristigen Folgen nachzudenken, die sind heute wirklich vorbei und ich habe keine Lust, wieder in diese rückständigen Muster zurückzufallen, nur weil hier ein paar Computer abstürzen! Sie verstehen mich doch, Saron, nicht wahr?“ „Sehr genau, Sea Federana. Sehr genau.“, sagte der Sekretär und schlug die Augen fast unterwürfig nieder. „So habe ich das nun auch wieder nicht gemeint.“, sagte Nugura. „Sie scheinen heute wohl etwas empfindlich zu sein, Saron. Habe ich Recht?“ „Ach, es ist nichts Besonderes.“, sagte Saron. „Mir macht das Verhalten der Sonne und auch all die anderen Phänomene nur langsam große Sorgen. Ich denke, dass hier etwas Größeres im Busch sein könnte.“ „Sehr klug überlegt, Saron.“, lobte Nugura. „Und gerade deshalb benötigen wir Leute wie Time da draußen. Nur sie allein können uns sagen, was hier vorgeht und vielleicht sogar, warum es passiert. Deshalb denke ich, dass wir uns dieses Material schleunigst ansehen sollten!“

Sie schob den Datenkristall in das Laufwerk ihres Rechners. Dann las sie sich das Inhaltsverzeichnis durch. „Eine Menge Dateien, Mr. Saron.“, sagte sie. „Wir werden warten, bis Time …“

Etwas hatte sie innehalten lassen. Bei dem Etwas handelte es sich um das Signal des Sprechgerätes, das jeden Ruf von außen zuerst in Mr. Sarons Büro auflaufen ließ. Durch die offene Tür zwischen den Büros jedoch hatte Nugura auch das mitbekommen können. „Beantworten Sie den Ruf, Saron!“, beorderte sie ihren Sekretär. „Ich werde inzwischen versuchen, hieraus schon einmal schlau zu werden.“ „Wie Sie wünschen, Madam.“, sagte der Sekretär und drehte sich zur offenen Zwischentür, um dann ihr Büro wieder in Richtung seines eigenen zu verlassen.

Hier setzte sich Saron sofort wieder an den eigenen Schreibtisch und sah sich das Display des Sprechgerätes an. Hier konnte er das Rufzeichen der Electronica ablesen.

Er nahm das Mikrofon in die Hand und drückte den Sendeknopf, was dem Gerät den Befehl erteilte, das Gespräch anzunehmen. Dann sah er auf dem Schirm das Gesicht Sensoras, das er natürlich sofort erkannte. Er und die Androidin hatten sich bei vielen Gelegenheiten gesehen und so nahm das nicht Wunder.

„Hallo, Allrounder.“, begrüßte er Sensora freundlich. „Nett, dass wir mal wieder das Vergnügen miteinander haben.“ „Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Mr. Saron.“, sagte der Allrounder der Sternenflotte diplomatisch. „Bitte avisieren Sie Ihrer Vorgesetzten die Ankunft Mr. Yetrons und Commander Times. Die Beiden würden gern mit ihr die Daten besprechen, die sie während ihrer Mission gesammelt haben. Techniker Cenda wird sie in Kürze herunterbeamen.“ „Ich werde es ausrichten, Allrounder.“, sagte Saron förmlich und beendete das Gespräch. Dann aktivierte er die Sprechanlage, um Nugura Bescheid zu geben und nahm danach eine wartende Haltung ein. Er dachte sich, das Time und sein Erster Offizier sicher zuerst in seinem Büro materialisiert werden würden, da dies allein schon die Höflichkeit gebieten würde. Wenn kein absoluter Notfall vorlag, das wusste er, dann würde sogar Time sich an die Benimmregeln halten und nicht einfach in Nuguras Büro platzen, auch wenn er sonst für seine leicht rebellische Ader bekannt war, die ihn mit Captain Kirk gleichsetzte.

Time war Yetron vorangegangen, als die Beiden den Transporterraum betraten. Dabei hatte er nicht bemerkt, dass sein Erster Offizier hinter ihm zurückgeblieben war. Er hatte kurz bei Cenda, die hinter der Konsole saß, angehalten. Ganz unauffällig hatte er die ältere Celsianerin dann gefragt: „Wie ist Ihr heutiges Befinden, Techniker?“ „Oh mir geht es sehr gut, Sir.“, hatte Cenda geantwortet und ihn kurz gemustert. Dann hatte sie gesagt: „Sie haben da übrigens einen Fussel an Ihrer Uniform. Darf ich?“ Yetron hatte nur genickt und dann hatte sie mit einer dem Wischen sehr ähnlichen Handbewegung etwas in seine Brusttasche gleiten lassen und ihn angegrinst. Dass diese ganze Unterhaltung eigentlich nur dem Zweck gedient hatte, das eigentliche Geschehen zu verschleiern, war Time verborgen geblieben, obwohl er eigentlich genau wissen musste, wenn Yetron etwas im Schilde führte. Schließlich kannten sich beide schon viel zu lange. Aber der Terraner hatte wohl gerade ganz andere Sorgen, die es ihm nicht erlaubten, auf Yetrons und Cendas Komödie einzugehen.

Die Ingenieurin hatte gesehen, wie ihre beiden Vorgesetzten die Plattform betreten hatten. „Na, wo soll’s denn hingehen?“, flapste sie ihnen entgegen. Time und Yetron kannten das schon. Sie wussten, dass Celsianer nicht gerade für ihre förmliche Art bekannt waren. „In das Büro von Mr. Saron, Techniker!“, sagte Yetron fest und Time nickte bestätigend. „Wir wollen ja schließlich höflich sein und uns vorher anmelden, auch wenn die Sache meiner persönlichen Meinung nach eigentlich keinen Aufschub mehr duldet.“ „Also gut, Sie zwei beide.“, flapste Cenda und aktivierte den Transporter.

Die beiden Offiziere wurden genau hinter Sarons Schreibtisch im Rücken des Sekretärs materialisiert. Um sich bemerkbar zu machen, meldete sich Time zu Wort: „Hallo, Mr. Saron, Agent Yetron und ich würden gern zu Ihrer Vorgesetzten, wenn das möglich wäre.“

Der Sekretär, der zuvor über einigen Akten gebrütet hatte, drehte sich um und sah in die Gesichter der beiden ihm sehr gut bekannten Männer. Dann sagte er: „Einen kurzen Moment bitte, Gentlemen.“, und betätigte die Sprechanlage: „Madam Präsident, Commander Time und sein Erster Offizier wären dann da.“ „Schicken Sie die Beiden rein, Saron!“, gab die feste hohe Stimme der elyrischen Präsidentin der Föderation zurück. „Und bereiten Sie ein Tablett mit Kaffee, Gebäck und Tee vor! Ich denke, das könnte eine lange Sitzung werden. Verschieben Sie vorsichtshalber schon einmal all meine Termine für heute um einen halben Tag.“ „Wie Sie wünschen, Madam.“, sagte Saron und wandte sich wieder Time und Yetron zu: „Die Präsidentin erwartet Sie.“ „OK, Mr. Saron.“, sagte Time und winkte Yetron: „Kommen Sie, Agent!“, dann berührte er mit dem Finger den Sensor, der die Zwischentür zu Nuguras Büro öffnete und beide traten ein.

Nugura war von ihrem Schreibtisch aufgestanden, denn sie hatte die Beiden schon erwartet. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht wandte sie sich ihnen zu und sagte: „Herzlich willkommen auf der Regierungsbasis, Gentlemen. Ich hoffe, Sie haben gute Nachrichten, was die Erforschung des plötzlichen Auftretens des Kometen bei Kinas angeht.“ „Die haben wir, Madam President.“, sagte Time. „Das Unglück konnte abgewendet werden. Die Siedler sind wieder in Sicherheit.“

Er sah sie an und nahm eine abwartende Haltung ein. „Aber das ist doch mit Sicherheit noch nicht alles, was Sie dazu zu sagen haben, Commander Time.“, sagte Nugura. „Nein, das ist bei weitem noch nicht alles.“, bestätigte der ältere Terraner. „Aber für das, was ich Ihnen noch zu sagen habe, sollten wir uns setzen.“ „Vielleicht.“, hakte Yetron ein, „Sollten wir auch warten, bis die Atmosphäre hier etwas heimeliger geworden ist.“ „Sie machen mich wirklich neugierig, Agent.“, sagte Nugura. „Das müssen ja wahrhaft schlimme Nachrichten sein, die Sie da für mich haben.“ „Schlimm sind sie vielleicht nicht.“, sagte Yetron. „Aber die Situation könnte sich als etwas vertrackt und kompliziert herausstellen, denke ich. Jedenfalls wird sie sicher komplizierter sein, als sie auf den ersten Blick scheint.“ „Das dachte ich mir schon, als ich Ihr riesiges Datenpaket erhielt.“, sagte die Präsidentin. „Sie wissen, Commander Time, dass ich immer gewillt bin, Ihnen zuzuhören, auch wenn es auf den ersten Blick oft nicht so scheinen mag. Aber dann sind es oft parlamentarische Zwänge, die mich zwingen, mich so zu verhalten, als würde ich Ihnen nicht glauben.“ „Diesen Eindruck hatte ich schon lange, Madam President.“, sagte Yetron. „Da wir aber eine parlamentarische Demokratie und keine präsidiale haben, müssen Sie sehr oft der Mehrheit nachgeben und die zieht es sehr oft vor, sich lieber wartend zurückzulehnen als zu handeln. Oft und gern wird dann auch die Oberste Direktive zitiert, aber ich persönlich habe langsam den Eindruck gewonnen, dass sie heute viel zu oft als beliebte Ausrede benutzt wird, damit man kein Risiko eingehen muss und eine weiße Weste behält. Ihre Kollegen scheinen mir oft mehr um ihren guten Ruf bei der Wählerschaft und somit um ihre eigenen Stühle besorgt, als um die eigentliche Situation.“ Time knuffte ihn mit dem rechten Ellenbogen in die Seite: „Agent!“, was den Demetaner allerdings nicht im Geringsten beeindruckte. Viel zu gut und viel zu genau wusste er, dass er Recht hatte.

Nugura sah ihn mild an. Dann sagte sie: „Sie sprechen mir aus der Seele, Mr. Yetron. Aber unsere Feinde verstehen es manchmal wirklich gut, unsere Gesetze gegen uns zu benutzen.“ „Ja.“, bestätigte der Agent. „Insbesondere eine bestimmte Prinzessin ist darin sehr gut und hat es fast schon zur Perfektion gebracht.“ „Aber auch nur fast.“, sagte Nugura. „Weil es, den Göttern sei Dank, immer wieder einige Mutige gibt, die ihr auf die Schliche kommen und sich ihr dann heldenhaft in den Weg stellen, auch wenn sie dazu unkonventionelle Wege gehen müssen.“ „Sie reden von uns, nicht wahr?“, fragte Time. „Das tue ich.“, sagte Nugura und nickte noch einmal bestätigend. „Von Ihnen, Commander Cinia und Commander Kissara im Besonderen. Ach ja. Bevor ich es vergesse, nächste Woche findet eine Feierstunde statt. Wir feiern den 200. Tag des Ersten Kontakts mit Demeta. Natürlich sind die Besatzungen der ersten drei Flaggschiffe eingeladen. Die Feier wird auf Ihrem Planeten stattfinden, Mr. Yetron.“ „Das wissen wir doch schon längst.“, sagte Time. „Natürlich werden wir auch kommen. Warum erwähnen Sie das noch einmal, Nugura?“ „Ich denke, es war ein Wink mit dem Zaunpfahl, Sir.“, sagte Yetron. „Erklären Sie mir das mal.“, sagte der Amerikaner. „Aber nicht jetzt.“

Er hatte festgestellt, dass Saron mit dem Tablett ins Zimmer gekommen war. Der Sekretär stellte es auf dem großen runden Konferenztisch ab, der im hinteren Teil des Büros stand und ging. „Kommen Sie, Gentlemen.“, sagte Nugura und winkte den Beiden, ihr zu folgen. Time und Yetron taten dies bereitwillig und setzten sich mit ihr, Time rechts und Yetron links von ihr, an den Tisch auf je einen der dort stehenden recht massiv wirkenden Stühle aus repliziertem Eichenholz, die in ihrer braunen Färbung sehr gut zum im gleichen Ton gehaltenen Tisch passten.

Nugura begann damit, die weißen bauchigen Tassen, die auf ebenfalls weißen Untertellern standen, zu verteilen. Dann goss sie Time Kaffee aus der bauchigen weißen Glaskanne in seine Tasse. Yetron bekam Tee. Da sich Nugura schon des Öfteren mit den Beiden auseinandergesetzt hatte, wusste sie schon um ihre Vorlieben, was Getränke anging. Sie selbst nahm sich ebenfalls einen Tee. „Wir werden uns selbst helfen, was Zucker und Milch angeht.“, sagte Time, als Nugura die kleine Milchkanne mit einem fragenden Blick in die Hand nahm. „In Ordnung, Gentlemen.“, sagte Nugura und setzte sich ebenfalls.

Alle nahmen einen tiefen Schluck aus ihren Tassen. Dann wandte sich Nugura einem Mikrofon zu, das bequem in Höhe ihres Mundes angebracht war: „Computer, die auf meiner Arbeitskonsole aktive Datei auf den Hauptschirm legen!“ Dann gab es ein kurzes Signal und alle konnten auf einem Bildschirm, der sich in der Mitte des Tisches befand, die aktive Datei sehen. „Das ist meine Analyse der Situation.“, erkannte Yetron und seine Augen wanderten über den Bericht. „Sie haben sich den einen oder anderen Passus markiert.“ „Das ist wahr.“, erwiderte Nugura. „Das sind die Passi, über die ich mit Ihnen dringend sprechen möchte.“ „Nur zu.“, entgegnete der Agent und warf ihr einen auffordernden Blick zu. „Deshalb sind wir ja schließlich hier.“

Nugura wandte sich dem Schirm zu und deutete auf die erste markierte Stelle. Dann sagte sie: „Sie schreiben hier, dass sich Tolea das Leben nehmen wollte und dass sie sich deshalb in den Kometen verwandelt hat, Mr. Yetron. Dies wiederum hat laut Ihrer Interpretation der Daten des tindaranischen Soldaten, auf die Sie wohl Zugriff erlangen konnten, seine Ursache darin, dass sie einen schrecklichen Fehler gemacht hat und den Vendar Diran quasi gezwungen hat, zum Verräter Widerwillen zu werden. Ich denke, das ist etwas, das ich meinen Kollegen nur schwerlich begreiflich machen können werde. Aber selbst wenn es so ist, dann werden sie keinen Anlass für uns sehen, hier einzugreifen. Sie werden das immer noch als einen internen Konflikt im Raum-Zeit-Kontinuum sehen.“ „Ich gehe davon aus, dass Sie weitergelesen haben, Madam President.“, sagte Yetron. „Das habe ich auch.“, sagte Nugura. „Es gibt hier ja schließlich noch mehr markierte Stellen. Aber was soll das mit der Vision bedeuten?“ „Die Vision war es, die Tolea zu diesem übereilten und verzweifelten Verhalten getrieben hat.“, analysierte Yetron. „Weil sie davon so mitgenommen war, hat sie sich gegenüber Diran falsch ausgedrückt, als sie ihn unter den Bann, wir würden sagen unter einen posthypnotischen Befehl, stellte.“ „Visionen, posthypnotische Befehle, Quellenwesen!“, rief Nugura aus. „Das ist alles nicht konkret genug. Für meine Kollegen ist das viel zu abstrakt. Sie werden damit nichts anfangen können. Was erwarten Sie von mir, Time?! Ich werde sie hiermit wohl nicht überzeugen können, Ihnen die Genehmigung zum Eingriff zu erteilen. Außerdem wissen wir ja noch gar nicht, was wir tun können. Oh bei allen Göttern! Ich schicke Sie aus, um einen Kometen zu erforschen und Sie kommen mit so etwas zurück. Können Sie mir vielleicht mal sagen, wie ich jetzt vorgehen soll?!“ „Habe ich Sie richtig verstanden, Madam President?!“, fragte Time voller Empörung. „Sie wollen also erst dann etwas tun, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist?!“ „Wie sich die Situation jetzt darstellt.“, sagte Nugura. „Wird es wohl darauf hinauslaufen.“

Time nahm einen weiteren großen Schluck aus seiner Tasse. Dann sagte er: „Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.“, und sank bedient in sich zusammen. „Doch, Commander.“, sagte die Präsidentin. „Leider ist das mein voller Ernst. Wenn es Ihnen nicht gelingen sollte, das irgendwie zu beweisen, dann werden meine Kollegen Ihren Antrag oder auch den Kissaras oder Cinias in der Luft zerreißen! Sie wissen doch, wie das ist.“

Time warf ihr einen wütenden Blick zu, aber Yetron fasste nur ruhig in seine Uniformtasche und holte eine Schachtel hervor, die in etwa die Größe einer heute bei uns im 21. Jahrhundert gebräuchlichen Zigarettenschachtel hatte. Diese öffnete er und zog einen kleinen durchsichtigen Beutel heraus, der eine längliche Form hatte, im Wesentlichen aber die Länge eines durchschnittlichen menschlichen kleinen Fingers aufwies. Diesen legte er vor allen auf dem Tisch ab, um noch einmal mit geheimnisvollem Ausdruck im Gesicht in die Schachtel zu greifen und einen kleinen Stein herauszuholen. Den legte er neben dem Beutel ab.

Nugura sah sich genau an, was der demetanische Agent da hervorgezaubert hatte. Dann fragte sie: „Was hat das zu bedeuten, Mr. Yetron? Was ist in dem Beutel und was ist das für ein Stein? Wie wollen Sie damit Ihre Analyse beweisen?“ „Wenn Sie Telepathin wären, Madam President.“, erwiderte der Demetaner, der jetzt auf den durchsichtigen Beutel gezeigt hatte, dessen Inhalt rot schimmerte. „Dann müsste ich Ihnen raten, im Interesse Ihrer eigenen Gesundheit die Hände hiervon zu lassen. Der Beutel enthält pulverisiertes Rosannium. Techniker Cenda war so freundlich, es mit meiner Genehmigung für mich zu replizieren. Bei dem Stein handelt es sich um ein Stückchen des Kometen, das sie aus dem Weltraum per Transporter aufgesammelt hat, als Tolea noch ein Komet war. All das geschah ebenfalls auf meinen Befehl. Ich habe ihr eine kurze Mitteilung per SITCH-Mail geschickt, als alles losging. Ich dachte mir schon, dass es zu so einer Situation kommen würde. Aber wir haben noch nicht alles beisammen, damit ich Ihnen beweisen kann, dass es wirklich so war, wie wir es geschildert haben. Bitte rufen Sie Mr. Saron herein. Er soll eine kleine Schüssel mitbringen. Sie sollte in etwa die Maße dieser Zuckerdose dort haben.“

Time grinste seinen Ersten Offizier nur an. Er wusste genau, was er an Yetron hatte. Deshalb zischte er ihm auch nur zu: „Hervorragend, Agent! Nur weiter so. Ich hätte wissen müssen, dass Sie noch einen Trumpf im Ärmel haben. Erinnern Sie mich bloß, dass ich niemals auf die Idee komme, gegen Sie Karten zu spielen.“

Nugura hatte ihrem Sekretär den Auftrag zur Replikation des von Yetron gewünschten Schälchens gegeben und hatte ihm auch gesagt, dass er herkommen sollte. Das hatte Saron dann auch getan und stand nun mit dem Schälchen in der Hand vor ihnen. „Geben Sie mir das, Saron.“, sagte Yetron und deutete auf die Schüssel in Sarons rechter Hand. Der Sekretär nickte und gab seinem Landsmann die Schüssel in die ausgestreckte linke Hand. Yetron stellte sie vor sich ab und legte den Stein, der etwa die Größe eines 2-Euro-Stücks aus dem 21. Jahrhundert hatte, hinein. Dann forderte er Mr. Saron in Englisch auf: „Begleiten Sie mich jetzt bitte in Ihr Büro, Mr. Saron. Wir werden dort mit Hilfe meiner Sicherheitsgenehmigung einen Erfasser replizieren. Genauer werde ich das tun und Sie werden mir über die Schulter sehen, damit mir später niemand den Vorwurf der Manipulation machen kann.“ „Haben Sie denn Ihren Erfasser nicht dabei, Agent Yetron?“, fragte Nugura. „Doch.“, sagte der Demetaner. „Aber genau das könnte zum Problem werden. Ihre Kollegen könnten uns vorwerfen, dass wir den Erfasser schon im Vorhinein so programmiert haben, dass er uns genau das sagt, was wir hören, beziehungsweise lesen, wollen. Bei einem brandneuen Gerät, das nur mit den Daten aus der Datenbank der Sternenflotte ausgestattet ist, die jedes von ihnen als Grundkontingent mitbekommt, könnte das nicht passieren.“ „Wie sollte denn eine solche Manipulation aussehen?“, fragte Nugura. „Ich möchte es nur wissen, damit ich es besser verstehe.“ „Laut Techniker Cenda wäre das zum Beispiel durch die geschickte Vergabe von Dateinamen bei der Speicherung von Werten möglich. Wenn der Erfasser beispielsweise meine Werte sieht und fragt, unter was sie abgespeichert werden sollen, kann ich Sytania eingeben und schon hält er mich demnächst für unsere Feindin. Natürlich ist das sehr vereinfacht ausgedrückt und heute auch so nicht mehr ohne weiteres möglich, da er ja schon erkennen würde, dass meine Biozeichen in ihrer Grundstruktur demetanisch sind. Aber jede Programmierung kann man aushebeln, wenn man über die richtigen Kenntnisse verfügt, oder Kontakte zu Personen unterhält, die über sie verfügen. Wenn mir Ihr Sekretär beim Replizieren des Erfassers über die Schulter schauen würde, dann hätte ich keine Möglichkeit, etwa ungesehen unseren netten Techniker zu kontaktieren und mir von ihr bei der Manipulation der Programmierung des Replikators helfen zu lassen. Jedenfalls gehe ich davon aus, dass Mr. Saron, wahrheitsliebend, wie er nun einmal ist, sicher jede Manipulation sofort melden und darüber aussagen würde, wenn er sie sähe.“ Saron hatte nur jeden Satz aus Yetrons Vortrag eifrig durch Kopfnicken bestätigt. „Ich sehe, die Situation ist bei Ihnen in guten Händen, Agent.“, sagte Nugura erleichtert. Yetron nickte selbstbewusst. Dann stand er auf, um das Büro der Präsidentin gemeinsam mit Saron zu verlassen und durch die Zwischentür in das ihres Sekretärs zu gehen. Saron befahl dem Computer noch, die Tür im halboffenen Zustand zu blockieren.

Time und Nugura standen jetzt ebenfalls auf und begaben sich zu dem Türspalt, hinter dem sich jetzt das abspielte, von dem Yetron gesprochen hatte. „Was haben Sie doch für einen umsichtigen Ersten Offizier, Commander.“, sagte Nugura zu Time. „Mr. Yetron kennt die Situation im Parlament sehr gut und weiß sie für sich zu nutzen. Er gehört mit Sicherheit nicht zu den Wählern, die ihre Stimme auf dem Pad für die Wahl nur aufgrund des guten Aussehens eines Politikers oder einer Politikerin abgeben würden, Sie verstehen?“ „Allerdings.“, gab Time zu. „Manchmal wüsste ich ohne ihn nicht, wo ich wäre und wie ich weitermachen sollte. Mr. Yetron weiß das und es scheint ihm manchmal richtig Spaß zu machen, uns aus so mancher unglücklichen Situation herauszudenken, habe ich den Eindruck.“ „Ihr Eindruck täuscht sicher nicht, Commander.“, sagte die Präsidentin, die schon sehr neugierig auf das war, was wohl als Nächstes kommen würde. „Ich denke, eine ähnliche Cleverness konnte man auch Mr. Spock zubilligen, aber der hat …“ „Der hat sich sicher nie so diebisch gefreut, wenn einer seiner Pläne geklappt hätte.“, unterbrach Time sie, entschuldigte sich aber sofort wieder: „Tut mir leid, Madam President. Ich wollte Ihnen nicht ins Wort fallen.“ „Schwamm drüber, Commander.“, sagte Nugura mild und lächelte.

Saron und Yetron waren zurückgekehrt und der Agent hatte tatsächlich einen brandneuen Erfasser in der Hand. Den legte er zunächst auf dem Tisch ab und widmete sich dann dem kleinen Beutel, dessen oberes Ende er an der Perforation abriss und dessen Inhalt er dann sorgfältig über den Stein in der Schale streute. „In Ordnung.“, sagte Nugura, die sich noch nicht wirklich einen Reim auf das machen konnte, was jetzt passierte. „Wir haben hier einen Stein, der mit pulverisiertem Rosannium bestreut ist. Aber ich gehe wohl zu Recht davon aus, dass keiner von uns das jetzt als Gebäckersatz wahrnehmen soll, Gentlemen, nicht wahr?“ Time und Yetron mussten grinsen. „Sie haben einen sehr charmanten Humor, Madam President.“, stellte der Demetaner fest. „Danke, Agent.“, sagte Nugura. „Das Kompliment gebe ich gern zurück. Ich durfte ja bei diversen Gelegenheiten auch schon Zeugin des Ihren werden und … Oh bei allen Göttern!“

Sie hatte gesehen, dass sich in der Schüssel etwas getan hatte. Die Struktur des Steins hatte begonnen, sich irgendwie merkwürdig aufzulösen, als seien all seine Moleküle in Umgruppierung begriffen. Dies hatte einen Grad erreicht, bei dem es schon mit dem bloßen Auge zu erkennen war.

Time schnappte sich geistesgegenwärtig den nagelneuen Erfasser und scannte die Szene damit. „So kriegen wir wenigstens noch einen Teil der Verwandlung drauf.“, sagte er. „Klasse reagiert, Commander!“, lobte Nugura.

Die Verwandlung des Steins war beendet. Nugura sah sich jetzt den Inhalt der Schüssel genau an. „Das sieht aus, als wäre es ein Stück Kopfhaut mit Haaren dran.“, sagte sie etwas angewidert. „Der Farbe nach könnte es sich tatsächlich um Toleas Haar handeln.“ „Lassen Sie uns sichergehen, Nugura.“, sagte Time und scannte die Probe. Der Erfasser spuckte tatsächlich Toleas Namen aus. „Das habe ich mir gedacht.“, sagte Nugura. „Ich hatte ja bei diversen politischen Treffen die Gelegenheit, Tolea von Nahem zu betrachten. Aber als Beweis gilt so eine einfache Erinnerung ja nicht. Zumal dann nicht, wenn die Zeugin, die über sie ausgesagt hat, schon in dem Ruf steht, dem einen oder anderen gern nach dem Mund zu reden. Meine Kollegen wissen, dass ich sehr viel von Ihnen halte und meistens auf Ihrer Seite bin, Time. Das könnte sie dazu verleiten, eine Schummelei zu vermuten.“ „Das stimmt wohl.“, sagte Time.

Yetron hatte an seiner Tasche herumgenestelt, eine Tatsache, die Time nicht entgangen war. Dann hatte der Demetaner gewinnend gegrinst. „Was haben Sie uns denn jetzt schon wieder für ein Ei ins Nest gelegt, Agent?“, fragte er. „Ich muss Sie darüber informieren, dass sämtliche Aktionen, die wir zur Beweisführung in diesem Fall gestartet haben, durch mein Sprechgerät aufgezeichnet und an Ihr Rufzeichen gesendet wurden, Madam President. So haben Sie jede Möglichkeit, es dem Rest des Parlaments zu zeigen, falls es bei der Abstimmung zu Fragen kommen sollte. Ich durfte Sie alle vor Ende der Aufzeichnung nicht darüber informieren, damit Ihre Reaktionen authentisch bleiben. Einige von Ihnen hätten sich sonst vielleicht genötigt gefühlt, eine besondere schauspielerische Leistung zu erbringen und das hätte man sicher bemerken können und schon wäre wieder der Verdacht der Manipulation im Raum gewesen.“ „Anscheinend haben Sie mal wieder an alles gedacht, Agent.“, sagte Nugura. Dann wandte sie sich Saron zu: „Gehen Sie an Ihren Arbeitsplatz und überprüfen Sie den Eingang der Mail. Bereiten Sie mir die Anlagen so auf einem Pad vor, dass ich sie zur nächsten Sitzung des Parlaments mitnehmen kann! Wie es aussieht, dürfte große Eile geboten sein, wenn wir das Schlimmste noch verhindern wollen. Sie haben zwar nur bewiesen, dass der Komet tatsächlich Tolea war, aber wenn das schon wahr ist, dann muss auch der Rest wahr sein. Nur so zum Spaß würde sich eine Mächtige wie Tolea ja sicher nicht in einen Kometen verwandeln und versuchen, die Situation so zu manipulieren, dass sie umgebracht wird.“ „Bestimmt nicht, Nugura.“, sagte Time.

Sie sah noch einmal auf den Schirm und las sich die Weissagung halblaut durch: „Die Hydra der Eifersucht wird erwachen. Entfesseln wird sie des Krieges Drachen. Sodann werden alle Lande beben. Es wird viel Leid und Kummer geben. Doch Recken, die Kommen auf vielen Wegen, werfen sich tapfer dem Bösen entgegen. Wen das Schicksal sich wünschen will in diesem Stand, den wird es erwählen durch Kindeshand.“ Dann sagte sie: „Ich finde diese Weissagung interessant. Vor allem ihre Struktur in Gedichtform lässt zu, dass man sie sich leicht merken kann. Wenn das alles so stimmt, dann interessiert mich nur noch, welches Kind diejenigen aussuchen soll, die sich einmischen dürfen, um die Dimensionen zu retten. Ist Ihnen in letzter Zeit etwa ein Kind begegnet, das mit dem Finger auf Sie gezeigt hat, Commander Time und das zu Ihnen gesagt hat: Du bist es!“ „Ich denke so plump wird die Auswahl nicht vonstattengehen, Präsidentin.“, sagte Yetron. „Meinen Informationen nach kennen die Quellenwesen da weitaus verschlungenere Wege.“ „Aber nach genauso etwas werden meine Kollegen fragen, Time.“, sagte Nugura und sah den Angesprochenen und seinen Ersten Offizier hilflos an. „Genau nach so etwas werden sie, wenn sie es überhaupt glauben, fragen.“ „Im Augenblick.“, entgegnete Time. „Haben wir da sicher auch keine Möglichkeit, Ihnen zu helfen. Aber ich vertraue da ganz auf unser Glück. Irgendwie hat es immer eine Lösung gegeben und die wird es auch jetzt geben. Dessen bin ich sicher, Madam President!“ „Dann sollte diese Lösung aber bis nächsten Mittwoch auf dem Tisch liegen.“, sagte Nugura. „Dann ist nämlich die nächste Sitzung und dort werde ich dann Ihre Beobachtungen mit dem Parlament erläutern und über unser weiteres Vorgehen mit ihnen sprechen.“ „Ich denke, das wird schon klappen, Nugura!“, sagte Time und winkte Yetron, der sein Sprechgerät zog und Cenda Bescheid gab, die sie wieder beide an Bord der Electronica holen sollte. Dann verabschiedeten sich die Männer von Nugura und verschwanden in zwei immer durchsichtiger werdenden Säulen aus Energie.

 

Kapitel 47: Überzeugungsversuche

von Visitor

 

Jenna hatte das Schreiben ihres Programms beendet und dies auch gleich Maron mitgeteilt, der noch immer auf der Krankenstation gewartet hatte. Dort hatte er vergeblich versucht, Diran davon zu überzeugen, dass jetzt alles wieder in Ordnung war.

„Lass uns jetzt bitte alles vorbereiten, um Diran in die Simulationskammer zu bringen.“, hatte er sich schließlich an Nidell gewendet. Die medizinische Assistentin hatte darauf nur genickt und war dann in Richtung eines Regals verschwunden.

Maron hatte sich Diran zugedreht, der jetzt wieder an das Kissen gelehnt in seinem Bett saß. „Es geht gleich los, Diran.“, sagte der Spionageoffizier. „Wir werden dir gleich beweisen, dass du bestimmt keinem Feind mehr gegen deinen Willen irgendwelche Informationen geben wirst!“ „Ich bin mir da nicht so sicher wie du, Maron El Demeta.“, entgegnete der Vendar. „Ich mag durch Shimars und Kairons Eingriff erwacht sein, aber ich denke, dass bei dieser Sache etwas schiefgelaufen ist. Viele, die so etwas erlebt haben, gerade mit Shimar, sprechen von einem euphorischen Gefühl danach, was aber bei mir gänzlich ausgeblieben ist. Deshalb denke ich noch immer nicht, dass Toleas Bann besiegt werden konnte und ich noch immer eine Gefahr für euch bin. Es wäre sicher weitaus besser gewesen, ihr hättet mich nie wieder erweckt!“

Dem demetanischen Agenten stockte der Atem. Mit so einer Äußerung Dirans hatte er nicht gerechnet. Der Mund stand ihm weit offen und der Vendar konnte gut sehen, wie sehr sein Gegenüber nach Luft schnappte. „Hattest du wirklich erwartet, dass ich euch allen dankbar um den Hals falle, Maron El Demeta?!“, fragte Diran scharf. „Wenn du das erwartet hast, dann muss ich dich leider schwer enttäuschen. Alle, die eine Reise in die Seele bisher erlebt haben, sprechen davon, dass sie die Gewissheit hatten, ihr Problem sei gelöst! Diese habe ich nicht! Also, ich bleibe dabei! Es ist etwas falschgelaufen und der Bann ist noch immer aktiv!“ „Na schön!“, sagte Maron kämpferisch. „Wenn du es auf eine Konfrontation hinauslaufen lassen willst, dann kannst du das gern haben! Ich bin gewillt, dir auf jede auch nur erdenkliche Art und Weise zu beweisen, dass alles in Ordnung ist! Die Frage ist nur, ob du diese Herausforderung annehmen willst, oder dich feige hinter deiner Krankheit versteckst!“ Das Wort feige hatte der Erste Offizier noch stark betont. Das war ein kleiner strategischer Schachzug gewesen. Wusste er doch, dass sich ein Vendar niemals gern feige nennen ließ und sicher alles dafür tun würde, diesen Ruf wieder loszuwerden.

Nidell war zurückgekehrt und hatte eine Art Gurt mitgebracht, an dessen unterer Seite sich Emitter für Magnetfelder befanden, die Richtung Boden ausgerichtet waren. Außerdem hatte sie eine kleine silberne Fernsteuerung mit Touchpad in der Hand, die wohl per drahtloser Verbindung mit der Technik in dem Gurt verbunden sein musste. „Was ist das?“, fragte Diran. „Eine Gehhilfe.“, sagte Nidell und machte sich daran, ihm den Gurt um die Hüften zu schnallen. Diran warf ihr währenddessen nur einen widerwilligen Blick zu. Es gefiel ihm gar nicht, dass Maron ihn gerade als feige betitelt hatte und jetzt bezeichnete sie ihn auch noch nonverbal als schwach, indem sie ihm dieses Ding umschnallte. „Es ist nötig.“, erklärte Nidell ruhig und leise. „Während deiner Zeit im Koma haben sich deine Muskeln zurückgebildet und du wirst zu schwach zum Gehen ohne das Gerät sein. Falls du fallen solltest, kann keiner von uns dich allein halten und du wirst dich verletzen. Das Gerät verhindert auch das. Seine Felder, die sich gleich rund um dich herum aufbauen werden, halten dich in Waage. Du musst nur noch einen Fuß vor den anderen setzen.“ „Ach, also schön.“, sagte Diran und seufzte. „Aber ihr werdet schon sehen, dass das alles nichts bringt.“

Aus dem Gerät in Nidells Hand ertönte ein Signal, als sie die Schließe des Gurtes geschlossen hatte. Das sagte ihr, dass die Gehhilfe aktiv und funktionsbereit war. Dann gab sie einige Befehle in die Fernsteuerung ein. Diran spürte den Aufbau der Felder. „Na, wie ist das?“, grinste ihm Nidell zu. „Besser als ich dachte.“, sagte Diran und machte ein beeindrucktes Gesicht. „Bitte hilf mir aufstehen! Jetzt werde ich Maron El Demeta begleiten, um ihn endgültig von der Wahrheit zu überzeugen!“ „Na dann komm!“, sagte Nidell und stellte sich links neben sein Bett. Dann reichte sie ihm eine Hand. Mit der anderen hielt und bediente sie die Fernsteuerung. Diese war so klein, dass ihr das durchaus möglich war, was auch durchaus im Sinne des Herstellers lag. Durch Nidells Programmierung passte sich das Gerät jeder von Dirans Bewegungen sofort automatisch an.

Maron war zur Tür gegangen und hatte IDUSA den Befehl erteilt, sie zu öffnen und im offenen Zustand zu blockieren. Das hatte der Rechner auch getan. Zu dieser Tür waren jetzt auch Nidell und Diran auf dem Weg. Um ihn leichter dirigieren und im Notfall auch besser eingreifen zu können, hatte die tindaranische medizinische Assistentin ihren Patienten noch immer an der Hand. So ging es nun in Richtung Simulationskammer.

McKnight hatte sie dort bereits erwartet. „Da sind Sie ja endlich, Agent.“, lächelte sie ihren Vorgesetzten an. „Darf ich erfahren, was da so lange gedauert hat?“ „Oh ja, das dürfen Sie, McKnight.“, sagte der Agent. „Es lag an Diran hier. Er beharrt immer noch auf der irrigen Annahme, dass ihm Shimar und Kairon nicht helfen konnten und dass es quasi nur so eine Art Zufall war, dass er aufgewacht ist. Ich musste einen kleinen psychologischen Trick anwenden, um ihn überhaupt dazu zu bringen, mit hier herzukommen. Ich hoffe, dass Ihr Programm den Rest erledigen wird, Techniker!“ „Versprechen kann ich nichts, Sir.“, sagte Jenna. „Schließlich bin ich nur eine kleine Ingenieurin und keine Psychologin. Ich kann vielleicht gut Programme schreiben und wenn Diran ein Computer wäre, dann hätte ich sicher meine Methoden, aber …“ „Jetzt seien Sie doch nicht immer so bescheiden, Jenna.“, sagte Maron. „Als ob Sie nur auf dem einen Gebiet ein Genie wären. Sie haben uns aber schon viel zu oft bewiesen, dass Sie das auch auf anderen Gebieten sein können.“ „Da habe ich vielleicht einfach nur Glück gehabt, Agent.“, sagte Jenna und lächelte verlegen.

Nidell hatte die Hand gehoben. „Wir sollten Dirans Gesundheit nicht länger strapazieren, als es unbedingt nötig ist, Maron.“, sagte sie und zeigte mit einem sorgenvollen Ausdruck auf Diran. „Also schön.“, sagte Maron. „Fangen wir an!“

Alle setzten sich auf die Sitze. Auch Diran bekam dafür die notwendige Unterstützung von Nidell. Dann legten alle die Köpfe in die Mulden hinter den Sitzen und Jenna befahl IDUSA, ihr Programm zu starten.

Man fand sich in einer Parklandschaft wieder, die etwas an Logars Schlosspark erinnerte. An den Rändern der leicht verschlungen wirkenden Wege waren große alte Bäume aller Art zu finden. Die Luft roch angenehm nach Sommerblumen und in den Bäumen zwitscherten Vögel. „Was soll mir das denn beweisen?“, fragte Diran etwas gelangweilt, der sich, wie alle anderen auch, stehend auf einem breiten Weg wiedergefunden hatte. Dass er jetzt eine Gehhilfe trug, hatte Jenna in dem Programm berücksichtigt. Schließlich hatte sie es sich denken können, da er ja gerade erst aus dem Koma erwacht war.

Eine Staubwolke näherte sich ihnen und der scharfe laute Hufschlag eines heransprengenden Pferdes war zu hören. „Wer kommt denn jetzt?!“, fragte Diran überrascht. Bevor er allerdings eine Antwort erhalten konnte, hatte der Reiter sie erreicht, angehalten und hatte das Visier seiner Rüstung hochgeklappt. Diran sah jetzt ein großes weißes Pferd, einen fast noch etwas wild scheinenden starken Hengst mit Schaum vor dem Maul und einen darauf sitzenden Vendar in schimmernder Rüstung, auf der überall der Drudenfuß zu sehen war. Jetzt sah er außerdem in ein bekanntes und ihm sehr verhasstes Gesicht. „Telzan!“, begann er einen Satz und spuckte aus. „Was willst du von uns?!“ „Von deinen Begleitern will ich gar nichts!“, lachte Sytanias oberster Vendar. „Aber von dir! Ich hörte, dass du uns Informationen frei Haus lieferst! Also, Diran, raus damit! Was planen du und deine Freunde?! Was planen sie, he?! Ich warte!“

Abwartend stand Diran da und wartete darauf, was sein Körper wohl tun würde. Würde er in irgendeinen bewusstlosen Zustand fallen, wie er es auf der Aufzeichnung gesehen hatte, oder würde gar nichts passieren? Aber auch die Dinge, die sich gerade in seinem Gehirn abspielten, konnte er nicht glauben. Plötzlich waren alle Informationen über die Pläne wie verschüttet und er kam nicht mehr an sie heran. Er stellte sich Telzan sogar voller Selbstvertrauen entgegen und schrie ihn an: „Sag deiner Herrin, Sie soll dich das nächste Mal nicht mehr auf so eine aussichtslose Mission schicken! Auf meine Informationen kann sie lange warten!“

Aus den Büschen stürmte plötzlich eine Gruppe Vendar hervor, die alle Logars Zeichen, zwei nebeneinander sitzende geflügelte Löwen, trugen. Angeführt wurden sie von Iranach, seiner obersten Vendar, die ihren Soldaten schnell einige knappe Befehle zurief, wonach ein Teil von ihnen mit gezogenen Waffen auf Telzan losging, während zwei vom Rest Diran hinter Iranach auf ihr Pferd, eine muskulöse schwarze große Stute, setzten. Dann ging es im vollen Galopp hinter den nächsten Baum. „Ich habe dich gerettet, weil du im Besitz wichtiger Informationen sein sollst.“, sagte Iranach. „Was für Informationen sind das? Insbesondere interessiert mich und meinen Herrn Logar eine gewisse Prophezeiung.“

Ohne zu zögern begann Diran: „Die Hydra der Eifersucht wird erwachen. Entfesseln wird sie des Krieges Drachen. Sodann werden alle Lande beben. Es wird viel Leid und Kummer geben. Doch Recken, die Kommen auf vielen Wegen, werfen sich tapfer dem Bösen entgegen. Wen das Schicksal sich wünschen will in diesem Stand, den wird es erwählen durch Kindeshand.“ Dann endete das Programm.

Diran konnte die Wahrheit, mit der er jetzt offensichtlich konfrontiert worden war, nur schwerlich verstehen. Telzan hatte er nichts sagen können, Iranach aber schon. Das würde ja bedeuten, dass der Bann tatsächlich besiegt war. Im gleichen Moment stellte sich auch jene Freude darüber ein, die er vorher sehr vermisst hatte.

Der Vendar wusste nicht mehr wo hin mit seinen Gefühlen. Am liebsten hätte er die ganze Welt umarmt. Wenn er das aber jetzt Nidell, Maron oder gar Jenna zuteilwerden lassen durfte, dann wäre ihm schon sehr geholfen. Zögernd breitete er seine Arme in Richtung Jenna aus und warf ihr einen fragenden Blick zu. „Nur zu!“, forderte sie ihn auf. „Dann sagte sie an Nidell gewandt: „Hilf mal!“

Die medizinische Assistentin hatte verstanden und stellte die Gehhilfe so ein, dass Dirans Vorhaben für ihn kein Problem mehr darstellte. „OK.“, sagte sie dann in Richtung des Vendar, der sofort sein Vorhaben in die Tat umsetzte. „Oh wie konnte ich nur an euch zweifeln?!“, fragte Diran mit sehr erfreuter Stimme. „Wie konnte ich nur an euch und euren Fähigkeiten zweifeln?! Bitte vergebt mir, dass ich euch nicht glauben wollte. Bitte vergebt mir! Jetzt weiß ich, dass alles in Ordnung ist. Oh ja! Jetzt weiß ich es! Sie ist endlich da. Die Gewissheit ist endlich da!“

Er konnte sich der Tränen nicht erwehren, die im gleichen Moment über sein Gesicht rannen. Dies war ihm aber offensichtlich sehr unangenehm. So unangenehm sogar, dass er sofort versuchte, sein Gesicht zu verbergen. Jenna aber strich ihm nur beruhigend über den Kopf und machte: “Sch, Diran. Es ist schon in Ordnung. Jetzt ist alles wieder in Ordnung. Du kannst dich ausruhen. Die schwere Last wurde von deiner Seele genommen.“ „In der Tat, Jenna McKnight.“, sagte Diran. „Und das haben allein du und deine Freunde vollbracht! Bitte sag Shimar El Tindara, dass es doch funktioniert hat! Ich würde es gern auch Kairon ausrichten, aber der ist nicht mehr hier auf der Basis. Das würde ich schließlich spüren. Du weißt, dass wir Vendar die Anwesenheit von Telepathen spüren können.“ „Das ist mir bekannt.“, sagte die hoch intelligente Halbschottin. „Sonst könntet ihr sie ja nicht im Auftrag eurer Gebieter jagen, um ihnen Energie zu nehmen. Ich weiß, dass du dies niemals tun würdest, wenn dein Gegenüber das nicht will. Aber vor Jorans Rebellion gegen Sytania …“ „Davor hätte ich das wirklich jederzeit getan. Da hast du Recht, Jenna.“, fiel ihr Diran ins Wort.

Jenna spürte, dass er beträchtlich zu zittern begonnen hatte. Sofort warf sie Nidell einen fragenden und alarmierten Blick zu. „Wir sollten ihn zurückbringen.“, sagte die junge Tindaranerin. „Er hat für heute wirklich genug durchgemacht.“ „OK.“, sagte Maron. „Soll IDUSA euch beamen?“, fragte Jenna. „Das wäre vielleicht ganz gut, McKnight.“, sagte der erste Offizier. „In Ordnung.“, sagte Jenna und erteilte dem Rechner der Station die entsprechenden Gedankenbefehle über den Neurokoppler, die von IDUSA auch prompt ausgeführt wurden.

Nidell, Maron und Diran fanden sich wenige Sekunden später auf der Krankenstation wieder, wo sie von einem neugierig dreinschauenden Ishan erwartet wurden. „Wie ist es gelaufen?“, erkundigte sich der Arzt bei Maron. „Oh es ist sehr gut gelaufen, Ishan.“, sagte der Agent mit zufriedener Miene. „Diran glaubt jetzt endlich, dass wir den Bann so umgeschrieben haben, dass er dem Feind keine Informationen mehr geben kann, selbst dann, wenn er es wollte. Er ist auch endlich in jenen euphorischen Zustand gekommen, der nach einer Heilung durch eine Reise in die Seele normal ist.“ „Aha.“, sagte der Arzt. „Eine Verzögerung! Faszinierend! Ich werde dieses Phänomen wohl weiter erforschen müssen.“ „Vielleicht ist die Erklärung aber auch ganz einfach.“, sagte Maron. „Vielleicht ging es nur deshalb erst nicht, weil Diran selbst noch zu geschockt war.“ „Das könnte natürlich sein.“, sagte Ishan. „Jedenfalls würde es sehr gut ins Profil eines Vendar passen, für den Verrat das weitaus schlimmste Verbrechen darstellt, das er begehen kann. Du könntest Recht haben, Maron. Vielleicht ist die Erklärung ja wirklich nur so einfach. Aber jetzt sollten wir zuerst einmal unseren Patienten wieder ins Bett bringen.“ Damit winkte er Nidell, die sofort ausführte, was er gerade gesagt hatte. „Dann werde auch ich wieder gehen.“, sagte Maron und verließ die Krankenstation.

Auf dem Planeten Celsius war ein oranger Jeep mit Fließheck auf einer Landstraße, die durch einen dichten Wald führte, unterwegs. Es handelte sich um ein älteres Modell, das sehr gut zu seinem Fahrer passte, denn auch er war ein älterer Terraner. Es handelte sich nämlich um Scotty, der von einer Spazierfahrt kam und der jetzt spontan beschlossen hatte, noch einmal bei seiner guten Freundin Ginalla einzukehren, wie er es nun schon fast jeden Sonntag getan hatte. Allerdings sollte gleich etwas geschehen, das seinen Plänen ein spontanes Ende bereiten sollte.

Plötzlich gab es ein knisterndes Geräusch aus dem Antrieb seines Fahrzeuges und die Stützen, die dafür sorgten, dass es nicht mit den Antriebsspulen direkt auf dem Boden auflag, wenn es anhielt, trafen so hart auf, dass Scotty trotz Sicherheitskraftfeld kurz aus dem Sitz gehoben wurde. „Na, was machst du denn da mit dem alten Scotty, mein Freund?!“, sagte er ruhig. „Lass mal sehen, was du hast!“

Der gewissenhafte Techniker stieg aus und ging nach vorn, wo er eine Klappe an seinem Fahrzeug öffnete, die ihm einen Einblick in den Wartungsschacht für den Antrieb erlaubte. Was er dort allerdings sah, erschreckte ihn zutiefst! „Ach du meine Güte!“, rief er aus. „Wer hat denn hier so eine riesige Grillparty veranstaltet?! Na, eines lässt sich mit Sicherheit sagen. Die Systeme sind gut durch!“

Er schloss die Klappe wieder und ging bedient zum Führerhaus zurück. Hier stieg er wieder ein und sah sich das Display des ins Armaturenbrett eingebauten Sprechgerätes an. „Wenigstens scheint das noch zu funktionieren.“, atmete er auf und suchte sich aus dem Adressbuch das Rufzeichen der zentralen Pannenhotline heraus. Diese war für alle Planeten in der Föderation zuständig und ihre Mitarbeiter hatten den gesamten Überblick über alle Pannendienste. Sie konnten also genau sagen, wo noch Kapazitäten in der Nähe des Standortes des verunglückten waren und so konnte viel schneller und weniger umständlich Hilfe geschickt werden. Auch Kingsleys Firma war dort angemeldet.

Scotty zeigten sich die Statur und das Gesicht eines freundlich dreinschauenden Terraners auf dem Display seines Sprechgerätes. Der Mann war etwa 1,80 m groß, trug einen feinen weißen Anzug und rote Schuhe, hatte ein ordentlich glattrasiertes Gesicht und kurzes braunes Haar.

„Zentrale Pannenhotline der Föderation, mein Name ist David Harper, Wo liegt Ihr Problem?“, meldete er sich mit seiner warmen freundlichen Stimme. Diese Stimme beruhigte Scotty sofort unterbewusst, was er zum eigenen Erstaunen erst spät registrierte. Er war überzeugt, dieser Mann würde sogar einen nervösen Familienvater wieder beruhigen können, der mit seinen quengelnden Kindern auf einer Urlaubsreise in eine ebensolche Lage wie er jetzt gekommen war. Auf hoch schwangere Frauen oder ähnliche Akutfälle hätte er bestimmt die gleiche Wirkung. Scotty war sicher, dass man Harper entsprechend geschult hatte, aber ein gewisses Talent hatte er auch sicher schon mitbringen müssen.

Der Techniker hatte beschlossen, ihm nicht zu sagen, dass er vom Fach war, als er antwortete: „Hi, Mr. Harper! Ich bin Montgomery Scott und brauche Hilfe. Ich glaube, bei meinem Jeep hat irgendwas gerade den gesamten Antrieb gegrillt. Ich denke, ich brauche einen Schlepper!“ „Da haben Sie alles richtig gemacht, als Sie uns gerufen haben, Mr. Scott.“, erwiderte Harper. „Während wir hier sprechen, extrapoliert unser Computer bereits Ihre Position. Ah, sehen Sie. Er hat Sie schon gefunden. In der Nähe Ihrer Position befindet sich sogar auch gleich ein Pannendienst, an den ich Ihre Koordinaten weitergeben werde. Es handelt sich um die Firma Felix’ findige Fehlerfüchse. Haben Sie damit ein Problem?“ „Nein.“, sagte Scotty. „Gut.“, sagte Harper. „Dann übersende ich jetzt den Auftrag. Laut den Berechnungen unseres Systems wird es ungefähr nur 10 Minuten dauern, bis jemand da ist.“ „OK, Mr. Harper.“, sagte Scotty. „Ich warte. Es bleibt mir ja auch nichts anderes übrig.“ „In Ordnung, Mr. Scott.“, antwortete der freundliche SITCHer und beendete die Verbindung.

Rona und Meroola waren gerade von einem Einsatz gekommen und mit ihrem Dienstfahrzeug auf dem Weg zurück in Kingsleys Firma. „Uff.“, wendete sich Meroola an ihre Kollegin, die den Jeep fuhr. „Ich bin heilfroh, wenn wir bald die Hände in den Schoß legen dürfen. Heute war echt ein stressiger Tag!“ „Da hast du Recht, Mary.“, sagte Rona. „Vor allem stört mich, dass 90 % der Fehler, die wir heute repariert haben, vermeidbar gewesen wären. Entweder, die Leute schaffen sich Isolatoren an, oder sie bleiben zu Hause, wenn die Sonne Grillparty feiert!“ „Ja, ja.“, stimmte Meroola zu. „Die Protuberanzen. Aber findest du nicht, dass sie in letzter Zeit etwas zu häufig auftreten? Ich sage dir, Rona, Im Universum stimmt was nicht! Darauf verwette ich sogar mein Leben!“ „Oh die Wette würdest du sogar haushoch gewinnen, denke ich.“, antwortete die junge kesse Celsianerin.

Das piepende Sprechgerät begrub die Träume der Frauen von einem frühen Feierabend. „Oh nein!“, stöhnte Rona und nahm das Gespräch entgegen, nachdem sie den Jeep auf einem Seitenstreifen zum Stehen gebracht hatte. Am anderen Ende der Verbindung war Lara. „Ich habe einen Auftrag für euch.“, sagte sie. „Aber das wird bestimmt der Letzte für heute. Seid ihr noch auf der Landstraße zum Wald?“ „Ja, da sind wir, Lara.“, sagte Rona leicht genervt. „Gut.“, erwiderte Kingsleys Sekretärin. „Bei Kilometer 140 wartet Kundschaft auf euch.“ „OK, Lara.“, sagte Rona. „Wir übernehmen.“ Dann hängte sie das Mikrofon wieder ein und fuhr den Jeep langsam wieder auf die Straße. „Oh nein, Überstunden!“, stöhnte Meroola. „Dabei habe ich mich schon so darauf gefreut, bei Ginalla in aller Ruhe ein kühles Rootbeer zu zischen.“ „Ginalla?!“, fragte Rona verwundert. „Ihr habt euren Streit also beigelegt?“ „Man arrangiert sich.“, antwortete Meroola. „Sie gibt mir immerhin eine Wohnung und etwas zum Essen. „Ich wäre ja schön doof, wenn ich die Hand beißen würde, die mich füttert.“ Rona nickte nur zustimmend.

Sie hatten bald Scottys Jeep gesehen. „OK, ein Terraner.“, stellte Rona fest. „Den sprichst du an. Mein Englisch ist unter aller Sau!“ „Ha, ha.“, grinste Meroola. „Aber weil du es bist, mache ich mal eine Ausnahme.“

Rona brachte den Jeep zum Stehen und die Frauen schulterten ihre Werkzeugtaschen, um dann aus dem Fahrzeug zu steigen und die Unfallstelle zu betreten, die Scotty inzwischen vorschriftsmäßig mit Warnbojen vorn und hinten in jeweils drei Metern Abstand zum eigenen Fahrzeug abgesichert hatte. Die Silhouette der Celsianerin war für Scotty nichts Neues. Aber er beobachtete umso genauer die kleine Gestalt, die neben ihr ging. Sie hatte die typische Statur einer Platonierin, aber das typische Gesicht einer Ferengi.

„Hallo, Mr. Scott.“, sprach Meroola ihn an. „Mein Name ist Meroola Sylenne, das ist Rona Maryssa. Wir sind heute Ihre Pannenhelferinnen von Felix’ findigen Fehlerfüchsen! Also, wo tut’s dem Schätzchen denn weh?“ Sie deutete auf Scottys Jeep. „Ich denke, es ist der Antrieb.“, sagte Scotty traurig. Der Jeep hatte ihn schon begleitet, solange er auf Celsius lebte und war ihm sehr ans Herz gewachsen. Wer wusste, was er für eine Beziehung zu den Maschinen der Enterprise gehabt hatte, für den war das sicher nicht verwunderlich.

„Wir kümmern uns drum!“, sagte Meroola fest, warf ihrer Kollegin einen auffordernden Blick zu und marschierte schnurstracks auf den vorderen Teil des Fahrzeugs zu. „Entsichern Sie mal die Klappe!“, rief sie meinem Mann noch zu. Scotty nickte und drückte auf den entsprechenden Knopf am Armaturenbrett. „Danke!“, sagte Meroola und hob die Klappe hoch. Der Anblick, dessen sie jetzt allerdings ansichtig wurde, ließ sie nur mit dem Kopf schütteln und eine Reihe von Lauten von sich geben, die Scotty Böses ahnen ließen. Auch Rona stimmte in diese Art der Kommunikation ein. „Oh!“, machte Meroola. „Uff!“, ergänzte Rona. „Oh ha!“, erwiderte dann wieder Meroola. Dann drehte sie sich ihrer Kollegin zu und fragte: „Schrottplatz?“ „Schrottplatz!“, bestätigte Rona. Dann wendete sie sich an Scotty: „Mr. Scott, ich fürchte, wir müssen Ihren Liebling zur letzten Ruhe betten. Wieso haben sie eigentlich keine Isolatoren und was machen Sie auf der Straße, wenn schon Felder mit Protuberanzen angesagt werden, die durchziehen? Sind Sie etwa einer von denen, die glauben, es trifft nur immer die anderen, he?!“

Meroola knuffte sie unsanft in die Seite. „Hey!“, flüsterte sie ihr zu. „So behandelt man keine Kunden. Er mag zwar schon der Zehnte sein, den wir ohne Isolatoren antreffen, aber das hat uns nicht zu jucken. Du weißt doch, wie unsere Firmenphilosophie lautet.“ „Ja, das weiß ich.“, gab Rona mürrisch zu, der es gar nicht gefiel, von einem Neuling zurechtgewiesen zu werden. „Ich bin nur einfach genervt.“

Scotty war klar geworden, dass der Abschied von seinem langjährigen Begleiter jetzt wohl tatsächlich drohte. Er hatte das zwar auch schon festgestellt, wollte es aber nicht glauben und war deshalb für eine zweite Meinung sehr dankbar gewesen. Allerdings hatte er nicht gedacht, dass diese die seine so extrem bestätigen würde. „Ladies.“, sagte er und warf ihnen einen fast bettelnden Blick zu. „Gibt es denn da wirklich keine Möglichkeit?“ „Technisch gesehen.“, erwiderte Meroola tröstend, die jetzt auch den Eindruck hatte, sich für Ronas Verhalten entschuldigen zu müssen. „Gebe es da bestimmt eine Möglichkeit. Nur würde der Aufwand sehr groß sein. Es wäre sicher viel weniger umständlich, wenn Sie sich einen neuen Jeep besorgten, Mr. Scott.“ „Also gut.“, sagte Scotty und strich ein letztes Mal über die Hülle seines Fahrzeugs. Irgendwo hatte er ja auch eingesehen, dass Meroola Recht gehabt hatte. „Mach’s gut, mein alter Freund.“, sagte er.

Rona ging ins Fahrzeug der Pannenhelferinnen zurück und begann damit, Scottys Jeep mit dessen kleinem Transporter zu erfassen. Meroola führte Scotty derweil ein Stück an die Seite. Dann wurde der Jeep auf die Ladefläche gebeamt und Rona schaltete die Kraftfelder ein, die ihn sichern sollten.

„Sollen wir Sie noch mitnehmen?“, fragte Meroola. „Wenn Sie mir den Gefallen tun würden, Ladies?“, fragte Scotty für seine Verhältnisse schon sehr höflich. „Ich wollte zu Ginalla. Dort trinke ich manchmal einen und sonntags auch mal zwei.“ „Das liegt ja auf meinem Nach-Hause-Weg!“, rief Meroola begeistert aus. Dann wandte sie sich Rona zu: „Könntest du dich dann um den Rest kümmern?“ „Lass mal stecken.“, flapste Rona. „Das mache ich schon.

Sie deutete auf die hintere Tür zur Fahrgastzelle und auf die Beifahrertür: „So, und nun rein mit euch. Schließlich will ich hier keine Wurzeln schlagen!“ „Danke, Ladies.“, sagte Scotty und stieg hinten ein, während sich Meroola wieder auf ihren Platz neben ihrer Kollegin begab. Dann ging es so in Richtung von Ginallas Bar.

Kapitel 48: Ausgestreckte Hände

von Visitor

 

Ähnlich verfahren wie diese Situation war auch die der Obersten Prätora der Genesianer. Vergeblich hatte sie versucht, für ihr Vorhaben, Präsidentin Nugura zur Zusammenarbeit zu bewegen, die richtigen Worte für eine SITCH-Mail zu finden. Jetzt hatte sich Shashana dann doch dafür entschieden, das Ganze im direkten Dialog zu klären. Sie gab also das Rufzeichen der Präsidentin, das wegen diverser diplomatischer Gespräche auch in ihrem Sprechgerät gespeichert war, in die Maske, die zum Aufbau einer Verbindung genutzt wurde, ein.

Nugura hatte sich in ihr Büro zurückgezogen und ihrem Sekretär aufgetragen, er solle jedem sagen, dass sie nicht gestört werden möchte. Dies hatte sie getan, um sich in aller Ruhe auf die anstehende Parlamentssitzung vorzubereiten, in der auch über das weitere Vorgehen bezüglich der Ergebnisse der Electronica beraten werden sollte. Da es ihr ausdrückliches Bestreben war, ihre Kollegen zum Abgeben einer Ja-Stimme zu bewegen, hatte sie beschlossen, ihre Rede dieses Mal selbst zu schreiben. Auf Sarons Frage, ob er ihrem Redenschreiber Bescheid geben sollte, hatte Nugura nur mit dem Kopf geschüttelt und geantwortet: „Wenn man möchte, dass etwas gut wird, dann macht man es am besten selbst, Mr. Saron! Mein Redenschreiber hat keinen Einblick in die Dinge, die meine Kollegen so bewegen. Er hat sie noch nie gesehen. Er mag zwar gut mit der Sprache an sich umgehen können, aber er hat keinen Einblick in ihre Psyche.“ „Darf ich dem entnehmen, dass auch Sie gewillt sind, dieses Mal ein paar psychologische Tricks in Ihre Rede einfließen zu lassen, Sea Federana?“, hatte der Demetaner dann grinsend gefragt. Nugura hatte darauf, ebenfalls schelmisch grinsend, auch nur genickt und gesagt: „Richtig, Mr. Saron. Deshalb werden auch nur Sie der einzige sein, der meine Rede zu Gesicht bekommt. Sie sind Demetaner. Ihre Rasse ist dafür bekannt, sehr hinterlistig zu sein, wenn es drauf ankommt. Sie werden mit Sicherheit erkennen, wo ich noch nachbessern muss. Haben Sie also keine Scheu, mich darauf hinzuweisen und mir dann auch einige Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.“ „Nun.“, hatte Saron gesagt und etwas verlegen gelächelt. „Ich fühle mich geehrt und werde mein Bestes geben, Madam President!“ Dann hatte er ihr Büro verlassen.

So saß Nugura nun also da und feilte an ihrer Rede, als der Computer ihr Shashanas Ruf ankündigte. Weder Saron noch sie hatten den Rechner instruiert, ebenfalls zu berücksichtigen, dass sie nicht gestört werden wollte. Jeder SITCH ging ja normalerweise durch Sarons Hände und der wusste ja Bescheid. Bei Shashana wurde nur deshalb eine Ausnahme gemacht, weil sie Genesianerin war und es ihr somit laut den diplomatischen Protokollen nicht zuzumuten war, mit einem Mann sprechen zu müssen. Deshalb war der Computer, der ja ihrem Verständnis nach als Sache galt, von den Technikern auf Nuguras Basis und auch in ihrem Büro auf Elyrien so programmiert worden, dass er, sobald er das Rufzeichen von Shashana als rufenden Teilnehmer erkannte, das Gespräch nicht an Sarons Konsole durchstellte, sondern die Beantwortung des Rufes selbst übernahm und dann auf Shashanas Befehl hin selbstständig Nugura informierte und das Gespräch dann auf ihren Befehl an sie durchstellte. Aber wann kam das schon mal vor? Die Beziehung zwischen der Föderation und Genesia war im Moment so weit in Ordnung, dass es eigentlich keiner diplomatischen Kanäle bedurfte. Zumindest nicht von Nuguras Seite aus. Also hatte sie die Möglichkeit, dass Shashana sie rufen könnte, gar nicht in Betracht gezogen.

Wie sehr sie sich aber diesbezüglich geirrt hatte, sollte sich ihr in Form eines schrillen Signals von ihrer Arbeitskonsole im selben Moment verdeutlichen. Außerdem gab diese den entsprechenden Meldetext von sich, der bei Einrichtung dieses speziellen Programms eingegeben worden war: „Ankommender Ruf von der Obersten Prätora der Genesianer! Nehmen Sie das Gespräch an?“ „Ja, Computer.“, sagte Nugura und legte ihr Pad mit der Rede beiseite.

Auf dem Schirm ihrer Konsole wurde jetzt Shashanas Silhouette sichtbar. Sie sah sehr ernst aus, als sie sich Nugura zuwandte: „Präsidentin Nugura, was ich jetzt tun muss, fällt mir nicht leicht. Ich bitte Sie also, mir meine eventuellen Fehler nachzusehen.“ „Worum geht es denn, Oberste Prätora?“, fragte die Präsidentin der Föderation freundlich und bemüht, zwischen Shashana und sich eine Atmosphäre zu schaffen, in der sie sich sehr wohl fühlen würde. Dabei wusste Nugura, dass sie auf keinen Fall zu mütterlich oder mitleidig rüberkommen durfte, denn das würde ihr Gegenüber eventuell kompromittieren. Deshalb setzte sie auch gleich mit stolzer Stimme nach: „Was immer es ist, wir werden drüber reden und somit die Dämonen Eurer Sorgen vertreiben, Oberste Prätora!“ „Gesprochen wie eine wahre Kriegerin!“, antwortete Shashana und lächelte Nugura gewinnend durch die Kamera ihres Sprechgerätes zu. „Dabei ist doch die Föderation immer darauf aus, alles friedlich zu regeln.“ „Genau deshalb sollte ihre oberste Politikerin doch in der Diplomatie sehr bewandert sein, findet Ihr nicht, Shashana?“, fragte Nugura. „Oh doch!“, sagte Shashana fest zur Antwort. „Und das bedeutet wohl auch, die kulturellen Gegebenheiten ihres Gegenüber zu akzeptieren und sich entsprechend zu verhalten.“ „Genau.“, sagte Nugura. „Aber worum geht es denn jetzt eigentlich?“ „Es geht darum.“, sagte Shashana und Nugura konnte gut merken, wieviel Überwindung es Shashana kosten musste, ihr zu sagen, was sie ihr jetzt wohl oder übel sagen musste. „Dass wir Ihre Hilfe benötigen. Sicher haben Ihnen Ihre Spione gemeldet, dass es eine Art Bürgerkrieg bei uns gibt, der im Moment zwar nicht in der heißen Phase ist, aber es sicher jederzeit wieder werden kann. Offenbar hat alles mit einer angeblichen neuen Göttin angefangen. Ein Einhorn aus dem Dunklen Imperium hat vorgegeben, die Wächterin von Gore zu sein. Einige unserer Ausgestoßenen sind darauf hereingefallen und betrachten es jetzt als solche. In ihrem Bestreben, uns von dem neuen Glauben zu überzeugen, haben sie die Heimatwelt überfallen. Wir konnten sie zurückschlagen und erkennen, dass sich dieses Einhorn offensichtlich mit Sytania zusammengetan hat. Die Beiden haben jetzt wohl auch noch eine Art Virus ersonnen, das alle Männer tötet, so dass wir bei der Fortpflanzung von ihnen abhängig werden. So eine Show haben sie auch gegenüber den Ausgestoßenen abgezogen. Wir sollen für Kinder beten und dann bekommen wir sie auch. Sie fallen quasi buchstäblich vom Himmel. Der Haken an der Sache ist allerdings, dass alle diese Geschöpfe reine Marionetten sind, die auch noch immer mit Sytania und dem Einhorn telepathisch verbunden sind und somit genau das tun, was die Beiden ihnen befehlen. Das bedeutet, dass das stolze Volk der Genesianer irgendwann nur noch ein Volk aus Marionetten ist, die für Sytania arbeiten, wenn wir nichts tun. Ich weiß, im Moment klingt das alles in Ihren Ohren sicher wie ein rein interner Konflikt der Genesianer und ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen jetzt die Oberste Direktive im Kopf herumspukt. Aber …“

Nugura drückte die Brake-Taste und fiel Shashana ins Wort: „Aber so kurzsichtig, wie Ihr jetzt vielleicht glaubt, bin ich nicht, Oberste Prätora.“ „Wenn die Marionetten für Sytania arbeiten, dann liegt es nah, dass sie diese irgendwann benutzen wird, um das ganze Universum zu ihrem Eigentum zu machen und zu unterjochen. Das schließt sicher auch das Gebiet der Föderation mit ein. Damit müssen wir immer rechnen, wenn Sytania ihre Finger im Spiel hat.“ „Vielen Dank.“, sagte Shashana, die Nuguras Signal durchaus richtig verstanden hatte. Aber sie war dennoch überrascht, da sie mit dieser Antwort wohl kaum gerechnet hatte. „Gern geschehen.“, sagte Nugura. „Auch mir ist klar, dass in der Not alle Feindschaft aufhören muss und dass wir einander beistehen müssen. Aber Ihr wisst, dass ich das alles leider nicht allein entscheiden kann. Ich bin auf die Zustimmung meines Parlaments angewiesen. Aber ich werde alles tun, um diese zu bekommen! Da könnt Ihr Euch sicher sein, Oberste Prätora!“ „Das habe ich nie bezweifelt, Präsidentin!“, sagte Shashana fest. „Ich kann also sicher sein, dass Sie alles tun werden, damit Forschungseinrichtungen für uns tätig werden und wir gemeinsam Sytanias neuesten Coup vereiteln können?“ „Nun, ich denke die Situation ist weitaus komplizierter.“, sagte die Präsidentin der Föderation. „Ich denke, Eure Situation ist nur ein kleines Rädchen in dem neuen bösen Gefüge, das hier auf uns zukommt. Allerdings werden Eure Aussagen im Wesentlichen durch die Daten des Forschungsschiffes USS Electronica bestätigt. Wenn wirklich ein Hilfsabkommen zustande käme, dann werde ich Euch auch all diese Daten zur Verfügung stellen. Ich denke, dann sind wir alle etwas klüger. Nächste Woche ist die Abstimmung. Ich hoffe, dass ich Euch danach eine erfreuliche Mitteilung machen kann, Shashana.“ „Ich danke Ihnen, Nugura.“, sagte die Genesianerin und beendete das Gespräch.

Nugura lehnte sich zurück und gab einen schweren Seufzer von sich. Sie wusste genau, dass die Situation durch Shashanas Antrag auf Hilfe nicht gerade leichter geworden war. Dennoch musste es ihr irgendwie gelingen, die Parlamentarier auf ihre Seite zu bringen, jedenfalls einen Großteil von ihnen. Sonst würde Sytania die Föderation irgendwann überrennen und alle würden denken, es waren doch nur die Genesianer. Aber so etwas sah der Kronprinzessin des Dunklen Imperiums ja ähnlich. Im Tarnen ihrer eigenen Schuld war Sytania ja sehr gut. Das wusste Nugura und sie selbst würde auch auf ihre Schliche nicht mehr hereinfallen. Bei den meisten ihrer Kollegen sah das aber leider anders aus. Wenn sie denen jetzt noch sagen würde, dass man auch den Genesianern helfen musste, um die eigene Haut zu retten, dann würden sie wohl vollends an ihrem Verstand zweifeln. Bis zu einem Misstrauensvotum war es dann sicher nicht mehr weit.

Sie nahm sich erneut das Pad mit ihrer angefangenen Rede vor. Das Programm, mit dem sie arbeitete, war so aufgebaut, dass ihr jeder Satz von der eigenen Stimme wiederholt wurde, den sie eingegeben hatte. So konnte sie sich selbst zuhören und daher ihre eigene Rede auch selbst besser korrigieren. Allerdings konnte sie sich die Fassung, die sie bis jetzt hatte, kaum selbst abnehmen. Daher beschloss sie, bereits jetzt Sarons Büro aufzusuchen.

Der Sekretär war sichtlich überrascht, als seine Vorgesetzte mit ernstem Gesicht und dem Pad in ihrer rechten Hand sein Büro durch die Zwischentür betrat. „Sind Sie schon fertig mit Ihrer Rede?“, fragte er mit hörbarem Erstaunen. „Nein, das bin ich leider nicht, Mr. Saron.“, sagte Nugura. „Es sieht aus, als würde ich bereits jetzt Ihre sprachlich kompetente Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Es haben sich außerdem neue Tatsachen ergeben.“

Saron stand von seinem Platz auf und zog einen weiteren Stuhl an seinen Schreibtisch heran, den er neben den seinen stellte. Dann deutete er darauf und sagte: „Bitte setzen Sie sich, Madam President.“ Nugura kam seiner Aufforderung gern nach. Dann fragte Saron: „Was sind denn das für neue Tatsachen, die sich ergeben haben?“ „Die Oberste Prätora hat mit mir gesprochen.“, erklärte das Staatsoberhaupt der Föderation. „Durch die Einstellungen des Computers kommen Sie da ja nicht unbedingt hinter. Sie wissen ja, dass wir das so machen müssen wegen der diplomatischen Protokolle.“ „Das weiß ich.“, sagte Saron. „Aber was ist in dem Gespräch denn herausgekommen, das sie so sehr belastet, Madam?“ „Offensichtlich wird die Heimatwelt der Genesianer von einem Virus heimgesucht, das alle Männer tötet.“, sagte Nugura. „Nur die Männer?“, fragte Saron und grinste. „Oh dann muss ich wohl meinen Urlaub umbuchen.“ „Ich weiß Ihre Bemühungen zu schätzen, die Situation durch einen geschickt platzierten Witz auflockern zu wollen.“, sagte Nugura. „Aber mir ist gar nicht nach Scherzen zumute. Das Virus hat offensichtlich mit dem genesianischen Bürgerkrieg zu tun, den unsere Agentinnen in den Reihen der genesianischen Kriegerinnen gemeldet haben. Shashana hat bestätigt, dass es ein Glaubenskrieg ist und dass wohl ein Einhorn aus dem Dunklen Imperium sich mit Sytania verbündet hat. Dieses gibt sich vor den Ausgestoßenen als Wächterin von Gore aus und hat ihnen wohl versprochen, sich nie mehr auf natürlichem Wege Fortpflanzen zu müssen. Sie müssten nur um ein Kind beten und es falle buchstäblich vom Himmel. Der Haken daran ist aber, dass all diese Kinder Marionetten sind, die nur das tun, was Sytania und ihre neue Verbündete befehlen. Shashana hat das erkannt und als es eng für Sytania und ihre Verbündete wurde, da haben sie wohl ein Virus geschaffen, das alle Männer tötet, damit die Kriegerinnen von Sytania und dem Einhorn abhängig werden, was die Fortpflanzung angeht. Dass kann aber bedeuten, dass sie ihren Marionetten irgendwann auch befehlen könnte, unser Universum einzunehmen.“ „Da stimme ich Ihnen zu, Madam President.“, sagte Saron. „Sytania hat ja ihre Pläne, die gesamte Dimension Universum zu erobern und uns alle zu versklaven, sicher nie aufgegeben und wird es nie! Darauf würde ich wetten!“ „Diese Wette würden Sie haushoch gewinnen, mein Lieber.“, sagte Nugura. „Aber schon greift auch die Oberste Direktive nicht mehr. Wenn wir die Gefahr für uns nur dadurch abwenden können, dass wir den Genesianern bei der Erforschung dieses Virus und bei dessen Vernichtung helfen, dann muss es wohl so sein! Sonst sind wir über kurz oder lang irgendwann alle Sytanias Sklaven und das will doch bestimmt keiner!“ „Sicher nicht.“, sagte Saron. „Aber ich denke, dass Ihre Kollegen sehr kurzsichtig sind, was das angeht. Sie wollen sicher nicht von Sytania versklavt werden, aber sie sind nicht bereit, etwas dafür zu tun und wenn es auch nur darin besteht, ihre geistige Komfortzone zu verlassen und auch mal unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Es tut mir leid, dass ich Ihnen das sagen muss, aber in dieser Angelegenheit muss ich Mr. Yetron zustimmen.“

Nugura erschrak. „Haben Sie unser Gespräch etwa mitbekommen?“ „In gewisser Hinsicht ja.“, sagte Saron. „Außerdem hat der Agent bei diversen Gelegenheiten bereits bewiesen, dass er keinen Hehl aus seiner politischen Meinung macht.“ „Ich weiß.“, sagte Nugura. „Und ich finde ja auch, dass er Recht hat. Aber bringen Sie das mal meinen Kollegen bei!“ „Genau dafür sind Sie doch zu mir gekommen.“, sagte Saron und lächelte sie auffordernd an. Dann zeigte er auf ihr Pad: „Lassen Sie mal sehen! Es wäre doch gelacht, wenn wir nichts konstruieren könnten, dass sie überzeugt!“

Nugura nickte erleichtert und schob ihm das Pad hin. Sie wusste, dass sie sich in dieser Hinsicht auf ihn verlassen konnte. Gemeinsam mit ihm, das wusste sie, würde sie sicher in der Lage sein, eine Rede auszubrüten, die alle überzeugen würde. Sein sprachliches Talent und seine hinterlistige und schlaue Art, Dinge zu interpretieren, würden sicher ihren Beitrag dazu leisten.

Saron hatte sich durchgelesen, was Nugura bis jetzt verfasst hatte. Dann wandte er sich ihr zu: „Ich denke, einer der Punkte, an denen sich Ihre Kollegen zweifelsfrei reiben werden, ist die Tatsache, dass sich ein Einhorn auf die Seite des Bösen geschlagen haben soll. Das ist etwas, das bei ihnen nicht gut ankommen wird. Die Einhörner sind als tugendhaft und von Grund auf gut in der Vorstellung der Meisten verklärt. Sie übersehen dabei gern, dass auch sie Wesen sind. Mächtige Wesen zwar, aber auch sie sind pandimensionale Existenzen, die nur die Gestalt von Einhörnern angenommen haben, um im Dunklen Imperium und in dessen Strukturen besser leben zu können. Natürlich sind sie Verwandte der Quellenwesen, Aber ich denke, dieses Einhorn ist das schwarze Schaf der Familie, Sea Federana. Zumindest müssen wir davon ausgehen, solange wir ihr Motiv nicht kennen. Die Vermutung der Electronica-Crew, es könnte etwas mit Invictus zu tun haben, ist nach wie vor nicht wirklich durch Fakten untermauert. Daraus könnte man uns noch einen Strick drehen.“ „Das ist wohl wahr, mein guter Saron.“, sagte die Präsidentin. „Wie umsichtig Sie doch immer sind! Aber jetzt, wo wir das wissen, sollten wir umso besser auf der Hut sein und uns umso genauer überlegen, was wir sagen.“ „Ganz Ihrer Ansicht, Madam President.“, sagte Saron und dann begannen beide, sich mit der Rede zu befassen.

Kapitel 49: Tollkühne Pläne

von Visitor

 

Auf Celsius war es früher Abend geworden. Ginalla war gerade damit beschäftigt, die Vorbereitungen zum Öffnen ihrer Bar zu treffen, als die Türen sich von außen öffneten und im Halbdunkel der Straßenbeleuchtung den Blick auf zwei Gestalten freigaben, die selbige betraten. Es waren Meroola und Scotty, die sie zuerst fast nicht erkannt hätte.

Meroola stellte sich an die Theke und legte ihre Ellenbogen darauf. In die jetzt nach oben gerichteten Flächen ihrer Hände legte sie ihren Kopf, als wolle sie sich auf eine lange Phase der Beobachtung vorbereiten. Sie wartete geduldig ab, bis sich Ginalla ihr endlich zuwandte. „Schau mal.“, sagte sie und deutete auf den hinter ihr stehenden Scotty, der noch immer nichts gesagt hatte, um sich zu erkennen zu geben. Das hatten er und Meroola so abgesprochen. Meroola wusste nämlich von Scottys und Ginallas Freundschaft und wollte sie damit überraschen.

Meroola kitzelte Scotty, der sich hinter ihr ganz klein gemacht hatte, am Bart. Das war ein ausgemachtes Zeichen, wenn er hervorkommen sollte. Dann sagte sie: „Schau mal, was ich auf der Straße gefunden habe.“

Der Blick der celsianischen Junggastronomin mit einem heldenhaften Doppelleben fiel auf ihren langjährigen Stammgast. „Mann, Scotty!“, rief sie aus. „Dass du doch noch hier aufschlägst! Ich hatte schon gedacht, du lässt mich sitzen!“ „Wie käme ich dazu, Gin’?“, fragte Scotty. „Das würde ich dir doch nie antun. Aber wenn sie mir nich’ aus der Patsche geholfen hätte …“ Er deutete auf Meroola. „Interessant.“, sagte Ginalla. „Das musst du mir unbedingt alles erzählen. Aber nun gibt’s erst mal ’ne Runde aufs Haus.“ „Die wird er auch brauchen.“, sagte Meroola. „Er hat nämlich gerade einen alten Freund verloren.“ „Oh Shit!“, flapste Ginalla. „Aber darüber können wir ja gleich in Ruhe reden. Sekunde!“ Damit war sie wieder hinter der Theke verschwunden.

Bei Ihrer Rückkehr einige Minuten später trug Ginalla ein weißes ovales Tablett bei sich, auf dem drei kleine rote Gläschen standen. Sie waren um eine große Flasche in ihrer Mitte drapiert. Diese bestand aus einem weißen Glas. Neben den Gläsern und der Flasche befand sich ein Teller mit ein paar gemischten Knabbersachen.

„Was ist das, Ginalla?“, wollte Meroola wissen. „Das ist eine Flasche echter Whisky!“, sagte Ginalla stolz. „Den habe ich in Scottys Auftrag hier für ganz besondere Anlässe deponiert!“ „Oh bitte nicht für mich.“, sagte Meroola. „Ich bekomme von Alkohol Durchfall, wie du weißt. Das haben Platonier und Demetaner gemeinsam und meine Mutter ist Platonierin. Leider habe ich dieses Leid von ihr geerbt.“ „Oh nun mach dir mal nicht gleich ins Hemd.“, witzelte Ginalla, die genau wusste, wie passend ihr Witz war. „Natürlich habe ich auch daran gedacht.“

Sie zog grinsend eine weitere Flasche hinter ihrem Rücken hervor, die ihrerseits gelb und im oberen Drittel etwas bauchig war. Sie enthielt terranischen Sprudel, der auf Meroola wohl die gleiche Wirkung haben würde, die Alkohol auf uns hat. Dann goss sie allen etwas aus den Flaschen in die Gläser und die drei prosteten sich zu.

Ginalla hatte sich eine Hand voll Nüsse aus der gemischten Knabberschüssel genommen und sah Scotty jetzt erwartungsvoll an. „Was meinte Meroola eigentlich damit, du hättest einen alten Freund verloren?“, fragte sie dann, während sie die Nüsse von einer Backentasche in die andere schob, um besser sprechen zu können. „Oh, Gin’.“, sagte Scotty und machte ein trauriges Gesicht. „Du kennst doch meinen alten Jeep. Der hat heute das Zeitliche gesegnet.“ „Ach so.“, sagte Ginalla aufatmend. „Und ich dachte schon, es sei echt was passiert.“ „Du weißt doch.“, grinste Meroola sie über die Theke hinweg an. „Männer und ihre Autos.“ Ginalla lachte laut und nickte ihr zu.

Scotty räusperte sich. „Du brauchst hier gar nicht so aufzutrumpfen.“, sagte er in Meroolas Richtung. „Schließlich verdienst du deinen Lebensunterhalt mit Situationen wie der meinen.“ „Stimmt auch wieder.“, gab die Angesprochene zu.

Ginalla hatte sich Scotty jetzt genau gegenübergestellt und ihre Arme geöffnet, als wollte sie ihn über den Tresen hinweg an ihr Herz drücken. Dann sagte sie: „Na, dann erzähl deiner guten Freundin Gin’ mal, wie das passiert is’. Ich bin sicher, deine Schuld is’ es nich’. Du bist ja schließlich vom Fach und hast den Jeep sicher regelmäßig gewartet.“ „Du hast Recht.“, sagte Scotty. „Meine Schuld war es wirklich nich’. Es war eher die der celsianischen Sonne.“ „Ach ja.“, stöhnte Ginalla auf. „Die Protuberanzen. Hat dir dein technischer Verstand nich’ gesagt, dass man sein Fahrzeug besser in der Garage lässt, wenn so was angesagt ist und es nich’ unbedingt benutzt, wenn man es nich’ muss, he?“ „Oh doch.“, sagte Scotty, dem es angesichts ihrer Standpauke gerade eiskalt den Rücken heruntergelaufen war. „Ich weiß auch nich’ was mich da geritten hat. Aber ich wette mit dir, Gin’, dass hier gewaltig was im Argen liegt. Warum sonst sollte die celsianische Sonne alle paar Tage eine riesige Grillparty feiern. Das macht sie doch sonst nie!“

Ginalla drehte sich kurz zu der kleinen Arbeitskonsole hinter der Theke um und gab einige Befehle in den Hausrechner ein. Sofort verriegelte sich die Tür zum Ausgang und über ihr war von außen in einem Display die Aufschrift: „Geschlossene Gesellschaft!“, zu lesen. Dann öffnete sie die kleine Tür im Tresen, die Scotty und Meroola den Eintritt zu ihrem Arbeitsplatz ermöglichte und winkte den Beiden. Dabei machte sie ein sehr ernstes Gesicht. Dieser Umstand hatte Scotty sehr erschreckt. Er war so etwas von der eigentlich immer kessen und zu Scherzen aufgelegten Ginalla nicht gewohnt.

Meroola und er folgten der Aufforderung. Dann führte Ginalla sie weiter ins Hinterzimmer, wo man sich gemeinsam um den Tisch mit der SITCH-Konsole setzte. Ihren sehr ernsten Ausdruck behielt Ginalla die gesamte Zeit über allerdings bei.

Einige Sekunden vergingen, in denen sich die drei nur anschwiegen. Das war aber hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dass Ginalla nicht so genau wusste, wie sie anfangen sollte. Schließlich fragte Scotty: „Was is’ denn jetzt der Grund, aus dem du auf einmal so eine Trauermiene aufgesetzt hast, Gin’, und warum machst du darum so ein Aufsehen? Warum sperrst du deine Bar ab? Was weißt du, was wir nich’ wissen, Gin’?“

Ohne zu zögern gab Ginalla das Rufzeichen von Kamurus in die Konsole ein. Dann sahen alle das Gesicht des Avatars auf dem Schirm. „Dein Schiff is’ hier?“, fragte Scotty. „Warum?“ „frag ihn doch am besten selbst.“, sagte Ginalla. Dabei wurde ihr Gesicht sehr blass. „Also gut.“, sagte Scotty und rückte näher an die Konsole. Dann nahm er das Mikrofon in die Hand und drückte die Sendetaste, um sich dann bei Ginallas Schiff vorzustellen: „Kamurus, hier is’ der alte Scotty. Was machst du hier?“ „Hallo, Scotty.“, sagte Kamurus höflich. „Ich bin meiner Tochter Kamura gefolgt, die ausgekniffen war. Dabei hat sie Meroola kennen gelernt, die ja auch bei euch zu sein scheint, wie ich sehe. Ich wollte meine Kleine so schnell wie möglich wieder nach Hause holen, weil es in allen Dimensionen sehr ungemütlich wird. Die celsianische Sonne ist bei weitem nicht die einzige ihrer Art, die so viele Protuberanzen erzeugt. Zeitweise verändern sich sogar schon die Naturgesetze in den Dimensionen. Ich denke, du kannst verstehen, dass ich Kamura da lieber zu Hause hätte, auch dann, wenn du keine Kinder hast.“ „Das kann ich, Kamurus.“, bestätigte Scotty. „Und ich denke, der Grund, aus dem du und Kamura noch nich’ aufgebrochen seid, is’ Meroola, nich’ wahr?“ „Das stimmt.“, sagte Ginallas Schiff. „Sie will nämlich ehrlich werden. Wie Ginalla auch ist sie eine ehemalige Kriminelle. Ich werde Kamura helfen, ihr dabei zu helfen und wie es aussieht, werden wir wohl bald dazu eine Gelegenheit bekommen.“ „Das denke ich auch…“, sagte Scotty. „Die Sonnen und die Dimensionen machen das, was sie tun, ja sicher nich’ aus Jux und Tollerei! Das muss ja irgendwo ’ne Ursache haben! Ich wette mit dir, da steckt Sytania hinter.“ „Dessen bin ich nicht so sicher.“, sagte Kamurus. „Sie wird mitgeholfen haben, aber meinen Berechnungen nach hätte sie niemals die Macht, eine solch massive Veränderung allein herbeizuführen. Sie muss sich mit einem weitaus mächtigeren Wesen verbündet haben, das sogar mächtiger ist als ihr Vater. Anders ließe sich meiner Meinung nach nicht erklären, warum er nicht eingegriffen hat, um das, was auch immer auf uns zukommen mag, zu verhindern. Ich bin überzeugt, wenn Logar könnte, dann würde er das Ende aller Welten verhindern, zu dem es zwangsläufig kommen wird, wenn die Lage so bleibt oder sich sogar noch verschlimmert, wovon meinen Berechnungen nach auszugehen ist.“ „Das sind ja ’n paar ziemlich schwarze Wolken, die du da an den Horizont malst, Kamurus.“, sagte Scotty. „Aber ich bin mir sicher, du hast einen ganz entscheidenden Faktor nich’ berücksichtigt, nämlich uns! Wir sollten alle mal wieder die Köpfe zusammenstecken, finde ich.“ „Vielleicht können wir da ja was drehen. Ich jedenfalls werde mich nich’ so einfach von Sytania umbringen lassen und ich denke, die zwei netten Damen hier sind auch meiner Meinung! Habe ich Recht, Ladies?!“ Ginalla und Meroola nickten ihm zu und klatschten in die Hände. „Na also.“, sagte Scotty. „Dann sind wir uns ja alle einig! Vertrau uns ruhig, Kamurus! Wir werden uns schon etwas einfallen lassen!“ Dann sah er Ginalla an, die ihm nur zunickte und auf die 88-Taste deutete, die Scotty dann auch betätigte.

Sie drehte sich dem älteren Terraner mit einem spitzbübischen Grinsen zu: „Ich nehme an, du weißt schon, wie wir jetzt vorgehen werden.“ „Oh ja!“, sagte Scotty fest. „Zuerst reden wir mal mit Jenn’, denke ich. Die versteht mehr von interdimensionalen Zusammenhängen und interdimensionaler Physik als wir alle zusammen. Außerdem kann ich mir nich’ vorstellen, dass die Tindaraner in so ’ner Situation untätig die Hände in den Schoß legen!“ „OK.“, sagte Ginalla. „Ich nehme an, du kennst ihr Rufzeichen auswendig?“ Scotty nickte. Dann sagte er flapsig: „Stück mal ’n Rutsch und lass mich ran da, denn ich will ja!“ Ginalla grinste und tat, wozu sie gerade aufgefordert worden war.

Jenna lag in ihrem Bett in ihrem und Jorans Quartier auf Zirells Basis. Sie hatte allerdings noch immer den Neurokoppler auf, was IDUSA veranlasst hatte, ihre Reaktionstabelle noch nicht zu löschen, wie es die tindaranischen Protokolle verlangten. Deshalb konnte sie auch noch immer den Avatar vor ihrem geistigen Auge sehen, der ihr auch Scottys Ruf mitteilte.

McKnight setzte sich auf und zog die Decke um sich. Dann sagte sie: „Stell ihn durch, IDUSA!“, „Wäre es nicht besser, ich würde Techniker Scott noch eine Weile bei Laune halten, während Sie Ihre Uniform wieder anlegen, Jenna?“, fragte der Rechner, den ihr Befehl wohl etwas irritiert hatte, weil er von den bekannten Schemata abwich. IDUSA war es gewohnt, dass alle biologischen Wesen in ihrer Umgebung zuerst genau das verlangten und sich dann verschämt umzogen, bevor sie ein Gespräch entgegennahmen. „Nein.“, sagte Jenna ruhig. „Er kann mir schon nichts wegschauen. Ich bin ja nicht nackt und er ist ja ein Kollege und kein Präsident oder ein anderer Offizier mit höherem Rang als ich. Also gib ihn mir schon!“ „Wie Sie wünschen.“, sagte der Stationsrechner. Dann wich ihr Avatar vor Jennas geistigem Auge einige Schritte zurück und gab Scotty Raum, der sich ihr jetzt in mitten seiner Freundinnen zeigte. Die Kamera von Ginallas Sprechgerät musste eine sehr gute Auflösung haben.

„Hi, Jenn’.“, flapste er ihr zu, deren Bild er jetzt auch auf dem Schirm sehen konnte. „Scotty!“, erwiderte die hoch intelligente Halbschottin überrascht, denn sie hatte lange nichts mehr von ihm gehört. „Was verschafft mir die Ehre? Wie geht es dir und was machst du bei Ginalla und vor allem …“

Ihr Blick hatte den rechten unteren Bildrand gestreift, an dem sie Meroola ansichtig geworden war. Sie und Meroola kannten sich, denn die Beiden hatten während des kurzen Aufenthalts des Mischlings in Zirells Heimatdimension oft und erfolgreich zusammengearbeitet. Jenna hatte allerdings nicht damit gerechnet, sie jemals wiederzusehen. Sie beschloss daher, sich direkt an sie zu wenden: „Was tust du auf Celsius, Meroola? Ich dachte, du wärst sehr glücklich mit deinem Joran in der Paralleldimension, in der …“ „Mein Joran ist tot, Jenna!“, fuhr ihr Meroola dazwischen. „Oh das tut mir leid.“, sagte Jenna mit gesenkter Stimme. „Schon gut.“, sagte Meroola, der gerade klar geworden war, dass auch sie sich wohl etwas im Ton vergriffen hatte. „Aber wir haben keine Zeit, über meine private Tragödie zu reden.“ Sie gab Scotty das Mikrofon zurück. „Jenn’?“, fragte der Schotte. „Wie is’ das Wetter denn so auf Tindara?“

Die hoch intelligente Halbschottin überlegte eine kurze Weile. Sie war im ersten Moment sehr über Scottys Frage überrascht gewesen. Dann aber hatte sie recht schnell den Code verstanden, der seiner Frage zugrunde lag. „Ich weiß, worauf du hinauswillst, Scotty.“, sagte sie. „Wir haben auch diverse Dinge beobachtet, die mich glauben lassen, dass sich die Kräfteverhältnisse in allen Dimensionen zugleich massiv verschieben! Wir haben eine Menge Daten zu dem Thema gesammelt, aber ich weiß nicht, in wie weit ich mich zum jetzigen Zeitpunkt mit dir darüber austauschen darf. Aber ich rede morgen früh gleich mit Zirell und Maron. Das Problem ist, dass du als Zivilist giltst, weil du jetzt ja nicht mehr für die Sternenflotte, sondern für ein ziviles Unternehmen arbeitest. Zirell hat dir bisher aber immer vertraut und ich denke, sie wird es auch dieses Mal tun. Es wird mit Sicherheit eine Zusammenarbeit geben auf die eine oder andere Weise. Bitte verlass dich auf mich.“ „OK, Jenn’.“, sagte Scotty und beendete das Gespräch. Viel hatte ihm das Gespräch mit ihr ja nicht gebracht, aber ihre Zusicherung war immerhin etwas. Er wusste, dass er ihr in dieser Hinsicht unbedingt vertrauen konnte.

Enttäuscht waren Meroola und Ginalla von ihren Plätzen aufgestanden. „Ich hätte nich’ gedacht, dass Jenna sich so ziert.“, sagte Ginalla. „Von Maron bin ich das ja schon gewohnt. Der traut mir ja keinen Deut über den Weg. Aber Jenna?“ „Sie kann nich’ anders.“, sagte Scotty, der sich jetzt sehr gut an die Zeit erinnerte, in der er, als Offizier der Sternenflotte, selbst einige Male ein Geheimnisträger gewesen war und sich sehr gut denken konnte, dass dies teilweise Dinge waren, die in den Händen von Zivilisten zur Zeitbombe werden konnten und eine Massenpanik ausgelöst hätten, wären sie bekannt geworden und dann womöglich noch falsch weitergegeben worden. Dieses Wissen hatte er seinen Freundinnen zweifelsfrei voraus.

Er wandte sich Ginalla zu: „Du solltest dir nich’ immer Schuhe anziehen, die dir nich’ passen. Das is’ total ungesund!“ „Kannst du mir dann mal verraten, warum Jenna uns so abblockt?“, fragte sie. „Ja, das kann ich!“, sagte Scotty fest. „Und das hat definitiv nix mit dir zu tun oder mit deiner ja ach so kriminellen Vergangenheit! Manchmal habe ich das Gefühl, du gefällst dir so richtig in der Rolle des armen Opfers der Gesellschaft! Aber hast du schon mal drüber nachgedacht, dass es auch noch andere Gründe geben könnte, he?! Die Welt dreht sich nämlich nich’ nur um Ginalla!“

Das hatte gesessen! Sie wusste genau, wie Recht er damit gehabt hatte. Schließlich hatten sich Maron und Co. ja auch immer bei ihr entschuldigt, wenn sie mal nicht beachtet worden war, oder ihre Theorien unter den Tisch gefallen waren, nur weil man einen kriminellen Hintergrund vermutet hatte, oder die Situation hatte sich am Ende als ganz anders entpuppt. „Tut mir leid.“, sagte Ginalla kleinlaut. „Aber du weißt doch, dass ich mein Herz auf der Zunge trage.“ „Das weiß ich.“, sagte Scotty. „Mir geht es ja ähnlich. Aber deshalb müssen wir umso genauer darauf achten, was wir sagen, damit wir unsere Freunde nich’ vor den Kopf stoßen. Jenn’ hat sich uns ja nich’ komplett verweigert, soweit ich das verstanden habe. Sie will ja alles versuchen, um eine Zusammenarbeit möglich zu machen, auch wenn ihr beide Zivilistinnen seid. Meroola, sie hat ja angedeutet, dass ihr euch auch kennt. Ich sehe das schon mal als Pluspunkt an.“ „Ich auch.“, erwiderte die Angesprochene. „Und wir alle kennen ja Jenn’. Sie ist sicher schlau genug, um Zirell und Maron zu überzeugen.“

„Na gut.“, sagte Ginalla. „Heute kommen wir wohl nich’ mehr weit. Also dann! Lasst uns schlafen gehen! Morgen is’ ja auch noch ’n Tag.“ „Wenn unsere Welt bis dahin noch existiert?“, sagte Meroola scherzend. „Oh das wird sie!“, versicherte Scotty. „Sonst hätte Jenn’ schon viel heftiger interveniert. Aber wenn sie sich selbst auch noch Zeit gibt bis morgen, dann kann es ja noch nich’ so schlimm sein.“ „Na, OK.“, sagte Ginalla. „Aber du solltest heute hierbleiben, Scotty, damit wir dich morgen gleich in Reichweite haben.“ „Geht klar.“, sagte mein Mann. „Ab morgen habe ich eh Urlaub.“ Dann wünschten sich alle noch eine gute Nacht und Ginalla begleitete Meroola und Scotty noch hoch zu ihren Zimmern.

Kapitel 50: Ein traumhafter Durchbruch

von Visitor

 

Jenna hatte sich nach dem Beenden des Gespräches mit Scotty wieder hingelegt, nachdem sie die Decke ausgebreitet hatte, wie sie es immer tat, wenn sie ins Bett ging. Sie wusste, dass Joran bald mit dem Fütterungsritual fertig sein musste, das er in Absprache mit ihr immer im ungenutzten Kinder-, beziehungsweise Gästezimmer, durchführte. Dann, wenn er zurückgekehrt war, hatte sie meistens schon geschlafen und diesen Eindruck wollte sie ihm auch jetzt vermitteln. Von dem Gespräch zwischen Scotty und ihr sollte er noch nichts wissen. Wenn es aber wirklich nicht zu vermeiden wäre, dann würde sie es ihm wohl oder übel sagen müssen, denn ihre Beziehung basierte auf Ehrlichkeit und deshalb wäre es nicht gut gewesen, wenn sie ihn anlügen würde.

Die einzige, die wusste, dass Jenna noch nicht schlief, war IDUSA. Die Technikerin hatte auch jetzt den Neurokoppler nicht abgelegt, was den Rechner auch sehr irritierte. „Sie haben den Neurokoppler noch nicht abgelegt, Jenna.“, machte sie McKnight aufmerksam. „Das stimmt.“, sagte diese. „Aber das bedeutet ja, dass Sie auch im Schlaf mit mir verbunden bleiben wollen. Aber was für einen Sinn hat das?“ „Ich möchte, dass du meine Reaktionstabelle auf meine REM-Schlaf-Frequenz herunterrechnest und meine Träume aufzeichnest, IDUSA. Ich träume seit einigen Nächten immer das Gleiche und möchte, dass du es in eine Simulation einbettest, die sich Maron und ich dann in der Kammer ansehen. Gestatte den Zugriff nur Maron und mir!“ „Also gut, Jenna.“, sagte der Rechner. „Obwohl Ihre Befehle sehr ungewöhnlich sind. Normalerweise betrachten die meisten biologischen Wesen ihre Träume als ihre allerhöchste Privatsphäre und würden einem Computer wie mir nie gestatten …“ „Aber ich gestatte es dir, IDUSA!“, unterbrach Jenna sie fest. „Glaub mir! Es ist alles in Ordnung! Wenn du das träumen würdest, was ich seit kurzem Nacht für Nacht träume, dann würdest du auch zu ungewöhnlichen Mitteln greifen!“ „Na ja.“, sagte IDUSA. „Ich würde Sie auf jeden Fall erst einmal um eine Analyse meiner Systeme bitten.“ „Siehst du.“, sagte Jenna. „Und genauso etwas habe ich auch vor.“ „Wäre nicht Ishan dafür der bessere Partner?“, fragte der Rechner. „Seine Ausbildung enthält auch einen psychologischen Teil.“ „Oh nein.“, sagte Jenna. „Ich habe meine Gründe, aus denen ich Maron und nicht Ishan gewählt habe. Es geht nämlich nicht um meinen Geisteszustand, sondern um Inhalte. Ich glaube, Maron und ich haben, als er mich neulich bat, auf Grandemoughts persönliche Erinnerungen zuzugreifen, die er in mir hinterlassen hat, etwas bei mir ausgelöst.“ „Verstehe.“, sagte IDUSA. „Also gut, Jenna. Ich werde Ihre Träume aufzeichnen und eine Simulation erstellen.“

Nach erfolgreicher Durchführung des Fütterungsrituals war Joran zu ihr zurückgekehrt und hatte sie beobachtet. Das hatte er immer getan. Es war quasi seine eigene Belohnung gewesen, sie schlafend zu sehen. Er empfand dies als den schönsten Anblick, den er je gesehen hatte. Da Vendar den Ruf hatten, alles etwas intensiver zu gestalten, gestaltete er wohl auch seine Liebe zu Jenna etwas intensiver, was darin gipfelte. Er wusste ja nicht, dass sie sich dieses Mal nur schlafend stellte. Aber auch sie genoss seine Blicke. Deshalb hatte Jenna beschlossen, zunächst still dazuliegen und nichts zu sagen. Das würde sie ebenfalls nur dann tun, wenn es nicht anders ging.

So leise er nur konnte, entledigte sich Joran seiner Uniform und ging, oder besser gesagt schlich, ins Bad. Wenig später kam er genauso leise zurück und legte sich sehr vorsichtig auf die Matratze neben Jenna. So vorsichtig, dass es für sie, die ihm heimlich durch einen winzigen Spalt zwischen den Liedern ihres rechten Auges hindurch zugesehen hatte, fast aussah, als dachte er, dass die Matratze aus zarten Pflänzchen bestünde, die er auf keinen Fall mit seinem Gewicht brechen durfte, weil ihm sonst der Tod bevorstand.

McKnight beschloss, ihren Freund aus seinem Martyrium zu erlösen. Zu viel Mitleid hatte sie mit ihm, als dass sie sich dies noch hätte länger ansehen können. Sie drehte sich also um und sagte leise und sehr tröstend: „Ich bin wach.“

Sofort erstarrte Joran in seiner Bewegung. Das hatte zur Folge, dass er halb sitzend und halb liegend mit dem Kopf in der Luft wie ein halb sitzendes Denkmal aussah. Jenna, die so etwas bei ihm noch nie gesehen hatte, musste schmunzeln. Dann fragte sie: „Ist alles bei dir in Ordnung?“

Joran schmolz nur langsam aus seiner Erstarrung. Dann legte er seinen Kopf erleichtert auf sein Kissen und seufzte. Jetzt war es Jenna, die ihn betrachtete. „Na, ich denke, wir sollten mal ein leichtes Thema zum Einstieg wählen.“, sagte sie. Ihr war klar, wie sehr sie ihn erschreckt haben musste und sie war sofort bestrebt, diesen Umstand wieder zu ändern. „Wie lief es mit der Fütterung deines Feldes?“, fragte sie schließlich. „Es lief sehr gut, Telshanach.“, sagte Joran und schaute zufrieden. „Aber ich habe den Eindruck, dass es nicht wirklich das ist, was du wissen willst.“ „Das stimmt schon.“, sagte Jenna, die sich jetzt etwas ertappt fühlte. „Eigentlich möchte ich wissen, ob du jede Nacht so etwas hier veranstaltest.“ „Das Fütterungsritual?“, fragte Joran unschuldig. „Natürlich tue ich das jetzt jeden Abend, Telshanach. Das muss ich tun, solange ich ein Feld trage, sonst verliere ich es, wenn ich es nicht regelmäßig …“ „Bitte hör auf, mich zu veralbern.“, lachte Jenna, die im gleichen Moment wieder an das Bild von vorhin denken musste. Der Gedanke daran ließ sie verschmitzt grinsen. „Ich rede von dem Ritual, das du hier jeden Abend vollführst, wenn du schlafen gehst. Sieht das immer so aus? Warum machst du das?“ „Ich tue das, um dich nicht zu wecken, Telshanach.“, sagte Joran sehr zärtlich. „Normalerweise schläfst du ja schon, wenn ich herkomme und dann möchte ich dich nicht aus deinen süßen Träumen holen. Du und ich, wir haben ja meistens gleich am nächsten Tag wieder Dienst und müssen ausgeschlafen sein. Deshalb hat es mich auch so erschreckt, dass du offensichtlich heute noch wach bist.“ „Oh ich wurde aufgehalten.“, sagte Jenna. „Aufgehalten!“, lachte Joran. „Bitte zeig mir denjenigen, der es schafft, die kluge und schöne Jenna McKnight aufzuhalten, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat!“

Jenna überlegte. Jetzt war genau der Fall eingetreten, bei dem sie ihm doch die Wahrheit erzählen würde. Jetzt kam sie nicht mehr drum herum. Das ahnte sie. „Er heißt Montgomery Scott und lebt auf Celsius.“, sagte Jenna. „Ah ja.“, sagte Joran. „Und was hatte Scotty El Celsius mit dir zu besprechen? Ich nehme an, es war etwas Berufliches. Schließlich seid ihr beide Techniker.“ „In der Tat, wie du sagen würdest.“, sagte Jenna. „Es ging um die Ladungsverschiebung. Er hat auch schon was gemerkt. Morgen rede ich mit Zirell und Maron. Sie sollen mir sagen, ob wir uns mit ihm austauschen werden.“ „Es wäre klug von Anführerin Zirell und Maron El Demeta, ja zu sagen, findest du nicht, Telshanach?“, fragte der sehr vernünftige Vendar. „Unsere Zusammenarbeit mit Scotty El Celsius war ja immer sehr fruchtbar und …“ „Genau das Argument werde ich morgen benutzen, Joran.“, sagte Jenna. „Darüber habe ich längst nachgedacht. Aber jetzt lass uns bitte schlafen. Morgen ist schließlich auch noch ein langer Tag.“ „Also gut, Telshanach.“, sagte Joran und befahl IDUSA per Computermikrofon, das Licht zu löschen. Dann drehte er sich noch einmal zu Jenna und küsste sie zärtlich: „Gute Nacht, Telshanach.“ „Die wünsche ich dir auch, Telshan.“, flüsterte Jenna ebenso zärtlich und war auf der Stelle eingeschlafen.

Joran aber konnte noch nicht schlafen. Zu viel ging ihm im Kopf herum. Außerdem hatte er auch den Neurokoppler auf Jennas Kopf gesehen. Dieser Umstand gab ihm einige Rätsel auf, die er unbedingt lösen wollte.

Er beschloss also, sie weiter zu beobachten, zumindest solange ihm das noch möglich war, bevor die Müdigkeit auch ihn übermannen würde, aber das, was er dort sah und vor allem das, was er hörte, trug nicht gerade zur Lösung der gerade erwähnten Rätsel bei. Im Gegenteil, es förderte nur noch mehr von ihnen zutage.

Jenna hatte begonnen zu blinzeln. Das sah Joran jetzt sehr genau. Ihre Augen hatten sich zuerst langsam und dann immer schneller bewegt. Auch ohne einen Erfasser wusste der Vendar jetzt, dass ihre Traumphase begonnen hatte. Er war sehr neugierig darauf, was das Ganze wohl am Ende bedeuten würde. Warum hatte sie immer noch Verbindung mit IDUSA haben wollen, was der aktive Neurokoppler vermuten ließ und was war es wohl, das sie jetzt sah. Joran konnte sich die Situation nicht wirklich erklären, aber noch merkwürdiger fand er, was sie jetzt tat. Sie hatte nämlich begonnen zu sprechen. Dabei sprach sie kein Englisch, sondern etwas, das für das geschulte Ohr des Vendar wie Altzeitländisch klang. Joran war überzeugt, Jenna konnte diese Sprache nicht, aber Grandemought, der Mächtige, der schon mehrere Male ihren Körper aufgesucht hatte, konnte sie, denn es war ja seine Muttersprache gewesen. Da die Vendar seit jeher den Mächtigen, also auch den zeitländischen Herrschern, gedient hatten, war dieses Wissen für Joran nichts Außergewöhnliches.

Er hatte Jenna jetzt schon mehrere Minuten beobachtet und gesehen, dass die Dinge, die sie dort wohl sah, sie emotional sehr mitnehmen mussten. Dabei war er sich aber nicht sicher, ob das wirklich ihre Gefühle waren, die sich im Ausdruck ihres Gesichts und in ihrer leichten Bewegung widerspiegelten, oder ob es die von Grandemought waren, die er zu dem Zeitpunkt gehabt hatte, als er das erlebt hatte, was Jenna jetzt in ihren Träumen durchlebte. Er wusste, dass sie und Grandemought eine sehr vertrauensvolle Beziehung hatten und sehr gut zusammenarbeiteten, wenn er ihren Körper aufsuchte, um die Tindaraner um dies oder jenes zu bitten oder dieses oder jenes Schicksal abzuwenden. Grandemought und Jenna waren eine fast freundschaftliche Bindung eingegangen. Dass sie also mit ihm fühlte, war für Joran deshalb kein Wunder.

Er überlegte, ob er sie wecken sollte, falls der Stress für sie zu groß werden sollte, aber dann dachte er sich, dass eine solche Maßnahme unter Umständen alles zerstören könnte. Sie würde ihre Gründe für dieses Verhalten haben und er musste, so sehr er sie auch liebte und nicht wollte, dass ihr etwas geschah, wohl oder übel damit klarkommen, dass sie sich freiwillig in diese Situation begeben hatte. Da Joran die Diskussion zwischen ihr und IDUSA nicht mitbekommen hatte, wusste er nicht, was sie damit tatsächlich bezweckte, aber er dachte sich schon, dass IDUSA ihre Träume aufzeichnen sollte. So hatte er zumindest für den aktiven Neurokoppler auf ihrem Kopf eine Erklärung. Alles andere jedoch blieb für ihn noch immer im Dunkeln.

Er lauschte intensiver. In den Genen der Vendar, mit denen ihre mächtigen Gebieter im Laufe der Jahrtausende herumexperimentiert hatten, um sich die perfekten Telepathenjäger zu züchten, war die Fähigkeit verborgen, die alten Sprachen der Mächtigen zu verstehen. Das wusste er. Tatsächlich gelang es ihm nach einer Weile, Teile dessen, was Jenna im Schlaf vor sich hinmurmelte, zumindest in Ansätzen zu verstehen. Offensichtlich kannten sich Grandemought und das Einhorn Invictus, sowie dessen Partnerin Valora. Er konnte zumindest herleiten, dass Invictus Grandemought über etwas sein Leid klagte, das in ferner Zukunft passieren würde. Joran wusste ja, dass die Mächtigen Zeitlands auch die Fähigkeit hatten, in die Zukunft zu sehen und die Einhörner erst Recht. Mehr zu verstehen war ihm aber nicht wirklich möglich, denn Jennas Stimme hatte einen starken schottischen Akzent in die altzeitländischen Worte gelegt, was es ihm noch erschwerte. Außerdem war er mit seiner Fähigkeit, sich zu konzentrieren, auch langsam am Ende. Das gerade durchgeführte Fütterungsritual und auch die gerade vollbrachte mentale Anstrengung forderten schließlich ihren Tribut. Er fiel einfach so in die Kissen und seine Augen fielen zu, ohne dass er sich noch großartig dagegen wehren konnte.

Mitten in der Nacht war Jenna aus jenem langen und sehr intensiven Traum erwacht. Sofort stand sie auf und tastete nach ihrem Sprechgerät, das sie in weiser Voraussicht auf dem Nachttisch abgelegt hatte. Dann steckte sie es ein und stand auf, um sich wieder ihre Uniform anzuziehen. Das einzige Licht, das sie dabei zur Verfügung hatte, war das Display ihres Sprechgerätes, aber das reichte ihr wohl. Jedenfalls war sie sehr bemüht, unnötige Lichtquellen zu vermeiden, damit Joran nicht erwachen würde.

Sie hatte den Neurokoppler ebenfalls abgezogen und in einen Port an ihrem Sprechgerät gesteckt, als sie das Quartier leise wie eine Katze verließ. Erst auf dem Flur gab sie das Rufzeichen des Rechners per Gedankenbefehl in das Gerät ein. Da dessen Software IDUSA auch mitgeteilt hatte, dass sie den Neurokoppler trug, zeigte sich der Avatar des Rechners bald vor ihrem geistigen Auge. „Verständige Agent Maron!“, befahl Jenna im Flüsterton. „Sag ihm, ich sei auf dem Weg zu ihm!“ „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA. „Aber ich wollte ohnehin noch eine Frage an Sie loswerden. Wie Sie es mir befohlen haben, hatte ich Ihre Träume aufgezeichnet. Dabei ist mir aber aufgefallen, dass Sie die ganze Zeit über eine Sprache gesprochen haben, die der Agent wohl nicht verstehen dürfte. Ich habe sie aber durchaus in meiner Datenbank und könnte Grandemoughts und Invictus‘ Unterhaltung ins Englische übersetzen. Darf ich?“ „Natürlich darfst du das, IDUSA.“, sagte Jenna. „Sonst dürfte der Agent ziemlich aufgeschmissen sein.“ „Also gut.“, sagte der Rechner. „Dann werde ich diese Änderungen jetzt in die Simulation einfügen.“ „Tu das.“, sagte Jenna.

Maron war von IDUSAs Versuchen, ihn aus seinen schönsten Träumen zu holen, nicht gerade begeistert gewesen. Dem Demetaner war zwar erst nur sehr langsam bewusst geworden, was dort in seinem Quartier gerade ablief, trotzdem hatte er sich gewünscht, es wäre niemals dazu gekommen, dass IDUSA jetzt sämtliche Lichter aufblinken und die Sprechanlage mit voller Lautstärke in allen Räumen piepen ließ, um ihn zu wecken.

Schwerfällig wälzte sich der Agent aus seinem Bett und tastete auf dem Nachttisch nach seinem Neurokoppler, den er nicht sofort fand. IDUSA, deren Sensoren es nicht verborgen geblieben war, dass er erwacht war, riet ihm daraufhin nur per Lautsprecher: „Sie können auch für den Anfang das Mikrofon benutzen, Agent.“ „Vielen Dank, IDUSA.“, sagte Maron, der den Koppler inzwischen doch gefunden und angeschlossen hatte. „Aber ich bevorzuge lieber die direkte Kommunikation mit dir.“

Der Avatar des Stationsrechners zeigte sich ihm. „Was gibt es denn so Dringendes?“, fragte Maron. „Warum weckst du mich?“ „Techniker McKnight ist auf dem Weg zu Ihnen, Agent.“, antwortete der tindaranische Computer. „Sie hat ein sehr merkwürdiges Verhalten gezeigt, wenn Sie mich fragen. Sie möchte, dass Sie gemeinsam mit ihr eine Simulation besuchen, die ich aus ihren Träumen erstellen musste.“ „Das stimmt.“, bestätigte der ausgebildete Spionageoffizier. „Das ist wirklich merkwürdig. Die meisten Leute würden nicht einmal einem Telepathen Zugriff auf ihre Träume gestatten und McKnight tut das freiwillig, obwohl ich sozusagen ein Staatsorgan bin und Träume doch an sich etwas hoch Privates sind. Aber sie wird ihre Gründe haben, denke ich. Also gut, IDUSA. Ich werde mich jetzt umziehen und dann werden wir auf sie warten. Sie soll mir selbst berichten, was sie zu so einer Entscheidung bewogen hat.“ „In Ordnung, Agent.“, nickte der Avatar vor Marons geistigem Auge.

Der Agent nahm den Neurokoppler wieder ab und ging ins Bad. Danach zog er sich seine Uniform an, machte sein Bett in aller Schnelle und setzte sich dann wartend auf die Decke. Auch den Neurokoppler setzte er wieder auf. Das war ein eindeutiges Signal für IDUSA, seine Tabelle, die sie kurzzeitig gelöscht hatte, wieder in den Arbeitsspeicher zurückzuholen.

„Wo befindet sich McKnight jetzt, IDUSA?“, wollte Maron wissen. „Sie ist gerade in den Gang abgebogen, der direkt zu Ihrem Quartier führt, Agent.“, sagte der Rechner. „Soll ich die Tür öffnen, um sie einzulassen?“ „Nein, IDUSA.“, sagte Maron. „Wir sollten es meiner Ansicht nach nicht zu offensichtlich machen, dass ich weiß, dass und warum sie auf dem Weg zu mir ist. Lass Die Tür zunächst in dem Zustand, in dem sie jetzt ist.“ „Also gut.“, sagte IDUSA.

Jenna stand nun vor dem Quartier ihres Vorgesetzten und betätigte die Sprechanlage. Sie war allerdings sehr überrascht, die Stimme eines recht munteren Maron zu hören: „Ja, McKnight!“ „Woher wussten Sie, dass ich es bin?“, entgegnete eine sehr überraschte McKnight. „IDUSA hat Sie angekündigt, Techniker.“, sagte Maron. „Ich wollte von ihr wissen, warum sie mich mitten in der Nacht aus dem Schlaf reißt und …“ „Verstehe.“, sagte Jenna schnell. „Aber ich muss Ihnen dringend etwas in der Simulationskammer zeigen, Sir. Jetzt sind meine Erinnerungen an den Traum noch frisch und ich kann ihn vielleicht leichter interpretieren. Deshalb möchte ich ungern bis morgen warten.“ „Also gut.“, sagte Maron. „Ich komme heraus und dann sehen wir uns mal an, was Sie da geträumt haben, Techniker.“

Jenna sah, wie sich die Tür öffnete und Maron zu ihr auf den Flur trat. „Hier bin ich, McKnight.“, sagte der Erste Offizier. „Lassen Sie uns … Huch!?“

Er war eindeutig über etwas gestolpert. Was es war, konnte sie im Augenblick noch nicht sagen. Sie nahm aber durchaus wahr, dass er lange ihre Füße gemustert hatte. „Sind Sie etwa Barfuß, McKnight?“, fragte Maron schließlich mit viel Staunen in der Stimme. „Fast.“, bestätigte die hoch intelligente Halbschottin. „Ich trage nur Socken. So wollte ich verhindern, dass jemand wach wird, der nicht wach werden soll.“ „Also gut.“, sagte Maron. „Dann ziehe ich meine Schuhe auch aus.“

Er ging wieder hinein, um seine Schuhe ordentlich zu verstauen und kam dann wieder, ebenfalls auf Socken, zu ihr zurück. „Also gut, Jenna!“, sagte er dann sehr fest. „Lassen Sie uns schleichen!“ „OK, Sir.“, sagte McKnight und beide setzten sich in Richtung des Turbolifts in Bewegung, der sie zum Freizeitdeck der Station brachte, wo auch die Simulationskammern waren.

Hier waren sie auch bald angekommen und Jenna hatte alles für den Start des Programms vorbereitet. „Ich finde es ungewöhnlich, dass Sie mir Einblick in Ihre Träume gestatten, McKnight.“, sagte Maron, nachdem Jenna und er sich in Simulationskammer 1 auf die Sitze gesetzt und die Köpfe in die Mulden gelegt hatten. „Genau genommen.“, sagte Jenna. „Sind das wahrscheinlich noch nicht einmal meine Träume, Sir.“ „Das müssen Sie mir erklären, Jenna.“, sagte Maron. „Das hatte ich gerade vor.“, sagte Jenna. „Ich denke, dass ich in Wahrheit Grandemoughts persönliche Kindheitserinnerungen verarbeite, die er in mir hinterlassen hat. Ich glaube, als Sie mich vernommen haben, um zu erfahren, wer Sytanias neue Verbündete sein könnte, haben wir bei mir etwas ausgelöst und eine Tür aufgestoßen, von der wir jetzt nur noch ergründen müssen, wohin sie führt. Aber das mache ich auf keinen Fall ohne Sie, Agent, denn ich denke, diese Informationen könnten auch für Sie interessant werden, was Ihre Ermittlungen angeht.“ „Ah ja.“, sagte Maron. „Dann sollten wir so schnell wie möglich beginnen, denke ich.“ „Das denke ich auch.“, sagte Jenna. „Aber selbst ich weiß nicht so genau, auf was wir eventuell treffen könnten, Agent. Mir ist nämlich nicht ganz klar, wie IDUSA manche Dinge eventuell umgesetzt hat.“ „Das werden wir schon herausfinden!“, sagte der Demetaner zuversichtlich. „Starten sie jetzt das Programm!“ „Aye, Sir.“, sagte Jenna und gab IDUSA den nötigen Befehl.

Sie fanden sich in einem nächtlichen Mischwald wieder, in dem es so dunkel war, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Jenna aber schien genau zu wissen, wohin sie gehen mussten. „Bitte hier entlang, Agent!“, sagte sie zuversichtlich und ging einige Schritte voraus. „Warten Sie auf mich, McKnight!“, erwiderte Maron, der befürchten musste, dass er sie wohl verlieren könnte. „Ich habe Angst, mich hier zu verlaufen, so dunkel wie es ist. Bitte nehmen Sie meine Hand, damit wir uns nicht verlieren. Sie scheinen sich hier ja prima auszukennen im Gegensatz zu mir.“ „Also gut.“, sagte Jenna und tat, worum ihr Vorgesetzter sie gerade gebeten hatte.

Während sie dem ausgetretenen Trampelpfad weiter folgten versuchte Maron einen Weg zu finden, seine Augen schneller an diese Umgebung zu gewöhnen. Dafür versuchte er, einige Bäume zu fixieren und sie sich genauer anzusehen. Ihm fiel auf, dass es hier besonders viele Eichen zu geben schien. Das wies für ihn stark darauf hin, dass dieser Wald sehr alt sein musste. Der Wind, der von Zeit zu Zeit durch die Baumwipfel pfiff, machte kaum ein Geräusch, als wagte er es nicht, denn er wusste genau, dass etwas Großes passieren würde. Natürlich war das eine sehr irrationale Interpretation, für die sich Maron gleich wieder auf Demetanisch zurechtwies in der Hoffnung, McKnight würde ihn nicht verstehen. Aber er wusste, dass dies nicht von langer Dauer sein würde. Sie würde sich den Klang seiner Worte einprägen und dies später sicher IDUSA zur Aufgabe machen, wenn sie es unbedingt wissen wollte. Er ahnte, dass sie zu klug wäre, um dies einfach auf sich beruhen zu lassen. Sie würde schon einen Weg finden, an die Informationen zu gelangen, an die sie gelangen wollte.

Maron war aufgefallen, dass beide in der Simulation ihre Schuhe trugen. Angesichts des Gestrüpps auf dem Waldboden war das seiner Meinung nach aber auch besser so. Außerdem hatte er seine gesamte Ausrüstung bei sich. „Warum tragen wir Schuhe und warum habe ich meine gesamte mobile Ausrüstung dabei, Techniker?“, fragte er. „IDUSA wird das in weiser Voraussicht so eingefädelt haben, Agent.“, sagte Jenna. „Sie wird wissen warum.“ „Einen Teil kann ich mir schon denken.“, sagte Maron. „Wenn ich mir hier den Boden so ansehe, würde ich ihn nur ungern barfuß oder gar nur auf Socken betreten. Aber können Sie mir zufälligerweise sagen, wo wir uns befinden, Jenna?“ „Ein starkes Gefühl sagt mir, dass dies der Wald der Einhörner vor ca. 5000 Jahren sein muss, Sir.“

Maron spitzte leicht den Mund und tat, als würde er an einem Strohhalm ziehen. Dann sagte er: „Wir befinden uns offensichtlich im Frühling, McKnight.“ „Das stimmt.“, sagte Jenna. „Auch wenn die meisten Blumen ihre Blütenkelche geschlossen haben, weil es Nacht ist. Aber ich denke, ich habe einen Weg gefunden, Ihre Theorie zu verifizieren.“ Sie holte tief Luft und sagte dann fest: “IDUSA, alterieren!“ Befehlsgemäß fror das Programm ein. „IDUSA, stell Vergleiche mit bekannten Wäldern aus deiner Datenbank aufgrund der Berechnung der vorherrschenden klimatischen Bedingungen vor ca. 5000 Jahren an. Handelt es sich bei diesem Wald um den Wald der Einhörner im Dunklen Imperium?“ „Das ist korrekt, Jenna.“, sagte der Rechner gleichmütig. „Warum mussten Sie das fragen, Techniker?“, fragte Maron. „Ich dachte, Sie hätten dieses Programm erstellt und wüssten deshalb genau, wie der Hase läuft.“ „Da irren Sie sich leider, Sir.“, sagte McKnight. „Genau genommen hat IDUSA das Programm erstellt. Ich habe ihr nur die Daten geliefert. Das heißt, eigentlich war das ja auch nicht ich, sondern Grandemought. Er hat mich ja nur als Medium benutzt für …“ „Das ist mir alles im Moment zu hoch, Jenna.“, fiel ihr der Erste Offizier ins Wort. „Lassen Sie uns bitte weitermachen, bevor ich hier noch im Dreieck springe.“ „Also gut, Agent.“, lachte Jenna und befahl IDUSA: „Programm fortsetzen!“

Sie folgten dem Waldweg weiter und gelangten zu einer Rotbuche, vor der ein kleiner stämmiger Rappe angebunden stand. Das Pferd war ein Wallach, der ca. 1,64 m maß. Er trug goldenes Zaumzeug und einen mit Gold und Silber beschlagenen feinen Herrensattel, dessen Sitzfläche recht klein war, als wäre sie für das Becken eines feingliedrigen Knaben ausgerichtet. Maron schloss daraus, dass das Pferd und der Sattel wohl Grandemought gehören mussten, Aber um das zu bestätigen musste er den Sattel mit seinem Erfasser scannen. Langsam wurde ihm klar, warum er in diesem Programm seine Ausrüstung bei sich hatte.

„Jenna, helfen Sie mir!“, befahl der Erste Offizier in McKnights Richtung. „Als Jugendliche sind Sie selbst geritten, haben Sie mir einmal gesagt und uns oft genug Ihren Pferdeverstand bewiesen. Auch Grandemoughts Erinnerungen dürften dazu beitragen. Was muss ich beachten, damit ich ihn nicht erschrecke, wenn ich jetzt gleich an ihn herantrete, um den Sattel auf zeitländische DNS zu scannen. Er ist angebunden und dann kann selbst ein Fluchttier zu Verteidigungsmaßnahmen greifen, wenn es sich bedrängt fühlt und denen möchte ich, wenn ich mir seine Hufe so ansehe, ungern zum Opfer fallen. Ich bin ihm fremd. Er kennt mich nicht und wird daher nicht verstehen, was der komische Fremde mit dem komischen Ding von ihm will. Sie sagten einmal, für ein Fluchttier ist alles Fremde erst mal bedrohlich.“ „Dann würde ich den Umstand, dass Sie fremd sind, zunächst einmal ändern, Agent.“, sagte Jenna. „Gehen Sie einen Bogen und kommen Sie dann wieder auf ihn zu, so dass er Sie beriechen und auch Ihren Erfasser beschnuppern kann. Bei Pferden geht Freundschaft nämlich durch die Nase. Sprechen Sie ihn ruhig und freundlich an, damit er weiß, dass er keine Angst vor Ihnen haben muss. Am besten, Sie verwenden sogar seinen Namen. Er heißt Conan.“ „Woher wissen Sie das, McKnight.“, fragte Maron, korrigierte sich aber gleich wieder: „Ach ja. Grandemoughts Erinnerungen. Ich vergaß.“

Maron hob seinen Erfasser hoch und ging damit in die Richtung, die Jenna ihm angewiesen hatte. Dann streckte er seine freie Hand in Richtung der Nüstern des Pferdes aus und sagte leise und ruhig: „Hi, Conan. Ich bin Maron. Ich tue dir nichts. Ich will mir nur mal was ansehen. Das ist ein Erfasser. Der tut dir auch nichts. Der macht nur Geräusche. Pass auf!“ Maron ließ das Gerät einmal in die Luft scannen.

Conan drehte sich ihm zu und lauschte in die Richtung, aus der er die hochfrequenten Signale des Erfassers vernahm. Dann senkte er schmatzend den Kopf, schnupperte kurz gelassen in Marons Richtung und graste dann weiter. Dabei wackelte er mit den Ohren, an denen sich, wie an seinen Beinen auch, lange dicke Haarbüschel befanden. Das sah für Maron recht lustig aus und er fragte: „McKnight, was bedeutet das, wenn Pferde so mit den Ohren wackeln?“ Dann musste er laut lachen. „Sie sind erfreut oder positiv aufgeregt, Agent.“, sagte Jenna. „Aber das ist typisch Conan. Er fand das Leben immer schon nicht beängstigend, wie die meisten seiner Artgenossen, sondern alles Neue eher spannend. Das lag nicht zuletzt auch an seinem großen Vertrauen zu Grandemought.“ „Also gut.“, sagte Maron, ging zur Mitte von Conans Körper und scannte den Sattel.

Verwundert ließ er wenig später den Erfasser sinken. „Zeitländische männliche DNS eines pubertierenden Knaben.“, sagte er, nachdem er das Interpretationsprogramm seines Erfassers über die Daten geschickt hatte. „Aber hier im Dunklen Imperium?“ „Grandemought war ein Mächtiger, Sir.“, sagte McKnight. „Er konnte sich an jeden Ort teleportieren, an den er wollte.“ „Aber wozu brauchte er dann sein Pferd?“, fragte Maron. „Weil er eine falsche Spur legen musste.“, erinnerte sich Jenna und machte ein Gesicht, als wäre sie bei etwas ertappt worden. „Das sieht ja fast aus, als hätte er etwas Verbotenes getan.“, sagte der Agent. „Das hat er auch.“, bestätigte Jenna traurig.

Dem Demetaner war eine Reihe von kleinen Fußabdrücken aufgefallen, die von Conan wegführte. „Folgen Sie mir, McKnight!“, befahl er. „Nein!“, sagte Jenna fest. „Das ist die falsche Spur, die ich … die Grandemought gelegt hat!“

Sie deutete nach oben und im gleichen Moment zerriss der Ruf eines Adlers die Luft. Diesem folgte sie am Boden in entschlossenem Laufschritt. Maron folgte ihr zwar, hatte jedoch große Mühe, mit ihr mitzuhalten.

Wenig später waren sie dann auf einem Hügel angekommen. Von dem Vogel war weit und breit nichts mehr zu sehen, aber Maron sah einige heruntergetretene Äste, die aber nicht durch einen Vogel heruntergetreten worden sein konnten. Die Fläche war einfach zu groß dafür. Hier musste sich eindeutig ein Humanoider versteckt halten. „OK, McKnight.“, sagte Maron etwas außer Atem. „Ich stelle mir das so vor. Grandemought hat sich hierher begeben. Dann hat er eine falsche Spur gelegt und sich in einen Adler verwandelt, um am Boden keine weiteren Spuren zu hinterlassen. Erst in der Nähe seines Verstecks hat er die menschliche Gestalt wieder angenommen! War es so, McKnight?“ Jenna nickte. „Dann sollten wir jetzt aber schleunigst in Deckung gehen.“, sagte Maron. „Bevor uns Grandemought noch sieht.“ „Das Programm scheint im Zuschauermodus zu laufen, Sir.“, beruhigte ihn Jenna. „Ich denke, dass unsere Fähigkeit, mit den Akteuren zu interagieren, sehr begrenzt ist. Das war IDUSAs Absicht, denke ich, damit wir die Situation nicht allzu sehr verändern und sie authentisch bleibt.“ „Sie meinen also, er würde gar nicht auf uns reagieren?“, fragte der Demetaner. Wieder nickte Jenna.

Aus einem Gebüsch in ihrer Nähe kam ein kleiner feingliedriger Junge hervor, den Maron mit seinem geschulten kriminalistischen Blick auf nicht älter als 16 Jahre schätzte. Er war ca. 1,66 m groß und hatte kurze schwarze Haare. Seine Kleidung war hochherrschaftlich. Maron erkannte einen zeitländischen Prinzenumhang. Er schien sich immer wieder umzusehen. Das wies Maron darauf hin, dass er sehr nervös sein musste. Obwohl sich seine und die Augen von Jenna und Maron einige Male begegnet waren, schien er sie nicht gesehen zu haben. „Ich denke, Sie werden Recht haben mit dem Zuschauermodus, Techniker.“, sagte Maron. „Grandemought scheint tatsächlich gar nicht auf uns zu reagieren.“

Schellengeläute und ein schneller Hufschlag zerrissen die Stille des nächtlichen Waldes. Dann sahen Maron und Jenna ein Einhorn, das auf sie zu galoppierte. Es war ein halbstarker Hengst. Das konnten beide gut sehen. „Invictus.“, flüsterte Jenna Maron zu, mit dem sie sich hinter eine dicke Eiche in Deckung begeben hatte. „Auch er ist nervös. Betrachten Sie bitte sein Ohren- und Nüsternspiel, Agent. Ich denke, er musste sich auch wegschleichen.“ „Was wird das nur, McKnight?!“, fragte Maron aufgeregt. „Ein zeitländischer Mächtiger im Jugendalter und ein Einhorn im Jugendalter, die gleich gemeinsam etwas Verbotenes tun wollen. Was passiert hier?!“ „Ich denke, das werden wir bald sehen, Sir.“, flüsterte McKnight ihrem hoch aufgeregten Vorgesetzten zu. Dann legte sie den Finger an die Lippen, um ihn zum Schweigen aufzufordern, denn jetzt wurde es langsam spannend.

Langsam ging Grandemought auf Invictus zu und strich ihm über das Fell. Dann sagte er: „Ich bin hier, mein Freund.“ Oh, Grandemought!, kam es telepathisch von Invictus zurück. Diese Vision! Diese schreckliche Vision! Sie peinigt mich immer noch! Wenn wir uns weiterhin nur unter Mächtigen vermehren, dann werden wir irgendwann die Dimensionen zerstören, weil sie uns egal werden und die Sterblichen mit ihnen! Das darf nicht geschehen, Grandemought! Das darf nicht geschehen! Was können wir nur tun, um sie zu erhalten und sie nicht unserer Überheblichkeit preiszugeben?! Was können wir nur tun?! „Darüber habe ich lange nachgedacht.“, sagte Grandemought. „Und meiner Meinung nach bleibt dafür nur eine Lösung! Wir müssen von Zeit zu Zeit das Undenkbare tun, um unsere Kinder daran zu erinnern, wie vorsichtig sie mit den Sterblichen und der Natur sein müssen. Das erreichen wir nur, indem wir uns von Zeit zu Zeit mit Sterblichen paaren. Ich weiß, dass dies als Frevel bei uns gilt, aber wenn wir die Dimensionen und uns selbst vor dem Verderben retten wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig. Du bist das mächtigste Wesen hier. Sollte deine Vision also eines Tages drohen wahr zu werden, dann erinnere dich bitte an meine Worte! Es ist die einzige Lösung, Invictus. Die Einzige! Ich habe in die Zukunft gesehen und dort hat sich mir das Gleiche offenbart wie dir!“ Vielen Dank, mein Freund., erwiderte Invictus erleichtert. Ich hoffe nur, dass ich den Mut dazu finde, dieses Jahrhunderte alte bisher eherne Gesetz zu brechen, wenn es Zeit dafür ist. „Das schaffst du!“, sagte Grandemought zuversichtlich. „Ich habe es gesehen!“ Dann lass uns hoffen, dass die von dir geschilderte Zukunft wahr wird., entgegnete das Einhorn und war in einem weißen Blitz verschwunden. In diesem Moment endete auch das Programm.

 

Kapitel 51: „Was nun, Agent Maron?“

von Visitor

 

Maron sah Jenna etwas verwirrt an, als er gemeinsam mit ihr wieder aus den Sitzen aufstand. „Augenblick mal, McKnight.“, sagte der Erste Offizier. „Wollen Sie mir damit etwa sagen, dass Grandemought Invictus geraten hat, sich von Zeit zu Zeit mit einer Sterblichen einzulassen, damit die Natur erhalten bleibt und nicht solchen Wesen wie Sytania zum Opfer fällt?“ „Offensichtlich ja, Agent.“, sagte Jenna. „Und ich fand das einen sehr schlauen Zug von ihm, wenn Sie mich fragen.“ „Das kann ich nur bestätigen, Techniker.“, sagte Maron. „Seine Kinder sollten also am eigenen Leib daran erinnert werden, wie vorsichtig man mit der Natur und ihren Lebewesen sein muss, damit nicht alles zusammenbricht und das erreicht man am besten, indem man eine Spur Verwundbarkeit in die eigene Familie einschleust. Ich würde das doch glatt als genial bezeichnen.“ „Ich auch.“, sagte Jenna. „Sie müssen das ja beurteilen können als jemand, die ebenfalls genial ist.“, sagte Maron. „Oh vielen Dank, Sir.“, sagte Jenna.

Sie verließen die Simulationskammer. An der stärkeren Beleuchtung fiel Maron sofort auf, dass sich etwas geändert haben musste. Die Tagphase musste auf Zirells Basis längst wieder begonnen haben.

Er drehte sich dem nächsten Computermikrofon zu: „IDUSA, wie ist die aktuelle Tageszeit?“ „Es ist 07:30 Uhr tindaranischer Ortszeit.“, sagte der Rechner. „Ach du Schreck!“, entfuhr es Maron. „Ich muss meine Sachen holen und Sie auch, McKnight! Wir treffen uns dann am besten in der Kommandozentrale. Tun sie bitte, als sei nichts gewesen, ja?“ „Bei allem Respekt, Sir.“, lachte Jenna, der seine Reaktion so vorkam, als sei er ein Teenager, den man beim verbotenen Sex mit seiner Lehrerin erwischt hatte, oder Ähnliches. „Zirell muss wissen, was wir herausgefunden haben. Das bedeutet, es dürfte unmöglich sein, diese Nacht vor ihr zu verheimlichen. Aber wir haben doch auch nichts Böses getan. Im Gegenteil. Ich fand unsere Bemühungen sehr erfolgreich, sehr gut und sehr fruchtbar.“

Marons Gesicht wechselte die Farbe von leicht rot auf Tomatenrot und dann auf feuerrot. „Oh, Agent, es ist meine Ausdrucksweise, nicht wahr?“, fragte Jenna, sah ihn mitleidig an und strich ihm über die rechte Schulter. „Ich gebe ja zu, sie ist auch recht zweideutig, wenn man nicht genau weiß, was geschehen ist, aber wir wissen es doch besser, Sir.“ „Tun sie mir einen Gefallen, Techniker!“, zischte Maron. „Lassen Sie uns jetzt bitte nicht mehr davon reden, OK?!“ „Na gut.“, sagte Jenna. „Holen wir also ganz unschuldig unsere Sachen!“

Hiergeblieben, ihr Strauchdiebe! Eine bekannte telepathische Stimme in ihren Köpfen, dann ein weißer Blitz und genauso blitzartig breitete sich ein Netz aus Energie über sie, das sie vom Boden hob und sie erst vor seiner Schöpferin wieder absetzte. Irritiert sahen Maron und Jenna in Zirells Gesicht.

„Es ist nicht so, wie es aussieht, Kommandantin!“, sagte Maron sehr fest und sehr förmlich. „Ah, Kommandantin.“, lachte Zirell. „Hast du heute etwa deinen förmlichen Tag, Erster Offizier, hm?“ „Ja, den habe ich.“, überlegte Maron. „Das kommt bei mir alle paar Tage mal vor, weißt du?“ „Ach so.“, sagte Zirell immer noch lächelnd. „Aber da scheint es wohl noch ein paar Sachen zu geben, die auf meiner Station öfter mal so vorkommen, oder?“ „Wir wissen wirklich nicht, was du meinst, Zirell.“, sagte Jenna. „So, das wisst ihr also nicht.“, sagte Zirell. „Merkt euch bitte eines: Eine Telepathin kann man nicht belügen. Ich weiß genau, dass das recht harmlos war, was ihr da im Schilde geführt habt.“

Es gab einen erneuten weißen Blitz und der Energiekäfig um die Beiden löste sich auf. „So.“, sagte Zirell. „Nun bin ich euch entgegengekommen und nun solltet ihr mir aber auch verraten, was ihr die ganze Nacht so getrieben habt. Joran ist heute voller Sorge zum Dienst erschienen, Jenna. Er hat sich Sorgen um dich gemacht. Außerdem sagte Shannon, dass die gesamte Nacht über Simulationskammer eins aktiv war. Könnt ihr mir vielleicht mal verraten, was ihr da zusammen getrieben habt und warum ihr nur Socken an den Füßen tragt? Wo sind eure Schuhe?“ „Die wollten wir gerade holen.“, sagte Maron. „Aber dann hast du uns ja mit deinem unfairen Lasso-Trick eingefangen.“ „Oh, das tut mir aber leid.“, scherzte Zirell. „Aber was habt ihr denn da gemacht?“ „Du wirst es nicht für möglich halten, aber unser Aufenthalt dort war rein dienstlich.“, sagte Maron. „Wir wissen jetzt nämlich, warum sich der Hengst der Herde der Einhörner im Dunklen Imperium von Zeit zu Zeit einmal mit einer Sterblichen paart.“ „Faszinierend.“, sagte Zirell. „Und ihr habt hoffentlich die Güte, uns alle in dieses Geheimnis einzuweihen, oder?“ „Sicher.“, sagte Maron. „Wir holen nur unsere Sachen und kommen dann sofort in die Kommandozentrale zu dir und Joran, um euch zu informieren.“ „In Ordnung.“, sagte Zirell. „Dann werde ich dort auf euch warten.“ Sie drehte sich um und war wieder verschwunden.

„Also dann, McKnight.“, sagte Maron. „Versuchen wir es noch mal.“ „Sie meinen das mit dem Holen unserer Sachen, Sir?“, versicherte sich die Chefingenieurin. „Was denn sonst.“, sagte der Agent. „Aber vergessen Sie Ihre Schuhe nicht.“ „Keine Angst.“, sagte Jenna und grinste ihn an. „Ich bin eine Frau. Wir gehen niemals ohne schöne Schuhe aus dem Haus. Das ist uns in die Wiege gelegt worden.“ „Oh, Techniker.“, lachte Maron. „Ich wusste gar nicht, dass Sie so wunderbar Klischees dreschen können.“ „Tja, da guckt Mann erstaunt und Kerl wundert sich, nicht wahr?“, flapste Jenna. Dann trennten sich ihre Wege.

Zirell war inzwischen wieder in der Kommandozentrale eingetroffen. „Hast du meine Telshanach und Maron El Demeta finden können, Anführerin Zirell?“, fragte der Vendar von seiner Konsole aus mit einem sorgenvollen Gesicht. „Ja, das habe ich, Joran.“, sagte Zirell mit viel Trost in der Stimme. „Ich habe sie sogar zusammen gefunden, aber sie waren nur rein dienstlich in der Simulationskammer, wie es aussieht. Sie behaupten, den Grund zu kennen, aus dem sich Invictus mit einer sterblichen Stute gepaart hat.“ „Dann wären sie aber die Ersten.“, sagte Joran. „Nicht ganz.“, sagte Zirell. „Die erste, die dazu eine passable Theorie aufgestellt hat, war Allrounder Betsy Scott. Aber wir werden sehen, ob sie ihre Theorie nicht sogar vielleicht bestätigen.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Das werden wir.“ Er hatte Zirell wohlweislich verschwiegen, dass er mehr wusste, um ihr nicht die Überraschung zu nehmen.

Maron und Jenna hatten die Kommandozentrale von 281 Alpha betreten. Sofort hatte Jenna sich kurz zu Joran begeben, um ihn zu begrüßen: „Guten Morgen, Joran!“ Dann küsste sie ihn. „Wo bist du gewesen, Telshanach?“, fragte der Vendar und nahm sie fest in die Arme. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“ „Ich war mit Maron in der Simulationskammer.“, gab Jenna zu. „Aber es war rein dienstlich. Ich werde euch gleich alles erklären.“ „Darauf sind wir sehr gespannt, Telshanach.“, sagte Joran und ließ sie los, damit sie sich mit Maron in die Mitte des Raums begeben konnte.

Hier stand sie nun neben Zirell, die sie und den Agenten auffordernd ansah. „Also, was ist nun der Grund, aus dem Invictus das getan hat, Jenna?“, fragte Zirell. „Der Grund ist, dass er einen Weg finden musste, die Mächtigen, also auch die Quellenwesen, dazu zu bringen, nicht leichtfertig mit der Natur umzugehen. Wenn eine Spezies ausstirbt, weil ihre Zeit gekommen ist, dann ist das ein natürlicher Prozess der Evolution, aber etwas ganz anderes ist es, wenn das durch den gewollten Eingriff eines Wesens passiert, nur weil es die Spezies beispielsweise als Spielball gegen einen Feind benutzt oder je nach Lust und Laune alles verändert, nur weil ihm gerade danach ist. Als Grandemought ein Jugendlicher war, waren er und Invictus Freunde. Beide hatten eine Vision vom Ende der Welten durch die Hand der Mächtigen, wenn es nicht gelingen würde, sie an ihre Verantwortung zu erinnern. Grandemought hat Invictus damals geraten, sich von Zeit zu Zeit mit einer Sterblichen zu paaren, damit deren Kinder eine Spur Verwundbarkeit behalten und somit nie vergessen, welche Verantwortung sie haben.“ „Ein genialer Zug von Grandemought.“, sagte Zirell. „Genau.“, sagte Maron. „Aber das beste Beispiel dafür, dass das bitternötig ist, kennen wir ja auch. Es heißt Sytania.“ „Das ist korrekt.“, sagte Joran, der seine ehemalige Gebieterin ja sehr gut kennen musste.

Maron hatte eine Weile nachgedacht und immer wieder den Kopf geschüttelt. „Was bedrückt dich, Maron?“, fragte Zirell. „Wenn das notwendig ist, um die Natur zu erhalten.“, sagte Maron. „Dann müsste Valora es doch eigentlich auch verstehen. Ich meine, sie ist auch eine Verwandte der Quellenwesen wie Invictus. Warum aber tut sie das genaue Gegenteil?“ „Bei allem Respekt, Sir.“, sagte Jenna. „Als Mann werden Sie niemals nachvollziehen können, zu was die Eifersucht eine Frau treiben kann.“

Wieder dachte Maron nach, aber es wollte ihm einfach nicht gelingen, Valoras Tun nachzuvollziehen. „Sie haben Recht, McKnight.“, sagte er schließlich resignierend. „Mir kommt immer wieder meine Vernunft dazwischen.“

„Das würde aber auch Allrounder Scotts Theorie bestätigen.“, sagte Jenna. „Das stimmt.“, sagte Zirell. „Ich würde sowieso sagen, wir reden mit der Zusammenkunft und dann mit der Föderation. Mit denen sollten wir ganz schnell beratschlagen, was wir tun können, um die Dimensionen noch zu retten.“ „Bei der Gelegenheit.“, sagte Jenna. „Gestern habe ich mit Techniker Scott gesprochen. Er hat auch schon etwas gemerkt und würde sich gern an der Lösung beteiligen.“ „Na, ich denke, dass der Zusammenkunft jeder schlaue Kopf willkommen sein wird, der uns hilft.“, sagte Zirell. „Das werde ich gleich mal klären. Joran, gib mir das Rufzeichen der Zusammenkunft. Verbinde mich am besten gleich mit Darell!“ „Wie du wünschst, Anführerin Zirell!“, sagte der Vendar schmissig und leitete die Ausführung von Zirells Befehl ein.

Kapitel 52: Überraschende Alliierte

von Visitor

 

Auf Logars Seite des Dunklen Imperiums waren Iranach, die oberste Vendar des Herrschers und ihr Novize Talan zu Pferd unterwegs. Talan sollte im Rahmen seiner Ausbildung zum Vendar-Krieger noch so einiges lernen, das empfand zumindest Iranach so. Es war ja auch richtig, denn der Novize befand sich erst im ersten Jahr. Jetzt ritt er hinter seiner Ausbilderin her durch den Wald und wusste nicht so genau, was auf ihn zukommen würde.

Talan selbst maß ca. 2,10 m, was für sein Alter von knapp 13 Jahren bei Vendar fast durchschnittlich für einen Jungen war. Unter seiner juteartigen typischen Uniform trug er ein schwarzweiß geflecktes Fell. Das kam daher, weil seine Mutter schwarzes und sein Vater weißes Fell hatte. Er war von drahtiger Statur wie die meisten seiner Art.

Ihre Pferde waren eine rotbraune Stute und ein weißer Wallach, Talan ritt die sehr gutmütige Fuchsstute, während Iranach auf dem etwas ungestümen Wallach unterwegs war. Beide Pferde waren von stämmiger Statur, waren aber trotzdem gut trainiert, da sie ausgebildete Schlachtrösser waren.

Auf einer Lichtung hieß Iranach ihren Schüler plötzlich anhalten und sah ihn ernst an. „Warum siehst du mich so an, Ausbilderin?“, fragte Talan mit seiner für einen Jungen seines Alters schon sehr erwachsen klingenden Stimme. „Du kennst den Grund.“, setzte Iranach motivierend voraus. „Normalerweise.“, sagte Talan. „Schaust du immer so, wenn du mir eine Lektion erteilen willst.“ „Genau das will ich!“, sagte Iranach fest, schnalzte ihrem Pferd zu und ritt im Trab einen großen Bogen um Talan, bis sie ihm direkt gegenüberstand. Dann zog sie ihre Waffe, ein imperianisches Kurzschwert. „Warum tust du das, Ausbilderin?“, fragte der Novize irritiert. „Was würdest du tun, wenn dich jemand angreift und du keine Waffe hast?“, fragte Iranach. „Wie könntest du deinen Gegner trotzdem außer Gefecht setzen?!“

Sie wendete ihr Pferd, ritt in die andere Richtung davon, um dann umzudrehen und in vollem Galopp wieder auf ihn zuzujagen. „Denk nach, mein Schüler!“, rief sie ihm zu. „In einer realen Situation hast du vielleicht noch viel weniger Zeit!“

Talan wurde sehr unruhig, eine Tatsache, die sich auch auf sein Pferd übertrug. Es spannte jeden Muskel seines Körpers an. „Ganz ruhig, mein Mädchen!“, flüsterte der Novize ihr zu, dem gerade eine Idee gekommen war. „Gleich darfst du laufen was das Zeug hält, aber jetzt noch nicht. Warte, warte, warte!“

Er drehte seinen Kopf so, dass er mit dem einen Auge den Schwertarm und mit dem anderen die Hüftpartie seiner Ausbilderin beobachten konnte. Er wusste, wenn sie zuschlagen wollte, musste sie ihr Gewicht zuerst weit nach hinten legen um auszuholen und es dann schnell nach vorn bringen. Wenn ihr Schlag dann aber ins Leere gehen würde, würde sie aufgrund der Tatsache, dass sie in diesem Moment sehr nach vorn gebeugt säße, sicher den Halt verlieren.

Der Novize drehte seinen Kopf nach links und machte ein schmatzendes Geräusch mit den Lippen. Sofort drehte sein Pferd den Kopf in die gleiche Richtung. Dann sah Talan, wie Iranach zum Schlag ausholte. Im selben Moment flüsterte er seinem Pferd zu: „Rum!“, worauf dieses sich schlagartig in die gerade von ihm angezeigte Richtung wandte und auf ein kurzes Schnalzen seinerseits sofort angaloppierte.

Iranach verlor tatsächlich zuerst ihre Waffe und dann den Halt. Da sie aber durchaus damit gerechnet hatte, fing sie sich nach dem Sturz sofort ab und stand auf. Dann fing sie ihr etwas erschrockenes Pferd wieder ein.

Talan hatte zwar nicht genau mitbekommen, was da gerade passiert war, denn es hatte ja in seinem Rücken stattgefunden und dort haben auch Vendar keine Augen, er hatte sich aber durch die sehr verräterischen Geräusche in etwa denken können, dass sein Plan wohl aufgegangen sein musste. Dennoch tat es ihm leid, was seiner Ausbilderin da gerade geschehen war und er beschloss nach ihr zu suchen. Womöglich hatte sie sich verletzt und benötigte jetzt seine Hilfe.

Er ritt zu dem Punkt zurück, an dem ihr Übungskampf begonnen hatte. Erleichtert nahm er zur Kenntnis, dass es Iranach offenbar gut ging, denn er sah, dass sie mit ausgeglichenem Blick ihr Pferd zu dessen Beruhigung auf der Lichtung auf und ab führte. „Den Göttern sei Dank, Ausbilderin.“, sagte Talan erleichtert und nahm die Zügel auf, um sein Pferd anzuhalten. „Ich hatte mir schon Sorgen um dich gemacht.“ Auch Iranach hielt an, drehte sich aber mit einem strengen Gesicht in seine Richtung. Dann tadelte sie ihn: „Zeigst du immer so viel Mitleid mit deinen Feinden, Talan?! Im Zweifel könnte dich das dein eigenes Leben kosten! Merk dir das! Und schau dir mal genau die Mimik deines Pferdes an! Sie schaut total verunsichert! Hat sie denn nicht genau ausgeführt, was du ihr befohlen hast?“ „Ja, Ausbilderin.“, gab Talan kleinlaut zu. „Aber ich war in Gedanken wohl schon wieder bei dir und habe …“ „Das sehe ich!“, sagte Iranach. „Aber bei so ungenauer Führung wäre es für mich kein Wunder, wenn sie dir eines Tages nicht mehr vertrauen würde! Und noch mal zu uns zurück! Ich war in diesem Moment deine Feindin, von der es dir egal sein müsste, ob sie verletzt sei oder nicht. Wenn ich wirklich eine von Sytanias Vendar gewesen wäre, hätte ich dein Mitleid sicher ausgenutzt, um dich einen Kopf kürzer zu machen, sobald du dich zu mir heruntergebeugt hättest! Meine Waffe hatte ich nämlich schon wieder gefunden!“

Talan setzte sich aufrecht im Sattel hin. Er war fest entschlossen, seine Schlappe von gerade eben wieder gut zu machen. So sollte der Tag für ihn auf keinen Fall enden! Das stand fest. Er sah Iranach also direkt ins Gesicht und sagte so fest er nur konnte: „Dann zeig mir, wie ich meine Fehler wieder gut machen kann, Ausbilderin!“ „Ich wusste es!“, entgegnete Iranach erfreut. „In deiner Brust schlägt also doch das Herz eines Kriegers! Ein solcher lamentiert nämlich nicht und sucht auch nicht nach Entschuldigungen, sondern sieht nach vorn! Also gut.“ Sie bestieg ihr Pferd. „Wir machen das Ganze noch mal!“, ordnete sie dann an. „Aber dieses Mal wirst du sie, wenn sie ausführt, was du von ihr willst, so stark loben, wie du nur kannst. Wenn sie es macht, ist sie die Allergrößte für dich! Hast du mich verstanden?!“ „Ja, Ausbilderin.“, sagte Talan. Also dann.“, sagte Iranach und beide nahmen die schon bekannten Positionen ein. Dann wiederholte sich das gleiche Schauspiel, nur dieses Mal begann Talan sofort, nachdem sein Pferd getan hatte, was er von ihr gewollt hatte, sie zu klopfen, zu streicheln und zu kraulen. Dabei sagte er leise aber mit viel Stolz in der Stimme Dinge wie: „Ja, fein! So eine brave Maus! Klasse, Süße!“ Die Stute gab ein erleichtertes Schnauben von sich und senkte den bis dahin sehr stark nach geradeaus gerichteten Kopf. Auch ihre Ohren begannen sich wieder aufmerksam in Talans Richtung zu bewegen. Da war nichts mehr zu sehen von unsicherem Wittern und Sichern in alle Richtungen. Jetzt wusste sie, dass alles in Ordnung war.

Iranach kam wenig später zu ihm geritten. „Na also.“, sagte sie zufrieden, die alles genau beobachtet hatte. „Es geht doch. Aber nun folge mir! Das Kampftraining ist für heute vorbei, aber wir wollen ja noch deine Sinne schärfen.“ „Also gut.“, sagte Talan und folgte ihr. Er wusste zwar nicht genau, was ihn erwarten würde, war aber sehr neugierig.

Auf einer weiteren Lichtung nicht weit von der, auf der sie zuerst angehalten hatten, hieß Iranach ihren Schüler erneut anhalten und absteigen. Auch sie tat es ihm gleich. Dann führten beide ihre Pferde zu zwei jungen Buchen am Anfang der Lichtung hinüber, an die sie gebunden wurden. Danach winkte Iranach Talan, ihr wieder auf die Lichtung zu folgen. In deren Mitte blieben sie stehen und Iranach legte den Finger an die Lippen. „Warum soll ich still sein, Ausbilderin?“, fragte der Novize. „Wenn du es nicht bist.“, antwortete Iranach. „Dann wirst du nie in der Lage sein, deine Umgebung zu erlauschen.“ „Aber warum muss ich denn das können, Ausbilderin?“, fragte Talan. „Ich habe doch gute Augen.“ „Das bezweifele ich nicht.“, sagte Iranach geduldig. „Aber in mancher Situation kann es schon zu spät sein, wenn du den Feind siehst. Dann hat er dich nämlich auch schon gesehen und du hast viel zu wenig Zeit, dir noch eine Strategie zu überlegen. Zeit kann ein Vorteil sein, wenn du sie auf deiner Seite hast, mein Schüler, aber auch ein gewaltiger Nachteil, wenn sie auf Seiten deines Feindes ist.“ „Ich verstehe.“, sagte Talan, der über ihre Worte jetzt sehr sorgfältig nachgedacht hatte.

Er hielt den Atem an und begann zu lauschen. „Ich könnte etwas tun, das es dir fürs Erste sehr erleichtern würde, dich auf dein Gehör zu konzentrieren.“, sagte Iranach, die genau sah, dass er sich zwar redlich mühte, aber auch, dass er sehr verwirrt war, da aus den vielen Geräuschen im Wald einfach kein Bild werden wollte. „Ja, bitte.“, bat Talan. „Gut.“, sagte Iranach. „Dann warte hier auf mich!“

Sie ging zu den Pferden zurück und kam wenig später mit einer Augenbinde in der rechten Hand wieder. Diese legte sie Talan vorsichtig an und schloss den Verschluss hinter seinem Kopf. Dann nahm sie seine Hand, denn sie befürchtete, dass der plötzliche temporäre Verlust seines Augenlichts dafür sorgen könnte, dass es Talan schwindelig würde. „Jetzt versuch es erneut!“, ermutigte sie ihn.

Talan atmete tief aus und konzentrierte sich nur auf seine Ohren. Jetzt, da seine Augen ihn nicht mehr störten, fing tatsächlich einiges an, für ihn einen Sinn zu ergeben. „Dort in der Wiese muss ein Rehkitz liegen.“, flüsterte er Iranach zu, die ihm bereitwillig ihr Ohr hingehalten hatte, nachdem sie gesehen hatte, dass er wohl etwas gehört haben musste, weil sich sein Gesichtsausdruck plötzlich sehr von ruhig zu aufgeregt gewandelt hatte. Dann deutete Talan nach rechts und fügte noch hinzu: „Es ruft nach seiner Mutter.“ „In der Tat.“, bestätigte die Vendar ebenfalls sehr leise. „Sag mir doch, ob es Antwort bekommt.“

Erneut lauschte Talan angestrengt. Der gerade erreichte Erfolg hatte ihn motiviert. Er nahm ein kleines Rascheln war, das ihn an kleine schnelle Hufe erinnerte, die über den mit Laub bedeckten Boden trippelten. Sie bewegten sich offensichtlich in die Richtung, aus der er das Kitz rufen gehört hatte. „Die Ricke.“, sagte er. „Jetzt werden sich Mutter und Kind bald wieder haben.“ Iranach nickte ihm nur zu und lächelte. „Das war schon recht gut für den Anfang.“, sagte sie und zog ihr Sprechgerät, in das sie ein Rufzeichen gefolgt von einer Abfolge von Befehlen eingab, zu denen auch ein Code gehörte. Dann fing sie die Augenbinde auf, deren Verschluss sich daraufhin geöffnet hatte. Die Vendar sind sowohl in der sehr mittelalterlich anmutenden Welt des Dunklen Imperiums, als auch in der Welt der Technologie zuhause, wie ihr vielleicht schon wisst.

Talan drehte sich plötzlich in eine bestimmte Richtung und deutete still geradeaus. „Was ist dort, Talan?“, fragte Iranach. „Ich habe ein Scheppern gehört, Ausbilderin!“, sagte der Junge aufgeregt. „Und jetzt ruft jemand um Hilfe! Ich höre auch das Wiehern eines Pferdes in Angst!“ „Führ mich hin!“, befahl Iranach, die sich schon dachte, eine gute Gelegenheit für ihn gefunden zu haben, das Erlernte gleich einmal in der Realität auszuprobieren. „Ja, Ausbilderin.“, nickte Talan und ging forschen Schrittes in die Richtung, aus der er die Rufe und das Wiehern wahrgenommen hatte.

Sie standen bald vor der Bescherung in Form eines Wagens, der halb in einer Fallgrube hing. Auf dem Wagen saßen drei Männer, die alle mit ihren durchschnittlichen Körpermaßen von 1,70 m und ihren etwas gedrungenen Körpern recht klein wirkten. Sie trugen alle alte abgewetzte Kleidung und ebensolche Schuhe. Sowohl ihre Kleidung, als auch sie selbst, waren ziemlich schmutzig. Sie hatten alle drei rötliches Haar und ebensolche Bärte. Der Wagen wirkte etwas alt und klapprig. Er wurde von einem dicken zottigen braunen Pferdchen gezogen, das jetzt aber mit den Vorderhufen in der Luft hing. Seine Augen waren vor Angst weit aufgerissen, so dass man das Weiße sehen konnte. Es trat immer wieder mit einem seiner Hinterhufe nach dem Wagen, denn es versuchte wohl, sich loszureißen. Wäre das Geschirr nicht gewesen, hätte es bestimmt das Gleichgewicht verloren.

Iranach zog ihren Phaser und gab ihn Talan: „Schieß auf die Stränge, die dieses arme Geschöpf mit dem Wagen verbinden!“, befahl sie. „Du stehst günstiger!“ „Wenn ich das tue!“, entgegnete Talan mit sorgenvoller Miene. „Dann wird es losrennen!“ „Immer noch besser, als wenn es sich in seiner Lage noch verletzt!“, sagte Iranach fest und machte keinen Hehl daraus, dass sie nicht von ihrer Position weichen würde. Also gut.“, sagte Talan, fasste sich ein Herz, hockte sich hin und zielte. Dann feuerte er auf die Stränge.

Das Pferdchen, das so befreit worden war, stolperte kurz einige Schritte, fand dann aber recht schnell sein Gleichgewicht wieder und galoppierte geradeaus in den Wald davon. „Wir werden es später einfangen.“, erklärte Iranach. „Lass uns jetzt zuerst den drei Verunfallten helfen.“

Sie wandten sich den drei Männern auf dem Wagen zu. Iranach sprach sie zuerst an: „Seit gegrüßt! Ich bin Iranach, die oberste Vendar und Vertraute des Logar El Imperia! Das ist mein Novize Talan!“

Die drei Männer fuhren zusammen, als hätte sie gerade der Teufel persönlich begrüßt. Dann sagte einer von ihnen, der in der Mitte saß: „Logars oberste Vendar? Ach du Schreck! Dabei wollten wir deinen Gebieter gerade ausrauben! Ach übrigens, wir sind die drei Lateiner. Mein Name ist Simplicissimus, das ist Sophus und das Pfiffikus! Wisst ihr, die Falle, in die wir hier gerade selber geraten sind, hatten wir eigentlich für Logars Leute ausgelegt, aber dann fehlte uns die Geduld, auf sie zu warten und wir wollten uns selbst aufmachen. Wir wollten deinen Gebieter das Fürchten vor uns, den neuen Räubern hier im Wald, lehren, jawohl!“

Beide Vendar konnten nicht mehr an sich halten. Sie brachen in schallendes Gelächter aus und das kann bei Vendar ziemlich laut werden und hielten sich die Bäuche. Dann prustete Iranach irgendwann: „Na ja. Vielleicht hättet ihr Dummköpfe … äää Entschuldigung ich meinte natürlich Räuber von der traurigen Gestalt, meinem Gebieter eine Einladung schicken sollen mit einer genauen Beschreibung eurer Falle.“ „Ja.“, sagte Sophus, der rechts neben Simplicissimus saß. „Das wäre doch wirklich eine Maßnahme. Findet ihr nicht?“ „Ich weiß nicht.“, meinte Pfiffikus von links, dessen Name ja nun so gar nicht Lateinisch war. „Ich glaube, die will uns veralbern.“ „Meinst du wirklich?“, fragte Simplicissimus. „Das glaube ich nicht. Sie klang doch sehr ernst. Aber ich frage sie einfach mal.“

Er wandte sich Iranach zu: „Du, Iranach, wolltest du uns eigentlich gerade veralbern?“

Die Vendar versuchte sehr stark an sich zu halten, als sie antwortete: „Um ehrlich zu sein, das wollte ich. Aber jetzt sollten wir euch erst mal aus eurer Lage helfen. Mein Novize wird euer Pferd wieder einfangen und wir vier werden uns mal unterhalten müssen, fürchte ich. Aber steigt erst mal vom Wagen.“ „Also gut.“, sagten die drei und taten, was Iranach gerade von ihnen verlangt hatte. Dann zog sie den Wagen aus der Grube, was für sie, die ja fünfmal so stark wie eine durchschnittliche menschliche Frau war, kein wirkliches Problem darstellte.

Talan war den gesamten Weg zu dem Platz zurückgegangen, an dem er und seine Ausbilderin ihre Pferde zurückgelassen hatten. Hier band er seines los und führte es am Zügel in Richtung der Stelle, an der er das verängstigte Zugpferd der drei Fremden zuletzt gesehen hatte. Sein Plan war, das Vertrauen des Pferdchens über seine Artgenossin zu gewinnen. Wenn es sah, dass sich diese bei Talan sicher fühlte, dann würde es ihm bestimmt auch leichter fallen, sein Vertrauen zu gewinnen. Der Novize wusste, dass Pferde zwar als Fluchttiere sehr ängstlich, aber auch sehr neugierig waren. Wenn es seine Artgenossin wittern würde und spüren würde, dass diese auch keine Angst vor dem komischen fremden Zweibeiner hatte, dann würde es vielleicht neugierig näherkommen und mal nachsehen wollen, was da so Aufregendes passierte.

Tatsächlich konnte der jugendliche Vendar bald das Pferdchen erspähen, das sich auf eine Anhöhe gestellt hatte und dort friedlich auf einer wilden Wiese graste. In einiger Entfernung blieb er selbst mit seinem Pferd stehen und begann damit, es liebevoll zu kraulen und zu streicheln. Allerdings war er dabei in Sichtweite des fremden Pferdchens geblieben.

Offensichtlich schien sein Plan wenig später Früchte zu tragen. Das kam aber nicht zuletzt auch durch den Umstand, dass sein Pferd den Fremden bereits gewittert und ein freudiges Wiehern losgelassen hatte. Talan wusste, dass seine Stute sehr kontaktfreudig war und gern neue Freundschaften schloss. Das war auch einer der Gründe, warum der Novize fand, dass sie sich prima als Eisbrecherin eignete.

Das Pferdchen antwortete mit einem hohen quietschenden Laut, was wohl der Tatsache geschuldet war, dass es aufgrund seiner geringen Größe von 1,40 m auch nur eine kleine Pony-Stimme hatte. Dann kam es langsam herüber und beschnupperte Talan und sein Pferd. Bei Talan, der sich gerade heruntergebeugt hatte, als es das tat, landete seine Nase sogar im Gesicht. „Hey, du, das kitzelt!“, lachte Talan und streckte vorsichtig eine Hand nach dem Fell des Pferdchens aus, das er sich erst jetzt genauer ansehen konnte. Er sah, dass es sich um einen wohl erst vor kurzer Zeit frisch gelegten, also kastrierten, Wallach handeln musste, dessen Zeit als Hengst wohl noch nicht so lange her war. Außerdem viel dem Novizen sofort sein zotteliges Fell auf. „Na, dich haben sie aber auch lange nicht mehr gebürstet.“, sagte er und zog einen Striegel aus der Tasche. Den er ihm zuerst unter die Nase hielt, damit er sich ein Bild darüber machen konnte, was gleich passieren würde. Dann berührte er ihn vorsichtig damit an der Seite seines Halses und strich von links nach rechts. Das Pferdchen genoss seine Behandlung offensichtlich so sehr, dass es einen tiefen lauten Grunzlaut von sich gab und sich gegen die Hand mit dem Striegel drückte. „Ja, das gefällt dir, was?“, fragte Talan mit freundlichem ruhigen Ton und einem Lächeln im Gesicht. Dann aber steckte er den Striegel zunächst wieder ein und nahm sein eigenes Pferd wieder am Zügel: „Komm!“ Folgsam ging es mit ihm. Das fremde Pferdchen, das aber auf jeden Fall noch mehr von seiner Wellness-Behandlung haben wollte, folgte ihnen ebenfalls.

Wieder an der Stelle angekommen, von der er mit seinem Pferd losgegangen war, band er sie zunächst wieder an den Baum, um dann einen Strick aus der Satteltasche zu holen und ihn an der Trense des Pferdchens zu befestigen. Dann wurde auch er an einen Baum gebunden und Talan fuhr mit dem Putzen fort. Dabei stellte er aber auch fest, dass er wohl nicht sehr weit kommen würde, ohne das Geschirr zu entfernen, was er dann auch tat. Jetzt hatte er freie Bahn für seinen Kurs des Einschmeichelns.

Iranach hatte sich den drei Möchte-Gern-Räubern zugewandt. „So.“, sagte sie. „Ihr wolltet also meinen Gebieter Logar ausrauben. Wie hattet ihr euch denn das vorgestellt, he?“ „Na ja.“, meinte Simplicissimus, den sie bereits als den Redelsführer identifiziert hatte. „Erst mal wollten wir seine Wachen überwältigen und dann in die Schatzkammer spazieren.“ „Ah ja.“, antwortete Iranach. „Und wie?“ „Wir wollten sie niederschlagen.“, sagte Sophus und zog eine Keule aus der Tasche. „Und dann sollte ich sie fesseln.“, fügte Pfiffikus bei und holte ein dickes Seil aus der Seinen. „Alle mit einem Seil.“, vergewisserte sich die Vendar und hatte schon wieder mit einem Lachanfall zu kämpfen. Mit einer Keule und einem Seil wolltet ihr also eine ganze Armee überwältigen. Na, das ist mir ja ein schöner Plan.“ „Ja.“, sagte wieder Simplicissimus. Das fanden wir ja auch. Aber du schaust, als wärst du damit gar nicht einverstanden. Wieso denn nicht?“

Iranach atmete tief durch und zählte im Geist langsam bis zehn. Sie konnte nicht glauben, dass diese drei Männer tatsächlich glaubten, ihr Plan hätte funktionieren können. Offensichtlich waren sie sehr dumm und somit zur Ausübung des Räuberhandwerks gänzlich ungeeignet. Sie vermutete sogar, dass sie schon gefasst würden, bevor sie überhaupt einen Fuß aus ihrer Räuberhöhle gesetzt hatten. Mehrmals musste sie sich auf Vendarisch ermahnen, ruhig und geduldig zu bleiben. Schließlich konnten sie ja nichts für ihren geistigen Zustand. Dass sich einer von ihnen dann auch noch der Weise nannte, fand Iranach schon wieder unfreiwillig komisch.

Simplicissimus hatte sich ihr zugedreht. „Was findest du denn nun so schlecht an unserem Plan?“, fragte er. „Also gut.“, sagte die Vendar. „Ich will mal versuchen, es euch zu erklären. Die Wachen arbeiten ja alle jeweils in Sichtweite des anderen. Mit einer Keule und einem Seil könnt ihr, wenn es hoch kommt, ja höchstens einen in eure Gewalt bringen. Aber dann haben euch die anderen ja längst gesehen und Alarm gegeben und dann kommen die Kameraden der Wächter, nehmen euch am Kragen und schleifen euch ins Verließ!“ „Upsi!“, machte Simplicissimus. „Darüber habe ich nicht nachgedacht.“

Talan hatte seine Aktion beendet und dem Pferdchen auch das Geschirr wieder angelegt, nachdem er es ebenfalls von Schmutz und Haaren befreit hatte. Dann hatte er seinen neuen Freund am Zügel genommen und war mit ihm zu Iranach und den drei Männern gegangen. „Hallo, Zottelchen!“, rief Sophus aus. „Du siehst ja wieder richtig schick aus!“ „Sein Name ist also Zottelchen.“, stellte Talan fest. „Wie passend.“ Dann wandte er sich Iranach zu: „Und was hast du erreichen können, Ausbilderin?“ „Ich denke, ich konnte unsere drei verkappten Räuber hier überzeugen, dass ihr Plan, Logar auszurauben, eine verdammt dumme Idee war! Vor allem in der Weise, wie sie es geplant hatten.“ „Sie hat Recht.“, pflichtete ihr Simplicissimus bei. „Wenn wir getan hätten, was wir wollten, dann hätten wir jetzt unsere Freiheit eingebüßt und das für nichts. Meine Leute und ich sind dir sehr dankbar, Iranach und dir auch, Talan. Zum Dank möchten wir euch in unsere Höhle zu einer Mahlzeit einladen. Übrigens, hätten wir auf Zottelchen gehört, dann wäre es gar nicht zu diesem Unfall gekommen. Er wollte plötzlich nicht weitergehen und wir wussten erst nicht mehr warum. Aber dann …“ „Ihr hattet also tatsächlich vergessen, dass ihr diese Fallgrube errichtet hattet?“, fragte Iranach. „Ja.“, sagte Pfiffikus. „Obwohl das erst zwei Tage her war. Aber, wenn ich ehrlich sein soll, dann hatten wir es nach einem Tag schon wieder vergessen. Aber darauf sind wir sehr stolz. Denn das war schon eine verdammt lange Zeit, die wir uns das gemerkt haben. Wir vergessen nämlich alle drei sehr schnell.“ „Ihr würdet wahrscheinlich sogar eure Köpfe vergessen, wenn sie nicht angewachsen wären!“, entfuhr es Talan, worauf ihn Iranach gleich scharf in Vendarisch zurechtwies. „Es tut mir leid, Ausbilderin.“, entschuldigte sich der Novize sofort wieder. „Ich weiß ja, dass sie nichts dafür können.“

Iranach wendete sich Simplicissimus zu. Sie war gewillt, seine Einladung anzunehmen, denn vieles, was geschehen war, hatte sie neugierig werden lassen. „Also gut.“, sagte sie. „Wir nehmen eure Einladung an! Aber wir sollten erst mal schauen, dass wir euren Wagen und auch das Zottelchen wieder nach Hause bekommen. Beruhigt scheint er sich ja zu haben.“ „Aber wie willst du ihn denn anspannen?“, fragte Pfiffikus. „Ganz einfach.“, sagte Iranach. „Gebt mir das Seil!“

Sie führte das Seil vorsichtig um das Brustblatt von Zottelchens Geschirr herum und verknotete es so mit den Resten der Stränge, dass es quasi parallel zu ihnen verlief. Dann zurrte sie die Enden an der Deichsel fest. Jeweils eines rechts und eines links, damit Zottelchen auch gleichmäßig ziehen konnte. Der Unfall schien nichts bei ihm hinterlassen zu haben. Vielleicht war daran auch Talans Behandlung nicht ganz unschuldig, die ihn wohl längst wieder alle Angst vergessen lassen hatte. So sehr hatte er sie genossen.

Iranach begab sich nach vorn an Zottelchens Kopf. Dann sagte sie: „Ich werde ihn führen, falls doch noch etwas ist. Talan, bitte hol unsere Pferde und komm nach.“ „Ja, Ausbilderin.“, nickte der Novize, der in ihrer Anweisung auch gleich eine Trainingseinheit im Spurenlesen erkennen konnte. Dann machte sich die gesamte Prozession auf den Weg in die Höhle der drei Lateiner.

Tatsächlich hatten sie nicht übertrieben, was die Sache mit der Höhle anging. Zwischen einigen Büschen versteckt lag tatsächlich der Zugang in den Untergrund. Dass es im Dunklen Imperium ein weit verzweigtes Höhlensystem gab, das wusste Iranach. Dass es diesen Dreien aber tatsächlich gelungen war, einen Teil davon wohnlich einzurichten, erstaunte sie doch sehr. Es gab hier offenbar eine Wohnhöhle und sogar Stallungen, in denen sich allerlei Getier befand. Allerdings war sie froh, dass einige Spalten im Fels der Höhlendecke noch Licht durchließen, denn sonst wäre das alles für sie sehr fraglich gewesen. Es gab einen Kuhstall, einen für Zottelchen und einen für ein bis zwei Schweine. Auch Hühner und Gänse gab es. Das Ganze erinnerte sie viel stärker an einen unterirdischen Bauernhof, als an eine Räuberhöhle und sie begann sich zu fragen, welchen Teil des Wortes Räuber sie nicht verstanden hatten. Als solche wäre es doch eigentlich ihr Bestreben gewesen, sich ihr Essen auch zusammen zu stehlen. So dachte auf jeden Fall Iranach.

Man versorgte Zottelchen gemeinsam und dann ging es in die Wohnhöhle. Aber Iranach und ihrem Novizen waren einige kleine Tafeln aus Ton aufgefallen, die über den Türen der Ställe hingen, kleine Symbole trugen und von denen Schnüre abgingen, die in die Wohnhöhle führten. „Was ist das?“, wollte Iranach wissen. „Das ist unsere Erinnerungsmaschine.“, sagte Sophus. „Wir würden nämlich sonst sogar das Versorgen unserer Tiere vergessen.“ „Darauf wollte ich euch auch noch ansprechen.“, sagte Iranach. „Meint ihr wirklich, dass es das Richtige für euch ist, Räuber zu werden? Gut, ihr habt eine Höhle. Aber ansonsten seid ihr doch als Bauern viel besser dran, denke ich. Das habt ihr nämlich anscheinend im Griff. Hinten in der Höhle, da wo die Spalten im Fels in der Decke etwas größer werden, habe ich nämlich sogar Felder gesehen.“ „Das stimmt.“, sagte Simplicissimus. „Das sehe ich jetzt auch ein. Aber jetzt werden wir uns erst mal zusammen eine gute Mahlzeit zubereiten. Wenn ich nur wüsste, wo unser Geschirr ist.“ „Wenn du Steinguttöpfe und das alles meinst.“, sagte Talan. „Dann habe ich das in einer Nische am Eingang gesehen.“

Er lief vor und winkte Simplicissimus, der ihm aufgeregt folgte. Tatsächlich standen sie bald vor den Töpfen und Pfannen. „Da ist es ja!“, rief Simplicissimus aus. „Und wir haben schon seit Stunden danach gesucht!“ „Lasst mich raten.“, sagte Talan. „Ihr hattet vergessen, dass ihr es hier hingestellt hattet. Na, wenn ihr Beute machen würdet, dann würdet ihr sicher auch vergessen, wo ihr sie versteckt. Aber ich habe eine Idee! Morgen bitte ich Logars Hoftöpferin, eine Tontafel anzufertigen, auf der ihr das Symbol eines Tellers seht. Die binden wir dann auch an eine Schnur und hängen sie hier auf. Die Schnur führen wir dann auch zu den anderen Schnüren in eurer Erinnerungsmaschine. Dann werdet ihr immer hierher geführt, wenn ihr nach eurem Geschirr sucht. Ach, wer hatte überhaupt diese Idee. Entschuldigt, aber euch traue ich sie nicht zu.“ „Das war unsere gemeinsame Nichte Elisa!“, sagte der gescheiterte Räuberhauptmann stolz. „Sie ist viel schlauer als wir. Aber ich danke dir, Talan. Du bist sehr nett!“ „Klasse!“, lobte der Novize und lächelte. „Du hast dir ja sogar meinen Namen gemerkt!“ „Na ja.“, sagte Simplicissimus bescheiden. „Für ein paar Stunden geht so auch. Aber morgen habe ich sicher schon wieder alles vergessen.“ „Weißt du denn auch noch den Namen meiner Ausbilderin?“, fragte Talan. „Ich glaube ja.“, überlegte Simplicissimus. „Sie heißt … Eeem …“ „I.“, machte Talan leise, um ihm zu helfen.

Nach einigen weiteren Sekunden platzte Simplicissimus heraus: „Iranach!“ „Richtig!“, rief Talan und lächelte. Dann trugen er und der gescheiterte Räuberhauptmann gemeinsam das Geschirr zur Feuerstelle und man bereitete gemeinsam eine Mahlzeit aus einigen gut abgehangenen Rinderkeulen und selbst angebautem Gemüse zu, die man sich dann auch gemeinsam schmecken ließ. Dann verabschiedeten sich die Vendar und ritten wieder ihrer Wege.

Kapitel 53: Elisas Rettung

von Visitor

 

 

Vor einer kleinen Bauernkarte auf Sytanias Seite des Dunklen Imperiums saßen ein kleines Mädchen und ihre Mutter nähend auf zwei alten Schemeln. Das Mädchen war Elisa. Ihre drei Onkel hatten nach dem Tod des Vaters, ihres vierten Bruders, den Hof verlassen und sich in den Wäldern durchzuschlagen versucht. So waren sie auf Logars Seite gekommen, da der Wald auch Grenzgebiet war. Sie hatten den Eindruck gehabt, der Mutter und Elisa durch ihre Dummheit mehr ein Hindernis als eine Hilfe zu sein.

Die Mutter, eine etwa 1,60 m messende ältere Bäuerin mit schwarzem Haar und abgewetzter bäuerlicher Kleidung, beugte sich jetzt über die Arbeit ihrer Tochter und besah sie sich. „Du bist sehr geschickt, Elisa.“, lobte sie mit ihrer liebevollen hellen Stimme. „Ich glaube, ich kann dich sogar das Hemd für unseren Nachbarn nähen lassen, das er von mir haben wollte.“ „Danke, Mutter.“, sagte Elisa, die sich sehr geehrt fühlte und lächelte. Sie wusste, dass es sich bei diesem Hemd um ein Sonntagshemd handelte und so fühlte sie sich sehr geehrt, in ihrem jungen Alter schon so etwas tun zu dürfen. Sie hatte eigentlich erwartet, dass die Mutter sie schelten würde, denn sie war ja bei Sytania in Ungnade gefallen und somit fiel eine Verdienstmöglichkeit für die Familie weg. Aber die Mutter war zur Pragmatikerin geworden, was auch bitter nötig war, nachdem der Mann im Haus fehlte. In den Strukturen des Dunklen Imperiums bedeutete dies in vielen Fällen einen dramatischen Einbruch. Aber sie hatten sich bis jetzt ja gut mit den Näharbeiten helfen können.

Plötzlich sah Elisa von ihrer Arbeit auf, denn etwas hatte sie am Fuß berührt. Es war eine schwarzweiße schlank gebaute kleine Katze gewesen, die auch zum Hof gehörte und jetzt laut miauend um ihre Beine strich. Ihr Schwanz wedelte aufgeregt und ihr Nackenfell war gesträubt. „Ich kann jetzt nicht mit dir spielen, Schnurrchen.“, sagte Elisa. „Ich muss arbeiten!“ „Ich glaube kaum, dass sie spielen will.“, sagte die Mutter. „Dazu ist sie viel zu aufgeregt. Aber was sie hat, weiß ich auch nicht.“

Elisa sah sich um. Sie wusste, dass das Verhalten der Katze ja irgendeinen Grund haben musste. Dabei wurde sie sehr schnell einer großen weißen Wolke ansichtig, die sich dem Hof näherte. „Es sieht aus, als würden wir Nebel bekommen, Mutter.“, sagte sie. „Ich weiß, dass dies für nachmittags sehr ungewöhnlich ist. Bitte lass uns ins Haus gehen! Ich habe Angst!“

Noch ehe die Mutter ihr antworten konnte, hörten sie und Elisa eine telepathische grausame Stimme in ihren Köpfen: Du solltest auch Angst haben, Kind! Sytania hat mich geschickt, um dich zu töten!

Elisa ließ Nadel und Faden fallen. Dann stand sie auf und rannte um ihr Leben in Richtung Wald. Sie wusste genau, dass diese Nebelwolke nur jene Schöpfung Sytanias sein konnte, die in ihrem Dorf schon viele Kinder getötet hatte. Warum sie das tat, wusste Elisa nicht, aber allein der Umstand, dass sie es tat, flößte ihr schreckliche Angst ein. Wenn es ihr aber gelingen würde, sich auf Logars Seite zu retten, dann hätte sie nichts mehr zu befürchten, das wusste sie, denn im Allgemeinen trauten sich Sytanias Schöpfungen dort nicht hin. Zu groß war ihre Angst vor Logar, der ja nun um einiges stärker war als Sytania, was die mentalen Kräfte anging. Mit einem einzigen Gedanken wäre er in der Lage, jedes ihrer Geschöpfe zu vernichten. Das wusste auch dieses Wesen.

Auf der anderen Seite der Grenze waren Iranach und ihr Schüler noch immer unterwegs. Iranach wollte noch ein grenznahes Fort besuchen, in dem ein Vendar das Kommando hatte, der seit kurzer Zeit ihr Gefährte war. Ihm wollte sie noch ein Geschenk bringen.

Talan richtete das Wort an seine Ausbilderin: „Ich hoffe, wir haben den dreien gezeigt, dass sie nicht als Räuber taugen.“ „Oh das denke ich schon.“, antwortete Iranach. „Und ich fand, du warst dabei auch sehr diplomatisch. Dein Vorschlag, ihre Erinnerungsmaschine zu erweitern, war sehr löblich.“ „Danke, Ausbilderin.“, sagte Talan. „Aber ich fand, sie sind auch gute Köche. Auf Taria in Astra Fedaria sagt man, dass die dümmsten Bauern die dicksten Kartoffeln hätten und die hier waren ja recht ansehnlich.“ „In der Tat.“, bestätigte Iranach.

Sie ritten eine Weile schweigend weiter. Dann fragte Talan: „Was hältst du von dem Gerücht, dass es ein Wesen geben soll, das alle Kinder tötet und das Sytanias Schöpfung sein soll, Ausbilderin? Argus sprach mich neulich an und wollte wissen, was ich darüber wüsste. Er sagte mir, er habe Angst und ich, als Vendar, müsste ja über so etwas Bescheid wissen.“ „Was hast du ihm geantwortet?“, wollte Iranach wissen, ohne auf seine Frage einzugehen. „Ich antwortete, dass ihm nichts passieren könne.“, sagte Talan. „Erstens steht er unter Logars Schutz und zweitens habe ich in seinem Gesicht bereits einen leichten Bartwuchs ausmachen können. Das bedeutet, er gilt als Jugendlicher und nicht mehr als Kind. Wenn dieses Wesen also wirklich nur Kinder töten soll, dann wird es schon aus den beiden Gründen einen großen Bogen um Argus machen.“ „Sehr scharf gedacht, mein Schüler!“, lobte Iranach mit Stolz.

Elisa war nun schon seit mehreren Minuten ununterbrochen gelaufen. Ihre Füße waren kurz davor, sie nicht mehr tragen zu können. Sie war außer Atem und konnte nicht mehr. Auch sah sie, wie die gruselige Wolke sich ihr immer weiter näherte. Außer sich vor Angst schlug sie einen letzten Haken und drückte sich dann flach in eine Mulde. Sie hoffte wohl, dass das Wesen sie dann nicht mehr sehen würde.

Da sich Talan und seine Ausbilderin jetzt schon sehr nah an der Grenze befanden, war dieses Geschehen den Augen des Novizen nicht verborgen geblieben. „Bei allen Göttern!“, rief er aus. „Das ist kein Gerücht, Ausbilderin! Das ist kein Gerücht! Wir müssen sie retten! Wir müssen die Kleine retten!“

Damit legte er sein rechtes Bein hinter den Sattelgurt, drückte das linke an die Flanke seines Pferdes, ließ die Zügel ganz locker und schnalzte ihr zu. Sofort verstand die sehr aufmerksame Stute und galoppierte los. „Lauf!“, rief Talan ihr motivierend zu. „Lauf, als wolltest du den Wind fangen!“ So ging es in scharfem Tempo in Richtung Grenze. Diese überquerten sie dann und kurz darauf wurde Talan bereits Elisa ansichtig. Er nahm die Zügel rasch auf und gab seinem Pferd ein Kommando, worauf dieses kurz anhielt. Dann packte er das Mädchen am Kragen ihres Kleides und zog sie hinter sich, um ihr dann nur noch zuzurufen: „Halt dich fest an mir! Schling deine Arme um mich und halt dich so fest du kannst!“ Voller Erleichterung und Vertrauen tat Elisa, was er von ihr verlangt hatte. So ging es dann wieder über die Grenze zurück zu Iranach, die alles von fern beobachtet hatte.

Die Vendar nahm ihrem Novizen das Kind ab, damit er vom Pferd steigen konnte. Das hatte sie schon längst getan. „Es ist alles gut, Mädchen.“, sagte sie. „Du musst jetzt keine Angst mehr haben. Sytanias Schöpfung wird sich nicht zu uns trauen! Du bist in Sicherheit. Wie heißt du?“ „Elisa.“, sagte sie schüchtern. „Ich bin Iranach.“, sagte die Vendar. „Und der junge Mann hier, der dich gerade so heldenhaft gerettet hat, ist mein Novize Talan. Wir dienen Logar. Ich bin sogar seine oberste Vendar und somit seine Vertraute. Du musst also wirklich keine Angst mehr haben.“ „Ich danke euch.“, sagte Elisa. „Aber ich habe einmal Sytania gedient. Ich war ihre Zofe, bis ich in Ungnade fiel, weil ich zu viele Fragen gestellt habe.“ „Oh ja.“, sagte Iranach. „Das liebt Sytania gar nicht. Mein Gebieter Logar hingegen möchte, dass seine Untertanen lernen. Wenn du also Wissen erlangen willst, dann würde ich an deiner Stelle mit mir kommen und dich in seine Dienste nehmen lassen.“ „Ich weiß nicht.“, sagte Elisa zögerlich. „Was ist dann mit meiner Mutter?“ „Die würden wir selbstverständlich nachholen.“, versprach Iranach. „Aber als was würdet ihr uns denn beschäftigen?“, fragte Elisa. „Logar benötigt doch eher Kammerdiener als Zofen, weil er selbst ein Mann ist.“ „Du bist sehr klug.“, stellte Iranach fest. „Du kannst sehr gut argumentieren und machst dir Gedanken. Aber auch mein Gebieter möchte nicht nackt herumlaufen. Auch er benötigt Kleider und die muss schließlich jemand nähen. Deine Hände sehen aus, als seien sie sehr geschickt. Das wäre zum Beispiel doch eine Möglichkeit, findest du nicht?“ „Da hast du Recht.“, überlegte Elisa.

Ein kleiner Schatten flitzte an ihnen vorbei. Dann schmiegte sich etwas Weiches an Elisas rechten Fuß und begann zu schnurren. „Schnurrchen!“, rief sie überglücklich aus und beugte sich zu ihrem geliebten Kätzchen herunter, um es auf den Arm zu nehmen. „Ich muss dich bald verlassen.“, sagte sie dann traurig. „Ich diene demnächst Logar.“ „Aber wer sagt denn so was?“, fragte Iranach und machte sich an der Satteltasche ihres Pferdes zu schaffen, welche sie zuerst ausräumte und alle Sachen in den eigenen Taschen verstaute, um sie dann mit Laub weich auszupolstern. Dann nahm sie Elisa Schnurrchen ab und legte sie in die Tasche, um diese dann, bis auf ein kleines Luftloch, sicher zu verschließen. „So ist es sicherer für uns alle.“, sagte sie. „Schnurrchen muss keine Angst vor den großen Hufen haben und die Pferde müssen nicht aufpassen, dass sie nicht auf sie treten. Hat sie sich irgendwie merkwürdig verhalten, bevor der Nebel kam, Elisa?“ „Ja.“, sagte das Bauernmädchen. „Sie war ganz aufgeregt.“ „Dann hat das Schnurrchen versucht dich zu warnen. Katzen können Telepathie nämlich spüren genau wie wir Vendar.“, sagte Talan. „Für so eine Heldin ist sicher auch noch Platz in der Truppe von Logars Hof-Mäusefängern. Wir haben einen großen Kornspeicher im Schloss und wo Korn ist, da sind auch meistens Mäuse. Das wird ein Paradies für Schnurrchen werden!“ „Ich danke euch.“, sagte Elisa erleichtert und mit einem Lächeln auf den Lippen. All ihre Lieben würden untergebracht sein! Also war alles in Ordnung! „Ich würde mich gern in Logars Dienste nehmen lassen, Iranach.“, entschied sie dann. „Kluge Entscheidung, Elisa.“, erwiderte Iranach. Aber das hatte ich von dir auch nicht anders erwartet.“

Sie wandte sich Talan zu: „Steig auf dein Pferd und reite zum Schloss zurück! Sag unserem Gebieter, dass wir noch jemanden mitbringen!“ „Ja, Ausbilderin!“, erwiderte der Novize schmissig und tat, was ihm Iranach gerade befohlen hatte.

Iranach sah Elisa an. „Mir scheint, dass dir noch etwas auf der Seele liegt.“, sagte die Vendar. „Das stimmt.“, sagte Elisa. „Ich habe immer noch Angst vor dem Nebel. Er hat gesagt, dass er mich töten will!“ Sie begann zu weinen. „Davor musst du keine Angst mehr haben.“, sagte Iranach und holte ein Tuch aus ihrer Tasche, um Elisas Tränen zu trocknen. Dann sagte sie: „Erstens stehst du ab sofort unter dem Schutz meines Gebieters Logar El Imperia und zweitens … Sag mir, hast du schon angefangen zu bluten?“ „Nein.“, sagte Elisa.

Die Vendar zog ihren Erfasser aus ihrer Uniformtasche. Dann sagte sie: „Damit kann ich in dich hineinsehen.“ „Nein!“, rief Elisa ängstlich aus. „Das bedeutet ja, dass du mich aufschneiden musst! Bitte tu mir nicht weh, Iranach! Bitte nicht!“ „Aber nein.“, tröstete Iranach, die jetzt aber in ziemliche Erklärungsnot geraten war. Dann sagte sie: „Wenn deine Mutter die Milch für dein Frühstück erwärmt, dann gießt sie die doch auch nicht direkt ins Feuer, sondern in einen Topf, den sie über das Feuer hängt. Die Wärme macht dann den Topf ganz heiß und so wird auch die Milch heiß. Mein Kasten macht ein Licht, mit dem er in dich hineinsieht. Dann sagt er mir, was er sieht und ich kann es dann beurteilen.“ „Also gut.“, sagte Elisa und atmete auf. „Dann sag deinem Kasten, er soll sein Zauberlicht ruhig scheinen lassen.“

Sie nickte aufatmend und ließ den Erfasser über Elisa kreisen. Sie war heilfroh, dass es ihr gelungen war, dem Mädchen ihre Angst zu nehmen. Da sie oft schon mit der Sternenflotte zu tun gehabt hatte, hatten auch wir uns manchmal gesehen und so hatte sie die Methode, Erklärungen auf die Alltagssituation desjenigen zu münzen, für den sie bestimmt waren, von mir übernommen.

Die Vendar hatte den Erfasser sinken lassen. Dann sagte sie zu Elisa: „Aber du wirst es bald. Diesen Informationen nach in ca. drei Wochen. Dann bist du für das Wesen ohnehin nicht mehr interessant.“ „OK.“, sagte Elisa, die Iranach mittlerweile sehr vertraute. „Dann sollten wir machen, dass wir zu Logars Schloss kommen.“ „Ganz wie du willst.“, sagte die Vendar, hob Elisa auf ihr Pferd und stieg dann selbst in den Sattel. Dann knotete sie sich selbst einen Strick um den Leib, in den sie vorher eine Schlaufe gemacht hatte, die jetzt auf ihrem Rücken war. Daran hieß sie Elisa, sich gut festzuhalten. So ritten sie langsam in Richtung Schloss davon.

Im Ihren saß Sytania gerade vor dem Kontaktkelch und ärgerte sich. Ihre Stimmung war sowieso schon auf dem Nullpunkt gewesen, da sie die Geschicke in den Dimensionen mit Hilfe ihrer seherischen Fähigkeiten durchaus beobachtet und sich somit ein Bild über die Situation gemacht hatte, das aus ihrer Sicht nicht sehr vielversprechend aussah. Sie hatte sehr wohl gesehen, dass Iranach und ihr Novize ihrer Schöpfung deren Beute weggeschnappt hatten, aber das war ja auch nur die Spitze des Eisbergs gewesen. Alles, was davor stattgefunden hatte, hatte die Königstochter noch umso mehr in Rage gebracht.

Sie schickte nach Telzan, der wenige Minuten später bereits zu ihr geeilt kam. „Was gibt es, Gebieterin?“, fragte der Vendar in der Absicht, ihr Trost zu spenden. Er hatte genau gesehen, wie es ihr ging. „Es ist ein schwarzer Tag für uns, Telzan!“, rief Sytania mit viel Wut in der Stimme aus. „Ein verdammt schwarzer Tag!“ „Worüber sprecht Ihr genau, Hoheit?“, versuchte Telzan nachzubohren. „Wenn Ihr mir nicht sagt, was Euch auf der Seele liegt, dann werde ich euch nur schwer bis gar nicht helfen können.“ „Ach.“, stöhnte Sytania. „Sieh am besten selbst!“

Sie nahm seine rechte Hand und führte sie auf den Fuß des Kontaktkelchs. Dann legte sie selbst ihre linke Hand darauf und legte ihre rechte in seine linke Hand. Danach gab sie dem Kontaktkelch einige telepathische Befehle, die dafür sorgten, dass er das Geschehene quasi für Telzan noch einmal im Zeitraffer zusammenfasste.

Nachdem die Zusammenfassung geendet hatte, sah Telzan Sytania nur relativ neutral an und machte nur: „Ah ja, so, so, Aha, na ja.“ „Was meinst du damit?“, fragte Sytania, die seine Äußerungen nun so gar nicht einordnen konnte. „Es sieht doch gar nicht so böse für uns aus, Herrin.“, ermutigte der Vendar die Mächtige. „Was erdreistest du dich!“, rief Sytania voller Empörung aus. „Schau dir an, was in der Dimension der Föderation zum Beispiel geplant wird und sieh dir doch an, was bei den Tindaranern geschieht! Am Schlimmsten finde ich noch, was meiner armen Schöpfung widerfahren ist! Schnappt dieser Novize ihr doch die Beute vor der Nase weg und nimmt sie einfach mit sich. Aber damit nicht genug. Iranach hat sie überzeugt, jetzt Logar, meinem Vater, zu dienen! Stell dir das vor, Telzan! Meinem Vater! Sie wird ihm wertvolle Informationen …!“

Der Vendar musste laut lachen. Dann aber holte er konzentriert einige Male tief Atem, um seinen Lachkrampf zu besiegen und meinte dann: „Ein Bauernmädchen, Herrin! Ihr wollt mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass Ihr Euch vor dem wenigen Wissen eines einfältigen Bauernmädchens fürchtet! Oh, das darf ich meiner Truppe gar nicht sagen! Die würden schwer meutern!“ Er lachte erneut auf, hatte sich aber genauso schnell wieder unter Kontrolle. „Du vergisst.“, sagte Sytania. „Dass dieses Bauernmädchen für einige Zeit meine Zofe war und somit doch gefährliches Wissen angesammelt haben könnte, das sie meinem Vater jetzt über Iranach zur Verfügung stellen könnte. Iranach hat ihr Vertrauen gewonnen. Die Beiden werden viel reden, fürchte ich. Außerdem ist da noch die Sache mit dem Virus deiner Frau. Wenn die Genesianer und die Föderation sich tatsächlich einigen, dann wird es das eins zwei drei nicht mehr geben und das ist nicht unser alleiniges Problem!“

Telzan stöhnte auf, als wäre er kurz davor, die Geduld zu verlieren. Dann sagte er: „Ach, das ist gar kein Problem, Herrin!“ „Kein Problem, kein Problem?!“, rief Sytania aus. „Die Föderation ist eine Nation, die sich die Forschung auf ihre Fahnen geschrieben hat und das Humanitäre steht bei ihnen auch ganz hoch im Kurs. Ihre Oberste Direktive greift hier ja auch nicht, weil sie ja um Hilfe gebeten wurden und auf Notrufe ja reagieren dürfen und können! Also sag mir bitte sofort, wo du da kein Problem siehst!“ Ihr Götter!, dachte Telzan. Lasst Geduld vom Himmel regnen und gebt mir einen großen leeren Eimer! Dann sagte er: „Ihr habt es gerade selbst gesagt, Hoheit. Sie können auf Notrufe reagieren. Aber was ist, wenn sie es dieses Mal doch nicht können, weil Nugura El Fedaria die Hände gebunden sind?“ Er grinste sie an.

Sytania dachte kurz nach. Ihr wollte aber definitiv nicht klar werden, worauf er hinauswollte. „Ich kann dir einfach nicht folgen, Telzan.“, resignierte sie schließlich. „Das mag wohl daran liegen.“, sagte der Vendar. „Dass Ihr die Prinzipien der Demokratie nicht verstanden habt, mit Verlaub, Milady. Aber ich bin ja hier! Ich habe sie verstanden und bin sofort und allzeit bereit, Euch dabei zu helfen und Euch zu erklären, wie wir sie zu unserem Vorteil und zum Nachteil derer, die sie ja ach so hoch halten, nutzen können.“ Er setzte einen genießerischen Blick auf, als er zu ihr hinübersah. „Wisst Ihr.“, fügte er noch bei. „Die Föderation der vereinten Planeten rühmt sich immer mit der Demokratie als eine ihrer größten Stärken. Ich aber finde, dass sie im Gegensatz zur Monarchie auch Raum lässt für große Schwäche, wenn …“

Die Königstochter fuhr ungeduldig herum. Dann sagte sie: „Tu es endlich, Telzan! Erkläre mir endlich, worum es dir geht!“ „Also gut, Hoheit.“, sagte Telzan und setzte an: „Ihr wisst, dass Nugura El Fedaria alles mit ihrem Parlament absprechen muss, das sie beschließt zu tun. Ihr wisst auch, dass es dort eine besonders starke Opposition gibt, wie unsere Spione melden. Nuguras Kollegen haben sehr lange in bequemen friedlichen Zeiten gelebt. Zu viel Komfort macht träge und sie sind vielleicht nicht mehr bereit, Opfer zu bringen. Dazu kommt noch, dass die Daten, auf denen Nuguras Vorschlag basieren wird, teilweise von niemand Geringerem als Commander Peter Time zusammengetragen worden sind, der ja bei ihnen sowieso einen zweifelhaften Ruf genießt. Ich gebe zu, dass dies wohl nur geschehen ist, weil er nun mal kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum geht, die Wahrheit zu sagen und das empfinden sie manchmal als sehr unbequem, Aber das ist auch der Grund, aus dem sie dem Vorschlag in der Abstimmung mit sehr viel Skepsis gegenüberstehen werden und wohl auf gar keinen Fall eine unpopuläre und gefährliche Entscheidung treffen werden, wenn sie erneut gewählt werden wollen. Für das einfache Volk, also ihre Wählerschaft, die ja nichts von den ganzen internen Gesprächen weiß, sind die Genesianer die Feinde der Föderation. Das Volk wird es nicht gut heißen, wenn man denen helfen will und das werden die Politiker sehr wohl bedenken, wenn sie in zwei Tagen zur Abstimmung schreiten. Ich denke sogar, sie werden Nugura bezichtigen, ihren Verstand nicht mehr beisammen zu haben und das wird zu einem Misstrauensvotum führen. Das wiederum bedeutet, dass sie abgewählt werden wird und dann haben wir erst recht freie Bahn! Die anderen Politiker der Föderation sind so leicht zu manipulieren und Offiziere wie Time, Cinia oder Kissara haben dann keine Rückendeckung mehr für ihre Vorhaben. Wenn sie gegen ihre Befehle handeln, dann kommen sie allenfalls vor das Gericht der Föderation und werden abgeurteilt. Ihre Patente dürften ihnen entzogen werden und dann könnten sie gar nichts mehr tun, Herrin! Rein gar nichts!“ Er lachte gemein.

Beruhigt setzte sich Sytania wieder auf ihrem Thron zurecht. Das ist ein sehr schönes Bild, das du gerade gezeichnet hast, Telzan.“, sagte sie. „Ich hoffe nur, dass auch alles genauso eintritt, wie du es vorausgesagt hast.“ „Da könnt Ihr sicher sein, Milady!“, sagte der Vendar mit viel Zuversicht im Gesicht. „Darauf würde ich sogar mein Leben verwetten und Ihr dürftet es mir eigenhändig nehmen, falls ich diese Wette doch verlieren sollte!“ „Ein wahrlich hoher Einsatz, Telzan.“, sagte die Prinzessin. „Dann hoffe ich mal, dass ich ihn nicht von dir fordern muss. Das täte mir nämlich sehr leid. Du bist mein Vertrauter und mein oberster Vendar. Außerdem bist du der beste Stratege, den ich mir vorstellen kann.“

Erneut wurde sie sehr nachdenklich. „Was stört Euch noch, Hoheit?“, fragte Telzan. „Es ist Joran.“, sagte Sytania. „Oder besser gesagt, es ist das, was er in sich trägt. Seine Sifa beherbergt ein Energiefeld von den Quellenwesen, wie du weißt. Ich habe in die Zukunft gesehen und weiß daher genau, was uns blüht, wenn er dieses behält. Erlaube, dass ich dich berühre!“ „Natürlich, Herrin.“, sagte der Vendar.

Sytania legte ihre rechte Hand in Telzans Nacken. Dann ließ sie diese einige Sekunden dort liegen und nahm sie mit einem zufriedenen Grinsen wieder fort. „Deine Sifa wäre bereit.“, sagte sie. „Du und deine Frau, ihr könntet ein getarntes Veshel nehmen und damit in die Dimension der Tindaraner fliegen. Dann beamt ihr das Feld aus Jorans Sifa in die deine. Wenn du dann das Fütterungsritual an ihm durchführst, dann wird das Feld mit böser Energie durchsetzt, weil dein Charakter auch von Grund auf so richtig schön böse ist. Das wird die Pläne der Quellenwesen vereiteln!“ „In der Tat, Milady.“, sagte Telzan. „Das wird es. Mein Schiff hat eine sehr gute Tarnung. Ich habe sie heute früh erst persönlich überprüft. Sie ist zu 100 % funktionsfähig. Die Rechner der Tindaraner werden nichts anderes sehen als die normalen Wellenmuster ihrer Dimension, wenn wir einfliegen. Warum Ihr es nicht selbst mittels Eurer mentalen Fähigkeiten tut, ist mir klar. Das könnten die Tindaraner spüren und dann würden sie sich alle zusammenschließen, um ihre Dimension und somit auch Joran mit der uns allen sehr gut bekannten mentalen Mauer zu umgeben. Dagegen hättet Ihr dann keine Chance. Ich fürchte auch dann nicht, wenn Valora Euch helfen würde, denn die Quellenwesen würden auch aufmerksam und würden sich sicher auf die Seite der Tindaraner und Jorans schlagen. Nein, so geht es nicht! Aber die Benutzung von Technologie hat uns schon einmal einen großen Vorteil verschafft. Was einmal funktioniert, das wird auch bestimmt ein zweites Mal klappen! Aber warum soll ich nicht allein fliegen?“ „Weil das einfach sicherer ist, wenn ihr zu zweit seid.“, sagte Sytania. „Du wirst, wenn du das Feld hast, sofort mit dem Fütterungsritual beginnen müssen. Das bedeutet, du kannst das Veshel nicht steuern.“ „Das kann doch der Mishar übernehmen.“, sagte Telzan. „Vielleicht für einen gewissen Zeitraum.“, sagte Sytania skeptisch. „Aber was ist, wenn die Tindaraner aus irgendeinem Grund doch aufmerksam werden könnten und Dinge tun könnten, auf die der Mishar nicht programmiert ist? Wenn du weit weg im Zustand der Fütterung bist, kannst du ihm keine Anweisungen geben und dann passiert euch womöglich doch noch etwas in Form von tindaranischer Kriegsgefangenschaft oder gar dem Tod! Das könnte ich mir nie verzeihen!“ Sie machte eine dramatische Geste und ein theatralisch verzweifeltes Gesicht. „Ich verstehe.“, sagte Telzan. „Da habt Ihr natürlich Recht. Also gut. Ich gebe meiner Telshanach Bescheid und überprüfe ein letztes Mal mein Schiff. Dann werden wir heute Nacht losfliegen, wenn Ihr erlaubt.“ „Natürlich erlaube ich das.“, sagte Sytania und ihr schien vor lauter Erwartung schier das Wasser aus dem Mund zu laufen. „Aber über eines sollten wir noch reden, bevor du gehst, Telzan.“ „Du hast ja nun auch gesehen, was diese McKnight herausgefunden hat. Könnte sie eventuell nicht auch bei der tindaranischen Regierung in Ungnade fallen? Ich meine, immerhin war sie das Gefäß für denjenigen, dem wir diese Situation jetzt in gewisser Weise zu verdanken haben. Es war Grandemought von Zeitland, der Invictus riet, sich von Zeit zu Zeit mit einer Sterblichen zu paaren, damit die armen Wesen nicht zu unseren Spielbällen werden, wenn es hart auf hart kommt. Aber was sollte denn das? Die können uns doch egal sein! Sie sind doch nicht mehr als Fliegen an der Wand.“

Telzan biss sich auf die Zunge. Er hatte etwas sagen wollen, das etwa den Inhalt hatte, dass aber auch die Insekten in der Natur ihren Platz haben, denn sonst würde sie ja nicht funktionieren. Aber er unterließ es lieber, sie darauf anzusprechen, denn er befürchtete, sie könnte das als Dolchstoß auffassen und ihn sehr stark dafür strafen. Wie so eine Strafe aussehen konnte, daran erinnerte er sich noch gut. Es war ja gar nicht so lange her gewesen, da hatte er sein Amt und damit auch seine Privilegien verloren und das hatte ihm und vor allem Cirnach, seiner Frau, gar nicht gefallen! So eine Situation wollte er auf keinen Fall ein zweites Mal erleben!

Er beschloss daher, schleunigst ein anderes Thema anzufangen: „Noch einmal zu der Sache mit der Demokratie zurück, Milady.“, sagte er schnell. „Falls das doch aus irgendeinem Grund schiefgehen sollte, dann habe ich immer noch Plan B in der Tasche!“ Er grinste sie an. „Und wie sieht der aus?!“, wollte Sytania wissen und ihre schwarzen Augen leuchteten erfreut wie die eines Kindes, das auf seine Weihnachtsgeschenke wartet. „Tut mir leid.“, sagte Telzan. „Das kann, werde und darf ich Euch noch nicht sagen. Wenn ich das jetzt täte, dann liefen wir immer Gefahr, dass Euer Vater es in einem mentalen Duell vielleicht aus Euch herausbekommen könnte. Was Ihr nicht wisst, kein Risiko ist. Ich sagte Euch, ich habe den Plan in der Tasche und da bleibt er auch erst einmal. Ich werde ihn Euch schon verraten, wenn es Zeit dafür ist. Aber Ihr könnt mir vertrauen. Er wird auch Euch gefallen! Mit Sicherheit sogar! Aber so lange müsst Ihr leider noch ausharren. Aber die Vorfreude kann bekanntlich die schönste Freude sein. Das könntet Ihr noch von uns Vendar lernen, mit Verlaub, Prinzessin, und Ihr solltet es auch lernen, wenn Ihr eines Tages doch Erfolg haben wollt.“

Telzan hatte sich vor sich selbst erschrocken. Er hatte das eigentlich nicht sagen wollen, aber jetzt war es ihm doch herausgerutscht. „Du hast Glück, dass ich heute meinen sozialen Tag habe.“, sagte Sytania. „Das kommt selten genug vor. Wohl alle 1000 Jahre einmal. Also tu das, was ihr Vendar ja so gut könnt und koste ihn aus, Telzan. Dabei kannst du mir gleich einmal ein paar treffliche Tipps geben, wie das geht.“ „Natürlich, Prinzessin.“, sagte Telzan. „Für den Anfang solltet Ihr Euch zum Beispiel immer vor Augen halten, dass es ja nur noch zwei Tage bis zur Abstimmung sind. Nur noch zwei Tage, Herrin. Zwei Tage! Dann werdet Ihr schon erfahren, ob der Plan nötig ist oder nicht. Ich werde es Euch aber dann auf jeden Fall sagen. Das verspreche ich! Auf jeden Fall! Egal, ob es sein muss.“ „Also gut, Telzan.“, sagte Sytania. „Ich werde dir vertrauen. Wenn etwas verkehrt lief, dann hattest du ja keine Schuld. Zumindest in 90 % der Fälle nicht. Es waren ja immer unsere Widersacher, denen das Schicksal im letzten Moment dann doch immer die besseren Karten zugespielt hat. Aber wenn unsere Pläne doch funktionieren sollten, dann werde ich ja bald sogar die Fäden des Schicksals in meiner eigenen Hand halten!“ „In der Tat, Milady!“, sagte Telzan und beide lachten gemein auf. Danach verließ Telzan das Schloss und ging in Richtung seiner Garnison davon. Hier wartete schließlich noch ein Berg Arbeit auf ihn, wenn er für die heutige Nacht gut vorbereitet sein wollte.

Kapitel 54: Beschämende Nachrichten

von Visitor

 

Auf Zirells Station hatte Joran inzwischen Darell erreicht und sie sofort mit Zirell, ihrer alten Schulfreundin, verbunden. Die Vorsitzende des tindaranischen Parlaments war über Zirells Ruf sehr überrascht gewesen und vor allem war sie das über die Tatsache, dass sie offenbar nicht allein war.

„Nun sag mir doch bitte erst einmal, warum dein Erster Offizier und deine Ingenieurin bei dir sein müssen, wenn du mit mir reden willst, Zirell.“, sagte Darell scherzend. „Traust du deiner alten Freundin etwa allein nicht mehr über den Weg?“ Sie grinste. „Das ist es nicht, Darell.“, sagte Zirell ernst. „Maron hat dir doch die Daten geschickt, die wir aus Dirans Schiff bekommen konnten. Daraus geht doch hervor, dass die Probleme, die wir in letzter Zeit haben, auf eine Ladungsverschiebung in den Energien der Dimensionen zurückzuführen sind. Die wiederum ist darauf zurückzuführen, dass sich die Machtverhältnisse bei den Mächtigen, die ja teilweise direkt mental mit ihren Dimensionen verbunden sind, fast umgekehrt haben.“ „Fast umgekehrt?“, fragte die Politikerin irritiert. „Wie habe ich das zu verstehen?“ „Das hast du so zu verstehen.“, sagte Zirell, „Dass sich Valora, die Leitstute der Einhörner, offenbar tatsächlich mit Sytania verbündet hat. Ich weiß, das passt eigentlich gar nicht zu dem Bild von tugendhaften Wesen, als die wir die Einhörner gern sehen wollen, aber auch sie sind Wesen, die Liebe und somit auch Eifersucht empfinden können. Wo Rauch ist, da ist auch Feuer, Darell. Ich denke, dass Valora gerade letzteres empfindet. Das ist wohl der Grund, aus dem sie so ein Verhalten gezeigt hat und Jenna kennt den Grund, aus dem sie eifersüchtig ist.“

Sie sah zu McKnight herüber. Da Joran das Gespräch mit Darell auf den Hauptschirm gestellt hatte, konnten alle in gleicher Weise teilnehmen.

„Zirell hat Recht, Darell.“, sagte Jenna und schaute etwas beschämt. „Ich kenne den Grund. Wir werden euch eine Aufzeichnung zukommen lassen. Es wird sich dabei um eine Aufzeichnung meiner Träume handeln, in denen ich offenbar Kindheitserinnerungen von Lord Grandemought von Zeitland verarbeite. Ich hatte IDUSA befohlen, meine Träume aufzuzeichnen, weil sie sich Nacht für Nacht auf die gleiche Weise wiederholt haben. Ich wollte endlich Klarheit, verstehst du?“ „Ich verstehe dich sehr gut, Jenna.“, sagte Darell verständig. „Aber ich verstehe nicht, warum du dich so schämst. Was ist denn in deinen Träumen Schlimmes aufgetaucht?“ „Im Prinzip dürfte Grandemought für den Streit der Einhörner und somit für unsere Situation verantwortlich sein, Darell.“, sagte Jenna traurig. „Vielleicht fühle ich mich auch nur so beschämt und schuldig, weil ich jetzt das fühle, was er gefühlt hätte, wenn er zu Lebzeiten noch die Konsequenzen seiner Entscheidung mitbekommen hätte. Vielleicht ist das ganz normal. Schließlich war ich für einige Zeit sein Gefäß.“ „Wann hat Grandemought denn jene Entscheidungen getroffen, Jenna?“, fragte Darell. „Das war doch wohl lange vor deiner Geburt und somit lange vor der Zeit, in der du sein Gefäß sein konntest. Also musst du dir schon mal gar keine Vorwürfe machen. Aber was war denn das jetzt für eine schreckliche Entscheidung?“ „Grandemought riet Invictus, sich von Zeit zu Zeit mit einer Sterblichen zu paaren, damit deren Kinder eine Spur von Verwundbarkeit behielten. Dadurch wollte er verhindern, dass die Mächtigen irgendwann einmal aus Überheblichkeit oder aus einer Laune heraus alles zerstören würden. Invictus und Grandemought waren Freunde in der Jugend. Invictus hatte eine Vision, in der genau das passieren würde, wenn sich Mächtige nur immer unter Mächtigen vermehren würden.“ „Ah ja.“, sagte Darell. „Und dem wollte er also einen Riegel vorschieben. Aber meiner Meinung nach ist das nichts, wofür er sich schämen muss! Im Gegenteil, Jenna, ich finde es einfach genial und ich bin überzeugt, auch du erkennst die Genialität, die hinter diesem Vorschlag steckt!“ „Das stimmt schon.“, gab Jenna zu. „Aber ich bin zerrissen. Ich weiß nicht, ob ich Grandemought für diesen Vorschlag beklatschen oder verfluchen soll! Ich meine, immerhin konnte er in die Zukunft sehen und hätte doch sehen müssen, welche Konsequenzen sein Tun für uns alle hatte.“ „Ich bin sicher, Jenna.“, sagte die Regierende der Tindaraner ruhig. „Das hat er auch getan. Wenn Grandemought deinen Körper besetzt hatte, dann kam er mir bisher immer sehr besonnen vor. Zumindest ging das aus den Berichten deiner Kameraden hervor. Ich weiß ja nicht, wieviel du selbst davon mitbekommen hast und in wie weit du Einfluss auf das Geschehen hattest. Grandemought hat deinen Kameraden zwar immer wieder versichert, ihr würdet zusammenarbeiten und du hättest auch einen gewissen Grad an Kontrolle, aber wir hatten niemals deine Sicht vor Augen. Hab keine Angst. Du kannst jetzt ruhig ehrlich sein. Er ist ja jetzt nicht hier.“ „Belogen hat er meine Kameraden auf keinen Fall!“, sagte Jenna fest. „Es stimmt alles, was er diesbezüglich gesagt hat und er ist auch sehr besonnen. Aber gerade deshalb verstehe ich nicht, wie er uns in so eine Situation bringen konnte. Ich kann es mir nur so erklären, dass er sich gedacht hat, wir würden damit schon fertig werden. Vielleicht hatte er uns ja sogar gesehen.“ „Davon gehe ich aus!“, sagte Darell sehr sicher. „Und er wird mit Sicherheit auch gesehen haben, was für ein geniales Wesen du bist! Versteh mich bitte nicht falsch. Ich habe keinesfalls vor, die gesamte Verantwortung für unsere Rettung allein auf dich abzuwälzen. Aber ich denke, dass du noch mehr tun kannst, als einfach nur seine Erinnerungen weiterzugeben.“ „Ihr seid mir also nicht böse für das, was damals geschehen ist?“ fragte Jenna. „Nun.“, sagte Darell. „Ich für meinen Teil gehöre nicht zu jenen Staatsoberhäuptern, die den Boten töten, weil ihnen die Nachricht nicht gefällt. Sicher sind die Konsequenzen von Grandemoughts Vorschlag im Moment für uns alle etwas schwierig, aber Schwierigkeiten sind meiner Meinung nach dazu da, um gemeistert zu werden! Aber du hast gar nichts zu befürchten, Jenna. Wir werden dir auch weiterhin unser größtes Vertrauen entgegenbringen. Du konntest ja nichts für Grandemoughts Entscheidung. Die Gründe dafür habe ich dir ja gerade hoffentlich ausreichend dargelegt.“ „Das hast du wohl, Darell.“, sagte Jenna erleichtert. Dann beendeten sie und das Staatsoberhaupt der Tindaraner das Gespräch.

Die hoch intelligente Halbschottin lehnte sich aufatmend zurück. „Ich bin heilfroh, dass das Gespräch so ausgegangen ist, Zirell!“, sagte sie dann in Richtung ihrer Vorgesetzten. „Was hattest du denn erwartet, Jenn’?“, erwiderte die ältere Tindaranerin. „Hattest du ernsthaft gedacht, sie würde dich einen Kopf kürzer machen?“ „Ich denke, an so etwas Ähnliches habe ich wohl tatsächlich gedacht.“, sagte Jenna. „Dann hast du aber offensichtlich dieses Mal falsch gedacht, Telshanach.“, mischte sich Joran ins Gespräch. „Aber das würde ich mir gern rot im Kalender anstreichen. Es kommt ja nur sehr selten vor.“ „Na dann tu, was du nicht lassen kannst.“, grinste Jenna.

Sie stand auf. „Zirell, ich würde dann gern wieder an meinen Arbeitsplatz gehen.“, sagte sie. „Ist in Ordnung.“, sagte die tindaranische Kommandantin. McKnight bedankte sich noch höflich und ging dann aus der Kommandozentrale.

Iranach und Elisa hatten inzwischen auch Logars Schloss betreten und der Herold hatte sie angekündigt. Nun standen die Vendar und das Bauernmädchen vor dem Thron des imperianischen Königs.

„Sag mir, Iranach.“, wandte sich Logar seiner Vertrauten zu. „Welchen Zweck soll es haben, wenn ich die Kleine in meine Dienste nehme? Dein Novize hat mir geschildert, unter welchen Umständen ihr sie gefunden habt.“ „Seht Euch ihre Hände an, Majestät!“, pries Iranach Elisas Qualitäten als Näherin an. „Sie ist sehr geschickt und kann Euch sicher einige stattliche Roben anfertigen. Ich weiß, Ihr habt genug Näherinnen in Euren Diensten, aber sie …“ „Bitte lass mich weiterreden.“, flüsterte Elisa Iranach zu. „Also gut.“, sagte die Vendar und nahm die Kleine auf ihren Arm, damit sie Logar ins Gesicht sehen konnte. Dann sagte Elisa mit fester Stimme: „Aber ich bin sicher, Majestät, dass niemand unter ihnen ist, die Euch Informationen über die Pläne Eurer Tochter geben kann! Ich war lange ihre Zofe und habe einiges aufschnappen können. Ich werde Euch all diese Informationen geben, wenn Ihr mich in Eure Dienste nehmt! Ich werde sie Iranach zukommen lassen, die sich ja meistens in Eurer Nähe aufhält und sie wird sie dann Euch geben! Was haltet Ihr davon, Milord?!“

Die Miene des imperianischen Herrschers versteinerte. Elisa machte dieses Geschehen große Angst. Sie war sich nicht sicher, was sie dort gerade angerichtet hatte. „Iranach, was hat das zu bedeuten?“, fragte sie und schmiegte sich ängstlich an die Vendar. „Ich weiß es nicht.“, flüsterte Iranach. „Das habe ich auch noch nie gesehen.“

Logar lachte plötzlich laut auf. „Also, Iranach!“, rief er dann begeistert aus und klopfte sich auf die Schenkel. „Ich glaube, mit der Kleinen haben wir einen guten Fang gemacht. Sie scheint intelligenter zu sein, als wir bisher glaubten und sie taugt sicher nicht nur zur Näherin. Da sie uns Informationen versprochen hat, die sie mir durch dich geben will, ist es wohl am besten, wenn sie bei dir wohnt. Ich würde sagen, wir lassen sie einige Stationen durchlaufen und sie kann dann mitentscheiden, wo es ihr am besten gefällt! Nun aber sollte sie sich zuerst einmal häuslich einrichten und sich frisch machen.“ „Ich habe verstanden, Gebieter!“, sagte Iranach. „Das bedeutet also, ich darf bleiben?!“, strahlte Elisa. Die Vendar nickte und setzte sie ab. „Danke, Iranach!“, lächelte das Bauernmädchen. „Ich werde dich sicher nicht enttäuschen!“ „Warum bedankst du dich bei mir?“, fragte Iranach jetzt ihrerseits breit grinsend. „Das hast du ganz allein dir selbst zu verdanken. Aber nun komm mit! Schließlich wollen wir dich ja vorzeigbar machen und du musst dich auskennen!“ „In Ordnung.“, sagte Elisa und folgte der winkenden Vendar aus dem Thronsaal.

Im Schutze der Schwärze des Universums pirschten sich zwei Vendar in einem getarnten Veshel in der nächsten Nacht an Zirells Station heran. Es waren Telzan und Cirnach, die sich dorthin begeben hatten, um Sytanias und Telzans gemeinen Plan auszuführen.

„Bitte übernimm kurz das Steuer, Telshanach.“, sagte Telzan. „Ich möchte mich noch einmal selbst mit dem Erfasser scannen, um sicher zu gehen, dass meine Sifa wirklich bereit zur Aufnahme des Feldes ist.“ „Vertraust du dem Urteil unserer Herrin etwa nicht?“, wollte Cirnach wissen. „Wenn ich ehrlich sein soll.“, erwiderte ihr Mann. „Dann bezweifele ich es in dieser Situation durchaus. Ich weiß, dass die Aussicht, bald ein Energiefeld von den Quellenwesen besitzen und vielleicht sogar ummünzen zu können, sehr attraktiv für Sytania ist. Wenn es zu solchen Situationen kommt, dann leidet manchmal ihr Urteilsvermögen. Ich habe irgendwie das dumme Gefühl, sie könnte auch jetzt etwas vergessen haben.“ „Also gut.“, sagte Cirnach und setzte sich auf den Pilotensitz, den Telzan vorher für sie freigemacht hatte.

Ihr Ehemann hingegen zog sich auf die Rückbank des Cockpits zurück und begann sich dann mit seinem Erfasser zu scannen. Aber auch das Gerät gab ihm keinen Anlass zur Sorge.

„Offenbar hat sich Sytania dieses Mal nicht von ihrer Gier leiten lassen.“, sagte er und ließ das Gerät zufrieden sinken. „Den Göttern sei Dank!“ „Ich weiß, dass du im Stillen Sytanias Urteil nicht immer uneingeschränkt vertraust.“, sagte Cirnach, die sich nach hinten gewandt hatte. „Aber das darfst du sie natürlich niemals wissen lassen!“ „Das werde ich auch nicht, Telshanach!“, versicherte Telzan. „Das werde ich auch nicht!“

Ein Signal vom Mishar ließ Cirnach einen Blick auf den Schirm der Flugkonsole werfen. „Wir haben unser Ziel erreicht, Telzan.“, meldete sie. „Halt dich bereit!“

Sie programmierte den Mishar auf das Halten der Umlaufbahn und ging dann zur Transporterkonsole. Dort setzte sie sich und sah durch den Sucher. Was sie dort aber feststellte, wollte ihr so gar nicht gefallen. „Kelbesh!“, rief sie aus. „Was ist, Telshanach?“, fragte Telzan. „Er kann das Feld nicht im Ganzen erfassen.“, erklärte Cirnach eine Meldung, die sie vom Computer des Schiffes bekommen hatte. „Er sagt, dass es zu groß sei.“ „Lass mich kurz überlegen.“, sagte Telzan, stützte seinen Kopf in die linke Hand und begann nachzudenken. Irgendwas musste ihm einfallen. Er hatte nicht vor, unverrichteter Dinge wieder zu Sytania zurückzukehren! Die Prinzessin hatte seiner Ansicht nach schon zu viele Hiobsbotschaften in letzter Zeit einstecken müssen. Wenn dieser Plan auch noch scheitern würde, dann würde sie vielleicht sogar verzweifeln und das konnte er auf keinen Fall zulassen! Es musste ihm einfach irgendwie gelingen, an das Feld zu kommen, oder wenigstens zu verhindern, dass es weiterhin in Jorans Besitz blieb. Seine Herrin hatte ihm zwar nicht genau gesagt, was sie gesehen hatte, als sie in die Zukunft sah, ihre Andeutungen aber hatten ausgereicht, um ihm zu verdeutlichen, dass dies auf keinen Fall etwas für sie Positives gewesen sein konnte!

Nervös trommelte Cirnach mit den Fingern auf das Gehäuse der Konsole. „Ich hoffe, dir fällt bald etwas ein, Telzan!“, sagte sie aufgeregt. „Falls das nicht der Fall sein sollte, laufen wir vielleicht Gefahr, trotz Tarnung doch noch entdeckt zu werden, weil wir uns zu lange nicht bewegt haben. Immerhin stellt sich das Veshel zwar jetzt als normales Wellenmuster dar, aber das ist ja jetzt quasi doppelt an einer Stelle vorhanden. Jemandem wie Jenna McKnight könnte das schon auffallen.“ „Wir würden bestimmt schneller zu einer Lösung kommen, wenn du mit nachdenken würdest, Cirnach!“, sagte Telzan etwas unwirsch. „Über unsere Situation schimpfen wird nichts helfen!“ „Ich weiß.“, sagte die Vendar. „Aber ich weiß ja auch nicht, was wir tun sollen.“ „Wir könnten zum Beispiel damit anfangen, dass du mir ein Bild des Inneren der Station besorgst.“, sagte Telzan. „Die Sensoren sollten ja jetzt dazu in der Lage sein, eines zu bekommen. Nah genug sind wir ja schließlich. Ich würde im Speziellen gern den Maschinenraum sehen.“ „Also gut.“, sagte Cirnach und gab die entsprechenden Befehle in den Mishar ein. Dann stellte sie das Bild auf den Hauptschirm, so dass auch Telzan es sehen konnte.

Der Vendar grinste beim Anblick des Gesichtes der Person, die sich offensichtlich dort befand. „Shannon O’Riley!“, rief er aus. „Es ist Shannon O’Riley und nicht Jenna McKnight! Von ihr haben wir nichts zu befürchten! Sie ist harmlos, Telshanach.“ „Dein Wort in den Ohren der Götter.“, sagte Cirnach und schlug die Augen nieder. „Das tust du doch nur, wenn du eine Vorahnung hast, Telshanach.“, sagte Telzan. „Was ist los?“ „Ich weiß es nicht.“, sagte Cirnach. „Vielleicht ist es auch einfach nur ein dummes Gefühl.“ „Wenn du dumme Gefühle hast, meine kluge und schöne Telshanach.“, sagte Telzan. „Dann ist da auch meistens etwas dran. Deiner Intuition habe ich bisher immer vertrauen können. Also, was ist es dieses Mal?“ „Ich kann es nicht definieren.“, sagte Cirnach. „Aber mein Bauch sagt mir, dass wir sie nicht unterschätzen sollten.“ „Ach was.“, sagte Telzan und lachte auf. „Sie ist niemals intelligent genug, um unsere Pläne zu zerstören. … Warte mal!“

Ihm war offensichtlich eine Idee gekommen. „Wenn wir das Feld nicht ganz an uns reißen können.“, sagte er. „Dann müssen wir es eben zerreißen. Dann kann es sogar sein, dass es später zwei gibt. Das wird nicht nur die Pläne der Quellenwesen vereiteln, nein, es dürfte sie auch noch total verwirren und die Situation verändern. Vielleicht sogar zu unseren Gunsten, denn nichts ist besser als ein verwirrter Feind und als solchen müssen wir die Quellenwesen schließlich betrachten, weil sie die Ordnung aufrechterhalten wollen und wir wollen sie zerstören!“ „Das sehe ich genauso.“, sagte Cirnach und wechselte wieder den Platz. Dann erfasste sie eine Hälfte des Feldes mit den Sensoren des Transporters und beamte es in Telzans Sifa.

„Herzlichen Glückwunsch, meine kleine durchtriebene Cirnach.“, sagte Telzan. „Es ist angekommen. Ich fühle es. Jetzt werde ich mich nach hinten begeben und mit dem Fütterungsritual beginnen. Flieg du uns zurück ins Dunkle Imperium! Aktiviere den interdimensionalen Antrieb so früh wie möglich. Ich will hier nicht so viele Spuren hinterlassen!“ „Wie du wünschst, mein schlauer Ehemann.“, lachte Cirnach verbrecherisch und wendete das Schiff, während Telzan in die Achterkabine ging.

Joran war durch ein unruhiges Gefühl erwacht. Es war ihm, als würde ihm etwas fehlen, auf das er es versäumt hatte, vernünftig aufzupassen. Er vermied es aber, IDUSA den Befehl zum Einschalten des Lichts zu erteilen, da er Jenna, die tief und fest neben ihm schlummerte, nicht wecken wollte. Vielleicht hatte er ja auch einfach nur schlecht geträumt und es war gar nichts. Dann hätte er sie ganz umsonst in Sorge versetzt und das war etwas, das ihm nun wirklich fern lag. Er wusste, dass sie ihren Schlaf benötigte, wenn sie unter den gegebenen Umständen die Station und die Schiffe am Laufen halten sollte. Soweit er die Situation verstanden hatte, konnten sich die physikalischen Bedingungen jederzeit zu ihren Ungunsten verändern und dann war Jenna die einzige, die dann unter Umständen noch helfen konnte. Dazu benötigte sie aber einen ausgeschlafenen Geist und konnte es sicher gar nicht gebrauchen, wenn ihr Freund sie wie ein kleines Kind nur wegen eines Albtraums aus den eigenen Träumen holen würde!

Der Vendar hatte sich also im Bett aufgesetzt und hatte dann auf dem Nachttisch nach seinem Erfasser gesucht. Dort hatte er ihn aber nicht finden können. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er ihn ja in der Tasche seiner Uniformjacke vergessen hatte, als er sie über einen Stuhl im Wohnzimmer gehängt hatte.

Er stand also auf und tastete sich in Richtung des Wohnzimmers vor. Da es aber in seinem Quartier stockfinster und er barfuß unterwegs war, stieß er sich den rechten großen Zeh am Türpfosten. Das tat ziemlich weh! Er musste sich auf die Zunge beißen, um nicht laut zu fluchen oder zu schreien. Dabei dachte er nur: Wie machst du das, Betsy El Taria!

Ein Signal vom Lautsprecher in der Nähe ließ ihn aufhorchen. Dann drehte er sich in die Richtung, aus der es gekommen war. Im gleichen Moment wurde das Licht vorsichtig eingeschaltet. „IDUSA, nein!“, flüsterte der erschrockene Vendar in das Computermikrofon, das sich jetzt genau vor ihm in gleicher Höhe mit dem Lautsprecher befand. „Tut mir leid.“, sagte die Stimme des Stationsrechners nüchtern. „Aber als Computer dieser Station ist es meine Aufgabe, alle Dinge von Ihnen fernzuhalten, die Ihre Gesundheit gefährden könnten, also für die Sicherheit der Mitglieder meiner Crew zu sorgen. Deshalb habe ich auch das Licht aktiviert, um Ihnen eine Möglichkeit zu geben, unfallarm zu erledigen, was immer Sie erledigen wollen. Unfallfrei wird das nicht mehr möglich sein, weil Sie mir den Befehl zum Aktivieren des Lichtes nicht erteilt haben und somit bereits verunfallt sind.“ „Da werde ich dir auch bestimmt keinen Strick draus drehen, IDUSA.“, sagte Joran leise. „Denn es war ja tatsächlich meine eigene Schuld. Meine Augen können zwar das Licht 40 % besser verarbeiten als die der meisten anderen hier, aber was will man tun, wenn es kein Licht zum verarbeiten gibt? Insofern hast du sicher korrekt gehandelt. Aber musst du nicht auch auf die Gesundheit von Techniker McKnight achten? Musst du nicht auch darauf aufpassen, dass ihr Schlaf nicht gestört wird? Würde das nicht einen schweren Datenkonflikt bei dir auslösen?“ „Negativ, Joran.“, sagte IDUSA. „Ich aktivierte das Licht ja nur in Ihrer direkten Umgebung. Die Tür zum Schlafraum ist geschlossen. Techniker McKnight wird es nicht sehen. Sie könnte aber sehr wohl auf unsere Diskussion aufmerksam werden, die Sie allerdings begonnen haben, indem Sie mich versuchten, in meinem Verhalten zu korrigieren.“ „Da hast du Recht, IDUSA.“, gab Joran zu. „Da habe ich mir wohl selbst ein Ei ins Nest gelegt. Hätte ich dich einfach machen lassen, dann wäre jetzt sicher nichts passiert.“ „Das ist korrekt.“, sagte der Rechner der Station.

Die Tür zum Flur öffnete sich und Jenna trat aus dem Schlafraum. Sie sah sehr müde aus. „Kannst du mir mal verraten, was IDUSA und du mitten in der Nacht auf dem Flur zu diskutieren habt, Joran?“, fragte sie und streckte sich, um danach einmal laut und demonstrativ zu gähnen. Dann sagte sie noch mit etwas Nachdruck: „Es ist vier Uhr morgens!“ „Es tut mir leid, Telshanach.“, sagte Joran und machte eine beschwichtigende Kopfbewegung in ihre Richtung. „Eigentlich wollte ich dich nicht wecken. Aber zwischen IDUSA und mir gab es ein kleines Missverständnis.“ „Warum bist du denn überhaupt aufgestanden?“, fragte Jenna, die sein Verhalten sehr ungewöhnlich fand.

Joran kam ins Grübeln. Er wusste nicht genau, ob er sie mit seinem Problem behelligen sollte oder nicht. Schließlich wusste er noch nicht einmal, ob es überhaupt eines gab. Er wusste aber auch, dass ihre Beziehung auf Ehrlichkeit basierte und er sie deshalb nicht belügen durfte und wollte. Als Vendar nahm er das damit sehr genau. Das war eine seiner Rasse angeborene Eigenschaft.

Er nahm McKnights Hand und führte sie wieder in den Schlafraum zurück. Dann setzten sich beide auf das Bett. „Ich glaube, dass etwas mit mir nicht stimmt, Telshanach.“, sagte er. „Wenn es dir nicht gut geht, dann werde ich besser mal Ishan holen.“, sagte Jenna und wollte aufstehen. Er aber zog sie zurück. „Nein, Telshanach.“, sagte er ruhig, aber bestimmt. „Wenn es das ist, was ich vermute, dann wird Ishan mir nicht helfen können. Das kann nur ich selbst, indem ich sofort mit dem Fütterungsritual beginne. Sonst verliere ich vielleicht das Feld der Quellenwesen!“ „Du machst mir Angst.“, sagte die hoch intelligente Halbschottin. „Das liegt nicht in meiner Absicht, Telshanach.“, sagte Joran und streichelte zärtlich ihr Gesicht. „Aber wenn du möchtest, kannst du mir vielleicht tatsächlich helfen. Bitte hol meinen Erfasser und scanne mich damit. Wir müssen sichergehen.“ „Sofort!“, sagte Jenna und sprang alarmiert auf.

Wenig später war sie mit dem Erfasser zurück und hatte ihn auf Joran gerichtet. Was sie dort aber sah, erschreckte auch sie. „Es sieht aus, als hätte dir jemand die Hälfte des Feldes aus der Sifa gebeamt. Ich erkenne eine Transportersignatur!“

Sie stellte etwas am Gerät um und scannte ihn erneut. Dann sagte sie: „Sie ist vendarisch! Das Feld scheint erheblich in seiner Struktur geschädigt zu sein! Du hast Recht. Es wird zusammenbrechen, wenn du es nicht stützen kannst und dann wirst du es verlieren!“ „Deshalb muss ich das ja auch tun.“, sagte Joran. „Geh du mit den Daten zu Anführerin Zirell und Maron El Demeta! Sag ihnen, was hier geschehen ist! Ich werde mein Möglichstes versuchen, um die Quellenwesen nicht enttäuschen zu müssen!“ „In Ordnung.“, sagte Jenna. „Aber ich bin mir sicher, dass ich noch weitaus mehr tun kann.“

Sie holte ihr Sprechgerät aus der Tasche und stellte eine Verbindung zu IDUSA her. Dann gab sie ihr einige Befehle ein. „Was hast du da getan, Telshanach?“, fragte Joran. „Das wirst du schon noch sehen.“, sagte Jenna und ging. Im Gehen rief sie ihm noch zu: „Du wirst es brauchen!“ „Also gut, Telshanach.“, sagte Joran. „Ich vertraue dir.“ Dann nahm er die für das Fütterungsritual notwendige Haltung ein und begann damit, sich auf das Bild vom leeren Raum und dem Tisch, an dem nur er und Illiane St. John als Entsprechung für das Feld saßen, zu konzentrieren. Er schwor sich selbst, nicht eher zu ruhen, bis er das Feld wieder stabilisiert hatte. Das würde zwar sicher bedeuten, dass er nicht zur Schicht in der Kommandozentrale erscheinen konnte, aber Jenna würde Zirell und Maron ja eh alles erklären und die Beiden würden dann schon die richtigen Schlüsse ziehen. Mit IDUSA sprach er ab, dass sie ihn körperlich überwachen durfte und ihn mittels eines leichten Stimulatorstoßes aus dem Zustand der Fütterung holen durfte, wenn es darum ging, körperliche Bedürfnisse zu stillen. Ansonsten sollte sie jedem sagen, dass er nicht gestört werden wollte.

Kapitel 55: Folgenreiche Irrtümer

von Visitor

Cirnach hatte die interdimensionalen Koordinaten für das Dunkle Imperium in den interdimensionalen Antrieb des Veshel eingegeben und die Geschwindigkeit, mit der sich das Feld aufbauen sollte, den erneut leicht veränderten Bedingungen der Dimensionen angepasst. Mit Erleichterung hatte sie zur Kenntnis genommen, dass das Schiff ihren Befehlen ohne Schwierigkeiten gefolgt war. „So gefällt mir das.“, sagte sie und lehnte sich zufrieden auf dem Pilotensitz zurück. „So kann es ruhig weitergehen.“

Dass es aber nicht so weiterging, sollte sie bald feststellen, denn ein Signal von der Sprechanlage hatte sie aufhorchen lassen. Am Rufzeichen erkannte sie, dass der Ruf aus der Achterkabine kommen musste. Sofort wurde ihr heiß und kalt gleichzeitig, denn sie dachte sich, dass etwas mit ihrem Mann sein musste. Sofort schoss ihr eine alte Legende der Vendar durch den Kopf, nach der es für einen Vendar unmöglich war, ein Feld, das überhaupt nicht seinem Charakter entsprach, länger als einige Sekunden zu tragen. Dabei war es egal, ob das Feld ein Bewusstsein hatte, also selbst über seinen Verbleib in dessen Sifa entscheiden konnte oder nicht. Sie hatte dies zwar bisher immer nur für eine Legende gehalten, wie es alle Vendar taten, aber über ihr und Telzan schwebte ja auch noch die Diskussion, ob Sytania nicht etwas vergessen haben könnte, wie ein Damoklesschwert. „Ich habe es geahnt!“, rief Cirnach aus. „Ich wusste, dass das schiefgeht!“ Sie gab einen auf leichte Wut hindeutenden Laut von sich. Wütend war sie auf Sytania gewesen. Die hätte schließlich wissen müssen, dass das nicht gut gehen konnte. Dann wandte sie sich dem Rechner des Schiffes zu: „Mishar, übernimm das Steuer!“

Ohne die Antwort des Computers abzuwarten, hastete sie dann durch das Cockpit zur Achterkabine. Hier zog sie sofort ihren Erfasser und scannte Telzan. Aber allein sein Anblick hatte ihr schon verraten, dass hier etwas nicht stimmte. Sie hatte ihn fragen wollen, was denn nun sei und ob er vielleicht den Zustand der Fütterung nicht erreichen könne, aber diese Fragen waren wohl müßig geworden, denn er saß total verkrampft auf dem Sitz. Sein Gesicht war schmerzhaft verzerrt und er atmete schwer.

Cirnach richtete den Erfasser auf die Sifa ihres Mannes. „Das ist gut, Telshanach.“, sagte Telzan angestrengt. „Bitte sag mir, ob es noch eine Chance für mich gibt, das Feld halten zu können!“ „Leider wird es die wohl nicht geben!“, sagte Cirnach fest, die auf keinen Fall wollte, dass er sich unnötig Illusionen hingab. „Du wirst es verlieren. Daran können weder du noch ich etwas ändern. Ich schlage vor, du lässt los. Du kannst es nicht halten, selbst wenn du es noch so sehr versuchst. Wenn du dich weiter wehrst, wirst du deine Sifa sogar schädigen! Sie wird vernarben und dann bist du nicht mehr praktizierfähig. Gebieterin Sytania wird dich dann deines Amtes entheben müssen!“ „Nein, Telshanach!“., rief Telzan aus. „Ich darf dieses Feld nicht …!“

Er gab einen Schrei von sich und im gleichen Augenblick gab es einen gleißenden Blitz aus Energie, der Cirnach sogar zwang, ihre Augen zu schließen.

Nach einer kurzen Weile sah Telzan seine Frau teils erleichtert, teils aber auch mit Sorge, an. „Bitte sag mir, dass ich es nicht verloren habe, Telshanach.“, bat er. „Dann müsste ich dich anlügen, Telzan.“, sagte Cirnach und ließ niedergeschlagen den Erfasser sinken. „Warum ist das passiert?“, fragte Telzan. „Ich habe doch alles versucht!“ „Das bezweifele ich nicht.“, sagte seine Frau. „Aber anscheinend ist das nicht nur eine Legende. Anscheinend kann ein Vendar, der ein Energiefeld trägt, das nicht seinem Charakter entspricht, wirklich nicht tragen. Wenn die Diskrepanzen zwischen der Energie, aus der es besteht und seiner eigenen zu groß sind, dann können sie sich nicht vermischen.“ „Woher kann so etwas kommen, Cirnach?“, fragte Telzan abgekämpft. „Das weiß ich nicht genau.“, sagte die heilkundige Vendar. „Aber mir kam zu Ohren, dass Techniker McKnight dazu die Theorie aufgestellt haben soll, dass es wohl an den zu großen Diskrepanzen der Polaritäten liegen könnte. Die Energie eines bösen Charakters ist ihrer Meinung nach negativ gepolt und die eines guten eben positiv. Sie sagt, der negative Part ist der Minus- und der positive Part ist der Pluspol. Wenn die Diskrepanz zu groß ist zwischen den Beiden, dann können sie sich also nicht vermischen, was ja durch das Fütterungsritual erreicht werden soll. Plus- und Minuspol brauchen sich zwar gegenseitig, aber bitte getrennt und nicht gemischt! Deshalb konntest du es nicht füttern und deine Sifa hat daraufhin die Schleimhaut, in der es haften sollte, abgebaut. Sie wurde längst von deinem Körper resorbiert. Es gibt also keine Chance mehr für dich, dieses Feld noch …“ „Ich weiß, Cirnach!“, rief Telzan aus und kreuzte verzweifelt die Hände vor der Brust. „Aber wenn unsere Spione im Dunstkreis von Jenna McKnight das sogar eruieren konnten, warum hat Sytania es dann nicht vor Augen gehabt? Sie ist immerhin eine Mächtige! Sie hätte das wissen müssen! Das hätte mir jetzt viel Leid erspart!“ „Du hast gelitten, weil du dich geweigert hast, das Unvermeidliche zu akzeptieren!“, sagte Cirnach. „Als du mich holtest, war der Abbau der Schleimhaut schon sehr weit fortgeschritten. Das bedeutet, du hast versucht, die Kopfschmerzen zu ignorieren und das Feld noch durch deinen Willen an dich zu binden, obwohl das gar nicht mehr ging! Warum hast du mir nicht früher Bescheid gegeben?!“ „Hättest du dann etwa noch etwas tun können, Telshanach?“, fragte Telzan, der wieder etwas Hoffnung geschöpft hatte. „Nein.“, sagte die Vendar. „Aber ich hätte dir eine Medizin geben können, die wenigstens deinen Schmerz gelindert hätte. Dafür war es allerdings gerade schon zu spät.“

Telzan setzte sich schwerfällig gerade in den Sitz. Dann fragte er: „Was sagen wir nur Sytania, Telshanach?! Was sagen wir ihr nur?!“ „Lass mich nur machen!“, tröstete Cirnach. „Ich werde schon einen Weg finden, sie hinzuhalten.“ „Ich habe Sorge, dass sie das merken könnte, Telshanach.“, sagte Telzan und sah sie besorgt an. „Nur die Ruhe.“, tröstete Cirnach. „Ich werde schon einen Weg finden, mich bei ihr so sehr einzuschmeicheln, dass sie gar nicht mehr so sehr daran denkt. Erinnerst du dich noch, wie geschickt ich es eingefädelt habe, dich damals, als du dein Amt verloren hattest, wieder in Amt und Würden zu versetzen? Da habe ich Sytania auch um meine langen Finger gewickelt und sie hat es nicht gemerkt. Genauso werde ich jetzt auch verfahren. Vertrau mir, mein Ehemann! Vertrau mir! Sytania ist eine Frau wie ich und deshalb kann ich mich auch am besten in ihre Denkweise versetzen. Lass das also in den listigen Händen deiner Frau.“ „Oh das werde ich gern tun, Telshanach.“, sagte Telzan. „Das werde ich gern tun. Ich konnte mich damals ja sehr auf dich verlassen und etwas sagt mir, dass du auch dieses Mal eine Lösung finden wirst.“ „Darauf kannst du dich wirklich verlassen.“, grinste Cirnach. „Das werde ich. Aber nun muss ich ins Cockpit zurück, weil wir bald landen und dann braucht der Mishar mich.“ „Das ist in Ordnung.“, sagte Telzan. „Geh du nur. Ich werde versuchen, eine Weile zu schlafen.“ „Das kann ich verstehen.“, sagte Cirnach. „Tu das ruhig.“ Dann legte sie einen Finger auf den Türsensor, worauf die Tür zur Seite glitt und verschwand wieder im Cockpit. Telzan legte sich auf der Bank, auf der er saß, nieder und streckte sich aus. Er war sofort eingeschlafen. Sein Vertrauen in Cirnach war sehr groß. Er wusste, dass sie sicher nicht zu viel versprochen hatte und das beruhigte ihn ungemein.

Im Maschinenraum von Zirells Basis hatte Shannon einen gelangweilten Blick auf die Monitore geworfen, die IDUSA ihr vor ihrem geistigen Auge über den Neurokoppler gezeigt hatte. „Bei dir scheint alles in Ordnung zu sein, IDUSA.“, sagte sie. „Wenn du nix dagegen hast, dann warten wir nur noch auf Jenn’, die mich gleich ablösen wird und dann mache ich auch hier Schluss.“ „Wie Sie wünschen, Shannon.“, sagte der Rechner. „Aber wenn bei mir alles in Ordnung ist, dann erklären Sie mir doch bitte einmal, warum ich doppelt sehe.“ „Du tust was?“, fragte Shannon verwirrt. „Ich sehe doppelt.“, wiederholte der tindaranische Rechner. „Da ist ein Wellenmuster, das es normalerweise so gar nicht geben dürfte.“ „Zeig mal her!“, sagte Shannon mit gelangweiltem Ton. „Du weißt doch, dass die Dimensionen im Moment nicht ganz die alten sind. Da kann es schon mal zu solchen Sachen kommen, denke ich.“ „Ich bezweifele aber ernsthaft, dass es zu so etwas hier kommen kann.“, sagte IDUSA und legte eine vergrößerte Fassung der von ihr gesehenen Doppelbilder auf Shannons Neurokoppler. „Hm.“, überlegte die blonde Irin. „Irgendwie sieht das komisch aus. Da hast du schon Recht. Warum werden hier die Wellen des Universums gleich zweimal angezeigt und dieses Doppelbild wandert auch noch. Es kommt genau auf uns zu! Von wann ist die Aufzeichnung, IDUSA?“

Der Rechner zeigte ihr die Uhrzeit. „OK, sagte Shannon. „Was hat das Ding noch so getrieben?“ „Es ist kurz vor unserer Station eine Weile auf der gleichen Stelle gewesen, hat sich dann gedreht und ist wieder verschwunden.“, sagte IDUSA. „Meiner Analyse nach hat es sich mit Impuls genähert und verschwand mit Warpgeschwindigkeit.“ „Zeig’s mir!“, befahl Shannon. Sie hatte das Gefühl, etwas ganz Großem auf der Spur zu sein. Das kam zwar ihrer eigenen Ansicht nach nur sehr selten vor, aber dann war es etwas, dass sie umso mehr auskosten musste.

IDUSA hatte ihren Befehl ausgeführt und Shannon sich die Bilder genau angesehen. „Für mich sieht das aus, als wollte das Ding nicht gesehen werden, so wie es sich angeschlichen hat.“, sagte Shannon. „Und dann wollte es schnell wieder weg, damit es nicht erwischt wird bei dem, was es vorgehabt hat.“, ergänzte IDUSA. „Ganz recht, Rechner Schnürschuh, ganz recht.“, sagte Shannon. „Mir stellt sich nur die Frage, was das wohl war? Gib mir das Bild bitte noch mal, aber jetzt in Zeitlupe!“ „OK.“, sagte IDUSA. „Aufgepasst!“

Erneut sah sich Shannon die Bilder an. Dann warf sie der Wand vor sich einen Blick zu, als wollte sie sagen, „Ha, jetzt habe ich dich!“ Dann gab sie einen ebenfalls darauf hinweisenden Laut von sich und sagte: „Ich wette mit dir, dass das keine natürlichen Bewegungen irgendeiner Wellenfront im Universum sind, IDUSA! Das sieht mir eher danach aus, als würde diese Wellenfront gesteuert und den Bewegungen nach, die sie macht, is’ das, was sie steuert, genau in ihrer Mitte! Was verursacht so eine Täuschung, IDUSA? Was kann Wellen produzieren, die den Grundstrukturen einer Dimension so ähnlich sind, dass man sie für die halten kann, wenn man nicht genau hinsieht so wie wir zwei Pastorentöchter?“ „Vendarische Tarntechnologie funktioniert auf dieser Basis, Shannon.“, sagte IDUSA. „Echt?“, fragte Shannon in ihrer schier unverwechselbaren Art. „Erklär mal!“ „Sehr gern.“, sagte IDUSA höflich. „Um ein Veshel herum baut sich eine Art Schild auf, der dafür sorgt, dass die Energie von Sensoren so um es herumgeleitet wird, dass ein solches Bild entsteht.“ „Kapiert.“, sagte die blonde Irin. „Und jetzt verrate mir nur noch, ob dieses spezielle Ding hier groß genug is’, um darin ein Veshel zu verstecken!“ „Für ein Shuttle der Klasse drei würde es schon ausreichen, Shannon.“, sagte der tindaranische Rechner. „Oh Bingo!“, rief Shannon aus. „Ich hab’s gewusst! „Aber was hat ein Veshel hier gewollt und noch dazu ein getarntes? Wo war der Punkt genau, an dem es kurz gewartet hat, IDUSA?“ „Der Punkt war in der Nähe der Rückwand von Jorans und Techniker McKnights Quartier.“, sagte IDUSA. „So eine gequirlte Scheiße!“, rief Shannon aus. „Bitte halten Sie an sich, Shannon.“, bat IDUSA. „Wieso?!“, schnauzte die blonde Irin zurück. „Dazu besteht gar keine Veranlassung! Ich lege gleich erst mal richtig los, wenn …“

Die Tür hatte sich geöffnet und Shannon war des Gesichts ihrer Vorgesetzten ansichtig geworden. Allerdings überraschte sie dieser Umstand so sehr, dass sie einen Ausdruck auflegte wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum. „Assistant?“, fragte Jenna. Die über dieses Verhalten ihrer Untergebenen ebenso irritiert war. „Was ist los? Was haben Sie?“ „Sie leben ja!“, rief Shannon begeistert aus. „Mann, was bin ich froh, dass Sie leben! Raus mit der Sprache! Wie geht’s dem Grizzly?! Sagen Sie es ruhig! Ich kann die Wahrheit schon vertragen!“

McKnight deutete nur stumm auf O‘Rileys Neurokoppler und dann auf die freie Fläche vor ihr. „OK.“, sagte Shannon und legte ihn ab. Dann zog McKnight sie von ihrer Arbeitskonsole fort und nahm sie mit zu einem anderen Platz. Hier setzten sich beide nebeneinander. Dann fragte Jenna: „Nun sagen Sie mir endlich mal, was hier los ist, Shannon! Ihr Verhalten ist wirklich merkwürdig.“ „IDUSA und ich haben festgestellt.“, begann die blonde Irin. „Dass Joran und Sie heute Nacht Besuch hatten. Ich hatte Sorge, Ihnen könnte was passiert sein.“ „Uns nicht.“, sagte Jenna. „Aber das würde auch meine Daten stützen, was Sie gerade gesagt haben. Jemand mit einem vendarischen Transporter hat versucht, das Feld aus Jorans Sifa zu beamen. Aber es war zu groß und er oder sie hat jetzt nur eine Hälfte. Das Feld ist zerrissen und somit instabil. Joran versucht alles, um es mit dem Fütterungsritual zu heilen, aber wenn er es nicht schafft, dann wird er es verlieren. Aber woher wissen Sie das mit dem Veshel?“ „Bitte nehmen Sie Ihren Neurokoppler, Jenn’.“, sagte Shannon. Dann befahl sie IDUSA noch, Jenna genau das zu zeigen, was auch sie gesehen hatte.

McKnight hatte sich die Bilder genau angesehen. „Ich muss schon sagen.“, sagte sie. „Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut, Shannon. Ich hätte Ihnen wahrlich nicht zugetraut, dass Sie solch einen Schluss ziehen und daraufhin IDUSA diese Befehle geben würden. Jetzt wissen wir einwandfrei, dass sich ein Veshel und dessen Besatzung, also feindliche Vendar, hinter der Sache verbergen. Ich wette mit Ihnen, das war Telzan oder mindestens einer seiner Leute!“

Sie zog die Daten auf einen Kristall. Dann verfuhr sie genauso mit denen ihres Erfassers. „Lassen Sie hier alles stehen und liegen und kommen Sie mit!“, befahl sie dann in Richtung Shannon. „Ihre stramme Leistung können Sie gleich gegenüber Agent Maron und Commander Zirell selbst erklären! Ich werde Sie natürlich unterstützen, aber aussagen werden wir wohl beide müssen. Oh, Shannon! Sie sind doch gar nicht so dumm, wie sie sich immer darstellen!“ „Na ja.“, sagte Shannon. „Aber an Sie komme ich lange nich‘ ran. Jack O’Neill war auch ein Dummkopf, wenn man ihn mit Samantha Carter verglichen hat.“ „Wir sind hier nicht in Ihrem Lieblingsroman, Assistant!“, sagte Jenna energisch. „Hier in der Realität ist die Welt nicht schwarzweiß. Hier sind die Leute nicht nur dumm oder nicht nur schlau. Hier verschwimmen die Grenzen auch mal und genau das ist jetzt auch passiert, wenn Sie mich fragen! Ich bin jedenfalls sehr stolz auf Sie und nun los!“ Damit zog sie die völlig perplexe O’Riley hinter sich drein in Richtung Kommandozentrale.

Joran war nach einer Erledigung wieder ins Schlafzimmer zurückgekehrt, wo er mit dem Fütterungsritual begonnen hatte. Allerdings irritierte ihn der Umstand sehr, dass eine Leuchte am Auswurffach des Replikators nervös blinkte. Was hast du da für mich, IDUSA?“, wollte er wissen. „Einen kleinen Helfer für Ihre Konzentration.“, antwortete der Rechner. „Es handelt sich um terranischen Traubenzucker, der sicher auch ins Blut eines Vendar geht und dort beim Produzieren bestimmter Stoffe hilft, die für Ihre Konzentrationsfähigkeit unerlässlich sein dürften und konzentrieren müssen Sie sich ja im Moment sehr, um das Feld zu retten. Bitte fühlen Sie sich aber nicht auf den nicht vorhandenen Schlips getreten.“ „Warum sollte ich das, IDUSA?“, fragte Joran. „Du willst mir ja bestimmt nur helfen und ich bin nicht so dumm, deine Hilfe abzulehnen. Wenn ich falschen Stolz zeigen und das tun würde, dann wäre das sicher sehr ungesund für das Feld und das müsste ich dann den Quellenwesen erklären, deren Vertrauen ich dann auf das Schändlichste missbraucht hätte. Das kann ich ihnen unmöglich antun. Also dann. Schauen wir mal, was du da Gutes für mich hast!“

Er wandte sich dem Fach zu. Hier fand er einen kleinen Teller, auf dem ein kleines Herz aus Traubenzucker lag, das etwa fünf Quadratzentimeter im Durchmesser hatte. Auf seiner Vorderseite konnte Joran das vendarische Symbol für Liebe finden. „Ich nehme doch an, das hier ist nicht auf deinem Mist gewachsen, IDUSA.“, sagte er. „Das ist korrekt, Joran.“, sagte der Rechner. „Techniker McKnight beauftragte mich, dies jede Stunde für Sie zu replizieren.“ „Ich verstehe.“, sagte Joran und nahm das Tellerchen an sich. Dann nahm er dessen Inhalt in seine Hand und steckte ihn sich in den Mund, um ihn langsam auf seiner Zunge zergehen zu lassen. „Richtig so, Joran.“, sagte IDUSA. „Ich danke dir.“, sagte Joran und schluckte. „Das schmeckt sehr fruchtig.“, stellte er fest. „In der Tat, wie Sie sagen würden. Techniker McKnights Auftrag beinhaltete auch, dass ich die Herzen mit dem Geschmack von Früchten versetzen sollte, die in Ihrer Heimat wachsen.“ „Oh wie gut sie mich doch kennt.“, sagte Joran zufrieden und leckte sich die Lippen. Ich bin neugierig, was sie noch gesagt hat über diesen Auftrag, IDUSA.“ „Nun, ich denke, das wird Ihnen nicht ganz so gefallen.“, sagte der tindaranische Computer und ihr Avatar vor Jorans geistigem Auge machte ein sorgenvolles Gesicht. „Nun sag schon.“, versuchte der Vendar, sie zu ermutigen. „Ich werde dich auch bestimmt nicht melden. Die einzige, der ich dich melden könnte, wäre ja schließlich meine Telshanach und sie würde sich ja wohl schlecht selbst einen Stein in den Weg legen bei ihren Plänen. Das bringt mich in eine Situation, aus der ich wohl nur wieder herauskomme, wenn ich mich ihren Ideen anvertraue, nicht wahr?“ „Das stimmt schon.“, sagte IDUSA. „Aber Sie übersehen, dass es da immer noch Technical Assistant Shannon O‘Riley gibt, der Sie mich auch melden könnten.“ „Aber sie ist nur die Assistentin meiner Telshanach, IDUSA.“, sagte Joran. „Im Zweifel würde aber Jenna McKnight entscheiden, weil sie ihre Vorgesetzte ist. Du siehst also, ich komme da nicht raus, außer ich tue, was sie von mir will und du auch. Aber was ist das denn nun Schreckliches, was du mir nicht sagen willst, IDUSA.“ „Techniker McKnight beauftragte mich, Sie quasi einer Zwangsernährung zu unterziehen, sollten Sie sich aus falschem Stolz heraus weigern, den Traubenzucker anzunehmen.“ „Und wie hat sie sich das vorgestellt?“, fragte Joran. „Ich sollte ihn direkt in Ihren Magen beamen und dann sollte ich an die Vendar auf New-Vendar-Prime weitergeben, dass ihr großes Vorbild, ihr heldenhaftes Vorbild, an der Sonde hängt. Das wäre ja sicher ein sehr trauriges Bild, das Sie dann in ihren Augen abgäben, nicht wahr?“ „In der Tat.“, sagte Joran. „Und dazu wollen wir es ja gar nicht erst kommen lassen. Also werde ich deinen Traubenzucker brav annehmen. Alles, was mir jetzt hilft, soll und kann mir ja nur willkommen sein. Es geht dem Feld schon besser. Das spüre ich. Aber bis es stabil ist, habe ich wohl noch einen ganzen Berg Arbeit vor mir.“

IDUSA begann damit, Jorans Sifa zu scannen. Dann sagte sie: „Das ist wahr, Joran. Obwohl Sie auf einem sehr guten Weg sind. Wer immer meine Sensoren überlisten und Ihnen einen Teil des Feldes rauben konnte, wird sein Ziel, es zu zerstören, sicher nicht erreichen!“ „Ich denke nicht, dass es sein Ziel war, das Feld einfach zu zerstören!“, sagte der Vendar fest. „Ich denke eher, er wollte es mir vollständig rauben, um es mit böser Energie zu infizieren. Dabei hat er nur eines übersehen. Wenn die Polung seiner Energie und die des Feldes zu weit auseinanderklaffen, dann können sie sich nicht vermischen und das ist ja das, was beim Fütterungsritual passiert. Wenn das nicht passieren kann, bricht es zusammen und dann verliert er es!“ „Sie sprechen sehr bestimmt von ihm.“, stellte IDUSA fest. „Haben Sie etwa einen Verdacht?“ „Den habe ich in der Tat, meine elektronische Kampfgefährtin.“, sagte Joran. „Schon als meine Telshanach sagte, es handle sich um einen vendarischen Transporter, der mich der Hälfte des Feldes beraubt hat, da wusste ich, es kann nur Telzan sein! Sytania wird, gierig wie sie ist, ihn beauftragt haben, genau das zu tun. Dabei hat sie nur genau das übersehen, was ich dir gerade gesagt habe. Einer von uns wird seine Hälfte des Feldes verlieren, IDUSA! Aber ich werde es nicht sein!“ „Das sehe ich genauso.“, sagte der tindaranische Rechner. „Meine Daten bestätigen das.“ „Dann sind wir uns ja einig.“, sagte Joran.

Er setzte sich wieder in der für das Fütterungsritual notwendigen Haltung zurecht. „Soll ich weiterhin genauso fortfahren, wie Sie es mir befohlen haben?“, versicherte sich IDUSA. „Das sollst du.“, sagte Joran und vertiefte sich wieder in seine Konzentration. Dabei fiel ihm auf, wie schnell er erneut einen tiefen Zustand der Fütterung erreicht hatte. Er hatte das Bild nur andeutungsweise in seinem Geist formen müssen. Schon hatte er sich wieder in jenem Raum mit Illiane wiedergefunden. Allerdings hatte sich die Dekoration etwas verändert. Auf dem Tisch unter der Schüssel lag eine bunte Decke mit Blumenmuster und vor dem Fenster des Raums hing eine bunte fröhliche Gardine. Joran war erstaunt, so etwas zu sehen. Er selbst hatte es nicht in das Bild eingefügt, wusste aber schon, wer es gewesen sein konnte.

Nachdem er Illiane einen weiteren Löffel Energie verabreicht hatte, ließ er diesen kurz sinken. Dann fragte er sie in Gedanken: Hast du den Raum verändert, Illiane St. John? Ja, das habe ich., erwiderte sie. Du darfst nicht vergessen, Joran, wie nah wir uns sind, wenn du das Fütterungsritual durchführst. Ich habe dir ja schon als du bei uns warst erklärt, dass wir Quellenwesen mit dir über das Feld auch kommunizieren können. Dann habt ihr ja mit Sicherheit auch bemerkt, was mir geschehen ist., kombinierte der intelligente Vendar. Das haben wir., entgegnete Illiane. Aber du bist auf einem großartigen Weg, das wieder in Ordnung zu bringen! Und du hast mit einem Recht. Einer von Euch wird sein Feld verlieren, aber du wirst es nicht sein! Mit der Veränderung der Dekoration wollten wir dir zeigen, dass du alles genau richtig machst und dass es dem Feld schon wieder viel besser geht. Aber du hast noch einiges vor dir! Wenn du es wirklich heute erreichen willst, das Feld zu stabilisieren, dann wirst du das Ritual noch mindestens sieben Stunden am Stück durchführen müssen. Das könnte sehr anstrengend für dich werden. Ich fürchte keine Mühen, Illiane St. John!, entgegnete Joran fest. Ich habe es euch Quellenwesen versprochen und ich bin als ein Mann bekannt, der sein Wort hält! Das ist sehr löblich!, antwortete das Quellenwesen. Dann sollten wir jetzt unsere Unterhaltung beenden, damit du das Feld weiter füttern kannst. Wie du wünschst., entgegnete Joran und nahm den Löffel im Geist wieder auf.

 

Kapitel 56: Ein unglaubliches Verbrechen

von Visitor

 

Schon das zehnte Mal hatte Maron auf seine Uhr geschaut. Er saß allein mit Zirell in der Kommandozentrale der tindaranischen Militärbasis und schien sehr nervös. Das konnte die ältere Tindaranerin ihm auch ansehen, ohne ihre geistigen Fähigkeiten benutzen zu müssen. „Du bist sehr nervös heute, Maron.“, stellte sie fest. „Was ist los?“ „Ich frage mich nur, wo Joran bleibt, Zirell.“, sagte der Erste Offizier und schaute erneut auf die Zeitanzeige seines Sprechgerätes. „Es ist sonst nicht seine Art zu spät zu kommen.“ Er machte ein sorgenvolles Gesicht. „Na, ihm wird schon nichts passiert sein.“, tröstete Zirell und sah milden Blickes zu ihm hinüber, der rechts neben ihr saß, wo der Platz tindaranischer Erster Offiziere auch vorschriftgemäß war. „Ich meine, es handelt sich immerhin um Joran. Der manövriert sich schon aus jeder dummen Situation wieder heraus! Das kannst du mir glauben!“ „Trotzdem würde ich das gern überprüfen!“, sagte Maron. „Ich habe ein ganz merkwürdiges Bauchgefühl bei der Sache und dem würde ich gern nachgehen.“ „Dann tu, was du nicht lassen kannst.“, sagte Zirell. „Das werde ich auch.“, sagte Maron und wandte sich IDUSA zu: „IDUSA, ist in der letzten Nacht irgendetwas mit Joran geschehen, das seine Gesundheit so stark beeinträchtigt hat, dass er jetzt nicht zum Dienst erscheinen kann?“ „Das ist es allerdings.“, antwortete der Rechner, nachdem sie ihre Daten überprüft hatte. „Und warum hast du uns das nicht sofort gemeldet?“, fragte der demetanische Erste Offizier. „Weil ich es selbst erst seit einigen Minuten weiß.“, sagte IDUSA. „Technical Assistant O’Riley und ich haben es erst jetzt herausgefunden.“ „O’Riley?“, fragte Maron irritiert. „Wie habe ich denn das zu verstehen?“ „Nun.“, sagte der Computer. „Mir ist bekannt, dass Sie dem Technical Assistant keine große Leistungsfähigkeit bescheinigen, was ihre Intelligenz angeht. Sie selbst tut es ja auch nicht. Trotzdem gab sie mir die nötigen Befehle, die es uns beiden ermöglichten herauszufinden, was mit Joran in der letzten Nacht geschehen ist.“ „Ich kann es immer noch nicht glauben.“, sagte Maron. „Ausgerechnet O’Riley! Aber du sprichst in Rätseln, IDUSA. Was ist denn nun konkret passiert und wo ist Shannon? Ich will ihre Aussage selbst aufnehmen.“ „Ms. O’Riley befindet sich zusammen mit Ms. McKnight auf dem Weg zu Ihrer Position, Agent.“, sagte IDUSA. „Das wird ja immer mysteriöser.“, sagte Maron. „Aber wenn McKnight in die Sache involviert ist, dann mache ich mir keine Sorgen. Mit ihrer Hilfe werden wir schon herausbekommen, was hier passiert ist.“ „Ich wäre mir da nicht so sicher, Maron.“, sagte Zirell. „Immerhin hat IDUSA es ja gerade so dargestellt, als sei Shannon diejenige gewesen, die Bescheid weiß und nicht Jenna. Wenn Jenna es auch nur von ihr erfahren hat, dann ist es quasi eine Aussage über dritte und du, als ausgebildeter Kriminalist, solltest eigentlich wissen, wie wertlos eine solche Aussage ist.“ „Da hast du auch wieder Recht, Zirell.“, sagte Maron.

Die Tür zur Kommandozentrale öffnete sich und Jenna und Shannon betraten diese. „Zirell, Agent Maron, Meine Assistentin muss eine Aussage machen!“, sagte Jenna und schob Shannon langsam in Richtung des Ersten Offiziers: „Na los, Shannon.“

Maron warf der blonden Irin einen erwartungsvollen Blick zu. Dann sagte er: „Gehen wir dorthin, wo wir ungestört sein können, O’Riley!“, und zog sie mit sich. „Du weißt ja, welchen Ort ich euch dafür liebend gern zur Verfügung stelle.“, sagte Zirell und lächelte. „Ich würde aber lieber hier aussagen, Agent.“, sagte Shannon. „Vor allem deshalb, weil jetzt Jenn’ in meiner Nähe is’, um mich vielleicht zu berichtigen.“ „Na gut.“, sagte der Demetaner. Aber ich denke, dann können wir sowieso zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie haben ausgesagt und ich muss Zirell nicht alles umständlich noch einmal erklären.“

Er ging zum Replikator und ließ diesen ein weiteres Sitzkissen replizieren. Dann nahm er es mit zu seinem Platz und stellte es neben das Seine, wonach er noch einmal losging, um den Vorgang zu widerholen. Dann deutete er zuerst auf Jenna und Shannon und dann auf die beiden Kissen: „Hergesetzt, Ladies!“

Jenna und Shannon kamen seiner Aufforderung nach. Die blonde Irin bemerkte sogar: „Oh neue Möbel extra für uns! Welche Ehre! Ein Kavalier der alten Schule, wie?“ Jenna knuffte sie in die Seite und zischte ihr zu: „Assistant!“ „Was hab ich denn nun schon wieder gesagt?!“ fragte Shannon und machte ein etwas missmutiges Gesicht.

Maron hatte sein Pad aus der Uniformtasche gezogen und drehte sich nun damit Shannon zu: „So, Shannon.“, sagte er. „Dann mal raus mit der Sprache. Ich hörte, Sie wollen eine Aussage machen?“ „Da haben Sie in gewisser Weise schon richtig gehört, Sir.“, sagte O’Riley zögerlich, was auch durchaus bei Maron ankam. „Nun mal frisch, fromm und frei von der Leber weg, Shannon.“, ermutigte er sie. „Sie sind doch sonst nicht so verlegen.“ „Das stimmt schon, Agent.“, sagte die blonde Irin. „Aber Sie wissen doch, dass ich das immer werde, wenn man mir eine geistige Glanzleistung in die Schuhe zu schieben versucht, zu der ich ja eigentlich nicht in der Lage bin.“ „Ach nein!“, mischte sich Jenna ein. „Und wer hat dann Ihrer Meinung nach IDUSA die richtigen Befehle erteilt, mit deren Hilfe wir den Dieb der Hälfte von Jorans Energiefeld eventuell sehr schnell finden können, Shannon, he?!“ „Halt, halt, McKnight!“, sagte Maron. „Nehmen Sie ihr nicht alles ab!“

Er wandte sich erneut an Shannon. „Na los, O’Riley!“ „Also gut, Agent.“, sagte Shannon. „Jenn’ hat ja schon fast alles gesagt und das macht Sie bestimmt sehr neugierig. OK. Also, mir war da etwas aufgefallen. IDUSA hatte gemeldet, dass sie doppelt sehen würde. Da ich übermäßigen Alkoholgenuss bei ihr ausgeschlossen habe und auch die Energie nicht verdorben ist, die durch unsere Leitungen fließt, bin ich dem nachgegangen. Dabei habe ich entdeckt, dass die doppelten Sensorenbilder von einem getarnten Veshel erzeugt worden waren, das sich uns genähert und dann Joran einen Teil des Feldes geklaut hat.“ „Ein Veshel.“, sagte Maron. „Ein Vendar-Schiff also. Sie können mir aber nicht zufällig sagen, wer an Bord war?“

„Ich glaube, jetzt muss ich einschreiten, Sir.“, sagte Jenna und schob ihr Sitzkissen in den Vordergrund. „Aller Wahrscheinlichkeit nach war es Telzan oder einer seiner Leute. Offenbar wollten sie das Feld, um es für ihre Zwecke umzupolen, aber das geht nicht.“ „Ah ja.“, erinnerte sich Maron an eine Erklärung, die sie ihm vor längerer Zeit einmal zu diesem Thema gegeben hatte. „Das ist also doch nicht nur eine Legende.“, sagte Zirell. „Nein.“, bestätigte Jenna.

Maron wandte sich jetzt Jenna zu: „Was wissen Sie noch, McKnight?“ „Ich weiß.“, entgegnete die hoch intelligente Halbschottin. „Dass Joran alles versucht, um das Feld wieder zu stabilisieren. Deshalb will er auch nicht gestört werden, denn er will den ganzen Tag mit dem Fütterungsritual verbringen.“ „Du meine Güte!“, rief Zirell aus. „Bei allen Göttern! Er muss ja später wahnsinnige Kopfschmerzen haben!“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Jenna. „Aber du kennst ihn ja, Zirell. Du weißt ja, wie aussichtslos es ist, ihn von etwas abbringen zu wollen, wenn er es sich erst einmal in den Kopf gesetzt hat.“ „Das weiß ich.“, antwortete die Tindaranerin. „Deshalb brauchen wir das wohl erst gar nicht zu versuchen, sondern sind sicher besser dran, wenn wir ihm die Daumen drücken.“ Alle nickten Zirells Äußerung ab. Shannon stand sogar auf und tanzte durch den Raum. Dabei sang sie laut und aus vollem Hals: „Auf geht’s, Grizzly! Auf geht’s! Du schaffst das! Du kriegst das hin!“ Dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz. „Beeindruckende Aufführung, O’Riley.“, sagte Maron. „Es haben nur noch die Pompons gefehlt.“ Er grinste ihr zu. „Oh nich’ schlecht, Sir.“, sagte Shannon. „Sie machen sich, was Ihren Humor angeht.“ „Das will ich doch wohl meinen, O’Riley.“, sagte Maron.

Jenna wandte sich dem Agenten zu: „Haben Sie noch Fragen an uns, Sir?“, fragte sie. „Nein, das wäre alles, McKnight.“, sagte der Demetaner, steckte sein Pad wieder ein und wandte sich dem Bericht zu, den er gerade bearbeitete. „Sie und Ms. O’Riley können gehen.“ „Danke, Agent.“, sagte Jenna und wandte sich Shannon zu: „Kommen Sie!“ Dann verließen die Beiden den Raum.

Zirell und ihr Erster Offizier waren nachdenklich zurückgeblieben. Dabei war es vor allem Maron, der sich einige Fragen in seinem Geist zu stellen schien. „Was beschäftigt dich so sehr, Maron?“, wollte Zirell wissen. „Ich frage mich, wie Joran das durchhalten will, Zirell.“, sagte Maron und begann erneut, nachdenklich an einem Knopf seiner Uniformjacke zu drehen. „Er muss doch irgendwann extreme Kopfschmerzen bekommen wegen der übermäßigen Konzentration. Wie hält er das nur aus? Also, für mich wäre das sicher nichts!“

Zirell deutete auf die Hände ihres Untergebenen. Wenn du so weitermachst, wirst du irgendwann nackt vor mir stehen, Maron.“, sagte sie und grinste ihn an. „Hast du mir überhaupt zugehört?“, fragte der Demetaner. „Oder hat dich nur interessiert, wann ich denn wohl meine Klamotten verliere?“ „Also wirklich, Maron.“, sagte die ältere Tindaranerin. „Du machst dir meiner Meinung nach viel zu viele Sorgen. Joran ist ein Vendar. Die führen jeden Tag über mehrere Stunden das Fütterungsritual durch. Er ist also in gutem mentalem Training im Gegensatz zu dir. Hast du darüber schon einmal nachgedacht?“ „Ich glaube, dass ich dieses Faktum wohl aus den Augen verloren haben könnte, Zirell.“, sagte Maron nachdenklich. „Trotzdem glaube ich aber, dass dieses Unterfangen für ihn recht anstrengend werden könnte nach nun schon fast acht Stunden!“ „Das habe ich ja auch gar nicht in Abrede gestellt.“, sagte Zirell. „Aber wie ich Joran kenne, kriegt er das schon hin!“ „Dein Wort in den Ohren sämtlicher Götter, die es geben könnte, Zirell!“, sagte Maron. „Deren Beistand dürfte er wohl benötigen!“ „Oh wie melodramatisch!“, stöhnte Zirell fast gelangweilt und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Sie war und blieb davon überzeugt, dass diese Sache kein großes Problem für Joran darstellen würde. Schließlich kannte sie ihn sehr gut.

Nach einer erneuten Zwangspause hatte Joran wieder das Schlafzimmer betreten und sich wieder zur Weiterführung des Fütterungsrituals in Position begeben. Auch den Neurokoppler, mit dessen Hilfe IDUSA ihn überwachte, hatte er wieder aufgesetzt. Über diesen zeigte sich ihm der Avatar des Rechners jetzt auch wieder mit ernstem Gesicht. Joran war über diesen Umstand so erstaunt, dass er sich zuerst nur erschrocken aufsetzte. Dann fragte er: „Was gibt es, IDUSA? Warum schaust du so ernst?“ „Ich beobachte Ihre körperliche Verfassung jetzt schon seit ungefähr sieben Stunden und mir fällt auf, dass Sie vielleicht etwas Hilfe gebrauchen können, die womöglich über die stündliche Gabe von etwas Traubenzucker hinausgeht. Ihren Werten nach dürfte Ihre Fähigkeit zur Konzentration am Ende sein. Wenn Sie jetzt mit dem Ritual fortfahren, verschwenden Sie nur Ihre Energie. Ihre Sifa wird das nicht umsetzen und es wird nichts mehr bei dem Feld ankommen. Sie werden am Ende nur noch erschöpfter sein.“ „Du hast in gewisser Weise ja Recht, IDUSA.“, sagte der sehr abgekämpfte Vendar. „Aber das Feld ist noch nicht stabil genug. Ich benötige noch mindestens eine Stunde, wenn ich die Fortschritte zu Grunde lege, die es bis jetzt gegeben hat.“

Er setzte zu einem neuen Versuch an. „Was haben Sie mir denn vorhin selbst über falschen Stolz erzählt?“, fragte IDUSA, um ihm ihr Gespräch von vor ca. sieben Stunden in Erinnerung zu rufen. „Da haben Sie mir selbst gesagt, dass es falsch wäre, wenn Sie aus falschem Stolz heraus meine Hilfe verweigern würden und jetzt sprechen Sie so? Könnten Sie mir das vielleicht mal erklären?“

Er hatte ihre Frage sehr wohl gehört, aber er war jetzt vollauf damit beschäftigt gewesen, sie zu ignorieren. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie sie ihm helfen sollte. Also empfand er ihre Worte eher als lästige Einmischung. Hatte er sie vor kurzer Zeit noch als seine elektronische Kampfgefährtin bezeichnet, so war sie für ihn jetzt eigentlich eher ein Störenfried geworden. Er wollte den Neurokoppler am liebsten abnehmen, aber dann würde er auch eine Vereinbarung mit Jenna verletzen und das wollte er auf gar keinen Fall! Also würde er sie wohl oder übel ertragen müssen.

So sehr er konnte versuchte Joran also, sich auf das Bild zu konzentrieren und das ihre völlig auszublenden. Aber das hatte auch zur Folge, dass er sich mental sehr verkrampfte und die Energie nicht fließen konnte. „Es nützt nichts, Joran!“, erinnerte ihn IDUSA jetzt mit mehr Nachdruck. „Sie werden meine Hilfe brauchen auf dem letzten Stück. Techniker McKnight hatte bereits damit gerechnet. Sie hat mir gesagt, dass ich, wenn dies eintritt, Kontakt mit Ishan aufnehmen soll. Er hat mir eine Lösung vorgeschlagen und ich habe sie umgesetzt. Bitte, Joran! Es ist nur zu Ihrem Besten und vor allem zum Besten des Feldes!“ „Bitte nehmen Sie meine Hilfe an! Bitte, Joran!“ „Ich hätte nicht gedacht, dass meine Telshanach mir auch noch in den Rücken fällt!“, stieß Joran angestrengt hervor. Es bereitete ihm mittlerweile erhebliche Schwierigkeiten, IDUSAs eindringliche Stimme zu verdrängen und ihrem Angebot zu widerstehen. Er wusste ja genau, was sie meinte, aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie sie ihm helfen sollte.

„Techniker McKnight fällt Ihnen keinesfalls in den Rücken!“, sagte der tindaranische Rechner langsam und ernst. „Sie hat nur berechnet, dass sich kein ihr bekanntes biologisches Wesen acht Stunden am Stück dauerhaft so sehr konzentrieren kann, wie es für das Fütterungsritual notwendig ist. Dazu kommt ja noch, dass das Feld sich quasi von Ihrer mentalen Energie ernährt, aso sie Ihnen nimmt. Das sind alles Faktoren, die das Ganze beeinflussen. Ihren Berechnungen nach ist der Zeitpunkt, an dem Sie Hilfe benötigen, genau jetzt und das ist ja auch genauso passiert. Also, Joran. Ich bin da! Ich werde Ihnen helfen! Denken Sie nicht nur an Ihren Ruhm als Held. Bitte denken Sie vor allem an das Feld, Joran. Bitte! Bitte!“

Es verging erneut einige Zeit, in der Joran nicht von seinem bisherigen Verhalten ihr gegenüber abwich. IDUSA wusste, dass er sehr stur sein konnte, wenn er wollte und dass es schon eines ordentlichen Paukenschlags bedürfen konnte, um seine Meinung zu ändern. Genau das würde sie jetzt allerdings auch tun. „Also gut, Joran.“, sagte Sie. „Sie wollen mir offenbar nicht glauben, dass ich Einfluss auf das Fütterungsritual nehmen kann, also werde ich es Ihnen beweisen! Aber nicht mit dem Bild, das Sie gerade brauchen, sondern mit einem anderen. Dies ist meine letzte Warnung, denn was ich tun muss, tue ich höchst ungern! Ich zähle jetzt bis drei! Falls Sie sich bis dahin nicht offen zeigen, tue ich es! Eins, zwei, drei!“

Es hatte sich nichts geändert. IDUSA ahnte, dass es jetzt nichts mehr nützte. Er würde es auf diplomatischem Wege nicht begreifen. Sie musste es ihm wohl beweisen.

Vor seinem geistigen Auge sah Joran plötzlich das Bild seiner Freundin. Allerdings war dies so deutlich, dass er es nicht verdrängen konnte. So sehr er es auch versuchte. Verwirrt wandte er sich an den Rechner: „IDUSA, warst du das?“ „Das ist korrekt.“, sagte der tindaranische Rechner. „Die Art, in der wir kommunizieren, ermöglicht es mir ja, Ihnen auch Bilder zu zeigen, indem ich Ihren optischen Kortex stimuliere. Das kann ich auch mit allen anderen Zentren in Ihrem Gehirn tun. Ich habe das Muster, das Ihr Gehirn während des Zustands der Fütterung produzierte, aufgezeichnet und werde damit den Nervenknoten bestrahlen, der für die Weitergabe der Energie an Ihre Sifa notwendig ist. Sie werden den Zustand also ohne eigenes Zutun erreichen können, wenn Sie mich machen lassen und nicht gegen mich arbeiten. Lassen Sie einfach locker und Ihre Sifa und ich machen den Rest.“

Joran atmete resignierend aus. Er hatte gespürt, dass er es nicht allein schaffen konnte. Aber er wusste auch, dass Sie Recht hatte. Er hatte tatsächlich seinen Stolz über die Vernunft siegen lassen, was sonst eigentlich gar nicht seine Art war. Das war eigentlich eher das Problem seines Widersachers Telzan gewesen und mit dem wollte er auf keinen Fall auf einer Stufe stehen!

„Du hast Recht, IDUSA.“, sagte er schließlich. „Aber ich denke, für diese Aktion und eine so starke Simulation musst du die Sicherheitsprotokolle offline schalten. Das geht aber nicht ohne Techniker McKnights Autorisation und deren Bestätigung durch Ishan aus medizinischen Gründen.“ „Sie können sich doch wohl denken, dass sie die längst eingegeben haben.“, erwiderte der tindaranische Computer und ihr Avatar grinste triumphierend. „In der Tat.“, sagte Joran, dem jetzt klar wurde, dass es hier wohl kein Entrinnen mehr für ihn gab. „Also los! Ich bin so weit!“, sagte er. „In Ordnung.“, gab IDUSA zurück.

Er fühlte wie das Bild des Raums und das von Illiane und ihm am Tisch begannen, wieder Raum in seinem Geist einzunehmen, obwohl er gar nicht daran gedacht hatte. Aber auch IDUSA war noch im Hintergrund zu sehen. „Entspannen Sie sich, Joran.“, flüsterte sie ihm zu. „Versuchen Sie nicht, das Bild selbst zu formen. Lassen Sie locker. Sonst arbeiten wir gegeneinander und das kann nichts werden. Ganz locker, Joran. Ganz entspannt. Ja! Gut so!“

Er fand sich bald allein mit Illiane in dem Raum wieder. Es ist fast vollbracht, Joran., sagte sie. Wir sind dir sehr dankbar und rechnen es dir hoch an, was du für uns und das Feld tust. Manch anderer hätte vielleicht aufgegeben, aber du nicht! Noch eine Stunde, Joran. Noch eine Stunde! Die schaffe ich jetzt auch noch, Illiane St. John!, erwiderte Joran kämpferisch.

Nach einer normalen Schicht ohne Zwischenfälle hatte Jenna den Weg nach Hause in ihr und Jorans gemeinsames Quartier angetreten. An der letzten Biegung allerdings war sie stehengeblieben und hatte ihr Sprechgerät gezogen, um dort IDUSAs Rufzeichen einzugeben. „Was gibt es, Jenna?“, fragte der Rechner. „Ist Joran immer noch mit dem Fütterungsritual beschäftigt, IDUSA?“, fragte Jenna. „Das ist korrekt.“, sagte der Rechner. „Ich denke aber, dass es nicht mehr lange dauern wird. Sie sollten die Räumlichkeiten aber trotzdem leise betreten, um ihn nicht zu erschrecken.“ „Danke für den Tipp, IDUSA.“, sagte die hoch intelligente Halbschottin und streifte ihre Schuhe von den Füßen. Dann nahm sie diese mit der rechten Hand auf. „Das halte ich für eine sehr gute Idee.“, sagte IDUSA, die ja alles über die Kamera von Jennas Sprechgerät sehen konnte, was sie tat. „Ich auch.“, sagte Jenna und setzte langsam ihren Weg fort, nachdem sie die Verbindung zu IDUSA wieder getrennt hatte.

Joran hatte nicht bemerkt, wie schnell die Zeit verflogen war. Es ist vollbracht, Joran! Es ist vollbracht!, wendete sich Illiane mit stolzem Blick und großer Freude an ihn. Ich wusste, dass meine Wahl die richtige war! Ich wusste, dass es richtig war, dich unter Millionen von Vendar für diese Aufgabe zu wählen! Wie genau habe ich das zu verstehen, Illiane St. John?, fragte Joran. Die anderen., begann das Quellenwesen eine Erläuterung ihrer Entscheidung. Waren sich überhaupt nicht sicher, wen wir nehmen sollten. Die Diskussionen gingen hin und her während unserer Beratungen. Am Ende hatte fast jeder einen eigenen Kandidaten. Es gab fast eine Patsituation. Jeder hatte am Ende eine Stimme. Aber dann hat eines der anderen Quellenwesen doch noch umgeschwenkt. Anscheinend konnte ich ihn von deinem Kampfgeist überzeugen. Sicherlich habt ihr den alle, aber ich habe dich schon länger beobachtet und festgestellt, dass der Deine die meisten anderen bei weitem überflügeln dürfte. Vielleicht ist das auch nur eine subjektive Einschätzung, aber sie hat gereicht, um ihn dazu zu bringen, seinen Kandidaten fallen zu lassen und mir auch seine Stimme für dich zu geben. Durftest du mir das jetzt überhaupt erklären?“, fragte Joran erschrocken. Eure Beratungen sind doch eigentlich so geheim, dass die Ohren eines Sterblichen sie nicht hören dürfen, auch wenn der Sterbliche ein Vendar ist! Keine Angst!, erwiderte Illiane. Da du das ja weißt, weiß ich wiederum, dass dieses Geheimnis bei dir in guten Händen ist und du es niemals weitergeben wirst. Noch nicht einmal deiner Telshanach. Du verstehst es sehr gut, Dinge für dich zu behalten. Das war noch ein Grund mehr für mich, dich zu erwählen. Ich verstehe., entgegnete Joran.

Sie war plötzlich von ihrem Sitzkissen, auf dem sie in Jorans Vorstellung ihm gegenübersaß, aufgestanden. Dann sagte sie: Du hast es endgültig vollbracht, Joran! Das Feld ist stabil. Jetzt wirst du nur noch in normaler Art und Weise das Fütterungsritual durchführen müssen und nicht mehr diesen Marathon! Es war sehr gut, wie du dich um das Feld gekümmert hast, als es dich am meisten brauchte. Jetzt aber entlasse ich dich für heute aus dem Zustand der Fütterung!

Die Umgebung vor Jorans geistigem Auge verschwand und er fühlte sich, als wäre er aus einem Traum erwacht. Dieses Gefühl war am Ende des Fütterungsrituals ganz normal. Das wusste er. Aber er fühlte auch, wie sehr ihn das Erreichte angestrengt hatte. Das einzige, was er jetzt wollte, war Schlaf! Ein ruhiger erholsamer Schlaf! Er drehte sich also herum und schloss die Augen.

Das Gefühl wohl bekannter Lippen auf seiner Wange beendete seine Einschlafversuche allerdings jäh. Dann flüsterte ihm eine bekannte Stimme zu: „Ich bin daheim, mein tapferer Kämpfer.“ Natürlich hatte Joran sofort erkannt, zu wem Stimme und Lippen gehört hatten. Er drehte sich herum, breitete seine Arme aus und schlang sie um Jenna. Dann zog er sie zu sich, um sie seinerseits heiß und innig zu küssen. „Oh, meine kluge wunderbare Telshanach!“, sagte er atemlos. „Du kannst gar nicht ermessen, wie sehr ich dir danke! Das Feld ist stabil, aber ohne deine und IDUSAs Hilfe hätte ich das nicht zuwege gebracht!“ „Das haben wir doch gern getan.“, sagte Jenna ruhig. „Aber ich denke, ich kann dir vor dem Einschlafen noch etwas Gutes tun.“

Sie griff in ihre Uniformtasche und holte ein Fläschchen heraus. Es war weiß und trug eine vendarische Aufschrift. Joran erkannte das Wort Ananassaft. Sie musste das Fläschchen auf dem Weg repliziert haben. „Ich hörte, dass es gut für deine Sifa ist.“, sagte Jenna.

Joran streckte seine rechte Hand nach dem Fläschchen aus. „Bitte gib es mir, Telshanach.“, sagte er. „Sonst verschlucke ich mich noch. Das mache ich lieber selbst.“ „In Ordnung.“, sagte Jenna und lächelte, während sie das Fläschchen entkorkte und es ihm dann gab. Joran ließ sich genüsslich den Inhalt schmecken, bevor er lächelnd einschlief.

Kapitel 57: Zwickmühlen

von Visitor

 

Cirnach und ihr Mann waren wieder in Sytanias Schloss angekommen. Die Vendar empfand es aber als sehr wichtig, dass die Prinzessin nichts von der Pleite Telzans erfahren durfte, denn, wie sie es ihm auch schon erklärt hatte, konnte ihn dies sein Amt kosten und das würde auch nichts Gutes für sie selbst bedeuten. Das wusste die gewiefte Strategin. Aber sie wusste auch schon, wie sie Sytanias Aufmerksamkeit so umlenken konnte, dass sie gar nicht mehr an Telzan und das Feld denken würde.

Der Herold hatte sie angekündigt und Cirnach hatte Sytanias Thronsaal betreten. Sofort war sie vor ihrer Herrin auf die Knie gefallen. „Steh auf, Cirnach!“, befahl Sytania. „Und dann komm mit mir an meinen Audienztisch!“ „Ja, Gebieterin.“, sagte Cirnach und folgte ihren Befehlen.

Die Königstochter und sie setzten sich an den Tisch. Cirnach wollte den Platz auf Sytanias linker Seite einnehmen, aber Sytania schüttelte nur mit dem Kopf und sagte: „Nein, du setzt dich zu meiner Rechten, Cirnach! Ich weiß, eigentlich ist das Telzans Platz, aber du bist ja auch seine Stellvertreterin. Wenn er nicht selbst kommt, dann ist er wohl auch im Moment nicht abkömmlich, oder?“ „Ihr habt Recht, Milady.“, sagte Cirnach. „Er ist vollauf damit beschäftigt, seine Hälfte des Energiefeldes zu stabilisieren. Ich denke, dass dies noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Er wird mindestens noch acht Stunden lang das Fütterungsritual durchführen müssen und danach wird er so erschöpft sein, dass er sicher nur noch schlafen will, Hoheit. Ich halte es also für nicht gut, wenn Ihr ihn in diesem Zustand sehen würdet. Es würde Euch nur traurig machen, denn er würde sehr erschöpft aussehen. Ich will ja nicht riskieren, dass Ihr unter Umständen noch ein schlechtes Gewissen bekommt.“ „Du kennst mich doch, Cirnach.“, sagte Sytania. „Das bekomme ich so leicht nicht. Aber ich könnte ihm doch helfen, das Feld zu stabilisieren, oder was meinst du, he?! Umso schneller kommen wir doch an unser Ziel!“

Jetzt war Cirnach in einer Zwickmühle. Wenn Sytania ihre geistigen Fähigkeiten benutzen würde, um das angebliche Feld in Telzans Sifa zu stabilisieren, dann würde sie sehen, dass er gar keines trüge. Das war eine Situation, zu der es auf keinen Fall kommen durfte. Sie musste sich jetzt dringend etwas einfallen lassen, um das zu verhindern!

„Oh das kriegt mein Mann schon hin.“, sagte sie, nachdem sie eine Weile nachgedacht hatte, die aber nicht so lang war, dass Sytania hätte misstrauisch werden können. „Außerdem würdet Ihr ja riskieren, dass die Quellenwesen unser Vorhaben bemerken könnten. Dann würden sie Telzan das Feld bestimmt nehmen und Ihr hättet dann auch keine Gelegenheit mehr zur Ausführung unseres Plans. Von uns würde ich in dem Zusammenhang gar nicht erst reden. Bitte lasst das in Telzans Händen. Ich weiß, dass es nicht gerade eine Eurer Stärken ist, Geduld zu zeigen, aber in diesem Fall wird es sich lohnen, Hoheit! Es wird sich lohnen! Das versprechen Telzan und ich Euch.“

Sie war über sich selbst erschrocken. Eigentlich hatte sie jetzt einen Tadel von Sytania erwartet, da sie diese auf eine ihrer wenigen Unzulänglichkeiten angesprochen hatte. Umso erleichterter war sie dann, als sie Sytania sagen hörte: „Ich will noch einmal über deinen kleinen Fehlgriff hinwegsehen, Cirnach! Aber du scheinst mit noch etwas hinter dem Berg zu halten. Als du sagtest, dass es sich für mich lohnen würde zu warten, da hast du gegrinst. Du scheinst noch etwas im Schilde zu führen. Was ist es?“ „Ich denke.“, setzte Cirnach an. „Dass ich durchaus eine Möglichkeit kenne, wie Ihr Eure Macht noch vergrößern könnt, obwohl Ihr das Feld noch nicht habt.“

Sie machte eine Pause, um ihre Worte auf Sytania wirken zu lassen. Sie wollte zunächst sehen, wie die Prinzessin reagieren würde, bevor sie weitersprach. Sie dachte sich allerdings schon, dass die Aussicht auf mehr Macht genau das bei ihr auslösen würde, was sie jetzt gebrauchen konnte, nämlich eine Ablenkung von dem Feld.

Sytanias schwarze Augen begannen erfreut zu leuchten, als sie Cirnach fragte: „Und was ist das für eine Möglichkeit, meine Macht zu vergrößern, Cirnach?“ „Ich denke, dass die Chancen sehr gut stehen, dass Ihr die Macht im gesamten Dunklen Imperium übernehmen könntet. Wenn Ihr gemeinsam mit Valora Logars Palast angreifen würdet. Ich denke sogar, dass Euer Vater nicht argwöhnisch sein wird. „Das Auftauchen Valoras an Eurer Seite dürfte für einige Verwirrung bei ihm und vor allem bei seinen Soldaten sorgen. Diese einfältigen Narren werden glauben, dass alles in Ordnung ist, wenn sie die Einhörner sehen.“

Die imperianische Prinzessin grinste boshaft. „Das klingt ja alles sehr vielversprechend, was du da sagst, Cirnach.“, sagte sie. „Aber denkst du nicht, dass er argwöhnisch werden wird, wenn er Valora mit mir auf sein Schloss zukommen sieht?“ „Ihr sollt Euch doch gar nicht sofort zeigen.“, erklärte die Vendar. „Zuerst schickt Ihr Imperianer als Kanonenfutter vor. Euer Vater soll glauben, dass er seinen Palast leicht verteidigen kann. Dann kommen unsere Truppen. Wir werden es seinen Vendar schon etwas schwerer machen. So sehr sogar, dass er sich Hilfe wünschen wird. Dann kommen Valoras Einhörner! Alle werden glauben, dass jetzt alles wieder in Ordnung ist und Euer Vater wird sogar zum Rückzug blasen lassen. Zum Schluss kommen dann Valora und ihr! Sozusagen als Sahnehäubchen auf der teuflischen Torte, die wir ihm backen werden!“

Die Königstochter dachte nach. Dabei lief ihr schier der Speichel aus dem Mund, wenn sie daran dachte, dass ihr bald alle Macht in ihrer Heimatdimension gehören könnte und sie dann nicht mehr befürchten musste, dass ihr Vater sich einmischte. Dazu würde er ja nicht mehr in der Lage sein, wenn er entmachtet in ihrem Kerker säße.

Die Aussicht darauf ließ sie aufspringen und erfreut in die Hände klatschen. „Das ist ein sehr guter Plan, Cirnach!“, sagte sie. „Aber ist dein Mann denn in der Lage, in seiner Situation eine Angriffswelle zu führen?“ „Das ist er im Moment wohl nicht.“, sagte Cirnach. „Aber ich werde die Vendar mit Eurer Erlaubnis gern selbst in die Schlacht führen.“ „Diese Erlaubnis hast du, meine treue kluge Cirnach!“, sagte Sytania. „Wir müssen jetzt nur noch herausfinden, wie Valora zu der Idee steht.“ „Sagt ihr bitte, dass sie bedenken sollte, dass dann auch ihr bald alle Macht gehören könnte gemeinsam mit Euch. Eurem Ziel, alle Dimensionen zu beherrschen und die bestehende Ordnung umzustoßen, dürftet Ihr dann auch ein großes Stück näher gekommen sein.“ „Oh ja!“, sagte Sytania hocherfreut. „Und zwar ein sehr großes! Wir sollten aber sofort Kontakt mit Valora aufnehmen und du wirst ihr deinen eigenen Plan selbst präsentieren!“ „Ich fühle mich geehrt, Herrin.“, sagte Cirnach und wurde fast rot. „Das Ganze muss dir überhaupt nicht peinlich sein.“, tröstete Sytania. „Ehre, wem Ehre gebührt. Du bist eine ebenso gute Strategin, wie dein Mann ein guter Stratege ist. Du wirst schon gut auf deine Truppen im Kampf aufpassen. Und du wirst sicher auch dafür Sorge tragen, dass der Plan zu unser beider Zufriedenheit ausgeführt wird. Da vertraue ich dir voll und ganz, Cirnach. Aber nun lass uns Kontakt mit Valora aufnehmen.“

Sie schickte nach einem Diener, der ihr wenig später den Kontaktkelch brachte. Dann legten Cirnach und sie jeweils eine ihrer Hände auf den Fuß des Kelchs und gaben einander die andere. Sofort begann Sytania damit, sich das Bild des Einhorns vorzustellen. Alsbald erschien Valora vor ihren geistigen Augen. Dein Ersuchen scheint sehr dringend zu sein, meine Freundin., stellte sie gegenüber Sytania fest. Was ist dein Begehr und warum bist du so aufgeregt? Ich spüre genau, wie es dir geht! Dass ich etwas aufgeregt bin, das stimmt., gab Sytania zu. Dazu habe ich auch allen Grund! Du kennst doch sicher Cirnach, die Ehefrau und Vertreterin meines obersten Vendar Telzan. Sie hat mir einen Vorschlag gemacht, wie wir meinen Vater besiegen und damit alle Macht an uns reißen können, die es in dieser Dimension zu holen gibt! Wenn wir das Dunkle Imperium erst einmal unter unserer Kontrolle haben, dann dürfte der Rest leicht folgen. Aber was rede ich denn eigentlich so lange? Cirnach sollte dir ihren Plan besser selbst erläutern.

Sie sah auffordernd zu der Vendar hinüber. „Also gut, Hoheit.“, sagte Cirnach und dachte: Bitte pass jetzt gut auf, Valora. Mein Plan sieht folgendes vor. Wir werden Logars Wolkenburg angreifen! Sytanias und deine Macht sind vereint. Das bedeutet also, es besteht tatsächlich eine Chance. Der Rest wird durch eine gut durchdachte Strategie erfolgen müssen., aber die habe ich auch schon längst. Als erstes werden wir eine Angriffswelle aus Imperianern vorschicken. Logar wird leichtes Spiel mit ihnen haben. Dann kommen wir Vendar, die seine Soldaten dann in so schwere Gefechte verwickeln werden, dass sie sich Hilfe herbeiwünschen werden. Diese vermeintliche Hilfe wird dann auch kommen in Form deiner Einhörner. Du aber hältst dich noch im Hintergrund. Wenn du gleich dabei wärst, dann würden wir ja riskieren, dass Logar Lunte riecht und das darf auf keinen Fall passieren! Wenn seine Generäle und er die Einhörner sehen, dann werden sie denken, dass die ersehnte Hilfe da ist. Aber sie ahnen ja nicht, wem sie wirklich helfen werden. Du und Sytania, ihr werdet erst ganz zum Schluss in die Schlacht eingreifen, nämlich dann, wenn Logar längst besiegt ist. Dann werdet ihr beide eure Plätze als die rechtmäßigen Herrscherinnen des Dunklen Imperiums einnehmen. Das klingt sehr gut, Cirnach!, lobte das verblendete Einhorn. Und auch Invictus dürfte uns nicht im Wege stehen können, da ja Sytanias und meine vereinte Macht viel größer sein werden als seine! Ich frage mich, woher du so eine brillante Idee genommen hast! Nun, sie ist eine meiner schlauesten Vendar., mischte sich Sytania in das telepathische Gespräch. Du kannst dich glücklich schätzen, dass wir sie in unseren Reihen haben. Aber wie gefällt dir denn nun ihr Vorschlag? Ihn theoretisch brillant zu finden, sagt meiner Meinung nach ja gar nichts darüber aus, ob du es wirklich auch durchziehen willst. Du denkst doch wohl nicht noch immer an die Sache mit den Genesianern!, vergewisserte sich Valora. Das haben doch deine Vendar sicher längst ausgebügelt, oder? Das haben sie tatsächlich., antwortete Sytania. Und es war wieder die geniale Cirnach, auf die ich mich auch in diesem Fall verlassen konnte. Und zwischen uns beiden ist auch wieder alles gut, Valora! Ich habe dir verziehen. Schließlich brauche ich dich gegen meinen Vater und auch dafür, endlich die Macht in allen Dimensionen ergreifen zu können. Mit unserer Zusammenarbeit schlagen wir auch noch zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich werde meinen Vater los und du den ungeliebten Invictus. Beide werden uns, wenn Cirnachs Plan aufgeht, nicht mehr im Weg sein! Da hast du Recht, meine Schwester im Kampfe!, bestätigte Valora. Das werden sie nicht mehr!

Die Prinzessin hatte ihre Hand vom Kelch genommen und die andere ebenfalls aus der von Cirnach gezogen. Das hatte die telepathische Verbindung direkt getrennt. „Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass sie so schnell mit meinem Plan einverstanden ist.“, sagte Cirnach bescheiden. „Schließlich bin ich nur eine Vendar und es steht mir sicher nicht zu, darüber zu urteilen, wie Ihr Eure Macht ausbauen könnt.“ „Du magst zwar nur eine Vendar sein.“, sagte Sytania. „Aber du bist ein sehr kluges und gerissenes Exemplar deiner Gattung! Telzan kann sich glücklich schätzen, dich seine Ehefrau nennen zu dürfen. Da du deshalb auch seine Stellvertreterin bist, profitieren wir alle!“ „In der Tat, Milady.“, sagte Cirnach.

Sie stand von ihrem Stuhl auf. „Bitte lasst mich jetzt wieder zu Telzan gehen.“, bat sie. „Ich werde ihm von unseren neuen Plänen berichten. Sicher wird er seine Truppen gern selbst in den Kampf führen wollen, aber er hat ja jetzt eine viel größere Aufgabe.“ „Ja, die hat er.“, bestätigte Sytania. „Oh was werden sich die Quellenwesen wohl grämen, wenn sie bemerken, dass ein Teil ihres eigenen Feldes sich gegen sie wendet!“ „Oh ja.“, sagte Cirnach. „Und ich kann gar nicht genug davon bekommen, mir ihre verdatterten Gesichter vorzustellen!“ Beide Frauen lachten böse auf.

Es war Mittag geworden auf Zirells Basis und Nidell hatte eine letzte Trainingseinheit mit Diran beendet. Erstaunlich schnell war der Vendar wieder zu Kräften gekommen. Er hatte sich in den physiotherapeutischen Stunden mit Ishan oder seiner jungen tindaranischen Assistentin sehr bemüht und diese Bemühungen hatten jetzt Früchte getragen.

„Ich glaube, du bist so weit.“, sagte Nidell zufrieden. „Ishan und ich werden dich entlassen können.“ „Das ist sehr gut, Nidell El Tindara.“, sagte Diran. „Aber ich nehme an, ihr könnt noch nicht verantworten, dass ich zu meiner Herrin Tolea gehe, nicht wahr?“

Die Tür zum Krankenzimmer öffnete sich und Ishan betrat es. Über sein Haftmodul hatte er alles beobachtet, was IDUSA ihm bezüglich Diran und Nidell gezeigt hatte. „Das solltest du wirklich noch nicht tun.“, mischte er sich ins Gespräch. „Du solltest dich wahrhaftig noch etwas schonen. Wie wäre es, wenn du zu deiner Frau nach New-Vendar-Prime fliegst. Dort bist du jetzt sicher sehr gut aufgehoben.“ „Du wirst Recht haben.“, sagte der Vendar besonnen. „In Ordnung.“, sagte der Androide. „Dann werde ich Zirell Bescheid geben. Geh du doch schon mal zu Jenna in den Maschinenraum und bitte sie, dein Schiff zu warten, damit du so schnell wie möglich abfliegen kannst.“ „Das werde ich tun.“, versprach Diran und nahm aus Ishans Hand einen Datenkristall mit seinen Entlassungspapieren entgegen. Dann verließ er die Krankenstation.

Nidell sah ihren Vorgesetzten fragend an. „Warum hast du ihn so schnell weggeschickt?“, fragte sie. „Ich wollte verhindern, dass er über Tolea nachdenkt.“, sagte der Arzt. „Jede Aufregung könnte ihn sehr stark zurückwerfen und das wäre nun wahrlich nicht gut, wie du ja auch weißt, Nidell. Deshalb habe ich seine Aufmerksamkeit schnell auf seine Frau gelenkt.“ „Weißt du denn schon etwas Neues über Tolea?“, fragte die junge Tindaranerin. „Ja.“, bestätigte Ishan. „Scientist Ketna, meine Kollegin auf der Basis 818, hat mir berichtet, dass sich Tolea auch wieder recht gut erholt hat. Sie hat sie mittlerweile entlassen können. Sie sollte sich aber auch noch nicht zu viel zumuten genau wie Diran. Deshalb wollen Ketna und ich auch im Moment noch vermeiden, dass sie sich begegnen und Tolea denkt, dass sie wieder normal zur Tagesordnung über gehen kann.“ „Ich verstehe.“, sagte Nidell und ging wieder in das Labor, wo noch einige Arbeit auf sie wartete.

Zirell, mit der Ishan dann auch bald Kontakt aufgenommen hatte, war froh zu hören, dass es Diran schon wieder so gut ging. „Das ist sehr schön zu erfahren, Ishan.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „Ich werde sofort Kontakt mit Sianach aufnehmen. Sie wird sich auch freuen, denke ich.“ „Tu das.“, sagte der androide Arzt. „Aber vergiss bitte nicht ihr zu sagen, sie solle dafür Sorge tragen, dass ihr Mann sich noch schont.“ „Das werde ich schon nicht vergessen!“, versicherte Zirell. Dann beendete sie das Gespräch mit Ishan, um sich danach gleich an Joran zu wenden, der inzwischen wieder frisch und ausgeruht an der Kommunikationskonsole saß: „Gib mir Sianachs Rufzeichen auf New-Vendar-Prime!“ „Wie du wünschst, Anführerin.“, sagte Joran und leitete die notwendigen Prozeduren ein.

Diran hatte den Maschinenraum der Basis betreten. Hier hatte er sich mit Jenna getroffen, die dann auch gleich sein Schiff gewartet hatte. „Ich muss dir etwas gestehen, Diran.“, sagte die hoch intelligente Halbschottin. „Ich habe den Rechner deines Schiffes ein wenig auf den Kopf gestellt. Wir mussten ja schließlich klären, was dir passiert war und du konntest es uns ja nicht mehr sagen.“ „Das ist schon in Ordnung, Jenna McKnight.“, sagte der Vendar ruhig. „Ich vertraue dir und weiß, dass du nichts getan hast, das meinem Schiff schadet oder das irgendwie gegen irgendwelche Datenschutzrechte verstoßen könnte. Was du tun musstest, war sicher notwendig.“ „Das war es, Diran.“, sagte Jenna. „Zumal dein Schiff uns die Daten auf dem Silbertablett serviert hat.“ „Dann hat es also alles so funktioniert, wie ich es geplant hatte.“, stellte Diran erleichtert fest. Er war nie ein guter Techniker gewesen und wusste daher nicht, ob die Ausführung der Befehle, die er seinem Computer vor seinem Fall ins Koma gegeben hatte, wirklich zu den richtigen Ergebnissen führen würde. „Das hat es, Diran.“, sagte Jenna. „Ansonsten wüssten wir ja nicht, dass du von einem Novizen übel gelinkt worden bist und dass es eine Weissagung gibt, aus der wir aber noch nicht ganz schlau werden. Die ist sogar so einprägsam, Dass wir sie fast alle mittlerweile auswendig kennen.“ „Ich denke, das war auch die Absicht der Quellenwesen.“, sagte Diran. „Das denke ich auch.“, antwortete Jenna. „Zumal mir etwas geschehen ist, das eventuell auch etwas mit der Auswahl zu tun haben könnte. Ich habe von Erlebnissen geträumt, die Lord Grandemought von Zeitland während seiner Jugend hatte. Maron und ich haben herausgefunden, dass er für die Situation in gewisser Weise verantwortlich war.“ „Du glaubst, dass der junge Grandemought das Kind ist, das wählen sollte?“, fragte Diran. „Ich weiß es nicht genau, Diran.“, sagte Jenna. „Aber vielleicht ist er ja auch nur eines der Kinder gewesen. Wenn man es genau nimmt, dann wissen wir ja gar nicht, ob es nur um ein Kind geht, das die Retter der Welten aussuchen soll, oder ob es nicht sogar mehrere sein können. Die Weissagung spricht nur allgemein von Kindeshand. Aber es fehlt eine weitere zahlenmäßige Beschränkung. Wenn jemand mehrere Kinder aufnimmt und sie adoptiert, dann spricht man auch von der Annahme an Kindesstatt, auch wenn es mehrere Kinder sind. Verstehst du?“ „Ich denke ja.“, sagte Diran. „Aber denkst du wirklich, dass die Quellenwesen auf solche sprachlichen Feinheiten achten, wenn sie Weissagungen tätigen?“ „Oh, ich denke, dass wir sehr genau aufpassen müssen, wie wir die Weissagungen interpretieren.“, sagte Jenna. „Sicher, die Aussagen der Quellenwesen oder auch anderer höherer Wesen sind oft sehr schwammig und ungenau. Aber Allrounder Scott, die ja auch eine Ausbildung zur Kommunikationsoffizierin hat, geht davon aus, dass diese Wesen das nicht tun, um uns zu ärgern, sondern sie reden so, weil sie so weit von unserer Art der Kommunikation entfernt sind, dass sie gar nicht mehr wissen, wie sie sich uns gegenüber ausdrücken sollen.“ „Sie meint also, diese Wesen können nichts dafür?“, fragte Diran. „Genau das.“, sagte Jenna. „Genauso wie wir nichts dafür können, dass wir sie dann nicht verstehen und ich für meinen Teil neige dazu, ihr zuzustimmen.“ „Ich auch, wenn du meine Meinung hören willst, Jenna McKnight.“ „Und ich müsste mich da ja eigentlich bestens auskennen. Schließlich habe ich Jahre lang einer Mächtigen gedient.“ „Deine Mächtige war aber viel direkter als die Quellenwesen.“, sagte Jenna und lächelte. „In der Tat.“, sagte Diran. „Obwohl ich nicht genau weiß, ob du jetzt von Tolea oder Sytania redest.“ „Ich rede in gewisser Weise von beiden.“, sagte Jenna. „Sytania war sehr rigoros und Tolea zwar sehr freundlich, aber auch immer sehr direkt und wenn sie uns etwas verdeutlichen will, dann tut sie das auch immer sehr anschaulich.“ „Da hast du Recht, Jenna McKnight.“, nickte Diran.

McKnight nahm einen Schaltschlüssel aus ihrer Uniformtasche und gab ihn Diran. „Dein Schiff ist in tadellosem Zustand.“, sagte sie. „Du kannst jetzt ruhig zu Sianach fliegen. Aber es wäre sicher besser, wenn du dort auch noch eine Weile bleiben würdest, um dich zu erholen.“ „Das werde ich, Jenna McKnight.“, sagte Diran. „Bitte verlass dich auf mich.“ Damit ging er in Richtung Andockrampe davon.

Joran hatte für Zirell die von ihr gewünschte Verbindung hergestellt. Jetzt sah die ältere Tindaranerin das Bild der jüngeren Vendar vor ihrem geistigen Auge über den Neurokoppler. „Ich grüße dich, Zirell El Tindara.“, sagte Sianach. „Was verschafft mir die Ehre? Wir haben lange nicht mehr miteinander gesprochen.“ „Das stimmt.“, sagte Zirell. „Aber ich habe gute Nachrichten für dich, was deinen Mann angeht. Wir konnten ihn aus dem Koma holen und er ist jetzt auf dem Weg zu dir. Er sollte sich aber noch eine Weile schonen, meint Ishan.“ „Warum hast du mir das nicht eher gesagt, Zirell?“, fragte Sianach. „Ich wäre mit einem Freund hergekommen und wir hätten ihn abgeholt. Ich hätte sein Schiff geflogen und mein Begleiter dann das meine.“ „Oh so schlecht geht es Diran nicht mehr.“, sagte Zirell. „Die kurze Strecke bis zu dir schafft er schon. Außerdem hasst ihr Vendar es doch, wenn ihr bemuttert werdet, nicht wahr?“ „In der Tat!“, bestätigte Sianach laut und deutlich. „Aber hast du vielleicht auch Informationen über seine Herrin Tolea?“ „Die habe ich tatsächlich.“, sagte Zirell. „Aber es wäre nicht gut, wenn Diran die jetzt in seinem Zustand bekäme. Sie könnten ihn zu sehr aufregen und unter ganz dummen Umständen vielleicht bei ihm zu Handlungen führen, die vielleicht sogar dafür sorgen, dass er sich selbst in Gefahr bringt. Das will doch sicher keiner von uns verantworten.“ „Sicher nicht.“, sagte die Vendar. „Aber er hört uns ja jetzt nicht zu. Jetzt wäre also eine sehr gute Gelegenheit, es mir zu sagen.“ „Du hast Recht.“, sagte Zirell. „Aber du musst mir versprechen, dass du ihm wirklich nichts sagst!“ „Meine Lippen sind versiegelt, Zirell El Tindara.“, sagte Sianach. „Du weißt, wie gut ich darin bin, Geheimnisse zu bewahren.“ „Das weiß ich.“, entgegnete Zirell. „Und deshalb sage ich dir jetzt auch, dass Tolea sich zur Zeit auf der Basis unseres Freundes Commander Peter Time im Universum der Föderation der vereinten Planeten befindet und dort behandelt wird. Sie wollte sich das Leben nehmen, weil sie Diran in so eine Situation gebracht hat.“ „Du meinst die Sache mit dem Bann.“, versicherte sich die Vendar. Zirell nickte nur. „Aber wie habt ihr denn das Problem gelöst?“, fragte Sianach. „Das erzählt dir dein Mann am besten selbst.“, sagte Zirell. „Jedenfalls ist er den Bann los und wird nicht mehr zum Verräter wider Willen werden.“ „Darüber bin ich sehr froh, Zirell El Tindara.“, antwortete Sianach. Dann fragte sie: „Wann wird er eintreffen?“ „Ich denke in einigen Minuten.“, sagte Zirell und sah zu Joran hinüber, der ihr gegenüber bestätigte: „Dirans Schiff hat abgedockt, Anführerin!“ „Du siehst also, es wird nicht mehr lange dauern, Sianach.“, sagte Zirell mit tröstender Stimme. „Vielen Dank, Zirell El Tindara.“, sagte Sianach. „Ich werde hinaus zu unserem Raumflughafen gehen und ihn erwarten.“ Damit beendete sie das Gespräch.

Joran wandte sich seiner Kommandantin zu. „Auch wenn Diran es nicht wissen darf.“, sagte er. „So sollten wir uns doch zumindest über den Gesundheitszustand Toleas auf dem Laufenden halten. Wer weiß, wo zu das noch einmal wichtig sein kann.“ „Das werden wir auch.“, sagte Zirell. „Ishan steht in Kontakt mit Ketna, die Tolea behandelt. Er wird uns schon sagen, wenn es Neuigkeiten gibt.“ „Dann ist ja alles in Ordnung.“, sagte Joran beruhigt. „Ja, das ist es.“, bestätigte Zirell. „Da kannst du wirklich sicher sein.“ „Aus deinem Mund glaube ich das gern, Anführerin.“, sagte Joran, gab einen erleichterten Seufzer von sich und setzte sich entspannt hin.

Kapitel 58: Eine entscheidende Schlacht

von Visitor

 

Ein anderes Wesen in einer anderen Dimension war leider gar nicht so entspannt. Es handelte sich um Kipana, die auf ihrer Koppel im Dunklen Imperium nervös auf und ab lief. Immer wieder galoppierte sie am Zaun entlang und sog die Luft durch ihre Nüstern ein, als wollte sie versuchen, einen unsichtbaren Feind zu wittern. Sie wieherte auch immer wieder nach ihren Herdengenossen. Aber ihre Augen suchten auch ständig nach dem jetzt ungefähr ein halbes Jahr alten Fohlen, das sich immer noch in ihrer Begleitung befand. Sie wollte nichts mehr, als die Kleine in Sicherheit wissen! Natürlich verstand sie nicht, was sich dort am Horizont zusammenbraute, eine instinktive Ahnung darüber hatte sie aber schon. Sie fühlte, dass es nichts Gutes sein konnte. Daran konnte auch Argus nichts ändern, der verzweifelt versucht hatte, sie einzufangen, um sie und ihre Kumpels in den Stall zu bringen.

Auf ihrer Streife im Rahmen ihres Wachdienstes war Iranach auf das Geschehen auf der Pferdekoppel aufmerksam geworden. „Setze die Patrouille allein fort! Ich werde später wieder zu dir stoßen.“, befahl sie dem Vendar, der neben ihr ging und die zweite Hälfte des Teams darstellte. Logar hatte seine Vendar immer im Team patrouillieren lassen. Der Mann, ein 2,30 m messender Vendar mit rotem Fell unter seiner Uniform und schlanker drahtiger Statur, drehte sich zu ihr um und sagte schmissig: „Zu Befehl, Anführerin!“ Dann drehte er sich auf dem Absatz um und marschierte zackig in die andere Richtung davon.

Die Anführerin von Logars Vendar begab sich zur Koppel. Hier traf sie auch gleich auf den verzweifelten Argus. „Was ist hier geschehen, Argus?!“, fragte sie ernst. „Ich weiß es nicht, Iranach.“, sagte der Junge und begann fast zu weinen. Es tat ihm im Herzen weh, dass Kipana, die er sehr mochte, offensichtlich solche Angst hatte und er ihr nicht helfen konnte. Er deutete nur stumm auf das Geschehen. „Sie wird ein Unheil herannahen fühlen.“, sagte Iranach. „Aber wenn ich ehrlich bin, dann fühle ich es auch. Ich bin eine Vendar. Du weißt, dass wir Telepathen spüren können, Argus.“ „Natürlich.“, antwortete der imperianische Junge. „Aber willst du damit sagen, dass ein böser Telepath auf dem Weg hierher ist?“ „In der Tat!“, bestätigte die Vendar fest. „Und du weißt sehr gut, wer das nur sein kann.“ „Ja, das weiß ich.“, sagte Argus. „Da kommt ja nur Sytania in Frage. Aber da muss noch etwas anderes sein. Kipana hat doch schon öfter Angriffe von Sytania gesehen. Sie hat Logar auch sehr oft in die Schlacht getragen und da war sie nie so. Was ist nur jetzt anders?“ „Du weißt, dass sie ein Fohlen führt, Argus.“, sagte Iranach. „Mütter sind immer sensibler. Aber in ihrem jetzigen Zustand kann sie Logar auf keinen Fall in die Schlacht tragen. Sie wäre so nur eine Gefahr für sich und ihren Reiter.“ „Was soll ich tun?“, fragte Argus verzweifelt, der jetzt auch sah, dass ihre Angst bereits einige andere Pferde angesteckt hatte. „Wenn das eintritt, was ich vermute.“, sagte Iranach ernst. „Dann tust du sehr gut daran, alle Tore zu öffnen. Wenn Sytania und ihre neue Freundin Valora herkommen und uns angreifen, dann wird hier kein Stein mehr auf dem anderen bleiben! Das prophezeie ich dir, auch wenn ich keine seherischen Fähigkeiten habe.“ „Du hast Recht, Iranach.“, sagte Argus vertrauensvoll. „In den Gebäuden wären die Tiere dem Tode geweiht.“ „Also.“, sagte Iranach. „Du öffnest die Stalltüren und ich gehe zu Logar und unterrichte ihn. Ich werde ihm auch beibringen, dass Kipana ihn nicht in die Schlacht tragen kann. Er wird mit einem anderen Ross vorliebnehmen müssen. Aber mach dir keine Sorgen. Als seine Vertraute genieße ich einen Status, der es mir durchaus erlaubt, ihm solch schlechte Nachrichten zu überbringen, ohne dass ich befürchten muss, dass mir etwas geschehen könnte. Also, Argus. Warte bis die Soldaten ihre Pferde gesattelt haben, sofern das überhaupt bei der Aufregung möglich ist. Dann lässt du den Rest raus!“ „In Ordnung, Iranach!“, sagte Argus. Seine Angst war schon viel geringer geworden. Mit ihr an seiner Seite, die offensichtlich genau wusste, was zu tun war, fühlte er sich sehr sicher. Sie würde schon die richtigen Schlüsse ziehen und die richtigen Entscheidungen treffen. Das wusste der Junge.

Die Vendar war in den Thronsaal geeilt. Hier hatte sie dann auch gleich den Herrscher angetroffen. Gerade wollte sie beginnen, als Logar ihr das Wort abschnitt, noch bevor sie überhaupt etwas sagen konnte: „Es ziehen dunkle Wolken auf am Horizont, Iranach.“ „In der Tat, Gebieter.“, bestätigte die Vendar. „Aber nicht nur Ihr seht es. Meine Leute und ich fühlen es und die Tiere erst recht.“ „Sprichst du von den Schlachtrössern meiner Soldaten?“, wollte der Herrscher wissen. „Von denen und insbesondere von Kipana, Eurer Lieblingsstute, Milord. Sie hat solche Angst, dass sie Euch so auf keinen Fall in die Schlacht tragen kann. Sie ist so nur eine Gefahr für Euch und sich. Außerdem führt sie ja noch immer ihr letztes Fohlen.“ „Du hast Recht, Iranach.“, sagte der Herrscher. „ Sie hat ja auch noch Mutterschutz. Wohlan denn, ich werde dann wohl mit einem weniger sensiblen Pferd vorliebnehmen müssen. Schick nach Argus! Er kennt die Tiere am besten. Er soll mir eines aussuchen! Aber versammle auch deine Truppen, wenn du das getan hast, Iranach. Ich denke, auch meine Tochter wird ihre Vendar mitbringen!“ „Zu Befehl, Milord!“, sagte Iranach schmissig und war aus der Tür.

In einem Wald in der Nähe von Logars Schloss hatten Sytania und ihre Leute Deckung gefunden. Da die Königstochter alle mittels ihrer Kräfte unsichtbar gemacht hatte, hatten sie die Grenze überqueren können, ohne von Logars Wachen behelligt zu werden. Jetzt warteten alle auf das Signal Cirnachs, die Sytania zur obersten Führerin der Truppen in dieser Schlacht auf ihrer Seite ernannt hatte. Aber an der Formation war noch etwas Besonderes. Sytania wurde nicht von ihrem schwarzen Hengst, sondern von Valora persönlich getragen, die es sich absolut nicht nehmen lassen wollte, ihre neue Freundin selbst in ihren neuen Palast zu bringen. Cirnach hingegen saß auf einem kleinen stämmigen Rappen, der jetzt genau neben Valora stand.

Sytania hatte die Situation im Schloss ihres Vaters mittels ihrer Kräfte genau beobachtet. Sie wusste genau, wie es um ihren Vater stand. „Ich denke, es ist Zeit, Cirnach!“, sagte sie. „Im Schloss meines Vaters scheinen alle in heller Aufregung. Das macht sie sehr verwundbar und wann soll man einen Feind am besten angreifen? Natürlich dann, wenn er am verwundbarsten ist!“ „Ihr habt Recht, Milady.“, sagte Cirnach und gab dem Signalbläser ein Zeichen. Dieser holte tief Atem und stieß in sein Horn. Auf das Signal hin stürmten sofort die imperianischen Truppen nach vorn.

Argus hatte genau das getan, was Iranach ihm aufgetragen hatte. Jetzt suchte er nach ihr, denn sie war die einzige gewesen, die ihm jetzt Schutz bieten konnte. Sie war neben Logar die Einzige, der er jetzt, im Gewimmel der Schlacht und im Geklirre der Schwerter und im Geschrei der Verwundeten noch vertraute. Er hatte zwar schon öfter Schlachten gesehen, aber dieses Mal war etwas anders. Der Junge wusste jedoch, dass er sich auf die Vendar immer verlassen konnte, denn sie standen höher als die anderen Bediensteten und waren in die Geheimnisse der Mächtigen stärker eingeweiht. Wenn man bedachte, was ihre spezielle Fähigkeit war, dann war das auch kein Wunder.

In der Garnison der Vendar war er schließlich fündig geworden. Hier hatte Iranach gerade ihre Truppen versammelt.

„Hast du getan, was ich dir gesagt habe?“, fragte die Vendar. „Das habe ich.“, nickte der Stallbursche. „Wo sind Kipana und ihr Fohlen?!“, wollte Iranach mit Nachdruck wissen. „Ich bin sicher, Sytania wird ihre neue Freundin Valora mitbringen und wenn sie das tut, dann könnten Kipana und auch ihr Fohlen sterben! Sie könnte sie aus Eifersucht sicher sogar selbst töten!“ „Sie sind in die Felder der Bauern gelaufen.“, sagte Argus. „Ah, das ist gut.“, sagte Iranach. „Die sind so weitläufig, dass man sich darin verlaufen kann. Logar nennt viele Bauern seine Leibeigenen und viele Bauern haben auch viele Felder. Das ist ein richtiges Labyrinth und Sytania und ihre Truppen sind als nicht sehr geduldig bekannt. Sie werden dort nicht suchen. Aber vielleicht erbarmt sich ja auch einer der Bauern der zwei.“ „Aber Kipana dürfte auch gelernt haben, in der Wildnis allein zurechtzukommen.“, sagte Argus. „Während ihrer Schwangerschaften war sie ja auch bei der Herde der Einhörner und da ging es ihr ja auch gut.“ „In der Tat.“, sagte Iranach. „Aber ich weiß, dass es dir damit gar nicht gut ging. Ich weiß noch genau, dass du dir die Augen aus dem Kopf geweint hast, als sie das erste Mal einfach fortgelaufen war. Du hast sie sehr lieb. Das weiß ich.“ „Sie ist ja auch eine ganz Liebe.“, sagte Argus. „In der Tat.“, sagte Iranach. „Und eine kluge treue Seele noch dazu. Aber auch Logar hängt an ihr und es dürfte unserer beider Gesundheit nicht sehr zuträglich sein, wenn ihr unter unserer Verantwortung etwas geschehe.“ „Ach deshalb hast du so darauf gedrängt, dass ich dir sage, wo sie ist.“, verstand Argus. Die Vendar nickte ihm nur zu.

Ein Kundschafter kam auf die Beiden zu und meldete Iranach etwas auf Vendarisch, das Argus naturgemäß nicht verstand. „Was hat er dir gerade gesagt?“, fragte er. „Sytania hat die Imperianer wohl nur als Kanonenfutter vorgeschickt.“, antwortete die Vendar. „Er hat gesehen, dass sie entweder reihenweise schon beim ersten Stoß tot umgefallen sind oder sich ergeben haben und jetzt unsere Gefangenen sind. Er sagte aber auch, dass das seiner Meinung nach zu leicht ging und er vermute, dass da etwas nicht stimmen würde. Ich habe ihm zugestimmt. Sytania hat bestimmt etwas vor. Ich werde meine Truppen jetzt in den Kampf schicken, denn auch Sytania hat ihre Vendar mitgebracht.“ „Und was ist mit mir?!“, fragte Argus ängstlich, den die Situation schon fast in Panik versetzt hatte. „Bitte bleib bei mir, Iranach! Bitte verlass mich nicht!“

Die Vendar wollte gerade ansetzen, etwas zu sagen, als sie eine telepathische Botschaft von Logar empfing: Iranach, bring Argus in ein sicheres Versteck und achte dort auf ihn! Dein Stellvertreter soll die Truppen in den Kampf führen! „Wie Ihr befehlt, Gebieter.“, erwiderte Iranach in Gedanken und gleichzeitig laut. Dann zog sie ihr Sprechgerät, gab das Rufzeichen ihres Stellvertreters ein und übermittelte ihm die neuen Befehle. „Was hat das zu bedeuten, Iranach?“, fragte Argus. „Es bedeutet.“, sagte Iranach. „Dass ich dich in Sicherheit bringen und auf dich aufpassen soll.“ Dann zog sie Argus mit sich zu einem auf den ersten Blick sehr unscheinbaren Fels, der im Schlosspark stand. Nachdem sie dreimal an eine seiner Wände geklopft hatte, spaltete sich diese plötzlich und gab den Blick in einen Geheimgang frei, in den sie den Jungen hastig zog. Dann schloss sich die Wand wieder hinter ihnen.

Sie folgten dem Gang, bis er sie in einem Kellergewölbe wieder ausspuckte. „Hier sind wir sicherer als an der Oberfläche.“, erklärte Iranach. „Zumindest fürs Erste. „Das mag zwar sein.“, sagte Argus. „Aber du erfährst ja jetzt auch nichts mehr über die Schlacht.“ „Du irrst dich.“, sagte Iranach und zog ihr Sprechgerät aus der Tasche. Dann gab sie ein Rufzeichen gefolgt von einigen Befehlen an einen Satelliten ein, von denen die Vendar einige in der höheren Atmosphäre der Dimension betrieben. Jetzt war sie so genau informiert, dass sie Argus sogar sagen konnte: „Es sieht im Moment leider nicht so gut für uns aus, Argus. Aber das habe ich ja geahnt. Sytanias Vendar verwickeln meine Leute schon in schwerere Gefechte. …“

Es gab ein Signal und sie las vom Display das Rufzeichen ihres Stellvertreters ab. Dann sagte dieser: „Ich habe keine guten Nachrichten, Anführerin. Die Einhörner sind am Horizont aufgetaucht und Logars imperianischer General hat zum Rückzug blasen lassen. Aber die Einhörner kamen von Osten, Anführerin! Von Osten! Dort liegt Sytanias Reich!“ „Ihr werdet dem Rückzugsbefehl nicht Folge leisten!“, befahl Iranach fest. „Hast du mich verstanden?! Oh dieser imperianische Narr! Und sag dem Bläser, wenn er jetzt noch einmal das Signal zum Rückzug gibt, dann spalte ich mit meinem Degen eigenhändig seinen Brustkorb, reiße seine Lunge heraus und sorge dafür, dass das Letzte, was er sehen wird, der Anblick ist, wenn sich die Jagdhunde darum balgen!“ „Du machst mir Angst, Iranach.“, sagte Argus mit ängstlicher Stimme. „Bitte verzeih mir.“, sagte die Vendar. „Das war nicht meine Absicht.“ „Schon gut, Iranach.“, sagte Argus und riss sich zusammen. Sie war die einzige, auf die er sich jetzt verlassen konnte und wenn er sie auch noch verprellte, dann hatte er niemanden mehr. Dazu durfte und wollte er es auf keinen Fall kommen lassen.

Iranachs Sprechgerät piepte erneut. „Was gibt es?“, fragte sie ins Mikrofon. „Ich sehe jetzt eine weitere Gruppe von Einhörnern.“, sagte ihr Stellvertreter. „Sie kommen von Westen, Anführerin. Es sieht für mich aus, als würden sie von Invictus angeführt. Aber bei Sytanias Einhörnern sehe ich Valora nicht. Wir alle spüren aber ganz genau, dass die Einhörner ihre Kräfte gegeneinander benutzen wollen!“ „Wenn das geschieht.“, sagte Iranach. „Dann wird hier nichts mehr so sein wie es war. Ich denke aber, dass ich langsam weiß, was Sytania vorhat. Sie wollte mit den Imperianern den Eindruck erwecken, sie sei leicht zu besiegen, damit wir uns sicher fühlen. Dann sollten die Vendar eine Ablenkung schaffen, um alle zu verwirren und dann sollten die Einhörner dafür sorgen, dass Logars Soldaten den Fehler machen zu glauben, es sei alles in Ordnung, wenn sie kämen und sie würden ihnen Tür und Tor öffnen. Genau das ist ja auch passiert. Valora und Sytania werden erst jetzt eingreifen, denke ich.“ „Das ist gemein!“, rief Argus aus. „Das ist es in der Tat.“, erwiderte Iranach. „Aber hättest du ernsthaft etwas anderes von Sytania erwartet?“ Argus schüttelte den Kopf. „Siehst du.“, sagte Iranach. „Aber wenn hier gleich alles einstürzt.“, fragte Argus. „Was wird dann mit uns hier unten.“ „Keine Angst.“, versicherte Iranach. „Sytanias Putz- und Prunksucht wird dafür sorgen, dass sie dieses Schloss schon heil lässt. Anders könnte es natürlich mit den Gebäuden drum herum aussehen.“ „Gut, dass die Pferde in Sicherheit sind.“, atmete Argus auf.

Die Vendar machte plötzlich ein ernstes Gesicht. „Was ist los?“, fragte Argus, aber zur gleichen Zeit lagen ein Knistern und ein Donnern in der Luft, das den Jungen an ein starkes Gewitter erinnerte, obwohl keine Wolke am Himmel war. „Es geht los!“, sagte Iranach. „Das heißt, sie benutzen jetzt ihre Kräfte gegeneinander?“, fragte Argus. Iranach nickte ihm nur langsam und ernst zu.

Argus wurde die Situation zunehmend unheimlicher. Er fragte sich, ob sie das alles hier überhaupt überleben könnten. Jetzt geschah aber auch noch etwas, das ihn noch mehr in Angst und Schrecken versetzen sollte. Iranachs Blick wurde plötzlich ganz glasig. Das war etwas, das er nur von Vendar kannte, die unter dem Bann standen. Sofort hatte er seinen König unter Verdacht. Aber warum sollte Logar so etwas tun? Er konnte sich Iranach doch sicher sein und er konnte sich auch erst recht dessen sicher sein, dass sie tun würde, was er von ihr verlangte. Im Notfall hieß das sicher auch für sie, für ihren Herrn in den Tod zu gehen, aber daran mochte Argus noch gar nicht denken.

Der Grund für Iranachs Verhalten war allerdings eine telepathische Botschaft, die aber nicht von Logar kam, sondern von Invictus. Also hatte Argus mit seiner Vermutung ja gar nicht so falsch gelegen. Auch dass das Einhorn das Bannwort gegenüber der Vendar benutzt hatte, entsprach der Wahrheit. Tshê, Vendar!, hatte er seine Botschaft begonnen, um dann fortzufahren: Du wirst mich gemeinsam mit dem Jungen vor dem Schloss treffen! Dann werdet ihr mir das Sattelzeug anlegen, das eigentlich für Kipana bestimmt ist. Informiere Logar, dass ich sein Schlachtross sein werde!

Iranach drehte sich in Richtung einer kleinen Tür, die zu einer Treppe führte. Diese öffnete sie mit Hilfe eines Schlüssels, den sie immer in einem Amulett verborgen um den Hals bei sich trug. „Was ist los, Iranach?“, fragte Argus. Er bekam aber keine Antwort. Stattdessen winkte sie ihm nur und sagte mit gleichmütigem Ton: „Es ist alles in Ordnung, Argus. Bitte vertrau mir. Geh und hole Kipanas Sattelzeug. Ich treffe dich dann vor dem Schloss.“ „Also gut.“, sagte der Junge zögerlich und machte sich auf den Weg. Er hatte etwas Angst, aber sein Vertrauen in Iranach war doch größer, obwohl er wusste, dass sie jetzt wohl nicht mehr ganz Herrin ihrer Sinne war.

Logar hatte jenes Spektakel, das sich jetzt vor seinem Schloss abspielte, bisher aus sicherer Entfernung vom Thronsaal aus beobachtet. Als er jetzt jedoch Argus mit Kipanas Sattelzeug in der Hand und des Einhorns Invictus ansichtig wurde, wurde er sehr neugierig und beschloss, der Sache selbst auf den Grund zu gehen.

Er verließ also Thronsaal und Schloss und ging dann auf Argus, Invictus und Iranach zu. „Was geschieht hier, Argus?“, wendete sich der König an den Stallburschen. Von Iranach würde er keine Antwort bekommen können, das hatte er gesehen. Schließlich stand sie unter dem Bann eines viel mächtigeren Wesens, als er selbst eines war. „Ich weiß es nicht, Milord.“, sagte Argus und sah Logar verwirrt an. „Ich glaube, sie steht unter dem Bann. Aber wenn Ihr es nicht wart, der ihn über sie ausgesprochen hat, wer dann?“ „Dass sie unter dem Bann steht, ist richtig, Argus.“, antwortete Logar. „Aber dieser Bann wurde von einem viel mächtigeren Wesen ausgesprochen. Ich kann sie also nicht daraus befreien. Aber ich denke, das wird auch gar nicht notwendig sein. Ich glaube nämlich, dass ich langsam verstehe, was hier vorgeht.“ Er deutete auf das Geschehen zu ihrer Rechten. „Wenn Ihr mir versichert, dass alles in Ordnung ist.“, sagte Argus. „Dann will ich das glauben und Iranach helfen!“

Er griff nach Kipanas Trense, um sie Invictus anzulegen. Iranach war inzwischen mit dem Sattel beschäftigt. „Ist es so auch nicht zu fest?“, flüsterte sie in das weiche linke Ohr des Einhorns. Willst du etwa, dass dein Herr mitten im Kampf von meinem Rücken fällt?!, entgegnete das Einhorn telepathisch. Iranach schüttelte bestimmt mit dem Kopf. Siehst du!, erwiderte Invictus. Dann gurte ruhig so straff, als sei ich ein gewöhnliches Schlachtross!

„Warum lässt sich ein so mächtiges Wesen wie Invictus satteln, als wäre er ein normales Ross?“, fragte Argus an Logar gewandt. „Weil er weiß, dass auch Valora dies für Sytania sein wird.“, antwortete der Herrscher. „Er will nur gleiche Bedingungen für uns herstellen.“

Iranach hatte ihrem Gebieter bedeutet, dass sie mit dem Satteln fertig war. „Argus, halte auf der rechten Seite gegen!“, befahl Logar in Richtung des Burschen. Sofort lief Argus einmal um Invictus herum und griff nach dem rechten Steigbügel. Damit sollte er verhindern, dass der Sattel nach links abrutschte, während Logar aufstieg. „Iranach.“, wandte sich Logar dann an seine Vertraute. „Mach mir mit deinen Händen eine Räuberleiter. Wir wollen ja nicht, dass Invictus mich zu lange an seiner Seite hängend ertragen muss.“ „Wie Ihr wünscht, Gebieter.“, sagte die Vendar und begann damit, ihre Hände auszustrecken. Dann hob sie Logar so in den Sattel. Dabei musste sie, weil sie ja fünfmal so stark wie eine durchschnittliche menschliche Frau war, sehr darauf achten, dass sie ihm nicht aus Versehen über Invictus hinweg half. „Sehr gut, Iranach.“, sagte der imperianische König und gebot dann auch Argus loszulassen. Dann schnalzte er Invictus zu, der sich sofort mit ihm in die Luft erhob. Für Einhörner war das ganz normal, aber Argus sah diesem Treiben mit Staunen zu.

Noch ehe er Iranach allerdings zu diesem Thema Fragen stellen konnte, brach über ihnen das gleiche regenlose Gewitter los, das er schon gesehen hatte. „Geh in die Hocke!“, flüsterte Iranach ihm leise, aber bestimmt zu. „Mach dich so klein wie möglich und verschränke deine Arme vor deinen Beinen. Du darfst den Blitzen nicht viel Fläche bieten, hörst du?“ Sie zog ihn mit sich hinunter.

Sytania hatte gesehen, was sich vor dem Schloss ihres Vaters abgespielt hatte. Auch sie kam jetzt auf Valora ihrem Vater entgegengeflogen. „Ach, Vater.“, sagte sie unschuldig. „Sieht man sich auch mal. Ich hatte schon Sorge, Ihr wäret verloren gegangen.“ „Wie du siehst, bin ich das nicht, Tochter!“, sagte Logar bestimmt. „Und was du kannst, kann ich schon lange!“ „Ach ja.“, sagte Sytania. „Das werden wir ja gleich sehen!“

Sie schleuderte ihm einen gewaltigen Blitz aus Energie entgegen, der so stark war, dass es ihn sofort aus dem Sattel holte. Krachend landete er neben Argus und Iranach.

„Er ist bewusstlos.“, stellte Argus fest, nachdem er Logar einige Male vergeblich versucht hatte, wach zu rütteln. „Wie kann das sein?“

Iranach zog ihren Erfasser und beugte sich über Logar. „Valora und Sytania haben ihm all seine Macht genommen.“, stellte sie fest. „Das konnte nur funktionieren, weil sie ihre vereint hatten. Das haben Logar und Invictus vergessen.“ „Oh nein!“, rief Argus aus. „Und was bedeutet das jetzt für uns?!“ „Das bedeutet, dass wir uns besser ergeben, wenn wir klug sind.“, erwiderte Iranach. „Allein hat auch Invictus keine Chance. Sieh nur. Er ist auch angeschlagen und muss sich zurückziehen.“ Argus schlug traurig die Augen nieder.

Sytania war mit Valora gelandet und trabte nun auf sie zu. Kurz vor ihnen hielt sie an und grinste schadenfroh in ihre Richtung: „Na, Iranach und Argus, da habe ich Euren weisen König aber ganz schön niedergestreckt, nicht wahr? Ich gewähre dir, Iranach, noch die Gnade, ihn in seinem ehemaligen Schloss gesundpflegen zu dürfen, aber dann muss er ins Exil. Es ist mir egal, wohin du ihn verfrachtest. Aber sein Thron gehört jetzt mir!“ „Ich verstehe, Milady.“, erwiderte Iranach, die genau wusste, dass es nicht sehr klug war, ihr jetzt zu widersprechen, wenn sie ihr Leben noch behalten wollte. Im Geheimen würden sie und ihre Leute natürlich an einer Strategie arbeiten, wie man das Schloss zurückerobern konnte, aber das durfte sie Sytania auf keinen Fall merken lassen. Außerdem würden ihre Vendar-Truppen und sie auch den Fakt ausnutzen, dass Sytania niemals freiwillig telepathischen Kontakt zu einem Vendar aufnehmen würde, weil sie an die Legende glaubte, dass dies mit einem sofortigen Aussaugen verbunden war. Jetzt aber mussten sie sich erst einmal um Logar kümmern. „Fass mit an!“, sagte sie an Argus gewandt. „Ich könnte ihn zwar auch allein tragen, aber zu zweit können wir ihn besser stabilisieren. Das ist dann angenehmer für ihn, falls er unterwegs erwachen sollte. Wir bringen ihn in seine Gemächer und dort werden sich meine Leute und ich um ihn kümmern.“ „Also gut, Iranach.“, sagte Argus und führte aus, worum sie ihn gerade gebeten hatte. Es gefiel ihm gar nicht, jetzt unter Sytanias Herrschaft zu stehen, aber ändern konnte er daran auch nichts. Er war nur froh, dass sie bei ihm war. So war das Ganze für ihn nicht ganz so beängstigend, weil er in ihr jemanden gefunden hatte, an die er sich vertrauensvoll anlehnen konnte.

Cirnach hatte Sytania, nachdem diese aus Valoras Sattel gestiegen war und die Vendar auf das Geheiß der Königstochter das Einhorn wieder vom Sattelzeug befreit hatte, in den Thronsaal geführt. Dann hatte sie auf den Thron gedeutet. „Das hier gehört jetzt alles Euch, Gebieterin!“, sagte sie stolz. „Ich schlage vor, dass Ihr einmal probesitzt.“ „Deinen Vorschlag werde ich liebend gern annehmen, Cirnach.“, sagte Sytania gehässig und stieg die Stufen zu Logars Thron hinauf. Cirnach wartete unten mit gespanntem Gesicht. Dann sah sie zu, wie sich Sytania auf den Thronsessel setzte. „Wie fühlt es sich an, Herrin?“, wollte die Vendar wissen. Ach, Cirnach.“, sagte Sytania mit verklärtem Blick. „Es fühlt sich ganz vortrefflich an! Wer hätte gedacht, dass ich doch noch einmal dazu komme, mein Geburtsrecht in Anspruch zu nehmen. Aber auch du kannst dich glücklich schätzen, denn du hast mir ja dazu verholfen. Ohne deinen hinterlistigen Plan, mit dem wir meinen Vater so trefflich verwirren konnten, wäre es ja nie dazu gekommen. Jetzt muss dein Mann nur noch die Sache mit der Energie der Quellenwesen hinbekommen und dann bin ich zufrieden.“

Die Vendar war gewaltig ins Schwimmen gekommen. Die bloße Erwähnung der Situation ihres Mannes hatte sie wieder daran erinnert, dass er ja sicher in Sytanias Augen auf ganzer Linie versagt hatte, wenn sie ihr gestehen würde, dass die Sache mit dem Feld ja nun so gar nicht geklappt hatte. Bis sie eine andere Möglichkeit gefunden hatten, musste sie Sytania von ihrem Mann ablenken oder ihn von ihr fernhalten, damit sie auf keinen Fall spüren würde, was da wirklich los war. Wenn sie das bemerken würde, dann war auch ihr schönes Leben Geschichte! Das wusste Cirnach. Aber sie hatte auch schon eine Idee, wie sie das anstellen würde.

Zunächst aber lenkte sie Sytanias Aufmerksamkeit auf ein ganz anderes Thema: „Ich finde, dieser Thronsaal sollte ganz neu eingerichtet werden, Herrin. Denkt Ihr nicht auch?“ „Oh ja.“, antwortete Sytania und ließ den Blick schweifen. Dann gab es einen schwarzen Blitz und die Einrichtung erinnerte total an ihr eigens Schloss. Nichts war mehr von den Symbolen der beiden geflügelten Löwen zu sehen, die sonst jeden Gegenstand geziert hatten. Sie waren durch Drudenfüße ersetzt worden und die bunten freundlichen Stoffe an den Wänden, die dem Raum sonst eine sehr heimelige Atmosphäre gegeben hatten, waren entweder schwarzen tristen Modellen oder kalten weißen sterilen gewichen. „So ist es schon viel besser.“, sagte Sytania und lehnte sich zufrieden zurück. „Aber lass uns noch einmal auf die Sache mit dem Energiefeld zurückkommen. Ich würde gern mit deinem Mann über seine Fortschritte bei dessen Umerziehung reden, wenn er dazu im Stande ist.“ „Oh ich versichere Euch.“, sagte Cirnach. „Er macht sehr große Fortschritte. Aber er ist deshalb auch noch immer sehr beschäftigt. Es gibt aber meiner Meinung nach noch ein viel dringenderes Problem, über das wir dringend reden müssen.“ „Und was für eines ist das, Cirnach?“, fragte Sytania. „Nugura El Fedaria, Gebieterin.“, antwortete die Vendar. „Was soll sie denn für ein Problem darstellen?“, fragte Sytania. „Dein Mann hat mir lang und breit erklärt, dass von ihr keine Gefahr ausgehen kann.“ „Da wäre ich mir nicht so sicher, Milady.“, sagte Cirnach. „Ihr kennt ihre Schliche und vor allem die ihrer Verbündeten. Außerdem wisst Ihr, dass die Föderation und auch Shashanas Planet über Meilenstein verfügen. Wenn sich Nugura und Shashana doch verbünden sollten, dann …“ „Daran glaube ich nicht, Cirnach.“, sagte Sytania. „Dafür wird ihr engstirniges Parlament schon sorgen.“ „Ich glaube, Ihr kennt sie nicht gut genug.“, sagte Cirnach. „Manchmal hat sie schon Wege aus Situationen hinausgefunden, von denen wir alle nichts geahnt haben. Nein. Wir müssen ihre Freundschaft im Keim ersticken und ich weiß auch schon, wie wir das anstellen werden. Bitte benutzt Eure seherischen Fähigkeiten, um ihren Sekretär Saron aufzuspüren. Wir müssen herausfinden, wo er in naher Zukunft Urlaub machen wird.“ „Ich weiß zwar nicht, was das zu bedeuten hat, Cirnach.“, sagte Sytania. „Aber ich vertraue dir.“

Sie begann damit, sich auf ihr Vorhaben zu konzentrieren. „Ich sehe ihn auf Celsius!“, sagte sie dann. „In Ordnung.“, sagte Cirnach. „Dann verwandelt meinen Mann bitte in einen Celsianer. Wir haben etwas vorbereitet, das dafür sorgen wird, dass Nugura bei Shashana ordentlich in Ungnade fällt.“ „Was bitte hat das mit Celsius zu tun, Cirnach?“, fragte Sytania. „Das will ich Euch gern zeigen.“, sagte Cirnach und holte einen Datenkristall und ein Pad aus ihrer Tasche. Dann legte sie den Kristall in das Pad und hielt es Sytania vor die Augen.

Was die Prinzessin hier zu sehen bekam, erregte tatsächlich ihren Gefallen. „Es war das Bild der Wächterin von Gore als Einhorn, das sich langsam in das eines genesianischen Mannes verwandelte. Dazu sprach eine verzerrte Stimme einen Text: „Die Genesianer bezeichnen sich als Volk von starken Kriegerinnen. Aber in meinen Augen sind sie nichts als Schafe, die hinter jedem Schäfer herlaufen, der sich als ihre Göttin präsentiert. Es braucht nur einige Wunder und sie fallen um wie die Fliegen. Bsss, ha-ha-ha. Oder sollte ich määäää sagen? Oh, Mann! Die würden auch alles anbeten!“

Sytania begann zu grinsen. Sie hatte genau verstanden, worum es der Vendar gegangen war. „Ah, ich verstehe.“, sagte sie. „Und ich nehme an, dieser Clip ist ein Teil einer satirischen Zeitschrift oder so etwas, die Saron lesen soll. Aber wie soll das Shashana zu Ohren kommen?“ „Ganz einfach.“, sagte Cirnach. „In dieser Datei versteckt sich ein Virus, dessen einzige Aufgabe es ist, im Netzwerk von Nuguras Büro nach Shashanas Rufzeichen zu suchen und es an sie zu senden. Mal sehen, wie Shashana das finden wird.“ „Sicher nicht allzu gut, Cirnach.“, sagte Sytania. „Du hast Recht. So können wir alle Bemühungen, die unsere Feinde aufbringen, um sich zu verbünden, schon ersticken, bevor es sie überhaupt gegeben hat! Informiere deinen Mann, dass ich mit euren Plänen sehr viel mehr als einverstanden bin!“ „Oh das muss ich ihm gar nicht mitteilen.“, sagte Cirnach. „In dem Moment, in dem Ihr anfangt, ihn zu verwandeln, wird er Bescheid wissen. Ein Schiff haben wir auch schon vorbereitet. Ich werde ihn mit dem getarnten Veshel selbst hinfliegen und ihn dort absetzen. Dann werde ich ihn per Sprechgerät beobachten und ihn wieder an Bord holen, sobald er seine Mission erfüllt hat.“ „Also gut, Cirnach.“, sagte Sytania und konzentrierte sich auf Telzans Bild, welches sie dann in ihrem Geist langsam zu dem eines Celsianers mittleren Alters formte.

 

Kapitel 59: Die Auserwählte

von Visitor

 

In Little Federation stand Mikel vor dem Tresen eines öffentlichen Transporters in der Schlange und wartete, bis er dran war. Dabei lauschte er auch immer nach hinten, denn eigentlich war er hier ja mit mir verabredet. Gemeinsam wollten wir zur Flugbereitschaft gebeamt werden, um uns von dort zu unserer Basis fliegen zu lassen, wie wir es eigentlich meistens am Ende unseres Urlaubs taten.

Mit seinem Taststock hatte der blinde Agent Kontakt zur Sperre gehalten, die sich jetzt langsam vor ihm öffnete. Da er wie ich keinen Visor trug, war das auch notwendig gewesen. Jetzt stand er vor dem Tresen. Der Operator, ein Betazoide mittlerer Größe und mittleren Alters mit schlanker Figur und kurzen braunen Haaren, der in einen feinen Anzug aus einer weißen Hose und einem ebensolchen Hemd gekleidet war, nahm den Datenkristall mit seiner Buchung entgegen. Dann sagte er: „Einen kleinen Moment bitte. Ich komme herum und führe Sie in den Transportbereich. Dazu bin ich aus versicherungstechnischen Gründen sogar verpflichtet, damit Unfälle vermieden werden.“ „Also gut.“, sagte Mikel. „Ich bin aber nicht allein. Sehen sie hier vielleicht eine Frau mit einem Taststock wie meinem in der Uniform eines Allrounders?“

Der Betazhoide ließ seinen Blick über die Wartenden schweifen. „Nein, tut mir leid.“, sagte er. „Ich sehe hier leider niemanden, auf den Ihre Beschreibung passen könnte, Sir.“ „Dann ist ihr bestimmt etwas passiert!“, sagte Mikel. „Es ist sonst gar nicht ihre Art, nicht zu Verabredungen zu erscheinen, ohne dass sie mir vorher Bescheid gegeben hätte!“

Er fuhr herum und hastete Richtung Ausgang, ohne sich weiter um den Operator zu kümmern, der noch versuchte, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er ja noch seinen Datenkristall, der quasi wie eine Fahrkarte funktionierte, in seinem Besitz hatte.

Blitzschnell war Mikel durch den Ausgang verschwunden und hatte den Weg in unser Wohnviertel eingeschlagen. Dabei hatte ihn der Gedanke an meine Situation sogar sämtliche Verkehrsregeln missachten lassen. Er bemerkte noch nicht einmal, dass er mitten auf der Straße lief.

Das wurde ihm aber schlagartig bewusst, als er plötzlich ein schrilles Signal neben sich hörte und ein Jeep abrupt abbremste. Dieses Geschehen schreckte ihn so sehr, dass er lang hinfiel.

Mit zitternden Händen war es der demetanischen Fahrerin gerade noch gelungen, den Code in die Konsole einzugeben, der die Systeme des Jeeps nach einem solchen Ereignis wieder freigab. Sonst hätte das Fahrzeug selbstständig einen Notruf abgesetzt und sämtliche Rettungskräfte wären alarmiert worden, weil davon auszugehen gewesen wäre, dass sie einen Schock gehabt hätte, der es ihr nicht mehr ermöglichte, das Fahrzeug zu steuern. Mit dem Code hatte sie dem System aber gesagt, dass alles in Ordnung war.

Sie parkte den Jeep in der nächsten Parkbucht und rannte dann zu Mikel, der inzwischen damit beschäftigt war, seinen verlorenen Taststock zu suchen. Sie half ihm und sprach ihn dann an: „Mutter Schicksal, was tust du denn mitten auf der Straße, Mikel! Dir hätte ja sonst was passieren können!“ Sie hob seinen Stock auf und gab ihn ihm: „Hier!“

Jetzt hatte auch Mikel ihre Stimme erkannt. „Sedrin!“, sagte er aufgeregt. „Es ist wegen Betsy! Wir wollten zusammen zu unserer Basis fliegen, aber sie ist nicht gekommen! Das sieht ihr nicht ähnlich! Da muss etwas passiert sein!“ „Ach deshalb bist du so durch den Wind.“, sagte die Demetanerin und zog ihn in Richtung ihres Fahrzeugs: „Steig ein!“ Dann wendete sie dieses und sie rasten in Richtung meines Hauses.

Dass Mikel gar nicht so falsch gelegen hatte, sollte sich zur gleichen Zeit in meinem Schlafzimmer bewahrheiten. Ich war am Vorabend früh ins Bett gegangen und hätte eigentlich nicht verschlafen dürfen, aber ich hatte das Wecksignal des Computers total überhört. Das lag wohl auch mit daran, dass ich in einem furchtbaren Albtraum gefangen war. Ich war in Mitten von Ackerflächen mit Kipana und ihrem Fohlen allein. Dass es sich um Ackerflächen handeln musste, hatte ich aus der Tatsache geschlossen, dass sich die Erde unter meinen Füßen sehr weich anfühlte und es einfach nach Ären und Heu roch. Auch war der Boden sehr uneben. Kipana und das Kleine schnaubten, scharrten und wieherten vor Angst. Sie atmeten auch beide sehr schnell und die Stute versuchte immer wieder, sich durch Schnuppern meiner Anwesenheit zu versichern. Wovor die Beiden solche Angst hatten, konnte ich mir auch denken, denn in der Ferne war das Getöse einer Schlacht zu hören. Aber alles erschien unwirklich laut und sehr riesenhaft, als würde dies von einem Kind erlebt, für das die Welt ja ohnehin sehr groß erscheint. Auch lagen Blitze in der Luft, die ich zwar nicht sehen konnte, die diese aber derart in Spannung versetzten, dass ich es knistern hören konnte. Dass dies eine beängstigende Atmosphäre für die Beiden darstellen musste, konnte ich mir an fünf Fingern abzählen. Es machte ja sogar mir Angst. Aber ich wusste auch, dass ich jetzt die Souveräne sein musste, obwohl mir das selbst sehr schwer fiel.

Ich tastete nach Kipanas Kopf. Sie trug kein Halfter. Also musste ich eine Möglichkeit finden, sie zu locken, wenn ich sie schon nicht führen konnte. Das Fohlen würde uns hoffentlich allein folgen.

Ich klaubte also einige Grasreste vom Boden auf und hielt sie ihr hin. Dann ging ich langsam los, rief ihr aber dabei zu: „Komm, Dicke, komm! Nur ein paar Schritte, dann gibt es etwas Leckeres!“ Allerdings hatte ich keinen blassen Schimmer, wohin diese Schritte führen sollten. Ich wusste nur, dass ich sie in Bewegung halten musste, denn Bewegung war das einzige, das ein Fluchttier wie sie beruhigen konnte.

Ständig witternd und lauschend ging Kipana vertrauensvoll hinter mir her. Ihr Fohlen folgte uns. Das konnte ich an dem kleinen tapsenden Hufschlag gut hören. Aber ich wusste ja auch nicht wo hin. Ich wusste nur, dass sich die Blitze in der Luft immer weiter verdichteten und wir keine Chance haben würden, ihnen zu entkommen. Dass sie gefährlich für uns werden konnten, war mir klar. Wir waren alle drei groß genug, um ein Ziel abzugeben. Also mussten wir kleiner werden. Ich wusste, dass Kipana in ihrer Ausbildung zum Schlachtross zwar das Kommando zum Hinlegen gelernt hatte auszuführen, aber ob sie das jetzt in dieser Situation auch täte, war für mich höchst fraglich. Jedenfalls würde das unser Verhältnis arg auf die Probe stellen. Jetzt würde sich herausstellen, was größer war. Ihre Angst vor der Situation, oder ihr Vertrauen zu mir. Ich hoffte außerdem, dass ihr Fohlen ihr alles nachmachen würde. Ausprobieren musste ich es. Darin bestand kein Zweifel.

Ich stellte mich also vor ihr hin und legte meine rechte Hand auf ihren Hals, um Kontakt zu ihr halten und überprüfen zu können, ob sie denn nun auch ausführte, was ich ihr sagen würde, oder was sie stattdessen tun würde. „Dann sagte ich fest und ruhig: „Kipana, leg dich!“

Zu meinem Erstaunen ging ihr Hals plötzlich immer tiefer nach unten. Aber nicht nur ihr Hals. Auch der Rest von ihr begab sich langsam Richtung Boden. Erfreut klopfte ich ihren Hals und gab ihr das Gras, das ich ja extra für sie gepflückt hatte. Dann hockte ich mich selbst hin und verschränkte die Arme vor meinen Beinen, um auch selbst kleiner zu werden. Dabei bemerkte ich, dass sich auch das Fohlen neben uns hingelegt hatte. „Fein, ihr Süßen.“, flüsterte ich. „Ganz fein.“ Da fühlte ich, wie mir beide die Hände, Kipana rechts und das Fohlen links, abzulecken begannen. Das war etwas, das mich sehr beruhigte, weil es mir auch sagte, dass sich beide bei mir sehr sicher und geborgen fühlten.

Sedrin und Mikel waren vor meinem Haus eingetroffen und hatten den Jeep der Demetanerin verlassen. Jetzt waren sie auf dem Weg zur Vordertür. Als dort auf das Betätigen der Sprechanlage niemand antwortete, sagte Mikel: „Ich kenne ihren Türcode, Sedrin.“ „Dann benutze ihn!“, sagte die Agentin. Mikel nickte und gab den Code ein, worauf die Tür befehlsgemäß zur Seite glitt. Dann betraten er und Sedrin das Haus. „Ich nehme das Schlafzimmer und das Bad. Du suchst in den anderen Zimmern.“, sagte Sedrin. „OK.“, sagte Mikel, drehte sich in Richtung Küche und begann nach mir zu rufen. Auch Sedrin begab sich ihrerseits auf die Suche. Dass sie sich die beiden intimeren Räume ausgesucht hatte, war kein Wunder, denn sie wusste, dass ich, würde sie mich vielleicht splitternackt in einer unglücklichen Situation vorfinden, das lange nicht so übel nehmen würde, als hätte mich ein fremder Mann gefunden. Mikel war zwar für mich kein Fremder, Aber Sedrin empfand es nun einmal als schicklicher so.

Die Agentin wurde auch bald darauf in meinem Bett fündig, nur lag ich nicht ruhig schlafend da, sondern zuckte und zitterte. Der Albtraum verursachte einen solchen Stress, dass die Neuronen in meinem Gehirn unkontrolliert Energie feuerten. Das sah wie ein Anfall aus.

Sie zog ihren Erfasser und scannte mich damit. Dabei fiel ihr auf, dass ich mit irgendwem in telepathischer Verbindung stehen musste. Sie konnte das Muster aber nicht einordnen. Sie wusste auch, dass es zwecklos sein würde, mich verbal zu wecken. Ich würde gar nicht reagieren können, denn der Telepath würde mich festhalten. Dieses verdammte Muster war Sedrin sehr bekannt, sie wusste nur nicht, wohin sie es stecken sollte.

Sie steckte den Erfasser wieder ein und holte stattdessen ihr Sprechgerät aus der Tasche, in das sie Cupernicas Rufzeichen eingab. „Hier Mr. Oxilon.“, meldete sich der talaxianische Assistent der Ärztin. „Hier ist Agent Sedrin.“, sagte diese. „Ich brauche Ihre Vorgesetzte in Allrounder Scotts Haus! Schnell, Mr. Oxilon, schnell!“ Der Talaxianer hatte sehr genau hören können, wie ernst die Lage sein musste. „Ich gebe ihr sofort Bescheid, Agent.“, sagte er ruhig. „Aber was ist denn passiert?“ „Sie wird von irgendeinem Telepathen im REM-Schlaf gehalten.“, sagte Sedrin. „Der Stress ist so groß, dass sie einen Anfall hat.“ „Keine Angst, Agent.“, sagte der Talaxianer. „Achten Sie darauf, dass sie sich nicht auf die Zunge beißt oder sie verschluckt. Halten Sie ihren Kopf, damit sie sich nicht verletzt. Stecken Sie ihr am besten irgendetwas zwischen die Zähne.“ „OK.“, sagte Sedrin und steckte mir ein kleines Deko-Kissen zwischen die Zähne. Dann fasste sie meinen Kopf und überstreckte ihn.

Mikel hatte von dem Geschehen auch Kenntnis erhalten und war hinzugeeilt. „Geh zur Tür und nimm Cupernica in Empfang.“, sagte Sedrin. „Ich bleibe bei Betsy. Ich sehe besser, wenn sie sich eventuell verletzt, weil ihre Hände oder ihre Füße krampfen und kann dann eher eingreifen als du.“ „OK, Sedrin.“, sagte Mikel, machte auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür, um dort auf die Ärztin zu warten, wie Sedrin es ihm gerade aufgetragen hatte.

In Cupernicas Praxis hatte Oxilon seine Vorgesetzte gerade über die Situation informiert. „Ich mache mich sofort auf den Weg, Oxilon.“, sagte die Androidin nüchtern. „Sie kennen ja das Procedere, was die leichteren Fälle angeht. Geben Sie allen neue Termine und schicken Sie sie dann nach Hause! Haben Sie Agent Sedrin Anweisungen zur Ersten Hilfe erteilt?“ „Ja, das habe ich, Madam.“, sagte der stets fleißige Talaxianer. „Sehr gut, Mr. Oxilon.“, sagte Cupernica, schulterte ihre Arzttasche und war aus der Tür. Oxilon begab sich währenddessen ins Wartezimmer, um ihre weiteren Instruktionen auszuführen.

Wenige Sekunden später war Cupernica bereits vor meiner Tür und betätigte die Sprechanlage. Sie war etwas überrascht, am anderen Ende Mikels Stimme zu hören, der das Gespräch am Terminal auf dem Flur entgegengenommen hatte, maß dem aber keine übermäßige Bedeutung bei.

„OK, kommen Sie rein, Scientist!“, sagte Mikel und öffnete mittels seines Fingers auf dem Sensor die Tür. „Wo sind Agent Sedrin und die Patientin?“, wurde er sofort von Cupernica gefragt. Stumm deutete er nur in Richtung Schlafzimmer. „Ah ja.“, sagte Cupernica und ging forschen Schrittes an ihm vorbei.

Ihr Weg führte sie dann auch gleich in mein Schlafzimmer, wo sie der Misere ansichtig wurde. Ein einziger Blick reichte für die Androidin aus, um zu sehen, was mit mir los war. Wo menschliche Ärzte oder auch die anderer Spezies vielleicht erst ihren Erfasser hätten ziehen müssen, hatte sie eindeutig einen Vorteil. Ihre Augen, die ja wie die Sensoren eines Erfassers funktionierten, lieferten ihr meine Werte sofort gratis.

Sie griff in ihre Tasche und holte einen Hypor heraus. Auf diesen steckte sie eine Patrone mit zellarem Peptidsenker auf. Dann sagte sie zu Sedrin: „Ich werde den Hypor jetzt so einstellen, dass er das Medikament sofort an ihren Hirnstamm beamt. Von dort wird es viel schneller in ihr Traumzentrum gelangen und dort seine Arbeit verrichten können. Wenn die zellaren Peptide dort eine gewisse Menge unterschreiten, wird sich die telepathische Verbindung von allein lösen, denn dann ist Sie ja nicht mehr für Telepathie empfänglich und kann erwachen. Halten Sie jetzt bitte ihren Kopf ganz fest und ganz ruhig, Agent. Der Minitransporter in dem Hypor kann sonst nicht zielen.“ „OK, Cupernica.“, sagte die Demetanerin vertrauensvoll und nahm mich in eine Art Schwitzkasten. Dann fragte sie: „Ist das fest genug?“ „Allerdings.“, bestätigte Cupernica und setzte das medizinische Gerät an. Sofort wurde das Medikament genau an die Stelle gebeamt, die sie vorausgesagt hatte. „Legen Sie Allrounder Scott jetzt bitte wieder hin.“, wies Cupernica Sedrin an. „Wenn sie erwacht, könnte es sein, dass sie sehr verwirrt ist. Unter Umständen ist sie dann sogar nicht zeitlich oder örtlich orientiert und wenn sie sich dann noch dazu in Ihrem Schwitzkasten wiederfindet, Agent, könnte sie das sehr ängstigen. Ihr Stresslevel ist ohnehin bereits viel zu hoch! Es grenzt meiner Meinung nach an ein Wunder, dass ihr Kreislauf das bisher so lange durchgehalten hat.“ „Ich würde es eher großes Glück nennen, Cupernica.“, sagte Sedrin. „Aber ich finde es faszinierend, dass Sie in diesem Zusammenhang das Wort Wunder in den Mund genommen haben.“ „Nun.“, sagte Cupernica. „Ich habe meine Sprechweise einfach der in unserer Gesellschaft gültigen Norm angepasst.“

Ich hatte zu zittern und zu krampfen aufgehört, hatte die Augen aufgeschlagen und war mit einem tiefen Atemzug erwacht. „Es ist alles wieder in Ordnung, Betsy.“, sagte Sedrin. „Agent Sedrin?“, fragte ich ungläubig und leicht verwirrt. „Wo bin ich und was tun Sie hier?“ „Sie sind in Ihrem Haus und liegen in Ihrem Bett, Betsy.“, sagte Sedrin ruhig. „Es kommt alles wieder in Ordnung.“ „Wie spät ist es, Agent?“, fragte ich. „Das tut jetzt überhaupt nichts zur Sache!“, sagte Sedrin sehr bestimmt. „Was immer Sie auch für Termine hatten, die können Sie jetzt alle als gecancelt betrachten! Jetzt ist es erst einmal wichtig, dass wir herausfinden, wer Sie in diese Situation gebracht hat und welche Bedeutung das für uns alle hat. Ich werde Sie zu Ihrem Albtraum vernehmen müssen.“

Cupernica stellte sich vor die Agentin hin und sagte langsam, aber bestimmt: „Ich denke, dagegen muss ich Einspruch erheben. In ihrem jetzigen Zustand kann Allrounder Scott keine relevante Aussage machen. Ich werde ihr erst einmal etwas geben, das ihre Fähigkeit zum Träumen temporär unterdrückt, damit sie gesunden Schlaf finden kann und sich erholt.“

Sie griff erneut in ihre Tasche und holte eine zweite Patrone mit einem Medikament hervor, die sie dann auch auf den Hypor steckte. „Bitte halten Sie noch einmal still, Betsy.“, sagte sie und dann hörte ich das Summen des Hypors.

Sedrin zog meine Kissen zurecht. Seit meiner Kindheit war es eine Angewohnheit von mir, immer mit mindestens zweien von ihnen zu schlafen. Dann sagte sie: „Ich werde morgen noch einmal bei Ihnen vorbeisehen. Dann werden wir über das reden, was Sie in Ihrem Traum gesehen haben. Bis dahin schlafen Sie sich erst mal aus und bleiben in Ihrem Bett, in Ihrem sicheren weichen!“ Sie legte sogar die Decke um mich. „Aber ich möchte Ihnen besser jetzt alles erzählen.“, sagte ich mit leicht geschwächter Stimme. „Jetzt sind meine Erinnerungen zumindest noch frisch. Cupernica kann ja hierbleiben und aufpassen. Wenn es zu viel für mich werden sollte, kann sie ja eingreifen.“ „Also gut.“, nickte Sedrin und auch Cupernica stimmte in gleicher Weise zu. „Aber warten Sie bitte noch einen Moment.“, sagte die Androidin außerdem und ging aus dem Raum in den Flur zurück, wo Mikel immer noch wartete. „Ihnen dürfte klar sein, Agent.“, sagte sie zu Kissaras Erstem Offizier. „Dass ich Allrounder Scott in ihrem Zustand auf keinen Fall für dienstfähig befinden kann! Ich übersende meiner Kollegin auf Ihrer Basis selbst sämtliche Daten, inclusive ihrer Krankschreibung. Nur wäre es sehr freundlich von Ihnen, wenn Sie Ihren Commander parallel über diese Situation informieren könnten und ihr auch später die Ergebnisse von Agent Sedrins Vernehmung Ihrer Freundin mitteilen würden.“ „Denken Sie denn, dass die Sache relevant sein könnte?“, fragte Mikel. „Haben Sie in letzter Zeit die Nachrichten verfolgt, Agent?“, fragte Cupernica ernst. Der ausgebildete Spionageoffizier nickte. „Dann wissen Sie ja, dass es sehr schlecht um die Dimensionen steht. Außerdem wissen Sie, dass unsere Verbündeten, die Tindaraner, bereits Daten zu dieser Situation gesammelt haben und uns gern helfen würden, alles wieder ins Reine zu bringen. In solchen Situationen ist es schon oft zu merkwürdigen Vorkommnissen gekommen und Ihre Freundin wirkt auf diese oftmals wie ein Magnet auf einen eisernen Nagel. Das habe ich im Laufe meiner Dienstzeit bereits feststellen dürfen.“ „Scientist, Sie machen mir Angst.“, sagte Mikel. „Aber ich werde tun, worum Sie mich gerade gebeten haben.“ „In Ordnung, Agent.“, sagte Cupernica und wandte sich wieder um, um wieder in mein Schlafzimmer zurückzukehren. Auch Mikel verließ wieder mein Haus, um erneut den Weg zu dem öffentlichen Transporter anzutreten.

Cupernica und Sedrin hatten sich beide einen Stuhl an mein Bett gezogen. Die Agentin hatte ein Pad in ihrer Hand und die Ärztin scannte mich permanent mit ihren Augen, was sie mir auch gleich mitteilte.

„Also gut, Betsy.“, sagte Sedrin. „Lassen Sie uns beginnen! Fangen wir mal mit etwas Harmlosem an. Hat sich an Ihren Personalien etwas geändert?“

Ich schüttelte den Kopf und gab einen negierenden Laut von mir, nachdem ich mich aufgesetzt hatte. „Bleiben Sie ruhig liegen.“, sagte Sedrin und drückte mich in die Kissen zurück. „Ich möchte vermeiden, dass Sie sich überanstrengen. Sonst könnte unsere Frau Doktor hier nämlich ziemlich ungemütlich werden.“ „Oh je.“, stöhnte ich. „Das wollen wir ja besser nicht riskieren.“

Sie machte das Pad aufnahmebereit. „OK, Betsy.“, sagte sie dann. „Dann erzählen Sie mal, was Sie gesehen haben.“ „Ich war auf einem Acker.“, sagte ich. „Und da waren auch noch Kipana und ihr Fohlen.“ „Welches Fohlen meinen Sie?“, vergewisserte sich Sedrin. „Sie hatte ja schließlich schon zwei, soweit ich mich erinnere.“ „Ich denke es war die kleine Stute.“, sagte ich. „Also das Jüngere.“, sagte Sedrin. „Woran machen Sie das fest?“ „Es hatte noch sein Babyfell.“, sagte ich. „Das ist weicher als das erwachsener Pferde.“ „Verstehe.“, sagte Sedrin. „Das Fell des jungen Hengstes dürfte jetzt ja schon das eines Erwachsenen sein. Ich glaube Ihnen, was das angeht. Im Fühlen sind Sie ein Ass und wer bin ich schon, dass ich Ihre taktilen Fähigkeiten in Frage stellen darf. Sie wurden ja nie durch einen Visor verstümmelt.“ „Wenn Sie das so sehen möchten, Agent?“, sagte ich. „Oh ja.“, bestätigte sie. „Das möchte ich und ich möchte außerdem, dass Sie aufhören, Ihr Licht immer unter den Scheffel zu stellen.“ „Na ja.“, sagte ich. „Aber ich finde das immerhin besser, als wenn ich eine eingebildete Pute wäre.“ „Sie haben Recht.“, lachte Sedrin. „Das wäre das andere Extrem. Also gut. Ihre Bescheidenheit macht Sie ja auch so liebenswert. Aber ich denke, wir schweifen ab. Lassen Sie uns doch noch mal zu der Umgebung zurückkommen, in der Sie sich gesehen haben. Woran machen Sie fest, dass Sie sich auf einem Acker befunden haben mit den Pferden?“ „Die Erde unter uns war sehr weich und überall waren Reste von Heu und Ären.“, sagte ich. „Welche Jahreszeit herrschte dort gerade? Bitte verzeihen Sie einer Sehenden diese für Sie doch sicher weniger relevanten Fragen, aber …“ „Ich weiß.“, hakte ich ein. „Sie wollen sich immer gern ein vollständiges Bild machen. Also, ich glaube, es war Frühherbst. Es war sehr windig und kalt und die Reste der Ernten weisen auch darauf hin.“ „Wo glauben Sie hat sich der Acker befunden?“, fragte Sedrin. „Ich glaube, er war im Dunklen Imperium.“, sagte ich. „Dort gibt es noch sehr starke mittelalterliche Strukturen und viele Bauern. Unterhalb des Berges, auf dem Logars Schloss steht, sind zum Beispiel viele Höfe, deren Besitzer seine leibeigenen Bauern sind. Das würde zumindest Sinn machen.“ „Sie meinen im Hinblick auf Kipana und die Kleine.“, sagte Sedrin. Ich nickte. „Das würde ich auch sagen.“, sagte die Agentin. „Was haben Sie noch gesehen?“, fragte sie mich weiter. „Kipana und ihre Tochter hatten vor irgendetwas schreckliche Angst!“, sagte ich jetzt schon etwas aufgeregter. Das ließ Sedrin einen kurzen Blick in Cupernicas Richtung werfen, die aber nur abwinkte. „Das mache ich an ihrem Verhalten fest.“, sagte ich. „Sie haben geschnaubt, gewiehert und mit den Hufen gescharrt. Ich denke, ich weiß auch, wovor sie so große Angst hatten. Ich habe in der Ferne das Getöse einer Schlacht wahrnehmen können. Aber es kam mir alles sehr unwirklich laut und riesenhaft vor, als sei ich selbst ganz klein. Ich habe sie dann in Bewegung bringen wollen, da ich weiß, dass Fluchttiere damit beruhigt werden können. Stehen zu müssen in einer Situation, vor der sie Angst haben, empfinden sie als Strafe und dann werden sie sich ja wohl kaum beruhigen.“ „Da stimme ich Ihnen zu, Allrounder.“, sagte Sedrin, die ja selbst auf einer Farm aufgewachsen war und somit auch ein wenig von tierischem Verhalten verstand. „Haben Sie diese Entscheidung bewusst getroffen?“, fragte sie.

„Ich denke, hier muss ich eingreifen.“, sagte Cupernica. „Ich halte dies eher für eine instinktive Handlung des Allrounders. Sie wissen, Agent, dass sie nicht in der Lage ist, das so genannte Lichte Träumen zu praktizieren. Ihre intensive Beziehung zu Kipana allerdings wird ihrem Unterbewusstsein geholfen haben, diese Bilder zu generieren, damit die Situation für sie nicht noch unangenehmer wird, als sie es für ihre Seele bereits war. Das von ihr so geliebte Tier in Angst zu sehen, wird ein Zustand gewesen sein, der sie in starken Stress versetzt hat und dann …“ „Sie meinen also, ihre Seele hat schlicht und einfach die Notbremse gezogen, als sie nicht erwachen konnte?“ vergewisserte sich Sedrin. „Das ist korrekt, Agent.“, bestätigte die Androidin. „Erwachen ist normalerweise die adäquate Reaktion, wenn der Stresslevel zu sehr ansteigt. Aber da das nicht ging, mussten sich ihre Schutzmechanismen anpassen. Wir können froh sein, dass sie das auch getan haben. Ihren Werten nach hätten wir sie sonst vielleicht bereits beerdigen können.“ „Bitte malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Scientist.“, sagte Sedrin und wurde blass. „Das liegt keineswegs in meiner Absicht, Agent.“, sagte Cupernica. „Ich habe nur die Wahrheit gesagt und die eventuellen Fakten dargelegt.“ „Kann sich das wiederholen, Cupernica?“, fragte Sedrin. „Das weiß ich nicht.“, sagte die Angesprochene. „Dazu wissen wir zu wenig über dieses Phänomen. Ich darf dem Allrounder auch nicht auf Dauer die Fähigkeit zum Träumen nehmen. Für ihre Psyche hätte das schlimme Folgen! Aber wir könnten dafür sorgen, dass sie dem Albtraum mehr entgegenzusetzen hat. Wenn sie erholter ist, dürfte ihr Stresslevel nicht so leicht so schnell ansteigen. Ich werde ihr eine Kur verschreiben. Agent, zu diesem Zweck würde ich Sie und Ihren Mann gern heute Nachmittag in meiner Praxis sehen, wenn Ihr Dienst vorbei ist.“ „Was haben mein Mann und ich mit Allrounder Scotts Kur zu tun?“, fragte Sedrin. „Das möchte ich nicht hier vor der Patientin besprechen!“, sagte Cupernica bestimmt. „Also gut, Scientist.“, sagte Sedrin. „Dann werde ich zunächst einmal mit ihrer Vernehmung fortfahren.“ Cupernica nickte.

Die Agentin wandte sich wieder mir und ihrem Pad zu, das sie während Cupernicas Belehrung auf Pause geschaltet hatte. Diese Schaltung deaktivierte sie jetzt und fragte dann: „Wo waren wir stehengeblieben?“ „Sie fragten mich, ob ich die Entscheidung, die Beiden in Bewegung zu bringen, bewusst getroffen habe.“, antwortete ich. „Ihr Kurzzeitgedächtnis ist intakt.“, stellte Cupernica fest. „Das ist sehr gut.“ „Ich habe sie mit Sicherheit nicht bewusst getroffen.“, sagte ich. „Aber Cupernicas Erklärung leuchtet mir ein.“ „Wie haben Sie die Pferde in Bewegung gebracht?“, fragte Sedrin. „Ich habe Gras- und Kornreste vom Boden aufgeklaubt und Kipana damit gelockt. Sie ist mir gefolgt und das Fohlen ist ihr gefolgt. Aber über uns waren Energieblitze. Das konnte ich hören, weil die Luft vor Spannung geknistert hat. Außerdem hat sich jedes meiner und auch ihrer Haare aufgestellt. Das fanden sie sicher auch sehr unangenehm. Ich merkte dann irgendwann, dass wir nicht entkommen konnten und habe Kipana gesagt, sich hinzulegen. Sie hat das auch getan. Ich denke, sie hat mir einfach vertraut.“ „Und dieses Vertrauen war sicher größer als ihre Angst.“, sagte Sedrin. „Ich habe mich dann auch hingehockt.“, sagte ich. „Dann haben die Beiden mir die Hände geleckt. Das Nächste, an das ich mich erinnere, ist ein Kissen in meinem Mund und Ihre Hände, Agent.“ „In Ordnung.“, sagte Sedrin und schaltete die Aufnahme ab. Dann speicherte sie die Datei und steckte das Pad wieder ein. „Sie wissen, dass Sie jetzt einer meiner Fälle sind, Betsy.“, wendete sie sich an mich. „Wie Sie wissen, arbeiten meine Partnerin und ich für die Abteilung zur Feststellung feindlichen außerirdischen Einflusses. Ich denke zwar, dass wir einen feindlichen Akt ausschließen können und es sich stattdessen eher um einen Hilferuf handelt, aber das werde ich noch verifizieren.“ „Ein Hilferuf.“, wiederholte ich unsicher. „Das könnte zu den Daten passen, die mir Shimar gegeben hat. Er wollte, dass ich sie Kissara gebe, aber bei Ihnen sind sie ja sicher auch gut aufgehoben. In meinem Nachttisch, Agent.“

Sie drehte sich dem genannten Möbel zu und zog dessen Schublade auf. Dann nahm sie einen Datenkristall in seiner Hülle heraus. „Sie haben ja sogar ein Etikett in Punktschrift für sich repliziert!“, vermutete sie. „Was steht hier?“ „Nur Shimars Name.“, erklärte ich. „Ich dachte, das würde ausreichen.“ „Schon gut.“, sagte Sedrin und steckte den Kristall ein. Dann stand sie auf und sagte: „Ich werde jetzt gehen. Versuchen Sie zu schlafen. Ich komme morgen noch einmal wieder.“ „OK, Agent.“, sagte ich, legte mich zurecht und schloss die Augen. Sedrin winkte Cupernica, die dann gemeinsam mit ihr mein Haus verließ.

Kapitel 60: Eine hilfreiche Erkenntnis

von Visitor

 

Elisa hatte sich im Dunklen Imperium in Iranachs Haus vor dem Getümmel der Schlacht versteckt. Sie hatte außerdem eine Beobachtung gemacht, die sie sehr geängstigt hatte. Sie wusste nicht einzuordnen, was sie dort gesehen hatte, hoffte aber, die Vendar würde ihr alles erklären können.

Tatsächlich hatte auch Iranach das gesamte Schloss nach ihrem temporären Zögling abgesucht, ohne auch nur eine Spur von ihr zu finden. Schließlich war sie in ihr Haus zurückgekehrt, um dort einen neuen Plan zu fassen. Dies hatte das Bauernmädchen wohl bemerkt und war aus ihrem Versteck hinter einem Schrank hervorgekrochen. „Da bist du ja, Elisa.“, sagte Iranach. „Ich habe überall nach dir gesucht.“ „Es tut mir leid, dass ich von der Arbeit fortgelaufen bin.“, sagte die traurige Elisa. „Aber ich hatte solche Angst! Wo warst du?“ Sie begann zu weinen.

Die Vendar zog ein Tuch aus ihrer Tasche und trocknete damit Elisas Tränen. Dann sagte sie: „Ich musste mich leider um ein anderes trauriges Kind kümmern. Argus war mindestens genauso traurig und ängstlich wie du auch. Logar wollte, dass ich ihm Gesellschaft leiste. Aber es ist schon in Ordnung, dass du dich hierher geflüchtet hast. Hier warst du zumindest außer Gefahr. In Logars Schloss, wo du gearbeitet hast, war es viel zu gefährlich für dich. Da hast du schon richtig gehandelt, als du geflohen bist.“ „Darüber wollte ich mit dir gerade reden.“, sagte Elisa. „Was ist da eigentlich passiert?“

Iranach musste gewaltig nachdenken. Sie wusste nicht, wie sie Elisa beibringen sollte, was da gerade geschehen war. Sie wusste nicht, wie sie ihr sagen sollte, dass der Ort, an dem sie selbst ihr Sicherheit versprochen hatte, jetzt doch nicht mehr so sicher für sie sein würde. Aber sie wusste auch, dass sie der Kleinen die Wahrheit nicht vorenthalten durfte, denn das würde ihr Vertrauensverhältnis sicher schwer stören. Also sagte sie: „Ich muss dir jetzt etwas sehr Schlimmes sagen, Elisa. Sytania hat uns angegriffen und hat die Schlacht sogar gewonnen. Logar ist sehr krank. Wir Vendar dürfen alles tun, was wir tun müssen, um ihn gesund zu pflegen. Aber dann muss er ins Exil. Ich werde alles tun, um einen guten Platz für uns zu finden.“ „Für uns?“, fragte Elisa. „Bedeutet das, dass du mich mitnimmst? Ich meine, dass du mit deinem Herrn gehst, war mir klar. Du bist schließlich seine Vertraute und die Anführerin seiner Vendar. Aber ich habe mir für einen Moment echte Sorgen um mich selbst gemacht.“ „Natürlich nehme ich dich mit.“, sagte Iranach. „Du bist ja jetzt auch meine Schutzbefohlene. Das bedeutet auch, dass ich auf dich aufpassen muss. Aber lass uns doch erst einmal über andere angenehmere Themen reden. Du solltest ja mehrere Stationen durchlaufen. Wo hast du denn zuletzt gearbeitet?“ „Ich war bei Logars Goldschmied und muss dir etwas zeigen.“

Sie griff in die Tasche ihres Rockes und holte eine exakte Kopie des Ringes der Macht hervor. Diese legte sie vor Iranach auf dem Tisch ab. „Weißt du, ich hatte gedacht, jetzt strafen uns die Quellenwesen, weil ich Blasphemie betrieben habe, indem ich das hier angefertigt habe. Aber …“

Iranach hatte den Finger an die Lippen gelegt. Dann hatte sie gelächelt. „Du bist mir deshalb nicht böse, Iranach?“, fragte Elisa. „Nein!“, versicherte die Vendar. „Es gibt ja gar keinen Grund dazu. Im Gegenteil. Du bist ein Geschenk der Götter, Elisa!“ „Was genau meinst du damit?“, fragte das leicht verwirrte Bauernmädchen. „Ich meine folgendes.“, sagte Iranach. „Es gibt drei Kleinodien der Wahrung, die Logar von den Quellenwesen anvertraut worden sind. Das sind der Ring der Macht, Der Dolch des Vertrauens und der Webstuhl des Schicksals. Diesen hat Logar aber noch nie benutzen müssen und auch den Dolch hat er niemals gebraucht. Nur den Ring der Macht. Den trägt er immer, weil er der von den Quellenwesen rechtmäßig erwählte Herrscher dieser Dimension ist.“

Elisa war blass geworden. Als Iranach den Webstuhl des Schicksals erwähnt hatte, war es ihr heiß und kalt geworden. „Was ist dir?“, fragte die Vendar, deren scharfem Blick dies nicht verborgen geblieben war. „Sprich mit mir, Kind!“ „Ich habe gesehen, wie Sytanias Soldaten in der Schatzkammer waren.“, sagte Elisa. „Den Dolch und den Ring haben sie nicht gefunden. Aber den Webstuhl haben sie in zwei Teile gehackt und die Hälfte mitgenommen. Ich verstehe das nicht, Iranach. Was wollen sie mit einem halben Webstuhl?“ „Wirklich verstehe ich das auch nicht.“, sagte die Vendar. „Sie werden mit einem halben Webstuhl genauso wenig anfangen können wie wir mit unserer Hälfte. Aber vielleicht ist das auch genau ihre Strategie. Dann können wir ja auch nichts mehr am Schicksal drehen. Vielleicht meinen sie das. Aber du hast mich gerade auf eine Idee gebracht. Wenn du schon eine so genaue Kopie des Rings der Macht anfertigen kannst, denkst du, du kriegst das auch mit dem Dolch hin?“ „Das denke ich schon.“, sagte Elisa. „Aber was machen wir mit den Originalen. Dass du Sytania die Kopien verkaufen willst, ist mir schon klar. Aber …“ „Das werde ich dir gern erklären.“, sagte die Vendar. „Aber zuvor muss ich wissen, ob es sich bei den Männern, die du gesehen hast, um Vendar, oder um Imperianer gehandelt hat.“ „Es waren Imperianer, Iranach.“, sagte Elisa. „Imperianer.“, wiederholte Iranach schon fast genießerisch. „Den Göttern sei Dank. Die denken erstens nicht viel nach und zum Zweiten können sie nicht spüren, ob es sich um die Originale oder um Kopien handelt, weil die Originale ja schließlich die Energie der Quellenwesen enthalten würden.“ „Aber Sytania würde es doch merken.“, sagte Elisa. „Das stimmt.“, sagte Iranach. „Aber bis sie es merkt, würde etwas Zeit vergehen, denn die Soldaten müssten ja die Kopien erst mal zu ihr schaffen. Diese Zeit werden wir nutzen, um die Originale zu verstecken, oder besser, um sie verstecken zu lassen.“ „Wer soll sie denn verstecken?“, fragte das Bauernmädchen. „Nun.“, sagte die Vendar und grinste. „Ich habe da an deine drei Onkel im Wald gedacht.“ „Ach die.“, sagte Elisa. „Die drei mit dem Eichhörnchen-Syndrom. Wie Eichhörnchen vergessen sie ja auch etwa 90 % der Plätze, an denen sie Sachen abgelegt haben.“ „In der Tat.“, sagte Iranach und grinste wieder. „Aber das ist unser Vorteil. Selbst wenn Sytania einem von ihnen habhaft werden würde, dann würde ihr die Geduld fehlen, in einem Geist, der so langsam arbeitet, nach dem Versteck zu suchen. Ich bezweifele sogar, dass die Information dort überhaupt noch vorhanden wäre. Wir reden schließlich von Vergessen und nicht von verdrängen. Du musstest ihnen ja sogar zur Verrichtung der Alltagsdinge eine Erinnerungsmaschine bauen, die so einfach war, dass sogar ein Säugling sie hätte bedienen können. Da sieht man schon, welch Geistes Kinder deine Onkel sind. Mit so jemandem wird Sytania sich nicht telepathisch abgeben wollen. Dazu ist sie viel zu sprunghaft und ungeduldig.“ „Du meinst also, nicht nur die Gegenstände, sondern auch meine Onkel wären vor ihr sicher, weil sie eine geistige Verbindung mit ihnen verschmähen würde?“, fragte Elisa. „Das ist korrekt.“, sagte die Vendar und musste erneut grinsen. „Ihr verdammter Hochmut und ihre Ungeduld werden ihr gewiss treffliche Stolpersteine sein, die sie nicht überwinden kann.“ „Also gut.“, sagte Elisa. „Ich mache mit! Informierst du Logar?“ „Sicher.“, sagte Iranach. „Und nun sollten wir beide schlafen gehen. Du brauchst für morgen, wenn du die Kopie machst, ein waches Auge und ich muss mir auch genau überlegen, was ich Logar sage. Dazu müssen wir beide ausgeschlafen sein.“ „OK, Iranach.“, sagte Elisa und ließ sich von ihr ruhigen Gewissens ins gemeinsame Schlafgemach geleiten.

Nachdem Sedrin mein Haus verlassen hatte, war sie normal in ihr Büro gegangen. Hier hatte sie sich mit Agent Kate Malkovich, ihrer neuen Partnerin, getroffen, die bereits auf sie gewartet hatte.

„Du bist spät dran, Sedrin.“, sagte Kate, während sie ihrer Kollegin zusah, wie diese ihren Mantel aufhängte. „Das sieht dir so gar nicht ähnlich.“ „Es ist ja auch nur, weil ich einen Fall mitgebracht habe.“, sagte Sedrin und schloss ihren Erfasser an ihren inzwischen hochgefahrenen Rechner an. „Wie soll ich das verstehen?“, fragte die junge frisch von der Akademie gekommene Agentin, die noch relativ wenig über die Zusammenhänge in Little Federation wusste. „Das hast du so zu verstehen.“, sagte Sedrin. „Dass mir der Fall buchstäblich vor die Füße gestolpert ist.“ „Was?“, fragte Kate und lachte laut. „Nein, hier passieren Sachen!“ „Tja.“, machte Sedrin. „Wir sind hier in Little Federation! Diese Stadt scheint seltsame Dinge geradezu anzuziehen. Also gewöhne dich dran, oder lass dich versetzen!“ „So leicht wirst du mich nicht los!“, grinste Kate. „Da muss schon noch weitaus mehr kommen. Ich bin nicht so ein Hasenfuß, wie es deine vorherigen Partner waren!“ „Das habe ich gehofft.“, sagte Sedrin mit viel Stolz in der Stimme.

Kate waren einige Einstellungen an Sedrins Rechner aufgefallen. „Was machst du da?“, fragte sie. „Ich jage die Bilder meines Erfassers durch die Datenbank der Sternenflotte.“, sagte Sedrin. „Mir kommen diese Bilder irgendwie alle so bekannt vor, aber ich kann sie nicht einordnen. Vielleicht können es aber die Computer.“

Wie auf Stichwort gab es plötzlich ein Signal und das Symbol einer Zielscheibe erschien auf dem Schirm, in deren Mitte ein Pfeil prangte. „Ich denke, wir haben einen Treffer.“, sagte Sedrin und klickte das Symbol mittels ihres Fingers an.

Es vergingen erneut einige Sekunden und dann erschien ein Text, aus dem Sedrin einwandfrei ersehen konnte, dass es sich bei dem Muster aus meinem Kopf um das des kleinen Mischlingsfohlens handelte. „Aber natürlich!“, rief sie aus. „Deshalb war mir das Muster auch gleich so vertraut.“

Kate warf von ihrem Schreibtisch aus einen Blick zu dem ihrer Partnerin hinüber. „Wovon sprichst du?“, fragte Malkovich neugierig. „Ich rede von einer Mission im 21. Jahrhundert, bei der ich an der Rettung eines Mischlings zwischen einem Einhorn des Dunklen Imperiums und einem sterblichen Pferd beteiligt war. Sytania hatte es dorthin und auf die Erde gebracht, weil sie wollte, dass es durch die primitiven Terraner zu Tode kommt, damit man ihr nichts nachweisen kann. Das haben wir vereitelt, Aber der Chief-Agent wollte, dass es nicht noch größere Wellen schlägt, als es das ohnehin schon getan hat. Deshalb bekam ich Befehl, alle sich auf dieses Ereignis beziehenden Bilder zwar in die Datenbank der Sternenflotte hochzuladen, sie aber sofort danach von meinem Erfasser zu löschen. Deshalb hat der sie auch nicht einordnen können, als ich …“ „Warte, Sedrin.“, bat Kate atemlos, die arge Schwierigkeiten hatte, ihrer Partnerin zu folgen. „Du redest von wir. Wer war außer dir noch an der Rettungsmission beteiligt und warum gibt es dieses Fohlen überhaupt? Ich weiß ja auch, wer die Einhörner sind und deshalb wundert es mich umso stärker, dass sich offensichtlich ein Hengst von ihnen mit einer sterblichen Stute eingelassen hat. Ich dachte immer, das wäre nicht üblich unter Mächtigen und wenn es mal passiert, dann ist es ein Ding, das am besten tief unter alle Teppiche gekehrt wird.“ „Oh in diesem Fall stimmt das nicht.“, sagte Sedrin. „Es ist alles sehr transparent. Wir kennen sogar die Namen der Beteiligten. Der Hengst heißt Invictus und die Stute Kipana. Sie ist die Lieblingsstute von Logar, dem Herrscher des Dunklen Imperiums. Warum Invictus das getan hat, kann ich dir leider auch nicht beantworten. Es gibt zwar eine Menge Theorien dazu, aber keine davon ist bis jetzt bestätigt.“

„Wer war denn nun an der Sache beteiligt außer dir?“, fragte Kate weiter, die das starke Gefühl bekommen hatte, ihre Partnerin würde ziemlich abschweifen. Aber es war eben Sedrins Stil, immer alles sehr genau zu erklären. „Außer mir waren noch Scientist Cupernica, mein Mann und ein Quellenwesen, sowie Allrounder Scott beteiligt.“, sagte Sedrin. Ich hoffe, ich kann dir vertrauen, Kate. Du darfst auf keinen Fall etwas an andere weitergeben! Im Hinblick auf die temporale Ermittlung wollte Tamara, dass wir dieses Ereignis am besten so behandeln, als hätte es niemals stattgefunden.“ „Welches Ereignis?“, fragte Kate und grinste ihre Kollegin konspirativ an. „Ich wusste, wir verstehen uns.“, sagte Sedrin erleichtert. „Auf mich kannst du zählen, Sedrin!“, sagte Malkovich und hielt ihr die Hand hin, in die Sedrin erleichtert klatschte. „Ich bin ja schließlich auch Geheimagentin und weiß daher sehr genau, was es bedeutet, Geheimnisträgerin zu sein.“

Kate wollte sich zunächst wieder ihrer Arbeit zuwenden, aber etwas von dem, was Sedrin gesagt hatte, ließ ihr keine Ruhe. „Wo kommst du denn jetzt eigentlich her?“, fragte sie. „Ich meine, was meintest du damit, dir sei dieser Fall direkt vor die Füße gestolpert? Mann, was muss der Geheimdienst von Little Federation armselig sein, wenn wir schon unsere eigenen Fälle mitbringen müssen!“ Bei ihrem letzten Satz hatte Malkovich breit gegrinst. „Ich habe Mikel auf der Straße aufgelesen.“, sagte Sedrin. „Er war völlig durcheinander und hat mir geschildert, dass er sich Sorgen um Allrounder Scott machen würde, weil sie nicht zu ihrer Verabredung erschienen war, was sonst eigentlich gar nicht ihre Art ist. Wir sind dann zu ihr gegangen und haben sie in einem gesundheitlich sehr bedenklichen Zustand vorgefunden. Scientist Cupernica, die wir dazu geholt haben, hat festgestellt, dass sie unter telepathischem Einfluss stand. Jetzt wissen wir zumindest von wem!“ „Das Fohlen?“, fragte Kate. „Aber warum?“ „Das muss ich noch alles genau zuordnen.“, sagte Sedrin. „Ich habe Scott zu ihrem Traum vernommen. Ich denke, wenn wir beide uns diese Vernehmung noch einmal anhören, dann ergibt alles einen Sinn.“ „Also gut.“, sagte Kate. „Aber was ist mit unserem Kollegen Mikel?“ „Den habe ich zunächst mal entlassen.“, sagte Sedrin. Er ist zu seiner Basis geflogen. Die Granger hat in nächster Zeit keine Missionen und deshalb weiß ich auch, wo wir ihn finden können, wenn wir zwei noch Fragen an ihn hätten.“ „In Ordnung.“, sagte Kate.

Sedrin hatte auf die Zeitanzeige ihres Sprechgerätes gesehen. „Ich werde wohl heute auch etwas früher gehen, Kate.“, sagte sie. „Cupernica will meinen Mann und mich noch unbedingt vor Antritt unseres Urlaubs in ihrer Praxis sehen. Ich denke, dass es etwas mit der Sache zu tun hat.“ „Das kann ich mir auch sehr gut vorstellen.“, sagte Kate. Dann wandten sich die Frauen wieder ihrer Büroarbeit zu.

Huxley und Sedrin waren am Nachmittag auf dem Weg zu Cupernicas Praxis. Während sie die Auffahrt hinaufgingen, fragte der Amerikaner seine demetanische Ehefrau: „Kannst du mir sagen, warum Cupernica uns in ihrer Praxis sehen will, Jinya?“ „Ja und nein.“, sagte Sedrin. „Was soll das bedeuten?“, fragte Jaden mürrisch. „Es bedeutet.“, antwortete seine Frau. „Dass es wohl etwas mit einem meiner Fälle zu tun hat, über die ich ja bekanntlich nicht mit Außenstehenden sprechen darf. Aber in diesem Fall werde ich eine Ausnahme machen.“

Sie blieb stehen, drehte sich Jaden zu und sah ihn ernst an. „Upsi.“, machte er. „Ich mag es gar nicht, wenn du so guckst, Jinya.“ „Das kann ich mir gut vorstellen, dass du das nicht magst.“, sagte Sedrin. „Aber darauf kann ich leider jetzt keine Rücksicht nehmen. Nur so viel. Allrounder Scott ist vermutlich von Kipanas und Invictus‘ Fohlen telepathisch um Hilfe ersucht worden. Das hat ihr aber so einen starken Stress verursacht, dass ihre Gesundheit jetzt sehr angegriffen ist. Ich denke, das ist eine Sache, über die Cupernica mit uns reden will. Komm!“ Sie zog ihn das letzte Stück der Auffahrt hinauf und sie verschwanden in der bereits offenen Tür des Hauses, in dem Cupernica und Data wohnten und in dem auch die Praxis der Ärztin lag.

Cupernicas Assistent begrüßte sie bereits an der Tür. „Da sind Sie beide ja.“, sagte Oxilon und geleitete Huxleys ins Wartezimmer.

Dort fiel Jaden sofort etwas auf. „Können Sie mir mal sagen, warum hier alle Stühle leer sind, Medical Assistant?“, fragte er. „Weil Sie und Ihre Frau jetzt in gewisser Weise die einzigen Patienten sind.“, sagte Oxilon. „Wie habe ich denn das zu verstehen?“, fragte Jaden. „Das werden Ihnen meine Vorgesetzte und ich gleich erklären.“, sagte der Talaxianer mit einem ruhigen Blick.

„Machen Sie sich bitte nichts daraus, Mr. Oxilon.“, sagte Sedrin. „Ich denke, er ist heute mal wieder einfach mit dem falschen Bein aufgestanden.“ „Oh das ist alles nicht so schlimm, Agent.“, sagte Oxilon in seiner gewohnt fröhlichen talaxianischen Art. „Ich bin schon mit weitaus übelgelaunteren Fällen fertig geworden.“ „Das glaube ich gern.“, sagte Sedrin. Ihre Rasse ist ja ohnehin dafür bekannt, immer sehr frohgemut zu sein und sich quasi durch nichts aus ihrer Fröhlichkeit reißen zu lassen.“ „Danke, Agent.“, sagte Oxilon. „Aber das kann in gewisser Weise auch stimmen. Das prominenteste Beispiel dafür war ja Neelix, der sich ja sogar durch die Attitüde einer Borg nicht aus dem Konzept bringen lassen hat.“ Sedrin nickte ihm nur lächelnd zu.

Der Talaxianer wandte sich der Tür zu. „Ich werde einmal sehen, ob meine Vorgesetzte Sie bereits empfangen kann.“, sagte er und ging aus dem Zimmer.

Cupernica befand sich zu jenem Zeitpunkt in ihrem Büro, das sich im hinteren Teil der Praxis befand. Hier führte sie gerade ein SITCH-Gespräch mit einem älteren Mann, der ca. 1,80 m maß, einen etwas abgewetzten Anzug trug und eine etwas füllige Figur hatte. Seinen Kopf zierten kurze rote Haare und er hatte einen ebensolchen Bart.

„Ich finde es sehr freundlich von Ihnen, dass Sie die Patienten noch aufnehmen wollen, Mr. O’Grady.“, sagte Cupernica. „Oh das ist doch kein Problem, meine Liebe.“, sagte der ältere Mann mit einem starken irischen Dialekt in seinem Englisch. „Sie sind mir eine der liebsten Ärztinnen, für die ich das mache.“ „Vielen Dank für das Kompliment.“, sagte die Androidin. „Die Ihnen von mir genannten Punkte stellen also kein Hindernis dar?“ „Ach was.“, wischte O’Grady ihre Bedenken weg. „Mein Sohn und ich werden schon gut auf die Kleine aufpassen und die Beiden, die sie wohl als Betreuer mitbringen wird, die werden schon den Rest erledigen.“ „Die Kleine!“, erwiderte Cupernica ernst. „Ist eine ausgebildete Offizierin der Sternenflotte und das sind ihre Betreuer auch!“ „Ja, ja.“, entgegnete O’Grady. „Das war ja auch nur so dahingesagt. Aber ich denke schon, dass sie sich bei mir sehr gut erholen wird. Bei mir ist alles noch recht naturbelassen und es gibt wenig Technik.“ „Genau deshalb habe ich ja mit Ihnen auch den Vertrag bezüglich Kuren für meine Patienten abgeschlossen.“, sagte Cupernica. „Ich habe nämlich feststellen müssen, dass es viele Leute gibt, die aufgrund unserer hoch technisierten Gesellschaft extrem gestresst sind. Die sind bei Ihnen sehr gut aufgehoben.“ „Aus Ihrem Mund klingt das ja schon fast ironisch.“, sagte O’Grady. „Sie meinen, weil ich Androidin bin.“, vergewisserte sich Cupernica. „Nun, in gewisser Hinsicht haben Sie da sogar Recht, Samson.“ „Aber was Fakt ist, ist nun einmal Fakt und daran kann auch ich nichts rütteln.“ „Immer geradeheraus.“, sagte der Ire. „So liebe ich das! Aber in Ordnung. Ich habe die alte Hütte am Wall bereits bezugsfertig gemacht. Ihre Patienten können jederzeit auftauchen. Sagen Sie Ihnen das bitte.“ „Ich werde es ausrichten.“, sagte Cupernica und beendete die Verbindung.

Oxilon hatte das Zimmer leise betreten. „Huxleys wären dann da, Madam.“, sagte er. „In Ordnung, Assistant.“, sagte seine Vorgesetzte. „Geleiten Sie die Beiden bitte ins Sprechzimmer! Ich komme gleich nach.“ „In Ordnung.“, nickte Oxilon und war aus der Tür, um Jaden und Sedrin zu holen, die er gleich darauf in Cupernicas Sprechzimmer brachte.

Die Androidin folgte ihnen wenig später nach. „Bitte setzen Sie sich doch beide.“, sagte sie zu Jaden und Sedrin und deutete auf zwei leere Stühle auf der anderen Seite eines Tisches, der in der Mitte des Zimmers stand. Des Weiteren gab es eine weiße Liege und einige Untersuchungsgeräte, sowie einen Computer mit einem Monitor, auf dem sich, nachdem Cupernica einige Eingaben gemacht hatte, eine Landkarte zeigte. Es war der Ausschnitt einer Karte des Gebietes, das in früheren Zeiten, als die Erde noch einzelne Nationen hatte, als England bekannt war. Mitten in diesem Gebiet leuchtete ein kleiner roter Punkt.

Sedrin nahm sich die Karte genau vor und schaute sie sich an. „Ich nehme nicht an, dass Sie uns Unterricht in Geographie erteilen wollen, Scientist.“, sagte sie. „Das ist korrekt.“, sagte die Androidin und stellte erneut etwas um. Jetzt sahen sie an der Stelle, an der sie vorher den Punkt leuchten sehen hatten, Koordinaten für einen Transporter. „Dort wohnt Mr. Samson O‘Grady.“, sagte sie. „Er betreibt eine Art Kurhotel auf der Basis von Camping. Das dürfte Ihnen allen dreien sehr gut tun und vor allem dürfte es Allrounder Scott sehr gut tun. Ich wollte Sie bitten, sie dorthin zu begleiten und auf sie aufzupassen, solange ihre Situation so akut ist. Wenn sie erholter ist, kann sie dem Albtraum etwas mehr entgegensetzen und es wird für sie nicht mehr so schlimm sein.“ „Moment mal, Scientist.“, sagte Jaden. „Sie schicken sie zur Kur, nur weil sie mal einen Albtraum hatte?“ „Hat Ihre Frau Sie nicht informiert?“, fragte die Androidin an Jaden gewandt. Der Terraner schüttelte nur den Kopf. „Gut.“, sagte Cupernica. „Dann werde ich es tun. Der Allrounder ist von einer fremden Macht kontaktiert worden, die sie um Hilfe gebeten hat.“ „Genauer handelt es sich um das zweite Fohlen von Invictus und Kipana.“, ergänzte Sedrin. „Mittlerweile habe ich das Muster zuordnen können.“ „Ah ja.“, sagte Cupernica. „Damit sind wir ja schon einmal einen Schritt weiter.“ „Nicht nur das.“, sagte die Agentin. „Scott gab mir Daten, die ich noch auswerten muss. Aber dafür werde ich ja wohl genug Zeit haben, wenn Sie uns mit ihr in Kur schicken.“ „Das werden Sie!“, versicherte Cupernica.

Erneut hatte Sedrin ihren Blick über die Karte schweifen lassen. „Das ist ja in der Nähe von Stonehenge.“, stellte sie fest. „Denken Sie nicht, dass das eventuell einen negativen Einfluss haben wird?“ „Aber Agent.“, sagte Cupernica. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie etwas auf den Aberglauben mancher Leute geben. Es ist überhaupt nicht bewiesen, dass Stonehenge etwas mit Mächtigen zu tun hat. Bis heute weiß tatsächlich niemand genau, was es ist. Aber seien Sie versichert, der Allrounder ist dort genauso sicher wie an jedem anderen Ort.“ „Dann will ich Ihnen mal glauben.“, sagte die Demetanerin, die aber immer noch ein merkwürdiges Bauchgefühl hatte. Nur wollte sie sich nichts anmerken lassen.

Schließlich fasste sie sich ein Herz, stand auf und sagte: „Von mir aus ist alles OK, Cupernica! Ich hätte kein Problem damit.“ „Ich auch nich’.“, flapste Jaden. „Also gut.“, sagte Cupernica und zog einen Datenkristall aus einem Schubfach. Diesen übergab sie Sedrin. „Ich hatte in weiser Voraussicht die Passage bei Public Transports bereits für Sie drei gebucht. Mr. Samson O’Grady erwartet Sie in drei Tagen.“ „OK.“, sagte Sedrin und Jaden fügte bei: „Dann sollten wir schon mal packen.“ Damit verließen Huxleys wieder die Praxis, nachdem sie sich von Cupernica und Oxilon verabschiedet hatten.

Kapitel 61: Ein folgenreicher Diebstahl

von Visitor

 

Cirnach und ihr Mann hatten sich in ihrem getarnten Schiff dem Planeten Celsius genähert und die Vendar hatte über ein Suchprogramm nach Saron fahnden lassen. Dabei hatte sie den Erfasser des Veshel sowohl mit seinem Aussehen, als auch mit seinen Biozeichen gefüttert. Sie dachte sich, dass ein Demetaner unter so vielen Celsianern sicher auffallen würde und sie hatte damit auch ganz Recht. Es dauerte nämlich nicht allzu lange, bis der Erfasser sie und auch Telzan piepend darüber in Kenntnis setzte, dass er die gesuchte Person gefunden hatte. „Er ist auf dem Weg zu einem öffentlichen Transporter.“, sagte Cirnach. Ich werde dich genau hinter ihm in den Turbolift beamen. Dort seid ihr im Moment allein.“ „In Ordnung, Telshanach.“, sagte Telzan und ging auf die Transporterplattform. Cirnach selbst übergab dem Mishar die Steuerkontrolle und ging dann zur Konsole, um den Transporter zu aktivieren.

Tatsächlich fand sich Telzan, dem Sytania ja die Gestalt eines Celsianers gegeben hatte, bald genau hinter Saron wieder und tippte ihm auf die Schulter. Erschrocken fuhr Nuguras Sekretär herum und erblickte einen Celsianer mittleren Alters, der etwa 1,90 m maß, eine schlanke Figur hatte und dessen Kopf von einer roten kurzen Haarpracht geziert wurde. Er war in einen feinen seidig glänzenden hellbraunen Anzug gekleidet und trug ebensolche Schuhe. Über seiner rechten Schulter hing eine Aktentasche. Diese öffnete er nun und zum Vorschein kamen eine Menge Datenkristalle. Dann sagte er: „Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie erschreckt habe. Mein Name ist Milan. Ich bin Vertreter für Zeitschriften und würde Ihnen gern ein ganz besonderes Exemplar dicht an Ihr Herz legen. Sie sehen aus, als seien Sie ein Mann mit Humor, Mr. Saron.“

Seine letzten beiden Worte hatten den Sekretär nach Luft schnappen lassen. Dann fragte Saron: „Woher kennen Sie meinen Namen?“ „Ich bitte Sie!“, sagte Telzan, alias Milan. „Es gibt doch heute eigentlich fast niemanden mehr, der den Namen des wohl berühmtesten Sekretärs der Föderation nicht kennt.“

Er nahm einen der Kristalle aus seiner Tasche und steckte ihn ungefragt in die Brusttasche von Sarons Jackett. „Hey, was soll das!“, sagte dieser und versuchte sich fortzudrehen. „Finger weg! Ich rufe die Sicherheit!“ „Oh das wird nicht nötig sein, Mr. Saron.“, sagte der Fremde. „Aber als ich sagte, ich würde ihnen den Wadenbeißer dicht an Ihr Herz legen wollen, da meinte ich das durchaus wörtlich. Es ist doch auch nur ein Probestück, Mr. Saron. Sie sind zu nichts verpflichtet. Sie müssen die Zeitschrift ja nicht abonnieren, wenn Sie Ihnen nicht zusagt. Aber seien Sie doch ehrlich. Man kann doch schließlich über nichts urteilen, was man nicht kennt und nicht vorher ausprobiert hat, nicht wahr? Das müssten Sie, als ein weltoffener Charakter, der Sie ja zweifelsfrei sicher sind, doch wohl zugeben, oder?“

Saron konnte gar nicht ausdrücken, wie sehr ihn die sehr eindringliche und fast schleimige Art seines Gegenübers mittlerweile nervte! Er fragte sich, ob dieser Lift nicht ein wenig schneller fahren könnte, damit sie bald ihr Ziel erreichten und sie sich trennen konnten. Irgendwie hatte dieser Typ etwas Widerliches! Er erinnerte Saron mehr an einen schmierigen Ferengi, als an einen Celsianer. Irgendwas stimmte mit ihm ganz und gar nicht. Da war er sich sicher. Er konnte nur nicht genau sagen, was es war.

Gerade wollte er sich dem Fremden zuwenden, um ihm die Meinung zu sagen, als dieser plötzlich in einer Säule aus Energie verschwand. Das Einzige, das Saron jetzt noch von ihm hatte, war jener mysteriöse Kristall. Er wurde neugierig. Er wurde sogar so neugierig, dass er es kaum erwarten konnte, den Inhalt des Kristalls zu lesen. Leider war aber sein Termin für den Abflug so unglücklich gefallen, dass er gleich, wenn er wieder auf Elyrien war, zur Arbeit musste. Er würde also den Rechner im Büro benutzen müssen.

Cirnach hatte ihren Mann freudestrahlend empfangen. „Ich habe dich genau beobachtet!“, sagte sie. „Das war schon ein ganz schöner Taschenspielertrick, mit dem du diesem Demetaner den Kristall in die Tasche gezaubert hast! Kompliment, mein Lieber!“ „Ja.“, sagte Telzan. „Aber auf der Hülle des Kristalls war auch noch eine telepathische Botschaft von Sytania. Saron wird vor lauter Neugier platzen und es kaum noch erwarten können, den Kristall zu benutzen und dann …“ „Ja, mein kluger Ehemann!“, sagte Cirnach und grinste. „Und dann!“ Dann lachte sie teuflisch und bereitete alles für den Rückflug vor.

Ich hatte sehr gut geschlafen! So gut sogar, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass es bereits Abend geworden war. Das wurde mir erst durch Caruso bewusst, der mich durch das offene Fenster hindurch besuchte. Er schlich schnurrend auf meiner Decke entlang, um sich dann auf meinen Bauch zu legen. Er hatte mich, wenn ich zu Hause war, immer auf seiner nächtlichen Tour besucht, bevor er ging oder nach Hause kam, um sich von mir einige Streicheleinheiten abzuholen. „Hi, mein Kleiner!“, sagte ich und strich ihm über sein Fell, was er mit einem kurzen „Min-Mang.“ quittierte, um sofort danach weiter zu schnurren.

Ich kam allerdings nicht dazu, meine Zeit mit Caruso so richtig zu genießen, denn im gleichen Moment benutzte jemand die Sprechanlage in einer Weise, die ich nur meinen engsten Freunden zuordnen konnte. Da ich mich aber offenkundig nicht bewegen konnte, ohne bei Caruso sofort Protestverhalten auszulösen, benutzte ich das Mobilteil meiner Sprechanlage, das ich jetzt bei mir hatte: „Benutzt bitte den Türcode. Ich kann gerade nicht!“

Es dauerte ein paar Sekunden und dann kamen zwei Personen in mein Haus, die ich sofort an ihren Schritten identifiziert hatte. „D/4, Tchey, ich bin hier!“, sagte ich.

Die Beiden bogen in mein Schlafzimmer ab und standen dann vor meinem Bett. „Du verblüffst mich immer wieder, Betsy.“, sagte Tchey. „Ihre Fähigkeit, Personen an ihrem Gang zu erkennen, ist die logische Konsequenz der Behinderung des Allrounders.“, erklärte die Xylianerin. „Ihre Bemerkung war müßig.“ „Bitte nicht streiten, sonst schmeiße ich euch raus!“, grinste ich. Woher wisst ihr denn überhaupt, dass ich hier bin?“ „Mikels Unfall heute Morgen war in aller Munde.“, sagte Tchey. „Es gab die wildesten Gerüchte. Du siehst total fertig aus. Was is’ passiert?“ „Mich hat jemand telepathisch um Hilfe gebeten, glaube ich.“, sagte ich. „Cupernica will mich zur Kur schicken, weil das totalen Stress bei mir ausgelöst hat. Wo ihr schon mal da seid, könntet ihr auf mein Haus aufpassen, solange ich weg bin? Ich meine, ihr habt doch auch eure freie Woche und du hast mir gesagt, Tchey, dass ihr zwei sowieso euren Jahresurlaub nehmt.“ „Das ist korrekt.“, sagte die Sonde statt meiner Freundin. „Ihre Art, Dinge zu organisieren, ist sehr effizient.“ „Von Ihnen werte ich das als ein Ja.“, sagte ich. „Das ist korrekt.“, sagte die Sonde. „Von mir hast du auch ein klares Ja.“, sagte Tchey. „Freunde helfen sich ja schließlich gegenseitig und du kannst unsere Hilfe jetzt wohl eindeutig gebrauchen, du krankes Huhn, was?“ „Danke, Tchey.“, sagte ich. „Und auch Ihnen danke, D/4.“ „Keine Ursache.“, sagte die Xylianerin. Dann fragte sie: „Wann werden Sie Little Federation verlassen?“ „Ich weiß es nicht.“, antwortete ich. „Es hat wohl auch was mit Agent Sedrin und Commander Huxley zu tun. Ich denke, Cupernica will, dass sich die Beiden sozusagen als meine Betreuer betätigen.“ „Das ist angesichts Ihrer Situation auch sicher eine sehr gute Entscheidung.“, sagte D/4. „Wann musst du denn los?“, fragte Tchey. „Das weiß ich noch nicht.“, erwiderte ich. „Agent Sedrin wollte mich noch einmal besuchen. Ich denke, dann will sie den Rest mit mir klären.“ „OK.“, sagte Tchey in ihrer fast unverwechselbaren flapsigen Art. „Dann sagst du uns ja bestimmt Bescheid, he?“ „Klar.“, flapste ich zurück. „Ich will ja nicht, dass ihr es erst aus der Gerüchteküche erfahren müsst.“ Ich grinste sie an.

D/4 hatte sich zur Tür gedreht. „Lassen Sie uns gehen, Tchey.“, sagte sie. „Betsy muss sich erholen und wenn Agent Sedrin noch vorbeikommen möchte, um sie mit Informationen zu füttern, dann stören wir bestimmt nur.“ „OK.“, sagte meine Freundin aus Akademietagen und gab mir die Hand zum Abschied, um sich danach der Sonde, die dies ebenfalls getan hatte, anzuschließen. Dann gingen beide und ließen Caruso und mich wieder allein.

Der Kater kuschelte sich noch fester an mich. „Du brauchst keine Angst zu haben, Caruso.“, tröstete ich. „Ich komme ja bestimmt wieder.“

Eine Stimme am Fenster ließ mich plötzlich aufhorchen. „Betsy, wir sind es.“ Wem diese Stimme gehört hatte, wusste ich ganz genau. „Es war die von Commander Huxley gewesen. „Warten Sie einen kurzen Moment.“, sagte ich und entriegelte per Mobilteil meiner Sprechanlage die Terrassentür, die viel näher an ihrer Position war als die des Vordereingangs.

Sie hatten mein Haus betreten und Sedrin kam zu mir ins Schlafzimmer, während ihr Mann vor der Tür wartete. „Konnten Sie sich ausschlafen?“, fragte sie. „Ich denke schon, Agent.“, sagte ich. „Ich habe keine Angst mehr, was meinen Albtraum angeht und so verwirrt bin ich auch nicht mehr. Aber ich würde mich gern anziehen, damit ich Sie beide auch gebührend empfangen kann. Ich weiß, dass Ihr Mann aus Höflichkeit draußen geblieben ist, aber so muss das ja nicht bleiben.“ „In Ordnung.“, sagte Sedrin. „Soll Ich Ihnen bei etwas helfen?“ „Sie könnten mir vielleicht temporär diesen kleinen Schmuseknubbel hier abnehmen.“, sagte ich und deutete auf Caruso. Ich wusste ja schließlich, dass er Sedrin auch sehr mochte.

„Na komm her!“, sagte Sedrin und nahm den Kater auf den Arm, um sich mit ihm auf einen Stuhl zu setzen, den sie sich aus einer Ecke herangezogen hatte. Den benutzte ich normalerweise immer, um meine Kleidung abzulegen. Diese aber hatte ich jetzt nach dem Aufstehen mit ins Bad genommen.

Wenig später war ich in einem lockeren weichen T-Shirt und einer Sommerhose wieder zurück. So setzte ich mich dann auf mein Bett. Sedrin rief ihren Mann herein und beide setzten sich links und rechts neben mich. Sedrin legte mir sogar den noch immer laut schnurrenden Caruso auf den Schoß. „Wir wollen Ihrem kleinen lieben Gesellschafter ja nicht seinen Job wegnehmen.“, sagte sie dabei und strich ihm über den Kopf, der diesen fest gegen ihre Hand drückte. Dann sah sie ihren Mann an, der sofort erklärte: „Es is’ so, Allrounder. Cupernica will, dass wir Sie mit in den Urlaub nehmen, um auf Sie aufzupassen. Genauer sollen wir mit Ihnen in Kur gehen. Es gibt da in England einen Hof, auf dem stehen Campinghütten. Der Scientist meint, das könnte Ihnen beim Runterkommen helfen.“ „Mal der hektischen Zeit und dem Großstadtleben entfliehen?“, fragte ich. „Das klingt gut. Aber ich bin wahnsinnig schlecht im Jagen und Feuermachen.“, scherzte ich. „Ganz so schlimm ist es nicht.“, ergänzte Sedrin. „Wir haben ein gemietetes Fahrzeug, das zur Hütte gehört. Außerdem Elektrizität und fließendes Wasser. Sogar einen Replikator um uns zu versorgen. Die Grundbedürfnisse sind also gedeckt. Es gibt nur eine Regel: Ihre und unsere Sternenflottenausrüstung bleibt hier!“ „OK.“, sagte ich. Wann fahren wir?“ „Übermorgen.“, sagte Sedrin. „Morgen komme ich her und helfe Ihnen beim Packen, wenn Sie wollen.“ Ich nickte nur. „In Ordnung.“, sagte Sedrin und winkte Jaden. Dann verabschiedeten sich beide und gingen. Ich hingegen wandte mich meinem Hausrechner zu und befahl ihm, das Sprechgerät auf einen der Nachrichtensender der Föderation einzustellen. Die Debatten, die Nugura und ihr Parlament führten und die öffentlich übertragen wurden, hatten mich schon immer interessiert. Aber seit geraumer Zeit ging auch ein Gerücht durch die Presse, das ich dringend bestätigt oder dementiert wissen wollte. Angeblich würde Nugura den Genesianern in einer großen Krise die Hand reichen wollen. Das wäre ein großer Schritt in Richtung dauerhaftem Frieden zwischen unseren Nationen und erinnerte mich sehr an eine Situation aus der Geschichte, in der es auch ein Unglück bei den Klingonen gegeben hatte und die Föderation hatte auch ihnen die Hand gereicht. Wenn sich die Geschichte jetzt auf die gleiche Weise wiederholen würde, das stand für mich fest, dann würde ich das sehr begrüßen!

Tatsächlich waren Nugura und ihr Parlament zusammengekommen, um über Hilfen für die Genesianer zu beraten. Dies sollte auch der einzige Punkt auf der heutigen Tagesordnung sein. Nugura hoffte sehr, dass die von ihr gemeinsam mit Saron vorbereitete Rede ihren Zweck erfüllen würde.

Die formelle Begrüßung hatte man hinter sich gebracht und nun war es an ihr, ihr Belang vorzutragen. „Ladies und Gentlemen und auch Angehörige anderer Spezies mit mehreren Geschlechtern oder auch neutraler Spezies.“, begann die Präsidentin. Sie hatte noch gut ihre Schlappe vom letzten Mal in Erinnerung, bei der ihr parlamentarischer Gegner diesen Fehler eiskalt für sich ausgenutzt hatte. Diese Gelegenheit wollte sie ihm kein zweites Mal geben. „Wir leben in einer friedlichen Umgebung. Keiner muss hier Hunger leiden und Krankheiten sind auch so gut wie ausgerottet. Vielen aber, die nicht das Glück haben, in der Föderation zu leben, sind diese geradezu paradiesischen Zustände verwehrt, nur weil wir ihnen nicht die Hand reichen wollen, dürfen oder können. Das Wollen, meine Verehrten Kollegen, liegt ganz in unserer Hand. Mit dem Dürfen ist das schon so eine Sache. Sicher gibt es Gesetze wie die Oberste Direktive, die uns die Einmischung in fremde Belange verbieten. Aber hier kommen wir zum Können.“ „Wir können und dürfen auf Hilferufe reagieren! So einen Hilferuf haben uns die Genesianer gesandt. Sie sind ein Volk des Krieges und nicht der Forschung. Sie können mit einem Phaser sicher besser umgehen als mit einem Mikroskop. Aber Prätora Shashana war schlau genug, sich an eine Nation zu wenden, die sich die Forschung auf die Fahnen geschrieben hat, nämlich an uns! Das hat in meinen Augen nichts mit Feigheit oder Schwäche zu tun, sondern im Gegenteil eher mit Klugheit, denn eine kluge Führerin weiß, wann es Zeit ist, die eigene Strategie zu ändern und sich Hilfe zu holen. Das vermeidet nämlich unnötige Opfer. Zur Forschung, liebe Kollegen, bedarf es Klugheit und diese sollten wir daher erkennen, wenn wir sie sehen und uns somit anderen klugen Nationen gegenüber solidarisch zeigen, auch wenn sie bisher unsere Feinde waren! Das hat die Föderation ja schon einmal geschafft! Ich erinnere an das klingonische Beispiel Praxis! Das Virus, nennen wir es doch beim Namen, das Virus, welches die genesianische Heimatwelt befallen hat, kann auch leicht zu uns übertragen werden. Die genesianischen Männer werden oft auf Einzelgängern verscharrt, die auf ihrem Weg durchs All keine Rücksicht auf politische Grenzen nehmen. Es muss sich ja nur ein Forschungsteam von uns einmal dorthin verirren und schon ist eine Übertragung wahrscheinlich. Somit helfen wir auch uns selbst, wenn wir den Genesianern die Hand reichen. Stimmen Sie also bitte mit ja, verehrte Kollegen. Sagen Sie ja zu unser aller Überleben!“

Nugura hatte geendet und sich vom Mikrofon fortgedreht. Statt Beifall hatte sie aber nur skeptische Blicke und ein Raunen geerntet. „Es sieht jetzt schon nicht sehr gut für uns aus, Madam President.“, flüsterte ihr Saron zu, der die Reaktionen der anderen genau beobachtet hatte. „Lassen Sie uns abwarten, Mr. Saron.“, sagte Nugura. „Mein Gegenspieler muss es erst einmal besser machen.“

Goshewin, der Führer der Opposition, betrat die Bühne und stellte sich vor das Mikrofon. Dann begann er: „Verehrte Anwesende, ich kann mich leider überhaupt nicht damit anfreunden, was meine Vorrednerin da von sich gegeben hat. Ich halte ihre Rede für reine Schönfärberei! Wer sagt uns denn, dass die Genesianer, wenn wir ihnen helfen, diese Hilfe nicht eines Tages gegen uns verwenden. Jedes Produkt kann man ummünzen. Das wissen Sie genauso gut wie ich! Die Genesianer sind ein Volk der Kriegerinnen! Sie können und kennen doch nichts anderes! Was ist, wenn sie aus der Medizin, die wir ihnen geben, vorausgesetzt wir finden selbst eine, eine Waffe fertigen und sie gegen uns einsetzen? Können Sie mit dieser Verantwortung leben, verehrte Anwesende?! Können Sie wirklich mit dieser Verantwortung gegenüber Ihren Völkern leben? Wie wollen Sie ihnen erklären, dass ihre Angehörigen durch ein genesianisches Virus zu Tode gekommen sind?! Meine Vorrednerin hat Ihnen scheinbar einfache Antworten gegeben, für sie ist alles ganz einfach. Aber ich stelle Ihnen Fragen! Fragen, die wir uns alle stellen sollten, wenn auch wir überleben wollen! Stimmen Sie gleich, wenn Sie zu Ihrem Gerät greifen, also bitte mit nein, verehrte Anwesende. Sagen Sie nein zu jenem naiven und verrückten Plan meiner Vorrednerin, der uns alle ins Verderben stürzen wird. Sie scheint nicht mehr Herrin ihrer Sinne zu sein, wenn sie so etwas proklamiert! Vertrauen Sie ihr nicht! Ein Nein wäre dann auch gleichzeitig ein Misstrauensvotum und einer so naiven Person können Sie, wenn Sie klug sind, ja wohl kaum mehr Ihr Vertrauen geben. Stimmen Sie also bitte für meine Position! Stimmen Sie mit nein, damit der Friede gewahrt bleibt! Stimmen Sie mit Nein, verehrte Anwesende! Ich bitte Sie inständig, stimmen Sie mit nein!“

Beide hatten jetzt ihre Gründe dargelegt und der Computer war von einem Haustechniker entsprechend eingestellt worden. Dieser hatte Nugura dann ein Zeichen gegeben. Der Techniker war niemand Geringeres als Sendor, ihr oberster IT-Fachmann, gewesen. Dies sollte noch eine tiefere Bedeutung bekommen.

„Vielen Dank, Mr. Sendor.“, sagte Nugura. Dann wandte sie sich allen Politikern zu: „Mr. Sendor war so freundlich, uns allen die Möglichkeit einzuräumen, jetzt unsere Stimme abzugeben. Ich möchte Sie jetzt alle bitten, dies zu tun. Bitte folgen Sie dabei nur Ihrem reinen Gewissen.“

Es wurde sehr still im Raum. Nur das Rascheln von Kleidung und das Piepen der Abstimmungsgeräte waren zu hören. Dies war eine lange Zeit für Nugura und Saron, obwohl es nur knapp eine Minute dauerte. Gefühlt hatte es für beide aber mehr als eine Stunde gedauert.

Ein Signal ertönte und dann las der Computer das Ergebnis der Abstimmung vor: „Es entfielen 99,9 % der Stimmen auf nein und 0,1 % der Stimmen auf ja.“

Ein lauter Applaus war zu hören. Für Nugura allerdings hörte es sich an wie der Donner eines Maschinengewehrs zu ihrer politischen Hinrichtung. Goshewin hatte die Antwort schließlich direkt an den Fortgang ihrer Amtszeit geknüpft.

Zitternd hatte sie sich von Saron zurück in ihr Büro bringen lassen. „Wie konnten sich meine Kollegen nur auf so etwas einlassen?“, fragte sie traurig. „Warum laufen sie immer wieder diesem Schwarzmaler hinterher?“ „Das kann ich Ihnen nicht beantworten, Sea Federana.“, sagte Saron. „Aber Sie werden jetzt wohl Shashana beibringen müssen, dass wir ihr nicht helfen werden.“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Nugura. „Sagen Sie dem Computer am besten gleich, er soll mich mit ihr verbinden. Dann haben wir es alle schnell hinter uns. Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.“ Saron nickte, ging in sein Büro zurück und führte dann dort ihre Anweisung aus.

Die Zeit, die vom Computer zum Aufbau der Verbindung benötigt wurde, nutzte Nugura weise, um sich auf das bevorstehende Geständnis gegenüber Shashana vorzubereiten. Sie wollte es sehr geschickt anstellen. Sie wollte bei der Genesianerin auf keinen Fall das Gefühl aufkommen lassen, dass man ihr nicht helfen wolle. So war es ja auch nicht. Ihr waren ja tatsächlich durch die Entscheidung des Parlaments die Hände gebunden.

Der Computer hatte den erfolgreichen Aufbau der Verbindung gemeldet. „Stell durch!“, befahl Nugura. Was sie jetzt aber zu sehen bekam, ließ sie erschrecken. Auf ihrem Schirm wurde das Gesicht einer sehr wütenden Shashana sichtbar. Die Präsidentin der Föderation konnte sich dies nicht erklären. Entweder, Shashana hatte die Misere schon vorausgeahnt, oder es gab einen ganz anderen Grund für ihren Zorn, den sie erst noch herausfinden musste.

Nugura räusperte sich und sagte dann sehr gefasst: „Ich grüße Euch, Oberste Prätora! Würdet Ihr mir bitte sagen, was Euch so zornig gemacht hat?“ „Das erdreisten Sie sich noch zu fragen?!“, fragte die Genesianerin mit viel Empörung in der Stimme. „Ich hatte Sie und Ihre Föderation immer für ehrenhaft gehalten! Aber jetzt haben Sie mir bewiesen, dass Sie das nicht sind! Jemand, der noch auf eine Rasse eintritt, wenn die schon am Boden liegt, ist nicht ehrenhaft!“

Nugura musste nach Luft schnappen. Die Anschuldigungen, die Shashana da vorgetragen hatte, machten für sie zwar keinen Sinn, Aber es war für sie ebenso wichtig, endlich den Grund dafür herauszufinden. Sie selbst war sich keiner Schuld bewusst, konnte sich also ohne weitere Nachforschungen keinen Reim darauf machen.

Sie räusperte sich erneut und sagte dann so fest es eben ging: „Ich kann mir nicht erklären, was Ihr meint, Oberste Prätora“ „Jetzt leugnen Sie auch noch, dass Sie meiner Rasse und mir und auch unserer Situation gespottet haben!“, sagte Shashana vor Wut schäumend. „Oder zumindest haben Sie eines Ihrer Völker dazu angestiftet, ein Pamphlet zu schreiben, das uns verhöhnt. Das haben Sie dann persönlich an mich geschickt. So eine Handlung hätte ich von Ihnen nicht erwartet, Nugura! Mit dem heutigen Tag haben Sie und Ihre Föderation Ihren Status als ehrenhafter Gegner im Kriege bei uns verloren! Das bedeutet, Sie können jederzeit damit rechnen, dass auch wir unehrenhafte Handlungen gegen die Föderation vornehmen!“ Ohne ein weiteres Wort beendete Shashana die Verbindung.

Nuguras Gesicht versteinerte. Was war da nur geschehen?! Was bei allen Göttern war da nur geschehen?!

Saron hatte leise die Tür von seinem zu ihrem Büro geöffnet und war hindurchgetreten. Dann hatte er sie angesprochen: „Madam President?“ „Woher wissen Sie immer so genau, wann ich Sie brauche, Mr. Saron?“, fragte die total erstaunte Nugura. „Nennen Sie es Instinkt, Sea Federana.“, sagte der Sekretär. „Nennen Sie mich nicht so!“, sagte Nugura. „Meine Amtszeit ist bald vorbei! Nach dem Misstrauensvotum werde ich abgewählt und dann kann ich nur hoffen, dass mein Nachfolger Sie auch in seine Dienste nimmt, Mr. Saron. Einen Sekretär mit Ihren Qualitäten wird er so schnell nicht wieder finden.“ „Tut mir leid, aber da muss ich Ihnen widersprechen, Sea Federana!“, sagte Saron fest. „Ich habe so ein Gefühl, dass Sie trotzdem dieses Amt noch weiter bekleiden werden und solange Sie das tun, werde ich Sie auch weiterhin Madam President oder Sea Federana nennen, weil Sie das nämlich immer noch sind und es auch bleiben werden, wenn alles gut geht. Die Wähler sind nicht so dumm wie Ihre Kollegen. Das lassen Sie sich von einem einfachen Sekretär, der ja auch nur ein einfacher Angestellter ist und somit die einfachen Leute auch sehr gut versteht, ruhig sagen! Wir verstehen besser als sie denken! Warten Sie’s ab!“ „Was hat denn das zu bedeuten, Mr. Saron?!“, fragte Nugura erstaunt. Der Demetaner grinste nur.

Es verging einige Zeit, Bis Saron auf den eigentlichen Grund ihres Gespräches zurückkam: „Was ist denn nun passiert, Madam President?“ „Offensichtlich wurde über unser Rufzeichen irgendeine Art von Spott an Shashana gesendet.“, sagte Nugura. „Sie verdächtigt mich, die Absenderin zu sein.“

Saron wurde blass. Ihm war der Datenkristall wieder eingefallen, der ja noch immer in seinem Rechner im Büro steckte. Jenes Video darauf hatte er nur kurz angeklickt, es dann aber angewidert wieder ausgeschaltet, denn mit Humor hatte das in seinen Augen wenig zu tun. Das passte irgendwie nicht zu den Celsianern, denn auch sie wussten, dass die Verunglimpfung von Religionen eine nicht übertretbare Schmerzgrenze darstellte. Er hatte vermutet, dass er hereingelegt und benutzt worden war. Er fühlte sich extrem schmutzig, so als hätte man seinen Geist vergewaltigt! Das Ereignis hatte ja auch sehr viel damit gemein, wenn man die Situation bedachte.

„Ich denke, wir sollten Mr. Sendor holen, Madam President.“, sagte Saron. „Und Sie sollten mich entlassen, denn ich bin der Schuldige!“ „Was meinen Sie damit, Saron?!“, fragte Nugura erschrocken. „Ich habe im Urlaub einen celsianischen Zeitschriftenvertreter kennen gelernt.“, gestand der Sekretär. „Der hat mich so lange belästigt, bis ich ihm ein Probeexemplar des Wadenbeißers abgenommen habe. Das heißt, er hat es mir tatsächlich aufgezwungen, indem er es in meine Tasche gesteckt hat. Von diesem Moment an hatte ich das unbändige Verlangen, die Zeitschrift zu lesen. Also habe ich den Kristall mit zur Arbeit gebracht. Das erklärt zwar immer noch nicht, wie Shashana an den Inhalt, der meiner Meinung nach sehr geschmacklos ist, kommt, aber das kann uns ja vielleicht sogar Sendor erklären. Mutter Schicksal, Dieses schreckliche Video! Besonders das Bild am Ende ist der Gipfel der Geschmacklosigkeit. Eine Menge seltsamer Gestalten, die in einem Laufband als Genesianerinnen bezeichnet werden und eine Kreuzung aus Schaf und Fliege zu sein scheinen, beten einen genesianischen Mann an und singen Lieder, die nur aus den Lauten Määä und bsss bestehen. Vorher sagt eine verzerrte Stimme, dass sie umfallen wie die Fliegen, wenn man ihnen nur genug Wunder verspricht und dass sie dumm sind wie Schafe, die jedem hinterher laufen.“ „Bei allen Göttern!“, rief Nugura aus. „Aber Sie haben Recht. „Wir sollten Sendor Bescheid geben und auch einen Geheimdienstler unseres Vertrauens hinzuziehen. Verständigen Sie Mr. Yetron auf der Basis 818! Er soll herkommen und sich um diesen verdammten Datenkristall kümmern, wenn Sendor damit fertig ist! Vorher machen Sie mir eine Verbindung mit der Ersten Electorine von Celsius und recherchieren, ob es die Zeitschrift dort überhaupt gibt!“ „Sofort, Madam President!“, sagte Saron und war aus der Tür.

 

 

Kapitel 62: Iranach, was nun?

von Visitor

 

Aus der Tür war auch ein Vendar, der sich bei der Krankenwache an Logars Lager regelmäßig mit Iranach abgewechselt hatte. Die Vendar hatten alles getan, um Logars Genesung zu ermöglichen. Sie hatten sogar Energie von befreundeten Adeligen gesammelt und sie ihrem Herrscher gegeben. So kam es, dass der Vendar seiner Anführerin freudestrahlend entgegentreten und ihr sagen konnte: „Seine Hoheit ist wach, Anführerin!“, „Ich danke dir.“, gab Iranach zurück. Dann entließ sie ihn mit einem Wink und ging selbst zu Logar vor.

Der imperianische König empfing sie sitzend. „Es scheint Euch ja wirklich schon viel besser zu gehen, Gebieter.“, stellte Iranach erleichtert fest. „Hast du etwa geglaubt, dein Untergebener würde dich anlügen, was meine Gesundheit betrifft, Iranach?“, fragte Logar. „Nein, Milord.“, sagte die Vendar. „Es freut mich nur sehr, Euch auf dem Wege der Besserung zu sehen. Aber ich bin auch gekommen, um mit Euch über weitere ernste Themen zu beraten. Ihr wisst, dass Ihr ins Exil müsst, sobald Ihr wieder genesen seid. Ich habe auch bereits einen Platz für Euch gesucht und gefunden. Es handelt sich um die Basis 818 im Universum der Föderation. Nugura El Fedaria war Euch immer eine Alliierte und wird es auch jetzt, in Eurer größten Not, wieder sein. Commander Peter Time und seine Leute werden sich gut um Euch kümmern. Natürlich werde ich Euch begleiten und mein Zögling Elisa auch. Nur die drei Kleinodien der Wahrung müssen wir vor Sytania verstecken! Mit einem, dem Webstuhl des Schicksals, geht das leider nicht mehr. Elisa hat gesehen, wie Sytanias Männer ihn zerstört und die Hälfte der Teile an sich genommen haben. Aber der Dolch des Vertrauens und der Ring der Macht sind ja noch in Eurem Besitz. Für diese Dinge weiß ich, Elisa sei Dank, aber auch schon ein gutes Versteck.“ „Langsam, langsam, Iranach.“, sagte Logar. „Du erzählst mir, dass die Hälfte des Webstuhls des Schicksals sich jetzt in den Händen meiner Tochter befindet? Aber sie kann doch mit ihrer Hälfte genauso wenig anfangen wie ich mit der meinen! Welches Ziel verfolgt sie damit?“ „Das hat sich mir leider auch noch nicht erschlossen, Milord.“, antwortete die Vendar. „Entweder es ist einfach nur eine Strategie der gegenseitigen Blockade, oder sie haben sich ertappt gefühlt, weil sie Elisa vielleicht gesehen haben. Dann haben sie Panik bekommen und sind Hals über Kopf mit dem weg, was sie kriegen konnten!“ „Nun, das halte ich beides für möglich, Iranach.“, sagte Logar. „Aber was hat Elisa mit dem Versteck für die beiden verbliebenen Kleinodien zu tun?“ „Sie muss den Ring der Macht oder den Dolch des Vertrauens nur einmal sehen und es gelingt ihr, eine genaue Kopie anzufertigen!“, erklärte die Vendar stolz. „Diese Kopien werden wir den Soldaten Eurer Tochter übergeben. Solange sie die dann zu Sytania bringen, haben wir Zeit, die Originale bei Elisas Onkeln im Wald zu verstecken, oder besser, sie von ihnen verstecken zu lassen. Sie vergessen alles, wenn sie niemand dran erinnert und so werden sie auch vergessen, wo die Verstecke sind. Falls Sytania einem von ihnen habhaft würde, wäre das also nicht schlimm. Ihr fehlt nämlich die Geduld, sich mit so langsam arbeitenden Geistern wie den Ihren zu verbinden und lange darin herum zu suchen. Für Euren Auszug nehmen wir mein Veshel. Wenn Ihr Eure noch nicht ganz wiederhergestellten Kräfte benutzen würdet, um uns dorthin zu bringen, dann wäre das viel zu gefährlich, denke ich.“ „Ich sehe, du hast an alles gedacht, meine treue gute Iranach.“, sagte Logar und ließ sich erleichtert zurück in die Kissen fallen. „Dein Plan scheint ja wasserdicht.“ „In der Tat.“, sagte Iranach. „Aber ich muss Euch jetzt um den Ring der Macht bitten.“

Vertrauensvoll zog sich der König den Ring selbst vom Finger und gab ihn ihr. Sie steckte ihn in die Tasche ihrer Uniform und drehte sich mit einem fragenden Blick fort. „Du darfst gehen, Iranach.“, sagte Logar. „Schließlich wirst du noch einiges erledigen müssen.“ „Ihr habt Recht, Gebieter.“, sagte Iranach und verließ leise wieder seine Gemächer. Sie wollte erreichen, dass er sich vor Antritt der Reise noch einmal richtig ausschlief.

Es war nicht viel Zeit vergangen zwischen dem Ruf nach Hilfe und dem Eintreffen des Technikers Sendor, allerdings war diese Zeit Saron quälend lang vorgekommen. Gleichzeitig mit Sendor war aber auch Agent Yetron in Begleitung von Agent Indira eingetroffen. Nugura wusste, dass ihre Anwesenheit Vorschrift war, denn sobald eine weibliche Person als Opfer in ein Verbrechen verwickelt war, musste auch ein weiblicher Agent mit zum Ermittlerteam gehören. Dass Nugura und Saron hereingelegt und benutzt worden waren, stand ja schon einmal außer Frage.

Indira wandte sich sofort Nugura zu, um mit ihr in einen anderen Raum zu gehen, wo sie vernommen werden sollte. Yetron blieb bei Saron und schaute Sendor über die Schulter, der jetzt mit dem Computer des Sekretärs beschäftigt war.

Nachdem der IT-Fachmann kurz seine Augen vom Bildschirm gehoben hatte, fragte der Agent: „Wie sieht es aus, Mr. Sendor?“ „Tja.“, sagte der Celsianer. „Anscheinend hat unser guter Saron mit einem externen Datenträger gearbeitet, der ein Virus enthalten hat, das keine andere Aufgabe hatte, als das Video auf dem Datenträger an Shashanas Rufzeichen zu senden, das es vorher aus dem Netzwerk und dem Rechner der Präsidentin herausgesucht hat. Die sind ja alle miteinander verbunden.“ „Das stimmt.“, sagte Saron und legte den Kristall auf den Tisch. „Ihrer Aussage nach.“, sagte der Agent. „Haben Sie diesen Kristall von einem Celsianer bekommen. „Ich werde jetzt aber herausfinden, woher er wirklich kommt.“

Er nahm den Kristall und steckte ihn in eine kleine durchsichtige Tüte, in der sich pulverisiertes Rosannium befand. Darüber informierte er sowohl Saron, als auch Sendor. „Was es heute alles gibt!“, wunderte sich der Techniker und der Sekretär nickte nur staunend. „Das ist geheimdienstliches Handwerkszeug.“, sagte Yetron, während er seinen Erfasser einstellte. „Ach so.“, flapste Sendor. „Deshalb sollen wir da also nix von wissen.“

Es vergingen etwa drei Minuten. Dann scannte Yetron die Tüte. Der Erfasser piepte und zeigte dick und fett Telzans Namen im Display an. Das Rosannium, dem der Kristall ausgesetzt gewesen war, hatte nämlich dafür gesorgt, dass sich die celsianische DNS auf dessen Hülle wieder in ihre ursprüngliche Form zurückverwandelt hatte.

„Das würde passen.“, sagte Yetron. „Eine Allianz zwischen Nugura und Shashana würde sich sehr störend auf Sytanias neueste Pläne auswirken. Offenbar sind Sie ziemlich aufs Kreuz gelegt worden, Mr. Saron. Ich werde diese Informationen jetzt meiner Partnerin zukommen lassen, die ja bereits mit Ihrer Vorgesetzten redet. Ich denke, Sie werden nicht um Ihren Arbeitsplatz fürchten müssen.“ Er verfasste eine kurze SITCH-Mail und sendete sie an Indiras Rufzeichen.

In Anwesenheit der Agentin hatte Nugura mit der Ersten Electorine von Celsius gesprochen. „Ich hoffe, dass keiner Ihrer Satiriker tatsächlich diese Grenze überschritten hat, Naru!“, sagte sie eindringlich, nachdem sie das celsianische Staatsoberhaupt darüber informiert und ihr auch das Video gezeigt hatte. „Ich versichere Ihnen, dass meine Leute so etwas zu keinem Zeitpunkt tun würden, Nugura.“, sagte Naru sehr ernst, was bei ihr, einer Celsianerin, ja schon etwas heißen musste. „Wir leben zwar im real existierenden Humorismus, aber wir sind nicht blöd. Wir wissen ganz genau, wo die Grenzen sind. So etwas würden selbst wir nicht riskieren! Wir würden uns ja selbst damit ein Ei ins Nest legen und zwar ein ganz gewaltiges. Wir können uns ja auch denken, wie die Genesianer reagieren könnten. Nein, das muss ein Irrtum sein. Außerdem gibt es eine Zeitschrift Namens Wadenbeißer bei uns überhaupt nicht!“ „Das haben die Recherchen meines Sekretärs auch ergeben.“, sagte Nugura, die inzwischen von Indira deren Sprechgerät unter die Nase gehalten bekommen hatte. Dort hatte sie das Ergebnis von Yetrons Ermittlungen schwarz auf weiß lesen können.

„Ich glaube Ihnen, Naru.“, sagte Nugura, nachdem sie sich die Mail durchgelesen hatte. „Alle Ergebnisse sprechen für Ihre Version. Es tut mir leid, dass ich Sie gerade so angegangen bin.“ „Ach, Schwamm drüber.“, lachte die Erste Electorine. „Die Falle war ja auch fast perfekt. Allerdings nur fast. Jetzt müssen wir nur noch irgendwie Shashana überzeugen.“ „Ich denke, mit den Beweisen, die ich jetzt habe, wird uns das schon gelingen.“, sagte Nugura zuversichtlich. Dann beendete sie die Verbindung zu Naru und wandte sich Indira zu: „Dürfte ich Shashana die Ergebnisse Ihrer Ermittlungen zukommen lassen?“ „Unbedingt.“, antwortete die Agentin. „Sytania und ihre Leute dürfen auf keinen Fall gewinnen! Wenn Shashana ehrenhaft ist, wovon ich ausgehe, dann wird sie der Wahrheit gegenüber sicher offen sein!“ „Vielen Dank, Agent.“, erwiderte Nugura und dann machten sie und Indira sich daran, Shashana die Ergebnisse zukommen zu lassen.

Auch ich hatte durch die Übertragung von Nuguras Schlappe erfahren. Ich fragte mich allerdings, warum der Rest ihrer Kollegen so kurzsichtig war. Wenn man den Genesianern half, dann half man schließlich auch uns. Das war keine leere Floskel, sondern die reine Wahrheit. Ihrer Rede diesen Dreh zu geben, war sicher sehr clever von Nugura gedacht gewesen. Ich war aber auch sicher, dass der Dreh mit den Einzelgängern auf Sarons Konto ging. Jetzt würde es wohl bald Neuwahlen geben. Aber ich wusste schon, wie ich dazu beitragen würde, dass verhindert werden konnte, dass so ein kurzsichtiges Wesen wie Goshewin an die Macht kam. Dazu musste ich nicht einmal etwas Illegales tun. Ich hatte ja recht gut in Politik aufgepasst, während ich in der Schule war und wusste daher, welche sogar legalen Instrumente es dafür in der Demokratie gab. Diese würde ich für meinen Teil auch benutzen und ich hoffte, dass es noch genug andere tun würden, so dass es kein vernünftiges Ergebnis geben konnte und Nugura trotzdem pro Forma an der Macht blieb. Sie würde dann zwar einen schweren Stand haben, denn sie müsste gegen das Parlament regieren, aber das müsste ja nur so lange sein, wie die Krise andauerte. Danach würde man, wie ich die Politiker einschätzte, alles wieder vergeben und vergessen haben und eventuell sogar das Misstrauensvotum bitter bereuen. So war es bisher immer gewesen und ich war sicher, das würde sich jetzt auch nicht großartig ändern. Wir, die Wählerinnen und Wähler, mussten Nugura nur eine Plattform zum Durchhalten bieten und ich hoffte, dass dies noch von viel mehr Leuten verstanden worden war.

Mein Sprechgerät und Caruso, der auch im gleichen Moment wieder einmal durch mein offenes Fenster gehüpft kam, rissen mich aus meinen Gedanken. Der Kater aber blieb zunächst auf der Fensterbank. So hatte ich Gelegenheit, zuerst den Ruf zu beantworten. Durch den Computer, der mir den Speichernamen vorgelesen hatte, wusste ich, wer am anderen Ende war. „Hi, Srinadar!“, strahlte ich Shimar entgegen. Dabei war ich immer noch mit einem Ohr bei Caruso, der schmatzend neben mir auf der Fensterbank saß. Ich hatte den Eindruck, dass er versuchte, etwas transportgerecht vorzubereiten. Da Katzen ja bekanntlich keine Hände haben, war es sicher auch ganz normal, dass er dazu eben sein Maul benutzte.

„Hey, Kleines!“, sagte Shimar und klang dabei sehr erstaunt. „Warum bist du zu Hause?!“ „Weil ich krank bin.“, sagte ich. Cupernica schickt mich zur Kur. Huxleys kommen mit als meine Betreuer. Sie will nicht, dass ich allein fahre, weil ich wohl so eine Art stressbedingte Anfälle bekomme.“

Er fuhr zusammen. „Du kriegst was?!“, fragte er alarmiert. „Ja.“, sagte ich. „Wie es aussieht, bin ich wohl von Kipanas und Invictus‘ Tochter telepathisch kontaktiert worden. Ich denke, dass sie meine Hilfe brauchen, weiß aber noch nicht genau, was passiert ist.“ „Ach du meine Güte.“, sagte Shimar. „Aber das könnte mit dem übereinstimmen, was ich von dir wahrgenommen habe. Du müsstest gestern ja auch wieder angefangen haben, Korelems Kaffeebecher zu benutzen, nicht wahr?“ Ich bejahte. „OK.“, sagte er. Dann sollte ich wohl auch Zirell von der Sache erzählen, die dir passiert ist. Ich habe alles gesehen, Kleines. Aber ich konnte mir darauf keinen Reim machen. Jetzt sieht das aber schon ganz anders aus. Ach übrigens: Was hast du mit den Daten gemacht, die ich dir geschickt habe?“ „Agent Sedrin hat eine Kopie.“, sagte ich. „Das ist sehr gut.“, sagte er. „Auf sie hat man sich auch immer verlassen können. Sie wird bestimmt … Igitt!“

Sein plötzlicher Ausruf hatte mich stutzen lassen. „Was ist los, Srinadar?“, fragte ich. „Tu mir bitte einen Gefallen.“, sagte er ernst. „Repliziere dir bitte sofort ein Paar Einweghandschuhe, zieh sie dir an und fass bitte nur damit gerade vor dir auf den Fuß des Monitors.“ „OK.“, sagte ich etwas unwillig und ging zum Replikator. Mir war überhaupt nicht klar, worum er so ein Gewese machte.

Als ich mit den Handschuhen zurückgekehrt war, zog ich sie mir über und fasste damit vorsichtig an die Stelle, die Shimar mir genannt hatte. Meine Hände berührten etwas Nasses und Kleines, das aber auch Fell zu haben schien, soweit ich dies durch die Handschuhe überhaupt wahrnehmen konnte.

Ich schloss meine rechte Hand um den Gegenstand und zog dann den Rand des Handschuhs über meine Faust. So war der Gegenstand eingetütet. Dann ging ich zur Materierückgewinnung und warf die Handschuhe samt dem Gegenstand hinein. Dann kehrte ich zum Sprechgerät zurück und fragte Shimar angewidert: „Was bitte war das?“ „Das war eine tote Maus, Kleines.“, sagte er ebenfalls recht angeekelt. „Ich sehe Caruso neben dir auf dem Tisch sitzen. Er muss sie dir hingelegt haben.“ „Oh das denke ich auch.“, sagte ich. „Er will mir damit nur sagen, dass er mich mag, weißt du?“ „Ah.“, sagte Shimar und lächelte hörbar. „Sie können also sogar Kätzisch, Frau Kommunikationsoffizier. Aber dann kann ich ja froh sein, dass du keine Katze bist.“ Warum?“, fragte ich verwundert. „Kratzen würde ich dich schon nicht, sondern dich allenfalls jeden Abend in den Schlaf schnurren, weil ich dich so liebe! Aus den gleichen Gründen würde ich dich auch total viel beschmusen und beschmeicheln.“ „Das ist es ja gerade.“, sagte Shimar. „Weißt du, wenn eine tote Maus auf Kätzisch schon bedeutet, dass die Katze jemanden mag, dann möchte ich nicht wissen, was du mir, wenn du eine wärst, als Liebeserklärung anschleppen würdest.“ „Die fetteste Ratte von ganz Little Federation!“, sagte ich und grinste frech in die Kamera meines Sprechgerätes, soweit ich das einschätzen konnte. Da ich sie ja nicht sah, wusste ich nicht, ob ich getroffen hatte.

„Entschuldige mich!“, kam es nur hektisch zurück und dann bekam ich noch mit, wie das Mikrofon ebenfalls hektisch eingehängt wurde, ohne dass die Verbindung beendet worden war. Ich konnte mir ungefähr denken, was da gerade passiert war. Wollte es aber dennoch lieber von Shimar selbst erfahren.

Sichtlich erleichtert kam dieser wenig später zurück und nahm das Gespräch wieder auf: „Danke, Kleines! Jetzt habe ich gerade mein Frühstück wieder von mir gegeben. Jetzt bin ich aber auch das los, was mir schon schwer im Magen gelegen hat, bevor wir geredet haben. Ich sollte vielleicht nicht jedes Rezept ausprobieren, was mir Shannon so vorschlägt.“ Er unterstrich seine Worte noch mit einem Seufzer: „Puh!“ „Dann hatte mein kleiner Spaß ja sogar noch was Gutes.“, sagte ich. „Oh ja.“, sagte Shimar zufrieden. „Ich wollte schon zu Ishan gehen und mir etwas verschreiben lassen, aber dann kamst du!“ „Tja.“, grinste ich. „Ein Kleines pro Tag hält den Doktor fern. Soll er sich doch wen anders suchen, an den er seinen Magenbitter verhökern kann!“ „Ganz deiner Ansicht.“, grinste er zurück. „Jetzt habe ich aber wirklich Hunger! Ich sollte aber wohl erst mal mit was Leichtem anfangen. Dann gehe ich zu Zirell und erzähle ihr alles, OK?“ „OK.“, sagte ich. „Ich muss dann schon mal mit dem Packen anfangen. Du wirst mich übrigens in den nächsten Tagen nur telepathisch erreichen können Dank der Savarid-Strahlung. Meine Geräte muss ich hier lassen.“ „Schon gut.“, sagte Shimar. „Das machen wir schon. Wir beide sind ja schon mit viel schlimmeren Dingen fertig geworden, nicht wahr?“ Ich nickte in die Kamera. „Na siehst du.“, sagte er. „Jetzt muss ich aber los. Sonst lässt Zirell mich noch strafexerzieren.“ „Oh das wollen wir ja nicht.“, sagte ich, gab dem Mikrofon in Ermangelung seines Mundes einen dicken Kuss, verabschiedete mich und beendete das Gespräch. Dann wandte ich mich meinem bereits auf dem Bett liegenden Koffer zu, in den ich schon einiges gepackt hatte. Sedrin, die mir ja beim Packen helfen wollte, würde jeden Moment vorbeikommen. Das wusste ich. Schließlich hatten wir uns für heute Morgen verabredet.

Kapitel 63: Unerfreuliche Aussagen

von Visitor

 

Auch auf Zirells Station war der Tag angebrochen. Das merkte vor allem Maron gerade, dem in diesem Moment sehr stark bewusst wurde, dass er verschlafen hatte.

„IDUSA, warum hast du mich nicht geweckt?!“, wandte er sich etwas vorwurfsvoll dem Rechner zu, nachdem er seinen Neurokoppler aufgesetzt hatte. „Ich habe es versucht, Agent.“, entgegnete IDUSA nüchtern. „Aber Sie haben nicht reagiert.“ „Zeig mir die Einstellung für die Weckzeit!“, befahl Maron. „Das will ich selbst einmal unter die Lupe nehmen.“ „Wie Sie wünschen.“, sagte der tindaranische Computer und führte den Befehl des Demetaners aus. Dieser war sehr peinlich berührt, als er das Ergebnis zu sehen bekam. „Der Wecker ist aktiv.“, sagte Maron. „Anscheinend hat man mich heute wohl wegtragen können, so einen tiefen Schlaf hatte ich.“ „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte IDUSA.

Maron wälzte sich aus dem Bett und rieb sich die Augen. „Dann werde ich mich mal dienstfein machen.“, sagte er und wollte den Neurokoppler gerade abnehmen, als IDUSA ihn aufhielt: „Bitte warten Sie noch einen Moment, Agent. Ich habe seit 20 Minuten Chief-Agent Zoômell in der Leitung. Sie müsste dringend mit Ihnen sprechen, sagt sie und ich bezweifele, dass ich sie noch lange hinhalten kann.“ „Na gut.“, sagte Maron, der seiner eigenen Meinung nach nicht mehr tiefer sinken konnte. Jetzt konnte der Chief-Agent des tindaranischen Geheimdienstes ihn auch ruhig im Schlafanzug sehen. Es war ja eh schon alles zu spät und wenn es so dringend war, dann war es ohnehin besser, er ließe sie nicht mehr zu lange warten. Maron wusste ganz genau, wie sehr Zoômell das Warten hasste. Dann konnte sie ungenießbar werden.

Er setzte sich nur kurz zurecht und befahl IDUSA dann: „Verbinde!“ Der Rechner führte seinen Befehl aus und ihr Avatar gab dem Bild Zoômells Raum. „Es tut mir leid, dass ich dich in diesem Aufzug begrüße.“, entschuldigte sich Maron. „Aber ich glaube, heute wird nicht mein Tag. Ich habe schon verschlafen. Wenn der Tag schon so anfängt, dann …“ „Oh ist schon gut, Maron.“, sagte die ältere Tindaranerin sehr verständig, etwas, mit dem Maron gerade bei Zoômell nicht gerechnet hätte. „Aber das ist unser geringstes Problem. Ich habe Daten von Chief-Agent Tamara bekommen, die nichts Erfreuliches erwarten lassen.“

„Wovon genau sprichst du, Zoômell?“, fragte Maron und setzte sich alarmiert im Bett auf. Ihre Worte hatten auf ihn eine sehr erweckende Wirkung gehabt. Ein Eimer kaltes Wasser war dagegen gar nichts. „Nun.“, sagte Marons direkte Vorgesetzte. Da er in erster Linie für den Geheimdienst der Tindaraner arbeitete, hatte Zoômell diesen Rang gegenüber ihm. Zirell stand rein formal nur in zweiter Reihe. „Es geht um eine Aussage, die Allrounder Betsy Scott gegenüber Agent Sedrin Taleris-Huxley gemacht hat. Laut dieser Aussage hat wohl ein Mischling zwischen Invictus, dem Hengst der Einhörner im Dunklen Imperium und Kipana, Logars liebstem Schlachtross, sie um Hilfe gebeten. Jedenfalls interpretiert Sedrin so die Daten und die Aussage Scotts. Worum es genau gegangen ist, wissen wir nicht. Es könnte aber sein, dass Sytania und Valora Logar angegriffen haben. Wir halten so ein Szenario jedenfalls für wahrscheinlich.“ „Mutter Schicksal!“, stöhnte Maron auf. „Das könnte ja sogar bedeuten, dass Valora und Sytania Logar besiegt haben. McKnight sagt, dass ihre Macht, wenn sie diese vereint haben, viel größer sein könnte als die von Logar!“ „Deshalb möchte ich, dass du sofort mit allen über die Situation sprichst, Maron.“, sagte Zoômell und klang dabei recht abgeklärt. „Vielleicht kann das gemeinsame Sammeln von Daten ja noch mehr Licht in die Situation bringen.“ „Das werde ich dann auch tun, Zoômell!“, sagte Maron. „Darauf kannst du dich verlassen!“, „Sehr gut.“, erwiderte die Chef-Agentin. „Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen.“ Damit beendete sie das Gespräch.

Maron saß eine Weile lang wie vom Donner gerührt da und überlegte. In seiner gesamten Laufbahn war es noch nie dazu gekommen, dass Sytania Logar besiegt hatte. Wenn dies wirklich der Fall war, dann hatten sich die Machtverhältnisse und somit auch die Polung der Dimensionen ziemlich verändert oder würden sich noch ziemlich verändern und das ziemlich bald. Der Erste Offizier wusste aber genau, wer in seinem Umfeld für diese Situation die absolute Expertin war.

Er wandte sich dem Rechner zu: „IDUSA, wo ist Techniker McKnight?“ „Techniker McKnight befindet sich in ihrem Quartier.“, sagte IDUSA. „In Ordnung.“, sagte Maron. „Dann sag ihr, ich werde sie aufsuchen!“

Er stand auf, verpasste sich eine kurze Rasur und eine Katzenwäsche, warf seine Uniform über und machte sich dann auf dem schnellsten Wege noch in Filzpantoffeln auf dem Weg zu der einen Korridor weiter liegenden Tür des Wohnraums der Gesuchten.

Jenna hatte eine Freischicht und konnte deshalb heute ausschlafen. Es kam ihr sehr merkwürdig vor, schon jetzt von der Sprechanlage geweckt zu werden. „Ja.“, sagte sie verschlafen. „Hier ist Agent Maron, McKnight.“, kam es vom Flur zurück. „Ich benötige dringend Ihre Hilfe.“ „Bei allem Respekt, Agent.“, gab Jenna zurück, der es gar nicht gefiel, jetzt von ihm gestört worden zu sein. „Was auch immer kaputt ist, bringen Sie es bitte zu meiner Assistentin. Die kann einen kaputten Erfasser genauso gut reparieren. Glauben Sie es mir.“ „Es geht nicht um einen kaputten Erfasser.“, sagte Maron. „Aber wenn das eintritt, um das es geht, dann sind kaputte Erfasser sowieso bald unser geringstes Problem. Bitte lassen Sie mich ein, Jenna! Ich werde Ihnen dann alles erklären!“ Bei seinen letzten beiden Sätzen hatte Maron sehr bestimmt geklungen. Das war eine Tatsache gewesen, die bei Jenna doch ein gewisses argwöhnisches Gefühl ausgelöst hatte.

Sofort stand die hoch intelligente Halbschottin auf und entriegelte die Tür. Dann bat sie Maron, noch kurz im Wohnzimmer zu warten, bis auch sie sich umgezogen hatte.

Wenig später setzte sie sich dann zu ihrem Vorgesetzten an den Tisch. „Wo ist Joran, McKnight?“, wollte Maron wissen. „Er ist auf Patrouille.“, sagte Jenna. „Sie wissen, dass er und Shimar sich den Patrouillendienst teilen.“ „Das weiß ich, Techniker.“, sagte Maron. „Zirell und ich erstellen schließlich gemeinsam die Dienstpläne. Aber das ist auch nicht der Grund, aus dem ich so dringend mit Ihnen reden muss. Ich benötige Sie auch nicht zur Reparatur eines kaputten Gerätes, sondern als Expertin für interdimensionale Physik. Was wären die Folgen, wenn Sytania Logar besiegen würde?“

Jenna fuhr zusammen. „Bei allen Göttern!“, entfuhr es ihr. „Ich entnehme Ihrer Reaktion, dass das für uns alle nicht wirklich gut wäre, nicht wahr?“ „Da interpretieren Sie meine Reaktion verdammt richtig, Agent!“, sagte Jenna und sank blass in einen Stuhl. „Das wollte ich nicht.“, entschuldigte sich der Erste Offizier bei seiner Untergebenen. Dann ging er zum Replikator, um ihr ein Glas körperwarmes Wasser zu holen. „Es tut mir leid, Jenna.“, sagte er, während er ihr das Glas hinschob. „Ist schon gut, Agent.“, sagte die Technikerin. „Vielleicht habe ich ja auch etwas überreagiert.“ „Angesichts Ihres Wissensvorsprungs ist das ja sicher auch ganz normal, McKnight.“, sagte Maron. „Aber würden Sie uns Unwissende vielleicht aufklären?“ „Sicher, Agent.“, sagte Jenna. „Ich habe Ihnen doch schon mal die Sache mit dem Plus- und dem Minuspol erklärt. Beide benötigen einander, damit alles funktionieren kann. Aber wenn sich plötzlich die Kräfteverhältnisse zwischen den Polen verschieben, Dann gerät alles früher oder später aus dem Gleichgewicht. Auf unsere Situation bezogen würde das bedeuten, dass das Dunkle Imperium physikalisch nicht mehr so aufgebaut ist, wie es sein sollte. Da alle Dimensionen zurzeit unter einer Ladungsverschiebung leiden, könnte es sogar zum Zusammenbruch der Dimension kommen und dann gibt es einen Domino-Effekt. So instabil wie momentan alles ist, halte ich durchaus für möglich, dass uns alles um die Ohren fliegen könnte. Aber das war doch hoffentlich nur eine rein hypothetische Situation, Agent, oder?“ „Wenn ich bejahen würde, müsste ich lügen und das liegt mir äußerst fern, McKnight.“, sagte Maron. „Woher haben Sie diese Informationen, Agent?“, fragte Jenna. „Von Chief-Agent Zoômell.“, sagte Maron. „Sie hat sie von Chief-Agent Tamara und die hat sie wiederum von Agent Sedrin, die sie von Allrounder Scott hat. Die ist von einem Mischlingsfohlen um Hilfe gebeten worden.“ „Ein Mischlingsfohlen.“, sagte Jenna. „Ich hörte davon.“ „Ja.“, sagte Maron. „Offenbar hat Invictus Grandemoughts Vorschlag mehr als einmal in die Tat umgesetzt.“ „Natürlich.“, sagte Jenna. „Er muss sich ja eine ganz neue der Wahrung der Natur bewusste Herde aufbauen, wenn …“ „Exakt, Jenna.“, sagte der Agent. „Das habe ich wohl verstanden.“ „Dieses Fohlen hat anscheinend die Schlacht um Logars Schloss hautnah mitbekommen und das war wohl für sie sehr beängstigend.“ „Kann ich mir vorstellen.“, sagte Jenna. „Ihre Mutter Kipana wird ihr da wohl wenig helfen können.“ Maron nickte. „Aber die Situation wäre für sie ja weitaus weniger schlimm gewesen, wenn Logar gewonnen hätte, nicht wahr?“, fragte er. „Dann hätte sie Scott ja nicht gebraucht.“ „Davon gehe ich aus.“, sagte Jenna. „Aber die Regierungen würden uns auslachen, wenn wir weitere Theorien nur aufgrund des Verhaltens eines Fohlens aufstellen würden. Ich werde Shannon beauftragen, einige Sonden zu starten, die sich die interdimensionale Schicht und die Wurzeln der Dimensionen ansehen sollen. Sie sollen nach Veränderungen im Magnetismus schauen. Die Daten sollen sie direkt in die Kommandozentrale übertragen.“ „Ich denke, dass Sie mich dorthin begleiten wollen, McKnight.“, sagte der Agent. Jenna nickte nur. „Dann sollte O’Riley auch die Kontrolle dorthin übertragen.“, sagte der Erste Offizier. „Schon klar.“, lächelte Jenna. „Dann kann ich sofort reagieren, falls Zirell noch ein paar Fragen hat.“ „Genau.“, sagte Maron und wandte sich der Tür zu: „Kommen Sie!“ „OK, Agent.“, sagte McKnight und stand auf. Dann stellte sie sich neben ihn. Dabei fiel ihr auf, dass er noch immer seine Hausschuhe trug. „Sie sollten aber unterwegs noch angemessenes Schuhwerk anziehen, Agent.“, schlug sie vor. „Warum tragen Sie noch Ihre Pantoffeln?“ „Weil mich niemand hören sollte, wenn ich zu Ihnen schleiche, McKnight.“, sagte der sichtlich nervöse Demetaner. „Die Situation ist …“ „Schon gut.“, sagte Jenna. „Lassen Sie uns gehen!“ Beide verließen das Quartier.

Zirell war sehr überrascht, ihren Ersten Offizier zu spät und ihre Chefingenieurin überhaupt in Uniform vor sich stehen zu sehen. Noch dazu mit einem Sprechgerät in der Hand, in das sie jetzt hastig eine Mail mit einem Auftrag an Shannon tippte.

„Könntet ihr mir mal bitte erklären, was das Ganze hier zu bedeuten hat?“, fragte die ältere Tindaranerin. „Das können wir durchaus, Zirell.“, sagte Maron. „Die Situation hat sich verändert. Ich hatte verschlafen. Aber das ist ja nicht so schlimm. Viel mehr gibt es Grund zu der Annahme, dass Sytania und Valora Logar angegriffen und besiegt haben. O’Riley soll das durch Sonden bestätigen lassen.“ „Moment mal, Maron!“, sagte Zirell. „Was das bedeuten würde, wissen wir alle. Es wäre wahrhaftig keine sonderlich schöne Situation und es ist erst recht kein Grund, damit Scherze zu machen!“ „Ich wünschte, ich würde scherzen, Zirell.“, sagte Maron ernst. „Aber die Daten von Zoômell sprechen leider eine ganz andere Sprache. Sie hat von Chief-Agent Tamara eine Aussage von Allrounder Scott bekommen, der nach das jüngste Fohlen von Kipana und Invictus um Hilfe gerufen hat. Scott kennt die Kleine und ihre Beziehung ist sehr positiv. Deshalb halte ich durchaus für möglich, dass sie sich an sie gewendet hat.“

Shimar, der alles an der SITCH-Konsole mitbekommen hatte, mischte sich ein: „Ich habe es gesehen. Ihr wisst, dass Betsy und ich …“ „Wir wissen Bescheid.“, sagte Maron. „Aber es gibt noch etwas, das ich weiß.“, sagte der junge Patrouillenflieger. „Betsy fährt zusammen mit den Huxleys zur Kur. Zumindest hat sie mir das gesagt.“ „Sehr gut, Shimar.“, lobte Zirell. „Damit können wir arbeiten.“ „Was hast du vor?“, fragte Maron. „Ich habe eine kleine inoffizielle Hilfsaktion vor.“, sagte Zirell. „Es ist überhaupt nicht gesagt, dass die Föderation unsere Hilfe offiziell annimmt. Aber ich will Betsy beobachten lassen. Offiziell könnte es wie eine zweite Familie aussehen, die zufällig auch in ihrer Nähe Urlaub macht.“ „Verstehe.“, sagte Maron. „Und wer könnte sich da wohl besser als Familie eignen, als Joran, Jenna und die kleine Tchiach.“ Maron nickte ihr grinsend zu. „Also gut.“, sagte Zirell und befahl IDUSA, eine SITCH-Mail an Jorans Rufzeichen in seinem Quartier zu senden, in der sie den Vendar über seine neuen Befehle informierte und an die sie auch gleich ein bereits von ihr ausgefülltes Urlaubsformular gehängt hatte. Es fehlte nur noch seine akustische Unterschrift.

Auch Shannons Sonden hatten inzwischen den Beweis geliefert, dass mit den Dimensionen etwas nicht stimmte. Die von Jenna vorausgesagten magnetischen Veränderungen waren jetzt schwarz auf weiß zu sehen. „Das bedeutet wohl, wir müssen schnell handeln.“, sagte McKnight. „Wenn du das sagst, dann werde ich dem nicht widersprechen.“, sagte Zirell. „Du bist ja schließlich die Expertin für interdimensionale Physik. Aber du solltest schon mal packen und ich informiere Sianach, dass wir uns ihr Ziehkind einmal ausleihen müssen.“ Jenna nickte und verließ den Raum.

Zirell gab IDUSA den Befehl zum Aufbau der Verbindung mit Sianachs Rufzeichen. Während der Wartezeit sah Maron sie plötzlich ernst an. „Was ist, Maron?“, fragte die Kommandantin. „Ich denke, mit Sianach und Tchiach wirst du keine Schwierigkeiten haben. Die Kleine macht sicher gern Urlaub mit ihrem alten Herrn und dessen Freundin und Sianach hat bestimmt auch nichts dagegen. Bei Joran sehe ich allerdings pechschwarz. Du weißt, wie ungern er in so einer Situation die Station verlässt.“ „Ich werde ihm die Sache schon erklären, Maron.“, sagte Zirell. „Na gut.“, sagte Maron. „Aber sag später bitte nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Die ältere Tindaranerin grinste nur.

Gemeinsam mit Elaria hatte sich Shashana die Daten angesehen, die ihr Nugura geschickt hatte. „Es sieht wirklich so aus, als hätte man Saron ziemlich aufs Kreuz gelegt und ihn benutzt, um einen Keil zwischen Nugura und uns zu treiben.“, sagte Elaria. „Das ist wahr.“, pflichtete ihr Shashana bei. „Und wir wissen beide, wer das war.“ „Da habt Ihr Recht, Oberste Prätora.“, sagte Elaria. „Aber was hattet Ihr denn erwartet? Ihr habt schon Recht, wenn Ihr sagt, dass Männer auf dem geistigen und rechtlichen Stand von Kindern sind. Saron war einfach zu naiv um zu erkennen, wie gemein und hinterhältig Sytania und ihre Vendar sein können. Dafür kann er aber nichts. Es ist eben die Natur seines Geschlechtes. Gut, dieser Yetron, von dem diese Ermittlungsergebnisse stammen, mag hervorstechen, aber er ist, wie auch so manch anderer, sicher nur eine Ausnahme. Der große Rest von ihnen muss von uns Frauen an die Hand genommen und geführt werden.“ „Da hast du sicher Recht, Elaria.“, sagte Shashana. „Deshalb kann ich ihm auch nicht böse sein. Außerdem weiß ich, dass Nugura an die Entscheidungen ihres Parlaments gebunden ist. Sie kann leider nicht so wie sie will und das ist zwar schade, aber dann werden wir eben allein zurechtkommen müssen. Es geziemt sich auch nicht für ein Volk von stolzen Kriegerinnen, das wir ja nun einmal sind, dieser Situation länger hinterher zu trauern. Wir müssen aus dieser Niederlage eben das Beste machen und uns vielleicht andere Verbündete suchen, die uns helfen können und es wollen.“ „Wie wäre es da zum Beispiel mit den Xylianern?“, schlug Elaria vor. „Ich gebe zu, ihr Staatsoberhaupt ist eine männliche Sonde, aber sie sind doch mehr Maschinen als biologische Wesen und haben keine Ängste und Vorurteile, die sie daran hindern würden, ihrem logischen Verstand zu folgen und das zu tun, was notwendig ist. Sie sind außerdem auch sehr gute Forscher.“

Shashana drehte den Kopf einige Male von der einen in die andere Richtung und sagte dann schließlich: „Im Prinzip hast du gar nicht so unrecht, Elaria. Ich werde mich an die Xylianer wenden! Da der maschinelle Teil bei A/1 und seinen Leuten auch anscheinend zu überwiegen scheint, wird mir auch kein Zacken aus der Krone fallen, weil ich das tue. Manchmal muss eben getan werden, was getan werden muss, um die Dimensionen zu retten. Dazu gehört es auch, einmal über den eigenen Schatten zu springen. Auch wenn das hier schon das zweite Zugeständnis wird, aber das ist mir egal! Ich danke dir, Elaria! Was bist du nur für eine gerissene Winkeladvokatin?“ „Das müsstet Ihr meinen Schöpfer Logar fragen, Oberste Prätora.“, sagte Elaria bescheiden. „Ich bin sicher, auch er gehört zu jenen Ausnahmen unter den Männern, die klug und selbstständig sind. Er hat die Situation sicher schon entsprechend vorausgesehen, als er mich schuf und mir deshalb den Verstand einer Füchsin gegeben. Außerdem gab er mir einen eigenen Willen. Ich bin nicht mehr mit ihm verbunden, wie es Sytania gern mit ihren Schöpfungen praktiziert.“ „Oh ja.“, sagte Shashana. „Aber das tut sie ja auch nur, weil sie unter einem schrecklichen Kontrollzwang leidet. Aber das ist auch das Verderben ihrer Schöpfungen, wenn wir es klug anstellen.“ „Da habt Ihr erneut Recht, Oberste Prätora.“, sagte Elaria. „Und wohin das führen kann, hat sich ja schon gezeigt.“ „Das hat es.“, pflichtete ihr Shashana bei. „Ich kann mich immer noch sehr gut daran erinnern, wie sie auf die Benutzung von Meilenstein reagiert haben. Außerdem hat Lostris uns eine Menge an Informationen zukommen lassen, die wir bestimmt auch noch benutzen können.“ „Ach ja.“, sagte Shashana nachdenklich. „Die Rotash. Aber ich halte sie für keine ernsthafte Bedrohung mehr. Leandra hat viele ihrer Anhängerinnen verloren. Sie kann uns wohl so schnell nicht mehr gefährlich werden.“ „Trotzdem stellt ihr Clan für Sytania und Valora noch immer ein Einfallstor ins genesianische Reich dar, solange sie an die falsche Göttin glaubt.“, widersprach Elaria. „Auch wenn sie nur einen kleinen Planeten am Rande unseres Reiches bewohnt, müssen wir doch sehr vorsichtig sein. Ihr habt ja gesehen, was trotzdem alles passieren kann.“ „Das ist wohl wahr.“, sagte Shashana. „Aber ich weiß beim besten Willen nicht, was ich noch tun soll, um ihr zu beweisen, dass ihre Göttin eine falsche Göttin ist.“

„Leider kann ich Euch da auch nicht helfen, Oberste Prätora.“, sagte Elaria, nachdem sie erneut eine Weile nachgedacht hatte. „Aber vielleicht ist uns die echte Wächterin von Gore ja zugetan. Wir haben sie schließlich niemals verleugnet und uns niemals auf den falschen Weg bringen lassen, so verführerisch die Angebote der falschen Göttin auch waren.“ „So funktioniert das nicht und das weißt du auch!“, antwortete Shashana empört. „Die Wächterin von Gore will, dass wir um ihrer selbst willen an sie glauben! Sie ist keine ruhmsüchtige Person, die sich wie ein dreckiger Ferengi für jeden Gefallen bezahlen lässt!“ Sie spuckte aus. „Bitte vergebt mir, Oberste Prätora.“, sagte Elaria und machte eine beschwichtigende Kopfbewegung in Shashanas Richtung. „So habe ich das ja nicht gemeint. Aber die Wächterin von Gore hat sich schon oft als eine gnädige Göttin gezeigt, die uns schon so manchen Sieg geschenkt hat. Warum sollte es denn jetzt anders sein? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ihr gefallen würde, wenn die falsche Göttin mit ihrem Plan durchkäme. So habe ich das gemeint. Ich weiß schließlich auch, dass die Wächterin von Gore nicht nach einem Belohnungssystem arbeitet im Gegensatz zu Valora und Sytania!“ „Valora und Sytania!“, wiederholte Shashana mit einem verächtlichen Blick. „Genau das sind die Namen der beiden ruchlosen Wesen, die sich hinter jener falschen Göttin verbergen! Oh, Elaria! Wir müssen ihrem Tun dringend Einhalt gebieten! Sehr dringend! Wenn ich nur wüsste, wie wir das anstellen sollen!“ „Bitte lasst uns abwarten, Oberste Prätora.“, sagte Elaria beschwichtigend. „Es wird gar nichts nützen, wenn wir in unserer Wut Dinge tun, die kopflos sind. Das würden unsere Widersacher nur ausnutzen.“ „Worauf willst du warten, Elaria?!“, fragte Shashana. „Worauf?!“ „Das weiß ich selbst auch noch nicht.“, sagte Elaria. „Aber ich bin sicher, dass uns das Glück oder auch ein Wink der echten Wächterin von Gore zur Hilfe kommen werden. Bitte seid da ganz zuversichtlich!“ „Ich kann mir beim besten Willen nicht denken, woher du diese Zuversicht nimmst, Elaria.“, sagte Shashana. „Aber ich vertraue dir. Möge die Wächterin von Gore uns also den Weg weisen.“ Elaria nickte. Dann sagte sie: „Ich werde dann zu meinem Clan zurückkehren, Oberste Prätora, wenn Ihr mich nicht länger benötigt. Aber seid gewiss! Wir Dämonenbezwinger werden immer an Eurer Seite kämpfen, was immer auch geschieht.“ „Daran habe ich niemals gezweifelt, Elaria.“, sagte Shashana. „Du darfst gehen!“ „Ich danke Euch.“, sagte Elaria und verließ die große Halle.

Kapitel 64: Ein schwerer Schlag für Sytania

von Visitor

 

Es war Iranach und ihren Leuten tatsächlich gelungen, den Dolch des Vertrauens und den Ring der Macht auf die von ihnen geplante Weise vor Sytania und ihren Leuten zu verstecken. In Weinkrügen, die einen doppelten Boden hatten, waren die Originale auf Wagen in den Wald gebracht worden. Dann hatten sich die Vendar auf Iranachs Befehl hin umgedreht, damit keiner von ihnen sehen würde, wohin die drei Lateiner die Krüge brachten. Aber nicht nur die Originale, sondern auch einige der Kopien waren mit versteckt worden. Man wollte schließlich sichergehen. Danach war Iranach zurückgekehrt, hatte ihr Veshel vorbereitet und war dann mit Logar und Elisa in Richtung von Times Basis aufgebrochen.

Sytania hatte dies erst sehr spät bemerkt. Eigentlich viel zu spät. Viel zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, sich in ihrem Sieg zu sonnen, eine Tatsache, die von Iranach und ihren Leuten optimal ausgenutzt worden war. Jetzt hatte sich die Königstochter aber wieder mit Cirnach getroffen, der es auf für sie schier wundersame Weise immer noch gelang, Ihre Aufmerksamkeit fern von Telzan zu halten. Sie hatte wohl akzeptiert, dass Cirnach jetzt diejenige war, mit der sie reden musste. Das war ja auch nicht schlimm, wenn man bedachte, dass sie ja ohnehin die Stellvertreterin ihres Mannes war.

Die Vendar hatte ihre Herrin jetzt griesgrämig vor dem Kontaktkelch sitzend gesehen. „Darf ich wissen, was Euch so die Stimmung verhagelt hat, Hoheit?“, fragte sie. „Wenn du es unbedingt wissen willst, dann werde ich es dir sagen!“, entgegnete Sytania wütend. „Wie sagen die Terraner immer noch so schön? Auf Sonnenschein folgt Regen. Kipanas und Invictus’ Tochter hat Allrounder Scott telepathisch um Hilfe gebeten! Stell dir das vor, Cirnach! Scott! Ausgerechnet Scott!“ „Sprecht Ihr etwa von Allrounder Betsy Scott?“, fragte Cirnach. „Von wem denn wohl sonst?“, fragte Sytania empört. „Na ja.“, verteidigte sich die Vendar. „Scott ist ein sehr gängiger Name auf Terra. Ich dachte vielleicht, Ihr könntet …“ „Nein, nein, nein!“, sagte Sytania. „Leider meinte ich keine beliebige Allrounder Scott, sondern genau dieselbe. Die, welche mir schon oft meine Pläne zerstört hat! Die, welche so gut vernetzt ist, dass ich ihretwegen schon oft gescheitert bin, weil sie es viel zu gut versteht, ihre Verbindungen gegen mich zu benutzen! Wenn ich nicht aufpasse, wird das wieder der Fall sein, Cirnach!“ „Aber was wollt Ihr denn tun, Herrin?“, fragte die Vendar. „Sie zu töten dürfte Euch nicht viel nützen. Bitte vergesst nicht, dass sie durch ihre Verbindungen das letzte Mal sogar den Tod selbst besiegt hat!“ „Ihre Verbindungen!“, schäumte Sytania. „Ja, ja, ihre Verbindungen! Wenn ich mich an sie selbst ranmachen würde, dann würde ich alle diese Verbindungen in Alarmbereitschaft versetzen und das wäre bestimmt nicht gut. Ich muss also die Verbindung finden, die uns jetzt am meisten schaden kann und sie kappen! Und diese Verbindung ist das kleine Einhorn. Ich weiß auch schon, wer mir dabei helfen wird. Valora wird sicher gern das Produkt der Beziehung zwischen Invictus und seiner Geliebten für mich vernichten! So profitieren wir beide. Wir hätten dann beide unsere Rache!“ „Das ist wohl wahr, Herrin.“, sagte Cirnach. „Dann solltet Ihr Valora so schnell wie möglich Bescheid geben. Aber vergesst bitte nicht, ihr zu sagen, sie soll auf Invictus aufpassen. Er wird sicher auch spüren, wenn seine Tochter in Gefahr ist und als liebender Vater, der er ja sicher ist, wird er ihr zur Seite stehen wollen. Er könnte Valora schon sehr gefährlich werden.“ „Du hast Recht, Cirnach.“, sagte Sytania. „Ich werde es ihr sagen. Aber ich denke, dass sie auch schon selbst so weit denken wird. Valora ist ja schließlich auch nicht dumm!“ „Das ist sie in der Tat nicht, Gebieterin.“, sagte Cirnach. „Aber wir sollten besser auf Nummer sicher gehen.“ „Das stimmt.“, antwortete Sytania. „Ich bin es langsam leid, immer wieder Fehler zu machen, die anderen eine Lücke in meinen Plänen offenbaren, durch die sie mir in die Parade fahren können!“

Sie lehnte sich zurück. „Aber noch mal eine ganz andere Frage.“, sagte sie dann. „Hast du herausfinden können, wo der Rest der Kleinodien der Wahrung steckt?“ „Nein, Herrin.“, sagte Cirnach. „Der Dolch des Vertrauens und der Ring der Macht sind unauffindbar. Aber Ihr habt ja die Hälfte des Webstuhls des Schicksals. So könnt Ihr zumindest Versuche der Quellenwesen oder Eures Vaters blockieren, Unsere Pläne zu vereiteln und Logar wird mit seiner Hälfte auch nichts anfangen können.“ „Das stimmt.“, sagte Sytania. „So blockieren wir uns gegenseitig. Aber solange ihr die beiden restlichen Kleinodien nicht findet, kann ich auch noch nicht die rechtmäßige Königin des Dunklen Imperiums werden! Also sucht gefälligst so lange weiter, bis ihr sie gefunden habt! Sie müssen ja hier irgendwo sein!“ „Was ist, wenn Logar sie mitgenommen hat?“, fragte Cirnach. „Das wäre viel zu offensichtlich.“, entgegnete Sytania. „Seine Vendar würden nie den Fehler machen, die Kleinodien in seinem direkten Umfeld zu belassen. Dort würdet ihr nämlich zuerst suchen, nicht wahr?“ „In der Tat.“, sagte Telzans Frau. „Und da haben wir auch zuerst gesucht. Aber leider haben wir nichts gefunden.“ „Na also.“, sagte die Königstochter. „Dann hat er sie an einem anderen Ort versteckt! Wenn ich nur wüsste, wo dieser Ort ist!“ „Könnt Ihr nicht Eure Kräfte benutzen, um sie zu finden?“, schlug Cirnach vor. „Nein.“, sagte Sytania. „Ich denke, dass die Quellenwesen das verhindern. Es gelingt mir nicht, sie aufzuspüren. Immer dann, wenn ich es versuche, sehe ich nur einen undurchdringlichen Schleier.“ „Das ist ja auch ganz logisch.“, überlegte Cirnach. „Sie haben die Kleinodien schließlich Eurem Vater gegeben und hätten kein Interesse daran, dass Ihr sie bekommt. Bitte vergebt meine Einfalt.“ „Schon vergessen, Cirnach.“, sagte Sytania, die ihr nur verziehen hatte, weil sie ihre Hilfe noch sehr gut brauchen konnte. Wäre es anders gewesen, dann hätte sie ihr sicher etwas ganz anderes erzählt.

Cirnach sah, wie sich Sytanias Gesicht immer mehr verfinsterte. Sie wusste, dass sie jetzt eine Möglichkeit finden musste, die Laune ihrer Herrin wieder zu heben. Außerdem musste sie die Prinzessin weiterhin von ihrem Mann ablenken.

„Was ist eigentlich mit Eurer Schöpfung?“, fragte sie schließlich. „Ich hörte, sie hat bereits alle menschlichen Kinder in dieser Dimension ausgerottet und langweilt sich jetzt. Meiner Ansicht nach solltet Ihr dem Wesen wirklich gestatten, jetzt die Dimension zu verlassen, um auch in anderen Dimensionen dafür zu sorgen, dass sich die Weissagung auf keinen Fall erfüllen kann!“ „Du hast Recht, Cirnach.“, sagte Sytania. „Und ich werde die Tötung der Kinder dieses Mal persönlich überwachen. Ich werde meine Schöpfung die ganze Zeit dabei beobachten! Aber vorher gebe ich noch Valora Bescheid. Du kannst gehen.“, „Ich danke Euch, Herrin.“, sagte Cirnach und drehte sich zum Gehen. Dabei rief sie Sytania aber noch zu: „Auch wenn ihr ohne den Ring der Macht noch nicht Königin in den Augen der Quellenwesen sein könnt. In den Meinen seid Ihr es längst!“ Dann verließ sie den Thronsaal.

Sytania konzentrierte sich auf das Bild Valoras, die auch bald vor ihrem geistigen Auge erschien und deren Anwesenheit sie auch bald zu spüren begann. Was gibt es, meine Freundin?, fragte Valora. Ich habe eine Nachricht für dich, die dich sicher sehr freuen wird., erwiderte Sytania. Du weißt doch sicher von jener scheußlichen Frucht der Beziehung zwischen deinem Gefährten Invictus und der sterblichen Stute Kipana. Davon weiß ich mehr als genug!, schäumte Valora. Was willst du mir damit sagen? Ich will dir damit sagen, dass du sie doch sicher gern töten würdest, nicht wahr?, erklärte Sytania. Ja, das will ich!, bestätigte Valora. Mehr als alles im gesamten dimensionalen Gefüge möchte ich das! Dann tu es!, erlaubte die imperianische Königstochter. Nimm deine Herde, spürt sie auf und dann tötet sie! Aber nehmt euch alle vor Invictus und seiner Herde in Acht. Mach dir doch um den keine Sorgen!, spottete Valora. Der ist nach dem letzten Mal sehr angeschlagen gewesen. Ich glaube nicht, dass er uns wirklich ernsthaft gefährlich werden kann. Deine Worte in den Ohren der höllischen Heerscharen., warnte Sytania. Aber gut. Wenn du glaubst, ihr kriegt das hin, dann tu, was du nicht lassen kannst. Aber sag später nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Mach dir da bitte keine Sorgen, liebe Freundin., tröstete Valora. Mit Invictus werden wir schon fertig! Also gut.“, sagte Sytania. Dann los! Damit beendete sie die Verbindung zu Valora wieder.

Sie zupfte aufatmend ihr Kleid zurecht und setzte sich dann wieder gerade hin. „Der Tag ist ja doch noch ganz gut geworden.“, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, das sie in einem gläsernen Baustein in der Decke des Schlosses gesehen hatte. Außerdem waren ihr Cirnachs letzte Worte wie Honig heruntergegangen. „Ich werde dann also meiner Schöpfung sagen, sie kann die Dimension jetzt verlassen. Nur, wo schicke ich sie am besten hin? Tja, wie wäre es mit der Dimension der Föderation? Die haben mich im Moment gar nicht auf dem Schirm und werden mit einem Überfall meiner Schöpfung nicht rechnen. Sie sind viel zu sehr mit eigenem innenpolitischem Geplänkel beschäftigt. Ja! Genauso werde ich es machen!“ Damit nahm sie telepathischen Kontakt zu ihrer Schöpfung auf, um sie in unsere Dimension zu entsenden.

Joran und sein Schiff waren von ihrer Patrouille zurück. Da das Schiff ja auch Zugang zu den Gedanken ihres Piloten hatte und daher genau wusste, was in Joran vorging, fragte sie Anteil nehmend: „Wie geht es eigentlich Ihrem Feld, Joran? Haben die Quellenwesen Ihnen schon verraten, was Sie damit tun sollen?“ „Nein, das haben sie noch nicht, IDUSA.“, antwortete der Vendar. „Aber ich denke, dass sie das noch früh genug tun werden. Ich vertraue ihnen da voll und ganz.“ „Dann sollten sich die Quellenwesen aber sehr beeilen, wenn Sie mich fragen.“, antwortete das tindaranische Schiff darauf. „Es steht mir nicht zu, mir ein Urteil über die Vorgehensweise so mächtiger Wesen zu bilden!“, wies Joran sie zurecht. „Wir können und dürfen ihnen nicht vorschreiben, wann sie was zu tun haben!“ „Das lag auch gar nicht in meiner Absicht, Joran.“, sagte das Schiff. „Ich denke nur an die Konsequenzen, falls Sie demnächst die Station verlassen.“ „Warum sollte ich das tun?“, fragte ein etwas irritierter Joran. „Sie wissen, dass ich, sobald wir unsere Patrouille beenden, immer Zugriff auf das Rufzeichen Ihres Quartiers nehme. Das haben Sie mir einmal so befohlen und mir gesagt, ich solle es jetzt immer so machen, damit Sie noch auf dem Rückflug Ihre SITCH-Mails bearbeiten können.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Dann habe ich zumindest alles in einem Abwasch hinter mich gebracht. Aber was ist denn nun?“

Der Avatar trat vor seinem geistigen Auge einige Schritte zurück. Dann sah Joran den Inhalt einer offenen SITCH-Mail vor sich. Er las sie halblaut durch „Hallo, Joran, Ich werde dich in den Urlaub nach Terra schicken! Dort wirst du einige Zeit mit Allrounder Betsy Scott und den Huxleys verbringen. Ein bereits von mir ausgefülltes Urlaubsformular hängt schon an dieser Nachricht. Es fehlt nur noch deine akustische Unterschrift. Viel Spaß! Gezeichnet: Anführerin Zirell.“

Das Gesicht des Vendar verfinsterte sich. „Also wirklich!“, stieß er empört hervor. „Wie kann sie so etwas tun?! Wie kann sie mich jetzt in den Urlaub schicken, wo ich doch eigentlich hier so sehr gebraucht werde! Niemand kennt meine ehemalige Gebieterin Sytania so gut wie ich! Niemand kann den Tindaranern so gut helfen!“ „Es gibt noch die Vendar auf New-Vendar-Prime.“, beschwichtigte IDUSA. „Sie können das bestimmt genauso gut.“ „Das bezweifele ich!“, sagte Joran. „Ich war der Anführer von Sytanias Vendar. Ich bin in ihre Geheimnisse am besten eingeweiht!“ „Aber da ist ja auch noch Sianach.“, sagte das Schiff. „Sie war Ihre direkte Schülerin. Sie wird …“ „Aber trotzdem gibt es da Informationen, die ich nicht mit ihr geteilt habe!“, fiel ihr Joran ins Wort. „Es gibt Wissen, das nur dem Vertrauten eines Mächtigen zusteht. Dieses Wissen hätte sie nicht erlangen dürfen, Außer ich hätte vorgehabt, sie zu meiner direkten Nachfolgerin zu ernennen.“ „Und das hatten Sie nicht?“, hinterfragte IDUSA. „Ach.“, sagte Joran. „Ich weiß es nicht mehr genau! Es ging ja damals alles doch recht schnell. Trotzdem finde ich es unerhört, was sich unsere Anführerin da erlaubt hat! Ich werde sofort mit ihr darüber reden müssen, wenn wir angedockt haben!“

Er zog ein Pad, das er immer bei sich trug, aus seiner Tasche und schloss es an einen der Ports an. Dann sagte er: „Spiele die Mail sofort auf dieses Pad, IDUSA! Schließlich will ich Zirell auch zeigen können, was sie für einen gewaltigen Fehler gemacht hat!“ „Also gut, Joran.“, sagte das Schiff. „Aber wir beide kennen den Commander doch eigentlich als sehr besonnen. Denken Sie nicht, dass sie eventuell ihre Gründe haben könnte, so zu reagieren?“ „Reagieren?!“, regte sich Joran auf. „Auf was für eine Situation sollte sie denn damit reagieren können, mich in den Urlaub zu schicken?! Was wäre denn daran wohl positiv? Ich kann daran nichts Positives finden, IDUSA! Absolut nichts!“

Der Vendar gab ihr einen energischen Gedankenbefehl, der sie das Andocken einleiten ließ. „Ich kann nichts für Ihre schlechte Laune, Joran.“, rechtfertigte sich das Schiff. „Es tut mir leid, IDUSA.“, entschuldigte sich ihr Pilot. „Aber es ist doch geradezu himmelschreiend, was sie da für einen Fehler gemacht hat!“ „Sie wissen, dass ich mich dieser Meinung nicht anschließen kann.“, sagte IDUSA. „Ich gehe keinesfalls davon aus, dass der Commander unfehlbar ist, denn auch sie ist nur ein Wesen. Aber ich denke, dass sie in diesem Fall keinen Fehler gemacht hat. Bitte denken Sie zumindest einmal über meine Einlassung nach, Joran.“

Sie hatten gedockt und Joran hatte das Cockpit verlassen. Die erste, auf die er traf, war Shannon. „Hi, Grizzly.“, begrüßte sie ihn. „Was is’ dir denn für ’ne Laus über deine vendarische Leber gelaufen?!“ Joran ging gar nicht auf ihre Frage ein, sondern sagte nur: „Kümmere dich bitte um mein Schiff, Shannon O’Riley!“, und ging an ihr vorbei. Allerdings kam er nicht sehr weit, denn Jenna, die all das mitbekommen hatte, stellte sich ihm in den Weg: „Halt, Joran!“ Erschrocken wich der Vendar einen Schritt zurück. „Bitte lass mich vorbei, Telshanach.“, sagte er leise und langsam. Dabei spürte Jenna ganz genau, wie sehr er sich zurückhalten musste. „Das werde ich nicht!“, sagte Jenna fest. „Jedenfalls nicht, bevor du mir gesagt hast, was mit dir ist und warum du meine Assistentin wie Luft behandelt hast. Vorher kommst du hier nicht weg. Dann müsstest du mir schon wehtun und das kannst du nicht! Wenn ein Vendar liebt, dann tut er das bedingungslos und würde niemals der Person wehtun, die er liebt! Das weiß ich und ich weiß es auch auszunutzen! Also, du hast die Wahl! Rede, oder bleib hier für immer stehen. Ich habe nämlich auch einen recht langen Atem!“

Joran begann zu überlegen. Er wusste, dass sie ihm körperlich nicht wirklich etwas entgegenzusetzen hatte, aber er wusste auch, dass es da geistig schon ganz anders aussah. Eiskalt hatte sie seine Schwäche erkannt und für sich ausgenutzt. Es würde ihm also nichts anderes übrig bleiben, als zu reden, wenn er aus dieser Situation wieder herauskommen wollte. „Also gut, Telshanach.“, sagte Joran. „Ich gebe auf und rede. Anführerin Zirell will mich doch allen Ernstes in den Urlaub schicken! Stell dir das vor! In den Urlaub! Dabei werde ich doch gerade jetzt hier so dringend benötigt!“ „Denkst du nicht, dass sie dafür vielleicht ihre Gründe haben könnte?“, fragte Jenna. „Ich halte Zirell nicht für so dumm, dass sie sich selbst eines strategischen Vorteils berauben würde. Ich denke eher, da steckt irgendein Plan dahinter. Rede doch am besten mit ihr. Dann hast du Gewissheit!“

Der Vendar stutzte. „Du bist jetzt schon die Zweite, die mir das sagt.“ „Wie habe ich das zu verstehen?“, fragte Jenna, „IDUSA hat mir genau das Gleiche gesagt.“ „Dann solltest du auf uns beide hören.“, lächelte die Chefingenieurin. „Ich denke nämlich, dass wir Recht haben.“

Ihr Freund sah sie mild an. Er konnte ihr nun mal nicht widerstehen und das wusste sie. Also konnte er ihr auch nichts abschlagen und so, wie sie ihn gerade angesehen hatte, bat sie ihn inständig darum, mit Zirell über die Sache zu reden, bevor er sich ein Urteil bildete. „Ich werde mit Zirell reden, Telshanach.“, sagte er sanft. „Wenn du es wünschst, werde ich sofort mit Zirell darüber reden.“ Jenna nickte nur. „In Ordnung.“, sagte Joran und verließ den Maschinenraum.

Shannon hatte die Situation nur am Rande mitbekommen. „Können Sie mir mal sagen, was da gerade in unseren Grizzly gefahren is’, Jenn’?“, fragte sie. „Ach.“, sagte Jenna nur abwiegelnd. „Eine kleine Meinungsverschiedenheit mit Zirell. Aber das wird sich schon wieder einrenken. Lassen Sie uns zusammen seine IDUSA-Einheit warten, Assistant. Dann kommen Sie auch wieder auf andere Gedanken.“ „OK, Jenna.“, sagte die blonde Irin, holte ihre Werkzeugtasche und machte sich dann zusammen mit ihrer Vorgesetzten an die Arbeit.

Zirell und Maron waren nach ihrem Gespräch zum Alltag übergegangen. Dabei hatten sie sich auch über die letzten Vorkommnisse auf der Basis unterhalten. „Shiranach und ihr Mann haben die Station verlassen, Zirell.“, meldete der Erste Offizier. „Sie glauben, dass sie in ihrer Dimension mehr gebraucht werden, wenn wirklich eintritt, was eintreten könnte. Von Times Basis habe ich über Ishan die Information bekommen, dass es Tolea schon wieder viel besser geht. Sie ist schon wieder in ihrer Dimension. Diran wollte ihr folgen, sobald er kann.“ „Das ist sehr gut.“, sagte Zirell. „Ich habe auch mit Sianach gesprochen, wie du weißt und sie ist mit unserem kleinen Plan bezüglich der Observation von Allrounder Scott einverstanden. Ich hoffe, ich habe da keinen Fehler gemacht.“ „Nein, das hast du nicht, Zirell.“, sagte Maron. „Unsere Freundin muss schließlich wissen worum es geht, wenn sie uns die kleine Tchiach mitgeben soll. Sianach ist sehr verschwiegen und wird mit Sicherheit keine falschen Informationen an die falschen Leute weitergeben.“ „Dann ist ja alles in Ordnung.“, atmete Zirell auf.

Die Tür zur Kommandozentrale öffnete sich plötzlich und ein sehr wütend aussehender Joran betrat diese. Dann holte er das Pad aus seiner Tasche. Dabei fasste er es an, als würde es etwas Ekeliges sein.

Er knallte es vor Zirell auf die Konsole. Dann sagte er sehr fest: „Ich muss dich sprechen, Anführerin Zirell! Aber allein!“ „So, so.“, sagte die tindaranische Kommandantin ruhig und stand von ihrem Sitzkissen auf. Dann winkte sie Joran: „Komm mit!“

Er folgte ihr festen Schrittes in ihren Bereitschaftsraum. Dort setzten sich beide auf die üblichen Kissen. Dann sagte Joran, während er auf das Pad zeigte, das er wieder mitgenommen hatte: „Bei allem Respekt, Anführerin. Das hier kann nicht dein Ernst sein! Die Zeiten sind kritisch wie nie und die Schuldige ist meine ehemalige Gebieterin Sytania, die ich ja wohl am besten kennen dürfte von uns allen. Aber du schickst mich in dieser Zeit ausgerechnet in den Urlaub! Mich, mich, der als Einziger genau über Sytania Bescheid weiß!“ Das Wort Urlaub hatte er so betont, als sei es etwas höchst Negatives, Amoralisches und Verwerfliches. „Meiner Ansicht nach.“, fuhr er fort. „Solltest du das hier sofort wieder rückgängig machen! Sofort!“ „Also manchmal hast du wirklich eine recht seltsame Sicht auf das Leben, Joran.“, sagte die ältere Tindaranerin ruhig. „Manch anderer würde sich über etwas Urlaub mehr freuen, aber du?“ „Mein Pflichtbewusstsein verbietet es mir, Anführerin!“, sagte Joran immer noch sehr aufgeregt. „Ich kann mich doch nicht auf die faule Haut legen, während Sytania für den Weltuntergang sorgt! Da muss ich doch …!“ „Dann habe ich sehr erfreuliche Neuigkeiten für dich, mein lieber Joran.“, sagte Zirell. „Offiziell ist es ein Urlaub. Aber inoffiziell bist du von Chief-Agent Zoômell und Agent Maron dazu abgestellt, ein Auge auf Allrounder Scott und ihre Begleitung zu werfen. Die Zusammenkunft ist nicht sicher, ob die Föderation den Ernst der Lage wirklich erkannt hat. Die Nachrichtenlage lässt eher das genaue Gegenteil vermuten. Statt sich um den Zusammenbruch der Dimensionen zu sorgen, halten sie sich mit einer Menge innenpolitischem Geplänkel auf. Deshalb sollst du dein Schiff nehmen und zusammen mit Jenna und deiner kleinen Tochter, die ihr unterwegs abholen werdet, nach Terra fliegen. Laut Shimar befindet sich Betsy dort. IDUSA wird sie schon lokalisieren.“

Der Vendar gab einen schweren Seufzer von sich und sah sie mild an. Dann sagte er: „Bitte entschuldige mein Verhalten, Anführerin. Ich hatte nur bereits ernsthaft begonnen, an deinem Verstand zu zweifeln.“ „Ich hoffe, deine Zweifel sind jetzt verflogen.“, sagte Zirell. „In der Tat.“, sagte der Vendar und warf ihr noch einmal einen beschwichtigenden Blick zu. „Es ist schon OK, Joran.“, sagte Zirell. „Aber du solltest jetzt wirklich langsam gehen und deine Koffer packen. Das Gleiche wird auch Jenna tun, wenn sie mit der Wartung deines Schiffes fertig ist. Sianach hat Tchiach auch gebeten, das zu tun. Es wäre nur nicht gerade schön, wenn deine Kleine zu lange auf euch warten müsste, nur weil du nicht in die Puschen kommst. Also, an deiner Stelle würde ich jetzt loslegen!“ „Das werde ich auch.“, sagte Joran. „Nur lass mich bitte bei meiner Telshanach vorbeigehen und ihr das Ganze erklären. Ich denke, dass da noch einiges an Klärungsbedarf besteht.“ „Na dann!“, sagte Zirell und warf ihm einen auffordernden Blick zu. Joran drehte sich kurz in ihre Richtung, nickte ihr zu und ging dann lächelnd aus dem Raum.

Jenna und Shannon waren mit der Wartung des Schiffes fertig geworden und saßen jetzt vor ihren Arbeitskonsolen. „Is’ das wahr, dass Joran ein Problem mit Urlaub hat?“, fragte die blonde Irin zu ihrer halb schottischen Vorgesetzten hinüber. „Das kann ich gar nich’ verstehen. Urlaub is’ doch was Schönes! Was gebe ich darum, wenn ich jetzt welchen hätte! Ach, Urlaub! In der Sonne liegen, Eis schlabbern und mal fünfe gerade sein lassen! Das klingt doch super, oder! Aber beim Grizzly ist das wohl eher im Bereich der Folter anzusiedeln, wie?!“ „So würde ich das auch nicht sagen, Assistant.“, sagte Jenna. „Er ist eben einfach sehr pflichtbewusst und …“

Die Tür zum Maschinenraum öffnete sich und Joran kam herein. Sofort erspähte er Jenna, ging zu ihr hinüber und sagte: „Telshanach, wir müssen packen. Anführerin Zirell schickt uns offiziell in den Urlaub, aber inoffiziell …“ „Warte!“, ging die hoch intelligente Halbschottin dazwischen. „Wenn es ein Inoffiziell gibt, dann sollten wir das nicht hier besprechen. Lass uns doch ins Cockpit deines Schiffes gehen. Ich muss dir sowieso noch was beibringen wegen der neuen Updates.“ Also gut, Telshanach.“, sagte Joran und folgte ihr lächelnd. Er hatte längst durchschaut, dass es nichts Neues zum Lernen gab, sie aber einen Vorwand und einen Ort brauchte, um mit ihm allein sein zu können.

Sie wandte sich im Gehen noch einmal ihrer Assistentin zu: „Oh und Shannon, wenn Sie Urlaub benötigen, dann ist das doch ganz einfach. Laden Sie sich das Formular in ein Pad, füllen Sie es aus und schicken Sie es an Zirell, um Urlaub zu beantragen!“ Mit dieser Anweisung ließ sie Shannon allein.

Joran und sie waren wenig später im Cockpit seines Schiffes angekommen. Hier setzten sie sich hin. „Es wäre gut, wenn wir die Neurokoppler benutzen würden.“, sagte der Vendar. „Dann weiß IDUSA auch gleich mit Bescheid.“ „OK.“, sagte Jenna und zog den Ihren aus der Tasche. Auch Joran steckte seinen Koppler ein und setzte ihn sich auf. „OK.“, sagte Jenna, nachdem sie festgestellt hatte, dass IDUSA beide Tabellen geladen hatte. „Was ist los?“ „Anführerin Zirell hat uns den Befehl erteilt, ein Auge auf Allrounder Scott zu haben und sie zu unterstützen. Sie sagt, sie sei sich nicht sicher, ob die Föderation den Ernst der Lage verstanden hat und deshalb sollen wir nach Terra fliegen. Damit es aber offiziell nach Urlaub mit der Familie aussieht, sollen wir auch Tchiach abholen.“ „Alles klar.“, sagte Jenna. „Dann sollten wir mal packen. Aber für mich klingt das sehr nach Geheimdienst. Hat Maron da etwa seine Finger im Spiel?“ „Nicht nur er.“, sagte Joran. „Der Befehl kam von Chief-Agent Zoômell persönlich.“ „Aha.“, sagte Jenna. „Dann arbeiten wir also ab jetz quasi Undercover für den Geheimdienst.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran.

„Wann werden wir starten?“, mischte sich IDUSA ins Gespräch. „Sobald wir wieder da sind.“, sagte Joran. Dann winkte er Jenna zu: „Komm, Telshanach.“, und verließ mit ihr das Cockpit und auch den Maschinenraum in Richtung ihres gemeinsamen Quartiers. Das Kommando über den Maschinenraum würde McKnight Shannon beim Abflug offiziell übergeben.

Kapitel 65: Der Eingriff der Xylianer

von Visitor

 

An anderer Stelle war es bei Verhandlungen recht gut vorangegangen. Shashana hatte sich mit A/1 verständigt. Der Xylianer hatte ihr zugesichert, ihr auf jeden Fall zu helfen. Zumindest würde jemand, der die Ausdrucksweise der Xylianer kannte, das durchaus so interpretieren. Da dies bei Shashana aber nicht unbedingt der Fall war, konnte sie sich zunächst auf seine Worte keinen Reim machen: „Ihre Daten werden examiniert werden und ihr Anliegen wird geprüft. Bitte warten Sie auf unsere Antwort.“ Deshalb hatte sich Shashana auch sofort nach dem Gespräch mit Meduse beraten. „Was sagst du zu dieser Äußerung?“, sagte die Oberste Prätora. „Ich weiß auch nicht, wie ich das interpretieren soll.“, sagte die Leibwächterin. „Ich kann aus dieser Antwort nicht wirklich herleiten, ob er uns nun helfen wird oder nicht. Immerhin sind die Xylianer ja auch Verbündete der Föderation und die sind normalerweise unsere Feinde. Seine Prüfung unserer Daten könnte also durchaus ergeben, dass …“

Bevor sie aussprechen konnte, hatte sich jemand im Raum materialisiert. Meduse erkannte eine xylianische Sonde. Sie war ca. 1,70 m groß, von schlanker Statur und hatte, auch zur Überraschung der Genesianerinnen, flammend rotes Haar. Sie trug sogar die übliche genesianische Rüstung, was für Shashana zunächst etwas merkwürdig anmutete. Dann stellte sich die Sonde vor: „Meine Kennung lautet: Systemeinheit K/14 14. Mitglied der K-Gruppe. Sie dürfen mich K/14 nennen. Ich werde für die Xylianer sprechen. Mein Aussehen wurde modifiziert, um mich an Ihre Kultur anzupassen. Ich überbringe positive Nachrichten. A/1 wird Ihnen helfen. Er weiß, dass Hilfe notwendig ist. Das gesamte Universum könnte durch das Virus in Gefahr geraten. Eine Vernichtung des Virus ist daher unabdingbar, sonst wäre unsere Vernichtung unausweichlich.“ Damit hatte die Sonde ihren Vortrag beendet.

Meduse stand da wie vom Donner gerührt. Leider hatte sie ihre Waffe aber auch im Anschlag. „Runter mit der Waffe, Meduse!“, befahl Shashana. „Du siehst doch, dass sie eine Freundin ist.“ „Es tut mir leid, Oberste Prätora.“, entschuldigte sich Meduse aufrichtig und steckte ihre Waffe wieder ein. „Ich hatte nur nicht so schnell mit einer Antwort gerechnet und schon gar nicht mit so einer Form der Antwort.“

„A/1 wollte Ihnen nicht zumuten, mit ihm verhandeln zu müssen.“, erklärte die Sonde in Shashanas Richtung. „Deshalb schickte er mich als Repräsentantin.“ „Verstehe.“, sagte Shashana. „Aber ich bin da eigentlich recht offen. Die Tatsache, dass ich die genesianischen Männer wie Kinder sehe, muss nicht unbedingt bedeuten, dass ich das bei allen Rassen tue. Aber ich finde es dennoch sehr großzügig von A/1, so auf meine Bedürfnisse einzugehen.“ „Bestätigt.“, sagte die weibliche Systemeinheit und nickte. „Das System hat keinesfalls die Absicht, Ihnen gegenüber als Oberlehrer aufzutreten. Eine Adaption an Ihre Kultur empfanden wir daher als notwendig.“

„Aber warum helft ihr uns?“, fragte Meduse. „Ich meine, ihr seid immerhin Verbündete der Föderation.“ „Das ist korrekt.“, sagte die Sonde. „Aber dennoch ist das System frei in politischen Entscheidungen. Ich hörte, dass auch Meinungsverschiedenheiten unter befreundeten Bioeinheiten nicht gleich das Ende einer Freundschaft bedeuten müssen.“ „Das stimmt.“, sagte Meduse. „Die Föderation verhält sich in unseren Augen im Moment sehr irrational. Sie scheint nicht zu verstehen, dass dieses Virus eine Gefahr für alle Rassen darstellt. Wir aber haben das verstanden. Also ist es für uns nur logisch, Ihnen zu helfen, denn auch Sie haben das verstanden. In Anbetracht der gesamten Situation ist die Feindschaft zwischen Ihnen und der Föderation für unser Handeln irrelevant. Es sind höhere Interessen, denen wir Genüge zu tun haben, wenn wir alle überleben wollen.“, erklärte die Sonde. „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte Shashana. „Allerdings scheint es da doch feine Unterschiede zu geben. Nugura selbst scheint die Situation genauso verstanden zu haben wie ich. Aber bei ihrem Parlament sieht es da leider anders aus.“ „Diese Unterschiede sind uns bekannt.“, sagte K/14. „Dennoch sind sie offenbar für das Handeln der Föderation sehr ausschlaggebend.“ „Das kommt daher, weil die Föderation eine parlamentarische Demokratie ist.“, sagte Shashana. „Bestätigt.“, sagte die Sonde nüchtern.

Sie zog ein Haftmodul aus ihrem Gürtel, in dem sich normalerweise die Waffen befinden. Dann sagte sie: „Bitte gewähren Sie mir nun Zugang zu einem Ihrer Rechner. Ich möchte sehen, wie weit Ihre eigenen Forschungen gediehen sind. Außerdem benötige ich Proben. Ich selbst werde mich zu Ihren Wissenschaftlerinnen begeben und ihnen assistieren.“ „Ah ja.“, sagte Shashana. „Da Sie ja bestimmt die gesamte Zeit über online sind, wird A/1 seine Informationen dann wohl auch aus erster Hand bekommen. Habe ich Recht?“ „Ihre Annahme ist korrekt.“, bestätigte die Sonde.

Shashana sah sich in der großen Halle um, als suche sie nach etwas. „Ich denke, wir werden noch einiges klären müssen.“, sagte sie dann. „Wo werden Sie sein, wenn Sie nicht gerade mit Ihren Forschungen beschäftigt sind? Und vor allem haben wir keine Regenerationseinheiten. Wo werden Sie also die Nächte verbringen?“ „In meiner knapp bemessenen Freizeit werde ich mich unter Ihre Kriegerinnen mischen, um Sozialkontakte zu pflegen.“, sagte K/14. „Dies erscheint A/1 angemessen, da wir jetzt ja zusammenarbeiten. Die Nächte werde ich auf meinem Schiff in meiner eigenen Regenerationseinheit verbringen. Mein Schiff wartet in der Umlaufbahn. Die Crew ist angewiesen, mich wieder mitzunehmen, falls Sie mit meiner Anwesenheit doch nicht einverstanden sind.“ „Davon kann überhaupt nicht die Rede sein.“, sagte Shashana. „Ich begrüße jede Hilfe, die ich bekommen kann. Sie dürfen selbstverständlich bleiben. Ich freue mich schon auf unsere Zusammenarbeit.“ „Ihre Entscheidung ist sehr rational.“, lobte die Sonde. „Ich werde meinen Leuten sagen, dass sie in einen höheren Orbit schwenken können. Verbindung zum System halte ich über ein in der Nähe der Grenze zwischen der Föderation und Ihrem Gebiet.“ „Ich sehe, Sie haben an alles gedacht.“, sagte Shashana. Die Sonde nickte.

Die Oberste Prätora wandte sich ihrer Leibwächterin zu: „Meduse, bringe K/14 mit unseren Forscherinnen zusammen. Im Gegensatz zu den Laboren der Föderation oder Ihren eigenen werden Ihnen unsere Forschungseinrichtungen sicher dürftig vorkommen, aber …“ „Dürftigkeit ist Irrelevant!“, fiel K/14 Shashana ins Wort. „Falls notwendig werde ich die erforderlichen Dinge vom System ordern. Ich verfüge außerdem über das technische Wissen, sie mit Ihrer Technologie kompatibel zu machen.“ Ah ja.“, sagte Shashana. „Dann ist ja alles in Ordnung.“ „Bestätigt.“, sagte die Sonde und folgte Meduse, die sie aus der großen Halle führte.

Aber auch noch jemand hatte sich nach einer Verbündeten umgesehen. Es war Valora gewesen, die auf keinen Fall den Kampf gegen Invictus allein bestreiten wollte. Vor Sytania hatte sie zwar recht zuversichtlich getan, aber in Wahrheit ging ihr ein gewisser Körperteil längst auf Grundeis, wenn sie an Invictus dachte. Wegen vieler Ungereimtheiten waren auch ihr einige der anderen Stuten abgesprungen und hatten ihre Gruppe verlassen, um sich doch wieder Invictus anzuschließen, er sie, quasi mit Kusshuf, wieder aufgenommen hatte. Angesichts seines Wissens war das ja auch kein Wunder gewesen. Valora aber wusste, dass sie jetzt dringend Hilfe benötigte. Sie wusste aber auch, wo sie diese finden konnte. Leandra glaubte schließlich immer noch, dass sie ihre Göttin sei und wenn sie ihr glaubhaft verkaufte, dass es eine Ehre war, an ihrer Seite in eine Schlacht zwischen Göttern als einzige sterbliche Auserwählte zu ziehen, dann würde sie Invictus schon zeigen können, was eine Harke sei. Sie musste nur noch einen Weg finden, ihr das glaubhaft begreiflich zu machen.

Ihren Gedanken nachhängend saß Leandra in ihrem Haus auf der Welt am äußersten Rand des genesianischen Reiches, die ihr gehörte. Die Tatsache, dass ihre Tochter, ihre einzige Tochter, sie so verraten hatte, war für sie wie ein Stich ins Hertz gewesen und sie sann auf Rache. Ihre Verletzung, die Lostris ihr zugefügt hatte, war zwar längst verheilt, aber das galt nur für die körperliche Wunde. Seelisch war die Prätora der Rotash von der Tatsache immer noch schwer getroffen.

Dies war eine Tatsache, die aber auch der mit seherischen Kräften ausgestatteten Valora nicht entgangen war und sie hatte einen Weg gefunden, dies für sich auszunutzen.

Es gab einen schwarzen Blitz und vor Leandra war eine Energiewolke erschienen, die sich jetzt telepathisch an sie wendete: Leandra, ich weiß, dass du verzweifelt bist. Aber ich kann dir helfen. Genauer gesagt kannst du mir helfen, damit ich dir helfen kann. „Was meinst du damit, Oh große Göttin!“, sagte Leandra laut und bekam einen total entzückten Blick. Ihre Verblendung ließ einfach nicht zu, dass sie die Wahrheit hinter Valoras Absichten erkannte. Diese Verblendung ließ einfach nicht zu, dass sie bemerkte, dass ihre angebliche große Göttin sie nur als Kanonenfutter verheizen wollte. Ich meine., erklärte das Einhorn, Dass ich dich auserwählt habe, an meiner Seite eine göttliche Schlacht zu bestreiten. Diese Ehre fällt nicht vielen Sterblichen zu, weißt du? „Das wusste ich nicht, große Göttin!“, rief Leandra erfreut aus und wollte sich gar nicht mehr einkriegen vor Freude. „Bitte sagt mir doch, was ich zu tun habe!“ Das werde ich noch früh genug tun., mahnte Valora sie zur Geduld. Aber zunächst wirst du dein Schiff nehmen und gemeinsam mit deinen Kriegerinnen zu Koordinaten im Universum der Föderation fliegen, die ich dir geben werde.

Es gab einen erneuten schwarzen Blitz und eine Art Lichtstrahl mahlte Zahlen in genesianischer Schrift in die Luft. Merke dir diese Zahlen gut, meine Getreue!, instruierte das Einhorn ihre verblendete Handlangerin. Merke sie dir gut! „Das tue ich, oh große Göttin!“, sagte Leandra. „Das werde ich!“ Sehr gut., sagte Valora. Ich hätte auch nichts anderes von dir erwartet! Dann löste sich die Wolke wieder auf.

Eine sehr verklärt schauende Leandra war zurückgeblieben. Valora hatte sie bei ihrer Eitelkeit gepackt. Das war eine Eigenschaft, die sonst eigentlich genesianischen Kriegerinnen nicht gut steht und die auch unter ihnen als feige gilt, denn als Kriegerin muss man schon einmal Blessuren im Kampf hinnehmen können und darf dann nicht so auf die eigene Schönheit schauen. Aber Leandra und ihr Clan hatten es ja sowieso nicht so mit den Regeln der genesianischen Gesellschaft gehabt und das war etwas, was das Einhorn jetzt auch in ihren Gedanken gesehen hatte. Darauf hatte Valora es eiskalt ausgenutzt. Sie hatte genau vorausgeahnt, wie Leandra auf ihren Aufruf reagieren würde. Sie wusste, dass Leandra ihr jetzt ohne zu fragen folgen würde und für sie mit stolzem Herzen in den Tod gehen würde. Sie würde jetzt ihre Kriegerinnen versammeln und dann würden sie die Koordinaten anfliegen, die sie ihr gegeben hatte. Jetzt musste sie nur noch ihren eigenen Teil dazu beitragen und das würde sie jetzt auch tun.

Es war ein warmer spätsommerlicher Tag, als Valora und ihre Einhörner auf dem Hof des Bauern auftauchten, auf dem Kipana und ihre kleine Tochter tatsächlich Zuflucht gefunden hatten. Aber auch Invictus hatte instinktiv die Gefahr für seine Geliebte und seine Tochter wahrgenommen und war zu dem Ort geeilt. Jetzt standen er und Valora sich auf der Weide genau gegenüber. Kipana, die das gar nicht einordnen konnte, war voller Angst über alle Berge geflüchtet. Jetzt stand das vor Angst stocksteife Fohlen allein da, aber ihr Vater, der dies auch gesehen hatte, stellte sich ihr zur Seite und sprach sie telepathisch an: Vergib deiner Mutter, mein Kind. Sie ist nur ein sterbliches Pferd und weiß nichts über das hier. Ich habe ihr längst vergeben, Vater., antwortete das Fohlen auf die gleiche Weise. Aber ich habe jetzt keine Angst mehr, denn du bist ja jetzt bei mir.

Valora hatte sich langsam genähert, nachdem sie ihre Freundinnen angewiesen hatte, in der Deckung einiger Büsche zu warten. Wie rührend!, lästerte sie. Vater und Tochter Seite an Seite gegen die wahre Partnerin des Vaters. Was gibt dir diese Sterbliche, Invictus?! Was gibt sie dir, was ich dir nicht geben kann?!

Ein schwarzer Blitz fuhr aus ihren Augen. Antworte, du Schuft!, fuhr sie ihn an. Sonst ist dein Bastard gleich des Todes!

Ein weiterer Blitz verfehlte das Fohlen nur knapp. Jetzt reicht es mir, Valora!, erwiderte Invictus. Damit kann ich nämlich auch dienen!

Eine Menge schwarzer und weißer Blitze zuckten über den Himmel. Das war eine Situation, die dem armen kleinen Fohlen jetzt solche Angst machte, dass es sich nur noch instinktiv in eine Energiewolke verwandelte und sich in das Universum der Föderation wünschte. Es hatte eigentlich zu mir gewollt, aber da es seine Kräfte noch nicht wirklich unter Kontrolle hatte, landete es genau an den Koordinaten, an denen bereits die Genesianer auf es warteten.

 

Kapitel 66: Shimar, der Lebensretter

von Visitor

 

Shimar und sein Schiff hatten die übliche Patrouille hinter sich gebracht. Ihr gemeinsamer Dienstplan hatte vorgesehen, dass sie im Universum der Föderation an deren Grenzen patrouillierten, um die Kräfte der Sternenflotte zu unterstützen. Seit der politischen Freundschaft zwischen der Föderation und Tindara war das durchaus üblich geworden. Auch in der tindaranischen Dimension waren zuweilen Sternenflottenschiffe zu sehen.

„Es gab keine besonderen Vorkommnisse, Shimar.“, hatte IDUSA ihrem Piloten gemeldet. „Denken Sie, wir können dem Oberkommando der Sternenflotte Entwarnung geben und dann wieder nach Hause fliegen?“ „Ich denke schon, IDUSA.“, erwiderte der junge Tindaraner. „Obwohl es mich sehr wundert, dass sich Sytania noch nicht wieder gerührt hat. Es sieht doch eigentlich sehr gut für sie aus und … Oh nein!“

Eine plötzliche telepathische Wahrnehmung hatte ihn zusammenfahren und diesen Ausruf tätigen lassen. Das Schiff, das ja durch den Neurokoppler auch sah, was sich in den Gedanken ihres Piloten abspielte, änderte sofort selbstständig den Kurs in die unbewusst von Shimar angegebene Richtung. „Sehr gut, IDUSA.“, sagte dieser und strich mit einem Finger über einige leere Ports. „Ich danke Ihnen, Shimar.“, sagte das tindaranische Schiff. „Obwohl ich mir nicht wirklich erklären kann, was Sie da gesehen haben. Seit wann gibt es Wesen, die aus Energie bestehen und wie Pferde mit Hörnern auf der Stirn aussehen? Und warum werden diese von Genesianern verfolgt?“ „Deine Datenbank müsste dir sagen, dass es im Dunklen Imperium die Einhörner gibt, IDUSA.“, sagte Shimar, um seinem Schiff eine Erklärung zu geben. „Das Einhorn wird sich in eine Energiewolke verwandelt haben, um im Universum überleben zu können.“ „Aber sind die Einhörner nicht unsterblich und unverwundbar?“, fragte IDUSA. „Die Unbill des Weltraums dürfte ihnen doch an sich nichts ausmachen können.“

Shimar begann angestrengt damit, sich noch einmal genau auf die geistige Prägung des Einhorns zu konzentrieren, die er wahrgenommen hatte. „Es war nicht ganz unsterblich.“, sagte er dann. „Es fühlte sich für mich an, als wäre es halb sterblich. Das sind Dinge, die dir entgehen müssen, Weil ich sie fühle und du ja nur die Bilder siehst. Du könntest zwar an meinen Werten einiges ablesen, aber ich habe mich nicht lang genug mit der Prägung beschäftigt, dass du Daten hättest sammeln können. Es war meine Schuld, IDUSA. Bitte entschuldige.“ „Schwamm drüber, Shimar.“, sagte das Schiff. „Aber das nächste Mal. Würden Sie dann bitte auf Ihr langsames Schiff Rücksicht nehmen?“ Ihr Avatar hatte ihn angegrinst. „Aber sicher doch.“, sagte Shimar. „Aber jetzt gib mir bitte erst einmal Zirell. Ich muss sie über unseren neuen Kurs und über die neuen Vorkommnisse informieren.“ „Wie sie wünschen.“, sagte das Schiff und baute die gewünschte Verbindung für ihn auf.

Zirell und Maron hatten in der Kommandozentrale bereits auf Shimar gewartet. „Ich finde merkwürdig, dass er noch nicht zurück ist, Zirell.“, sagte der Erste Offizier und sah auf die Zeitanzeige seines Sprechgerätes. „Es sieht ihm gar nicht ähnlich, einfach so zu spät zu kommen und sich nicht zu melden.“ „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte Zirell, die Shimar ja bereits etwas länger kannte als Maron. „Aber wir werden schon herausbekommen, was der Grund dafür ist. IDUSA, verbinde mich mit …“ „Das muss ich gar nicht, Commander.“, sagte der Stationsrechner. „Wir werden bereits von Shimar selbst gerufen.“ „Dann stell ihn durch.“, sagte Zirell.

Auf dem virtuellen Schirm vor ihrem geistigen Auge erschien das sehr gut bekannte Bild des jungen tindaranischen Fliegers. „Ich bin in Eile, Zirell!“, sagte dieser Aufgeregt. „Ich kann leider nicht lange mit dir reden!“ „Was ist denn los?“, fragte Zirell. „Ich habe eine Art telepathischen Notruf erhalten.“, antwortete Shimar. „Offenbar wird das kleine Einhorn von Genesianern verfolgt!“ „Welches kleine Einhorn?“, fragte die Kommandantin. „Und warum Genesianer? Wo bist du? Bist du etwa im Dunklen Imperium? Warum bist du so sehr von deinem Kurs abgewichen, ohne mir das zu melden? Das ist sonst ja nie deine Art gewesen. Du bist eigentlich nicht nachlässig. Wenn du solche Dinge tust, Dann hast du immer deine Gründe.“ „Die habe ich auch dieses Mal, Zirell.“, sagte Shimar. „Ich werde dir einen schriftlichen Bericht zukommen lassen, sobald ich selbst mehr weiß. Nur so viel. Ich bin immer noch im Universum der Föderation, in das du mich geschickt hast. Das kleine Einhorn ist hier. Ich weiß nicht, was es hier tut. Aber das werden IDUSA und ich schon herausbekommen. Bitte verlass dich auf uns.“ Er beendete die Verbindung.

Ratlos hatte Zirell ihren Ersten Offizier angesehen. „Ich bin der Letzte, den du fragen solltest, Zirell.“, gab Maron zu. „Ich kann die Situation am allerwenigsten verstehen. Wir werden wohl auf Shimars Bericht warten müssen.“ „Das befürchte ich auch, Maron.“, gab die ältere Tindaranerin zurück.

Leandra und ihre Kriegerinnen waren dem kleinen Einhorn jetzt in ein Sonnensystem gefolgt. Hier hatten sie es eingekreist und den Kreis immer enger gezogen. Dann hatte Leandra selbst Den Phaser auf das Feuern mit Rosannium eingestellt. Langsam näherte sie sich jetzt mit ihrem Schiff ihrem Ziel.

Shimar und IDUSA war dies nicht verborgen geblieben. „Können Sie sich erklären, warum die Genesianer auf das Halbblut schießen wollen?“, fragte das Schiff, das ihrem Piloten alle Bilder durchgestellt hatte. „Ich dachte immer, Shashanas Leute schießen nicht auf Schwächere. Das ist doch unehrenhaft.“ „Ich kann mir denken, dass diese Situation einen mittleren Datenkonflikt bei dir auslöst, IDUSA.“, sagte Shimar, der sich sichtlich mühte, den Überblick über die Situation zu behalten. Dies fiel ihm nicht sehr leicht, denn er verstand sie teilweise selbst nicht. Er konnte sich aber denken, dass dies für sein Schiff, eine Maschine also, für die es in vielen Fällen nur an oder aus, also 0 oder 1 gab, noch schwieriger zu durchschauen war. In so einem Fall war IDUSA auf ihn als biologischen Piloten angewiesen, deshalb wusste er, dass er jetzt der Souveräne sein musste, der sie durch diese Situation führte. Wenn ihm das nicht gelang, würden beide einfach hilflos dem Treiben zusehen müssen, etwas, das sie auf keinen Fall wollten!

„Was liest du aus den Transpondersignalen der Genesianer?“, überlegte Shimar. „Aus denen lese ich gar nichts.“, sagte IDUSA. „Ich kann nämlich noch nicht einmal welche finden, die diese Schiffe identifizieren. Meiner Ansicht nach tut so etwas nur jemand, der etwas zu verbergen hat. Vielleicht handelt es sich um einen unehrenhaften Clan, der aus der Gesellschaft der Genesianer ausgestoßen worden ist. Solche Kriegerinnen gelten als vogelfrei und dürfen von jedem zur Strecke gebracht werden, der ihrer habhaft werden kann. Dann wären sie schön blöd, wenn sie sich dann noch als solche zu erkennen geben würden.“ „Da war doch was!“, sagte Shimar. „Aus den Daten, die wir mittlerweile haben, geht doch hervor, dass es da einen ausgestoßenen genesianischen Clan gibt, dem sich Valora als Göttin verkauft. Das Fohlen ist die Tochter von Invictus und Kipana, stellt also für Valora einen Schandfleck da. Ich halte für möglich, dass sie die Genesianer die Drecksarbeit für sich erledigen lassen will! Aber diese Suppe werden wir ihr gewaltig versalzen! Komm!“

Er gab ihr die nötigen Gedankenbefehle für einige Flugmanöver, die beide dann unterhalb der genesianischen Sensoren hindurch führte und sie dann direkt vor dem Bug des Führungsschiffes auftauchen ließ. Dann befahl er: „Schilde hoch, IDUSA! Wenn sie jetzt auf das Einhorn schießen will, muss sie erst an uns vorbei! Wenn sie versucht, sich wegzudrehen oder krumme Touren plant, passt du unseren Kurs einfach an!“ „Verstanden!“, sagte IDUSA. „Ich versuche inzwischen, das Einhorn zu beruhigen.“, sagte Shimar und begann damit, sich auf das Bild des Einhorns zu konzentrieren, um mit ihr telepathischen Kontakt aufzunehmen. Das gelang ihm auch, aber da es bisher nur die Pferdesprache gewohnt war, da es ja bei seiner sterblichen Mutter aufgewachsen war, verstand es seine Worte nicht und schwebte nur ängstlich in die Atmosphäre eines nahen Klasse-M-Planeten ein, wo es Dann landete und sich in seine ursprüngliche Gestalt zurückverwandelte.

„Verdammt!“, zischte Shimar. „Das ist gründlich in die Hose gegangen! Jetzt sitzt die Kleine in der Falle!“ „Vielleicht nicht.“, sagte IDUSA. „Wir müssen jetzt eben flexibel sein. Ich könnte Sie auf den Planeten beamen und dort könnten Sie sich mit dem Einhorn direkt beschäftigen. Ich würde mich dann um die Genesianer kümmern. Vorausgesetzt, Sie erteilen mir freie Hand und den Schutzbefehl. Sie wissen, dass mir dieser, im Gegensatz zum reinen Verteidigungsbefehl, auch erlaubt, eventuell von Kriegskonventionen abzuweichen. Ich denke, das könnte nötig werden bei diesen unehrenhaften Gegnern.“ „OK.“, sagte Shimar, dem selbst auch nichts anderes eingefallen war, nahm seine Tasche mit seiner Ausrüstung und stand vom Sitz auf. Den Neurokoppler hatte er bereits an sein Handsprechgerät angeschlossen. „Du hast freie Hand!“, befahl er in Richtung des Computermikrofons. „Beschütze das Einhorn! Und jetzt beam mich zu ihr!“ „Vielen Dank, Shimar.“, sagte IDUSA und führte seine Befehle aus.

Den Genesianerinnen war nicht entgangen, was an Bord des tindaranischen Schiffes geschehen war. Leandra und die ihr gebliebenen Kriegerinnen hatten gesehen, dass IDUSA ihren Piloten auf die Oberfläche gebeamt hatte.

Ishara, eine junge Kriegerin, die vorübergehend Lostris‘ Platz eingenommen hatte, wandte sich Leandra zu: „Was hat das zu bedeuten, Prätora? Warum beamt dieses Schiff ihn einfach so auf den Planeten. Dann ist doch niemand mehr da, der es fliegen kann. Wir werden leichtes Spiel mit ihm haben.“ Die Prätora wendete sich ihr mit einem ernsten Blick zu. Dann sagte sie zu der hoch gewachsenen jungen Frau mit schlanker Figur und flammend rotem Haar: „Da sehe ich ganz genau, dass du noch nicht viel von tindaranischen Schiffen weißt. Sie können auch ohne ihre Piloten agieren. Wir müssen auf der Hut sein. Er könnte ihr einen Befehl erteilt haben, der ihr auch ermöglicht, uns sehr stark zu gefährden.“

IDUSA hatte sich langsam den genesianischen Schiffen genähert und hatte nun SITCH-Kontakt mit Leandras Schiff aufgenommen. Das war ihr möglich, da dessen Transponder zwar nicht die Clanzugehörigkeit, wohl aber das Rufzeichen übermittelte. „Mein Name ist IDUSA.“, sagte sie. „Ich bin ein Aufklärungsschiff der tindaranischen Streitkräfte. Mich interessiert vor allem gerade brennend, warum Ihr auf ein kleines wehrloses Einhorn schießt, Prätora. Schickt sich so etwas etwa für eine genesianische Kriegerin?!“ „Diese Angelegenheit muss nicht deine Sorge sein, tindaranisches Schiff.“, sagte Leandra, die sich jetzt sehr wohl sehr stark ertappt fühlte. „Lass uns doch einfach in Ruhe, sammle deinen Piloten wieder ein und fliegt dann gemeinsam eurer Wege. Es muss dich doch nicht scheren, was wir für Probleme mit diesem Einhorn haben. Du kannst uns sowieso nichts anhaben, denn wir handeln im Auftrag der Wächterin von Gore. Wir stehen also unter göttlichem Schutz.“ „Interessant.“, sagte IDUSA, die genau gemerkt hatte, dass es hier einen Punkt zum Ansetzen für sie gab. „Aber seit wann erlaubt die Wächterin von Gore denn das Töten schwächerer? Ich an Eurer Stelle, Prätora, ich wäre mir da nicht so sicher, ob das nicht eher jemand ist, die sich als Wächterin von Gore ausgibt, um Euch ein X für ein U vorzumachen und dafür zu sorgen, dass Ihr für sie die Schmutzarbeit erledigt.“ „Wie erdreistest du dich, über unsere allerhöchste Göttin zu reden?!“, empörte sich Leandra und gab Ishara, die am Waffenpult saß, den Befehl zum Feuern. Da der Phaser aber auf das Schießen mit Rosannium eingestellt war und dieses im Allgemeinen Materie durchdringen kann, ohne sie zu zerstören, außer es handelt sich um das Gewebe von telepathischen Zentren, hatte ihr Schuss so gut wie keine Wirkung auf IDUSA, lieferte ihr aber eine sehr gute Steilvorlage für eigene Strategien.

Das tindaranische Schiff nahm die Schildemitter des genesianischen Schiffes ins Visier, zielte und feuerte auf sie. Dabei traf sie auch sämtliche Energieknoten, die für die Verteilung und die Versorgung mit Energie zuständig waren. Da das Rosannium jetzt auch ungehindert in die Hülle ihres Schiffes strömen konnte, fühlte sich Leandra plötzlich sehr schwach. „Was hast du getan?“, fragte sie mit schwacher Stimme in ihr Sprechgerät. „Oh ich habe nur Eure Schilde außer Gefecht gesetzt.“, sagte IDUSA ruhig, als sei es das Normalste der Welt. „Für Eure jetzige Situation seid Ihr selbst verantwortlich, Prätora leichtgläubig. Schließlich wart Ihr es, die mit Rosannium geschossen hat. Ich habe nur Eure Schilde lahmgelegt und jetzt schluckt Ihr Eure eigene Medizin. Jetzt ist es wohl aus mit Eurer Unsterblichkeit, wie ich sehe. Meine Scans sagen mir, dass Eure Kriegerinnen Euch wohl auch nicht beistehen, wie? Sie scheinen nicht zu verstehen, was hier passiert, denke ich. Sie scheinen von der Situation überrascht zu sein. Allerdings sollte auch Euch die Situation zu denken geben, in der Ihr jetzt seid. Würde Eure wahre Göttin denn so einfach auszutricksen sein? Könnte man, wenn sie einer von euch die Unsterblichkeit verliehen hätte, die denn so einfach mit Rosannium umgehen? Ich gebe Euch Zeit, darüber nachzudenken.“ Sie beendete die Verbindung.

Leandra wandte sich ihrer Kommunikationsoffizierin und Pilotin zu: „Verbinde mich mit den anderen. Wir müssen uns beraten!“ „Ich fürchte, das wird nicht möglich sein, Prätora.“, sagte die Kriegerin. „Sie sitzen stocksteif da und können vor lauter Angst keinen Finger rühren, oder sie sind längst abgeflogen. Das tindaranische Schiff muss sie mit dieser Vorführung sehr beeindruckt haben. Wir sind wohl auf uns allein gestellt.“

Leandra gab einen Fluch von sich. Dann sagte sie: „Dann gib mir noch einmal das tindaranische Schiff!“ Die Kriegerin nickte und führte ihren Befehl aus.

„Habt Ihr über meine Worte nachgedacht?“, fragte IDUSA. „Ja, das habe ich.“, sagte Leandra. „Und ich gehe davon aus, dass du vom Herrn der Zwischenwelt geschickt wurdest, um mich vom wahren Glauben abzubringen!“ „Faszinierend!“, lästerte IDUSA. „Ich unterwegs im Auftrag des Teufels. Das wollte ich immer schon mal tun! Und wisst Ihr was, Prätora, Ihr habt Recht, denn jetzt werde ich etwas wahrhaft Teuflisches tun, um Euch endlich wachzurütteln.“

Sie nahm die Lebenserhaltung des genesianischen Schiffes ins Visier. „Was tust du da?!“, fragte Leandra, der es langsam sehr mulmig wurde. Da das Rosannium im Weltraum in Verbindung mit den noch nicht wieder funktionsfähigen Schilden dafür gesorgt hatte, dass es aus war mit der ihr von Valora gegebenen Unsterblichkeit, ging ihr jetzt doch der Hintern ganz schön auf Grundeis. „Darfst du das denn überhaupt? Ich dachte, ihr kämpft auch ehrenhaft. Wenn du unsere Lebenserhaltung außer Gefecht setzt, dann werden wir jämmerlich ersticken. Ist dir das klar, tindaranisches Schiff?“ „Ja, das darf ich.“, sagte IDUSA nüchtern. „Mein Pilot hat mir freie Hand und den Schutzbefehl erteilt. Das bedeutet, ich darf alles tun, was es braucht, um das Einhorn vor Euch zu schützen, Prätora Leandra. Ich darf also auch von Konventionen abweichen. Aber Ihr solltet Euch schämen, das Wort Ehre überhaupt in den Mund zu nehmen. Davon besitzt Ihr nämlich auch keine! Gerade Ihr nicht! Und die Antwort auf Eure zweite Frage lautet auch ja. Mir ist klar, dass Ihr ersticken werdet. Deshalb mache ich das ja.“ „Selbst das wird mich nicht von meinem Glauben abbringen!“, sagte Leandra fest. „Ich freue mich schon darauf, nach Gore zu gelangen!“ „Na gut.“, sagte IDUSA. „Dann werde ich Euch nicht im Wege stehen. Wie sagt ein irdisches Sprichwort noch so schön? Reisende soll man nicht aufhalten. Ich kenne sogar eine Abkürzung für Euch.“ Damit feuerte sie.

IDUSAs Schuss hatte zur Folge, dass es einen solchen Kurzschluss in den Systemen gab, dass sogar die Reserven für die Lebenserhaltung betroffen waren. „Wir haben noch für etwa fünf Minuten Luft, Prätora.“, meldete Ishara. „Aber Sie hat uns zumindest den Antrieb gelassen. Wir sollten dieses Gebiet verlassen, um unsere Unverwundbarkeit wieder zu erlangen. Dann sollten wir das Schiff reparieren. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.“ „Also gut.“, sagte Leandra widerwillig, der es gar nicht gefallen wollte, so unfair geschlagen worden zu sein. Aber sie hatte ja tatsächlich keine andere Wahl.

Erneut wendete sie sich der jungen Frau an der SITCH-Konsole zu: „Signalisiere den anderen, dass wir abfliegen. Aber wir werden wiederkommen! Ganz bestimmt werden wir wiederkommen!“ „Ja, Prätora.“, nickte die Kriegerin und führte Leandras Befehl aus.

IDUSA hatte Shimar unweit der Stelle materialisiert, an der auch das Einhorn gelandet war. Allerdings hatte sie, um das Kleine nicht zu erschrecken, für genügend Abstand gesorgt. Jetzt ging der junge Tindaraner vorsichtig auf sie zu.

Das Einhorn hatte sich gleich nach der Landung hinlegen müssen. So schwach hatte es sich gefühlt. Jetzt schaute es Shimar aus verängstigten Augen an. Seine Pupillen waren so weit, dass der Tindaraner das Weiße in seinen Augen gut sehen konnte. Außerdem atmete es sehr schnell. Das waren klare Anzeichen für Angst, die er bei Pferdeartigen einigermaßen interpretieren konnte, seit er selbst angefangen hatte, das Reiten zu erlernen. Er spürte genau, auch ohne seine geistigen Fähigkeiten einzusetzen, dass es große Angst haben musste.

Er blieb zunächst in einiger Entfernung stehen, um dem Wesen nicht zu starken Stress zu bereiten. Er wusste, dass es am Liebsten geflohen wäre, dies aber nicht konnte. Das musste unheimliche Bedrängnis bei ihm auslösen und die wollte er nicht noch verstärken. „Ist ja gut.“, sagte er sehr ruhig. „Ich will dir nichts tun. Im Gegenteil. Ich bin hier, um dir zu helfen.“

Er machte einen weiteren Schritt auf das Einhorn zu, aber dieses empfand seine Annäherung wohl eher als bedrohlich. Jedenfalls versuchte sie verzweifelt aufzustehen, was ihr aber nicht gelang. Shimar dachte sich, dass sie sich wohl noch ein Bein brechen könnte, wenn sie so weiter machte und wenn er sich weiter näherte, dann würde das auch passieren. Selbst wenn es ihr gelingen würde aufzustehen, dann würde sie sicher über ihre eigenen Füße stolpern, so unkoordiniert wie sie jetzt war. Verdammt!, dachte er bei sich. Ich darf nicht näher gehen. Wenn ich das tue, dann gefährde ich sie nur. Was mache ich jetzt? Ich wünschte, du wärst hier, Kleines! Er machte wieder einige Schritte zurück.

Sein Sprechgerät riss ihn aus seinen Überlegungen. In dessen Display hatte er IDUSAs Rufzeichen ablesen können. „Was gibt es, IDUSA?“, fragte er. „Ich habe die Genesianer vertreiben können.“, sagte das Schiff. „Sie und das Einhorn sind außer Gefahr. Sie müssen sich aber beeilen, ihr zu helfen. Sie ist sehr unruhig laut ihren Werten und wird hyperventilieren, wenn nicht …“ „Das sagt sich so leicht, IDUSA.“, sagte der junge Tindaraner. „Ich kann mich ihr nicht nähern. Wenn ich das tue, dann mache ich alles nur noch schlimmer. Verbinde mich mit Ishan und gib ihm die Daten. Vielleicht kann er mir helfen. Vielleicht kann er mir sagen, was ich tun muss.“ „Die interdimensionalen Veränderungen haben jede SITCH-Verbindung sehr instabil werden lassen.“, sagte IDUSA. „Für eine Datenverbindung ist unsere Verbindung auch viel zu instabil. Wir sind auf uns allein gestellt. Aber ich werde zu Ihnen kommen und in Ihrer Nähe landen. Dann habe ich auch einen anderen Blick auf die Situation.“ „Also gut.“, sagte Shimar.

IDUSA machte einen weiteren Scan der Umgebung. Sie dachte sich, dass sie wohl nach etwas suchen musste, in dem sie das Einhorn transportieren konnten. Sie würden es sicher mitnehmen müssen, damit es behandelt werden konnte. Ihr eigener Frachtraum war dafür aber zu klein.

Endlich erspähten ihre Sensoren eine verlassene Rettungskapsel. Sie musste von den Genesianern zurückgelassen worden sein. „Du kommst mir gerade recht.“, sagte sie und erfasste die Kapsel mit dem Traktorstrahl. Dann zog sie diese an sich und replizierte einige Pfund Stroh, die sie per Transporter auf ihrem Boden auslegte, nachdem sie auf gleichem Wege die Sitze und Konsolen entfernt hatte. Dann flog sie in die Atmosphäre des Planeten ein und landete ganz in Shimars Nähe.

Ihr Antriebsgeräusch ließ das Einhorn erneut ängstlich zusammenzucken. „Ganz ruhig.“, sagte Shimar. „Das ist nur mein Schiff. Das tut dir nichts.“

 

 

Kapitel 67: Ein heldenhaftes Opfer

von Visitor

 

Er sah zu IDUSA hinüber. Erst jetzt sah er, was sie da hinter sich hergezogen hatte. „Was hast du denn da mitgebracht?“, fragte er in sein Sprechgerät. „Eine Transportmöglichkeit für das kleine Einhorn.“, sagte IDUSA. „Wir werden es mitnehmen müssen, denke ich. Ishan wird es sicher behandeln müssen und …“ „Das weiß ich.“, sagte Shimar. „Aber es muss sich erst mal beruhigen. Sonst können wir nicht für sein Überleben garantieren. Mir ist klar, dass du es in die Kapsel beamen wirst. Aber jetzt bitte noch nicht. Ich will mich erst mit ihm anfreunden, damit es uns beide nicht mehr als Gefahr sieht. Deine Idee war sehr gut. Eine andere Möglichkeit haben wir ja nicht, weil dein Frachtraum zu klein isst. Aber ich wollte dich immer schon mal mit Pferdehänger fliegen. Ich bin gespannt, wie du dann reagieren wirst!“ Er grinste. „Sie sind ein Scherzkeks, Shimar.“, stellte das Schiff fest. „Aber wie beabsichtigen Sie denn nun, ihr zu helfen?“ „Das weiß ich selbst noch nicht genau.“, sagte Shimar. „da werden wir uns wohl etwas einfallen lassen müssen.“ „Bestätigt.“, sagte der tindaranische Aufklärer. „Zumal die mentalen Fähigkeiten des Einhorns kaum noch vorhanden sind. Sie muss etwas getan haben, das ihr junges unausgereiftes Zentrum total überfordert hat. Wenn ihr nicht schnell geholfen wird, wird sie mit 100-prozentiger Wahrscheinlichkeit innerhalb der nächsten zwei Stunden sterben!“ „Ich denke, das waren die Flucht und die Verwandlung.“, vermutete Shimar. „Das war eindeutig zu viel für die Kleine. Sie wird eine Menge Energie benötigen. Aber ich weiß auch schon, wo wir die herbekommen.“ „Sie wollen doch nicht die gesamte Energie aus Ihrem eigenen Zentrum auf sie übertragen!“, sagte IDUSA. „Wenn Sie das tun, dann werden auch Sie …“ „Davon habe ich gar nicht geredet!“, wies Shimar sie zurecht. „Erst schauen, dann Schlüsse ziehen, IDUSA! Aber du kannst ja sehen, was ich tue, weil ich ja auch den Neurokoppler trage. Also schau hin!“

Er begann damit, sich auf die Energie des Universums zu konzentrieren und sich vorzustellen, wie er etwas davon in sein eigenes telepathisches Zentrum aufnahm. Das tat er so lange, bis es vollgesogen war. „Na also.“, sagte er zufrieden. „Das hat ja schon einmal geklappt. Jetzt benötige ich deine Hilfe, IDUSA. Zeig mir eine Graphik dieser Energie und zeig mir, wie sie sich langsam in eine von der neuralen Energie des Einhorns verwandelt.“ „Verstehe.“, sagte IDUSA. „Sie wollen wie eine Art Transformator funktionieren. Ich weise Sie aber darauf hin, dass das sehr anstrengend für Sie werden könnte. Mit einer Transfusion ist es bestimmt nicht getan und …“ „Das macht nichts, IDUSA.“, sagte Shimar. „Ich scheue keine Mühen und das Universum hat genug Energie. Es könnte ruhig etwas davon abgeben, denke ich. Den dritten Schritt kann ich sowieso erst dann machen, wenn sie mich akzeptiert. Sonst wird sie die Energie nicht annehmen und dann war alles umsonst! Aber jetzt tu, was ich dir gesagt habe!“ „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und zeigte ihm die Graphik. „Sehr gut.“, sagte Shimar. „Damit kann ich arbeiten.“

Er konzentrierte sich fest auf das Bild, das sie ihm zeigte. Alsbald gab es einen weißen Blitz und IDUSAs Scans verrieten ihr, dass sich die Energie in Shimars Zentrum tatsächlich in für das Einhorn verträgliche Energie verwandelt hatte. „Na geht doch.“, sagte Shimar leise zu sich selbst. „Das ist korrekt.“, sagte IDUSA. „Aber wie beabsichtigen Sie, jetzt weiter vorzugehen. Sie müssten das Vertrauen des Fohlens gewinnen.“ „Das ist mir klar.“, sagte der junge Tindaraner. „Aber ich weiß auch nicht so genau, wie ich das anstellen soll. Ach, ich wünschte, Betsy wäre hier.“

Resignierend ließ er sich ins Gras fallen. Er ahnte ja noch nicht, dass sich sein Wunsch recht schnell erfüllen sollte, wenn auch auf eine Weise, mit der er selbst nicht rechnete.

Während ich auf Sedrin gewartet hatte, war ich von einer unglaublichen Müdigkeit überfallen worden, die mich gezwungen hatte, mich hinzulegen. Jetzt fand ich mich neben Shimar stehend wieder. Ich wusste aber nicht, wie das kommen konnte. Wahrscheinlich würde ich träumen und durch die Benutzung des Kaffeebechers bedingt würde unsere Verbindung intensiviert sein. Dass dies aber so etwas auslösen konnte, hatte ich nicht gedacht.

Der Traum kam mir sehr real vor. Ich fühlte Grasland unter meinen Füßen. Die Luft roch nach exotischen Pflanzen und es war sehr warm. Auch die Laute des Fohlens konnte ich wahrnehmen. Laute, die mir verrieten, dass es sehr große Angst haben musste.

Ich beschloss, Shimar anzusprechen. Dies würde aber wahrscheinlich dazu führen, dass ich auch tatsächlich gleichzeitig Worte mit dem Mund formen würde. In reiner geistiger Kommunikation war ich noch nie sehr gut gewesen. Wer konnte es mir denn aber auch verübeln, denn ich hatte ja erst vor gar nicht so langer Zeit meine Scheu vor Telepathie überwunden.

„Srinadar, ich bin hier.“, sagte ich. Er fuhr erschrocken herum. „Hey, Kleines!“, erwiderte er. „Was tust du denn hier?“

„Sie ist nicht wirklich hier, Shimar.“, mischte sich IDUSA ins Gespräch, die über den Neurokoppler, den Shimar trug, ja alles mitbekam. „Offenbar träumt Ihre Freundin gerade von Ihnen. Ich halte sogar für möglich, dass sie wieder den Kaffeebecher von Mr. Korelem benutzt. Ich führe einen simultanen Kalender über die Phasen, die Ihre Freundin durchläuft.“ „Interessant.“, entgegnete Shimar. „Und warum tust du das?“ „Um Sie auf dem Laufenden halten zu können, was das angeht.“, begründete das Schiff. „das brauchst du nicht.“, sagte der junge Tindaraner. „Das mache ich schon selbst.“ „Dann betrachten Sie es doch einfach sozusagen als Service des Hauses.“, schlug IDUSA vor. „Na gut.“, willigte ihr Pilot ein.

Er wandte sich wieder mir zu: „Ich bin froh, dass du hier bist, Srinadell!“, und versuchte mich zu küssen. Ich aber gab nur einen negierenden Laut von mir und stieß ihn weg. „Wir haben ein Leben zu retten, Shimar!“, sagte ich ernst und sehr fest. „Wir können uns jetzt nicht irgendwelchen Vergnügungen hingeben!“ „Du hast ja wirklich was mit diesem Fähnrich Kim gemeinsam, Ms. Immer im Dienst.“, lächelte er. „Wo hast du das her?“, fragte ich. „Deine Freunde sind auch meine Freunde.“, sagte Shimar. „Und Tchey hat geplaudert.“ „Alles klar.“, grinste ich zurück. „Sie hat noch nie ihren Mund halten können.“ „Aber mal eine ganz andere Frage, Kleines.“, sagte Shimar. „Warum träumst du gerade? Wie spät ist es bei dir?“ „Das weiß ich nicht.“, sagte ich. „Ich habe mich nur kurz hingelegt und muss wohl eingeschlafen sein. Aber vielleicht kann dir IDUSA sagen, wie spät es auf meinem Planeten ist.“ „Das probieren wir gleich mal aus.“, sagte Shimar. „IDUSA, wie spät ist es jetzt auf Terra in der Gegend, in der Betsy zu Hause ist?“ „Exakt zehn Uhr am Vormittag, Shimar.“, erwiderte das Schiff. „Das ist normalerweise definitiv nicht meine Schlafenszeit.“, sagte ich. „Ich kann es dir nicht verübeln.“, sagte Shimar. „Du bist krank und als Kranke darf man auch um zehn Uhr morgens noch im Bett liegen. Schließlich musst du dich ja erholen.“ „Wenn du das so siehst.“, sagte ich. „Ja, das sehe ich so.“, sagte Shimar. „Aber jetzt lass uns bitte zu unserer kleinen Freundin hier kommen. Sie scheint furchtbare Angst zu haben, wie mir scheint. Wie kann ich ihr die nehmen? Das muss ich irgendwie hinkriegen, damit ich sie mitnehmen kann. Außerdem muss ich sie stabilisieren. Dazu habe ich schon die ersten Schritte gemacht, aber den dritten kann ich erst dann tun, wenn sie mich nicht mehr als Gefahr sieht.“ „Vielleicht würde es mir helfen.“, sagte ich. „Wenn ich wüsste, wovor sie solche Angst hat. Was ist denn passiert und wo sind wir?“ „Auf irgendeinem Klasse-M-Planeten.“, sagte Shimar. „IDUSA und ich haben gesehen, dass sie von Genesianern angegriffen worden ist. IDUSA konnte die vertreiben, aber sie hat wohl ihr geistiges Zentrum total überfordert.“ Er deutete bei dem Wort sie auf das Einhorn. „Ich nehme an, es waren nicht Shashanas Leute, die sie angegriffen haben.“, sagte ich. „Nein.“, sagte er. „Das war ein Clan, dem sich Valora als Göttin verkauft hat. Die glauben tatsächlich, sie sei die Wächterin von Gore. Aber mein Schiff hat sie hoffentlich eines Besseren belehrt.“ „Zumindest habe ich es versucht.“, sagte IDUSA. „Ich bin aber überhaupt nicht sicher, ob sie verstanden haben, was ich ihnen sagen wollte. Sie mussten aufgeben, weil ich ihre Prätora ihrer Unsterblichkeit beraubt habe. Das hat sie verwirrt. Aber sie haben gedroht, dass sie wiederkämen.“ „Dafür musstest du doch sicher Rosannium verwenden, IDUSA, nicht wahr?“, schlussfolgerte ich. „Das ist korrekt, Betsy.“, bestätigte Shimars Schiff. „Aber machen Sie sich keine Sorgen. Das Rosannium hat die Prätora sogar selbst verschossen, weil sie das Einhorn töten wollte. Ich habe dann nur ihre Schilde lahmlegen müssen. Das alles hat außerhalb der Atmosphäre dieses Planeten stattgefunden und bevor Shimar seine Fähigkeiten eingesetzt hat, um sich Energie vom Universum zu holen, war das Rosannium schon wieder verflogen. Das All ist groß, Allrounder. Die Strahlung kann sich gut verteilen.“ „Na den Göttern sei Dank, IDUSA.“, atmete ich auf. „Aber wie soll ich das verstehen, dass du dir Energie vom Universum geholt hast, Shimar?“ „Ich habe Energie aus dem Weltraum abgesaugt.“, sagte Shimar. „Ich kann allein niemals die Menge aufbringen, die ich ihr transferieren müsste. Diese Energie habe ich in solche umgewandelt, die von ihrem Zentrum vertragen wird. Die ist jetzt in meinem telepathischen Zentrum. Aber bevor ich sie ihr geben kann, muss sie mir erst mal vertrauen.“ „Ein ganz schönes Abenteuer, auf das du dich da eingelassen hast.“, stellte ich fest. „Aber gut. Lass es uns versuchen. Ich denke, dass sie dich als Bedrohung ansieht, weil du aus ihrer jetzigen Position heraus gesehen sehr groß bist. Du solltest dich hinhocken und dann sollten wir vorsichtig im Entengang auf sie zugehen. Schau mir zu.“

Ich hockte mich hin und er tat es mir gleich. Dann watschelten wir beide vorsichtig Hand in Hand auf das Einhorn zu.

Die Kleine hob den Kopf und zog unseren Geruch durch ihre Nüstern ein. Natürlich roch sie eigentlich nur Shimar, denn ich war ja nur in seinem Geist bei ihm, obwohl es mir alles sehr real vorkam.

„Hey, sch.“, machte Shimar. „Es ist alles OK. Niemand will dir etwas tun. Ganz ruhig. Ganz ruhig.“

Die kleine Stute legte plötzlich ihren Kopf mit den gespitzten Ohren wieder ab. Seine leise ruhige Stimme musste ihr doch die nötige Zuversicht gegeben haben. „Streck ihr vorsichtig deine Hand hin.“, riet ich ihm leise. „Mit dem Handrücken nach oben und sehr flach. Lass sie dran schnuppern.“ „OK.“, sagte Shimar und führte aus, was ich ihm gerade gesagt hatte. „Langsam, Srinadar.“, flüsterte ich. „Ganz langsam.“

Das kleine Einhorn begann plötzlich tatsächlich, an Shimars ausgestreckter Hand zu schnuppern. Zuerst zwar nur sehr vorsichtig und zögerlich, dann aber immer intensiver. Zum Schluss spürte er sogar etwas Nasses und Langes, das sich langsam seine Hand entlangarbeitete. „das kitzelt!“, kicherte er. „Und das ist auch bestimmt nicht mehr deine Nase, kleine Maus.“ „Ne.“, antwortete ich frech, die ich ja alles mitbekommen hatte. „Das ist ihre Zunge. Aber das bedeutet auch, dass wir gewonnen haben. Versuch mal, ob du sie mit der anderen Hand streicheln kannst, Shimar. Aber komm besser von der Seite und schräg von unten. Direkt von Vorn mögen sie es nicht. Dann glauben sie, du seist ein Raubtier, das ihnen die Luft abdrücken möchte. Aber wenn du von der Seite und von schräg unten kommst, dann kann die Kleine deine Hand sehen und auch als eine solche erkennen.“ „In Ordnung, meine kleine und schlaue Srinadell mit dem Pferdeverstand.“, sagte Shimar. „Oh, du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dich zu haben.“ „Das geht mir genauso.“, sagte ich und lächelte ihm zu.

Shimar hatte begonnen, das kleine Einhorn zwischen den Ohren zu kraulen. Dieses erwiderte seine Zuneigung, indem es laut zu schmatzen begann und das Maul leicht öffnete, so dass etwas Spucke herauslief. „Sie schmatzt und sabbert, Kleines.“, sagte er. „Das ist sehr gut.“, lächelte ich. „Ich denke, sie wird sich in deiner Gegenwart sehr wohl fühlen. Vielleicht kannst du ja sogar einen Übertragungsversuch wagen.“ „Also gut.“, sagte Shimar und konzentrierte sich darauf, dem kleinen Einhorn die Energie, die er vorher umgewandelt hatte, zu übergeben.

Nachdem dies geschehen war, scannte das Schiff das Einhorn erneut. „Ihre Werte haben sich sehr stark verbessert.“, sagte sie. „Ich schätze, wenn Sie noch zweimal so weitermachen, dann haben wir sie wieder stabilisiert.“ „Also gut.“, sagte Shimar. „Aber jetzt benötige ich erst einmal eine kleine Pause.“ „Die können Sie sich auch ruhig gönnen.“, sagte IDUSA. „Die Werte des Einhorns sind jetzt schon viel besser, wie ich Ihnen sagte. Ihr Leben hängt nicht mehr am seidenen Faden. Ich denke, dass ihr fünf Minuten mehr oder weniger nichts ausmachen werden.“ „OK, IDUSA.“, sagte Shimar. „Aber du solltest nach den Genesianern Ausschau halten. Nicht, dass sie ihr Versprechen doch noch wahrmachen.“ „Keine Sorge.“, sagte der tindaranische Aufklärer. „In Reichweite meiner Sensoren befindet sich kein einziges genesianisches Schiff. Offenbar werden sie das mit dem Wiederkommen doch noch für einige Zeit verschieben.“ „Da bin ich aber froh.“, sagte Shimar erleichtert. „Die hätte ich jetzt nämlich gar nicht gebrauchen können.“ „Ich denke, die kann jetzt gar keiner von uns gebrauchen, Srinadar.“, sagte ich. Shimar nickte nur.

Es vergingen weitere Minuten, die Shimar damit verbrachte, das Einhorn weiter zu streicheln und zu kraulen. Die kleine Stute leckte zärtlich seine Hände, wenn sie drankam. „Ist ja gut, Süße.“, flüsterte Shimar. „Wir beide könnten wohl noch echte Freunde werden, was?“

„Werden Sie gleich eigentlich wieder meine Hilfe benötigen, Shimar?“, fragte IDUSA. „Ich meine, eigentlich müssten Sie jetzt ja wissen, wie das Energieschema auszusehen hat.“ „Ich würde mich sicherer fühlen, wenn du es mir zeigen würdest, IDUSA.“, sagte Shimar. „Wenn ich mich falsch erinnere und einen Fehler mache, dann könnte ich das arme kleine Wesen hier sicher schwer verletzen und das möchte ich auf keinen Fall!“ „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA.

Shimar wandte sich mir zu: „Warum kannst du überhaupt jetzt ausschlafen, Kleines? Musst du nicht für deinen Urlaub packen?“ „Agent Sedrin kommt nachher und hilft mir.“, sagte ich. „Bis dahin ist noch etwas Zeit. Außerdem war ich plötzlich sehr müde und bin einfach eingeschlafen, wie mir scheint. Ich hoffe, dass der Agent mich wach bekommt, falls sie früher eintreffen sollte.“ „Dann hoffen wir mal, dass wir beide bis dahin mit der Sache hier fertig sind.“, sagte Shimar und richtete sich auf: „Ich für meinen Teil könnte auch schon wieder.“

Damit begann er erneut, sich auf die Energie des Weltraums zu konzentrieren und saugte sie in sein telepathisches Zentrum. „Hey, so langsam kriege ich richtig Übung.“, stellte er fest. „Das ging jetzt schon leichter als beim ersten Mal.“ „Na herzlichen Glückwunsch.“, lächelte ich. „Danke, Kleines.“, erwiderte Shimar und wandte sich IDUSA zu: „Jetzt bist du wieder dran, IDUSA! Zeig mir die Graphik!“ „Hier kommt sie!“, gab das Schiff zurück und ihr Avatar vor seinem geistigen Auge lächelte ihm motivierend zu. Dann zeigte sie ihm, was er verlangt hatte.

Auch die erneute Umwandlung und die Übertragung der Energie klappten auf Anhieb. „Wenn du mal von der Fliegerei genug haben solltest, dann solltest du irgendwo als Transformator anfangen.“, scherzte ich. „Dazu hast du nämlich echt Talent.“ „Danke, Kleines.“, sagte Shimar, der sich jetzt schon wieder auf die nächste Welle konzentrierte. Er war der Ansicht, dass er, je eher er dem Einhorn helfen könnte, es umso besser für ihre Gesundheit war.

IDUSA wandte sich mir zu: „Ich finde, er hätte eine erneute Pause machen sollen, Allrounder. Finden Sie nicht auch?“ „Zeig mir seine Werte!“, befahl ich. „Ich bin zwar auch keine Ärztin, aber ich kenne eine, die mir schon mal einen Richtwert genannt hat. Wenn die Werte seines telepathischen Zentrums da noch drunter sind, dann sehe ich keine Gefahr.“ „Also gut, Betsy.“, sagte das Schiff und zeigte mir Shimars Werte. „Das ist hart an der Grenze, aber gerade noch OK.“, sagte ich und zog etwas Luft durch die Zähne. „Wie fühlst du dich, Srinadar?“ „Ich bin verständlicherweise etwas schwach.“, sagte Shimar. „Aber es wird schon gehen.“

Es gab einen erneuten weißen Blitz, der von der Aufnahme universeller Energie kündete. „Na los, IDUSA!“, befahl Shimar fest. „Zeig mir die Graphik!“ Dann wiederholte sich das gleiche Schauspiel.

IDUSAs erneuter Scan hatte neue Informationen zutage gefördert. „Es sieht aus, als sei sie jetzt über den Berg.“, sagte sie. „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte Shimar. „Ich spüre das auch und ich sehe es. Ihre Augen sind viel wacher. Warte mal. Was tut sie denn jetzt?“

Er hatte gesehen, dass das Einhorn ihre Beine unter den Körper gezogen hatte und wohl Anstalten zum Aufstehen machte. „Bleib liegen.“, redete Shimar ihr ruhig zu. „Das ist doch noch viel zu gefährlich für dich. Glaub es mir.“ „Du musst ihre Kreislaufwerte überprüfen.“, sagte ich. „Greife vorsichtig ihre Oberlippe und schau ihr ins Maul. Wenn du da rosa siehst, ist alles OK. Dann darf sie aufstehen. Aber du musst …“ „Halt, Kleines.“, sagte Shimar. „Nicht so viele Informationen auf einmal. Das schaffe ich heute nicht mehr. Schließlich habe ich gerade auch einen sehr konzentrationsintensiven Job hinter mir. Aber OK.“

Er tat, wozu ich ihn gerade aufgefordert hatte. „Die Innenseite ihrer Lippe ist rosa, Kleines.“, sagte er. „OK.“, sagte ich. „Dann lass sie aufstehen. Aber du musst eine Handunter ihren Kopf legen und die andere unter ihren Schweif. So hältst du ihre Wirbelsäule und damit ihren gesamten Körper in Waage. Bei großen Pferden macht man das zu zweit, wenn sie zum Beispiel aus der Narkose aufwachen. Einer geht an den Kopf und einer an den schweif. Aber sie ist ja noch ein Fohlen. Daas schaffst du das ja wohl allein.“ „Davon können wir ja wohl ausgehen.“, sagte Shimar und legte seine rechte Hand unter den Kopf und seine linke Hand unter den schweif des Fohlens. „Richte dich bitte vorsichtig mit ihr gemeinsam auf.“, sagte ich. „Sonst könntet ihr beide gefährlich stürzen.“ „Alles klar.“, sagte Shimar und richtete sich langsam aus seiner immer noch hockenden Haltung auf. Dabei achtete er darauf, dass er dies nicht schneller tat, als das Fohlen aufstand.

„Wir stehen, Kleines!“, stellte er nach einer Weile erleichtert fest. „Und ich glaube, sie will ein paar Schritte gehen!“ „Dann geh neben ihr her.“, sagte ich. „Aber erst einmal nur geradeaus. Für Kurven wird sie noch zu unkoordiniert sein.“ „OK.“, sagte Shimar und folgte dem Einhorn, das langsam damit begonnen hatte, einen Huf vor den anderen zu setzen. Dabei beobachtete er, dass sie immer sicherer zu werden schien. „Ich glaube, ich kann sie bald loslassen, Kleines.“, sagte er. „Scheint mir auch so.“, sagte ich. „Aber lockere deinen Griff nur ganz langsam.“ „Sicher.“, sagte Shimar und nahm jeweils einen Finger unter dem Kopf und einen unter dem Schweif der Stute weg. Dann folgte einige Sekunden später ein zweiter und ein dritter und dann ging es so lange so weiter, bis je alle fünf Finger beider Hände gelöst waren und das Einhorn frei neben ihm stand. Ich danke dir, Tindaraner., wandte sie sich ihm telepathisch zu. Ich schulde dir etwas. Keine Ursache., entgegnete Shimar auf gleichem Weg. Aber ich werde dich mitnehmen müssen. Unser Arzt sollte dich ansehen. Keine Angst. Das wird nur ein ganz kurzer Flug. Damit gab er IDUSA den Befehl, das Einhorn in die Kapsel und dann ihn selbst ins Cockpit zu beamen. Danach flogen sie wieder ab.

 

 

Kapitel 68: Urlaubsfreuden

von Visitor

 

Ich war durch eine Hand erwacht, die mich sanft, aber bestimmt geschüttelt hatte. Diese Hand hatte ich sofort erkannt. „Hallo, Agent.“, sagte ich leise und noch etwas schlaftrunken. „Hallo, Betsy.“, erwiderte sie in gleicher freundlicher Lautstärke, was mir verriet, dass meine Annahme doch richtig gewesen war. „Sie verblüffen mich immer wieder, Allrounder.“, sagte Sedrin. „Wie haben Sie mich erkannt? Durch was habe ich mich verraten?“ „Das klingt jetzt komisch.“, warnte ich sie vor. „Aber es ist die Art, wie sich Ihre Hände anfühlen und auch ein wenig Ihr Geruch. Wobei ich bestimmt nicht sagen will, dass Sie ein Problem mit der Körperpflege haben, aber …“ „Jedes Wesen, das auf biologischem Wege gezeugt wurde, hat einen Geruch, weil es eine Biochemie hat.“, fiel sie mir ins Wort. „Die meisten Mitglieder Ihrer Rasse sind nur nicht in der Lage, diesen so sehr wahrzunehmen. Aber da Ihnen ein Sinn fehlt und Ihre übrigen Sinne nicht durch das Benutzen eines Visors abgestumpft sind, kann ich mir durchaus vorstellen, dass Sie vermehrt auf so etwas achten. Ihre Aufmerksamkeit verteilt sich eben anders. Das nehme ich nicht persönlich.“ „Jetzt reden Sie schon fasst wie T’Pol.“, sagte ich. „Oh haben Sie mich schon wieder erwischt.“, sagte Sedrin und legte eine übertriebene verschämte Note in ihre Stimme. „Aber es ist die Wahrheit.“, sagte ich. „So manch anderer wäre jetzt bestimmt beleidigt gewesen.“ „Nun!“, sagte sie etwas schnippisch. „Ich kann nichts dafür, wenn Leute versuchen, sich Schuhe anzuziehen, die ihnen nicht passen!“

Sie zog meinen Koffer vom Kleiderschrank. „Wir sollten mit dem Packen beginnen.“, sagte sie. „Oder was meinen Sie?“ „OK.“, sagte ich und setzte mich auf die Bettkante. Dann stand ich auf und drehte mich ihr und dem Koffer zu, den sie auf einem Hocker zwischengeparkt hatte.

„Wie lange sind Sie schon hier, Agent.“, fragte ich, während ich einige Socken und etwas Unterwäsche zusammensuchte. „Schon eine geraume Weile, Betsy.“, sagte sie. „Ich habe Ihnen auch zugehört. Sie haben im Schlaf geredet. Es war hoch interessant. Anscheinend haben Sie gemeinsam mit Shimar das Leben des kleinen Einhorns gerettet. Ich gehe nicht davon aus, dass es nur ein einfacher Traum war. Sie benutzen seit kurzer Zeit wieder den Kaffeebecher von Mr. Korelem.“ „Das stimmt.“, sagte ich. „Und wir dürfen ihn nicht vergessen.“ „Das werden wir auch nicht.“, versicherte Sedrin und legte ihn in den Koffer, nachdem sie ihn in eine alte Bluse, die ich vorsorglich mit eingepackt hatte, eingeschlagen hatte. „Wir wollen ja nicht, dass dem guten Stück etwas geschieht, nicht wahr?“ Ich nickte ihr nur zu.

„Warum haben Sie diese Bluse eingepackt.“, fragte sie. „Ich dachte, dass es dort, wo wir hingehen, bestimmt auch Tiere geben wird und in Ställen sind alte Kleider recht praktisch.“ „Denken Sie das wirklich?“, fragte Sedrin und ich hatte das starke Gefühl, sie fühle sich ertappt. „Ja.“, bekräftigte ich. „Für mich gehören Tiere nämlich auf einen alternativen Hof.“ „Das mag schon stimmen.“, sagte sie. „Und ich denke, Sie werden viel Zeit mit denen verbringen wollen, nicht wahr? Zumindest würde ich dies aus der Auswahl der Kleider ersehen, die Sie sich hier zurechtgelegt haben. Nach Tanztee oder elegantem Empfang sieht das nicht gerade aus.“ „Sie und ihre ermittlerische Ader.“, sagte ich und grinste sie an. „Ich kann nicht anders.“, sagte Sedrin. „Ich bin Agentin.“

Ihr war die Ordnung in meinem Kleiderschrank aufgefallen. „So ordentlich möchte ich auch mal sein, Allrounder.“, sagte sie. „Sie haben Ihre Kleidung sehr akkurat geordnet. Sie passt sogar zusammen.“ „Ich bin auf eine gewisse Ordnung angewiesen, Agent.“, sagte ich. Außerdem hat ein Servicetechniker von der Firma, von der ich meinen Replikator habe, erst neulich mit mir ein Programm heruntergeladen und es auf meine speziellen Bedürfnisse eingestellt, das die neuen Kleidungsstücke je nach der aktuellen Mode so farblich anpasst, dass ich sie auch zu den schon vorhandenen anziehen kann. Er meldet mir jetzt auch, wenn er den Inhalt aus meinem Kleiderschrank mit den modernen Kleidern vergleicht, dass er mir ein neues Oberteil oder eine Hose replizieren könnte. Durch ja oder nein kann ich dann entscheiden, ob ich das für nötig halte. Die farbliche Anpassung an meinen Stil ist ja dann wie gesagt schon längst passiert. Dann muss ich mir nicht so viel merken, an dem ich das oder das Kleidungsstück erkennen kann.“ „Ich weiß, dass der Hersteller Ihres Replikators solche Programme anbietet.“, sagte Sedrin.“ „Da sind die echt in eine Marktlücke gestoßen. Jaden und ich überlegen sogar, auch die Firma zu wechseln. Wir haben mit unserem Gerät dauernd Ärger und der Service stimmt auch nicht. Sie scheinen da ja echtes Glück zu haben. Aber wenn man solche Programme nicht benutzen muss, dann übersieht man sie schon mal. Es ist ja auch immer noch freiwillig, einen Visor zu tragen oder auch nicht. Für Leute, die sich für nein entscheiden, kann so was schon sehr hilfreich sein.“ „Oder für Leute, die sich für nein entscheiden müssen.“, sagte ich. „Da haben Sie Recht.“, sagte Sedrin.

Sie hatte ein letztes Mal einen Blick auf den Inhalt meines Koffers geworfen. „Ich würde sagen, wir sind hier fertig.“, sagte sie und schloss den Deckel. Dann stellte sie den Koffer auf die Terrasse, wo auch schon die von Jaden und ihr selbst standen. Huxleys hatten nämlich beschlossen, mich abzuholen und dann gemeinsam mit mir zum öffentlichen Transporter zu gehen.

Jenna, Joran und Tchiach waren mit dem tindaranischen Schiff, das Joran quasi vom tindaranischen Militär zur Verfügung gestellt worden war, in meine heimatliche Dimension eingeflogen. Jetzt hatten sie Kurs auf die Erde gesetzt.

„Ich freue mich schon darauf, Betsy El Taria wieder zu sehen!“, sagte Tchiach und rutschte unruhig auf ihrem Sitz hin und her.“ „Das kann ich mir vorstellen, Süße.“, sagte Jenna von vorn, die neben Joran saß. „Ihr habt euch ja bestimmt lange nicht mehr gesehen. Weiß sie überhaupt, dass du schon eine Novizin bist?“ „Ich glaube, das weiß sie noch nicht.“, sagte Tchiach. „Aber ich freue mich schon, es ihr zu sagen.“

Joran hatte seinem Schiff den Befehl erteilt, mich zu lokalisieren. „Ich habe sie gefunden, Joran.“, meldete der Aufklärer. „Sie befindet sich immer noch in ihrem Haus in Little Föderation.“ „Dann könnten wir ja herunter beamen, sie treffen, und dann den Urlaub gemeinsam antreten.“, schlug Jenna vor. „Dein Vorschlag gefällt mir, Telshanach.“, sagte der Vendar, erteilte seinem Schiff den Befehl, in einer höheren Umlaufbahn zu warten und sie auf die Erde zu meinen Koordinaten zu beamen und dann gingen Jenna, Tchiach und er samt Gepäck auf die Transporterplattform, von der aus sie dann mitten in mein Wohnzimmer gebeamt wurden.

Sedrin und ich hatten uns, während wir auf Jaden warteten, noch kurz auf mein Sofa gesetzt, um uns die Zeit mit einem angeregten Gespräch zu vertreiben. „Ich muss Ihnen ein Geständnis machen.“, sagte die Agentin, die jetzt links neben mir saß. „Nanu.“, sagte ich und grinste sie an. „Normalerweise ist es doch umgekehrt. Normalerweise machen die Leute doch Ihnen gegenüber ein Geständnis.“ „Mag sein.“, sagte sie. „Aber heute bin ich mal dran. Sie sind in gewisser Weise mein Vorbild, Allrounder.“

Ich wurde blass, bekam eine Gänsehaut und musste erst mal schlucken. Dann fragte ich etwas verwirrt: „Wieso bin ich Ihr Vorbild, Agent? Ich habe doch wohl kaum jemals Dinge getan, die von der taffen Sedrin als vorbildlich bezeichnet werden könnten.“ „Oh Sie und Ihre Bescheidenheit.“, sagte Sedrin. „Da irren Sie sich aber gewaltig! Ich sage Ihnen hiermit voraus, dass Sie diejenige sein werden, die am ehesten und am besten mit der Situation an unserem Urlaubsort zurechtkommen wird. Wir anderen sind viel zu sehr technologiegläubig und von ihr verwöhnt. Ich schätze, dass wir dort ungefähr auf dem Stand Ihrer Heimat sein werden. „Damit kommen Sie doch wohl am besten zurecht.“ „Das mag sein, Agent.“, sagte ich. „Aber …“

Weiter kam ich nicht, denn im selben Moment wirbelte etwas Weiches auf mich zu und zwei pelzige Arme umfingen mich. Dann wurde ich an eine kleine pelzige Brust gedrückt und eine Stimme quietschte atemlos: „Ich freue mich so, dich zu sehen, Betsy El Taria!“

Erst jetzt hatte ich sie erkannt. „Hi, Tchiach!“, sagte ich erfreut und lächelte sie an. „Wir haben uns ja lange nicht mehr gesehen. Erzähl mal. Wie geht es dir so und was machst du?“ „Es geht mir gut, Betsy El Taria.“, sagte die kleine Vendar, deren Stimme mir jetzt nicht mehr so bekannt vorkam, denn ich hatte bemerkt, dass sie sich sehr geändert hatte. Meinen Berechnungen nach musste Tchiach aber auch schon in der Pubertät sein und da war das ja auch recht normal. Ihre Stimme hatte sehr erwachsen geklungen für ihr Alter, aber bei Vendar schien das ja Standard zu sein.

Sie griff nach meiner rechten Hand und führte sie über ihre Kleidung. „Ich bin jetzt schon eine Novizin!“, sagte sie stolz. „Hey, cool!“, erwiderte ich. „Wer ist denn dein Ausbilder?“ „Ziehmutter Sianach bildet mich aus.“, erklärte Tchiach.

Ich lauschte in meine Umgebung. „Du bist doch bestimmt nicht allein gekommen.“, sagte ich dann. „In der Tat nicht.“, sagte sie und dann hörte ich auch Jennas Stimme: „Hallo, Betsy. Joran und ich sind natürlich auch dabei.“

Sie kam näher und gab mir die Hand. Dann folgte auch die von Joran, der mich nur deshalb erst so spät begrüßt hatte, da er sich noch mit den Koffern beschäftigt hatte, die er auf der Terrasse bei den anderen Koffern abgestellt hatte. „Auch ich grüße dich, Betsy El Taria.“, sagte er fast etwas zu förmlich und leise. Dabei merkte ich ganz genau, dass irgendwas mit ihm nicht stimmte. „Was ist los, Joran?“, fragte ich. „Das kann ich dir leider nicht sagen, Betsy El Taria.“, sagte er. „Es ist noch zu früh dafür.“ „Also gut.“, entgegnete ich. „Ich habe Geduld.“

Auf meiner Terrasse spielte sich zum gleichen Zeitpunkt eine ganz andere Szene ab. Caruso hatte von seinem Aussichtspunkt auf einem Torpfeiler aus das große Hallo wohl gesehen, das gerade stattgefunden hatte. Ganz Kater war er neugierig geworden und hatte wohl beschlossen, die Sache mal genauer mit seinen Katzenaugen in Augenschein zu nehmen. Er schlich sich also in geduckter Haltung an die Koffer heran, als wäre er auf der Jagd. Das war wirklich, zumindest aus seiner Sicht, eine unheimliche Begegnung und da konnte man schließlich nie wissen. Dann beschnupperte er den ersten Koffer, der Jaden gehörte. Von dem ging aber weder eine Bedrohung aus, noch hatte er etwas besonders Einladendes. Er roch halt einfach neutral und deshalb wurde er auch von Caruso ignoriert, der sich dann dem nächsten Exemplar zuwandte, Sedrins brauner Reisetasche. Die war zwar weicher als Jadens Lederkoffer, aber auf ging sie auch nicht, so dass er sich hätte in die Wäsche kuscheln können. Das war nämlich etwas, das Caruso mit Vorliebe tat.

Er schlich weiter und kam zu meinem Koffer, dessen Geruch ihn schon sehr anzog. Aber trotz er diesen umschnurrte und umschmeichelte, wollte er sich auch nicht für ihn öffnen. An Jennas und Tchiachs Gepäck lief er erst mal vorbei. Wahrscheinlich waren ihm die Sachen zu fremd. Aber irgendwas ließ ihn bei Jorans Tasche anhalten, die etwas offen stand. Das war eine Angewohnheit, die Joran eben hatte. Immer, wenn er seine Tasche irgendwo abstellte, wurde der Verschluss leicht geöffnet. Zur Begründung hatte er mir einmal gesagt: „Ich mag’s nicht, wenn’s mieft.“ Darüber hatte ich herzhaft lachen müssen und ihm irgendwann einmal eine Tasche mit atmungsaktiver Außenhülle geschenkt. Die benutzte er jetzt wohl auch, aber trotzdem konnte er wohl nicht aus seiner Haut, was seine Gewohnheiten anging. Dies war aber etwas, das Caruso jetzt prima ausnutzte, indem er den Schiebeverschluss mit der Schnauze weiter aufschob, um sich dann auf Jorans ebenfalls schwarze gute Hosen zu betten. Mit den Pfoten grub er sich noch ein bequemes Nest, in dem er sich dann laut schnurrend zusammenrollte und beruhigt einschlief.

Von Carusos Aktion, die irgendwie leicht an eine Szene aus Schneewittchen erinnerte, hatten wir nichts mitbekommen. Wir waren nämlich vollauf mit der Organisation beschäftigt. Jaden war inzwischen eingetroffen und hatte auch bemerkt, dass wir Besuch hatten. „Wo kommt ihr denn jetzt her?“, wollte er von Jenna und Joran wissen. „Offiziell ist es ein Urlaub, Commander.“, erklärte Jenna. „Aber Inoffiziell will die tindaranische Regierung, dass wir euch etwas unterstützen.“ „Ah ja, McKnight.“, sagte der Amerikaner. „Wobei denn?“ „Das würde ich lieber mit Agent Sedrin besprechen, Sir.“, sagte Jenna.

Sedrin drängte sich an ihrem Mann vorbei: „Gut, dann folgen Sie mir, McKnight.“, dann verschwanden die Beiden in meine Küche.

„Wie sollen wir das denn jetzt mit der Buchung für den öffentlichen Transporter machen?“, fragte Jaden. „Wir könnten den Transporter meines Schiffes benutzen.“, schlug Joran vor. Ich wollte eh auf meine Telshanach warten.“ „Das müssen wir wohl alle.“, sagte Jaden. „Meine Frau ist ja auch involviert. Das ist sicher was Geheimes.“ „In der Tat.“, sagte Joran, der ja über alles informiert war. „Aber mehr darf ich dir wirklich nicht sagen.“

Sedrin und Jenna kamen wieder aus der Küche und dann sagte die Technikerin: „Joran, wir nehmen am besten unseren Transporter und Huxleys gehen mit Betsy den unauffälligen Weg. Unser Ziel kenne ich. Der Agent hat es mir verraten.“ „In Ordnung, Telshanach.“, sagte Joran, „genau das Gleiche habe ich auch gerade vorgeschlagen.“

Damit gingen wir alle zur Terrasse, sortierten unser Gepäck und dann trennten wir uns wieder. „Jaden, du nimmst die Koffer, ich nehme unsere Patientin.“, sagte Sedrin. „Oh ich werde mein Gepäck allein nehmen.“, sagte ich. „Das wird doch viel zu eng in der Schleuse, Betsy.“, meinte Huxley und nahm mir meinen Koffer ab. Dann hakte mich Sedrin unter und unsere Karawane zog los in Richtung öffentliches Transportsystem.

 

 

Kapitel 69: Shimars Tod

von Visitor

 

Shimar und sein Schiff waren wieder in die tindaranische Dimension eingeflogen. „Na, wie ist es?“, fragte IDUSA neugierig nach. „Wie ist was?“, fragte ihr Pilot zurück, der sich ihre Frage nicht erklären konnte. „Was meinst du damit, IDUSA?“ „Ich spreche von meinen Reaktionen.“, erklärte das Schiff. „Sie haben gesagt, Sie wollten mich immer schon einmal mit Pferdehänger fliegen, weil Sie wissen wollten, wie ich reagiere.“ „Das war doch nur ein Witz, IDUSA.“, beruhigte Shimar sie. Ich habe dich doch schon oft mit anderen Schiffen im Traktorstrahl geflogen und weiß daher genau, wie …“

Ein plötzlicher Schmerz im ganzen Körper hatte ihn zusammenfahren lassen und er saß jetzt sehr verkrampft da. Sofort hatte das Schiff damit begonnen, ihn zu scannen. Was sie dabei allerdings feststellte, alarmierte sie sehr. „Offenbar haben Sie sich das genesianische Virus eingefangen, Shimar!“, sagte sie ernst. „Der Planet muss ein genesianischer Friedhof für Männer gewesen sein. Sie wissen, dass die einfach so auf irgendwelchen Planeten verscharrt werden. Es tut mir leid. Ich habe das nicht gesehen. Ich werde Technical Assistant O’Riley bitten, meine Sensoren zu prüfen und meine dazugehörige Software einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. So etwas darf nicht passieren! Bitte nehmen Sie den Neurokoppler nicht ab! Über ihn werde ich Sie mit Alpha-Wellen versorgen, die Sie im Schlaf halten werden. Bitte lassen Sie mich das Steuer übernehmen. Ich bringe uns zur Station und Sie zu Ishan. Bitte vertrauen Sie mir. Es wird alles wieder gut.“

Damit übernahm sie die Steuerkontrolle und begann gleich danach, Shimars Gehirn mit Alpha-Wellen zu bestrahlen, wie sie es gesagt hatte. Shimar vertraute ihr und ließ das bereitwillig mit sich geschehen. Er wusste, dass dies die einzige Möglichkeit war, dem jetzt schon sehr lange anhaltenden furchtbaren Schmerz im gesamten Körper zu entgehen. Er hoffte nur, dass Ishan eine Möglichkeit finden würde, ihn zu heilen, bevor das Virus ihn vollständig aufgefressen hatte.

Zirell und Maron hatten in der Kommandozentrale ganz normal ihren Dienst verrichtet. Sie ahnten nichts von dem Notruf, über den sie IDUSA, der Rechner der Station, bald informieren sollte. Nur das alarmierte Gesicht des Avatars vor ihren geistigen Augen auf dem virtuellen Schirm ließ sie bereits etwas ahnen.

„Was ist passiert, IDUSA?“, fragte Zirell. „Ich habe Shimars IDUSA-Einheit in der Leitung, Commander.“, sagte der Computer. „Sie hat einen Notruf abgesetzt. Aber ich habe auch noch ein paar merkwürdige Aufträge erhalten. Ich soll einen der leeren Frachträume mit repliziertem Stroh auslegen und auch eine Pferdetränke für Fohlen und einen Haufen Heu dort hinterlassen. Außerdem beamt sie Shimar direkt auf die Krankenstation. Ms. O’Riley soll außerdem …“ „Nicht so schnell, IDUSA“, sagte Zirell. „Gib sie mir am besten selbst.“ „Wie Sie wünschen, Commander.“, sagte IDUSA und ihr Avatar gab dem von Shimars Schiff Raum.

„Was genau ist auf eurer Mission geschehen, IDUSA?“, wendete sich eine etwas verwirrte Zirell jetzt an Shimars Schiff. „Deine Kollegin hat mir zwar schon einiges gesagt, aber ich steige da nicht so ganz durch.“ „Shimar hat sich auf einem Planeten das genesianische Virus geholt.“, erklärte das Schiff. „Ich werde ihn direkt auf die Krankenstation beamen. Ishan weiß bereits Bescheid. Außerdem haben wir das kleine Einhorn bei uns. Sehen Sie die genesianische Rettungskapsel, die ich in meinem Traktorstrahl habe? Die Kleine ist dort drin. Wir hatten keine andere Möglichkeit, sie zu transportieren. Mein eigener Frachtraum ist dafür zu klein. Shimar hat sie stabilisiert, aber es wäre auch gut, wenn sie weiterhin von Expertenhand betreut würde.“ „Warte mal, IDUSA.“, hakte Zirell nach. „Warum musste er sie stabilisieren?“ „Wir sind einem genesianischen Clan begegnet, der sie angegriffen hat. Es sieht so aus, als sei es der Clan gewesen, dem sich Valora als Göttin verkauft hat. Die haben mit Rosannium geschossen. Ich konnte sie vertreiben und Shimar hat sich um das Einhorn gekümmert, das auf dem Planeten gelandet war. Es ist noch sehr jung und sehr ängstlich. Außerdem hat es seine Kräfte noch nicht wirklich unter Kontrolle. Es ist also nicht auszuschließen, dass es vielleicht gar nicht dorthin wollte, wo wir es gefunden haben. Ich selbst werde mich auch einer genauen systemischen Analyse durch Technical Assistant O’Riley unterziehen müssen, fürchte ich. Die Tatsache, dass der Planet, auf dem wir waren, ein genesianischer Männerfriedhof war, ist meinen Sensoren nämlich gänzlich entgangen.“

„Das muss nicht unbedingt ein technischer Fehler deinerseits gewesen sein, IDUSA.“, mischte sich Maron ein, dem eine Idee gekommen war. „Es könnte auch sein, dass ihr, weil ja andere Dinge Priorität hatten, das einfach übersehen musstet. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit.“

Der Erste Offizier wandte sich wieder der IDUSA-Einheit der Station zu: „IDUSA, zeig mir den aktuellen Grenzverlauf zwischen dem Gebiet der Föderation und dem der Genesianer! Gib mir die Koordinaten aller unbewohnten Planeten dort! Lege das Bild auch auf die laufende SITCH-Verbindung!“ „Wie Sie wünschen.“, sagte der Rechner der Station und führte Marons Befehle aus.

Der Agent wandte sich wieder an Shimars Schiff: „Erkennst du einige der Koordinaten, IDUSA?“ „Ja, Agent.“, sagte das Schiff. „Auf einem von diesen Planeten waren wir. Er liegt im Niemandsland und kann daher niemandem wirklich zugeordnet werden. Die Genesianer und die Föderation hätten theoretisch gleiche Rechte an ihm. Sie wissen, dass die Grenzverläufe aufgrund physikalischer Tatsachen wie Verschiebungen von Galaxien und somit auch von Planeten ab und zu angepasst werden müssen und gerade jetzt …“ „Ja, gerade jetzt, IDUSA.“, sagte Maron. „Gerade in unserer gegenwärtigen Situation muss das quasi jede Woche einmal passieren.“ „Sie denken also, Shannon kann sich die Analyse sparen?“, fragte das Schiff. „Sie kann sich ruhig wichtigeren Dingen zuwenden!“, sagte Maron. „Es ist nicht deine Schuld. Du funktionierst korrekt. Nur deine Umgebung tut das im Moment nicht.“ „Vielen Dank, Agent.“, sagte das Schiff. Dann beendete sie die Verbindung.

Zirell hatte ihren Ersten Offizier stolz angesehen. „Donnerwetter, Maron!“, sagte sie. „Du hast dich gerade selbst übertroffen! Diese Idee hätte ich dir wahrlich nicht zugetraut!“ „Ich mir selbst auch nicht.“, sagte der Demetaner, der sich wohl gerade auch vor sich selbst erschrocken hatte. „Aber wie sagt ein terranisches Sprichwort doch so schön? Ein blinder Hahn findet auch mal ein Korn.“ „Na, das war aber schon ein ganzes Weizenfeld!“, lobte Zirell stolz. „Du hättest damals auf Picards Enterprise dabei sein müssen, als Data das erste Mal ein Spiel gegen einen Menschen verloren hatte und an seinen Fähigkeiten zweifelte. Vielleicht hättest du …“ „Ach du.“, lächelte Maron, der genau gemerkt hatte, dass sie einen Scherz gemacht hatte. Zu dem Zeitpunkt, vor etwa 800 Jahren, war er schließlich noch gar nicht geboren und an einen Kontakt zwischen Demeta und der Föderation war auch noch nicht zu denken.

Die ältere Tindaranerin stand von ihrem Platz auf. „Du hast das Kommando, Maron!“, sagte sie. „Ich gehe auf die Krankenstation und rede mit Ishan.“ „In Ordnung.“, sagte der Agent. „Ich werde mich inzwischen mal mit den Vendar auf New-Vendar-Prime unterhalten. Vielleicht weiß einer von denen ja über Einhörner Bescheid.“ „Gute Idee!“, sagte Zirell und verließ den Raum.

Wie angekündigt hatte IDUSA Shimar direkt auf die Krankenstation gebeamt. Dort hatten Ishan und Nidell auch gleich damit begonnen, sich um ihn zu kümmern.

„Es sieht nicht sehr gut für ihn aus, Ishan.“, sagte Nidell traurig nach einem Scan mit dem Erfasser. „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte der Androide mit dem aldanischen Bewusstsein nüchtern. „Meinen Berechnungen nach wird er in den nächsten fünf Minuten sterben, wenn nichts herausragendes mehr passiert und mir eventuell noch ein Heilmittel einfällt. Aber das Problem ist, dass die Viren nun einmal seine Zellen angreifen, weil er nun mal ist, was er ist. Ich kann ihn nun einmal das männliche Geschlechtschromosom nicht wegbehandeln. Aber ich finde sehr gut, wie professionell du mit der Situation umgehst und dass selbst du so ein nüchternes Urteil gefällt hast.“ „Danke für das Lob, Ishan.“, sagte Nidell und lächelte ihn an. „Aber ich frage mich, wie wir das Zirell erklären sollen.“

Wie auf Stichwort betrat die Kommandantin die Krankenstation. Sofort stellte sie sich vor Ishan hin und forderte: „Bericht!“ „Leider können Nidell und ich dir keine Hoffnungen machen, Zirell.“, sagte der Arzt sachlich. „Meinen Berechnungen nach wird Shimar in den nächsten fünf Minuten sterben.“ „Kannst du nicht …?“, begann Zirell, die jetzt sichtlich mit ihrer Fassung kämpfte, eine Frage. „Nein, das kann ich nicht.“, sagte Ishan sachlich, aber bestimmt. Schon als Aldaner hatte er immer sehr sachlich und besonnen, ja fast vulkanisch, gedacht, und gehandelt, was für seine Rasse ja ganz normal war. Aber jetzt, als Androide, fiel ihm das noch viel leichter. Er war in gewisser Hinsicht in einer Zwickmühle. Als Arzt wusste er, dass er gegenüber Freunden und Angehörigen seiner Patienten seine Worte sehr sorgfältig wählen musste, aber er wusste auch, dass Zirell es nicht mochte, wenn man um den heißen Brei herumschlich wie eine Katze und von ihm würde sie das schon mal gar nicht erwarten. Er wusste also, dass er genau das Richtige getan hatte.

„Erkläre mir doch bitte noch mal dieses Virus genauer, Ishan.“, sagte Zirell. „Warum greift es nur Männer an?“ „Weil Männer das Y-Chromosom besitzen.“, sagte Ishan. „Das ist der Faktor, auf den die Viruszellen Appetit haben und von dem sie leben. Ich kann nicht betroffen werden, da mein Körper keine DNS in dem Sinne hat. Mein Körper ist eine Maschine, die von Jenna aus replizierten Androiden-Teilen zusammengebaut wurde.“ „Das ist mir bekannt.“, sagte Zirell. „Ich war ja selbst bei deiner Aktivierung dabei. Ich weiß auch, dass Polymere und Metall keine humanoide DNS sind, weil sie ganz anders zusammengesetzt sind. Das fängt meines Wissens schon auf der molekularen Ebene an. Wenn nicht sogar auf der atomaren. Was soll da erst auf Zellebene geschehen? Du sagst also, es gibt kein Heilmittel?“ „Ich kann nicht das aus Shimar herausnehmen, was er ist.“, sagte Ishan. „Verstehe.“, sagte Zirell. „Er ist nun einmal männlich und daran lässt sich nicht drehen.“

Ihr Blick war auf Nidell gefallen. „Warum arbeitet sie mit Handschuhen, wenn das Virus doch nur Männer befällt?“, fragte Zirell. „Weil auch sie theoretisch zur Überträgerin werden könnte.“, antwortete der Arzt. „Stell dir vor, sie berührt Shimar und gibt danach Joran die Hand.“ „OK, OK.“, sagte Zirell etwas erschrocken. „Ich verstehe. Aber das bedeutet dann wohl auch, dass selbst ich mich Shimar nicht nähern darf.“ „Zumindest nicht, ohne dir das hier über deine Uniform zu ziehen.“, sagte Ishan und reichte ihr einen Seuchenanzug. „Na, dann gehe ich mich mal umziehen.“, sagte Zirell und drehte sich zum Gehen, um sich in einem anderen Zimmer umzuziehen.

Im gleichen Augenblick aber begannen an dem Biobett, auf dem Shimar lag, sämtliche Lämpchen rot aufzuleuchten und die Alarme piepten. Gleichzeitig verlangte Nidells glockenhelle Stimme nach Ishan. Dieser machte sich sofort auf den Weg, aber es war zu spät. Er sah Nidell nur noch an, die mit einem Erfasser neben Shimars Bett stand und darauf deutete. Dann nickte er nur noch langsam, aber deutlich. „Ich nehme an, ich muss hier niemandem mehr die Hand im Todeskampf halten.“, sagte Zirell. „Das ist korrekt.“, antwortete Ishan. Sein Körper wird bald kristallisieren. Dann wird es besser sein, wenn wir ihn schnell beerdigen.“ „Ich denke aber, er sollte trotz allem eine militärische Beerdigung bekommen.“, sagte Zirell und sah ihn fragend an. „Du meinst also ein Astronautengrab.“, sagte Ishan. „Nun, dem steht nichts im Wege. Wenn er selbst tot ist, dann werden auch die Viren in seinem Körper keine Nahrung mehr finden und buchstäblich verhungern. Ein Kristall hat ja auch keine menschliche DNS. Also können wir ihn ruhigen Gewissens im Weltraum bestatten.“

Er hatte nicht bemerkt, dass er mit seinem vorletzten Satz bereits in die richtige Richtung zum Finden eines Heilmittels unterwegs gewesen war. Die weiteren Schritte sollte aber später jemand ganz anderes tun.

Zirell war aufgefallen, dass Nidell leise zu weinen und ein tindaranisches Gebet zu sprechen begonnen hatte. „Ich kümmere mich um deine Assistentin.“, flüsterte sie Ishan zu, der ihr nur zunickte. Dann kniete sie sich neben die ebenfalls vor Shimars Bett kniende Nidell und fiel ebenfalls in das Gebet, das sie auch gut kannte, ein.

Maron hatte inzwischen versucht, mit den Vendar auf New-Vendar-Prime Kontakt aufzunehmen. Umso erstaunter war er, als er statt des Gesichtes von Sianach das von Darell auf dem Schirm hatte. „Was tust du in Sianachs Haus, Darell?“, fragte der Demetaner erstaunt. „Ich muss dich enttäuschen.“, sagte das Regierungsoberhaupt der Tindaraner. „Du bist nämlich gar nicht bei deinen Freunden auf New-Vendar-Prime gelandet, sondern im tindaranischen Regierungsgebäude auf Tindara.“ „Wie kann das sein?“, fragte Maron. „Ich habe IDUSA doch eindeutig das Rufzeichen von Sianach eingegeben.“ „IDUSA trifft ja auch keine Schuld.“, sagte Darell. „Alle Ingenieure, die im Oberkommando sitzen, überschreiben automatisch alle Sicherheitskennungen der untergeordneten Techniker. Auch Shannon oder gar Jenna haben nicht verhindern können, was wir tun mussten.“ „Jetzt werde bitte mal konkret, Darell.“, sagte Maron, dem die Situation langsam etwas merkwürdig vorkam. „Was ist denn überhaupt geschehen und was musstet ihr denn so Unangenehmes tun?“ „Meine Kollegen und ich haben eine Kontaktsperre verhängt.“, sagte Darell. „Kein Tindaraner, ob nun zivil oder militärisch, darf mehr Kontakt zu den Vendar auf New-Vendar-Prime aufnehmen.“ Sie hatte das gesagt, als sei es das Normalste der Welt und als sei sie sogar froh darüber gewesen.

Der Erste Offizier musste erst einmal schlucken. Das, was er gerade gehört hatte, konnte und wollte er nicht glauben!

„Wie in aller Götter Namen ist es denn dazu gekommen?!“, fragte er schließlich, nachdem er mühsam seine Fassung wiedergefunden hatte. „Denkst du nicht, dass ihr da einen gewaltigen Fehler macht, Darell?!“, fragte Maron. „Die Vendar haben Sytania gedient und wissen mehr über sie, als wir im Laufe der ganzen Jahre zusammengetragen haben! Warum also auf einmal diese Aktion?!“ „Wenn ich ehrlich sein darf, Maron.“, setzte die sichtlich ertappte Darell an. „Ja, ich bitte darum!“, sagte Maron fest und ihr ins Wort fallend. „Ich gebe es ja schon zu.“, sagte Darell mit einem beschwichtigenden Blick. „Dann liegt es nur daran, dass wir eure Berichte gelesen haben. Daraus geht hervor, wie leicht es ist, einen Vendar unter den Bann zu stellen. Wir müssen befürchten, dass auch Sytania dies tun könnte. Jedenfalls haben meine Kollegen allesamt diese Befürchtung. Auch wir haben eine parlamentarische Demokratie. Ich musste mich also der Mehrheit beugen. Jetzt haben unsere Techniker ein Programm an alle IDUSA-Einheiten in Reichweite geschickt, das dafür sorgt, dass jeder, der mit New-Vendar-Prime Kontakt aufnehmen will, sofort bei einer Stelle unserer Regierung landet. Kontakt zu einem so gefährlichen Faktor zu haben, wird von meinen Kollegen sogar als Hochverrat angesehen.“

Ihre Äußerungen hatten immer mehr Empörung bei Maron ausgelöst, die jetzt in ihm emporstieg. Jahre lang hatte die Regierung der Tindaraner den Vendar vertraut und jetzt das! Er musste sich gewaltig zusammennehmen, um nicht loszuwettern. Die einzige Begründung, die ihm dazu einfiel, war, dass sie vielleicht auf Grund der gesamten interdimensionalen Situation irgendwie kalte Füße bekommen hatten und nicht mehr so genau wussten, was sie taten. Dass sie sich da selbst einen wichtigen Ast absägten, war dem Ersten Offizier längst klar. Nur konnte er es ihr nicht so offen ins Gesicht sagen. Die einzige, die das in seinen Augen durfte, da sie ja mit Darell befreundet war, das war Zirell. Auf sie würde er jetzt auch warten und sich etwas einfallen lassen, warum er das Gespräch dringend beenden musste.

Er räusperte sich und nahm die Verbindung erst mal wieder auf. Dann sagte er: „Dabei wollte ich gar nichts Verfängliches mit den Vendar besprechen. Es ging eher um einen humanitären Akt, wobei das hier streng genommen gar nichts mit einem Menschen, sondern eher mit einem kleinen armen kranken bedauernswerten Einhorn zu tun hat, das wir auf unserer Station haben. Es muss dringend behandelt werden und wir wissen nicht wie. Du kannst doch nicht so herzlos sein, und uns diese Informationsquelle versagen.“ „Warte bitte, Maron.“, sagte Darell und legte ihn in die Warteschleife.

Wenig später kam sie wieder zu ihm zurück. Aber leider hatte sie keine sehr erbaulichen Informationen für ihn. „Es tut mir leid.“, sagte sie. „Ich darf keine Ausnahme machen und unsere Techniker sagen, eine solche ist auch nicht vorgesehen. Du wirst dir deine Informationen an anderer Stelle besorgen müssen, Maron.“ „Das werde ich auch tun.“, sagte der Demetaner und beendete das Gespräch. Er würde von dieser Ungeheuerlichkeit natürlich auch Zirell in Kenntnis setzen. Sie war es schließlich, die ihm aus dieser Situation wieder heraushelfen musste, aber er wusste auch, wie er auch sonst noch an diese Information herankommen konnte. Darell benötigte er dafür nicht und das wollte er ihr jetzt auch zeigen.

Auf der virtuellen Konsole vor seinem geistigen Auge betätigte er den Knopf für die Sprechanlage, der ihn direkt mit dem Rufzeichen des Maschinenraums verband. Am anderen Ende der Verbindung meldete sich Shannon: „O’Riley hier!“ „O’Riley, hier spricht Agent Maron.“, sagte dieser. „Kann ich mich mit Shimars Schiff unterhalten?“ „Aber gewiss können Sie das, Sir.“, sagte die blonde Irin. „Wieso sollten Sie das denn nich’?“ „Weil Sie vielleicht gerade mit IDUSAs Wartung beschäftigt sein könnten, Shannon.“, antwortete der Erste Offizier. „Ihre Vorgesetzte hat mir mal erklärt, dann könne sie nicht so, wie sie vielleicht soll, weil Sie die Finger auf den entsprechenden Dateien haben.“ „das is’ schon richtig, Agent.“, bestätigte O’Riley. „Da haben Sie sehr gut aufgepasst. Aber im Moment kann ich Sie beruhigen. Shimars Schiff und ich, wir sind fertig miteinander.“ „Also gut, Shannon.“, sagte Maron. „Dann sagen Sie ihr bitte, ich komme her, um sie zu vernehmen.“ „OK.“, lächelte die technische Assistentin. „Aber Sie können doch auch direkt mit ihr SITCHen.“ „Ach ja.“, sagte Maron. „Danke, O’Riley.“ Damit beendete er das Gespräch, aber nur um sich gleich danach durch den Rechner der Station mit dem Rufzeichen von Shimars Schiff verbinden zu lassen.

„Was verschafft mir die Ehre?“, wollte der Avatar wissen. „Was genau hat dein Pilot getan, um das Einhorn zu stabilisieren?“, fragte der Agent. „Shimar hat Energie aus dem Universum in sein telepathisches Zentrum aufgenommen und sie dann so umgewandelt, dass sie für das Einhorn verträglich war.“, antwortete das Schiff. „Könnte das jeder Tindaraner?“, fragte Maron. „Mit Sicherheit.“, sagte IDUSA. „Sehr gut.“, sagte Maron. „Dann weiß ich ja vielleicht schon, was wir tun können. Vielen Dank, IDUSA.“ „Gern geschehen, Agent.“, sagte das Schiff und beendete ihrerseits die Verbindung.

Zufrieden lehnte sich Maron zurück. Er hatte ja doch noch einiges erreichen können, trotz der Pleite, mit der dieser Tag angefangen hatte. Er wusste aber auch, dass es da noch Einiges gab, über das er mit Zirell reden musste.

Die Besagte hatte auch bald darauf die Kommandozentrale betreten. Verständlicherweise hatte sie ein sehr betretenes Gesicht gemacht. „Was ist los, Zirell?“, fragte der noch ahnungslose Maron.

Die ältere Tindaranerin gab einen schweren Seufzer von sich und setzte sich auf ihren Platz neben ihren Ersten Offizier. Dann sagte sie ernst und traurig: „Shimar ist tot.“ „Was?!“, entfuhr es Maron. „Ich meine, IDUSA hat gesagt, dass es schlecht um ihn steht, aber so schlimm?“ „Er hat sich das genesianische Virus eingefangen.“, sagte Zirell. „Das weißt du. Ishan konnte nichts mehr für ihn tun. Er konnte nur froh sein, dass er nichts mehr von seinem eigenen Leiden mitbekommen hat. IDUSA muss ihn mit Alpha-Wellen vollgepumpt haben bis zum Anschlag. Aber das war auch das Einzige, was sie tun konnte. Das wird dafür gesorgt haben, dass er den eigenen Schmerz nicht gespürt hat, weil er tief und fest schlief. So hat er sicher noch nicht einmal den eigenen Tod bemerkt. Es ging alles sehr schnell, Maron. Sehr schnell.“ „Dann werden wir wohl bald eine Beerdigung organisieren müssen.“, sagte der Erste Offizier. Zirell nickte niedergeschlagen. „Das schon.“, sagte sie. „Nur werden wir Allrounder Scott wohl kaum erreichen können. Sie war immerhin seine Freundin und noch mehr angehörige hat er nicht. Ishan hat übrigens trotz des Virus keine Bedenken gegen ein Astronautengrab. Er sagt, bis wir Shimar beerdigen werden, werden die verbliebenen Viren keine Nahrung mehr in seinem Körper finden, weil der längst kristallisiert ist. Sie werden buchstäblich verhungert sein, bis jemand ihn findet, falls jemand ihn finden sollte und Interesse an ihm hat.“ „Du denkst an Cobali?“, fragte Maron. „Da kann ich dich beruhigen, denke ich. Die sind noch nicht über die Grenzen unseres Universums hinaus tätig geworden, soweit ich weiß.“ „Die!“, rief Zirell mit viel Empörung in der Stimme aus. „Die sind noch das Harmloseste, an das ich denke! Ich weiß, dass sie mit tindaranischen Körpern nichts anfangen können. Aber überleg mal! An wen könnte ich noch denken?!“

Maron hatte den Kopf schräg in die Hände gelegt und mit dem Nachdenken begonnen. Aber es wollte ihm wirklich niemand einfallen. „Ich komme nicht drauf, Zirell.“, sagte er und sah sie Hilfe suchend an. „Na, denk doch mal an Sytania.“, half sie ihm auf die Sprünge. „Sytania?“, fragte Maron. „Was soll denn Sytania mit Shimars totem Körper wollen? Kannst du mir das vielleicht mal verraten?“ „Sie könnte verhindern wollen, das wir oder andere unserer Freunde ihm habhaft werden, um Shimar gegebenenfalls aus der Dimension der Toten zurückzuholen. „Dass so etwas unter gewissen Umständen möglich ist, hat sich ja schon gezeigt und Sytania weiß genau, dass wir wissen, wie das geht! Das wäre ihren Plänen nicht sehr zuträglich, fürchte ich! Aber, falls ich mich irren sollte, oder du meinen Theorien nicht traust, können wir ja gern mit Sianach und ihren Leuten auf New-Vendar-Prime reden! IDUSA, verbinde mich mit …“

Sie konnte ihren Satz nicht beenden, denn Maron hatte ihr blitzschnell die Hand auf den Mund gepresst. „Halt, Zirell!“, sagte er. „Du willst doch nicht als Hochverräterin enden!“

Er lockerte seinen Griff wieder und ließ zu, dass sie sich befreite. „Was zur Hölle sollte denn das bitte, Maron?!“, fragte sie streng und schnappte nach Luft. „Ich habe nur verhindert, dass du etwas tust, auf das unter diesen Umständen vielleicht die standrechtliche Tötung stehen könnte.“, sagte Maron ruhig. „Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.“, sagte Zirell. „Sianach und ihre Leute sind unsere Freunde! Sie dienen schon lange nicht mehr Sytania! Also, was soll das?!“ „Deine Regierung sieht das im Moment aber leider ganz anders.“, sagte Maron. „Sie sagen, die Gefahr wäre viel zu groß, dass Sytania sie ebenfalls unter den Bann stellen kann, genauso, wie es Tolea mit Diran gemacht hat. Die Konsequenzen daraus kennst du ja.“ „Daher weht also der Wind.“, sagte Zirell. „Sie haben den Bericht über Diran gelesen und jetzt glauben sie …“ „So abwegig ist das aber auch gar nicht, Zirell.“, sagte der Demetaner. „Bedenke bitte, zu was Sytania in der Lage ist. Sie müsste dazu noch nicht einmal in der Nähe der Vendar sein. Sie könnte das auch ganz bequem von ihrer Dimension aus erledigen. Jedenfalls hat mir Darell mitgeteilt, dass die Vendar nicht mehr zu den Freunden der Tindaraner zählen, aber auch nicht direkt zu unseren Feinden. Sie werden erst einmal isoliert, bis ihr Status endgültig geklärt ist. Bis dahin besteht Kontaktsperre. Das bedeutet wohl auch, wir werden Joran auf seinen Planeten schicken müssen, wenn er zurückkommt. Jenna hat, weil sie Terranerin ist und noch nicht einmal aus unserer Dimension kommt, sicher einen Sonderstatus und darf entscheiden, ob sie ihm folgen oder bei uns bleiben will. Zumindest verstehe ich das so.“ „Bezüglich Jenna wirst du Recht haben.“, sagte Zirell. „Aber ich werde erst einmal ein ernstes Wort mit Darell reden. Sie hat den Vendar Jahre lang vertraut und jetzt auf einmal hat sie so ein Problem mit ihnen. Das kann doch nicht wahr sein! Merkwürdig, dass ihr das erst jetzt einfällt.“ „Vielleicht hat der Bericht über Diran sie erst jetzt gegenüber dieser Tatsache sensibilisiert.“, antwortete Maron. „Du musst zugeben, dass es nicht ganz abwegig ist.“ „Ja, ja.“, sagte Zirell fast etwas wütend. „Aber trotzdem empfinde ich ihre Reaktion als sehr überzogen! Übernimm du bitte die Organisation von Shimars Beerdigung. Ich habe im Moment dafür keinen Nerv! Nein, so etwas Unerhörtes! IDUSA, gib mir sofort Darell über ihren privaten Kanal. Was ich ihr sagen will, werde ich ihr als ehemalige Klassenkameradin und Schulfreundin sagen und nicht als ihre Untergebene des tindaranischen Militärs!“ „Oh wie hilfreich können doch manchmal Beziehungen sein.“, sagte Maron zynisch und grinste sie an, bevor er den Raum verließ, um sie nicht zu stören und in aller Ruhe an einem anderen Ort mit der Organisation von Shimars Begräbnis beginnen zu können.

 

Kapitel 70: Der Fehler der Tindaraner

von Visitor

 

Wie Recht Zirell und Maron mit ihrem Gespräch über Sytanias Motivation hatten, sollte sich zur gleichen Zeit im Dunklen Imperium herausstellen. Die Königstochter und ihre Vertraute Cirnach, die ihren Mann Telzan immer noch vertrat, saßen vor dem Kontaktkelch und hatten sich das Geschehen angesehen. „Ach wie wunderschön, Cirnach!“, stellte Sytania fest und warf der Vendar einen seligen Blick zu. „Damit haben wir einen Widersacher weniger und die Tindaraner haben sich auch noch selbst ein Ei ins Nest gelegt.“ „Da wäre ich mir unter diesen Umständen noch nicht so sicher, Hoheit.“, sagte Cirnach. Dabei betonte sie das „Noch“ sehr stark. „Was meinst du damit?“, fragte Sytania. „Wir müssten dafür sorgen, dass sie Shimars Körper nicht mehr gebrauchen können. Erinnert Euch bitte, was Euch Allrounder Scotts Verbindungen das letzte Mal eingebracht haben. Wir dachten auch, ihr Tod sei endgültig, aber …“ „An diese schmachvolle Zeit brauchst du mich nicht zu erinnern!“, sagte Sytania wütend. „Aber sag mir. Du hast doch bestimmt schon eine Idee!“ „In der Tat, Milady.“, sagte Cirnach. „Ich habe da einen bestimmten Ferengi im Auge, der mit Sicherheit unseren Auftrag annehmen wird, wenn Ihr ihn nur fürstlich genug dafür bezahlt. Deshalb eignen sie sich ja so gut als Auftragsverbrecher, weil sie bei entsprechender Bezahlung keine Fragen stellen. Er hat außerdem sicher noch die Schlappe vom letzten Mal in Erinnerung und wird sicher auf Rache sinnen. Er soll sich den Körper holen, wenn er im Weltraum begraben wird und ihn von mir aus an das nächste Schiff der Cobali zu verscherbeln versuchen! Dass sie nichts damit anfangen können, muss ihn ja nicht interessieren. Hauptsache er kriegt sein Geld. Vielleicht trifft er ja sogar auf Cobali, die dumm genug sind, zu glauben, sie könnten Shimars Körper benutzen. Wie die sich dabei fühlen, wenn sie feststellen, dass es doch nicht geht, ist ihm und uns doch egal.“ „Ich weiß.“, sagte Sytania und grinste. Ihr Plan hatte ihr immer besser und besser gefallen.

„So machen wir es, Cirnach!“, Sagte Sytania und schlug sich auf die Schenkel. „Und ich glaube, ich kenne sogar den Namen des Ferengi, den du im Auge hast. Er lautet Gorg, nicht wahr?“ „Woher wisst Ihr, Milady.“, fragte Cirnach erstaunt. „Ihr habt Eure seherischen Kräfte nicht benutzt. Das hätte ich gespürt.“ „Du hast mir genug Hinweise gegeben, dass ich es auch so herausfinden konnte, meine Liebe.“, sagte Sytania. „Ich bin ja auch nicht dumm. Aber genauso werden wir es machen. Schicke am besten deinen Mann mit einer kräftigen Anzahlung von mir zu Gorg.“

Damit gab es einen schwarzen Blitz und vor den Frauen stand eine Schatztruhe aus braunem Eichenholz mit einem schweren eisernen Schloss, in dem ein reich verzierter Schlüssel steckte. Die Truhe war etwa fünf Meter lang, drei Meter breit und vier Meter hoch. Sie war mit Blöcken von in Gold gepresstem Latinum bis unter den Deckel angefüllt. „Sag deinem Mann, er soll sie auf sein Schiff beamen und dann abfliegen! Du wirst ja kaum selbst hinfliegen wollen. Du weißt ja, wie Ferengi zu Frauen stehen.“, befahl die Prinzessin und deutete auf die Truhe. „Ja, Hoheit.“, erwiderte Cirnach und verließ hastigen Schrittes den Raum.

Sedrin und ich waren ein Stück vorausgegangen. Jaden würde mit dem Gepäck nicht so schnell hinterherkommen, das wussten wir beide, aber er hatte es ja selbst angeboten. Mein Angebot, mein Gepäck selbst zu nehmen, hatte er ja ausgeschlagen. Ich musste zugeben, dass er Recht gehabt hatte. In der Schleuse zum Transportbereich war es mit zwei Personen schon sehr eng. Wenn dann auch noch zwei Koffer dabeistanden, dann konnte es wirklich schon kriminell werden. Da Sedrin mich aber weiterhin am Arm halten musste, oder besser ich mich bei ihr, würde es aber wohl notwendig werden, dass wir zu zweit in die Schleuse gingen.

Ich war plötzlich stehengeblieben und hatte mich an ihrem Arm festgekrallt. Dann hatte ich zu zittern begonnen. „Ruhig, ganz ruhig.“, sagte Sedrin souverän und vermittelte mir dabei den Eindruck, die Situation im Griff zu haben. Dass ich nicht in Ordnung war, war offensichtlich, aber dass ihre Ahnungen so weit gehen würden, wie sie eben gingen, ahnte ich dann doch nicht.

„Dort vorn ist eine Bank.“, sagte sie und zog mich zu dem öffentlichen Sitzmöbel. Hier setzten wir uns hin. Jaden, der es inzwischen geschafft hatte, zu uns aufzuschließen, rief sie nur zu: „Warte bitte, Jineron!“

Huxley stellte die Koffer ab und setzte sich zu uns. „Hat sie jetzt auch schon am helllichten Tag Anfälle, Jinya?“, wandte er sich seiner Frau zu. „Ich denke nicht.“, sagte Sedrin, die wohl in diesem Moment schmerzlich ihren Erfasser vermisste. Aber sie wollte sich ja auch an die Regeln halten, die Cupernica für unseren Kuraufenthalt festgelegt hatte. „Was hat sie dann?“, fragte Jaden erneut nach. „Sie.“, mischte ich mich ein. „Kann auch sehr gut für sich selbst sprechen. Shimar ist tot. Ich habe ihn gerade sterben sehen.“ Ich ließ niedergeschlagen den Kopf sinken. „Wieso haben Sie …?“, setzte der Amerikaner zu einer Frage an. „Die Schutzverbindung, Sir.“, erinnerte ich ihn. „Sie wissen doch, was passiert, wenn ein Tindaraner eine Beziehung mit jemandem eingeht. Aber mit seinem Tod ist auch die erloschen. Ich fühle mich gerade etwas allein und bin froh, dass ich Sie beide habe.“ „Ach du Scheiße!“, fluchte Jaden. „Hat das Konsequenzen für unseren Urlaub?“ „Das werde ich herausfinden.“, sagte Sedrin und stand auf. Dann zeigte sie nach links und sagte: „In dieser Straße ist ein öffentliches Sprechgerät. Von dort werde ich mit Cupernica reden und nachfragen. Bleib du bitte bei ihr und lenk sie ab!“ Damit deutete sie auf mich und dann schritt sie von dannen.

Hilflos saß er neben mir und starrte mich an. Jedenfalls hatte ich diesen Eindruck. „Wie soll ich denn …?“, fragte er schließlich halblaut. Er war nie gut in so etwas gewesen. Er war die Sorte Amerikaner, die immer noch alles gern mit dem Holzhammer löste. Sensibilität lag ihm nicht. Er war wohl eindeutig in der falschen Zeit geboren. Darin ähnelte er meiner Meinung nach sehr Captain Archer.

Ich war es schließlich, die das Gespräch auf ein unverfänglicheres Thema lenkte: „Heute ist doch der Tag der Neuwahl. Haben Sie schon Ihre Stimme abgegeben, Commander?“ „Ja, das habe ich, Allrounder.“, sagte er. Dann grinste er hörbar und fügte hinzu: „Meine Frau und ich haben es gemeinsam gemacht. In einer Ehe hat man ja schließlich keine Geheimnisse voreinander. Aber dabei is’ was ganz Komisches passiert. Der Computer hat gesagt, dass unsere Stimmen ungültig wären, wenn wir die Wahlformulare so abschicken würden, weil wir alle Kästchen angeklickt hätten. Er wollte wissen, ob wir es denn trotzdem tun wollten. Das war übrigens ihre Idee. Wir haben dann beide „ja“ gesagt.“ „Hm, komisch.“, grinste ich zurück. „Wissen Sie, Sir, das Gleiche ist mir heute Morgen auch passiert. Seltsam, nicht?“ Er gab einen Laut von sich und grinste dabei. Der Laut hatte mich an eine Figur aus einer bekannten Kinderserie erinnert, die das auch immer tat, wenn sie lachte. Sicher hatte Jaden das aufgegriffen und es so gemacht, damit ich in jedem Fall mitbekam, dass er lachte. „Ich wusste, wir verstehen uns.“, sagte er. „Nur war ich nie wirklich gut in Politik und hatte daher wohl nicht aufgepasst, als es darum ging, wie man auch auf legalem Weg eine Wahl boykottieren kann. Aber Sedrin weiß da ja Bescheid und Sie ja sowieso.“ Ich grinste ihn ebenfalls an. „Wenn das auch noch genug andere tun, dann hat sich das was mit der Bildung einer neuen Regierung.“, flüsterte ich ihm zu. Er führte meine rechte Hand auf seinen Hinterkopf und nickte.

Sedrin hatte das öffentliche Sprechgerät aufgesucht, die Tür der Kabine hinter sich vom Computer verschließen lassen und dann das Rufzeichen von Cupernicas Praxis aus dem Menü des Ärzteverzeichnisses von Little Föderation herausgesucht und bestätigt. Merken hatte sie es sich noch nie wirklich können.

Oxilon war derjenige, der dort das Gespräch entgegennahm. „Warum rufen Sie uns von einer öffentlichen Sprechstelle.“, fragte der verwunderte Talaxianer. „Weil wir gerade auf dem Weg in den Urlaub sind.“, antwortete die Agentin. Allerdings gibt es Komplikationen mit Allrounder Scott. Ich muss dringend Ihre Vorgesetzte Sprechen, Mr. Oxilon!“ „Sofort, Agent!“, sagte Oxilon und verband sie mit Cupernica.

„Was ist geschehen, Agent?“, fragte die Androidin, die von ihrem Assistenten lediglich darüber informiert worden war, dass die Angelegenheit wohl dringlicher Natur sein musste. „Es geht um den Zustand von Allrounder Scott.“, sagte Sedrin. „Ich denke, er hat sich verschlechtert. Jedenfalls wollte ich darüber mit Ihnen reden, bevor mein Mann oder ich etwas Falsches tun.“ „Sehr löblich.“, erwiderte Cupernica. „Aber ich kann die Situation erst dann wirklich beurteilen, wenn Sie mich ins Bild setzen. Also, Agent. Was ist geschehen?“ „Sie hat Shimar sterben sehen.“, sagte Sedrin. „Jedenfalls hat sie mir das so gesagt. Die Schutzverbindung zwischen ihnen ist damit auch erloschen. Sie fühlt sich gerade sehr einsam, sagt sie. Sie wird sicher Gelegenheit benötigen, um Shimar zu trauern. Dürfen wir unseren Weg in den Urlaub fortsetzen oder nicht?“

Es vergingen einige Sekunden, die Cupernica wohl genutzt hatte, um in ihrer Datenbank nach vergleichbaren Fällen zu suchen. Da so etwas aber vorher nie aufgetreten war, fand sie nichts. Sedrin wusste, was die Pause bedeutete und hatte sie geduldig abgewartet.

Cupernica hatte die Verbindung wieder aufgenommen. „Es tut mir leid, dass Sie warten mussten, Agent.“, sagte sie. „So schlimm war das nicht, Cupernica.“, sagte Sedrin. „Aber was hat Ihre Suche denn nun ergeben?“ „Leider hat sie gar nichts ergeben, Agent.“, sagte die Androidin. „So ein Fall ist in keiner Datenbank verzeichnet. Aber auch in Mr. O’Gradys Haus gibt es ein Sprechgerät für Gäste. Halten Sie mich am besten mit dessen Hilfe einmal täglich auf dem Laufenden! Seien Sie und Ihr Mann bitte auch für den Allrounder da, wenn sie ein erhöhtes Gesprächsbedürfnis entwickeln sollte! Welche Auswirkungen der Tod Shimars auf den eigentlichen Grund für die Kur haben wird, kann ich jetzt noch nicht beurteilen. Dazu benötige ich mehr Daten. Aber die werden Sie mir ja geben.“ „Sicher, Cupernica.“, sagte die demetanische Agentin.

Sie beendete die Verbindung und hängte das Mikrofon wieder ein, um dann zu ihrem Mann und mir zurückzukehren. „Was hat sie gesagt, Jinya.“, fragte Jaden. „Cupernica sagt, wir dürfen unseren Weg fortsetzen. Aber wir müssen Betsy engmaschig überwachen und den Scientist durch tägliche Berichte auf dem Laufenden halten. Das werde ich übernehmen.“ „Also gut.“, sagte Jaden, stand auf und wandte sich wieder den Koffern zu. Sedrin bot mir ihren angewinkelten Arm, auf den ich meine Hand legte, an und dann zogen wir weiter.

 

Kapitel 71: Eine hilfreiche Begegnung

von Visitor

 

Shimar hatte eine für ihn sehr merkwürdig anmutende Sache gespürt, die er nicht einordnen konnte. Er hatte das Gefühl, aus seinem Körper ausgetreten zu sein, denn er hatte sich selbst gesehen und es hatte für ihn ausgesehen, als sei er von sich selbst aufgestiegen. Dann hatte es ein weißes Licht gegeben, das ihn umfangen und ihn erst jetzt wieder freigegeben hatte. Da das Letzte, an das er sich erinnerte, war, dass er in IDUSAs Cockpit gesessen hatte und sie ihn über den Umstand informiert hatte, dass sie ihn mit Alpha-Wellen bestrahlt hatte, glaubte er eingeschlafen zu sein und zu träumen und wurde auch nicht stutzig, als er sich in einer parkähnlichen Landschaft wiederfand, in der ihn die Wolke aus Licht abgeladen hatte.

Er wählte eine Richtung und sah sich um. Es gab eine Menge Pflanzen, die er auch von Tindara kannte. Aber auch welche aus anderen Welten schienen dabei zu sein. Der Park war recht übersichtlich angeordnet. Die breiten Kieswege wurden rechts und links von grünen Wiesen gesäumt. Hin und wieder gab es dort auch eine Bank aus mit warmen Farben gestrichenem Holz.

Auf so einer ließ sich Shimar jetzt nieder und begann nachzudenken. Die Gerüche in der Luft und vor allem seine telepathische Wahrnehmung hatten ihn an die Zeit erinnert, als er einmal seinen Körper verlassen hatte, um im Reich der Toten einen Besuch zu machen. Vielleicht spielte ihm seine Erinnerung jetzt einen Streich und er träumte davon. Aber wenn das der Fall war, dann war es ein sehr realer Traum. Es war alles so real! So …

Er kam nicht großartig weiter dazu, über seine Situation nachzudenken, denn im nächsten Moment hörte er eine Schelle und ein dicker schwarzer Kater sprang auf seinen Schoß. Er musste aus der Deckung irgendeines Gebüsches gekommen sein. Jedenfalls hatte Shimar ihn nicht gesehen.

Großspurig setzte sich das Tier jetzt auch noch hin und begann zu schnurren. Es schien es als selbstverständlich zu erachten, von jedem Zweibeiner, der ihm begegnete, gestreichelt und bespaßt zu werden.

Shimar bemerkte, dass der Kater ein Geschirr trug, an dem die Schelle befestigt war, die er gerade gehört hatte. Das Geschirr hatte außerdem eine Öse für eine Leine. Die einzige Katze, von der er allerdings gehört hatte, dass sie freiwillig an der Leine ging, war mein kleiner lieber Kater Mikosch gewesen. Das musste er sofort überprüfen. Zu diesem Zweck sah er sich den Kater noch genauer an.

„Du könntest Carusos Bruder sein.“, stellte er fest. „Nur die Augenfarbe stimmt nicht. Deine sind ja so gelb wie Bernstein!“

Er berührte das Fell des Katers. „Bist du weich!“, rief er aus. „Das ist ja schon fast ein Verbrechen, so weich zu sein, du Verführer! Kein Wunder, dass dich alle so gern streicheln. Alle inklusive meiner Person. Sag mal, bist du etwa der Mikosch?“ Als er Mikosch gesagt hatte, hatte der Kater die Ohren zu ihm gedreht und sie gespitzt. „OK.“, sagte Shimar. „Aber der Mikosch ist doch schon seit mindestens 800 Jahren tot. Wenn ich dir hier also begegne, dann heißt das ja, ich bin auch …“

Er dachte kurz nach und wiegte den Kopf hin und her. Dann verfinsterte sich der Ausdruck in seinem Gesicht und er sagte mürrisch: „Ich bin tot! Na toll! Beschissen! Oh, Mann! Wenn ein Tag schon so anfängt! Scheißmorgen! Ist heute vielleicht Montag?!“

Ein weiteres kleines Tier kam aus einem Weg gewuselt. Es war eine kleine weiße Hündin. Sie rannte auf Mikosch und ihn zu und wuselte um beide und die Bank herum. Wenn immer sie vor ihm stand, machte sie kurz halt und stellte sich mit Schwung auf ihre Hinterpfoten, um dann mit dem Schwanz wedelnd ein lautes: „Ruuuuu!“, mit weit aufgerissener Schnauze von sich zu geben.

Shimar, der dem Verhalten der Kleinen lange zugesehen hatte, musste anfangen zu lachen. Ob er nun wollte oder nicht. Ihr fliegendes Fell und ihr Gebaren waren einfach zu lustig, zumal sie jetzt auch noch ihre Vorderbeine einknickte, ihren Hintern mit dem immer noch wedelnden Schwanz in die Luft streckte und mit ihren jetzt freien Vorderpfoten immer wieder über ihr Gesicht wischte, das sie nur erreichen konnte, weil sie ihren Kopf von rechts nach links über den Boden schleifte. Dabei grunzte sie genießerisch.

Mikosch sprang plötzlich, wie auf eine für Shimar unverständliche Einladung, von dessen Schoß und dann rannten die Beiden hintereinander her. Bei diesem Spiel blieben aber Zähne und Krallen bedeckt. Ein Faktum, das ihn sehr faszinierte. Aber er wusste, dass die kleine Mausi die Sprache der Katzen verstand. Nur Mikosch hatte mit der Hundesprache so seine Probleme gehabt. Aber sie hatten ja fast 1000 Jahre zum Üben gehabt. Jetzt tobten sie miteinander herum, sprangen und purzelten übereinander, rannten voreinander davon und gaben dabei Laute von sich, die Shimar in starkes Entzücken versetzten. „Nein!“, rief er zwischen zwei Lachsalven aus. „Wie süß seid ihr denn miteinander?!“ Er hielt sich den Bauch.

So schnell das Spiel begonnen hatte, so schnell war es auch wieder vorbei. Jetzt lagen die Beiden total erschöpft vor ihm auf dem Fußweg und sahen ihn mit schmeichelnden Blicken an. „Na, ihr wollt wohl beide wieder auf meinen Schoß, was?“, sagte Shimar. „Also gut. Aber vertragt euch, sonst landet ihr beide wieder da unten! Ich will nämlich nicht als Kampfplatz missbraucht werden, klar?!“

Als wollten sie ihm versprechen, sich definitiv zu vertragen, kuschelten sich die kleine Mausi und Mikosch aneinander und der Kater schnurrte sogar laut auf. Mausi schmatzte. „OK!“, sagte Shimar. „Genehmigt! Na dann kommt her, ihr Schmuseknubbel!“

Er hob beide nacheinander auf seinen Schoß und setzte Mikosch auf sein rechtes und Mausi auf sein linkes Bein. Sofort kuschelten sich beide aneinander und an ihn. Auch er begann zufrieden damit, sie zu streicheln.

Während dessen merkte er nicht, dass sich langsam und leise jemand neben ihn gesetzt hatte. Erst dann, als der Mann ihn ansprach, wurde Shimar hellhörig: „Moin, Kamerad!“

Der junge Tindaraner stutzte. Ich war die Einzige gewesen, von der er dieses Wort je gehört hatte. Der Fremde hatte außerdem zwar die englische Aussprache benutzt, aber einen sehr starken Akzent in seiner Sprechweise. Das waren alles Dinge, die ihn sehr verwirrt hatten.

Die Tiere allerdings schienen ein sehr vertrautes Verhältnis zu dem Fremden zu haben, denn Mausi schnupperte nur kurz zu ihm herüber und schaute ihn freundlich an, während Mikosch ein lautes und freudiges: „Meng!“, hören ließ. „Das war der Beweis!“, lachte Shimar, der sein Miau wohl sehr lustig fand. „Du bist tatsächlich der Mikosch. So miaut nur einer.“ Ich hatte ihm von Mikoschs spezieller Art zu miauen erzählt.

Shimar drehte sich dem Fremden zu. Er war ein alter Mann von ca. 82 Jahren mit einer Glatze und freundlichem Gesicht. Offenbar handelte es sich um einen Terraner. Shimar schätzte ihn auf etwa 1,90 m. Er war von mittlerer Statur und trug ein rotes Hemd mit einer blauen Hose und schwarzen Schuhen. Shimar fragte sich, woher dieser Mann ihn kannte und warum er ihn als seinen Kameraden bezeichnet hatte.

Er beschloss dann doch, etwas auf die Ansprache des Fremden zu erwidern. „Hi, Mister.“, sagte er. „Mein Name ist Shimar. Aber ich glaube, Sie müssen mich verwechseln. Ich kenne Sie nicht.“ „Na, da denk besser noch mal genau drüber nach, Junge.“, sagte der Alte und schaute geduldig. „Wir kennen uns. Darauf würde ich wetten. Zumindest kennst du mein Bild, oder sollte ich besser sagen, meine Simulation?“

Shimar schoss es plötzlich siedendheiß durch den Kopf. Tatsächlich hatte er sich an eine Simulation erinnert, die er einmal gemeinsam mit mir besucht hatte. Dort war auch ein alter Mann vorgekommen, der sich ihm als mein Großvater Rudi vorgestellt hatte. Dass dieser das Wort Simulation wie selbstverständlich gebrauchte, verwunderte Shimar nicht wirklich. Schließlich war er zwar schon 1000 Jahre tot, aber das bedeutete auch, dass er die Geschichte und ihre Abläufe beobachtet hatte. Das konnten ja die Toten. Sie konnten ja die Geschicke der Lebenden sehen, wenn sie wollten. Er war also sicher auch über mich auf dem Laufenden und sicher in seinem Denken auch nicht stehengeblieben. Bestimmt wusste er auch über die Situation der Dimensionen Bescheid. Er war sicher nicht mehr der primitive Bewohner des 21. Jahrhunderts gewesen, als der er gestorben war. Shimar würde sicher nichts riskieren, wenn er ihm vertrauen würde. Aber jetzt wurde ihm auch klar, warum der Fremde ihn als seinen Kameraden bezeichnet hatte. Auch mein Großvater hatte in seiner Jugend zur Flugschule des Militärs gehen müssen, wie die meisten Jungen seines Alters. Wer sich nicht fügte, der stand ganz schnell auf der Todesliste des damaligen Regimes und das wollte wohl niemand. Aber er hatte niemals ihre Überzeugungen geteilt. Dessen war ich sicher gewesen und das hatte ich Shimar auch einmal gesagt. Sonst hätte er mich als lebensunwertes Leben bezeichnen und mich links liegenlassen müssen wegen meiner Behinderung. Aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Er hatte mir die Sterne vom Himmel geholt! Das würde ich auch jedem sagen, der mich danach fragte, oder der ihm Böses unterstellen wollte. Am liebsten hätte ich es ihm auch noch einmal selbst gesagt. Aber dazu war ich nicht mehr gekommen. Als ich dies aber Shimar sagte, sagte er nur: „Auf deinem Planeten, Kleines, gab es einmal ein Volk, die alten Griechen. Die haben geglaubt, dass die Toten die Gedanken der Lebenden hören können, wenn diese an sie denken. Ich weiß, dass du dich für nicht so gut in so was hältst. Deshalb würde ich gern versuchen, deinem geliebten Opa zu sagen, dass du ihm wegen seiner Jugend nicht böse bist. Bei mir, als einem Telepathen, ist die Wahrscheinlichkeit ja noch größer, dass die Gedanken von ihm empfangen werden.“ Ich hatte ihn darauf nur angelächelt, ihn umarmt und lange und intensiv geküsst. Jetzt sah Shimar dafür eine Gelegenheit, die er auch gleich nutzte. „Das hat sie wirklich gesagt?!“, fragte Rudi gerührt. „Das hat mein Miezerle wirklich gesagt?!“ Shimar nickte.

Dem alten Mann rannen einige Tränen über das Gesicht. Mikosch und Mausi blieb das nicht verborgen. Der Kater stand auf und schlich zu Rudi hinüber, um sich an ihn zu kuscheln und Mausi krabbelte hinterher und leckte ihm die Tränen ab. Dann legten sie sich so zwischen die Männer, dass beide sie streicheln konnten. Dabei fiel Rudi auf, wie schnell sich beide mit Shimar angefreundet hatten. „Na, ihr Schmusebacken!“, rief er aus und streichelte beiden über die Köpfe. „Habt ihr wieder ein williges Opfer gefunden?“ „Was heißt hier Opfer.“, nahm Shimar die Beiden in Schutz. „Ich bin auch ein ganz Verschmuster.“ Rudi schmunzelte.

Sie streichelten und kraulten die Tiere eine Weile lang gemeinsam, was diese sichtlich genossen. Mausi schmatzte und gab ab und zu ein leises: „Uff!“, von sich, während Mikosch fortwährend laut schnurrte. Das hatte er auch zu Lebzeiten oft getan. Er hatte viel geschnurrt. Eigentlich 24 Stunden am Tag.

Rudi hatte Shimar lange beobachtet. Der Terraner sah genau, dass seinen tindaranischen Freund etwas sehr belasten musste. „Was ist los, mein Sohn?!“, fragte er ihn schließlich und legte ihm väterlich die Hand auf die rechte Schulter. „Ich muss Shinell sehen!“, insistierte Shimar. „Ah, deine Schwester.“, sagte Rudi und versetzte ihn damit wieder in Erstaunen. „Wieso weiß du …?“, stammelte Shimar. „Jetzt hör mal zu, mein Junge!“, sagte Rudi ernst. „Wenn du mich noch einmal wie einen primitiven Urmenschen behandelst, lege ich dich übers Knie! Ich hatte 1000 Jahre Zeit zum Lernen und das habe ich auch getan! Ich lebe zwar normalerweise in einer Welt, die meiner Heimat im 21. Jahrhundert entspricht, ich habe mich aber schon oft in andere Welten hineingewünscht, die es hier im Totenreich gibt. Schließlich ist der Weg in die Deine, beziehungsweise in die deiner Schwester, mein täglicher Arbeitsweg, genau wie der von Mausi und Mikosch! Noch Fragen?!“

Der junge Tindaraner musste schlucken. So eine Antwort hatte er von Rudi wohl nicht erwartet. „Es tut mir leid.“, entschuldigte er sich. „Es ist nur, weil ich es nicht anders gelernt habe. Ich wollte nur die Zeitlinie beschützen und …“ „Ah ja.“, sagte mein Großvater. „Aber du weißt doch, dass Zeit Hier schon lange keine Bedeutung mehr hat. Also auch keine Zeitlinie. Ich kann mich genauso wenig in meinen Körper und somit in mein Leben zurückwünschen wie du. Damit ist schon mal verhindert, dass ich die Geschichte verändere. Sonst können wir zwar überall hingehen, wohin wir wollen, aber eben nicht in unser altes Leben zurück. Wir beide, auch du, mein Sohn, wir haben im Augenblick unseres Todes diesen akzeptiert. Deshalb bist auch du sozusagen im normalen Teil des Totenreiches gelandet und nicht im Therapiezentrum deiner Schwester. Aber du hast ja schon gehört, dass ich für Shinell arbeite. Zufällig suche ich noch einen Assistenten.“ „Dann bewerbe ich mich hiermit offiziell.“, nahm Shimar die Gelegenheit wahr, die Rudi ihm soeben auf dem Silbertablett serviert hatte.

Mikosch wurde plötzlich ganz unruhig und dann nahm auch Shimar die geistige Prägung seiner Schwester wahr, die Rudi etwas telepathisch zu sagen schien: Bitte komm her! Es ist eine neue Gruppe von Kindern angekommen. Wir brauchen dich und die Tiere sehr dringend. Sie sind alle total verstört! Meinen Bruder kannst du auch gleich mitbringen. Ich spüre, dass er bei dir ist! Ihr telepathischer Notruf endete.

Rudi wünschte sich einen roten Lederkoffer mit Hundespielzeug und eine weiße Tasche mit Katzenspielzeug und einer Bürste her. Dann noch eine geräumige Transportbox, in die er Mikosch setzte und dann zog er eine Hundeleine aus seiner Tasche, die er Mausi anlegte. Dann rief er ihr zu: „Mausi, Einsatz, komm!“ Freudig mit dem Schwanz wedelnd sprang die Kleine von der Bank und stellte sich neben ihn. Dann zog er den roten Koffer zu sich und nahm seinen Griff in die rechte Hand, während er mit der linken Hand die Leine hielt. Shimar nahm die weiße Box mit Mikosch und die Tasche.

Wenig später gab es einen weißen Blitz und sie fanden sich in Shinells Therapiezentrum wieder, das von Shimar gleich erkannt worden war. Shinell erwartete sie bereits. Sie musste sie auch hergeholt haben. „Ich freue mich, dass ihr hier seid.“, sagte die junge Tindaranerin. „Kommt mit!“

Sie führte sie in einen Innenhof des Gebäudes. Hier befanden sich große Töpfe mit Blumen und auch künstlerisch gestaltete Statuen. Aber für solche architektonischen Meisterleistungen hatten die wohl keine Augen, um die es hier ging. In einer Ecke saß ein Haufen Kinder aus allen möglichen Spezies. Traurig klammerten sie sich aneinander und viele weinten und riefen nach ihren Eltern. In diese Ecke zog Mausi Rudi jetzt. Sie schien schon zu wissen, was von ihr erwartet wurde. Jetzt war Shimar auch klar, was Rudi und die Tiere für Shinell taten. Sie waren Therapeuten.

Er sah sich um. In einer anderen Ecke entdeckte er ein kleines Mädchen, das einsam dasaß. Offenbar hatte sie versucht, vor ihrer Situation davonzulaufen, das war ihr aber natürlich nicht geglückt. Jetzt saß sie weinend auf einer Mauer.

Der junge Tindaraner nahm Box und Tasche und machte sich auf den Weg zu ihr. Seiner Meinung nach war Mikosch genau das richtige Tier für die Kleine, um ihr ihre Angst zu nehmen. Die wuselige Mausi war dafür viel zu hektisch.

Er stellte die Box ab und öffnete dann die Tasche, aus der auch eine Leine für Katzen zum Vorschein kam, die er mit einem Karabiner an Mikoschs Geschirr befestigte. Dann ließ er auch den Kater aus der Box, was von dem Mädchen, einer etwa 5-jährigen Terranerin in einem langen roten Blümchenkleid und weißen Sandalen, die zwei lange blonde Zöpfe hatte, aufmerksam beobachtet worden war.

Hi, Onkel.“, sagte die Kleine schließlich noch immer etwas traurig. „Hi, kleine Maus.“, erwiderte Shimar freundlich und mit einem lieben Blick. „Wer ist denn da so traurig? Wie heißt du denn?“ „Ich heiße Susan.“, sagte das Mädchen. „Das ist aber ein schöner Name.“, sagte Shimar und hockte sich neben ihr hin. „Ich bin der Onkel Shimar.“, sagte er dann. „Und das ist der Mikosch.“

Erneut begann Susan zu weinen. „Ich vermisse meine Mummy und meinen Daddy!“, schluchzte sie. „Und ich vermisse mein Kätzchen!“

Shimar ließ Mikoschs Leine locker und flüsterte ihm telepathisch zu, während er ihm ein Bild von dem sendete, was er von ihm wollte: Dein Stichwort, schwarzer Panther!

Mikosch gab ein festes und motiviertes: „Meng!“, von sich und sprang Susan auf den Schoß. „Oh hallo, Kätzchen!“, rief Susan überrascht und fast schon wieder erfreut aus, während sie Mikosch zu streicheln begann. Dieser breitete sich schnurrend auf ihrem Schoß aus. „Ui, kannst du laut schnurren!“, staunte die Kleine. „Und wie lustig du miaust!“ Sie hatte ihre Trauer schon wieder fast vergessen.

Shimar hatte die Bürste aus der Tasche geholt, die Mikosch jetzt mit den Augen anschmeichelte. Schon zu Lebzeiten hatte er das Bürsten geliebt! „Der Mikosch möchte gebürstet werden.“, erklärte Shimar und nahm selbst einige Striche vor. Dann gab er Susan die Bürste in die Hand, die sein Werk auch gleich fortführte. Das Schnurren des Katers wurde immer lauter und er begann sich auf ihrem Schoß zu räkeln. „Mache ich das richtig, Onkel Shimar?“, wollte Susan wissen. „Der Mikosch findet, dass du es richtig machst.“, übersetzte Shimar. Er dachte sich schon, dass Susan aufgrund ihrer Situation sehr unsicher sein musste. „OK.“, sagte Susan.

Mikosch kuschelte sich an sie. „Ui, kannst du schmusen.“, sagte Susan erstaunt. Sie war jetzt schon wieder viel fröhlicher, was Shimar wohl zu dem Anfang eines Liedes inspiriert hatte. „Ja, der Mikosch, der kann schmusen.“, summte er vor sich hin.

Rudi und Mausi hatten mit den anderen Kindern gespielt und dann waren sie zu Susan und Shimar zurückgekehrt. Zufrieden hatte der alte Mann gesehen, dass es der Kleinen schon wieder viel besser ging. „Weißt du was, Onkel Shimar.“, sagte Susan schließlich. „Wenn ich den Mikosch jetzt öfter sehen darf, dann will ich doch hierbleiben. Er ist so schön weich und schmust so lieb. Er kann so schön schnurren und miaut so lustig.“ „Das kannst du sicher, Susan.“, sagte Shimar und sah Rudi an, der ihm nur bestätigend zunickte.

Der tindaranische Flieger griff in die Tasche mit dem Spielzeug und nahm eine künstliche Maus heraus. Die gab er Susan mit den Worten: „Sie gehört dem Mikosch. Aber er gibt sie dir sicher gern, damit du immer etwas hast, das dich an ihn erinnert, wenn er nicht bei dir sein kann.“ „Danke, Onkel Shimar.“, strahlte Susan und kraulte auch den Kater ganz fest, was dieser mit einem lauten Schnurren quittierte.

„Wie lief es bei dir?“, fragte Shimar in Rudis Richtung. „Alles in Butter.“, sagte Rudi. „Aber bei dir lief es ja auch sehr gut, wie ich sehe.“ „Das stimmt, Onkel!“, quietschte Susan, noch bevor Shimar antworten konnte. „Der Onkel Shimar und ich müssen dir ganz schnell ein Lied vorsingen, das wir gemacht haben.“ Na dann mal los!“, forderte Rudi sie grinsend auf.

Shimar zählte bis drei und dann begannen beide: „Ja, der Mikosch, der kann schmusen und das tut er mit Genuss, weil er weiß, dass bei der Susan dann die Angst bald gehen muss. Auch das Heimweh und die Trauer stehen zwar noch ihren Mann, gegen Mikoschs Schmusepower kommen doch auch sie nicht an. Und sie müssen sich verziehen mit ’nem letzten Donnergroll, denn dank Mikosch findet Susan auch das Reich der Toten toll!“

Rudi sah seinen neuen Freund stolz an. „Eins mit Sternchen, Schleifchen und mit Fleißkärtchen oben drauf!“, sagte er. „Du kannst dich ab sofort als eingestellt betrachten, mein Sohn. Deine Schwester und ich haben alles beobachtet und sind schwer beeindruckt! Wohnen wirst du erst mal bei mir.“ „OK.“, sagte Shimar. Dann verabschiedete er sich von Susan, setzte Mikosch in seine Box und versprach, am nächsten Tag mit ihm wiederzukommen. So folgte er Rudi wieder aus dem Innenhof. „Das wäre ja schon mal ein Anfang.“, sagte er halblaut zu sich selbst auf Tindaranisch. „Und der Rest wird sich auch noch ergeben.“

Auf Zirells Basis hatten sich alle zu Shimars Beerdigung versammelt. Die Offiziersmesse war mit schwarzen Tüchern verhängt und alle trugen schwarze Uniformen. Zirell stand einem pfeilförmigen Spalier voran, in dessen Mitte sich das Torpedogehäuse befand, in dem man Shimars Körper zur letzten Ruhe im Weltraum betten wollte. Fast alle waren an diesem Spalier beteiligt. Fast alle außer Shannon, die mit ihrem Sprechgerät in der Hand ganz vorn neben Zirell stand, um ihr Handzeichen, auf welches hin sie den Transporter per Fernsteuerung aktivieren sollte, auch wirklich gut sehen zu können.

Die Kommandantin räusperte sich und hob dann zu einer Grabrede an: „Meine Freunde und Kameraden, wir sind heute hier zusammengekommen, um uns von einem guten Freund und verlässlichen Kameraden zu verabschieden, den sicher alle Anwesenden hier sehr geschätzt haben. Shimar war nicht nur unser bester Flieger und nicht nur ein stets zuverlässiger und gewissenhafter Soldat. Nein, er war uns allen auch sehr ans Herz gewachsen, weil er für uns immer ein offenes Ohr hatte. Auch war er vielen von uns auch in der Freizeit ein guter Kumpel, mit dem man gern etwas unternahm. Kurz: Wir alle haben ihn sehr gemocht und es erfüllt uns sicher alle mit großem Schmerz, dass er von uns gegangen ist. Lasst uns also nun gemeinsam Abschied nehmen! Möchte noch jemand etwas sagen?“

Shannon meldete sich und sagte nur flapsig, wie es eben ihre Art war, aber trotzdem mit viel Trauer in der Stimme: „Mach’s gut, Fliegerass! Halt die Ohren steif! Wir werden dich vermissen!“ „Ich denke.“, sagte die Tindaranerin. „Dem können wir uns nur alle anschließen!“

Sie nahm eine zackige Haltung ein. Dann befahl sie: „Ehrenspalier, Achtung! Phaser auf Salutmodus gestellt! Nehmt Ziel! Auf mein Kommando Feuer! Feuer! Feuer!“

Alle führten ihre Befehle aus. Drei Lichtblitze zuckten durch den Raum. Dann wandte sich Zirell dem Computermikrofon zu: „IDUSA, die tindaranische Hymne abspielen! Sofort begann der Stationsrechner mit der Ausführung des Befehls, was auch für Zirell das Signal war, Shannon das Handzeichen zu geben, auf das sie den Transporter aktivierte. Dann wurde Shimars Körper in den Weltraum gebeamt.

In der interdimensionalen Schicht hatte sich ein kleines Schiff versteckt, das in seiner Bauart an einen irdischen Käfer erinnerte. Es war … genau! Ein Ferengischiff. Der Pilot jenes Schiffes war Gorg, der sich mit Sytanias Plänen durchaus einverstanden erklärt hatte. Sofort erfasste er Shimars Körper mit dem Transporter und beamte ihn an Bord. Er freute sich sehr darauf, ihn dem nächsten dummen Cobali, dessen Kinderwunsch nur verzweifelt genug war, verhökern zu können.

Daraus sollte aber nichts werden, denn er war wiederum von jemandem ganz anders beobachtet worden. Shary hatte eigentlich nach Kamurus Ausschau gehalten, aber was sie jetzt in der interdimensionalen Schicht zu sehen bekam, weckte ihre Neugier und sie wollte dem auf den Grund gehen. Was zur Hölle hatte ein Ferengi mit dem toten Körper eines ihrer Freunde vor?! Es konnte nichts Gutes sein, denn immer wenn Ferengi im Spiel waren, war ein Betrug offensichtlich, zumindest ihrer Meinung nach. Aber wer konnte ein Opfer so eines Betruges werden? Wer konnte etwas mit toten Körpern anfangen? Ihr fielen da nur die Cobali ein. Sie musste diese kriminelle Handlung verhindern! Das war ihr klar.

Sie änderte alle Parameter ihrer Software so um, dass sie dem Computer des Ferengischiffes gegenüber wie ein Schiff der Cobali scheinen musste, erstellte ein Programm, mit dem sie die Stimme und das Bild einer verzweifelten Cobali emittieren konnte und flog in die Schicht. Dort wartete sie.

Im Display seines Sprechgerätes hatte Gorg das Transpondersignal gesehen. Vor Gier lief ihm schier der Speichel aus dem Mund, als er seinem Computer den Befehl erteilte, das Schiff zu rufen. „Mein Name ist Gorg.“, sagte er mit hoch erregter Stimme. „Ich habe etwas, das ich Ihnen gern anbieten würde. Sie benötigen doch zu Ihrer Fortpflanzung tote Körper. Zufällig habe ich gerade einen für Sie. Ich mache Ihnen sogar einen Sonderpreis. Nur 20 Barren in Gold gepresstes Latinum!“ „Ich bin Malaia.“, ließ Shary die Stimme der Simulation verzweifelten Klangs antworten. „Ich nehme ihr Angebot an. Mein Mann und ich wünschen uns so sehr ein Kind.“ Sie ließ die Simulation sogar noch ein paar Tränen vergießen. „Ich zahle sofort.“

Damit ließ sie ihren Replikator die Barren replizieren. In sie hatte der Replikator aber nur Wasser gefüllt. So wollte sie dem Ferengi die Botschaft senden, dass sie seinen Betrugsversuch durchschaut hatte, indem sie ihn auch betrog. Das würde er aber erst sehr spät merken, wie sie vermutete. Shary wusste längst, dass sie ihn in der Hand hatte. Die Aussicht auf das Geld und ihre Ankündigung der sofortigen Zahlung hatten ihn sicher längst jede Skepsis vergessen lassen. Aber genau das war ja auch ihr Ziel gewesen.

Tcheys Schiff bemerkte, wie ihr Laderaum von einem Transporter erfasst wurde. „Machen Sie sich keine Umstände.“, sagte sie. „Ich hole ihn selbst.“ Damit beamte sie Shimars Körper in einen ihrer Transporterpuffer. Da sie diesen ständig mit Energie versorgte, würde sein Signal nicht degenerieren. Das wusste sie. Zumindest solange nicht, bis sie ausgeführt hatte, was sie vorhatte. Aber dafür würde sie Hilfe von einer ganz bestimmten Person benötigen, die sich aber sicher leicht überzeugen ließ.

Ihr Transponder suchte nach echten Signalen von Cobali. Sie wurde auch bald fündig und startete einen Sammelruf: „An alle Schiffe der Cobali in meiner Reichweite, Mein Name ist Shary. Ich warne Sie vor einem betrügerischen Ferengi, der versuchen wird, Ihnen den Körper eines toten Tindaraners zu verkaufen, den er aber nicht mehr hat. Ich weiß, dass Sie damit nichts anfangen können. Deshalb habe ich den Betrug an Ihnen verhindert. Vorsichtshalber sende ich Ihnen sein Bild und das seines Schiffes, sowie seine Transponderkennung. Wenn meine Pläne aufgehen, könnte ich Ihnen aber Körper vermitteln, mit denen Sie arbeiten können. Bitte warten Sie ab und vor allem: Fallen Sie nicht auf diesen Ferengi herein.“ Sie übersandte noch die Daten und ihr Ruf endete. Dann flog sie in die Dimension der Föderation ein und setzte Kurs Richtung Erde.

 

Kapitel 72: Richtungsweisende Begegnungen

von Visitor

 

Der öffentliche Transporter hatte uns am Anfang einer Allee abgesetzt, die links und rechts von uralten Bäumen gesäumt worden war. Das wusste ich, da mir Sedrin einen der Stämme gezeigt und mich aufgefordert hatte, um ihn herum zu gehen. Das war mir etwas seltsam vorgekommen, weil sie so etwas sonst nie getan hatte. Sie wusste ja, dass ich mich nicht sonderlich für landschaftliche Details interessierte, außer sie würden mir direkt bei der Orientierung helfen. Aber da die Bäume ja eigentlich nichts damit zu tun haben würden, wie ich dachte, wollte mir nicht in den Kopf, was sie damit bezwecken wollte.

Nachdem ich also meinen Rundgang um den Stamm beendet hatte und wieder bei ihr angekommen war, fragte ich: „Was hat Ihre Aktion zu bedeuten, Agent?“ „Um ehrlich zu sein.“, setzte sie zu einem Geständnis an. „Ich wollte, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit einem anderen Thema zuwenden als dem Tod von Shimar. Aber ich merke schon, dass dies eher nur ein hilfloser Versuch war.“ „Das war es allerdings.“, sagte ich. „Ich hätte Ihnen aber in der Hinsicht schon etwas mehr zugetraut, Sedrin. Aber Sie müssen mich gar nicht ablenken. Sicher ist es traurig für mich, dass er nicht mehr da ist, aber ich habe gesehen, wohin er gegangen ist. Dort war ich auch schon und es ist dort gar nicht so übel. Außerdem wird er, wie ich ihn kenne, nichts unversucht lassen, um zu uns zurückzukehren. Es war nämlich noch nicht seine Zeit!“ Beim letzten Satz gab ich mir besondere Mühe, sehr überzeugt zu klingen. „Interessant.“, sagte Sedrin und drehte sich mir zu. „Und was genau haben Sie gesehen?“ „Ich habe ihn aus seinem Kopf austreten sehen.“, antwortete ich. „Im gleichen Moment war ich sicher, dass dies noch nicht das Ende ist! Ich kann es nicht erklären, Agent. Es ist …!“

Sedrin räusperte sich und unterbrach mich: „Ich war eigentlich sicher, dass wir unsere Ränge in Little Federation gelassen hatten. Zumindest für die Dauer dieses Urlaubs. Also, ich bin Sedrin, das ist Jaden und Sie sind Betsy. Ich nehme Ihnen auch das mit der Sicherheit bezüglich der Wahrnehmung von Shimars Ende ab. Sie hatten eine telepathische Verbindung zu ihm, die zwar durch seinen Tod beendet ist, aber er hat Ihnen vielleicht noch unterbewusst die Botschaft gesendet, dass er auf keinen Fall aufgeben wird! Das halte ich durchaus für möglich so kurz vor dem Ende. Schließlich kennen sich die Tindaraner mit Schutzverbindungen aus. Das erklärt allerdings auch, warum Sie vorhin, als es passierte, nicht sofort in Tränen ausgebrochen sind.“ Ich nickte ihr zu, legte meine Hand wieder auf ihren Arm und dann gingen wir weiter.

Wir kamen an einen Zaun, hinter dem es offensichtlich nach Pferd roch, eine Tatsache, die mich in unserer sehr technologischen Zeit doch etwas irritierte. Zum Fragen kam ich allerdings nicht, denn im gleichen Moment, in dem wir vor dem Zaun stehenblieben, spürte ich einen warmen Luftstrom und eine pelzige weiche Nase, an der ein ebenso weicher Kopf hing, näherte sich mir und beschnupperte mein Gesicht und meinen Oberkörper. Dann begann das Tier damit, vorsichtig mein rechtes Ohrläppchen abzulecken. „Das kitzelt!“, quietschte ich. „Na, du bist aber kontaktfreudig!“ Sedrin grinste nur hörbar. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie das alles vorher gewusst hatte.

Ich hörte Schritte auf dem Weg und ein älterer Mann kam zu uns. „Sie müssen die neuen Gäste sein, von denen mir Cupernica erzählt hat.“, sagte er mit starkem irischen Akzent. „Ganz recht.“, sagte Sedrin und stellte sich vor: „Sedrin Taleris-Huxley. Das sind Betsy Scott und mein Mann Jaden H. Huxley. Betsy ist die Patientin und mein Mann und ich betreuen sie.“ „OK.“, sagte der Ire und stellte sich jetzt seinerseits vor: „Samson O’Grady. Mir gehört das Anwesen, auf dem Sie wohnen werden. Sie sagten gerade, Mrs. Taleris-Huxley, Betsy sei die Patientin. Dann hat ja meine alte Jessy schon wieder den richtigen Riecher bewiesen. Sie erkennt nämlich sehr gut, wenn es jemandem nicht gut geht. Ich habe noch mehr Pferde. Ich biete Ausritte zum Stonehenge an. Falls Sie Interesse haben …?“

„Nicht so schnell, Mister.“, mischte sich Jaden ein. „Lassen Sie uns doch erst mal ankommen.“ „Also gut.“, sagte O’Grady. „Dann kommen Sie mal mit. Vorausgesetzt, Ihre Freundin kann sich von Jessy loseisen.“

Ich hatte Sedrins Arm losgelassen und mich meinerseits zu Jessy gedreht, um sie zu streicheln. „Hi, Jessy-Maus.“, hatte ich mit sehr lieber Stimme gesagt. „Wir sehen uns sicher wieder. Aber jetzt muss ich gehen.“ Dann hatte ich ihr über ihr weiches Fell gestreichelt. Groß war sie nicht. Ich schätzte sie auf ca. 164 cm Stockmaß. „Oh da bin ich mir ganz sicher.“, sagte O’Grady. Falls es zu einem Ausritt kommen sollte, dann würde ich Ihnen Jessy geben, Betsy. Sie ist die Ruhigste. Cupernica hat mich über alles informiert. Es ist ja mehr als offensichtlich, wie gut ihr beide euch verstehet.“ Als wollte Jessy das bestätigen, leckte sie mir noch einmal zum Abschied quer durchs Gesicht. „Na, Berührungsängste sind für dich wohl ein Fremdwort, was?!“, lächelte ich. „Sie erinnert mich sehr an Kipana.“, lachte Sedrin. „Die zeigt ja gegenüber Ihnen ein ganz ähnliches Verhalten.“ Ich nickte.

Samson hatte Jaden einige der Koffer abgenommen und die Beiden waren vorausgegangen. Nun folgten ihnen auch Sedrin und ich. Wir waren bald auf einem großen Gelände angekommen. Hier führte unser Gastgeber uns zu einer kleinen heimelig anmutenden Campinghütte, die aus rot gestrichenem repliziertem Holz bestand. Mit ihren kleinen Erkern sah sie sehr gemütlich aus, wie mir Sedrin beschrieb.

O’Grady übergab ihr eine Schlüsselkarte, mit der sie den Eingang entsicherte. Dann gingen wir hinein. Offensichtlich waren wir gleich im sehr großzügig geschnittenen Wohnzimmer angekommen. „Also.“, sagte Sedrin. „Rechts ist gleich ein Esstisch mit vier Stühlen. Ich lasse die Farben weg. Die interessieren Sie ja sowieso nicht. Geradeaus ist ein Schreibtisch mit einer Konsole für den Replikator.“ „Gibt es hier ein Sprechgerät?“, fragte ich. „Wenn Sie eines benutzen wollen.“, sagte Samson. „Dann können Sie das im Vorraum meines Hauses tun. Da habe ich eines für Gäste.“ „Danke, Mr. O’Grady.“, sagte ich. „Ach.“, machte er. „Nennen Sie mich doch einfach alle Sam.“ „OK, Sam.“, sagten wir alle zusammen, was aber keinesfalls unsere Absicht war, weshalb wir alle lachen mussten.

Er legte ein Pad auf den Schreibtisch. „Da drin.“, sagte er und zeigte darauf. „Finden Sie alles, was wichtig ist. Sollten Sie noch Fragen haben, können Sie mich jederzeit im Haupthaus am Ende des Weges finden.“ „In Ordnung.“, sagte Jaden, schnappte sich das Pad und vertiefte sich ins Lesen.

Sedrin führte mich durch eine Tür, die sich links von uns befunden hatte. Nun waren wir auf einen Flur gekommen. Hier setzte sie mich vor einer Holzwand ab, der ich weiter folgen sollte. So kamen wir zu einer weiteren Tür, die ich öffnete. „Das scheint ein Schlafzimmer für ein Ehepaar zu sein.“, sagte sie. „Aber ich würde sagen, wir schlafen hier. Dann kann ich nachts besser auf Sie aufpassen. Jaden wird sich wohl mit dem einzelnen Schlafzimmer am Ende des Gangs zufrieden geben müssen.“ „OK.“, sagte ich. „Wenn er damit einverstanden ist?“

„Das bin ich.“, sagte Jaden, der inzwischen mit den Koffern eingetroffen war. „Wie sollen wir das denn auch sonst hinkriegen?“ Er manövrierte Sedrins und meinen Koffer durch die Tür. „Danke, Jaden.“, sagte Sedrin. Dann zog sie mich durch die Tür ins Zimmer und schloss sie hinter uns.

„Es dürfte einfacher für Sie sein, wenn Sie das Bett an der Tür nehmen.“, sagte sie. „Später zeige ich Ihnen alle wichtigen Wege hier im Haus. Auch die Hausordnung lese ich Ihnen vor, sobald mein Mann damit durch ist. Sie haben ja keines Ihrer Geräte dabei. Aber jetzt sollten wir erst einmal auspacken.“ „In Ordnung, Sedrin.“, sagte ich. „Vielen Dank, dass Sie mir so sehr helfen.“ „Das ist doch selbstverständlich.“, sagte sie. Dann hoben wir unser Gepäck auf die Betten und begannen mit dem Auspacken. Ich bekam auch die der Tür zugewandte Hälfte des Kleiderschranks. Sedrin meinte, das würde mir auch bei der Orientierung helfen. Die gesamte Aufmachung der Hütte, bis auf den Replikator selbstverständlich, hatte mich sehr an mein Zuhause in meinem Jahrhundert erinnert. Hier war tatsächlich alles etwas primitiver, als es Sedrin und Jaden gewohnt waren. Ihre Prognose, ich würde mich am schnellsten zurechtfinden, konnte sich also durchaus bewahrheiten.

An Bord von Jorans Schiff waren Joran, Jenna und Tchiach mit dem Warten beschäftigt. Sie warteten auf das Signal von IDUSA, die sie verständigen sollte, sobald wir an unserem Urlaubsort angekommen wären. Das Ziel hatte Jenna, nachdem sie es von Sedrin erfahren hatte, dem Schiff per Gedankenbefehl eingegeben. Von ihrem heimlichen Passagier hatten sie noch immer nichts bemerkt.

IDUSA lud plötzlich alle Reaktionstabellen und meldete: „Joran, Jenna, ich habe etwas entdeckt.“ „Was ist es, IDUSA?!“, fragte der Vendar alarmiert, der sofort hellwach im Pilotensitz gesessen hatte. „Zeig es uns!“ „Sofort, Joran.“, sagte das Schiff nüchtern und führte die Befehle ihres Piloten aus. Auch Jenna bekam das Bild über den Neurokoppler zu Gesicht. „Merkwürdiger Energieschleier.“, flüsterte die Technikerin vor sich hin. „Welche Zusammensetzung hat der Schleier genau, IDUSA? Woraus besteht er?“ „Meinen Scans nach.“, sagte das Aufklärungsschiff des tindaranischen Militärs. „Besteht der Schleier aus Sytanias neuraler Energie.“

„Das kann ich nur bestätigen, Telshanach.“, sagte Joran, dem sie einen fragenden Blick zugeworfen hatte. „Dass meine ehemalige Gebieterin hier ihre Finger im Spiel hat, kann ich nur bestätigen. Du weißt, dass wir Vendar spüren können, …“ „Ich weiß!“, fiel Jenna ihm ins Wort. „Ihr könnt spüren, wenn ein Mächtiger auf eine Situation Einfluss nimmt. Aber was zur Hölle ist die Aufgabe dieses Schleiers? Warum hat Sytania ihn geschickt?!“ „Ich weiß es nicht, Telshanach.“, sagte Joran. „Aber ich denke, wir sind nicht der Grund. Sonst hätte er uns längst angegriffen. IDUSA, gibt es innerhalb des Schleiers Hinweise darauf, dass er uns gefährlich werden will?“ „Ich registriere keinerlei Energetische Verschiebungen, die darauf hinweisen könnten, dass der Schleier etwas gegen uns hat, Joran.“, sagte das Schiff. „Wir sind offenbar nicht sein Ziel.“ „Beobachten, IDUSA!“, befahl Joran fest. „Melde Techniker McKnight und mir jede verdächtige Bewegung des Schleiers!“ „Zu Befehl, Joran.“, sagte das Schiff und ihr Avatar vor Jorans und Jennas geistigem Auge nahm eine zackige Haltung ein.

Tchiach hatte auf der Rückbank des Cockpits alles mitbekommen. „Auch ich spüre den Einfluss Sytanias, Vater.“, wandte sie sich Joran zu. „Aber was kann sie wollen? Wenn sie uns nicht angreift, dann könnte sie die Erde angreifen wollen, oder?“ „Das halte ich aufgrund des geringen Durchmessers des Schleiers für nicht möglich, Tchiach.“, tröstete Jenna, die sich den Schleier noch einmal vor Augen geführt hatte. „Er ist zu klein, um einem ganzen Planeten von der Größe der Erde ernsthaft gefährlich werden zu können. Er scheint eher ein Instrument der Präzision zu sein. Es scheint mir, als …“

McKnight konnte nicht weiter reden, denn sie wurde von IDUSA unterbrochen: „Ich habe den Kurs des Schleiers extrapoliert. Offenbar ist er auf dem Weg in die Atmosphäre. Wenn ich seinen Kurs dann weiter verfolge, dann fliegt er auf ein Dorf zu, dass sich ganz in der Nähe des Urlaubsortes von Allrounder Scott und den Huxleys befindet. Aber offenbar sind sie nicht das Ziel. Wahrscheinlich ist das Ziel ein Spielplatz in der Mitte des Dorfes. Aber das macht für mich keinen Sinn.“

Joran war die Weissagung wieder in den Sinn gekommen. Sytania würde verhindern wollen, dass ein Kind die Leute auswählte, die ihre Pläne durchkreuzen könnten. Also würde sie alle Kinder beseitigen wollen. Zumindest konnte er sich das vorstellen. „Sind Kinder auf dem Spielplatz, IDUSA?“, fragte er. „Ich scanne.“, sagte das Schiff, das mit seiner Frage offenbar nicht gerechnet hatte.

Nach dem Beenden ihrer Scans teilte sie Joran das Ergebnis mit: „Es befinden sich tatsächlich Kinder auf dem Spielplatz, Joran. Der Schleier hat sie fast erreicht.“ „Erfasse so viele du kannst mit deinem Transporter und beame sie zu Allrounder Scott und den Huxleys!“, befahl der Vendar. „Halt, IDUSA!“, sagte Jenna. „Wir haben keine Möglichkeit, Scott oder die Huxleys über die Situation zu informieren! Keiner von ihnen hat ein Sprechgerät. Sie mussten die Sachen zurücklassen. Erinnerst du dich? Sie werden ziemlich verwirrt sein, wenn auf einmal ein Haufen Kinder vor ihrer Nase auftaucht und die Kinder werden es auch sein.“ „Kelbesh!“, fluchte Joran. „Du hast Recht, Telshanach. Aber was tun wir dann?“

Alle überlegten angestrengt. Dann war es schließlich Tchiach, die den entscheidenden Hinweis lieferte: „IDUSA, gibt es in der Nähe der Position der Huxleys und Allrounder Scotts ein öffentliches Sprechgerät, oder gar eines für Gäste? Ich meine, das ist eine Art Pension, in der sie sind. Da wird es doch bestimmt so etwas geben.“ „Ich sehe nach, Tchiach.“, sagte das Schiff und begann zu scannen.

Sie wurde nach einer Weile tatsächlich fündig. „Ich habe in der Nähe ihrer Position tatsächlich zwei Geräte gefunden.“, meldete sie. „Das eine steht in einem Büro im Haupthaus und scheint das private und geschäftliche Gerät des Eigentümers zu sein. Zumindest geht das aus dem Rufzeichen hervor. Das zweite Gerät ist tatsächlich als eines für Gäste ausgewiesen und das sogar in seinem Transpondersignal. Leider sind weder die Huxleys noch Scott in der Nähe eines der beiden Geräte.“ „Verdammt!“, schimpfte Jenna.

„Scanne das Haus noch einmal, IDUSA.“, befahl Joran. „Befindet sich überhaupt irgendjemand in der Nähe der Geräte?“ „Affirmativ.“, sagte das Schiff nach einem weiteren Scan. „Da mir das Biozeichen aber unbekannt ist, denke ich, dass es sich um den Eigentümer handeln muss. Er befindet sich in der Nähe des Gerätes im Büro.“ „Ruf das Gerät, IDUSA!“, befahl Jenna. „Und dann verbinde mit mir. Ich denke, dass wir vorsichtig sein müssen, da er bestimmt Zivilist ist und wir ihn nicht erschrecken dürfen. Er sollte zuerst das Gesicht einer Landsmännin sehen.“ „OK, Techniker McKnight.“, sagte das Schiff und führte Jennas Befehl aus.

Sam war in seinem Büro mit der Buchhaltung und der Terminplanung beschäftigt. Deshalb hatte er das Piepen seines Sprechgerätes zunächst nicht wahrgenommen. Erst als es ihn allmählich zu nerven begann, drehte er sich dem Gerät zu. Das unbekannte Rufzeichen im Display irritierte ihn sehr. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Trotzdem beschloss er, das Gespräch anzunehmen, denn er war immer schon ein sehr neugieriger Mensch gewesen.

Er nahm also das Mikrofon aus der Halterung und drückte die Sendetaste. Dann meldete er sich: „Hier spricht Samson O’Grady. Mit wem habe ich das Vergnügen?“ „Ich bin Techniker Jenna McKnight von den tindaranischen Streitkräften!“, antwortete Jenna sehr bestimmt und mit einem ernsten Ausdruck in ihrem Gesicht, das von ihrer brünetten Haarpracht umspielt wurde. Samson, der jetzt auch ihr Bild sah, war zwar irritiert, eine Terranerin in der violetten Uniform des tindaranischen Militärs zu sehen, aber er wusste von Jenna. Sie war in allen befreundeten Dimensionen bereits zu einer Berühmtheit geworden.

„Sehr angenehm, Techniker McKnight.“, sagte O’Grady. „Worum geht es?“ „Sie haben drei Gäste.“, sagte Jenna. „Sie sind Sternenflottenoffiziere. Ich müsste dringend mit einem von Ihnen sprechen! Es ist sehr dringend, Mr. O’Grady! Wirklich sehr dringend!“ Sie hatte es absichtlich vermieden, weiter ins Detail zu gehen. Sie wusste, dass er Zivilist war und bestimmte Informationen nicht an seine Ohren dringen durften. Dennoch hoffte sie, ihr Belang doch deutlich genug gemacht zu haben. „Also gut.“, sagte der Ire. „Bitte bleiben sie dran. Ich lege Sie auf das Mobilteil und gehe damit zu meinen Gästen.“ „In Ordnung.“, sagte Jenna.

Sedrin, Jaden und ich hatten unsere Kleidung und auch sonst alle Sachen verstaut und uns in dem großzügig geschnittenen Wohnzimmer auf die weiche blumige Sofalandschaft (bitte entschuldigt) gefläzt. Während wir dann dort also saßen, hatte Sedrin angefangen, mir die Hausordnung vorzulesen, worin sie sich mit Jaden abwechselte, der mir wohl auch beweisen wollte, dass er in der Lage war, sich um mich zu kümmern. Mal las er einen Absatz und mal sie. Natürlich erwartete wohl keiner von beiden, dass ich die Hausordnung auswendig lernte, aber in groben Zügen sollten wir sie alle kennen, um uns nicht restlos daneben zu benehmen. Das fanden zumindest Sedrin und ich. Ich wusste es ja von mir selbst und sie hatte es mir gesagt. Wie Jaden dazu stand, war uns beiden nicht wirklich bekannt. Er hatte sich nicht wirklich eindeutig zu dem Thema geäußert.

Die demetanische Agentin hatte gerade damit begonnen, mir den letzten Absatz vorzulesen, als Sam das Wohnzimmer betrat und uns das Mobilteil der Sprechanlage hinhielt. „Ich habe eine Techniker Jenna McKnight von den tindaranischen Streitkräften für Sie.“, sagte er. „Ihr Belang scheint sehr dringend zu sein!“ „Was um alles in der Welt können denn die Tindaraner von uns wollen?“, fragte Jaden verdattert. „Das werde ich jetzt herausfinden!“, sagte Sedrin und stand auf. Dann sah sie O’Grady auffordernd an, der ihr das Gerät reichte. „Meine Frau is’ Agentin des Geheimdienstes der Sternenflotte.“, flapste Jaden dem etwas ängstlich in seine Richtung schauenden Sam zu. „Sie wird schon rausfinden, was hier los is’.“

Sedrin hob das Gerät an ihren Mund und drückte die Sendetaste. „McKnight, hier spricht Agent Sedrin!“, sagte sie. „Was ist los und wo sind Sie? Dem Rufzeichen zur Folge, das ich hier sehe, befinden Sie sich an Bord von Jorans Schiff.“ „Sehr richtig, Agent.“, sagte Jenna. „Und das ist in der irdischen Umlaufbahn. „Wir sollen Ihnen Unterstützung zukommen lassen. Aber im Moment sieht es so aus, als könnten wir die eher von Ihnen brauchen. IDUSA hat einen Energieschleier registriert, der auf den Spielplatz des Dorfes zufliegt. Unseren Informationen nach kommt er von Sytania. Er hat die Kinder fast erreicht. Um sie zu retten, müssen wir sie zu Ihnen beamen. Haben Sie Rosannium bei sich?“ „Negativ, McKnight.“, sagte Sedrin. „Aber ich habe eine Idee! Warten Sie!“

Sie wandte sich O’Grady zu: „Sam, gibt es in diesem Haus alten Schmuck, der Rosenquarz enthält?“ „Ja, Agent.“, sagte der etwas verwirrte Mann. „Warum wollen Sie das wissen?“ „Weil wir ihn benötigen werden.“, antwortete Sedrin. „Mehr darf ich Ihnen nicht sagen. Bitte vertrauen Sie mir.“ „Ich vertraue Ihnen, Agent.“, sagte der Zivilist, dem verständlicherweise nicht ganz klar war, was hier gespielt wurde. Aber er wusste, dass man sich auf die Anweisungen der Sternenflotte in Gefahrensituationen immer verlassen konnte, so absurd sie auch im ersten Moment scheinen mochten. „Ich hole den Schmuck! Es sind einige Erbstücke, die sich seit Jahrhunderten in Familienbesitz befinden. Früher glaubten meine Leute, sie würden gegen den bösen Blick helfen.“ „In gewisser Weise stimmt das ja auch.“, entgegnete Sedrin. „Aber mehr darf ich Ihnen nicht sagen! Jetzt gehen Sie bitte und holen den Schmuck!“ O’Grady nickte und rannte davon.

IDUSA hatte Jenna und Joran die Position des Energieschleiers im Verhältnis zur Position der Kinder dargestellt. „Sytanias Schöpfung hat die Kinder fast erreicht!“, stellte Jenna fest. „Wenn wir selbst in die Atmosphäre fliegen und auf den Schleier feuern würden, könnten wir auch sie gefährden!“ „In der Tat, Telshanach.“, stellte der Vendar fest. „Die Kinder müssen dort weg. IDUSA, beame sie zu Agent Sedrins Position!“ „Mein Transporter ist nicht groß genug, um alle Kinder gleichzeitig zu erfassen.“, widersprach das Schiff. „Und wir haben auch nicht die Zeit, um zweimal zu beamen. Der Schleier hat seine Fluggeschwindigkeit sogar noch erhöht. Meinen Berechnungen nach wird er in 10 Sekunden auf die Kinder treffen.“ „Kelbesh!“, fluchte Joran. Und Jenna sagte: „Oh nein. Das heißt, wir müssen entscheiden, wer leben darf und wer sterben muss. In so einer Situation wollte ich eigentlich nie sein.“ „Ich auch nicht, Telshanach.“, sagte Joran und schlug traurig die Augen nieder.

Tchiach hatte die gesamte Zeit über nachdenklich aus dem Fenster gesehen. Was sie dort sah, hatte sie zum Lachen gebracht. „Vater, Stiefmutter Jenna, Da kommt ein, ein, ein riesiger gestreifter Kürbis!“, rief sie plötzlich aus. Auch Jenna musste lachen. „Der einzige gestreifte Riesenkürbis, den ich kenne, ist das Schiff von Allrounder Scott.“, sagte sie erleichtert. „IDUSA, können deine Sensoren das bestätigen?“ „Affirmativ, Techniker.“, sagte die Angesprochene. „Aber sie bestätigen noch etwas anderes. Offenbar hat Lycira die Hälfte der Kinder mit ihrem Transporter erfasst. Wenn ich jetzt die andere Hälfte nehme, könnten wir sie alle retten und uns dann um den Schleier kümmern.“ „Mach es so, IDUSA!“, befahl der total erleichterte Joran seinem Schiff. Ihr Avatar nickte und sie führte den Befehl synchron mit Lycira aus.

Erwartungsgemäß waren die Kinder etwas verwirrt, als sie in der Campinghütte in unserer Nähe ankamen. Hatten sie sich doch gerade noch auf den Spielgeräten auf dem Spielplatz befunden. „Es ist alles in Ordnung!“, erklärte Sedrin und leerte die Schmuckschatulle, die Sam inzwischen besorgt hatte, auf dem Tisch vor sich aus. Dann wandte sie sich Sam zu: „Die Kinder kennen Sie, Sam. Ich denke, sie werden Ihnen eher vertrauen als mir, einer Fremden. Ich möchte, dass Sie dort hinübergehen und ihnen sagen, dass wir ein neues Spiel mit Ihnen spielen. Jeder nimmt sich ein Schmuckstück und legt es an. Dann laufen alle damit zu Ihnen.“ „OK.“, sagte Samson, der den Eindruck gewonnen hatte, dass sie sehr wohl wusste, was sie tat und vor allem die Situation sehr gut einordnen konnte. Offenbar gab es da draußen eine Gefahr für die Kinder und sie war die Einzige, die sie davor bewahren konnte.

Er ging also zur gegenüberliegenden Wand und rief den Kindern von dort aus zu: „Passt auf! Wir spielen jetzt ein ganz tolles Spiel! Jeder von euch nimmt sich ein Schmuckstück und legt es sich an. Dann bringt ihr es alle zu mir. Mal sehen, wer die oder der Schnellste ist!“

Fast alle taten, was ihnen Sam gesagt hatte. Nur ein kleiner Junge von ca. sechs Jahren mit einer bunten Jeans und kurzen braunen Haaren weigerte sich. „Das mach‘ ich nich’, Dad’!“, rief er mit viel Entrüstung aus. „Du sagst doch immer, das is’ Mädchenkram!“ „James O’Grady!“, polterte Sam los. „Du wirst tun, was dein …!“ „Warten Sie!“, ging ich dazwischen. „Das machen wir anders!“

Ich drehte mich dem Kleinen zu, dessen Stimme ich sehr gut wahrnehmen konnte. Dann hockte ich mich neben ihn und flüsterte ihm zu: „Pass auf, James. Ich bin die Tante Betsy. Ich weiß ein Geheimnis über diesen Schmuck. Er hilft gegen das, was dich und deine Freunde in Gefahr gebracht hat. Er ist also eine Waffe! Das macht dich zu einem kleinen Soldaten, wenn du ihn trägst.“ „OK.“, sagte James etwas zögerlich, aber dennoch sehr vertrauensvoll und streckte seine Hand nach einer Kette aus. Ich wusste selbst nicht wie, aber offenbar hatte ich irgendwie einen Draht zu ihm bekommen und ein kleiner Soldat wollte er offensichtlich gern sein. „Hilfst du mir mit dem Verschluss, Tante Betsy?“, fragte er dann. Ich nickte und machte mich in seinem Nacken zu schaffen. „So.“, sagte ich. „Und nun lauf!“

Sytanias Geschöpf hatte zwar das Grundstück der O’Gradys erreicht, aber im gleichen Moment war es, wegen des Rosanniums in der Luft des Hauses unter sich, das ja auch die Wände nach außen durchdringen konnte, sehr schwach geworden und hatte seine strukturelle Integrität schon um ein Vielfaches eingebüßt, wie IDUSA ihrer Besatzung mitteilte. „In Ordnung.“, sagte Joran zufrieden. „Den Rosannium-Phaser auf das Wesen abfeuern, IDUSA! Geben wir ihm den Rest!“ „Wie Sie wünschen, Joran.“, sagte das tindaranische Militärschiff nüchtern und führte den Befehl ihres Piloten aus. Der Energieschleier wurde in alle Richtungen zerstreut und löste sich auf. „So.“, sagte Joran, dem es offenbar großen Spaß gemacht hatte, das Geschöpf seiner ehemaligen Gebieterin hinzurichten. „Hat noch jemand irgendwelche Fragen, Bitten oder Anmerkungen?“ „Ja, ich.“, sagte Jenna. „Kann ich Mr. O’Grady jetzt sagen, dass die Gefahr gebannt ist?“ „Das kannst du, Telshanach.“, sagte der zufriedene Vendar. „Gib mir die Verbindung, IDUSA.“, sagte Jenna.

Samson war sehr erleichtert, ihr Gesicht wieder auf dem Display des Sprechgerätes zu sehen. „Es ist alles wieder in Ordnung, Mr. O’Grady.“, sagte Jenna beruhigend. „Vielen Dank, Techniker McKnight. Sie haben unter anderem auch das Leben meines einzigen Kindes gerettet. Ich würde mich Ihnen gegenüber gern erkenntlich zeigen. Wie wäre es, wenn Sie herkämen und ein paar Tage in der zweiten Hütte verbringen. Natürlich aufs Haus.“ „Das ist sehr nett.“, sagte Jenna. „Aber ich bin nicht allein. Ich muss das mit den anderen Beiden besprechen. Einen kleinen Moment bitte.“

Sie ließ den Sendeknopf los. „Wir sollten annehmen, Telshanach.“, sagte Joran und auch Tchiach nickte. „Das denke ich auch.“, sagte Jenna. „Umso näher sind wir an Betsy und den Huxleys.“

Jenna nahm das Gespräch wieder auf: „Mr. O’Grady, wir nehmen an! Aber Sie sollten die armen Kinder nach Hause schicken. Wir kommen dann zu Ihnen.“ „In Ordnung, Techniker McKnight.“, sagte Sam und beendete das Gespräch.

Dann wandte er sich den Kindern zu: „Es ist alles wieder gut. Ihr müsst keine Angst mehr haben. Geht ruhig nach Hause. Eure Eltern warten sicher schon.“ „Danke, Onkel Sam.“, sagten alle, nahmen einander an die Hände und verließen Hütte und Grundstück, nachdem sie den Schmuck zurückgegeben hatten.

Wenige Sekunden danach erschienen auch Joran, Jenna und Tchiach vor uns. IDUSA hatte sie zu uns transportiert, sobald sie das Weggehen der Kinder registriert hatte. „Ich grüße euch.“, wandte sich Joran an uns drei und gab uns allen nacheinander die Hand. Auch Jenna und Tchiach taten es ihm gleich. „Hallo, Joran.“, sagte Sedrin. „Aber wie haben wir eigentlich zu verstehen, dass ihr uns unterstützen wollt?“ „Anführerin Zirell meint, dass die Regierungen nicht unbedingt den Ernst der Lage verstehen.“, antwortete Joran. „Deshalb sollten wir in Bereitschaft sein, damit ihr euch nicht erst lange mit der Regierung der Föderation herumschlagen müsst.“ „Oh, die haben im Moment wohl ganz andere Probleme.“, sagte Sedrin. „Es gibt Neuwahlen, Allerdings werden die nicht zur Bildung einer neuen Regierung führen, wie ich das sehe. Wir sind auf dem Weg hierher an einem öffentlichen Nachrichtenportal vorbeigekommen und da stand, dass rund 80 % der abgegebenen Stimmen ungültig waren und die Wahl wiederholt werden muss. Wenn die Leute vernünftig sind, dann werden sie es immer wieder genauso machen und so hat das Misstrauensvotum keine Wirkung. Die Wahlen sind frei und geheim. Es darf also niemandem vorgeschrieben werden, wo er oder sie das Kreuz zu machen hat. Du verstehst?“ „In der Tat.“, antwortete der grinsende Vendar.

Auch Samson hatte die neuen Gäste erblickt und kam nun zu uns herüber. „Sie sind bestimmt die Leute vom tindaranischen Militär.“, sagte er. „Bitte kommen Sie mit mir. Ich zeige Ihnen Ihre Unterkunft.“ „Sehr gern, Mr. O’Grady.“, sagte Jenna, der Joran in dieser Situation sehr gern das Reden überlassen hatte. Sein Englisch war mit Fehlern gespickt und das wollte er Samson nur ungern zumuten. Dann gingen alle drei im Gänsemarsch hinter ihm her.

Jaden hatte sich mir zugewandt. „Das war verdammt gute Arbeit mit dem Kleinen, Betsy!“, lobte er. „Ich denke, ich hätte das nicht hingekriegt. Ich hätte mich wahrscheinlich verhalten wie Mr. O’Grady. Ich meine, für ihn muss das doch eine Blamage gewesen sein. Ausgerechnet der eigene Sohn benimmt sich daneben.“ „Mit Verlaub, Commander!“, sagte ich absichtlich entgegen unserer Absprache, um ihn auch etwas zu irritieren. „Ich denke, das war eher zweit- bis drittrangig. Viel dringender war es, sein Leben zu retten. Ich weiß allerdings auch nicht, warum mir das immer wieder passiert. Ich war nie Mutter und kann somit doch gar nicht wissen, wie man mit Kindern umgeht. Gut, ich mag vielleicht einige recht sichere Instinkte haben, aber …“

Sedrin war herübergekommen und hatte sich zwischen mich und ihren Mann gestellt. „Aber ich weiß es, Allrounder!“, sagte sie ebenfalls entgegen unserer Absprache, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Während Ihrer Ausbildung zur Kommunikationsoffizierin wurde Ihre Fähigkeit kultiviert, wenn es nötig ist, die relevanten Informationen aus Gesprächen herauszuhören und herauszufiltern, um dann entsprechend auf sie zu reagieren. Nicht jeder, der einen Notruf absetzt, ist ein trainierter Sternenflottenoffizier, der genau weiß, was er sagen muss, um Ihnen die passenden Informationen zu geben. Es kann sein, dass Ihr Gegenüber Panik verspürt in einer Notsituation und auch gar nicht auf Ihre Fragen eingehen kann. Dann müssen Sie gut zuhören und die andere Person reden lassen, um an die Informationen zu gelangen. Was war das entscheidende Wort, auf das Sie reagiert haben? Warum haben Sie ihm denn das mit der Waffe gesagt, he?“ „Mädchenkram.“, stellte ich fest. „Offenbar habe ich völlig wertfrei auf den Begriff Mädchenkram reagiert. Mein Verstand muss einen Weg gesucht haben, diesen angeblichen Mädchenkram in so genannten Jungskram zu verwandeln, ohne dass mich diese doch nicht wirklich zeitgemäße Aussage emotional tangiert hat. Der Kleine kann ja nichts dafür, wenn sein Vater ihn so erzieht und …“ „Sehr richtig.“, sagte die Agentin. „Und Kindermund tut ja meistens Wahrheit kund. Ich schätze, die Offenlegung seiner Erziehung vor so vielen Frauen war Mr. O’Grady sehr peinlich und ein getroffener Hund bellt nun einmal.“ Ich nickte ihr nur bestätigend zu.

Kapitel 73: Eine glückliche Fügung

von Visitor

 

Ein Schrei des Entsetzens aus der Nachbarhütte war das Nächste, das Sedrin, Jaden und ich wahrnahmen. Da aufgrund des schönen Wetters, das heute sicher eine Ausnahme war, alle Türen offen standen, konnten wir es sehr gut hören. Sofort hatte ich Jorans Stimme erkannt. „Kommen Sie!“, rief ich. „Ich glaube, drüben ist etwas passiert!“

Sedrin und Jaden hakten mich, einer links, einer rechts, gemeinsam unter und dann gingen wir zur anderen Hütte hinüber. Hier hatte Joran gerade seine Tasche geöffnet und die Bescherung zu Gesicht bekommen. Mitten auf seinen Sachen saß Caruso, schnurrte zufrieden und schmeichelte ihn mit den Augen an. „Mutter Schicksal!“, entfuhr es Sedrin. „Wie ist denn das passiert?!“ „Ich schwöre dir, es lag niemals in meiner Absicht, Caruso zu entführen, Agent Sedrin.“, verteidigte sich Joran. „Das glaube ich dir.“, beruhigte ihn Sedrin. „Allein schon deshalb, weil du die Angewohnheit hast, deine Tasche immer halb offen stehen zu lassen. Er wird hineingeklettert sein. Sie ist atmungsaktiv. Deshalb ist er auch nicht erstickt.“ „Aber ich hätte das beim Tragen doch merken müssen!“, sagte der immer noch total entsetzte Vendar. „Warum habe ich das nicht gemerkt?“

Er wandte sich Jenna zu und sah sie hilflos an. Offenbar erhoffte er sich jetzt eher von ihr eine Antwort auf diese schwere Frage, als von Sedrin. „Telshanach, warum habe ich das nicht gemerkt?!“

Die hoch intelligente Halbschottin legte den Kopf in die Hände und kratzte sich am Selben. Dann sagte sie: „Ganz einfach, Joran. Es fiel nicht ins Gewicht.“ Joran sah sie fragend an. „Pass auf.“, erklärte sie. „Caruso wiegt geschätzte sieben Kilo und du bist fünfmal so stark wie ein durchschnittlicher menschlicher Mann, für den das Tragen einer Katze schon keine große Herausforderung darstellt, vorausgesetzt diese wehrt sich nicht. Das wird Caruso auch wohl kaum getan haben, so wie er sich jetzt verhält. Er ist ja total entspannt und freut sich wohl auch noch, dass ihm niemand draufgekommen ist. Du trägst ja deine Tasche so schon mit Leichtigkeit. Da machen die sieben Kilo mehr auch nichts aus. Die merkst du gar nicht.“ „In der Tat.“, gab Joran zu. „Aber was tun wir jetzt?“

Wieder war es Sedrin, die, wie meistens in solchen ratlosen Situationen, das Heft in die Hand nahm. „McKnight, Sie begleiten Scott hinüber zu den O’Gradys! Dort benutzen Sie das Sprechgerät für Gäste und rufen Data. Er soll Sie über Carusos Gewohnheiten und sein Lieblingsfutter aufklären. Dann können Sie ihm auch gleich sagen, dass er bei uns und in guten Händen ist. Jaden, wir beide fahren mit dem Fahrzeug, das zu unserer Hütte gehört, danach ins Dorf zum öffentlichen Replikator und besorgen alles. Der Rest bleibt bei Caruso und bespaßt ihn!“ „OK.“, stimmten wir alle zu. Dann nahm Jenna mich bei der Hand und wir gingen los.

Der Weg zum Haus der O’Gradys war nur sehr kurz. Ich aber wünschte, er würde länger dauern, denn ich hatte noch einige Fragen, die ich Jenna gern gestellt hätte. Fragen, die sich auf eine Situation bezogen, die mir Jaden kürzlich geschildert hatte und die er mit Data erlebt hatte. Eine Situation, die mir bei meinem Wissensstand doch sehr seltsam vorkam.

Ich beschloss einfach, Jenna nach dem Problem zu fragen. „Jenn’, ich müsste mal mit Ihnen reden.“, sagte ich. „Also gut.“, sagte McKnight. „Kommen Sie. Wir setzen uns hier auf das Mäuerchen.“

Sie zog mich zu einer kleinen roten flachen Backsteinmauer, die offensichtlich eine optische Trennung zwischen dem Gelände, auf dem die Hütten standen und dem Privatgrundstück der O’Gradys darstellte. Dann fragte sie: „Wo drückt denn nun der Schuh?“ „Wenn Sie einen Emotionschip für einen Androiden entwerfen müssten.“, setzte ich an. „Wie würden Sie dann Wut programmieren? Ich meine, Sie sind Techniker Jenna McKnight und die macht sich Gedanken, bevor sie etwas tut. Sie wissen ja auch, dass Androiden viel stärker sind und schnellere Reflexe haben als die meisten biologischen Wesen. Unkontrollierbare Gewaltausbrüche einzugeben, wäre also ein viel zu hohes Risiko für die Allgemeinheit.“, sagte ich. „Ich würde auf jeden Fall Sicherheitsmechanismen einbauen!“, erwiderte sie. „Das dachte ich mir.“, sagte ich. „Aber wir wissen ja nicht, ob Doktor Soong das genauso gesehen hat wie Sie.“ „Was wollen Sie?“, fragte Jenna verwundert. „Worauf wollen Sie hinaus?“ „Jaden hat mir erzählt.“, begann ich. „Das Data ihm einmal gesagt hat, dass er sehr wütend über sein Verhalten war und seinen Emotionschip nicht mehr ausschalten kann. Jaden hatte sich damals sehr gehen lassen und Data wollte ihn wohl dazu bringen, sich zusammenzureißen und die ganze Planung nicht ihm allein zu überlassen. Von Picard hatte er aber den Befehl erhalten, seinen Chip auszuschalten. Das widerspricht sich doch. Außer es war eine kleine Flunkerei, um Jaden zu erziehen. Ich meine, wenn Jaden mit einem unkontrollierten Wutausbruch Datas rechnen muss und das mit allen Konsequenzen, und Data es so darstellt, als sei Jaden der Verursacher, dann wird der sich wohl zweimal überlegen, was er tut, stimmt’s? Ich weiß. Androiden können eigentlich nicht lügen. Aber es war sogar Picard, der Data beigebracht hat, dass es von Zeit zu Zeit vorteilhaft sein kann, nicht ganz so ehrlich zu sein.“

McKnight zog hörbar Luft ein. Dann sagte sie erfreut: „Wenn das wahr ist, Betsy. Dann wäre das ein sehr genialer Schachzug von Data! Ich halte für möglich, dass er so sogar Huxley zum Nachdenken bewegen konnte. Aber wir werden ja eh gleich mit ihm reden. Da können wir ihn ja auch gleich fragen. Kommen Sie!“ Ich stand auf, hakte mich bei ihr unter und dann gingen wir weiter.

Es dauerte nicht lange und wir waren am Haus der O’Gradys. Hier betätigte Jenna sofort die Sprechanlage, die von Samson beantwortet wurde: „Ja.“, „Hier ist Techniker McKnight.“, sagte Jenna. „Allrounder Scott und ich müssen kurz das Sprechgerät für Gäste benutzen!“ „Kommen Sie rein.“, sagte Sam und entriegelte die Tür.

Jenna zog mich durch die sich öffnende Tür in den Hausflur. Dann bogen wir in einen kleinen Raum ab, in dem es eine Konsole mit einem Sprechgerät gab. „Kennen Sie Datas Rufzeichen auswendig?“, fragte Jenna. Ich nickte. „Dann diktieren Sie es mir bitte.“, sagte sie. „Das hier ist ein normales Sprechgerät ohne Ihr Hilfsmittel und …“ „Schon gut.“, sagte ich und nahm mir das Mikrofon aus der Halterung, während ich begann, ihr Datas Rufzeichen zu diktieren.

Der Androide meldete sich tatsächlich bald am anderen Ende der Verbindung. Er schien sehr überrascht, Jennas und mein Gesicht zu sehen. „Ich muss Ihnen etwas sagen, Commander Data.“, sagte ich. „Wir haben Caruso hier. Er hat sich mit uns hergeschmuggelt.“ „Was für ein Glück, Allrounder Scott.“, sagte Data nüchtern. „Cupernica und ich hatten bereits die ganze Stadt nach ihm abgesucht, ohne ihn zu finden. Aber das ist ja angesichts der Tatsachen auch kein Wunder.“ Ich gab einen bestätigenden Laut von mir. Dann sagte ich: „Wir benötigen aber Informationen von Ihnen, um Caruso den Aufenthalt so gemütlich wie möglich zu machen.“ „Na, dann spitzen Sie mal die Ohren.“, sagte Data und versorgte mich mit den Informationen, die ich mir leicht merken konnte.

Dann wurde ich plötzlich ganz still. „Was ist los?“, fragte Data. „Ich müsste Sie da noch etwas sehr Privates fragen.“, sagte ich. Bitte seien Sie mir nicht böse. Könnte es sein, dass Sie Commander Huxley einmal angeflunkert haben?“ „Auf welche Situation beziehen Sie sich?“, fragte der Androide ruhig, was mir verriet, dass sein Emotionschip wohl aus sein musste. Das bedeutete eindeutig, dass er ihn noch immer abschalten konnte und war ein eindeutiges Indiz, wenn nicht sogar ein Beweis, für meine und Jennas Theorie vom genialen Schachzug. „Damals, als Sie mit Huxley zusammen planen mussten und er sich so gehen lassen hat.“, sagte ich. „Da sagten Sie zu ihm, dass Sie nicht mehr in der Lage seien, Ihren Emotionschip auszuschalten und Sie große Wut empfinden würden, die sich somit nicht kontrollieren ließ und es ziemlich ungemütlich für alle werden könnte, wenn Jaden sich nicht zusammenreißen würde. Aber die Wesen, die Sie damals gefunden hatten, haben doch sicher in Ihrer Datenbank die Vereinbarung mit Picard gesehen, als Sie untersucht worden sind. Aber diese ganzen Zusammenhänge kennt ja Huxley nicht. Er hätte ja durchaus denken können, dass Sie den Chip wirklich nicht mehr deaktivieren können. Gut in Geschichte war er nie. Das konnten ja auch sicher Sie sich denken. Haben Sie das also ausgenutzt, um sein Verhalten zu verändern? Haben Sie ihn also ein bisschen beschwindelt, um Ihr Ziel, das Erhalten seiner Hilfe, zu erreichen? Ich meine, ich würde es Ihnen durchaus zutrauen. Schließlich hat sogar Picard Ihnen beigebracht, dass es manchmal vorteilhaft sein kann, nicht ganz so ehrlich zu sein. Notlügen sind erlaubt und ich glaube, dass das damals ein Notfall war.“

Ich hatte den Sendeknopf losgelassen, denn ich erwartete eigentlich eine Standpauke vom Allerfeinsten. Stattdessen antwortete Data aber nur: „Sie sind eine hoch intelligente junge Frau!“ Dann beendete er ohne weitere Worte die Verbindung.

Darauf hängte ich das Mikrofon ein und wandte mich Jenna zu: „Ich deute das als ein Ja, Jenn’.“ „Ich auch.“, lächelte sie. „Seine Antwort hatte ja schon fast etwas Konspiratives.“ Ich nickte bestätigend. Dann machten wir uns auf den Weg zurück in die Hütte, wo Sedrin und Jaden schon auf die Information warten würden. Natürlich würde über Datas kleinen erzieherischen Schwindel gegenüber Jaden kein Wort unsere Münder in dessen Gegenwart verlassen.

Den Tod ihrer Schöpfung hatte Sytania unmittelbar mitbekommen. „Was für ein schwarzer Tag, Cirnach!“, rief sie aus. „Was für ein verflucht schwarzer Tag. Dabei hat er doch so gut angefangen. Die Tindaraner haben sich selbst ein gewaltiges Ei ins Nest gelegt und gegen euer Virus haben selbst die Xylianer noch immer kein Mittel gefunden. Aber es ist wie immer, wenn es zu gut läuft. Irgendwann kommt der Dämpfer!“ „Ich kann leider im Moment nicht nachvollziehen, worüber Ihr redet, Milady.“, sagte Cirnach, die das Ganze ja naturgemäß nicht ganz so genau verfolgen hatte können. „Benutze den Kontaktkelch mit mir!“, befahl Sytania. „Dann wirst du schon sehen, wovon ich gesprochen habe.“

Die Vendar nickte und nahm gemeinsam mit der Königstochter wieder jene bekannte Handhaltung auf dem Kontaktkelch ein. Dann stellte sich Sytania die Erde vor und wie deren Sonne ein Stück zurücklief, was für den Kelch der Befehl war, ihnen zu zeigen, was vor einigen Minuten auf der Erde geschehen war. „Das ist Scotts verdammtes Schiff!“, stieß Cirnach hervor. „Allein hätten die Tindaraner die Kinder nie alle retten können. Aber woher wusste dieses Schiff, dass es so dringend gebraucht wurde. Scott hatte doch keine Möglichkeit, mit ihr Kontakt aufzunehmen!“ „Was fragst du mich solche Sachen?“, fragte Sytania. „Damit kenne ich mich nicht aus. Ich verstehe nichts von der Benutzung von Technologie. Das ist mir zu primitiv. Aber du und deine Leute, Cirnach, ihr tut es und versteht daher die Zusammenhänge doch wohl am allerbesten. Warum beantwortest du mir diese Frage nicht?!“ „Weil, was mir Milady verzeihen mögen, ich es nicht kann. Ich habe allenfalls eine Theorie. Sie lautet, dass es vielleicht sogar an Lyciras saloranischer Grundprogrammierung liegen könnte. Die Moralvorstellungen der Tindaraner, der Föderation und der Saloraner scheinen in gewisser Hinsicht gleich zu sein. Auch Lycira ist ein selbstständig denkendes und handelndes Schiff. Vielleicht musste sie gar nicht auf Scotts Befehl warten. Sie dachte sich wohl, dass ihre Pilotin ihr auf jeden Fall zustimmen würde, wenn sie mithelfen würde, die Kinder zu retten. Deshalb hat sie es wohl einfach getan.“ „Verdammt!“, schimpfte Sytania verärgert. „Warum musste sie denn überhaupt in der Nähe sein?!“

Der Herold hatte ins Horn geblasen. „Gorg, der Ferengi!“, kündigte er selbigen an. „Wieso ist der schon wieder zurück?!“ ärgerte sich Sytania. „So schnell kann er Shimars Körper doch nun auch nicht verkauft haben! Aber das soll er mir selbst erklären! Lass ihn vortreten!“

Sytanias Herold winkte Gorg, der mit zitternden Händen einen Barren des in Gold gepressten Latinums vor Sytania auf ihrem Audienztisch, an dem Cirnach und sie gesessen hatten, ablegte. „Was soll das?!“, fragte die Königstochter, die sich auf das Verhalten ihres Auftragnehmers keinen Reim machen konnte. „Ist dir mein Geld etwa nicht gut genug?“ „Das ist nicht von Euch.“, stammelte Gorg und wurde blass. „Gleich, nachdem ich Shimars Körper hatte, ist ein Schiff der Cobali aufgetaucht. An Bord war ein Weibchen, … Entschuldigung. Ich meinte eine Frau mit einem verzweifelten Kinderwunsch. Sie war bereit, sofort zu zahlen und ich konnte nicht anders, als nachzugeben. Ihr wisst ja, wie meine Spezies reagiert, wenn wir Geld hören. Aber ich glaube, sie hat mich hereingelegt.“

Er nahm den Barren und ließ ihn mit voller Wucht auf den Boden des Thronsaals fallen. Die Hülle zerbrach und eine Wasserpfütze ergoss sich.

Cirnach nahm ihren Erfasser und scannte den Inhalt. „Es ist klares Wasser.“, bestätigte sie dann. „Das bedeutet!“, entrüstete sich Sytania. „Es hat dich tatsächlich jemand hereingelegt. Aber das muss ja jemand sein, der zumindest eine Vermutung hat, was ich wirklich für ein Spiel spiele und das kann nur jemand sein, der weiß, wer du bist. Lass uns mal überlegen. Wer hat dich gesehen? Wer hat dich schon mal gesehen und weiß, dass du nichts Gutes im Schilde führst. Wer könnte vermuten, dass du wieder einmal für mich arbeitest und verhindern wollen, dass ich meinen Plan, Shimars Körper zu zerstören, in die Tat umsetze?!“ „Ginallas Schiff kennt ihn.“, sagte Cirnach. „Aber Kamurus ist in der Umlaufbahn von Celsius. Meine Leute beobachten ihn. Aber da gibt es ein zweites Schiff seiner Art, das mit Warp acht auf dem Weg zur Erde ist. Dieses Schiff sollten wir beobachten.“ „Könnte es sein, dass ich von diesem Schiff hereingelegt wurde?“, fragte Gorg und fiel fast in Ohnmacht. „Ich meine, was ist, wenn die Beiden sich kennen?“ „Das halte ich durchaus für möglich.“, sagte Cirnach. „Alles, was du uns geschildert hast, Gorg El Ferenginar, würde mich stutzig machen an deiner Stelle. Ich denke, das Schiff hat dir eine Falle gestellt und den perfekten Köder gleich mitgeliefert. Erst einmal hat sie sich dir als Frau zu erkennen gegeben. Damit hat sie schon mal erreicht, dass du sie unterschätzt und für harmloser hältst, als sie in Wahrheit war. Dann hat sie auf verzweifelt gemacht. Das hat dich denken lassen, dass du leichtes Spiel mit ihr hättest und zum Schluss hat sie dich noch mit der Aussicht auf sofortige Zahlung gelockt und du bist prompt darauf eingegangen. Dieses Schiff wusste genau, wo deine Schwachstellen sind. Ich bin überzeugt, sie kennt Kamurus und er hat ihr alles erzählt. Wir sollten sie beobachten. Die Frage ist nämlich, was will sie auf der Erde?“ „Du hast Recht, Cirnach.“, sagte Sytania.

Dann wandte sie sich Gorg zu: „Und nun zu dir! Ich werde dir jetzt im wahrsten Sinne des Wortes zeigen, was es heißt, die Kronprinzessin des Dunklen Imperiums hängen zu lassen! Ich werde dich dort bestrafen, wo es dir am meisten wehtut!“

Es gab einen schwarzen Blitz und Gorg sah vor sich, wie sich all sein neuer Reichtum, den er ja erst gerade von Sytania bekommen hatte, buchstäblich in Luft auflöste. Das Gleiche geschah auch mit all seinem sonstigen Vermögen. „Nur ein bankrotter Ferengi ist ein guter Ferengi!“, sagte Sytania noch zufrieden, während sie ihn auf die gleiche Weise zurück auf sein Schiff schickte.

Dann wandte sie sich an Cirnach: „Lasse uns nun weiter dieses Schiff beobachten. Ich wüsste gern, was es will.“ „Wie Hoheit wünschen.“, sagte die Vendar, legte ihre Hand neben die der Prinzessin auf den Kelch und konzentrierte sich gemeinsam mit ihr auf Sharys Bild.

 

 

Kapitel 74: Eingewöhnung

von Visitor

 

Shimar und Rudi hatten die Wohnung des Terraners erreicht. Sie lag in einem Haus auf dem Gelände des Therapiezentrums, das von der Schwester des Tindaraners geleitet wurde. Aber ihre Einrichtung entsprach ganz der des 21. Jahrhunderts. Shimar kam das zunächst etwas seltsam vor, aber er konnte sich schon denken, dass Rudi nicht ganz von seinen Gewohnheiten abweichen wollte.

Die Männer betraten das Wohnzimmer. Hier fiel Shimars Blick sofort auf ein kleines zweisitziges Sofa, auf dem sich einige Katzen- und Hundehaare befanden. Offenbar hatten sich sowohl die kleine Maus, als auch Mikosch darauf verewigt. Neben diesem Sofa gab es einen Sessel, der noch fast unbenutzt schien. Davor stand ein kleiner eckiger gefliester Tisch. In der Ecke gab es sogar einen für Shimar fast altertümlich anmutenden Fernseher. Er war neugierig, wie wohl die Küche aussehen würde.

Sie befreiten die Tiere von Box und Leinen. „Ich werde mit der kleinen Maus in die Küche gehen und sie dort füttern.“, sagte Rudi. „Wir müssen sie trennen, da Hunde kein Katzenfutter fressen dürfen. Gerade Mausi ist sehr empfindlich, was ihre Verdauung angeht. Mikoschs Futter findest du im Vorratsraum am Ende des Flurs. Sein Napf steht dort in der Ecke. Wasser findest du im Bad. Das ist gleich links neben der Eingangstür.“ „OK.“, sagte Shimar und sah zu, wie Rudi aus dem Zimmer ging. Mausi folgte ihm. Offenbar kannte sie die Prozedur schon.

Der junge Tindaraner wandte sich Mikosch zu, der auf die kleine Couch gesprungen war und es sich dort gemütlich gemacht hatte. „Ich bringe dir gleich dein Fresschen.“, sagte er zärtlich und streichelte den Kater. „Dein Dosenöffner hat mich ja schon gut eingespannt. Aber das wollte ich ja nicht anders.“ Mikosch antwortete kurz: „Meng!“, und begann zu schnurren. Schon zu Lebzeiten hatte er gern alles kommentiert, was er gehört hatte.

Shimar ging aus dem Raum in Richtung der Speisekammer. Hier stieß er gleich neben der Tür auf ein Regal, in dem sich unzählige kleine Packungen mit Katzenfutter stapelten. Das konnte er allerdings nur sehen, weil auf allen Packungen eine Katze abgebildet war. Die Beschriftungen waren alle auf Deutsch. „OK.“, stellte Shimar fest, der sich jetzt wohl nichts sehnlicher wünschte, als einen Universalübersetzer. Aber dann hielt er sich doch mit seinem Wunsch zurück, da er sich noch sehr gut daran erinnerte, dass im Totenreich ja alle Wünsche wahr wurden und er immer noch Rücksicht auf Rudi nehmen und ihn nicht irritieren wollte. „Offenbar brauche ich Hilfe.“, bemerkte er.

Gerade wollte er nach Rudi rufen, als ihm einfiel, dass er sich doch einfach nur Kenntnisse in dessen Muttersprache zu wünschen brauchte, um das hier lesen zu können. Rudi selbst hatte es ja bestimmt nicht anders gemacht. Von mir wusste Shimar, dass sich seine Englischkenntnisse ja zu seinen Lebzeiten sehr in Grenzen gehalten hatten. Er hoffte nur, Rudi würde sich bei Zeiten den schrecklichen deutschen Akzent wegwünschen, den er jetzt noch hatte.

Shimar begann damit, sich fest auf seinen Wunsch, die Beschriftungen auf den Packungen verstehen und lesen zu können, zu konzentrieren. Im selben Moment wurde ihm klar, was da stand. „Das klappt ja!“, stellte er erfreut fest. Dann nahm er einen der kleinen Beutel, der Geflügelfleisch mit Sauce enthielt und auch noch einen mit ein paar Leckerchen aus dem Regal und riss beide auf. Dann ging er damit zum Napf, den er an seinem Platz stehen gelassen hatte. Dort angekommen füllte er zuerst das Futter in das Gefäß und streute die Leckerchen oben drüber. Offenbar wollte er sich bei Mikosch einschmeicheln.

Der Kater hatte ihn aus dem Augenwinkel heraus beobachtet. Er kam jetzt gemächlich von seinem Liegeplatz und schlich schnurrend auf Shimar zu. Dann beschnupperte er den Inhalt des Napfes, öffnete sein Maul und machte sich schmatzend darüber her. Offenbar gefiel ihm Shimars Rezept.

Shimar nahm den Wassernapf und ging damit ins Bad. Allerdings stand er hier schon wieder vor dem nächsten Problem. Wie kriegte er jetzt bloß das Wasser aus der Leitung?! Mit einem Replikator war alles viel einfacher! Aber was mit dem Katzenfutter geklappt hatte, musste ja hier auch funktionieren.

Er wünschte sich also, mit so einer in seinen Augen doch sehr primitiven Einrichtung wie einem Wasserhahn umgehen zu können und im gleichen Moment fiel ihm ein, dass er ja nur den Hebel auf dem Hahn in gewisser Weise bewegen musste. „Das klappt ja wie’s Brezelbacken!“, sagte er zufrieden, während er mit dem vollen Napf zurück zu Mikosch ging. „Bitte sehr, mein kleiner schwarzer Panther.“, schmeichelte er. „Dann musst du nicht alles so trocken herunterwürgen.“ Sofort begann der Kater zu schlabbern. Shimar setzte sich auf den Sessel und beobachtete das Schauspiel.

Mikosch hatte den Napf geleert und sich nun auf die kleine Couch gelegt, wo er damit begonnen hatte, sich zu putzen. Dabei fiel dem jungen Tindaraner sofort auf, wie gründlich er dabei war. „Also eines steht fest.“, sagte er. „Das Wort Katzenwäsche ist eine totale verbale Fehlbesetzung! Es bezeichnet eigentlich eine kurze schnelle und nicht sehr gründliche Wäsche. Dabei tust du genau das Gegenteil. Du lässt ja keine Körperstelle aus, auch wenn du dich dabei noch so sehr verrenken musst!“

Rudi und Mausi hatten wieder das Wohnzimmer betreten. Als die kleine Hündin Shimar sah, sprang sie sofort auf seinen Schoß und leckte ihm durchs Gesicht. Dann ließ sie sich flach auf den Bauch fallen. „Ich dich auch!“, lachte Shimar, dem die Bedeutung ihres Verhaltens sofort klar war. „Ist es dir recht, wenn ich das Aufgebot für nächsten Donnerstag bestelle?“ Rudi musste laut lachen. „Na deinen Humor hast du ja nicht verloren.“, stellte er fest. „So schnell geht das bei mir auch nicht.“, sagte Shimar. „Da muss das Schicksal schon stärkere Geschütze auffahren.“ „Na, dann können wir ja froh sein, dass dich so schnell nichts erschüttern kann.“, sagte Rudi.

Darauf gab es einen weißen Blitz und vor ihnen auf dem Tisch standen ein Tablett mit belegten Broten und eine Kanne Tee mit weißen Tassen. „Ich sehe, du hast Abendbrot gewünscht.“, sagte Shimar. Offensichtlich hatte er das von Abendbrot gemacht abgeleitet. Rudi, der seinen Witz durchaus verstanden hatte, grinste nur. „Wie Aufmerksam.“, sagte Shimar noch. Dann begannen die Männer zu essen.

Auf dem Brotbrett, auf dem die Schnitten lagen, war Shimar auch eine aufgefallen, die aus Schwarzbrot bestand und mit Leberwurst bestrichen war. Sie war viel kleiner als der Rest. „Für wen ist das?“, fragte der junge Tindaraner und zeigte auf die Schnitte. „Für die, die gerade auf deinem Schoß sitzt.“, sagte Rudi. „Ah, OK.“, sagte Shimar und griff nach dem Stück Brot, das er Mausi dann hinhielt. Sie aber schaute seine Hand nur zögernd an. „Na nimm’s!“, versuchte Shimar sie zu motivieren. „Sie traut sich nicht.“, sagte Rudi zur Übersetzung. „Sie hat Angst, dich mit ihren Zähnen zu verletzen.“ „Was?“, fragte Shimar ungläubig. „Aber das ist für ein Raubtier, das ein Hund ja in gewisser Weise immer noch ist, doch eigentlich eher untypisch.“ „Natürlich ist es das.“, bestätigte der ältere Terraner. „Aber Mausi ist der liebste kleine Hund, den ich kenne. Leg das Brot doch einfach auf deine flache Hand. Dann nimmt sie es.“ „Danke.“, sagte Shimar und tat, was Rudi ihm geraten hatte. Tatsächlich nahm Mausi es vorsichtig mit ihren weichen Lippen auf. „Ja fein!“, lobte Shimar. „Es geht doch. Du musst keine Angst haben.“

„Mikosch hat ja sogar Angst vor lebendigen Mäusen und wenn mal was ist, dann maunzt er um Hilfe, statt sich selbst zu wehren.“, erklärte Rudi. „Ach du meine Güte!“, rief Shimar aus. „Er ist ja ein richtiger Pazifist! Ihr hättet ihn Mahatma nennen sollen oder am besten gleich Gandhi.“ „Na, du versuchst wohl, mit deinem Wissen über die Erde zu glänzen, um bei mir Eindruck zu schinden, mein außerirdischer Freund.“, lächelte mein Großvater. „Aber das ist gar nicht nötig. Ich respektiere dich auch so. Wir müssen sogar zusammenarbeiten. Es ist lange noch nicht deine Zeit, mein Junge. Lange noch nicht deine Zeit. Genauso, wie es lange noch nicht Betsys Zeit war, als es sie hier her verschlagen hatte.“

Shimar hatte das Gesicht verzogen. „Was ist los?“, fragte Rudi. „Es ist wegen der Sache mit Betsy.“, sagte Shimar. „Das hat mich auf was gebracht. Meine Schwester hat offenbar noch immer ihr Therapiezentrum. Das heißt, dass sie nicht für ihre Mithilfe bei Betsys Flucht von den Quellenwesen bestraft worden ist. Was passiert eigentlich mit den Kindern, wenn sie ihren Tod akzeptiert haben?“ „Sie kommen nach Omarion zu Neris und Odo.“, antwortete Rudi. „Die Beiden hatten zu Lebzeiten keine Kinder. Das war ja auch nicht möglich. Aber nach ihrer Schwangerschaft mit dem Sohn der O’Briens war in Neris doch der Wunsch gereift. Dass das allerdings dann sozusagen erst nach ihrem Tod möglich war, fand sie zuerst sehr ironisch, aber …“ „Moment mal, Rudi“., fiel ihm Shimar ins Wort. „Neris und Odo sind also auch nicht …“ „Nein, nein, mein Junge!“, versicherte der alte Mann grinsend. „Auch sie wurden nicht bestraft. Im Gegenteil. Die Quellenwesen waren ihnen sogar sehr dankbar. Sie hätten das Problem nie lösen können, weil sie es gar nicht verstanden haben.“ „Das ist logisch.“, sagte Shimar. „Das Problem war linear. Alles, was linear ist, verstehen die Quellenwesen und die Propheten nicht, weil sie Wesen sind, die außerhalb der Zeit existieren. Außerdem sind sie miteinander verwandt, was das bei beiden nahelegt.“ „Richtig.“, lobte Rudi. „Sie würden diese Schwäche aber nur ungern gegenüber Sterblichen zugeben.“ „Kann ich mir vorstellen.“, sagte Shimar. „Wer gibt schon gern eine Schwäche zu.“

Er Hatte sich in der Wohnstube umgesehen. Dabei war ihm aufgefallen, dass es, wie im Bad auch, keine Dinge gab, die auf die Anwesenheit einer Frau schließen ließen. Dabei hatte ich ihm ja auch von meiner Großmutter erzählt. „Sag mal.“, wandte er sich Rudi zu. „Was ist mit deiner Frau?“ „Ach.“, sagte mein Großvater. „Wir hatten leider unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten. Gerade bei der Sache, die mir mein Miezerle längst verziehen hat, wie es aussieht. Meine Frau konnte mir das nicht verzeihen und ist dann in eine andere Welt gegangen. In eine, die ihren moralischen Ansprüchen wohl mehr zusagt.“ „Betsy urteilt selten nach dem ersten Eindruck.“, sagte Shimar. „Sie versucht immer erst, den Sachen genau auf den Grund zu gehen. Sie wird gesehen haben, dass deine Eltern vielleicht einfach nur überleben wollten und dich deshalb auf die Flugschule geschickt haben. Sie wollten nicht verhaftet und ermordet werden, nur weil sie dich nicht hergeben wollten in eine zwar amoralische, aber dennoch in diesem Moment leider herrschende Maschinerie. Dein Miezerle, also Betsy, hat das genau verstanden und sie ist dennoch sehr stolz auf dich, da du es trotzdem geschafft hast, im Geiste aufrecht und aufrichtig zu bleiben.“ „Bitte hör auf.“, bat Rudi. „Sonst fange ich gleich wieder an zu weinen.“

Erneut rannen ihm Tränen über das Gesicht. Mikosch, der das durchaus gespürt hatte, machte ein trauriges: „Meng!“, und kuschelte sich an ihn. Auch Mausi sprang von Shimars Schoß und lief zu Rudi hinüber, um sich an ihn zu schmiegen und leise zu fiepen. „Entschuldige bitte.“, sagte Shimar. „Ich wollte dich nicht traurig machen.“ „Schwamm drüber.“, sagte Rudi. „Wir müssen uns ja sowieso auf ganz andere Dinge konzentrieren.“

Er stand auf und ging zu dem großen Fernseher hinüber. „Funktioniert das Gerät?“, fragte Shimar etwas verwirrt. „Ich meine, in der Welt, in der du jetzt lebst, dürfte …“ „Das funktioniert!“, versicherte Rudi. „Und wie s funktioniert! Das wirst du gleich sehen!“

Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er sich auf etwas zu konzentrieren schien. Dann sah Shimar plötzlich das Bild vom Grundstück der O’Gradys auf dem Bildschirm. Aber nicht nur das. Auch die Huxleys und ich waren zu sehen, was Mausi veranlasste aufzuspringen und laut fiepend zum Fernseher zu laufen. Auch Mikosch sprang aufgeregt von der Couch und stellte sich neben sie. Sein Schwanz peitschte durch die Luft und er machte einige kurze Laute. „Oh je!“, sagte Shimar. „Die Beiden scheinen ihr Frauchen wirklich zu vermissen.“ „Ja, das tun sie.“, bestätigte mein Opa. „Sie haben Betsy sehr lieb gehabt. Alle beide.“

Shimar war aufgestanden und hatte die Tasche und den Koffer mit dem Spielzeug geholt. „Wir müssen sie ablenken.“, sagte er. Wenn wir sie nur streicheln und zu trösten versuchen, erreichen wir genau das Gegenteil.“ „Sehr gut!“, sagte Rudi. „Ich sehe, Betsy hat dir schon einiges beigebracht.“

Der tindaranische Flieger nahm eine große Ente aus Plüsch aus dem Koffer und drückte auf ihren Bauch, worauf diese ein lautes Schnattern losließ. Sofort sauste Mausi quer durch das Wohnzimmer und war neben ihm. Es hatte vier Dinge gegeben, für die sie schon zu Lebzeiten absolut empfänglich gewesen war. Das waren Spielen, Schmusen, Leckerchen und Autofahren. Ersteres würde sie jetzt von Shimar bekommen und dann war ihr alles andere egal. „Du kannst dir schon etwas darauf einbilden, dass sie so schnell Freundschaft mit dir geschlossen hat.“, sagte Rudi. „Normalerweise geht das gerade bei Männern nicht so schnell. Ach, wirf mir doch bitte mal ein Spielzeug für Mikosch herüber!“ „Ah.“, machte Shimar, der gesehen hatte, das Mikosch inzwischen wieder auf die Couch gesprungen war. „Seine Hoheit ziehen es also vor, in der Sänfte bespaßt zu werden. Aber gut.“

Er zog einen Federbusch an einer Schnur aus der Katzentasche: „Fang!“ Rudi fing den Busch auf.

Der junge Tindaraner steckte sich die Stoffente jetzt hinten in den Hosenbund und krabbelte auf allen Vieren vor Mausi her. Dabei rief er immer wieder: „Na hol’s!“ Dabei schlug er Haken um die Möbel. Mausi folgte ihm mit wedelnder Rute. Dabei ließ Shimar sie natürlich auch die Ente erwischen, die sie dann schüttelte und in die sie hineinbiss, um sie zum Schnattern zu bringen. Er warf sie sogar durch den Raum, was Mausi dazu veranlasste, hinterher zu rennen. Zwar apportierte sie die Ente nicht, aber sie machte einen Veitstanz um sie, wenn sie bei ihr angekommen war, der Shimar die Lachtränen in die Augen trieb. Zwischendurch ließ Mausi auch immer wieder ihr bekanntes: „Ruuuuuuu!“, hören und stellte sich mit Schwung auf die Hinterbeine. Darüber musste Shimar noch mehr lachen.

Auch Rudi war es gelungen, Mikosch zum Spiel mit dem Federbusch zu motivieren. Schnurrend tatzte der Kater danach oder biss auch spielerisch hinein. So spielten die Beiden mehrere Minuten lang mit den Tieren, bis diese sich vor Erschöpfung beide gemeinsam in eine große ovale Schaumstoffschale zurückzogen, die an der Heizung stand. Shimar sah entzückt zu, wie sie sich aneinander kuschelten um dann gemeinsam einzuschlafen. Wie niedlich ist das denn?!, dachte er.

„So.“, sagte Rudi. „Jetzt können auch wir fernsehen.“ „Ja.“, bestätigte Shimar. „Ich habe gehört, der Sender Diesseits-TV soll heute ein sehr kurzweiliges Programm zeigen. Einen Super-Film mit deiner Enkelin, also meiner Freundin, in der Hauptrolle.“ Rudi grinste.

Kapitel 75: Sturz eines Mächtigen

von Visitor

 

Invictus hatte den Kampf gegen Valora verloren. Er hatte dabei fast all seine Kräfte eingebüßt. Dennoch erfüllte es ihn mit einer gewissen Genugtuung, dass er seiner Tochter die Flucht hatte ermöglichen können. Nun aber musste er für sich selbst nach einer Möglichkeit zum Ausruhen suchen. Er hatte sich zwar mit dem Rest seiner Kräfte noch in eine Wolke aus Energie verwandeln können und sich in das Universum der Föderation gerettet, aber lange würde er diese Gestalt nicht mehr halten können und das bedeutete, dass er sich dringend einen Planeten mit einer Klasse-M-Atmosphäre suchen musste, in der er überleben konnte. In seinem Zustand war von seiner Unsterblichkeit und seiner Unverwundbarkeit nicht mehr viel übrig.

Endlich hatte er die Erde erreicht. Hier spürte er sofort die Anwesenheit von Artverwandten. Zumindest bezeichnete er selbst die Pferde auf der Weide und im Stall der O’Gradys als solche. Er beschloss also, dort zu landen und sich erst einmal auszuruhen. Also schwebte er auf die Weide hinunter, auf der auch die alte Jessy und ihre Herde standen.

Sofort beschnupperten alle den Neuankömmling, der sich inzwischen seiner Erschöpfung ergeben und wieder eine feste Gestalt annehmen musste. Seine Gerüche verhießen den Pferden nichts Gutes. Er roch fremd und er roch krank. Sie wussten nicht, wie sie ihn einordnen sollten. Das machte sie sehr unruhig. Nur Jessy, die als Erfahrenste auch die Leitstute war, wusste genau, dass sie jetzt nur Hilfe von den Zweibeinern bekommen konnten. Sie wusste auch, wie sie diese aufmerksam machen konnte.

Commander Huxley und ich hatten einen Spaziergang über das Grundstück gemacht. Jaden hatte mich darum gebeten, weil er üben wollte, mich zu führen. Dabei hatten wir uns unterhalten. „Sie haben Ihr Schiff sehr gut erzogen, Allrounder.“, sagte er, dem Joran oder Jenna wohl erzählt haben mussten, wie sie Sytanias Schöpfung zur Strecke gebracht hatten. „Oh das war nicht ich, Commander.“, sagte ich bescheiden. „Ich denke, der Grundstein dafür wurde bereits in Lyciras saloranischer Grundprogrammierung gelegt. Für sie ist es bestimmt auch höchst amoralisch, unschuldige Kinder zu töten. Außerdem wollten Sie mich doch Betsy nennen.“ „Tut mir leid, Betsy.“, sagte Jaden.

Wir kamen der Weide immer näher. Ich hörte genau das nervöse Hin- und Herlaufen der Pferde. „Ich glaube, da stimmt etwas nicht.“, sagte ich und auch ich versteifte mich, was Jaden sehr wohl bemerkte. „Das würde ich auch sagen, Betsy.“, sagte er und schaute sich die Situation hinter dem Zaun an. Dabei machte er auf mich den Eindruck, als wollte er nicht glauben, was er dort zu sehen bekam. „Da liegt ’n Einhorn!“, rief er aus. „Bleiben Sie hier! Ich hole die anderen!“ „OK.“, sagte ich schnell und löste meine Hand von seinem Arm. Er drehte sich weg und war mit ein paar schnellen Schritten verschwunden.

Jessy musste mich erkannt haben. Jedenfalls kam sie herüber getrabt und schnupperte aufgeregt an mir, die ich mich an einem Balken, der als obere Begrenzung des Zaunes diente, festhielt. Auch für mich war die Situation recht aufregend gewesen. „Ruhig, Jessy.“, sagte ich leise, aber bestimmt. „Es wird alles wieder gut.“

Mit dem Rest der Truppe im Schlepptau hatte Jaden bald wieder das Arial betreten. Auch der kleine James war, neugierig wie Kinder nun einmal sind, hinter den Erwachsenen hergeschlichen. Er fand es wohl seltsam, dass Tchiach mit durfte und er nicht, obwohl der Vendar-Teenager erheblich älter als er war. Aber sein knapp sechsjähriger Verstand konnte das ja noch nicht erfassen. „Ui, was is’ das denn?!“, quietschte er. „Is’ das ’ne Mischung aus einem Pferd und einem Nashorn?“ „Nein, James.“, sagte Sedrin, die an zweitletzter Stelle gegangen war und ihn erst jetzt erspäht hatte. „Aber ich darf dir das leider nicht erklären. Dafür bist du noch zu klein. Aber keine Angst. Wenn du größer bist, dann wirst du es schon verstehen und größer wirst du schließlich von ganz allein.“

Alle standen jetzt vor dem Zaun und blickten auf die Szenerie, die sich ihnen bot. „Du solltest deine Pferde wegbringen, Samson El Taria.“, schlug Joran schließlich vor. „So aufgeregt wie sie sind, könnten sie uns eventuell gefährlich werden, wenn wir versuchen, uns um Invictus zu kümmern.“ „Sie haben … Entschuldigung, du hast Recht, Joran. Aber das kann mein Sohn erledigen.“, sagte Sam. „Das sind mindestens zehn Tiere, Mr. O’Grady!“, sagte Jaden mit viel Empörung in der Stimme. „Denken Sie nich’, dass ’n Sechsjähriger damit bei weitem überfordert is’?!“ „Ich bin überzeugt, sie werden ihre Methoden haben, Jineron Terraneron.“, versuchte Sedrin, ihren etwas aufgebrachten Mann wieder zu beruhigen. Alle anderen nickten nur bestätigend.

James war zum Tor gegangen, das er dann auch geöffnet hatte. Dann rief er: „Jessy, heim!“ Sofort begann die Leitstute damit, ihre Herdenmitglieder zu umkreisen und sie somit zusammenzutreiben. Dann ging es im Gänsemarsch zu James, der alle kurz klopfte und ihnen dann zurief: „Kommt!“ So ging es in Richtung Stall.

Fasziniert hatten alle jenem Schauspiel zugesehen. „Deine Pferde sind sehr wohlerzogen, Samson El Taria.“, urteilte Tchiach und ihr Vater nickte ihr bestätigend zu. Dann sahen beide Vendar Samson mild an. „Das müssen sie sein.“, sagte der Ire. „Wenn ich sie Gästen mit verschiedener Reiterfahrung anbieten will.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran.

Jaden zeigte auf Invictus, der natürlich noch immer auf der Weide lag. „Was wird jetzt mit ihm?“, fragte er. „Wir müssen herausfinden, wie sein Gesundheitszustand genau ist.“, sagte Sedrin. „Ach, ich wünschte, ich hätte einen Erfasser.“ „Den kannst du haben, Sedrin El Demeta!“, sagte Joran großspurig und zog mit einer übertriebenen Geste den Seinen aus der Tasche, um ihn ihr zu geben. „Glücklicherweise hat uns ja niemand Technologieverbot erteilt.“, sagte Jenna und lächelte ihrem Freund gewinnend zu. „Danke, Joran.“, sagte Sedrin und näherte sich Invictus vorsichtig. „Dabei sprach sie ruhig auf ihn ein: „Ganz ruhig, mein Freund. Ganz ruhig. Ich möchte nur wissen, wie es dir geht.“ Dann begann sie damit, ihn zu scannen.

Jaden hatte sich wieder neben mich gestellt. Deshalb konnte ich gut hören, dass er etwas vor sich hin murmelte. „Was ist?“, fragte ich. „Ach.“, sagte der sichtlich ertappte Jaden. „Es ist nur, weil meine Frau ihn gerade behandelt wie ein ganz normales krankes Tier. Dabei ist Invictus das mächtigste Wesen im gesamten Dunklen Imperium!“ In seiner Stimme schwang etwas Verärgerung mit. „Er war das mächtigste Wesen im ganzen Dunklen Imperium, Jaden El Taria!“, verbesserte Tchiach. „Er hat seine Kräfte fast vollständig verloren. Das spüre ich. Jetzt ist er kaum noch mehr als ein Tier. Deine Frau verhält sich also genau richtig!“

Joran flüsterte seiner Tochter etwas Lobendes auf Vendarisch zu. Dann sagte er zu Jaden: „Tchiachs Einschätzung ist korrekt, Jaden El Taria! Ich fühle nämlich das Gleiche!“

„Bitte kommt alle her!“ Sedrins Ausruf hatte uns alle alarmiert. Sofort hakte mich Jaden unter und wir liefen zu ihr. Dann hielt sie allen, die es sehen konnten, den Erfasser unter die Nase und erklärte für mich: „Er wird sterben, wenn wir nichts tun. Laut diesen Werten ist er zu schwach zum Aufstehen. Er darf aber auch nicht zu lange so liegen, weil er sonst von seinem eigenen Gewicht erdrückt wird.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Wir müssten ihn aufrichten und ihn dann mit mehreren Schichten aus flachen Heuballen stützen. So können wir immer eine entfernen, falls er sich langsam erholen sollte. Dann kann er langsam wieder seine Muskeln trainieren.“ „Klasse Idee, Joran!“, sagte Jenna. „Genau das Gleiche hatte ich auch gerade gedacht.“ „Zwei Seelen, ein Gedanke, Telshanach.“, sagte der Vendar anerkennend.

„Er kann aber auf keinen Fall hier draußen in der Kälte bleiben.“, wandte ich ein. „In seinem jetzigen Zustand wird das auch nicht gesund für ihn sein.“ „Sie haben Recht, Betsy.“, sagte Sedrin. „Joran, Jaden, bitte versucht ihn aufzurichten. Dann geht ihr mit ihm Richtung Stall. McKnight, Sie gehen vor und halten die Tür auf. Tchiach, geh du bitte mit Mr. O’Grady die Heuballen besorgen. Betsy, wir beobachten genau das Verhalten des Einhorns. Wir sind dafür verantwortlich, dass den Männern nichts passiert. Ich bin zwar auch eine Farmerstochter, aber mein Wissen über das Verhalten von Pferdeartigen ist etwas eingerostet. Ihres ist trainiert. Ich werde Ihnen sozusagen meine Augen leihen und Ihnen sagen, was Invictus tut. Sie interpretieren sein Verhalten!“ „OK.“, sagten wir alle unisono und begaben uns auf unsere Posten. Dabei war es uns allen sehr recht, dass Sedrin die Organisation übernommen hatte. Dass sie dazu Talent hatte, stand außer Frage. Schon in der Zeit, als sie noch Jadens Erste Offizierin war, hatte er ihr Organisationstalent sehr zu schätzen gewusst.

 

Vorsichtig näherten sich Jaden und Joran Invictus. „Du gehst am besten an den Schweif, Jaden El Taria.“, sagte der Vendar. „Dort kannst du ihn stabilisieren. Ich nehme den Rest von ihm.“ „Jetzt tu mal nicht so stark.“, sagte Jaden. „Ich tue nicht nur so.“, sagte Joran.

Die Beiden hatten ihre Positionen eingenommen und Jaden hatte zu Sedrin und mir herübergerufen: „Ist das für Invictus noch in Ordnung, Jinya?!“ Sedrin hatte nur genickt und ich hatte mich ihr auch angeschlossen, denn auch die Lautäußerungen des Einhorns ließen keine Schlüsse auf übermäßige Angst zu. „Also gut.“, sagte Jaden. „Dann auf drei! Eins, zwei, drei!“

Sie schoben ihre Hände unter Invictus‘ Körper und hoben ihn an. Sofort begann das Einhorn mit dem Versuch, seine Hufe wieder unter sich zu stellen, wie Sedrin mir beschrieb. „Er will mithelfen!“, stellte Sedrin fest. „Er will leben! Das sind schon einmal gute Voraussetzungen!“ Ich gab einen bestätigenden Laut von mir.

„Lass ihn seine Hinterbeine sortieren.“, sagte Joran zu Jaden. „Und dann führen wir ihn vorsichtig in Richtung Stall.“

Jenna hatte die Prozession bereits am Stall erwartet. Sie hatte weisungsgemäß die Tür aufgehalten und bei der Gelegenheit den kleinen James gleich einmal nach einer freien Box gefragt, die dieser ihr gezeigt hatte. Dort wurde Invictus nun hineingeführt und dann wurden eilig einige Heuballen unter seinen Bauch geschoben, die von Tchiach und Samson besorgt worden waren. „Die Kleine meinte, wir könnten besser einige zu viel holen als zu wenig.“, sagte Sam und zeigte auf den Stapel. „Sehr gut.“, sagte Sedrin.

Bald war Invictus auf sein Krankenlager gebettet. „Seine Augen sind schon viel ruhiger.“, stellte Sedrin fest. „Anscheinend vertraut er uns.“ „Aber wie lösen wir sein Energieproblem?“, fragte Jaden flapsig und sah Joran an. „Die Energie der Quellenwesen ist dafür nicht bestimmt!“, sagte der Vendar fest. „Ich kann also nicht helfen!“ „Was machen wir da bloß?“, fragte der Amerikaner erneut in die Runde. „Ich mein‘, wir können hierüber ja wohl schlecht den örtlichen Tierarzt informieren. Mir is’ schon nich’ wohl dabei, dass wir die O’Gradys mit reinziehen müssen.“ „Mir auch nicht, Jaden!“, sagte Sedrin. „Aber in diesen sauren Apfel müssen wir wohl beißen. Sam, wenn wir weg sind, dann hat das alles hier nie stattgefunden, klar? Und sagen Sie das auch ihrem Sohn!“ „Sicher, Agent!“, sagte Sam. „Aber wovon reden Sie überhaupt?“ Er warf ihr einen unschuldigen Blick zu. „Ich wusste, wir verstehen uns.“, grinste die Demetanerin.

Ich war irgendwie an dem Wort Energieproblem hängengeblieben. Aber ich wusste auch, wer sich mit so was auskannte. Mein Mann war Ingenieur! Wenn er nicht wusste, wie man ein Energieproblem löste, wer dann?

„Bitte bringen Sie mich noch einmal zu dem Sprechgerät in Sams Haus.“, sagte ich zu Jenna. „Ich glaube, ich weiß, wie ich helfen kann. Ich kenne jemanden, der sich damit auskennt.“ „OK.“, flüsterte Jenna zurück. „Kommen Sie!“ Dann hakte ich mich bei ihr ein und wir gingen los.

Auch Shary hatte die Erde mittlerweile erreicht. Allerdings war ihr auch etwas aufgefallen, während sie Shimars Körper beobachtet hatte. Immer wieder hatte sie nachgesehen, ob sein Signal noch intakt war. Dabei hatte sie gesehen, dass sich in seinem Körper viele mometnan inaktive Viren befanden. Das war ja auch kein Wunder, denn sie konnten ja, nachdem der Körper meines Freundes kristallisiert war, in ihm keine Nahrung mehr finden. Shary wusste nur nicht so genau, wem sie diese Informationen geben sollte. Dass sie an irgendeine Adresse mussten, war dem selbstständig denkenden Schiff klar. Aber an welche?

Wie sie es mir versprochen hatten, hatten sich Tchey und D/4 dem Aufpassen auf mein Haus gewidmet. Da sie dieses auch benutzen durften und nicht nur zum Gießen der nicht vorhandenen Blumen kommen und dann wieder gehen mussten, hatten sie es sich in meinem Wohnzimmer gemütlich gemacht. Dabei hatte sich Tchey mit meinem Replikator einen Milchkaffee repliziert und schaute nun aus dem Fenster, während sie an ihrem Strohhalm zog.

„Darf ich an Ihren Gedanken partizipieren?“, fragte die xylianische Sonde, der aufgefallen war, dass Tchey etwas verkniffen geschaut hatte. „Von mir aus.“, stöhnte Tchey. „Im Prinzip geht es ja auch um Sie. Ich wüsste gern, warum Sie im Moment so viel online sind. Ihre Leute scheinen Sie ja sehr zu beanspruchen.“ „Ihre Annahme ist korrekt.“, sagte D/4. „Wir helfen den Genesianern, eine Lösung für ein sehr dringendes Problem zu finden. Ihre Welten werden von einem Virus heimgesucht, das alle Männer tötet. Wir denken, es kommt von Sytanias Vendar.“

Die Reptiloide setzte irritiert ihr Glas ab. „Aber was hätte Sytania davon, alle genesianischen Männer zu töten?! Ich meine, die Männer sind doch in der genesianischen Gesellschaft …“ „Ihre Schlüsse sind fehlerhaft!“, fiel D/4 ihr ins Wort. „Die genesianischen Männer sind fast rechtlos, das ist korrekt. Dennoch sind sie für die Fortpflanzung der Genesianer unabdingbar. Dieser Fakt mag zwar einigen Genesianerinnen nicht gefallen, aber das ändert ihn nicht. Gerüchten nach soll es eine Prätora geben, die Valora als Göttin verehrt. Diese ist aber von ihr ausgenutzt worden und zwar in der Weise, dass sie ihr gesagt hat, sie könne ihr einen Weg der Fortpflanzung auch ohne Männer und ohne Leiden und die Zeit der Schande, also Schwangerschaft und Geburt, ermöglichen. Leider hat die Sache einen Haken. Alle Geschöpfe Valoras sind Marionetten, die ihr und Sytania willfährig sind. Viele Genesianerinnen haben das erkannt und sich wieder von der Prätora abgewendet. Das bedeutet, …“ „Das bedeutet.“, schlussfolgerte Tchey. „Seid ihr nicht willig, so brauche ich Gewalt! Wenn die Männer alle sterben, dann können sie bald nicht mehr anders, als sich von Valora und Sytania als Rasse am Leben halten zu lassen! Wie fies!“ „Bestätigt.“, sagte die Sonde. „Die Oberste Prätora der Genesianer wandte sich an uns. Ich denke allerdings, dass sie das große Überwindung gekostet haben muss. A/1 sandte eine Abgesandte zu ihr. Diese ist unsere direkte Verbindung und hilft auch bei der Suche nach einer Lösung. Sie übermittelt auch all unsere Belange.“ „Na ja.“, scherzte Tchey. „Solange Shashana nicht Angst haben muss, dass sie assimiliert wird …“

Mein Sprechgerät piepte. „Wer kann denn jetzt was von Betsy wollen?“, fragte Tchey verwirrt. „Ihre Freunde wissen doch alle, dass sie weg ist. Aber vielleicht ist es ja was Offizielles.“

Sie stand behäbig vom Sofa auf und watschelte unmotiviert zu meinem Sprechgerät herüber. Dann schaute sie auf das Display. Bei dem Rufzeichen, das sie dort allerdings zu Gesicht bekam, traf sie fast der Schlag. „Shary?!“, fragte sie verdutzt. „Das kann doch nicht wahr sein!“ „Werden Sie den Ruf beantworten?“, fragte D/4 aus dem Hintergrund. „Sicher.“, antwortete Tchey. „Nur wenn ich die Situation genau erforsche, werde ich auch Antworten finden, denke ich.“ „Ihre Annahme wird korrekt sein.“, sagte die Sonde und stand ebenfalls auf, um sich dem Sprechgerät zu nähern.

Tchey nahm das Mikrofon aus der Halterung und drückte die Sendetaste. Dann sagte sie: „Hallo, Shary! Ich höre!“ „Hi, Tchey.“, kam es zwar etwas unsicher, aber doch erfreut zurück. Gleichzeitig wurde auf dem Display das Tchey sehr gut bekannte Gesicht von Sharys Simulation sichtbar. „Ich bin sehr froh, dass ich dich endlich erreicht habe. Ich brauche deine Hilfe. Bitte lass mich dich an Bord holen.“ „OK.“, sagte Tchey. „Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, in was du wieder hineingeraten bist. Hoffentlich ist es nichts Schlimmes. Eine Katastrophe reicht mir nämlich für heute.“ „Was meinst du damit?“, fragte Shary. „Das besprechen wir, wenn ich bei dir bin.“, sagte Tchey. „Hol mich erst mal.“ „OK.“, sagte das Schiff und ihr Transporter erfasste die Reptiloide. „Ich hoffe, ich bin bald wieder da, D/4.“, sagte Tchey. Dann gab sie Shary den Befehl zum Beamen.

Die Reptiloide fand sich in Sharys Cockpit wieder. Hier setzte sie sich sofort in den Pilotensitz und setzte den Neurokoppler auf, den sie auf der Konsole vor sich erspäht hatte. Shary, die dies auch gleich registriert hatte, lud gleich darauf ihre Reaktionstabelle.

Tchey war sehr aufmerksam geworden, als sie das Gesicht des Avatars vor ihrem geistigen Auge gesehen hatte. Irgendwas schien sie sehr zu belasten. Das konnte Tchey ihrem etwas verkrampften Blick durchaus entnehmen. Shary war noch nie Meisterin im Zeigen eines Pokerface gewesen. Sie wusste aber auch, dass das gegenüber Tchey auch nicht notwendig war. Schließlich hatten die Beiden ein sehr großes Vertrauensverhältnis.

„Was ist los, Shary?“, fragte Tchey. „Ich muss dir etwas zeigen.“, sagte das Schiff. „Ich hoffe, dass du mir nachher auch bei einer bestimmten Sache hilfst.“ „Dann zeig mal.“, sagte Tchey platt. „OK.“, sagte Shary und begann damit, die Simulation von ihrer Begegnung mit Gorg abzuspielen.

Nachdem das Programm geendet hatte, sah Tchey sie bedient an. „OK. Das hätte ich dir nicht zugetraut, Shary! Ich meine, ich weiß ja, dass bei dir die Moral am rechten Fleck sitzt, aber ich hätte dir nicht zugetraut, dass du sogar einen Ferengi betrügen würdest, nur um zu verhindern, dass er andere betrügt. Ich bin sehr stolz auf dich, Shary! Aber woher wusstest du, dass er böse Absichten hegt, he?“ „Weil Kamurus ihn mir in allen Einzelheiten beschrieben hat und mir auch gesagt hat, was er mit der armen Ginalla gemacht hat. Dafür sollte er büßen! Außerdem war ich sicher, dass er erneut für Sytania arbeitet. Warum sonst sollte er Shimars Körper stehlen wollen? Denk nach, Tchey! Vielleicht weiß Sytania, wie wir Betsy zurückgeholt haben von den Toten und befürchtet, das würden wir auch mit ihm versuchen. Wenn sein Körper allerdings zerstört wäre, dann ginge das nicht.“ „Da hast du Recht, Shary.“, sagte Tchey. „Und dafür wollte sie unschuldige Cobali benutzen, die sich doch nur nichts sehnlicher wünschen als ein Kind. Pfui Spinne!“ Sharys Avatar vor Tcheys geistigem Auge nickte bestätigend. „Aber normale Cobali wissen doch, dass sie mit den Körpern von Tindaranern nichts anfangen können.“, überlegte Tchey. „Normale Cobali ja.“, sagte Shary. „Aber was ist mit solchen, deren Kinderwunsch übermächtig ist? Die würden es auf jeden Fall versuchen und sich damit nur noch mehr in eine Krise bringen. Aber ich habe es ja verhindert.“ „Ja, das hast du.“, sagte Tchey grinsend. „Und wie du das hast! Nur hast du auch Glück gehabt. Was hättest du gemacht, wenn Gorg hätte zu dir an Bord kommen wollen und wenn er herausgefunden hätte, dass es dort gar keine verzweifelte Cobali gibt?“ „Dazu hätte er keine Gelegenheit gehabt!“, sagte Shary fest. „Ich hätte mein Cockpit mit Narkosegas geflutet. Dann wäre er sofort nach der Materialisierung ins Land der Träume entglitten. Dann wäre ich ins Dunkle Imperium geflogen und hätte ihn vor Sytanias Haustür abgeladen!“ „OK.“, sagte Tchey und musste noch mehr grinsen. „Ich sehe, du hast an alles gedacht. Aber eines interessiert mich doch noch.“ „Wo ist Shimars Körper und wobei brauchst du mich?“ „Transporterpuffer zwei.“, gab Shary die Position von Shimars Körper an. „Und ich habe dir nicht alles gezeigt, Tchey. Ich habe ein wichtiges Detail bis jetzt ausgespart. Ich habe jedem Cobali quasi eine Entschädigung versprochen. Die sollen sie von den Genesianern bekommen. Sie könnten dann zwar nur Söhne haben, aber …“ „Du meinst, wir bitten die Genesianer, uns die Körper ihrer toten Männer zu überlassen?“, fragte Tchey. „Ja.“, sagte Shary. „Für die Genesianer wäre das ja kaum ein Verlust. Für sie wäre das nicht schlimmer als der Verlust von Eigentum. „Aber bitten möchte ich sie auch gar nicht. Du weißt, dass die Genesianer es hassen, wenn man um etwas bittet. Das ist in ihren Augen ein Zeichen von Schwäche. Nein. Ich will, dass wir sie herausfordern! Ich will, dass wir sie zu einem Wettflug herausfordern. Zehn ihrer Schiffe gegen uns zwei, Tchey! Gewinnt eine von ihnen, können sie die Leichen behalten. Gewinnen aber wir …“ „Schon klar.“, sagte Tchey, die es jetzt gewaltig in den Fingern juckte. Shary hatte bei ihr genau den richtigen Nerv getroffen. „Also gut.“, überlegte Tchey. „Dann hoffen wir mal, dass sich Shashana darauf einlässt und du dein Versprechen gegenüber den Cobali halten kannst.“ „Soll das heißen, du bist dabei?!“, fragte Sharys Avatar und strahlte sie an. „Genau das soll es.“, bestätigte die Reptiloide. „Oder hast du ernsthaft geglaubt, ich lasse mir diesen Spaß entgehen? Worauf wartest du noch? Vorwärts! Auf nach Genesia-Prime!“ „Gleich.“, sagte Shary. „Aber vorher habe ich noch ein paar wichtige Daten für dich, oder besser, für D/4. Ich weiß, dass sie in deiner Nähe ist. Ich habe deine Lebenszeichen gesucht und dabei bin ich auf ihre ganz in deiner Nähe gestoßen.“ „Ja.“, sagte Tchey. „Wir passen zusammen auf Betsys Haus auf. Aber was sind das für Daten und warum denkst du, dass sie für die Xylianer wichtig werden könnten?“ „Ich beobachtete das Universum wegen Kamurus.“, sagte Shary. Ich habe nach ihm Ausschau gehalten und dabei habe ich auch ein xylianisches Modul gesehen, das in Richtung Genesia geflogen ist. Außerdem gibt es Gerüchte, denen nach es im genesianischen Reich ein Virus gibt, das nur die Männer tötet. Um aber nicht von Sytania und Valora auf die Dauer abhängig zu sein, brauchen die Genesianer gesunde Männer. Ich denke, Shashana wird klug genug gewesen sein, um sich Hilfe zu holen.“ „Das deckt sich mit meinen Infos, Shary.“, sagte Tchey flapsig. „D/4 hat es mir gegenüber bestätigt. Aber was sind das für Daten?“ „Sieh selbst.“, sagte das Schiff und zeigte ihrer Pilotin die toten Viren in Shimars Körper.“

„Ich könnte dich küssen, Shary!“, rief Tchey aus und sprang auf. Dabei stieß sie sich den Kopf am Dach, was sie aber in ihrem Freudentaumel gar nicht registrierte. „Ich bin zwar nur eine Pilotin mit einem Sanitätskurs! Aber sogar ich weiß, dass tote Viren oft für Impfstoffe verwendet werden! „Gib mir sofort D/4 über Betsys Sprechgerät!“ „Das brauchen wir nicht.“, sagte Tchey und steuerte das direkte Rufzeichen der Sonde an, was Tchey, die alles genau sah, sehr überraschte. „Wow!“, machte Tchey. „Dass du dich das traust, hätte ich nicht gedacht! Du bist ja total mutig geworden, meine kluge und mutige Shary!“ „Da staunst du Bauklötze, was?“, grinste der Avatar. Tchey nickte nur. „Ich lerne immer wieder neue Facetten von dir kennen. Habt ihr alle solche Überraschungen auf Lager?“ „Ich auf jeden Fall.“, sagte das Schiff und ihr Avatar vor Tcheys geistigem Auge grinste hinterlistig.

Die Xylianerin hatte Sharys Ruf beantwortet. „Ich habe deine Verbindung, Tchey.“, sagte Shary. „Dann gib her!“, sagte die Reptiloide und grinste in die Kamera des Sprechgerätes: „Hi, D/4! Ich hoffe, Sie können sich irgendwo festhalten! Shary und ich haben Daten für Sie, die Sie vom Sofa fegen werden!“ „Sprechen Sie.“, sagte die Sonde nüchtern. „Oh das brauche ich nicht.“, sagte Tchey. „Die Daten sprechen für sich. Shary, dein Stichwort!“

Shary übersandte die Daten direkt in den Kopf der Sonde. Diese schien sichtlich beeindruckt, nachdem sie sich das Material angesehen hatte. „Diese Daten sind verblüffend.“, sagte sie. „Aber sie könnten genau die Lösung enthalten, nach der wir suchen. Ich werde direkt mit unserer Abgesandten auf Genesia korrespondieren und sie ihr geben. Aber die Anzahl toter Viren aus dem Körper eines einzelnen Individuums ist ungenügend. Wir benötigten viel mehr, um alle zu impfen, die bisher noch nicht infiziert sind. Wir können aber nicht noch mehr Tindaraner dem Tode weihen.“ „Das müssen wir auch nicht.“, grinste Tchey. „Soweit ich das weiß, nehmen die Tindaraner nur menschliche Gestalt an, um besser mit uns interagieren zu können. In ihrer ursprünglichen Gestalt sind sie Kristalldrusen, D/4. Verstehen Sie. Sie sind Kristalle! Sie können das steuern! Wenn wir einige überreden, sich zwar dem Virus auszusetzen, aber sich in ihre ursprüngliche Gestalt zu verwandeln, bevor es ausbricht und erst dann wieder menschliche Gestalt anzunehmen, wenn alle Viren tot sind, dann …“ „Verstanden.“, sagte die Sonde nüchtern. „Ihre Lösung ist genial! Ich bin sicher, sie wird effizient sein. Ich werde unserer Abgesandten auch diese Daten zur Verfügung stellen.“ „Danke, D/4!“, sagte Tchey erleichtert. „Das dürfte auch unsere Verhandlungsposition stärken! Aber mehr kann ich Ihnen nicht sagen. Nur so viel. Shary und ich müssen weg! Wir müssen sofort los! Bitte stellen Sie mir keine Fragen!“ „In Ordnung.“, sagte D/4 nüchtern. Sie wusste, dass Tchey sehr verwegen sein konnte, aber sie wusste auch, dass man ihr umso mehr vertrauen konnte. Deshalb beendete sie einfach nur die Verbindung und Shary und Tchey machten sich auf den Weg nach Genesia-Prime.

Jenna und ich hatten jenes Sprechgerät im Haus der O’Gradys erreicht. „Wen wollen Sie informieren?“, fragte die hoch intelligente Halbschottin. „Meinen Mann!“, sagte ich ruhig. „Er ist Ingenieur und in gewisser Weise geht es hier ja um nichts anderes, als um das Aufladen einer Batterie, nicht wahr?“ „Technisch gesehen haben Sie Recht, Betsy.“, sagte Jenna. „Obwohl das sicher einige ganz anders sehen würden. Aber im Prinzip stimmt es schon.“

Sie legte ihre Finger auf die Tastatur. „OK.“, sagte sie. „Dann mal her mit dem Rufzeichen!“ Ich begann damit, ihr das Rufzeichen von Ginallas Bar zu diktieren. Heute war Sonntag und das machte mich sicher, dass sich Scotty um diese Zeit wohl dort befinden müsste.

 

Kapitel 76: Ungewöhnliche Heilungsansätze

von Visitor

 

Ginalla nahm das Gespräch entgegen. „Hier ist Ginalla von Ginallas Bar.“, sagte sie, die Jenna, deren Gesicht jetzt im Display ihres Sprechgerätes zu sehen war, offensichtlich noch nicht erkannt hatte. „Wie kann ich behilflich sein?“ „Ginalla, hier sind Betsy und Jenna.“, erklärte McKnight. „Ist Betsys Mann bei Ihnen?“ „Jenn’!“, rief Ginalla völlig aus dem Häuschen. „Meine Güte! Ich hätte Sie fast nich’ erkannt! Aber der liebe Scotty is’ tatsächlich hier. Sekunde! Ich hole ihn.“ Sie hängte das Mikrofon ein, allerdings ohne die Verbindung zu beenden.

Ihre Augen scannten den Raum. Dann hatte sie Scotty tatsächlich bald auf seinem Lieblingsplatz erspäht. Bei ihm saß Meroola und beide fachsimpelten. Als Raumpiratin, die Meroola ja in gewisser Weise gewesen war, musste sie ja von allem und jedem etwas Ahnung haben. „Du hast ’n erstaunliches Talent, wenn es darum geht, technische Zusammenhänge zu begreifen.“, sagte Scotty. „Hätte ich dir echt nich’ zugetraut.“ „’n Kind des Weltraums muss alles beherrschen.“, konterte die sich sichtlich geschmeichelt fühlende Meroola.

Ginalla stellte sich mit dem Mobilteil des stationären Sprechgerätes, auf das sie das Gespräch mittlerweile gelegt hatte, an ihren Tisch. An diesem Sonntag war die Bar irgendwie sowieso fast leer und so machte es nichts, wenn die restlichen Gäste etwas mitbekommen sollten. Es war ja eh niemand sonst da.

Sie legte das Gerät vor Scotty hin. „Für dich.“, sagte sie. „Jenna und deine Frau. Was dagegen, wenn ich mithöre?“ „Jenn’ und Betsy?“, fragte Scotty verwundert. „Wie kommen die denn …?“ Er betrachtete das Rufzeichen. „Und was is’ das für ’n Rufzeichen? Na ja. Ich werde es ja gleich sehen!“

Er nahm das Gerät in die Hand, räusperte sich und drückte die Sendetaste. Dann sagte er: „Hi, Darling, hi, Jenn’! Na, was kann denn der alte Scotty für euch tun, he?“ „Du könntest uns bei einem ziemlich kniffligen Problem helfen, Kollege.“, sagte Jenna, die auf unserer Seite der Verbindung noch immer das Mikrofon in der Hand hielt. „Es geht um so was wie das Aufladen einer Energiezelle. Der Haken ist nur, dass diese Zelle das telepathische Zentrum eines Einhorns ist. Aber warte mal. Ich gebe dir mal deine Frau.“ Sie legte mir das Mikrofon in die Hand. „Hi, Scotty.“, sagte ich. „Hi, Darling.“, kam es zurück. Frag Jenna doch bitte mal, warum ihr euch an mich gewendet habt. Bei biologischen Organismen bin ich ja wohl die total falsche Adresse!“ „Es war meine Idee.“, sagte ich. „Sie hat nichts damit zu tun. Es war ja auch nur, weil alle anderen viel zu weit weg sind und sicher mit so was noch nie zu tun gehabt haben. Aber du bist dafür bekannt, selbst in den unmöglichsten Situationen eine Lösung zu finden. Bitte lass uns jetzt nicht im Stich, Scotty.“ Ich versuchte einen schmeichelnden Blick aufzusetzen. „Alte Schmusekatze! Du weißt genau, wie du mich rumkriegst! Na gut.“, sagte mein Ehemann. „Weil du’s bist und ich dir keine Bitte abschlagen kann. Also, ich hätte da schon ’ne Idee. Aber dazu brauche ich Daten. Kannst du mir irgendwie eine grafische Darstellung des Energieschemas von dem Einhorn schicken?“ „Sekunde.“, sagte ich und drehte mich zu Jenna, während ich fragend den Kopf zurückwarf. „Jorans Erfasser!“, sagte McKnight. „Halten Sie ihn in der Leitung! Ich bin gleich wieder da!“ Sie rannte los.

Meroola und Ginalla hatten alles mitbekommen. „Denkst du, was ich denke?“, flüsterte Ginalla ihrer neuen Freundin zu. „Ich denke schon.“, antwortete Meroola. „Und ich denke, dass wir das Gleiche denken, was er denkt.“ „Fragen wir doch mal.“, schlug Ginalla vor.

Dazu kam es aber nicht mehr, denn Scotty wandte sich den Frauen zu: „Was denkt ihr über das Problem, Ladies. Ich meine, ihr habt ja bestimmt alles mitgekriegt.“ „Das haben wir, Scotty.“, sagte Ginalla. „Und ich wäre wohl keine gute Celsianerin, wenn mir nich’ sofort ’ne Lösung für dieses technische Problem eingefallen wäre. Obwohl es sich um einen biologischen Organismus handelt, haben wir hier doch das klassische Aufladen. Und dazu brauchen wir ein Ladegerät. Da es so was ja nicht für Einhörner gibt, werden wir es wohl bauen müssen. Dafür brauchen wir tatsächlich die Daten von deiner Frau. Wenn wir die haben, können wir ein Gerät bauen, das in etwa die richtige Energie produziert. Sie wird zwar lange nich’ so potent sein, denke ich, weil wir so eine hohe Leistung mit technischen Mitteln sicher nich’ hinkriegen, Aber sie könnte wie ein Schrittmacher wirken. ’ne Art Stimulator. Kapisch?“

Scotty ließ sich ihre Idee einige Sekunden lang durch den Kopf gehen. Dann rief er begeistert aus: „Klasse, Gin’! Warum bin ich nich’ darauf gekommen?“ „Weil du wohl den Wald vor lauter Bäumen nich’ gesehen hast.“, sagte Ginalla.

Es gab ein Signal vom Sprechgerät, das die Ankunft einer SITCH-Mail ankündigte, die Scotty sofort öffnete, nachdem er festgestellt hatte, dass sie von genau dem gleichen Rufzeichen gekommen war wie das immer noch laufende Gespräch. „Die Daten sind da, Ladies!“, sagte er. „Ich habe Zugang zu Räumen mit Industriereplikatoren. Lasst uns zu meiner Arbeitsstelle fahren und loslegen!“ Ginalla schüttelte den Kopf. „Ne, ne!“, sagte sie. „Das machen wir anders. Kamura und Kamurus können uns die Teile geben, die wir brauchen. Dann musst du deiner Chefin später keine unbequemen Fragen beantworten.“ „Außerdem sollten wir zwei Geräte bauen.“, warf Meroola ein. „Ich kenne Sytanias Vendar. Sie werden sicher auf der Lauer liegen. Sie werden sich denken können, dass wir dem Einhorn helfen wollen. Also werden sie versuchen, uns zu stoppen. Eine von uns Beiden fliegt mit ihrem Schiff einen Umweg und die andere direkt zur Erde. Sie werden nicht wissen, wem sie folgen sollen. Das wird sie verwirren. Diejenige, die einen Umweg fliegt, wird ganz offensichtlich zeigen, was sie an Bord hat. So kann sie zur Ablenkung werden. Die Vendar werden sich an sie hängen und sie gefangen nehmen wollen. Sie wird so tun, als wolle sie sich ergeben. Das gibt der anderen die Gelegenheit, zur Erde durchzukommen.“ Scotty und Ginalla nickten und klatschten Beifall.

Ginalla ging nach hinten und replizierte zwei hölzerne Essstäbchen, wie sie in China auf der Erde vielfach zum Essen benutzt wurden. Dann brach sie von einem ein Stück ab, um sie dann beide so in Scottys rechte Hand zu legen. „Du bist jetzt unsere Glücksfee.“, sagte sie. „OK.“, sagte Scotty und nahm die Stäbe auf. Dann wirbelte er sie einige Male in seinen Händen hin und her, um sie dann, nachdem er sie so wieder in seiner rechten Hand platziert hatte, dass die intakten Enden gleich lang waren und zu Meroola und Ginalla zeigten, den beiden Frauen hinzuhalten. Die Bruchstelle und somit das Zeichen dafür, das eines kürzer als das andere war, zeigten zu Scotty. So konnten weder Ginalla, noch Meroola, mogeln.

Auf Scottys Zeichen zog zuerst Ginalla und dann Meroola einen Stab. Dann verglichen sie ihre Beute. „Ich habe den Kürzeren erwischt!“, sagte Meroola mit einem Ausdruck in Gesicht und Stimme, als wäre sie darauf auch noch stolz, eine Tatsache, die weder Ginalla, noch Scotty wirklich in den Kopf wollte. „Das heißt, ich fliege mit Kamura den Umweg und spiele Köder. Du, Ginalla, fliegst mit Kamurus direkt zur Erde. Habt keine Angst um mich, meine Freunde! Ich werde mit Sytanias Vendar schon fertig!“ „Hört, hört!“, sagte Ginalla. „Große Worte.“, pflichtete ihr Scotty bei. „Pass ja auf, dass du den Mund nich’ zu voll nimmst!“ „Danke für deine Warnung, Kumpel.“, sagte Meroola und warf ihm einen gönnerhaften Blick zu. „Aber Meroola Sylenne kann ihre Fähigkeiten durchaus einschätzen! Mach dir keine Sorgen um mich. Aber nun lasst uns loslegen. Wir haben schließlich noch viel Arbeit und einen langen Weg vor uns. Oder will einer von Euch etwa verantworten, dass das Einhorn sterben muss, nur weil wir so lange gequatscht haben, he?!“ Scotty und Ginalla schüttelten die Köpfe. „Na Also!“, sagte Meroola. „Dann los! Scotty, sag deiner Frau, dass alles in Butter ist!“ „OK.“, sagte mein Mann und nahm das Sprechgerät wieder an sich: „Darling, wir helfen euch. Wir werden da schon was zusammenschustern. Sag das bitte auch den anderen.“ „OK, Scotty.“, sagte ich erleichtert, gab dem Mikrofon in Ermangelung seines Mundes einen dicken Kuss und beendete das Gespräch.

„Sieht aus, als würde Invictus doch noch Hilfe bekommen.“, sagte Jenna. Ich gab einen bestätigenden Laut von mir. „Etwas anderes hätte ich von Ihrem Mann auch nicht erwartet.“ „Ich auch nicht.“, sagte ich. „Ich hoffe nur, dass Invictus noch so lange durchhält.“ „Das hoffe ich auch.“, sagte Jenna. „Lassen Sie uns jetzt wieder zu den anderen gehen und ihnen die frohe Botschaft übermitteln.“ Als Bestätigung hakte ich mich bei ihr ein und wir gingen zurück zum Stall, wo wir bereits von einer Schar Neugieriger erwartet wurden.

Auf Zirells Basis war Shannon mit der Wartung der Schiffe und der Systeme der Station beschäftigt. Mit Jorans Schiff war sie durch. Jetzt wollte sie sich dem von Shimar zuwenden.

Kaum hatte sie sich diesem aber zugewendet, begrüßte sie ein ziemlich traurig dreinschauender Avatar. „Was für ’ne Laus is’ dir denn über die nich’ vorhandene Leber gelaufen, IDUSA?“, flapste die blonde Irin verwundert. „Bitte legen Sie Ihr Werkzeug hin, Shannon.“, bat das Schiff. „Und bitte setzen Sie sich. Ich habe mit Ihnen zu reden.“ „Na gut.“, sagte O’Riley etwas genervt, legte ihre Werkzeugtasche aus der Hand und setzte sich auf den Pilotensitz. „OK.“, sagte sie. „Wo drückt denn der Schuh, IDUSA?“ „Ich gehe davon aus, dass dies die letzte Wartung ist, die Sie mir geben werden.“ „Was für ’n Blödsinn!“, flapste Shannon missmutig. „Sag mir sofort, wer dir so ’’n Quatsch einredet! Dem drehe ich den Hals um und hänge ihn rückwärts an den Ohren auf, so dass er später ohne Mühe damit im Gehen den Boden putzen kann!“ „Dann müssen Sie die Logik an den Ohren aufhängen, Shannon.“, sagte IDUSA. „Wie jetzt?“, fragte Shannon. „Werd‘ mal konkreter.“ „Die Programmierung meines Charakters hat es den meisten Piloten unmöglich gemacht, mit mir zurechtzukommen. Bisher waren nur Shimar und Joran dazu in der Lage. Joran ist als Vendar sehr genau, was Auslegungen angeht und das bezieht sich auch auf die Auslegung des tindaranischen Rechts. Genauso war es bei Shimar. Er war ein Musterbeispiel an dessen Umsetzung, was künstliche Lebensformen angeht. Er hat meine Diskussionsfreudigkeit und meine Art, den Dingen auf den Grund zu gehen, nie als Hindernis, sondern eher als Bereicherung empfunden. Das haben sie beide. Ihre Ansichten und meine Programmierung deckten sich sehr genau. Sie passten vorzüglich zusammen.“ „Hey, Sekunde mal, IDUSA!“, warf Shannon mit schon fast beleidigtem Ton ein. „Und was is’ mit uns anderen?“ „Sie alle.“, sagte IDUSA. „Sie geben sich große Mühe, aber das merkt man auch. Da Sie sehr aufpassen müssen, bin ich eher eine Belastung für Sie als eine Unterstützung. Da das auf die Meisten zutrifft, haben die Ingenieure auf den tindaranischen Werften meine Serie auf Eis gelegt. Nach mir wurde kein Schiff mehr mit meiner Programmierung gebaut, weil es keinen Piloten mehr gab, der annähernd an Shimars Testergebnisse kam. Sie sind in der Softwareentwicklung dann lieber wieder einen Schritt zurückgegangen. Jorans Schiff ist so konzipiert, dass jeder mit ihr zurechtkommen kann. Aber meine Demontage wird wohl unabdingbar sein.“ „Was redest du für ’n Blech!“, rief Shannon aus. „Du bist die Einzige deiner Art! Das hast du gerade selbst gesagt. „Die können dich doch nich’ einfach …!“ „Doch, Shannon.“, sagte IDUSA nüchtern. „Genau das können sie. Es ist die logische Konsequenz. Shimar ist tot und Joran muss, wenn er wieder hier ist, seinen Hut nehmen, wegen der politischen Entwicklung bezüglich des Vertrauens der Tindaraner in die Vendar. Wahrscheinlich werden Sie meine Systeme herunterfahren müssen und dann werde ich zur nächsten Werft geschleppt, wo sie die Daten aus meinem Datenkern ziehen und dann meine Teile anderweitig verwenden werden.“

Ihre letzten Worte waren für die blonde Irin wie ein Stich in die Magengrube. „Was hast du da gerade gesagt?!“, hustete sie und schnappte nach Luft. „War das dein Ernst?!“ „Mein voller und logischer Ernst.“, sagte das Schiff. „Ne, ne, ne!“, meinte Shannon. „Logisch is’ an dieser Praxis gar nix. Da bist du gewaltig auf ’m Holzweg, meine Süße! Das passt meines Erachtens überhaupt nich’ zum tindaranischen Rechtssystem. Sie würden doch niemals ihre telepathischen Fähigkeiten gegen jemanden einsetzen, um dessen Meinung zu manipulieren, nur weil sie ihnen nicht passt. Aber deine Systeme. Mit denen können sie’s machen, wie?! Dabei seid ihr doch uns Organischen in allen Punkten gleichgestellt, oder!“ „Theoretisch ja.“, sagte IDUSA. „Aber es wird seit Jahrhunderten so praktiziert!“ „Dann machen eure Leute seit Jahrhunderten einen Fehler!“, sagte Shannon und schlug mit der rechten Hand auf die Konsole. Dann sagte sie kleinlaut: „Sorry, IDUSA.“ „Sie haben keinen Grund, sich zu entschuldigen.“, sagte das Schiff. „Die Kraft, die Sie aufwendeten, hat nicht ausgereicht, um das Gehäuse zu beschädigen. Auch wurden keine Komponenten durch die Erschütterung in Mitleidenschaft gezogen. Es ist also alles in Ordnung.“ „Na, OK.“, sagte Shannon sehr genervt. „Aber jetzt lass mich raus! Ich will über die Sache mit Zirell quatschen, OK?!“ „Wenn Sie denken, dass Sie noch was für mich rausholen können.“, sagte IDUSA und öffnete die Luke. „Was war das denn?“, fragte eine ziemlich verwunderte Shannon. „Gerade hast du noch so getan, als würdest du dich mit deinem Tod abfinden und jetzt ermöglichst du mir einen Versuch, dich zu retten? Reichlich unlogisches Verhalten, wenn du mich fragst, he?!“ „So unlogisch ist das gar nicht.“, sagte IDUSA. „Ich darf Sie nicht einfach Ihrer Freiheit berauben. Tindara ist ein Staat mit Meinungs- und Pressefreiheit. Sie dürfen also äußern, was Sie wollen und solange Sie keine Straftat begehen, sind Sie eine freie Frau. Die Meinung haben, dass die Regierung Fehler macht, darf schließlich jeder. Außerdem kann ich nachvollziehen, was Sie mir gerade gesagt haben. Das Verhalten unserer Ingenieure ist wirklich unlogisch und dass dieses noch scheinbar von unseren Gesetzen gedeckt wird, noch obendrein. „Es wäre also tatsächlich an der Zeit, mal mit dem Commander über die Sache zu reden, Shannon.“ „Alles klar.“, sagte Shannon und grinste. „Aber du kannst mir nix vormachen, IDUSA. Eigentlich willst du doch einfach nur leben. Es is’ doch nix Schlimmes daran, das zuzugeben. Komm schon! Sag es! Von mir aus nennen wir es nich’ leben, sondern intakt bleiben in deinem Fall. Aber es is’ doch im Prinzip das Gleiche. Oder willst du das nich’? Ich mein’ dann hätten wir uns ja diese ganze Diskussion schenken können. Das wäre doch auch nur eine Verschwendung von Energie gewesen, oder? Das wäre bestimmt nicht effizient und somit auch nich’ in deinem Sinne, he? Also, IDUSA! Sag es! Sag es!“ „Ich will intakt bleiben, Shannon!“, sagte das Schiff. Sie hatte die gerade von der technischen Assistentin vorgebrachten Argumente sehr gut nachvollziehen können. „Na also!“, sagte Shannon erleichtert. „Uff! Das war ja ’ne schwere Geburt, schon fast ’n Kaiserschnitt! Aber betrachte mich jetzt erst mal als deine Anwältin!“ Sie stand auf und verließ das Cockpit.

Maron und Zirell hatten ebenfalls gerade über die jüngsten Verfehlungen der tindaranischen Regierung und über die seltsame Nachrichtenlage im Gebiet der Föderation diskutiert. Auch die Situation der Dimensionen hatte sich rapide verschlechtert. Das hatte dazu geführt, dass der Erste Offizier sich irgendwann an seine Vorgesetzte wandte: „Wir werden bald ein physikalisch bedingtes immer weiter kreisendes Flüchtlingsproblem haben, Zirell. Die letzten Bilder von den Satelliten verheißen nichts Gutes. In den meisten bekannten Dimensionen hat es schon massive Auswirkungen gegeben. Monde haben ihre Umlaufbahnen verlassen und sogar ganze Sonnensysteme sind auseinandergedriftet. Bisher gab es zwar das Problem nur in einigen unbewohnten Gebieten, aber es wird nur eine Frage der Zeit sein, wann es auch bewohnte Gebiete trifft. Wenn wir nicht bald einen Weg finden, den Krieg zwischen Valora und Invictus zu beenden, wird es uns allen noch sehr schlecht ergehen, Zirell. Verdammt schlecht! Ich habe IDUSA befohlen, aufgrund der vorhandenen Daten Simulationen durchzuführen und die sehen nicht sehr gut aus. Alles wird zusammenfallen wie ein Kartenhaus. Dimensionäre Grenzen werden verschwimmen und sich auflösen, weil die interdimensionale Schicht das tun wird. Aufgrund der physikalischen Gesetze in den Dimensionen, die sich teilweise gegenseitig aufheben, werden sich die Dimensionen gegenseitig neutralisieren. Dann gibt es gar nichts mehr! Das bedeutet unser aller Ende! Die günstigste Variante, die ich in einer der Simulationen gesehen habe, war die, dass sich alles nach dem Verschwinden der Grenzen in eine so genannte Superdimension verwandelt, in der …“ „Eine Superdimension?!“, fragte Zirell ihm irritiert ins Wort fallend. „Jenn’ sagt, so etwas ist unmöglich. Sie sagt, so etwas kann nicht von Dauer sein, weil die Naturgesetze der verschiedenen Dimensionen eben zu verschieden sind, um …“ „Genau das.“, sagte Maron. „Die Superdimension in der Simulation hat sich auch nur für ca. 30 Sekunden halten können. Wenn man das in Echtzeit umrechnet, dann wären das drei Tage laut IDUSA.“ „So, so.“, sagte Zirell und legte resignierend die Hände in den Schoß. „Also ein Ende in Etappen. Erst bricht alles nur fast zusammen, dann haben wir drei Tage, um unseren Frieden mit allem zu machen und dann geht die Welt unter. Tolle Aussichten, Maron! Wirklich tolle Aussichten!“ „Das muss nicht eintreten, Zirell.“, tröstete der Erste Offizier. „Es wird nur dann eintreten, wenn wir keine Möglichkeit finden, Valora und Invictus wieder zu befrieden. Ich stehe in Kontakt mit Agent Yetron. Er hat Logar und seine Vertraute Iranach vernommen. Der König und die Vendar haben unabhängig voneinander bestätigt, dass dies die einzige Möglichkeit wäre.“ „Aber wie soll das gehen?!“, fragte Zirell fast verzweifelt. „Solange niemand das Band zwischen Sytania und Valora zerstören kann, sehe ich da keine Chance. Sytania wird Valora immer wieder anstacheln!“ „Das ist richtig.“, sagte Maron. „Dabei hat Valoras Eifersucht sie für die wahren Motive Sytanias blind gemacht. Wenn es nur jemanden gebe, der ihre Augen wieder öffnen könnte.“ Er kratzte sich nachdenklich am Kopf.

Völlig unerwartet für Maron hatte Zirell plötzlich IDUSA den Gedankenbefehl zum Wechseln des Bildschirmfensters erteilt. „Wir werden das Problem heute nicht lösen, Maron.“, sagte sie. Lass uns lieber über etwas anderes reden, das meiner Meinung nach viel lustiger ist. Was ist da bei euch eigentlich gerade los? Nugura soll abgewählt werden, aber das klappt nicht, weil jeder Wahlgang mittlerweile mit fast 100 % der Stimmen für ungültig erklärt werden muss. Erklär mir das mal. Unsere Presse titelt schon über den gordischen Wahlknoten und andere Spottverse.“ „Dazu haben sie auch allen Grund, Zirell.“, grinste Maron. „Anscheinend verstehen die Bürger die Situation besser, als der Opposition lieb ist. Das Misstrauensvotum gegen Nugura stößt bei ihnen wohl auf keinerlei Zustimmung. Sie scheinen alle genau verstanden zu haben, dass ein Virus, also eine Krankheit, keine Rücksicht auf politische Grenzen nimmt. Wenn wir den Genesianern also nicht helfen, dann unterschreiben wir quasi unser eigenes Todesurteil. Und dass sie das verstanden haben, lassen sie die Politiker jetzt auch spüren. Das Ironische daran ist, dass man dagegen nichts machen kann. Niemand kann gezwungen werden, bei diesem oder jenem ein Häkchen zu setzen.“ „Das ist ja das Geile an der Demokratie!“, spottete Zirell. Maron, der offenbar mit ihrer Äußerung nicht gerechnet hatte, musste sich räuspern.

Das Piepen der Türsprechanlage unterbrach die darauf eingekehrte Stille. „Hier ist Zirell!“, beantwortete die tindaranische Kommandantin den Ruf. „Shannon hier!“, kam es gewohnt flapsig zurück. „Kann ich reinkommen?! Ich muss dringend mit Maron und dir reden! Hier is’ was im Gange, was meiner Meinung nach überhaupt nich’ geht!“ „Ich weiß nicht, ob du kannst.“, scherzte Zirell. „Aber du kannst es ja mal versuchen.“ „Sehr komisch.“, gab Shannon etwas mürrisch zurück und beendete die Verbindung.

Die Türen glitten auseinander und die blonde Irin betrat die Kommandozentrale. Mit ernstem Gesicht und die Hände in die Hüften gestemmt stellte sie sich vor Zirell und Maron hin. „Was hast du denn nun auf dem Herzen, Shannon?“, fragte die ältere Tindaranerin ruhig. „Es geht um Shimars Schiff.“, sagte die technische Assistentin. „Sie befürchtet ihre Demontage. Shimar is’ tot und Joran muss seinen Hut nehmen, sobald er diese Station wieder betritt. Das bedeutet, alle, die sie fliegen könnten, fallen schon mal aus. Es gibt niemanden, der auch nur annähernd an Shimars Testergebnisse kommt unter den neuen Kadetten. Das hast du neulich sogar gesagt, Zirell. Von den ausgebildeten Piloten ganz zu schweigen. IDUSA ist die einzige ihrer Art. Weil die Ingenieure das wussten, hatten sie ihre Serie auf Eis gelegt. Wenn ihr Pilot also nich’ mehr da is’, dann wird auch sie ausgemustert. Aber ihre Teile und ihre Daten, die wollt ihr gern noch verwenden, he?! Was ist denn das für eine Rechtsauffassung?! Ihr würdet also auch jemanden töten, der euch zu intellektuell is‘ und dann telepathisch seinen Geist noch nach Infos durchsuchen, während er stirbt, um …!“ „So etwas Grausames würden wir nie tun!“, empörte sich Zirell. „Was unterstellst du uns?!“ „Ach ne.“, sagte die blonde Irin schadenfroh. „Aber mit den Schiffen könnt ihr’s machen, wie?! Dabei dachte ich immer, die wären uns Organischen gleichgestellt! Und dann die Sache mit dem Volk vom Grizzly! Findest du das etwa richtig, was ihr da veranstaltet habt, Zirell?! Die wissen über Sytania am allerbesten Bescheid! Wie konntet ihr euch nur so ’n Ei ins Nest legen?! Ich glaube, das kann ich mir selbst beantworten! Deine Leute haben Schiss, Zirell! Sie haben Schiss! Jawohl! Schiss bis Unterkante Oberlippe! Schiss an allen Ecken und Enden! Schiss bis der Arzt kommt! Schiss bis …!“ „Bist du fertig!!!!“, fiel ihr Zirell so laut ins Wort, dass Maron vor Schreck seine Kaffeetasse, die er gerade angesetzt hatte, fallen ließ. „Eigentlich nich’!“, sagte Shannon. „Ich war gerade so schön in Fahrt! Aber wenn du unbedingt was sagen willst, Zirell.“ „Ja, das würde ich sehr gern.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „Du weißt, dass ich nicht jedes Vorhaben meiner Regierung in blindem Gehorsam unterstütze. Mit der Sache mit den Vendar bin ich auch nicht einverstanden, obwohl ich das Risiko durchaus sehe. Aber es gab schon andere Situationen, in denen die Zusammenkunft nicht auf das Wissen der Vendar verzichtet hat, obwohl das Risiko auch genauso hoch war.“ „Wegen der Sache mit IDUSA stimmen wir Ihnen auch zu, O’Riley.“, sagte Maron. „Danke, dass Sie uns auf diese fehlerhafte Praxis aufmerksam gemacht haben.“ „Äääää, was?“, machte eine völlig verwirrte Shannon. „Ja.“, sagte Zirell mild. „Du hast es uns gerade aufgezeigt, Shannon. Wir widersprechen unserem eigenen System. Das darf ja wohl nicht sein. Aber mir sind die Hände gebunden. Gegen die Entscheidungen des Oberkommandos bin ich machtlos. Aber wenn du willst, kannst du IDUSA ja selbst zur Werft bringen. Fliegen kannst du sie ja theoretisch. Auch wenn das bisher nur für Antriebstests notwendig war.“ „Unterwegs könnten Sie ja ein kleines Unglück erleiden, das euch beide von allen Schirmen verschwinden lässt. Bei der momentanen physikalischen Lage könnte das ja durchaus passieren, nicht wahr, O’Riley?!“, fragte Maron und sah sie konspirativ an. „Aber Agent!“, sagte Shannon und spielte übertriebene Empörung vor. „Sagen Sie bitte bloß nicht, dieses Unglück spült uns dann ausgerechnet in die Dimension von Freunden, die …“ „Genau.“, grinste Maron. „Aber an Ihrer Stelle würde ich machen, dass ich loskomme, bevor Zirell und ich unsere Meinung wieder ändern.“ „Pfui, Agent!“, sagte Shannon grinsend. „Was für schmutzige Gedanken! Aber gut!“ Sie machte auf dem Absatz Kehrt und verließ grinsend die Kommandozentrale.

„Das hätte ich ihr nicht zugetraut.“, sagte Maron an Zirell gewandt. „Ich auch nicht, Maron.“, gab die ältere Tindaranerin zurück. „Jenna hätte den Fehler im System sicher sofort aufgespürt. Aber Shannon …“, sagte Maron. „Umso überraschter werden alle sein, Maron.“, sagte Zirell. „Shannon ist nicht dumm. Ich glaube, das hat sie mittlerweile verstanden. Ich denke, sie wird sich noch was Schönes ausdenken, um uns alle zu überraschen.“ „Dem kann ich nur zustimmen, Zirell.“, sagte der Demetaner und grinste.

Kapitel 77: Sytania in der Defensive

von Visitor

 

Sytania hingegen war gar nicht zum Lachen zumute. Sie hatte sich die Geschicke in der Dimension der Föderation angesehen und war über das, was sie dort gesehen hatte, gar nicht erfreut.

„Wir müssen uns etwas überlegen, Cirnach!“, sagte sie zur Stellvertreterin und Ehefrau ihres Vertrauten. „Ich kenne dieses Schiff. Sie heißt Shary und ist das Schiff von Tchey Neran-Jelquist! Wenn die sich einmischt, dann haben wir garantiert nichts Gutes zu erwarten!“ „In der Tat, Milady.“, sagte die Vendar. „Wenn sie den Genesianern die Daten gibt, die sie gemeinsam mit dieser Xylianerin gesammelt hat, dann werden sie ein Mittel gegen unser Virus haben und dann ist es mit der Abhängigkeit der Genesianer von Valora und Euch, auf die Ihr ja gemeinsam mit ihr hinarbeitet, vorbei. Gut, diejenigen, die infiziert sind, können nicht geheilt werden, aber es wird sich niemand sonst mehr infizieren, wenn sie denen den Impfstoff gibt. Wir müssten dafür sorgen, dass sie bei den Genesianern in Ungnade fällt und ich kann mir auch schon sehr gut vorstellen, wie wir das anstellen könnten.“ „Sprich!“, befahl Sytania und wurde ganz aufgeregt. „Ich denke.“, setzte Cirnach an, „Dass wir zu diesem Zweck den Wettflug benutzen können, den Tchey den Genesianern vorschlagen wird, damit ihr Schiff ihr Versprechen gegenüber den Cobali einlösen kann.“

Sie machte eine dramatische Pause, in die Sytania einhakte: „Lass dir gefälligst nicht alles aus der Nase ziehen! Was genau meinst du damit?!“ „Ich meine.“, erläuterte die Vendar. „Dass Ihr vielleicht die Schiffe der Genesianer ein wenig manipulieren könntet mit Hilfe Eurer Macht. Sie könnten technische Fehler erleiden oder so etwas. Wenn Tchey dann trotzdem den Flug beenden würde, wäre das in den Augen der Genesianer doch sehr unehrenhaft und sie würde in Ungnade fallen. Das wäre ja genau das, was wir benötigen. Shashana wird sie achtkantig rauswerfen, noch bevor sie überhaupt eine Silbe über die Daten und den Impfstoff verlieren kann!“

Sytania sprang von ihrem Thronsessel auf und klatschte in die Hände. „Genauso werden wir es machen, Cirnach!“, sagte sie. „Diese einfältige Reptiloide wird nicht merken, was hier vorgeht. Sie fliegt viel zu gern Rennen. Da ist sie wie Tom Paris. Dem war auch alles egal, sobald er ein schnelles Schiff unter dem Hintern und eine schöne Frau in Reichweite hatte!“ Sie grinste gehässig. „Ach, manche Sterbliche sind doch zu einfach gestrickt!“ „Das ist korrekt, Hoheit!“, bestätigte die Vendar. „Der Nervenkitzel wird Tchey alles andere vergessen lassen. Wir haben also sehr gute Chancen, dass unser Plan aufgeht. Bitte lasst uns sie weiter beobachten. Ich denke, dass ich schon einen geeigneten Zeitpunkt für unsere Taktik erkennen werde.“ „Dessen bin ich mir auch völlig sicher, Cirnach.“, sagte die imperianische Königstochter. „Neben deinem Mann bist du meine beste Strategin. Wie geht es ihm übrigens? Wie kommt er mit der Umerziehung seines Teils des Feldes voran?“

Cirnach schluckte. Sie fühlte sich sichtlich ertappt. Sie hatte eigentlich gehofft, Sytania von ihrem Mann abgelenkt zu haben und erreicht zu haben, dass sie nie wieder das Gespräch auf dieses Thema brachte. Aber, wie sie jetzt selbst sehen konnte, war gerade das Gegenteil eingetreten. Allerdings wusste sie auch, dass Sytania an die Legende glaubte, Ein Vendar würde einen Telepathen sofort aussaugen, wenn dieser freiwillig mit ihm Kontakt aufnehmen würde. Deshalb standen ihre Chancen sehr gut, ihr vielleicht noch etwas länger etwas vormachen zu können. Außerdem sollte ihr der Zufall in die Hände spielen.

Sie versuchte sich zu beherrschen, damit Sytania nicht auf die Idee kommen würde, sie würde ihr etwas vorlügen. Dann sagte Cirnach: „Es geht ihm sehr gut, Hoheit. Aber das Fütterungsritual nimmt ihn jeden Tag sehr in Anspruch. Es ist sehr schwierig für ihn, dem Feld die böse Energie einzuimpfen. Wir sind dazu übergegangen, dass er es nur alle zwei Tage tut, damit es einen Tag hungert und an den Rand seiner Existenz gerät. Aber das hilft auch nicht wirklich. Und dann sind da die Visionen, die er immer dann hat, wenn er es versucht. Die Quellenwesen wissen natürlich alles, was geschehen ist und sie versuchen uns zu erpressen. Sie wollen ihn unbedingt dazu bringen, Joran das Feld zurückzugeben. Wenn er es nicht täte, dann würden sie dafür sorgen, dass er es auf sehr schmerzhafte Weise verlieren würde. Das sei ihre Strafe für den Diebstahl. Ich habe Telzan etwas gegeben, damit er die Visionen nur noch abgemildert wahrnehmen kann. Ganz abstellen kann das Medikament sie leider nicht. Dafür sind die Quellenwesen zu mächtig. Aber …“

Sytania stöhnte gelangweilt auf. „Wie du das regelst, interessiert mich nicht wirklich. Aber du hast meine Frage immer noch nicht beantwortet.“ „Es gibt Fortschritte.“, log Cirnach. „Meine vorherigen Sätze sollten Euch nur den Grund erklären, aus dem es so langsam vorangeht. Ich wollte nur damit sagen, dass …“

Ein Geräusch aus ihrer Tasche hatte sie plötzlich innehalten lassen. „Das gerade war mein Sprechgerät.“, erklärte sie in Richtung der sie fragend ansehenden Sytania. „Meine Leute haben Befehl, mich nur in sehr dringenden Fällen zu stören, wenn ich bei Euch bin. Da sie sich immer an Telzans und meine Befehle gehalten haben, wird es wohl sehr dringend sein. Ich denke, ich werde den Ruf kurz beantworten müssen.“ „Von mir aus tu das.“, sagte Sytania immer noch sehr gelangweilt.

Cirnach zog ihr Sprechgerät aus der Tasche und las sich das Display durch. Hier erkannte sie neben dem Rufzeichen der vendarischen Garnison auch das Unterrufzeichen des Raums, von dem aus die interdimensionale Sensorenplattform überwacht wurde. Dort war Telzan mit Mirdan. Da der Novize sich ja in Sytanias Augen sehr verdient gemacht hatte, war er vor kurzer Zeit in den inneren Kreis befördert worden, obwohl er das dazu nötige Alter noch gar nicht erreicht hatte.

Die Vendar verdeutlichte ihrem Gerät durch das Drücken der Sendetaste, dass sie das Gespräch annahm. „Was gibt es?“, fragte sie. „Anführerin, wir sehen zwei Schiffe, die sich sehr ähneln. Sie scheinen von gleicher Bauart zu sein. Eines von ihnen wird von Ginalla geflogen. Die kenne ich zwar selbst nicht, aber dein Mann hat sie mir geschildert. Laut unseren Scans ist es aber harmlos. Im Frachtraum befinden sich nur Lebensmittel. Anscheinend will Ginalla mit ihren Freunden eine Party feiern. Das andere Schiff aber ist viel interessanter. Telzan hat mir von der Situation um Invictus berichtet. Das Schiff hat eine Apparatur an Bord, von der Telzan glaubt, sie könne benutzt werden, um ihm zu helfen. Das darf doch auf keinen Fall geschehen, oder?“, meldete Mirdan. „Recht hast du!“, lobte Cirnach. „Das darf nicht geschehen! Dieses Schiff und vor allem das Gerät, darf die Erde nie erreichen! Nimm gemeinsam mit meinem Mann und einigen unserer Leute ein paar Schiffe und bringt es auf!“ „Zu Befehl, Anführerin.“, sagte Mirdan schmissig und beendete die Verbindung.

Cirnach hatte diese Entwicklung erleichtert zur Kenntnis genommen. Sie war froh, dass ihr Mann jetzt wieder weit weg sein würde. So würde Sytania nicht auf die Idee kommen, ihn aufzusuchen und hinter ihren Schwindel kommen können. Aber die Königstochter hatte wahrlich andere Sorgen. „Sie wollen Invictus helfen!“, grollte sie. „Ich hoffe, dein Mann und sein Schüler werden ihnen diese Suppe gründlich versalzen!“ „Da könnt Ihr sicher sein, Hoheit!“, versicherte die Vendar. „Das werden sie! Ihr werdet sehen!“ „Ich glaube dir, Cirnach.“, sagte Sytania und setzte sich wieder zufrieden in ihrem Thronsessel zurecht.

Shimar hatte die Nacht in Rudis Gästezimmer in einem bequemen Bett verbracht. Durch ein Kratzen an der Tür war er erwacht und hatte sie leicht geöffnet, nachdem er schlaftrunkenen Zustands zu ihr gewankt war. Dort war er von einem kleinen Wirbelwind begrüßt worden, der mit dem Schwanz wedelnd um ihn herum gewuselt war. „Hi, Mausi!“, begrüßte er das Hündchen, das er im fahlen Dämmerlicht erst jetzt erkannt hatte. „Was ist los?“

Mausi wuselte voran in Richtung Küche, wo sich auf dem Schrank ihre Leine befand. Hier befand sich aber auch Mikosch, der Shimar erst schnurrend begrüßte und sich dann auf den Weg auf sein Katzenklo im Flur machte. „Danke für die Übersetzung, Katerchen.“, witzelte Shimar und legte Mausi die Leine an. Er konnte sich denken, warum alles hier noch genauso war, als wäre er im Reich der Lebenden. Er war ja schließlich noch in der Übergangsphase.

Überrascht nahm Shimar zur Kenntnis, dass Mausi sich ihm sofort anschloss. Von mir hatte er erfahren, dass sie dies eigentlich sonst nicht tat. Sie war gegenüber Fremden eigentlich immer sehr reserviert gewesen, aber er dachte sich dann wohl doch, dass dies wohl mit seinem Talent zum Bespaßen zu tun haben könnte. Das hatte ihr wohl geholfen, zu ihm Vertrauen zu fassen. Also nahm es nicht Wunder, dass sie jetzt vor ihm her wuselte.

Ihr Weg führte beide in den Park von Shinells Therapiezentrum. Mausi schien diese Strecke schon zu kennen. Trotzdem blieb sie alle paar Meter stehen und schnupperte. Shimar ließ sie gewähren. Schließlich hatte auch sie das Recht, sich über ihre Umgebung zu informieren und erst einmal sozusagen die Morgenzeitung zu lesen.

Plötzlich bog ein Schatten um eine Ecke. Shimar konnte eine etwa 1,70 bis 1,80 m messende Frau ausmachen, die einen großen Hund an einer Leine führte. Der ging zwar brav neben ihr her, Shimar aber hatte von mir erfahren, dass Mausi oft sehr große Angst vor großen Hunden hatte. „Komm, wir nehmen einen anderen Weg.“, flüsterte er Mausi zu. „Gegen den hättest du keine Chance.“

Er drehte sich und wollte gerade die andere Richtung einschlagen, als er bemerkte, dass Mausi ganz ruhig dastand und einfach weiterschnupperte. Das war ein Umstand, der ihn etwas verwirrte. Jetzt sah er auch noch, wie die Frau auf sie zukam. Seine Gedanken waren nur noch von einem Thema beherrscht. Er hatte von mir gehört, dass Mausi aus Angst einfach geradeaus flüchtete und dann nicht mehr zurückzurufen sein konnte. Von ihm, den sie kaum kannte, schon mal gar nicht. Ihr gerade erst aufgebautes Vertrauensverhältnis könnte dann zerstört werden. Das durfte auf keinen Fall passieren!

„Miss, bitte nehmen Sie sofort Ihren Hund weg!“, sagte Shimar und versuchte dabei so souverän wie möglich zu klingen. „Die Kleine hat Angst!“ Statt seiner Bitte nachzukommen kamen Frauchen und Hund aber weiter auf ihn zu. Erst jetzt sah Shimar, dass sie Bajoranerin war. Sie trug ein weißes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte und rote offene Sommerschuhe. Der Hund hatte ein langes weiches schwarzes Fell.

Shimar wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Wenn er sich herunterbeugen und Mausi streicheln würde, dann würde er ihre Angst eventuell nur noch verstärken. Würde er sie auf den Arm nehmen, dann würde er ihr auch genau die gleiche Botschaft vermitteln. Allerdings fand ihre Angst ja nur in seinem eigenen Kopf statt. Dies war aber eine Tatsache, die ihm wohl gänzlich entgangen war, denn Mausi machte keinerlei Anstalten zur Flucht. Sie setzte sich jetzt sogar hin und forderte den fremden Hund zum Spielen auf.

Der junge tindaranische Flieger, dem das völlig entgangen war, wandte sich noch einmal dessen Frauchen zu: „Nehmen Sie den Hund weg, Miss! Ich sage es kein drittes Mal! Ich warne Sie! Ich bin Tindaraner! Wir können auch ganz anders!“ Um Mausi zu beschützen war er also auch bereit, seine Kräfte einzusetzen, was er dann auch tat. Mausi war meine Mausi gewesen und ich war die, die er liebte. Dass allem, was zu mir gehörte, also kein Leid geschehen durfte, war ihm sonnenklar.

Sein Blick fiel auf einen Sandkasten. Der musste von Shinell extra angeschafft worden sein. Das konnte er sich zumindest vorstellen. Wegen der Kinder war das sicher auch ganz gut.

Er stellte sich vor, wie Frauchen und Hund in diesen Sandkasten flogen, aber nichts geschah. Er hatte sie ja nicht ernsthaft verletzen wollen. Sie sollten ja nur aus Mausis und seiner Reichweite verschwinden!

Die Bajoranerin hatte jetzt genau seine Kopfhaltung beobachtet. Er hatte seinen Kopf nämlich nicht vom Sandkasten abgewandt. Aber das war nicht der Grund gewesen, aus dem sich nichts tat. Wie ihr vielleicht wisst, bauen die Tindaraner, wenn sie jemanden direkt beschützen wollen, eine Verbindung zu demjenigen Wesen auf. Wenn das Wesen aber nicht beschützt werden will, können sie ihre Kräfte dafür auch nicht einsetzen.

„Na, da haben wir den Mund wohl etwas zu voll genommen, was?!“, spottete die Fremde, deren Stimme Shimar jetzt irgendwie bekannt vorkam. „Offenbar will die Kleine gar nicht beschützt werden! Ja, ich weiß über euch und diese Sache mit der Schutzverbindung Bescheid. Sie können mit Sicherheit telepathisch nachvollziehen, ob mein Hund wirklich eine Gefahr für Ihren darstellt, nämlich, indem Sie herausbekommen, wer er wirklich ist! Na los! Sie schaffen das! Aber damit Sie beruhigt sind, gehen wir sogar freiwillig dort hinüber! Komm, Odo!“ Sie hatte den Namen des Hundes an ihrer Seite noch stark betont. Offenbar wollte sie Shimar auf etwas aufmerksam machen. Dann gingen sie und der große Hund hinüber zum Sandkasten und setzten sich an dessen Rand.

Shimar stand stocksteif da. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er offensichtlich beinahe einen großen Fehler gemacht hätte! Diese Szene war ihm bekannt. Er hatte sie von mir aus meinen Beschreibungen oft genug gehört. Auf die gleiche Weise hatten sich Neris und Odo damals mir genähert. Er wollte aber vorsichtshalber ganz sicher gehen. Deshalb konzentrierte er sich auf den Geist des Hundes und dann auf den seines Frauchens. Dann sagte er: „Sie haben Recht, Neris. Ich war ein ausgemachter Vollidiot! Wieso habe ich das nicht gemerkt?!“ Er beugte sich zu Mausi hinunter: „Danke, meine Süße. Du hast mich gerade vor einem riesigen Fehler bewahrt.“

Bedient wankte er zu Neris und Odo hinüber und setzte sich neben sie. „Nervös, was?!“, sagte Neris und zog grinsend einen Schokoladenriegel aus der Tasche ihres Kleides. Den packte sie aus und brach ihn in zwei Hälften, von denen sie Shimar eine gab. „Für Ihre Nerven.“, sagte sie. „Danke, Neris.“, sagte Shimar, der sie jetzt auch tatsächlich erkannt hatte. „Bitte entschuldigen Sie, aber die Situation …“ „Die Situation.“, griff Neris seine letzten beiden Worte auf. „Über die Situation wollte ich auch mit Ihnen und Rudi reden. Deshalb bin ich hier. Fangen Sie jetzt aber bitte nicht mit der Zeitlinie oder gar der Obersten Direktive an. Hier hat das alles keine Bedeutung. Das wissen Sie.“ „Das ist logisch.“, sagte Shimar. „In der Ewigkeit ist Zeit nicht relevant, sonst wäre es ja nicht die Ewigkeit. Aber die restlichen Dimensionen …“

Neris stand auf und blickte verächtlich auf ihn herab. „Die restlichen Dimensionen!“, spottete sie. „Pah! Die wird es nicht mehr geben, wenn wir den Quellenwesen nicht unter die Arme greifen und ihnen helfen, das Ende aller Welten zu verhindern! Natürlich geben sie es nicht zu, aber sie benötigen unsere Hilfe, wie beim letzten Mal auch. Deshalb ist auch keiner von uns bestraft worden. Ihre Freundin hatte Recht mit ihrer Theorie. Die sind so mächtig, dass sie es verlernt haben, um etwas zu bitten. Das ist aber keine böse Absicht! Es passt einfach nicht mehr in ihr Denkschema. Das hat Betsy damals richtig erkannt. Die Kleine hätte Psychologin werden können, wenn Sie mich fragen. Ein gewisses Talent dafür hat sie.“

Hastig hatte Shimar den Rest seiner Hälfte des Schoko-Riegels heruntergeschlungen. „Soll das etwa bedeuten?“, fragte er verwirrt. „Dass keiner von Ihnen bestraft worden ist für …“ „Genau das!“, sagte Neris. „Genau das, Shimar. Im Gegenteil! Die Füße haben sie uns geküsst! Genauso einen Fall haben wir jetzt auch wieder. Also, wir treffen uns alle heute Nachmittag bei Rudi in der Wohnung. Nicht nur Sie müssen in Ihren Körper und in Ihr Leben zurück. Jetzt, da wir alle unsere körperlichen Grenzen verlassen haben, haben wir auch direkte geistige Kontrolle über Gegenstände, wenn wir in sie gehen. Sie wissen, dass wir uns überall hin wünschen können, außer direkt zurück in unser Leben. Aber wir müssen ordentlich Dinge verändern, wenn es losgeht. Odo und ich haben eine Menge Freunde. Die wiederum haben Freunde uns so weiter. Aber über alles andere reden wir heute Nachmittag beim Tee!“

Es gab einen weißen Blitz und sie und der Hund waren verschwunden. Offensichtlich hatten sie sich zurück in ihre eigene Welt im Reich der Toten Namens Omarion gewünscht.

Bedient stand Shimar auf und griff nach Mausis Leine, die er fallengelassen hatte. Mausi hatte sich ruhig neben Odo gesetzt und sogar mit ihm gekuschelt. Offensichtlich wusste sie, dass von diesem großen Hund im Besonderen keine Gefahr ausging. „Komm!“, sagte er. „Wir gehen nach Hause. Ich muss mich erst mal beruhigen!“ Auch Mausi stand auf und tippelte neben ihm her, der sich jetzt in Richtung des Hauses auf den Weg gemacht hatte. Dabei rieb sie von Zeit zu Zeit ihren Kopf an seinem rechten Bein, als wollte sie ihn beruhigen. Shimar war das sehr willkommen. Offenbar gab es da Dinge, über die er dringend mit Rudi reden musste. Der alte Mann schien ihm noch nicht alles gesagt zu haben.

Meroola und ihr Schiff waren auf jenem Umweg zur Erde, den sie mit Scotty und Ginalla abgesprochen hatten. Ihrem Schiff hatte Meroola zwar den Plan auseinandergesetzt, dennoch hatte Kamura ein paar Bedenken. „Denkst du wirklich, dass Sytanias Vendar auf uns hereinfallen werden? Ich meine, die sind bestimmt auch nicht dumm.“, bemerkte das Schiff. „Nein.“, lachte ihre listige Pilotin. „Dumm sind sie nicht, Kamura. Aber gierig sind sie! Verdammt gierig! Und vor allem ist ihre Herrin verdammt gierig. Sie will bestimmt nicht, dass ihre Aussicht auf Allmacht durch uns zerstört wird. Also wird sie alles daran setzen, unser Vorhaben, Invictus zu helfen, zu sabotieren. Sytanias Vendar haben keine Ahnung, dass Ginalla das gleiche Gerät an Bord ihres Schiffes hat. Dein Vater generiert ein Täuschungsfeld. Sie glauben, er transportiere nur Lebensmittel.“ „Hoffentlich hast du Recht.“, sagte Kamura und ihr Avatar vor Meroolas geistigem Auge legte die Stirn in sorgenvolle Falten. „Ach, hör auf zu unken!“, sagte die ehemalige Raumpiratin etwas unwirsch. „Es wird schon gut gehen.“

Das Bild vor Meroolas geistigem Auge änderte sich plötzlich. Sie sah einige Schiffe, die sich ihr und Kamura gefährlich näherten. Aus ihrer Bauart schloss Meroola, dass es sich um vendarische Schiffe handeln musste. An ihren Rümpfen war außerdem deutlich das Zeichen des Drudenfußes zu sehen. „Oh ich glaube sie kommen!“, sagte Meroola und grinste. „Jetzt beginnt der spaßige Teil!“

Sie erteilte Kamura den Gedankenbefehl, auf Warp drei zu gehen. „Wir wollen unsere Feinde ja nicht gleich überfordern!“ „Dass du in so einer Situation noch Humor hast.“, sagte Kamura und ihre Stimme klang fast etwas ängstlich. “Keine Angst.“, sagte Meroola zuversichtlichen Tons. „Dir wird schon nichts geschehen. Ich bin verdammt gut im Abschließen von Deals. Ich weiß genau, dass sie nicht dich wollen. Du bist in ihren Augen nur mein Transportmittel. Das Gerät in deinem Frachtraum und ich sind für sie viel interessanter. Glaub es mir. Los komm! Lass uns mit ihnen noch eine Weile Katz und Maus spielen! Sonst kommen sie uns am Ende noch drauf!“ Die ehemalige Kriminelle erteilte Kamura weitere Befehle, die von ihr auch vertrauensvoll ausgeführt wurden und dazu führten, Dass Meroola und ihr Schiff in einem Sonnensystem verschwanden, um dann auf dessen anderer Seite wieder aufzutauchen.

Jene Tatsachen waren auch Sytanias Vendar nicht verborgen geblieben. Telzan und Mirdan hatten sehr wohl mitbekommen, dass sie versuchten, sich vor ihnen zu verstecken.

„Es sieht aus.“, bemerkte der Novize, der auch das Schiff flog, gegenüber seinem Ausbilder. „Als würde sie versuchen, sich vor uns zu verstecken.“ „Das täte ich an ihrer Stelle sicher auch, Mirdan.“, sagte Telzan. „Wenn ich so eine kostbare Fracht an Bord meines Schiffes hätte, wie sie eine hat, dann würde ich auch alles tun, damit meine Feinde sie nicht in die Hände bekämen.“ „Sicher.“, sagte Mirdan. Sie wird mit Sicherheit … Halt dich fest, Anführer!“

Ein plötzliches Manöver, das von Meroola eingeleitet worden war, hatte den Novizen gezwungen, den Warpantrieb seines Schiffes einer Notabschaltung zu unterziehen, damit sie nicht mit einem vor ihnen im Weltraum treibenden Felsen zusammenstießen, der von Kamura mit Hilfe ihres sehr clever eingesetzten Traktorstrahls in ihren Weg geschoben worden war. Weder Mirdan, noch Telzan, hatten es auf dem Monitor gesehen. Der Novize konnte das Schiff nur in die richtige Richtung bringen, indem er die Trägheitsdämpfer noch zusätzlich auf volle Leistung schaltete. Dies aber hatte eine so große Abweichung vom Kurs zur Folge, dass es etwas dauerte, bis Mirdan das Schiff wieder hinter Kamura gebracht hatte.

Telzan hatte sich bei dem plötzlichen Manöver den Kopf angestoßen. „Kannst du mir mal sagen, was das sollte, Mirdan?!“, grollte er seinem Novizen entgegen. „Es tut mir leid, Anführer.“, entschuldigte sich der Novize. „Aber ich musste ausweichen. Sonst wären wir mit dem Stück eines Kometen dort zusammengestoßen!“ Er zeigte mit ernstem Blick auf den Monitor, wo das Problem jetzt sehr gut zu sehen war. „Wo verdammt noch mal ist das hergekommen?!“, fragte Telzan wütend und bekam einen hoch roten Kopf. „Das weiß ich nicht, Anführer.“, sagte Mirdan kleinlaut. „Es war plötzlich da. Es war einfach da.“ „Rede keinen Unsinn!“, sagte Telzan und stieß ihn unsanft zur Seite. „So etwas taucht nicht einfach auf! Ach, wenn man nicht alles selbst macht!“

Mittels eines strengen Blickes hatte Telzan Mirdan seines Platzes verwiesen und sich selbst auf den Pilotensitz des Schiffes gesetzt. Dann hatte er einige Eingaben in den Rechner getätigt. Bald zeigten ihm die Sensoren auch das gewünschte Ergebnis. „Habe ich es mir doch gedacht!“, sagte er und machte ein siegessicheres Gesicht. „Das sind Marken, wie sie ein Traktorstrahl hinterlässt und wenn ich mir dieses Energieschema so ansehe, dann passt es genau zu dem des Schiffes, das wir gerade verfolgen. Dieser verdammte Felsbrocken kam ihnen wohl gerade recht. Aber das wird ihnen auch nicht viel nützen.“ Damit brachte er das Veshel wieder auf Warp.

Kamura hatte nicht glauben können, was sie gerade erlebt hatte. Folgsam hatte sie zwar die Befehle ihrer Pilotin ausgeführt, hätte aber nie gedacht, zu so etwas in der Lage zu sein. „Ich wusste gar nicht, dass ich so etwas kann, Meroola.“, sagte sie. „Tja, man lernt nie aus, Kamura.“, sagte die ehemalige Raumpiratin, die nicht gerade wenig Stolz über ihr doch sehr gelungenes Manöver empfand. „Danke für dein Vertrauen.“ „Gern geschehen.“, sagte das Schiff.

Sie übernahm plötzlich selbstständig die Steuerkontrolle, ging auf Impuls zurück und flog eine weite Kurve. „Was ist los?“, fragte Meroola. „Ich musste jetzt meinerseits ausweichen.“, sagte Kamura zur Erklärung. „Die Vendar haben einen Torpedo abgeschossen und der hätte beinahe meinen Antrieb erledigt. Du hattest mir noch nicht erlaubt, die Schilde zu heben.“ „Natürlich nicht.“, sagte Meroola. „Sie sollten doch freie Sicht haben. Es sollte aussehen, als würden wir total naiv durch den Weltraum schweben und nicht darauf gefasst sein, auf feindliche Schiffe zu treffen. Aber wenn sie uns jetzt angreifen, sieht das natürlich ganz anders aus. Schilde hoch, Kamura!“ Bereitwillig und erleichtert führte das Schiff den Befehl ihrer Pilotin aus.

Verärgert hatte Telzan zur Kenntnis genommen, dass er das Ziel verfehlt hatte. Da sich sein Ziel ständig unberechenbar bewegte, hatte er es nicht für gut erachtet, den Mishar eine automatische Zielerfassung vornehmen zu lassen. „Ich kann auf keinen Fall manuell zielen und gleichzeitig das Schiff steuern!“, schimpfte er zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Dann lass mich doch bitte die Waffen bedienen, Anführer.“, bat Mirdan, der offensichtlich das klare und große Bedürfnis hatte, seinen Fehler von vorher wieder gut zu machen. „Also gut.“, sagte Telzan mürrisch und zeigte auf den Sitz neben sich: „Los, komm her!“ Mirdan nickte und setzte sich hin. Der Tonfall seines Anführers war für ihn nichts Besonderes. Unter den Vendar herrschte eben zuweilen ein sehr rüder Umgangston. Das war auch dem Novizen bekannt.

Über einen recht langen Zeitraum hatten Meroola und Kamura Telzan und Mirdan und auch den Rest ihrer Truppe, der ihnen natürlich gefolgt war, nun schon zum Narren gehalten, indem sie sich immer wieder hinter oder unter Planeten versteckt hatten. Oft waren sie auch in das Magnetfeld eines solchen Planeten geflogen und hatten sich so lange über dessen Polen aufgehalten, bis die Vendar vorbeigeflogen waren. Erst dann waren sie blitzschnell wieder hinter ihnen aufgetaucht, was sie zu sehr extremen Wendemanövern gezwungen hatte, bei denen sie fast miteinander zusammenstießen. Auf diese Weise wurde ihnen ihre große Zahl selbst zum Verhängnis, Was Telzan und seine Truppe auch bald bemerkten, denn am hinteren Ende der Formation passierte es dann tatsächlich. Zwei Schiffe stießen durch eine Unachtsamkeit ihrer Piloten bei so einem Manöver zusammen und blieben manövrierunfähig im Weltraum liegen. Der Notruf, den beide dann absetzten, verärgerte Telzan zutiefst. „Jetzt müssen wir diese Narren auch noch bergen!“, fluchte er. „Aber das tun wir später. Sie laufen uns ja nicht weg. Aber es muss doch irgendwie möglich sein, dass wir diese Frau und ihr verdammtes Schiff zur Strecke bringen!“

Auf ihren hinteren Sensoren hatte Kamura auch jenes Geschehen beobachten können. „Die können einem ja fast leid tun, Meroola.“, sagte sie. „Denkst du nicht, dass wir ihnen langsam gestatten sollten, uns gefangen zu nehmen, damit mein Vater und Ginalla …“ „Noch nicht.“, sagte Meroola. „Noch nicht, meine Kleine. Zuerst machen wir noch etwas anderes. Bring uns ganz nah an die Corona dieser Sonne dort. Dann simulierst du einen Antriebsschaden. Es muss ja schließlich einen Grund geben, aus dem sich unsere so gute Lage plötzlich ändert. Sonst …“ „Ich weiß.“, sagte Kamura. „Sonst kommen sie uns am Ende noch drauf.“ Damit führte sie Meroolas Befehle aus.

Mirdan und Telzan hatten sehr wohl gesehen, was Kamura tat, aber die Gespräche in ihrem Cockpit hatten sie nicht mitbekommen. Das führte dann auch dazu, dass Telzan schadenfroh feststellte: „ja, ja! So eine Sonne kann schon mal einiges verbrennen! Jetzt hat sie wohl ein Problem!“ „In der Tat, Anführer.“, sagte Mirdan. „Sie kann weder vor, noch zurück, geschweige denn nach oben oder unten. Ich schlage vor, wir lassen den Rest der Truppe sie jetzt umringen und dann …“

Er konnte nicht aussprechen, denn im gleichen Moment wurde er vom Piepen des Sprechgerätes daran gehindert. Aus dem Augenwinkel erkannte er jenes Rufzeichen, das ihm bereits durch den Transponder angezeigt worden war. „Sie ruft uns, Anführer!“, lachte Mirdan schadenfroh. „Sie will sich bestimmt ergeben.“ „Das werden wir ja gleich sehen.“, sagte Telzan und bedeutete dem Gerät, das Gespräch anzunehmen. Dann sagte er: „Ich bin Telzan. Ich bin Sytanias oberster Vendar. Betrachte dich als Sytanias Gefangene!“

Meroola setzte ein frustriertes Gesicht auf. Es fiel ihr nicht schwer zu schauspielern. In ihrer Laufbahn als Betrügerin hatte sie das ja oft genug tun müssen. Dann sagte sie: „Ich bin Meroola Sylenne. Das muss ich ja dann wohl, Telzan. Ach, hätte ich dieses verdammte Manöver nur nicht geflogen! Ich ergebe mich ja schon. Nur lass bitte mein Schiff frei. Sie hat keine Ahnung von meinen Geheimnissen. Wir kennen uns erst wenige Stunden. Aber du willst ja eh nur mich und mein Gerät, damit wir Invictus nicht helfen können. Sie wäre ja nur im Weg.“ „Also gut.“, sagte Telzan, dem die Aussicht, scheinbar unsere Pläne durchkreuzt zu haben, sehr gefallen hatte. Dass sie gelogen hatte, was Kamura und sie anging, hatte er nicht gemerkt. Wie auch? Lügen war schließlich ihre Paradedisziplin.

„Also gut, Meroola Sylenne.“, sagte Telzan und lachte dreckig. „Dann bereite dich darauf vor, mitsamt deinem Gerät an Bord geholt zu werden.“ Die Verbindung wurde beendet.

„Was soll ich tun, wenn du gleich weg bist?“, fragte Kamura. „Dann verständigst du deinen Vater und Ginalla und sagst ihnen, dass die Ablenkung geklappt hat.“, sagte Meroola. „Mach dir keine Sorgen um mich. Ich finde schon einen Weg zurück in die Freiheit. Dann fliegst du nach Hause, klar?!“ „Danke, dass du mich da rausgehauen hast.“, sagte Kamura. „Ich werde dich nie vergessen.“ „Hey!“, machte Meroola. „So weit ist es noch lange nicht. Wir werden uns bestimmt wiedersehen. Ich kenne ja dein Rufzeichen.“

„Sie haben dich und das Gerät erfasst.“, sagte Kamura traurig. „Das ist dann wohl der Abschied.“ „Aber sicher keiner für immer!“, versicherte Meroola und nahm den Neurokoppler ab. Dann wurde sie von den Vendar an Bord ihres Schiffes gebeamt.

Kamura blieb zurück. Traurig verfasste sie die SITCH-Mail an ihren Vater und Ginalla. Dann aktivierte sie ihren interdimensionalen Antrieb, um wieder in ihre heimatliche Dimension zu fliegen.

Ginalla und Kamurus hatten die Erde fast erreicht, als das Schiff die SITCH-Mail seiner Tochter empfing. „Es hat funktioniert, Ginalla.“, meldete er seiner Pilotin, der nicht entging, dass der Avatar vor ihrem geistigen Auge ein besorgtes Gesicht aufgesetzt hatte. „Was is’?“, flapste Ginalla. „Gefällt dir das etwa nich’?“ „Doch, natürlich.“, sagte Kamurus, der sich fragte, warum sie nicht von selbst auf den Grund kam, aus dem er sich eventuell sorgen könnte. „Aber es geht um meine Kleine, Ginalla, weißt du, sie macht sich Sorgen. Ich würde ihr gern helfen.“ „Ach so.“, sagte die junge Celsianerin. „Jetzt wird mir einiges klar. Du musst schon entschuldigen. Aber ich hatte nie Kinder.“ „Schon gut.“, sagte Kamurus. „Aber vielleicht kann ich dir ja dabei helfen, deiner Kleinen zu helfen.“, sagte Ginalla, die jetzt stark den Drang verspürte, ihren Fehler von eben wieder gut machen zu müssen. „Ruf deine Tochter und dann stell mich an sie durch! Wollen doch mal sehen, was ich tun kann.“ „OK.“, sagte Kamurus. „Versuchen wir es. Falls dir ein grober Schnitzer passieren sollte, kann ich ja immer noch dazwischen gehen.“ „Hey!“, sagte Ginalla und stellte sich vor, seinen Avatar in die Seite zu pieken. „Gib mir lieber Kamura, als hier groß Maulaffen feilzuhalten!“ „Sekunde.“, sagte Kamurus und begann damit, die Verbindung für Ginalla herzustellen. Jene Ironie, die er in dieses eine Wort gelegt hatte, war ihr aber auch nicht entgangen. Offenbar glaubte er nicht, dass es ihr gelingen könnte, Kamuras Sorgen zu zerstreuen. Wahrscheinlich meinte er, sie sei dafür zu grobschlächtig.

Wenige Momente später hatte er die Verbindung hergestellt und Ginalla sah in das sorgenvolle Gesicht von Kamuras Avatar. „Hi, Kamura!“, sagte Ginalla und lächelte sogar. „Du weißt ja bestimmt noch, wer ich bin, oder?“ „Klar weiß ich das.“, sagte Kamura. „Ich bin ja nicht mit ’nem Klammersack gepudert! Du bist Ginalla, die Pilotin meines Vaters. Sonst käme dein Ruf ja bestimmt nicht aus seinem Sprechgerät.“ „Kluges Kind! Kluges Kind!“, lobte Ginalla. „Ich wusste, dass du Kamurus‘ Intelligenz geerbt hast.“ Sie grinste. „Aber jetzt mal zu was anderem: Wieso machst du dir so viele Sorgen? Komm, erzähl mal. Kotz dich bei der guten Ginalla mal so richtig aus!“ „Es ist wegen Meroola.“, sagte Kamura traurig, die Ginalla ihren Kraftausdruck nun wirklich nicht übel nahm. Sie wusste ja, dass Celsianerinnen zuweilen etwas vulgär sprachen. „Sie hat sich von Sytanias Vendar einfach so gefangen nehmen lassen. Hoffentlich kommt sie da wieder raus. Ich meine, es wäre doch sicher besser, wenn wir ihr helfen würden, oder?“ „Hör mal zu, Kamy.“, sagte Ginalla. „Ich glaube, das müssen wir gar nich’. Sie scheint mir sehr gerissen zu sein. Außerdem is’ sie bestimmt mit noch mehr Wassern gewaschen als ich. Sie hat Jahre lang auf der Straße gelebt und ihren Lebensunterhalt mit Lügen und Betrügen verdient. Die windet sich aus Sytanias Gefängnis schon wieder raus. Darum wette ich mit dir. Die hat garantiert einen Plan, bei dem Sytanias Vendar Hören und Sehen vergehen wird! Aber das Letzte, was sie wahrscheinlich gebrauchen kann, is’ ’n Rollkommando, das versucht, sie da wieder rauszuholen. Das würde eventuell alles kaputt machen. Du kannst mir bei so was ruhig glauben. Ich war ja selbst mal kriminell, also quasi selbst mal böse. Und wer sollte das Böse wohl leichter besiegen können als jemand, der selbst mal böse war. Sie findet eine Schwachstelle und wird sie auch ausnutzen! Da gebe ich dir Brief und Siegel drauf!“ „Was macht dich so sicher, dass sie einen Plan hat, Ginalla?“, fragte Kamura unsicher. „Für mich sah es aus, als wollte sie sich einfach nur ergeben.“ „Hör mal zu.“, sagte Ginalla. „Hat sie nich’ irgendwas gemacht, das dich denken lassen könnte, sie hätte einen Plan? Überleg doch noch mal, Kamura!“

„Wenn du es so sagst.“, überlegte Kamura. Dann war da schon etwas, das so aussah, als hätte sie einen Plan. Sie hat die Vendar belogen, was mich anging. Sie hat ihnen gesagt, wir würden uns erst kurze Zeit kennen und ich würde gar nicht wissen, was wir so planen. Dadurch hat sie mir die Freiheit geschenkt.“ „Na Also.“, sagte Ginalla. „Das sieht für mich doch ganz eindeutig nach einem Plan aus. Wohin willst du jetzt, Kamura?“ „Sie hat gesagt, ich soll nach Hause fliegen und das werde ich auch tun.“, antwortete das Schiff. „Dann tu das am besten auch.“, sagte Ginalla. „Ich denke, da bist du immer noch am sichersten.“ „OK.“, sagte Kamura. „Vielen Dank, Ginalla.“ „Gern geschehen.“, lächelte die junge Celsianerin und beendete das Gespräch.

Schwer beeindruckt hatte Kamurus das Gespräch zwischen seiner Pilotin und seiner Tochter verfolgt. Da es ja auch über seine Systeme lief, war dies ja auch nicht weiter verwunderlich. „Kompliment, Ginalla.“, sagte er. „Das hätte ich dir wirklich nicht zugetraut. Gerade hast du mir noch den Eindruck vermittelt, du wärst nicht sensibel genug für den Umgang mit einem Kind und jetzt beweist du mir das ganze Gegenteil.“ „Tja, da kannst du mal sehen, he?“, sagte Ginalla und grinste. „Ja, das sehe ich.“, sagte Kamurus. „Das sehe ich sehr genau. Du bist immer für eine Überraschung gut, scheint mir.“ „ja, das is’ eben Ginalla, wie sie leibt und lebt.“, grinste die junge Celsianerin.

Sie setzte sich in ihrem Sitz zurecht. „Wo sind wir jetzt, Kamurus?“, fragte sie. „Wir befinden uns bereits im irdischen Sonnensystem.“, sagte das Schiff. „Während wir hier gesprochen haben, habe ich mir die Freiheit genommen, uns bereits anzumelden. Du weißt ja, dass ich mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen kann.“ „Das weiß ich.“, sagte Ginalla. „Das konnte ja schon jeder primitive Rechner im 21. Jahrhundert. Dass du gegen so einen super anstinken kannst, ist mir nich’ neu. Was haben die Kontrollettis denn gesagt, he?“ „Die Kontrollettis, wie du dich ausdrückst, haben mir gesagt, dass sie uns einen direkten Korridor zu der Position geben, die ich ihnen gemeldet habe. Ich habe Betsy nämlich längst lokalisiert. Auch die anderen.“ „Hey, klasse!“, sagte Ginalla. „Dann los! Bring uns hin, bevor dein Korridor wieder vergriffen is’!“ „OK.“, sagte Kamurus und übernahm das Steuer, um dann den Kurs zum Haus der O’Gradys einzuschlagen. Große Wiesen gab es dort ja genug. Auf einer von diesen würden sie landen.

 

Kapitel 78: Ein klärendes Gespräch

von Visitor

 

Nachdem ich den anderen gesagt hatte, was das Gespräch mit Scotty ergeben hatte, hatten uns fast alle verlassen und Sedrin und ich wähnten uns mit Invictus allein. Nur seinen Erfasser hatte Joran der Agentin überlassen. Er und sie wussten zwar, dass sie damit gegen Cupernicas Verbot verstießen, aber die Situation hatte sich grundlegend geändert. Das Nutzen eines Erfassers war bitternötig geworden.

Die Agentin hatte das Gerät jetzt schon ziemlich oft über Invictus kreisen lassen. Zwischen den einzelnen Untersuchungen waren jetzt schon weniger als fünf Minuten vergangen. „Er wird immer schwächer.“, sagte die Agentin. „Wenn Ihr Mann sich nicht beeilt, dann wird das sein Tod sein. Wenn ein mächtiges Wesen auf diese Weise verletzt wird …“ „Sie erzählen mir da nichts Neues.“, sagte ich. „Ich bin auch ausgebildete Sternenflottenoffizierin. Ich weiß auch, dass die Mächtigen nicht so unsterblich sind, wie sie auf den ersten Blick scheinen. Untereinander können sie sich schon sehr gefährlich werden.“ „Das ist richtig.“, sagte Sedrin. Aber gerade deshalb ist es ja so wichtig, dass Scotty rechtzeitig …“

Sie hatte ihren Satz unterbrochen, denn etwas hatte sie wohl aus dem Konzept gebracht. Das Etwas war ein Schatten, der jetzt hinter der Stalltür sichtbar wurde. Sie ging näher und erkannte im fahlen Licht die Gestalt von James. „Was machst du denn hier?“, fragte sie. „Geh Spielen! Das hier ist nichts für kleine Kinder.“ „Aber ich will doch nur dem armen kranken Einhorn helfen.“, sagte James traurig. „Wenn ich krank bin, dann is’ mein Dad’ auch immer da und liest mir vor. Das kann ich zwar noch nich’ so gut. Ich bin ja erst sechs, aber ich könnte ihn doch streicheln. Vielleicht hat er das ja gern.“ „Na gut, in Mutter Schicksals Namen!“, sagte Sedrin etwas mürrisch, der es gar nicht passte, dass er jetzt dabei sein und alles mitbekommen würde, das sie und ich bezüglich des Einhorns besprachen. Es war ja schon schwierig, dies gegenüber zivilen Erwachsenen geheim zu halten. Wie sollte uns das erst gegenüber einem Kind gelingen?

Sedrin zog den Kleinen in unsere Richtung. Dann parkte sie ihn an Invictus‘ Seite. „Streichle seinen Hals!“, sagte sie. „Da haben es zumindest Pferde am liebsten. Im Grunde ist er ja im Moment auch nichts anderes als ein krankes Pferd mit einem großen Horn.“ „Lassen Sie das bloß Ihren Mann nicht hören, Agent.“, sagte ich und grinste sie an. „Der würde das jetzt bestimmt nicht gern …“ „Das ist mir egal!“, sagte Sedrin. „Auch Jaden H. Huxley wird begreifen müssen, dass Invictus nicht mehr der strahlende Mächtige ist, als den er ihn gern sehen würde. Aber das kann er ja wieder werden, wenn es uns gelingt, sein telepathisches Zentrum rechtzeitig zu stimulieren. Ich hoffe nur, dass Ihr Mann rechtzeitig mit dem Bau des Gerätes fertig wird.“ „Das hoffe ich auch, Agent.“, sagte ich.

James hatte sich nicht mehr für unsere Gespräche interessiert. Er war vollends darin aufgegangen, den armen kranken Invictus zu bedauern, zu streicheln und zu kraulen. „Armes krankes Einhorn.“, sagte er mit mitleidigem Ton in der Stimme. „Wer hat dich denn so krank gemacht?“ Er wandte sich Sedrin zu: „Tante Sedrin, wer war das?“

Die Agentin schnaubte durch die Nase. Mit seiner Frage hatte sie nicht gerechnet. Wie sie ihm diese beantworten sollte, wusste sie allerdings auch nicht. Sie würde die komplizierten Zusammenhänge sicher nicht kindgerecht erklären können. Er würde aber keine Ruhe geben und bevor er etwas in den falschen Hals bekäme, würde sie besser dafür sorgen, dass es ihm von jemandem erklärt wurde, die so etwas gut konnte. „Die Tante Betsy kann dir das bestimmt sehr viel besser erklären als ich.“, sagte sie. „OK.“, sagte James und wandte sich mir zu. Seine Erfahrungen mit meinen Methoden hatten ihm gezeigt, dass er mir durchaus vertrauen konnte. „Tante Betsy.“, fragte er. „Wer war so gemein zu dem armen Invictus und warum?“

Ich suchte nach seiner kleinen Hand und nahm sie. Dann sagte ich: „Komm, James! Wir beide setzen uns ins Heu und dann erkläre ich es dir.“ „Oh ja.“, sagte James und führte mich zu einem Heuballen, der in der Ecke des Stalls lag. Er musste von dem Stapel, den Tchiach und Sam besorgt hatten, übriggeblieben sein. Auf diesen setzten wir uns und ich zog ihn dicht an mich. Dann begann ich: „Weißt du, James, da gibt es den Invictus und die Valora. Die Beiden leben zusammen so wie deine Mummy und dein Daddy. Die Valora ist auch ein Einhorn wie der Invictus. Aber der hat mit einer anderen Stute, mit der Kipana, zwei Fohlen. Das fand die Valora nicht gut und hat sich mit ihm gestritten.“ „Warum hat der Invictus das gemacht?“, fragte James. „Hat er die Valora nich’ mehr lieb? Is’ das wie bei meiner Mummy und meinem Daddy? Die hatten sich auch nich’ mehr lieb. Deshalb is’ meine Mummy gegangen. Aber sie hat gesagt, sie is’ trotzdem immer noch meine Mummy. Ich darf jedes Wochenende und in den Ferien zu ihr, weißt du? Warum mussten die sich denn so streiten, Tante Betsy? Meine Mummy hat meinen Daddy doch auch nich’ krank gemacht.“ „Weil die Valora nicht verstanden hat, dass es wichtig war, dass der Invictus das gemacht hat.“, sagte ich. „Warum is’ das wichtig?“, fragte der kleine Junge neben mir, den ich mittlerweile als sehr intelligent für sein Alter einschätzte. Mit einfachen Phrasen würde er sich nicht abspeisen lassen. „Schau mal.“, sagte ich. „Du würdest doch sicher heute auch nicht mehr in ein Feuer fassen, weil du weißt, dass es wehtut und du dich verletzen kannst. Der Invictus will, dass seine Kinder wissen, dass man ganz vorsichtig mit der Natur sein muss. Deshalb hat er die Kinder mit dem Pferd. Er hat Angst, dass die Einhörner sonst irgendwann vergessen, wie kostbar alles ist.“ „OK.“, sagte James. „Du meinst also, wenn sie wissen, dass sie sich verletzen können, dann passen sie besser auf?“ „Richtig.“, lobte ich. „Genauso, wie du auch aufpasst, weil du weißt, dass du dich verletzen kannst.“ „Aber dann is’ die Valora ja dumm, wenn sie das nich’ versteht.“, sagte James. „Dumm ist sie sicher nicht.“, sagte ich. „Sie ist nur eifersüchtig. Das hat die böse Prinzessin Sytania ausgenutzt. Sie hat die Valora immer und immer wieder angestachelt. Deshalb hat sie den Invictus krank gemacht. Die böse Sytania mag den Invictus nämlich nicht, weil er verhindern kann, dass sie alles erobert.“ „Das is’ gemein von der bösen Sytania!“, schluchzte James. „Was machen wir denn jetzt?“ „Jetzt!“, sagte ich zuversichtlich und stand auf, denn ich hatte ein Geräusch gehört, das sich fast wie die Atmosphärentriebwerke eines Raumschiffs anhörte. „Jetzt warten wir auf den Onkel Scotty.“ Derweil dachte ich: Wie auf Stichwort.

Von seinem Fenster aus hatte Sam die Landung von Kamurus mitten auf seiner Weide beobachtet. Was er da sah, vermochte er zuerst nicht wirklich einzuordnen. Da landete einfach ein Raumschiff auf seiner Wiese! Ein Raumschiff! Als ob es nicht in den letzten Tagen schon genug seltsame Vorfälle gegeben hatte, seit wir und die Tindaraner, wie Huxley Joran, Jenna und Tchiach immer noch nannte, eingetroffen waren! Jedenfalls beschloss er, sich die Sache mal genauer anzusehen und ging hinüber.

Er hatte das Schiff gerade erreicht, als sich an ihm eine Luke öffnete und eine junge kesse Celsianerin seinem Cockpit entstieg. Die grinste Sam an: „Hi, Mister! Sind Sie der Chef hier? Mein werter Name is’ Ginalla! Scotty schickt mich! Wo darf ich abladen?!“ Angesichts ihrer Art hatte es Sam zuerst die Sprache verschlagen. Er deutete nur auf den Stall. „Ah.“, machte Ginalla. Dann nahm sie ihr Sprechgerät aus der Tasche und gab Kamurus’ Rufzeichen ein. Dann sagte sie: „Du hast den Mann gehört.“, und war in einer immer durchsichtiger werdenden Säule aus Energie verschwunden.

Sie wurde wieder im Stall materialisiert. Allerdings war sie nicht allein. Neben ihr stand jetzt das Gerät aus Kamurus’ Frachtraum. „Ginalla!“, sagte Sedrin erleichtert, die sie zuerst gesehen hatte. „Sie schickt der Himmel!“ „Nein, eigentlich bloß der Scotty!“, berichtigte die Celsianerin und grinste. Dann machte sie sich daran, diverse Kabel und Kleinteile auszupacken, die sie an das Gerät anschloss. Als Letztes kam eine Art überdimensionierter Fingerhut zum Vorschein, der silbrig glänzte und an dessen Spitze und Basis sich jeweils ein Pol befand, der jetzt mittels Kabeln mit dem Gerät verbunden wurde. Dann gab Ginalla den Fingerhut in Sedrins Hände: „Stülpen Sie den bitte über Invictus‘ Horn, Agent.“, sagte sie. „OK.“, sagte Sedrin und näherte sich dem Einhorn vorsichtig. „Ganz ruhig.“, sagte sie leise. „Wir wollen dir nur helfen. Was ich jetzt mache, tut sicher nicht weh.“

Sie senkte ihren Blick in Richtung Horn. Dabei bemerkte sie erst jetzt, dass dieses sehr eingefallen war. Angesichts der Tatsache, dass er fast alle seine Kräfte eingebüßt hatte, war dies aber kein Wunder. Sehr vorsichtig stülpte sie den Fingerhut nun darüber. Dann reichte ihr Ginalla noch eine medizinische Klemme, mit der sie ihn an seiner Basis fixierte. Diese war innen gepolstert, so dass sie ihn nicht schmerzen konnte. „Fertig, Ginalla.“, sagte Sedrin. „OK.“, sagte die Celsianerin. „Ich schalte ein!“

Sie aktivierte das Gerät und Invictus begann sofort damit, sich zu entspannen. Er schmatzte laut, kaute und malmte und gab hin und wieder ein lautes Schnauben und Grunzen von sich. „Wir scheinen auf dem richtigen Weg zu sein.“, sagte Sedrin. „Können Sie die Stärke der Stimulation noch erhöhen, Ginalla?“ „Das könnte ich schon.“, sagte die Angesprochene. „Aber zu viel Medizin auf einmal is‘ sicher auch nich’ gut.“ „Wir werden sehen.“, sagte die Agentin. „Stellen Sie 10 % mehr ein. Allrounder Scott und ich werden sein Verhalten genau beobachten.“ „Na dann auf Ihre Verantwortung.“, sagte Ginalla und tat, was ihr Sedrin soeben gesagt hatte.

Der Hengst schien sich mit jeder Stufe, um die Ginalla die Leistung des Gerätes erhöhte, sichtlich wohler zu fühlen. Jedenfalls verstärkte er auch im gleichen Maße seine Anzeichen von Wohlbefinden.

„Wir sind auf Maximum.“, sagte Ginalla schließlich. „Mehr geht nich’.“ „Gut.“, sagte Sedrin nüchtern. „Weisen Sie mich in die Bedienung des Gerätes ein. Ich werde es dann allen anderen erklären. Teilen Sie Mr. Scott mit, dass seine Erfindung erfolgreich war. Wir sollten Invictus aber auch nicht zu viel zumuten.“ „Keine Angst, Agent.“, sagte Ginalla. „Das Gerät schaltet sich selbstständig nach zehn Minuten ab. So haben wir es zumindest programmiert. Zehn Minuten am Tag sollten reichen. Aber das zeige ich Ihnen ja gleich alles, Agent. Wenn Sie’s kapiert haben, fliege ich wieder ab.“ „OK.“, sagte Sedrin. „Ein zu langer Aufenthalt bei uns könnte Sie schließlich verdächtig machen und ich bin sicher, Sytanias Vendar beobachten uns. Sie finden es sicher nicht gut, dass wir Invictus helfen.“ „Mein Reden.“, flapste die junge Celsianerin. „Obwohl wir schon für ’ne ganz gute Ablenkung gesorgt haben. Aber das erkläre ich Ihnen alles noch. Aber nun erst mal auf die Schulbank mit Ihnen, meine Gute!“ Sedrin nickte und begab sich neben Ginalla an den Monitor. Dann begann ihr Unterricht, während ich mich wieder James zuwandte, den ich, um Sedrin zu helfen, Invictus‘ Verhalten zu interpretieren, kurz verlassen hatte.

 

Kapitel 79: Ein schottisch-irischer Coup

von Visitor

 

Shannon war wieder auf dem Weg zur Andockrampe. Sie hatte Zirells und Marons Wink mit dem Zaunpfahl zwar verstanden, dennoch konnte die blonde Irin fast nicht glauben, was ihre Vorgesetzten ihr da vorgeschlagen hatten. Gerade von Maron hätte sie das nicht gedacht. Er war doch Sternenflottenoffizier! Er war jemand, von dem Shannon ja eigentlich vorschriftsmäßiges Handeln gewohnt war. Gut, die Demetaner galten zuweilen als Rasse, die es sehr gut verstand, auch die kleinsten Schlupflöcher zu finden und für sich auszunutzen, aber gerade Maron war dafür nicht gerade ein Musterbeispiel gewesen. Dass an der Sache etwas faul war und man nur ihre Reaktion testen wollte, glaubte sie nicht. Sie war einerseits zu 100 % sicher, dass Zirell und Maron auch gemeint hatten, was sie sagten, aber auf der anderen Seite spielte ihr wohl ihre angeborene Skepsis einen Streich. Dieses Problem würde sie aber nie lösen, wenn sie untätig herumsäße. Sie musste also etwas tun!

Sie legte ihren Finger auf den Sensor und IDUSA öffnete ihr die Luke zum Cockpit. Dann stieg sie ein und schloss ihren Neurokoppler an, nachdem sie sich auf den Pilotensitz gesetzt und das Sicherheitskraftfeld aktiviert hatte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Shannon wusste, dass sie etwas Illegales tat. Die Tatsache, dass Zirell und Maron es ihr erlaubt hatten, machte es unter den gegebenen Umständen noch lange nicht gesetzlich. Die Kommandantin und ihr Erster Offizier hatten sich ja ebenfalls auf dieses etwas kriminell anmutende Spielchen eingelassen. Sie hatten ja mit ihr konspiriert, um die Entführung von Shimars Schiff möglich zu machen. O’Riley hoffte nur, dass sie auch noch zu ihr halten würden, wenn es vor das tindaranische Kriegsgericht ging.

„Wohin soll es gehen, Shannon?“, fragte das Schiff. „Das wird dein letzter Flug, IDUSA.“, sagte Shannon und versuchte dabei, so überzeugend wie möglich zu klingen. Allerdings konnte das Schiff sehr wohl den Unterschied zwischen dem, was sie sagte und ihren Gedankenbefehlen feststellen. Der Kurs beispielsweise, den sie ihr eingegeben hatte, führte sie in den offenen Weltraum und nicht zurück ins tindaranische Sonnensystem, in dem die Werft lag, auf der das Schiff abgewrackt werden sollte.

„Sie scheinen heute nicht ganz Herrin Ihrer Sinne zu sein, Shannon.“, sagte IDUSA. „Oh doch!“, sagte Shannon. „Bitte vertrau mir. Ich bringe dich an einen wunderschönen Ort.“

Dass sie sich gerade sehr nebulös ausgedrückt hatte, war der blonden Irin durchaus bewusst. Tatsächlich hatte sich nämlich unter tindaranischen Theologen ein Streit entzündet, bei dem es darum ging, ob die künstlichen Persönlichkeiten demontierter Schiffe auch ins tindaranische Totenreich kämen und somit irgendwann wieder mit ihren Piloten, wenn diese sterben würden, vereint wären. Aber sie musste auch so reden, falls die Regierung ihnen doch draufkommen würde und Zirells Station kontrollierte. Dann musste ja alles darauf hinweisen, dass Shannon das Schiff, wie von der Regierung gefordert, zur Werft nach Tindara gebracht und dort übergeben hatte. Als agierende Chefingenieurin der Station gehörte das jetzt ja zu ihren Aufgaben, wenn es auch eine sehr traurige Aufgabe war. Dass Shannon dies aber nicht so meinte, wie es jetzt sicher von vielen verstanden wurde, stand auf einem ganz anderen Blatt.

„Sie wissen, dass ich so etwas wie Vertrauen nicht empfinden kann.“, sagte IDUSA. „Ich bin eine künstliche Intelligenz und kann zwar emotionales Verhalten, das ich gelernt habe, reproduzieren. Aber trotzdem fühle ich nicht in dem Maße, in dem Sie es tun. Das wissen Sie doch. Ich kann nur aufgrund meiner Daten Schlüsse ziehen. Leider sieht es dort nicht so gut aus für Sie. Sie sind leider dafür bekannt, dass Sie oft erst über ihre Taten nachdenken, wenn es zu spät ist.“ „Aber nich’ dieses Mal.“, sagte O’Riley und klang dabei sehr enttäuscht. „Dieses Mal handle ich wirklich clever. Aber wenn wir hier so weiter diskutieren, dann kommen sie vielleicht doch noch dahinter. Das willst du doch wohl nich’, he?“ „Sicher nicht.“, sagte IDUSA. „Aber ich kann mir auf Ihr Verhalten keinen Reim machen, Shannon. Ich weiß nicht, wie … Was tun Sie da?!“

O’Riley hatte einen Datenkristall aus ihrer Tasche geholt und ihn in ein Laufwerk an der Flugkonsole geschoben. Sofort hatte das sich auf diesem Kristall befindende Programm damit begonnen, sich selbstständig in IDUSAs Systemen zu installieren und sie mit falschen Daten zu füttern. Jede Verbindung zu ihren eigenen Sensoren hatte es unterbrochen. So konnte das Schiff die Daten nicht verifizieren. „Was in aller Götter Namen tun Sie mit mir, Shannon?!“, fragte IDUSA und die Stimme ihres Avatars klang schon sehr ängstlich. „Ich bin taub und blind und bekomme Dinge eingeredet. Jetzt macht sich Ihr Programm auch noch an den Dateien für meine höheren Funktionen und mein selbstständiges Denken zu schaffen. Auch meine Identität wird umgeschrieben. Shannon, dass Sie mich mit einem Virus außer Gefecht setzen, hätte ich Ihnen nicht …“

Ein letztes kurzes Signal und dann war die Stimme von IDUSAs Avatar verstummt. Auch ihr Bild war vor Shannons geistigem Auge verschwunden. „Tut mir leid, Süße.“, sagte Shannon. „Ich konnte nicht anders. Du hättest ja den gewaltfreien Weg haben können, aber wir haben keine Zeit. Deshalb musste ich das tun.“

Sie holte ein Pad aus der Tasche und schloss es an die Konsole an. Auf dem Pad war ein Programm, mit dem sie ihr jetzt die Koordinaten für einen interdimensionalen Flug überspielte. Dieser würde sie nach Celsius führen. Nach Celsius in die Heimat von Scotty, von dem sich Shannon wohl Hilfe erhoffte. Durch die Kontrollen würden sie kommen. Dafür hatte sie mit ihrem Virus gesorgt. IDUSAs Schilde generierten Felder, die ihre tindaranische Bauart rein äußerlich optisch verschleierten. Auch alle anderen Werte wiesen sie als kleinen zivilen Frachter aus.

Nach Ginalla Ausschau haltend hatte sich Scotty auf seine Terrasse gesetzt. Was er aber jetzt sah, verstand er gar nicht. Da kam ein Schiff, das er irgendwie kannte, aber es war nicht Kamurus. Er hätte schwören können, diese Umrisse schon einmal gesehen zu haben. Aber sicher war er sich nicht, da IDUSAs Konturen ja, wie bereits gesagt, sehr verschwommen waren. Jetzt machte das Schiff auch noch Anstalten, mitten in seinem Vorgarten zu landen!

Von der Neugier getrieben wagte es Scotty, seinen Stuhl zu verlassen und hinüber zum Ort des Geschehens zu gehen. Hier sah er jetzt, wie eine ihm sehr wohl bekannte Person dem Schiff entstieg. „O’Riley!“, rief er aus. „Was machen Sie denn hier?!“ „’n Schiff retten!“, flapste die blonde Irin. „Allerdings denke ich, dass ich dabei Ihre Hilfe brauchen könnte, Techniker Scott.“ „Was war das denn?!“, flapste Scotty zurück und klang dabei etwas verärgert. „Sie sind doch sonst nich’ so förmlich! Ich bin Scotty, klar?!“ „OK.“, sagte Shannon mit einem beschwichtigenden Blick. „Dann bin ich Shannon. Aber Moment Mal. Ich habe noch was zu erledigen.“

Sie zog sich wieder in das Innere von IDUSA zurück, wo sie einen weiteren Datenkristall in das Laufwerk schob, aus dem sie vorher ihren anderen entnommen hatte. Allerdings enthielt dieser ein Gegenvirus, das viele Dinge, die das vorherige Virus IDUSA eingegeben hatte, wieder annullierte. Allerdings nicht alles, wie das Schiff gleich darauf feststellte.

Shannon sah in das Gesicht eines sich vor ihr räkelnden Avatars. „Na, gut geschlafen, Dornröschen?“, fragte sie. „Shannon, ich bin irritiert.“, sagte IDUSA. „Wo sind wir? Laut meinen Sensoren ist das hier Celsius. Das Letzte, an das ich mich jedoch erinnere, ist der Flug durch eine interdimensionale Verwerfung. Weder Sie noch ich hatten sie registriert, weil sie sich plötzlich vor uns auftat. Dann sind wir hineingestürzt und dann weiß ich nichts mehr. Was ist von diesem Zeitpunkt an bis nach Celsius geschehen und warum ist meine Hülle intakt. Die Wirbel und Kräfte innerhalb der Verwerfung hätten sie doch restlos verformen müssen. Nur ein geschickter Pilot wie Shimar oder Joran hätten das wohl verhindern können, aber Sie? Ich meine, es war offensichtlich, dass Sie mich per Hand hierher geflogen haben. Ihre fliegerischen Qualitäten …“ „IDUSA!“, unterbrach Shannon sie scharf. „Sagen wir doch einfach, wir zwei hatten das sprichwörtliche Glück der Iren. Wie du siehst, ist es mir ja tatsächlich gelungen, uns heil hierher zu bringen!“ Dass es jene Verwerfung nie gegeben hatte, erwähnte Shannon freilich mit keiner einzigen Silbe. „Also gut.“, sagte IDUSA. „Ich will Ihnen glauben, Shannon.“ „Na also.“, sagte O’Riley erleichtert. „Trotzdem benötigst du einige Reparaturen. Über die werde ich mit Scotty reden. Lass mich raus!“ Sie nahm den Neurokoppler ab und IDUSA öffnete wortlos die Luke. Dann stieg Shannon aus.

Sie ging zu Scotty hinüber, der in der Zwischenzeit ein Tablett mit zwei Gläsern und einer Flasche geholt und auf den Tisch seiner Terrasse gestellt hatte. Shannon erkannte sehr wohl, dass es echter schottischer Whisky war. „Sorry, nich’ für mich.“, flapste sie. „Wenn wir planen wollen, müssen wir einen klaren Kopf behalten.“ „Ach kommen Sie.“, sagte Scotty. „So ’n Tröpfchen in Ehren kann keiner verwehren. Aber was planen wir denn eigentlich?“ „Um ehrlich zu sein.“, sagte Shannon. „Planen wir eine echt irisch-schottische Kopfwäsche für die tindaranische Regierung. Hören Sie Nachrichten, Scotty?“ der Schotte nickte. „Dann wissen Sie ja zumindest die Hälfte von dem, was die sich in letzter Zeit geleistet haben!“ „Sie reden von der Sache mit den Vendar?“, fragte Scotty, während er beiden Whisky eingoss. Jetzt nickte die blonde Irin. „Ah ja.“, sagte Scotty. „Und ich bin mir sicher, die andere Hälfte werden Sie mir erzählen.“ „Das hatte ich vor.“, sagte Shannon. „Die hängt nämlich mit IDUSA zusammen. Die Hornochsen wollen sie demontieren, weil kein anderer Patrouillenflieger mit ihrer Persönlichkeit klarkommt. Ihre Daten wollen sie aber vorher noch entnehmen.“ „Was?!“, empörte sich Scotty und schlug so heftig auf den Tisch, dass Gläser, Tablett und Flasche in die Luft flogen. Ihr Inhalt regnete, da ja alle drei offen waren, auf Shannon und Scotty herab. Mit einem lauten metallischen Klirren landete das Tablett hinter ihnen auf den Steinen der Terrasse. Gläser und Flasche taten es ihm gleich und zerbrachen allerdings dabei. „Oh nein!“, ärgerte sich Scotty. „Was habe ich denn da angestellt?! Es is’ aber doch auch eine Unverschämtheit! Die künstlichen Lebensformen sind denen aus Fleisch und Blut doch rechtlich gleichgesetzt auf Tindara, dachte ich immer! Das würden sie mit einem Lebewesen nie machen! Da gehe ich jede Wette ein! Also gut, meine Schöne. Lassen Sie uns mal überlegen, wie wir denen den Kopf wieder zurechtrücken können. Bin mal gespannt, ob das auch ohne einen guten Tropfen klappt.“ Shannon nickte. Dann vertieften sich beide in ihre Gedanken.

Shimar und Mausi waren vom Spaziergang zurückgekehrt und der Tindaraner hatte Rudi von der kleinen Panne erzählt, die er erlebt hatte. „Ich war so ein Idiot.“, stellte er fest. „Ich habe den Code nicht verstanden, den sie benutzt haben. Dabei war es doch der Gleiche, den sie gegenüber Betsy benutzt hatten. Der kleine weiße Wirbelwind hier neben mir hat die Sache viel besser kapiert als ich! Vielleicht sollten wir sie zurück ins Reich der Lebenden schmuggeln statt mich!“ Mausi gab, was sie selten genug tat, ein entschiedenes: „Wuff!“, von sich. Das bedeutete wohl so viel wie nein. „Einsicht ist der erste Weg zur Besserung, mein Junge.“, grinste Rudi. „Wenn du weißt, dass du etwas Dummes getan hast, dann passiert es dir bestimmt nicht noch ein zweites Mal.“ „Das denke ich auch.“, sagte Shimar. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass Neris und Odo sich hier wieder einmischen. Gut, dass Neris bei allem dabei ist, wo es darum geht, der Obrigkeit zu zeigen, dass etwas total falsch läuft, konnte ich mir vorstellen. Obwohl sie als Lebende ja eigentlich den Propheten und somit den Verwandten der Quellenwesen, ja uneingeschränkt vertraut hat, so wie ich die Geschichtsbücher interpretiere.“ „Aber da hatte sie ja noch nicht das Wissen, das sie heute hat, mein Sohn!“, korrigierte ihn Rudi. „Und im Bilden von Widerstandszellen gegen falsche Umstände war sie ja schon immer gut. Vergiss das nicht. Auch Odo hat mittlerweile eingesehen, dass es von Zeit zu Zeit auch gut sein kann, einmal gegen die Vorschriften zu handeln. Aber wie ich das sehe, müssen wir das ohnehin. Wenn wir nichts tun, dann wird alles zusammenbrechen, Shimar. Wirklich alles! Dann wird es auch diese Dimension nicht mehr geben und wir werden uns alle auflösen. Sytania glaubt, sie hätte dann Allmacht. Aber selbst das ist nicht richtig. Auch ihre Macht wird ihr nicht helfen, wenn alles vergeht. Sie, also der Minus-Pol, kann nicht ohne einen Plus-Pol herrschen. Wenn sie sich dann also nicht dazu entschließt, sich einen Gegenpol zu erschaffen, dann vergeht auch sie.“ „Und dazu wird sie sich nicht entschließen, wie ich sie kenne. Dazu ist sie viel zu gierig. Sie möchte nun einmal ihre Macht nicht teilen.“, sagte Shimar. „Ja.“, bestätigte der alte Terraner. „Aber ihre Gier wird sie umbringen. Deshalb müssen wir etwas tun! Geh doch mal bitte auf die Terrasse und schau nach, ob dort schon ein Teil unserer Freunde eingetroffen ist!“

Rudis letzte Anweisung war sehr deutlich und sein Gesichtsausdruck verriet dem jungen tindaranischen Flieger, dass er keinen Widerspruch duldete. Also nickte Shimar nur und tat, was ihm gerade aufgetragen worden war.

Als er die Tür zur Terrasse öffnete, staunte er nicht schlecht. Da standen viele Leute aus vielen verschiedenen Spezies und allen möglichen Zeiten. Auch berühmte Sternenflottenoffiziere konnte Shimar erkennen. Allen voran Captain Kirk und ihm zur Seite Mr. Spock. Dass der Terraner sich zu so etwas hinreißen ließ, war Shimar klar, vor allem nach Rudis Erklärung. Diese lieferte ihm aber auch den Grund, aus dem der Vulkanier sich an der Aktion beteiligte. Selbst der logischste Charakter musste einsehen, dass Sytania Einhalt geboten werden musste.

„Bruder!“ Eine weibliche Stimme hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Jetzt entdeckte er auch Shinell in der Menge. Er ging zu ihr hinüber und sprach sie auf Tindaranisch an: „Hallo, große Schwester! Was hast du denn hiermit zu schaffen?!“ „Eine ganze Menge.“, antwortete Shinell und zog ihn mit sich auf die Seite. Dann, nachdem sie sich hinter einem Blumenkübel versteckt hatten, zischte sie ihm zu: „Neben Neris, Rudi und Odo bin ich eine der Hauptorganisatorinnen dessen, was hier bald steigen wird. Ich soll alle informieren. Wir können froh sein, dass sich so viele gemeldet haben. Sonst könnte es schwierig werden.“ „Was könnte schwierig werden?“, fragte Shimar. „Was habt ihr denn vor?“ „Das wirst du schon noch sehen.“, sagte Shinell und tat geheimnisvoll. „Der Plan selbst stammt übrigens von Rudi. Er hat ein sehr großes Verständnis für bestimmte Arten von Zusammenhängen. Aber jetzt komm mit!“

Sie zog ihn an die Spitze der Menge. Dann hob sie die Hand, so dass alle sie gut sehen konnten. „Ihr alle wisst, dass es darum geht, die Dimensionen zu retten!“, sagte sie sehr laut und sehr deutlich. „Dazu haben meine Freunde und ich bereits einen Plan, zu dessen Verwirklichung wir euch alle benötigen. Wenn das dimensionale Gefüge zusammenbrechen wird, dann benötigen alle eine Anpassung. Selbst wenn die Lebenden versuchen, ihre Technik anzupassen, um vielleicht noch eine Weile zu überleben, dann werden sie es nicht schnell genug schaffen. Wir aber haben jetzt einen Vorteil. Auch die Nicht-Telepathen unter euch haben ja längst ihre körperlichen Grenzen abgestreift und sind jetzt nur noch reine Geister. Was ihr euch wünscht, das geschieht. Das wissen ja mittlerweile alle von euch. Mit Hilfe dieser Fähigkeit können wir die Technik der Lebenden so ummünzen, dass sie den Zusammenbruch temporär überleben werden und Zeit haben werden, sich gegen Sytanias Pläne zu wenden. Deshalb müssen wir es so anstellen, dass sie später auch verstehen, was passiert ist und was sie tun sollen. Das Diesseits und das Jenseits müssen zusammenstehen, um die Tragödie zu verhindern! Diejenigen von euch, die sich die nötigen Kenntnisse in ihrem Leben nicht aneignen konnten, müssen sie sich ja nur wünschen. Dann bildet ihr Zweierteams und wünscht euch auf die Stationen und die Schiffe und überall sonst noch hin, wo ihr gebraucht werdet. Das werdet ihr dann schon wissen. Vertraut auf den Grundsatz, was ihr wünscht, das geschieht. So und nun verschafft euch die Kenntnisse. Mein Bruder und ich werden euch helfen, wenn es nötig ist, die richtigen Gedanken zu formulieren. Dann holt sich jedes Team bei mir sein Ziel ab! Also los!“ Alle hatten plötzlich sehr konzentrierte Blicke.

Shinell wandte sich ihrem Bruder zu: „Du kümmerst dich um die Männer und ich kümmere mich um die Frauen, OK?“ „OK.“, sagte Shimar. „Aber was ist mit dir und mir? Welches Schiff habt ihr für uns vorgesehen, he?“ „Wir beide!“, lachte Shinell. „Wir werden nicht zusammenarbeiten. Ich überwache alles von hier aus. Du arbeitest mit Rudi! Ihr nehmt die Granger!“ „Ich fürchte, da haben wir ein Problem, Schwesterchen.“, sagte Shimar. „Diejenige, die Commander Kissara alles erklären könnte, ist leider nicht an Bord. Sie ist krank und …“ „Ich weiß.“, sagte Shinell und klang dabei fast schon etwas gelangweilt. „Aber Mikel weiß mehr über diese Zusammenhänge als jeder sonst unter Kissaras Leuten. Er wird ihr die Sache auch sehr gut erklären können, denke ich! Das denken übrigens alle von uns. So, und nun zu dir. Es ist vorgesehen, dass du in der Dimension der Lebenden bleibst. Du wirst aber dann zunächst jemanden finden müssen, der mit dir seinen Körper teilt. Sonst wirst du automatisch hierher zurückgezogen.“ „Das habe ich verstanden.“, sagte Shimar. „Aber warum soll ich dort bleiben?“ „Das wirst du schon noch sehen.“, sagte Shinell. „Bitte vertrau mir einfach.“ „Das tue ich.“, sagte Shimar. „Schließlich bist du meine Schwester. Aber was ist mit Rudi?!“ „Er wird hierher zurückkehren.“, sagte die junge Tindaranerin. „Sein Platz ist hier. Aber der Deine ist noch immer unter den Lebenden, Shimar. Es ist noch lange nicht deine Zeit.“ „Aber wie soll das denn auf die Dauer gehen, Shinell?!“, fragte Shimar. „Ich kann doch niemanden zwingen, bis zum Ende seines oder ihres Lebens meine Präsenz zu akzeptieren! Ich glaube, dein Plan hat ein kleines aber feines Loch! Mein Körper war krank, als ich ihn verließ und jetzt ist er kristallisiert. Ich kann nicht …“ „Du hast eben gesagt, du würdest mir vertrauen!“, schnitt ihm Shinell etwas streng und mit enttäuschtem Blick das Wort ab. „Das hört sich jetzt aber gar nicht mehr danach an! Aber du hast schon immer gern diskutiert. Du und dein Schiff, ihr passt echt gut zusammen!“ „Ja, das tun wir.“, sagte Shimar.

Damit hatte er ihr den Wind aus den Segeln genommen. „Und es hat sich gezeigt, dass es meistens sogar sehr gut war, ein Thema bis zur Erschöpfung auszudiskutieren. So haben wir uns auf alle Eventualitäten vorbereitet. So konnten wir nicht überrascht werden!“

Das saß! Damit hatte er Shinell ins Mark getroffen. Der Grund, aus dem sie so jung gestorben war, war nämlich der gewesen, dass sie und ihr Schiff abgeschossen wurden und dass sie eben nicht auf alles vorbereitet gewesen war. Es war ihre Fehlentscheidung gewesen, die zum Abschuss geführt hatte.

„Wie lange willst du mir das denn noch aufs Brot schmieren?!“, fragte Shinell erbost. „So lange, bis du endlich einsichtig bist!“, sagte Shimar. „In manchen Situationen ist es nötig, zuerst das Gehirn einzuschalten, bevor man handelt.“ „Denkst du, das hätten wir nicht getan?!“, fragte Shinell. „Aber gut. Wenn du unbedingt willst, dann gebe ich dir einen Hinweis. Du wirst niemandem bis an sein Lebensende deine Anwesenheit aufbürden müssen. Nur so viel. Mehr darf ich dir nicht sagen. Das war mein Deal mit den Quellenwesen. Die sind nämlich damit auf mich zugekommen. Das Ganze war gar nicht Rudis und mein Plan allein!“ „Ach so.“, sagte Shimar. „Dass die unsere Hilfe brauchen, stimmt also.“ „Ja, das stimmt.“, sagte Shinell. „Aber sag das bitte nicht zu laut!“ „Jetzt komm!“, sagte Shimar. „Stell dich nicht so an. Die Quellenwesen müssen vor keinem von uns mehr ihr allmächtiges Gesicht wahren. Außerdem ist Hilfe zu brauchen nichts, für das man sich schämen müsste. Das haben sie ja auch längst eingesehen. Sonst wären sie doch wohl kaum zu dir gekommen und hätten diesen Handel mit dir abgeschlossen, oder?“ „Du hast ja Recht.“, sagte Shinell und seufzte. „Entschuldige.“ „Schwamm drüber.“, sagte Shimar. „Aber OK. Ich werde dir vertrauen. Ich werde dir und den Quellenwesen vertrauen.“

Kirk kam mit einer jungen Terranerin an der Hand auf die beiden Telepathen zu. Sie war wohl Zivilistin. Das konnten Shimar und Shinell an ihrer Kleidung sehen. Sie maß ca. 1,65 m, hatte langes schwarzes Haar und war von schlanker Statur. Sie trug ein rotes Kleid, weiße flache Schuhe, die vorn mit einer großen Schleife verziert waren und eine goldene Haarspange. „Ms. Shinell, diese Lady braucht Hilfe!“, sagte er und stellte sie neben Shinell ab. Shimar grinste, als er das sah. Kirk konnte sich als sehr galanter Gentleman geben. Diese Seite seines Charakters hatte er hier mal wieder eindrucksvoll ausgespielt.

Shimars Schwester drehte sich der Frau zu. „Kommen Sie. Wir gehen an einen ruhigeren Ort und dann machen wir es zusammen.“ Damit verschwanden sie und auch Shimar sah sich nach jemandem um, dem er vielleicht Hilfe angedeihen lassen konnte. Auch er sollte bald fündig werden.

Kapitel 80: Die Herausforderung

von Visitor

 

Shary und Tchey hatten das Gebiet der Föderation unbehelligt verlassen und waren jetzt in der neutralen Zone auf dem Weg auf die genesianische Seite der Grenze unterwegs. Das konnte ihnen aber auch nur gelingen, da Tchey Shary immer unterhalb der Sensoren der Föderation gehalten hatte. Jetzt aber gab sie ihr den Gedankenbefehl, ihren Höhenvektor um mindestens 30 Parsec nach oben zu verlagern. „Das kann nicht dein Ernst sein, Tchey.“, sagte Shary und ihr Avatar vor dem geistigen Auge der Reptiloiden machte ein ernstes Gesicht. „Oh doch, Shary!“, sagte Tchey. „Das ist mein voller Ernst! Die Föderation sollte uns nicht sehen, weil sie dann immer so viele Fragen stellen. Ich hasse viele Fragen und gebrauchen können wir sie jetzt erst recht nicht. Aber die Genesianer müssen uns ja sehen, wenn sie von unserer Herausforderung Wind bekommen sollen, oder bist du da etwa anderer Meinung, he?“ Sharys Avatar schüttelte den Kopf. „Na Also.“, sagte Tchey.

Vor ihnen tauchte plötzlich ein kleines Shuttle auf. Es wurde offenbar von einer jungen Kriegerin geflogen. Jedenfalls ging das aus dem Bild hervor, das Shary Tchey dann auch gleich zeigte. „Sie ruft uns.“, sagte das Schiff. „Stell durch!“, befahl Tchey und setzte sich im Pilotensitz zurecht. Dann holte sie tief Luft und sagte: „Ich bin Tchey Neran-Jelquist! Ich bin hier, um euch alle herauszufordern! Mein Schiff und ich müssen eine Schuld begleichen. Dazu benötigen wir einige eurer Toten. Es müssen ja keine Frauen sein. Wir wollen ja nur das, was für euch sowieso keine Verwendung mehr hat und an dem ihr auch nicht wirklich hängt, nämlich eure toten Männer. Die sind ja nach ihrem Ableben eurer Meinung nach eh zu nichts mehr nütze und eurem Glauben nach auch sowieso nichts wert, ob nun tot oder lebendig. Aber keine Sorge! Ich werde nicht um sie betteln! Ich werde sie euch in einem fliegerischen Wettkampf abjagen, der Kriegerinnen würdig ist!“

Sie erteilte Shary neue Befehle, die sie zunächst veranlassten, sich auf ihr Heck zu stellen und sich dann um sich selbst zu drehen wie ein Brummkreisel. Dann folgte das gleiche Manöver noch einmal auf dem Bug. Darauf folgte eine kurze scharfe Wende auf einem vollen Impuls, worauf sie dann sofort wieder in den Geradeausflug wechselte. Der einzige Grund, aus dem Sharys Hülle dem standhielt war, dass Tchey entsprechend mit den Trägheitsdämpfern hantierte. Am Ende einer willkürlichen Strecke folgte dann noch ein voller Stopp, dem eine harte Ausweichbewegung nach links vorangegangen war.

Die Antwort der Genesianerin erfolgte prompt: „Du hast gezeigt, dass du fliegerisch einiges drauf hast, Tchey Neran-Jelquist. Darf ich wissen, welchen Clan genau du herausfordern willst? Ich bin nur eine Patrouillenfliegerin. Ich darf gar nichts entscheiden. Aber ich könnte dir den Weg zur Prätora des Clans ebnen.“ „Schön!“, sagte Tchey und klang dabei fast schon etwas lakonisch. „Dann darfst du mich gleich mal bei der Obersten Prätora anmelden. Sie ist es nämlich, die ich herausfordern will!“ „Große Worte, Fremde!“, sagte die Kriegerin anerkennend, die von Tchey erst jetzt genauer gemustert worden war. Sie war von großem Wuchs, wirkte jedoch etwas hager. Ansonsten trug sie die übliche Rüstung, die Tchey schon oft bei ihresgleichen gesehen hatte. Sie hatte flammendrotes Haar, wie die meisten ihres Volkes, die Tchey je zu Gesicht bekommen hatte.

Die Kriegerin setzte sich mit ihrem Schiff vor Shary und ließ es kurz mit dem Heck wackeln. „Tchey, sie signalisiert uns zu folgen.“, übersetzte Shary dieses Manöver korrekt. „Dann folgen wir mal!“, sagte Tchey. „Komm!“

Sie gab Shary den Gedankenbefehl, auf einen halben Impuls zu gehen. Schneller flog das Schiff der Genesianerin jetzt ja auch nicht. „Sie scheint es nicht besonders eilig zu haben, deine Botschaft zu überbringen.“, stellte Shary fest. „Ruhig Warpplasma, Shary.“, witzelte Tchey. Wahrscheinlich fand sie ruhig Blut in diesem Zusammenhang eher unpassend. „Lass uns doch erst mal die Aussicht genießen. Du kannst schon noch zeigen, was du und ich so draufhaben. Dafür werde ich schon sorgen. Aber du könntest etwas anderes für uns tun. Weißt du, meine Augen haben eine viel begrenztere Reichweite als deine Sensoren. Du könntest uns schon mal ’ne Strecke aussuchen. Wir fliegen ja recht langsam und haben wohl viel Zeit. Dann dürfte so etwas ja gehen.“ „OK.“, sagte Shary und Tchey sah an den Veränderungen des Bildes vor ihrem geistigen Auge sehr wohl, dass sie ihre Umgebung permanent zu scannen begonnen hatte.

Plötzlich rückte sie ein bestimmtes Bild in den Fokus. „Schau dir diese Strecke hier mal an, Tchey. Meinen Berechnungen nach könnte der Startpunkt in der Umlaufbahn von Genesia-Prime liegen und das Ziel, beziehungsweise die Wendemarke, könnte dieser Planet dort sein. Allerdings müssen sie erst einmal dort hinkommen. Es gibt einige Herausforderungen auf diesem Stück Weltraum, Tchey. Ich zeige sie dir.“

Vor dem geistigen Auge der Reptiloiden auf dem virtuellen Schirm stellte sich eine Grafik dar, die verschiedene Abschnitte der Strecke darzustellen schien. Diese waren mit Farben gekennzeichnet, die Tchey, als ausgebildete Pilotin, sehr gut einordnen konnte. Sie bezeichneten den Schwierigkeitsgrad der einzelnen Abschnitte. Grün hieß leicht, gelb mittelmäßig und rot bedeutete sehr schwer. Dies erklärte sich vor allem durch enge Passagen zwischen Planeten hindurch und auch durch erst jetzt neu dazugekommene dimensionale Verwerfungen, wie es sie erst seit Auftreten der Ladungsverschiebung in den Dimensionen gab.

Tchey hatte ihren mentalen Blick über die Strecke schweifen lassen. „Ganz schön rot.“, sagte sie, was in der Fachsprache der Flieger so viel wie: „Ganz schön schwierig!“, hieß. „Na ja.“, sagte Shary. „Du wolltest doch eine Herausforderung für die Genesianer. Die würden uns ja bestimmt auslachen, wenn wir mit einer Strecke für Anfänger daherkämen. Als Herausforderer stellen wir schließlich die Bedingungen. Die Genesianer sagen doch immer von sich, sie seien ein Volk aus mutigen Kriegerinnen. Dann sollen sie das auch beweisen! Für uns zwei, Tchey, sehe ich da keine Probleme. Mit dir an meiner Seite, ich meine, in meinem Cockpit, meistere ich jede Strecke!“ „Hör auf zu schmeicheln, Shary.“, sagte Tchey. „Da wird man ja ganz verlegen und wenn ich das werde, dann heißt das schon was. Aber ich finde das echt eine coole Strecke, die du uns da berechnet hast. Sie wird sicher sehr viel Spaß machen!“ „Danke, Tchey.“, sagte Shary. „Hoffen wir mal, dass die Oberste Prätora das genauso sieht.“

Sie schwenkten in ein Sonnensystem ein. „Genesia kommt in Sicht.“, meldete Shary und stellte Tchey auch gleich die Sensorenbilder durch. „OK.“, sagte Tchey ruhig. „Dann ist es ja bald so weit. Ich denke, dass ich herunterbeamen muss. Du kommst hier klar?“ „Sicher.“, sagte Shary. „Mir wird schon niemand etwas tun. Geh du ruhig und überbringe Shashana unsere Herausforderung. Ich bin aber heilfroh, dass du dieser unerfahrenen Kriegerin da in dem anderen Shuttle nicht gesagt hast, dass du gleich gegen zehn Genesianerinnen antreten willst.“ „Du hast den Grund gerade selbst genannt, aus dem ich das nicht getan habe, Shary.“, sagte Tchey. „Sie ist total jung und somit auch total unerfahren. Ich hätte sie damit bestimmt sehr erschreckt.“ „Ach Gottchen!“, sagte Tchey und klang dabei sehr ironisch. „Hey!“, sagte Tchey. „Ich meinte das ernst!“

Shary hatte einen Ruf vom Rufzeichen des Shuttles registriert. „Sie ruft uns, Tchey.“, meldete sie. „Dann immer her mit ihr.“, sagte Tchey. „OK.“, sagte das Schiff und stellte befehlsgemäß die Verbindung für ihre Pilotin her. „Die Oberste Prätora erwartet dich!“, sagte die Genesianerin und beendete die Verbindung gleich wieder. „Hat sie dir Koordinaten geschickt?“, wendete sich Tchey an ihr Schiff. „Das hat sie.“, sagte Shary. „Gut.“, erwiderte Tchey. „Dann nutze sie!“ Sie stand auf, nahm den Neurokoppler ab und dann überprüfte sie ein letztes Mal, ob sie ihr Sprechgerät dabei hatte und dieses funktionsbereit war. Dann wurde sie von Shary in die große Halle gebeamt.

Shashana erwartete sie dort bereits. Sie hatte zwar schon viel von der berühmten Tchey Neran-Jelquist gehört, gesehen hatten sich die Beiden aber noch nie. So kam es dazu, dass sich beide zunächst gegenseitig musterten, bevor die Genesianerin anhob: „Du bist also Tchey Neran-Jelquist. Ich hatte mir dich eigentlich etwas größer vorgestellt.“ „Klein, aber oho.“, entgegnete Tchey und grinste. „Ihr werdet schon sehen, was ich alles draufhabe!“ „Das möchte ich auch sehen.“, sagte Shashana. „Meine Grenzpatrouille hat dich mit einem sehr interessanten Belang bei mir angemeldet. Sie sagte, du wolltest gegen eine meiner Kriegerinnen in einem Flugwettkampf antreten, um ein paar tote Männer zu gewinnen. Das klingt für mich etwas seltsam. Was willst du mit denen? Sie sagte auch, du hättest erwähnt, dass dein Schiff und du jemandem etwas schuldig seid. Aber was will jemand mit ein paar genesianischen Leichen? Wenn die Person nicht zufällig Cobali ist, dann kann ich mir da nichts drunter vorstellen.“ „In gewisser Weise habt Ihr Recht, Oberste Prätora.“, sagte Tchey. „Die Personen, denen wir etwas schulden, sind Cobali, oder besser, werden es sein. Ich nehme an, die meisten toten Männer auf irgendwelchen Friedhöfen sind dem Virus zum Opfer gefallen. Die können wir also sowieso nicht gebrauchen. Aber was ist mit denen, die demnächst wieder eines natürlichen Todes sterben könnten?“ „Wie habe ich das zu verstehen?“, fragte Shashana, die aufgrund von Tcheys Aussage jetzt doch etwas hellhörig geworden war. „Sagen wir mal so.“, sagte Tchey. „Mein Schiff und ich verfügen über Daten, die Euch helfen könnten, dafür zu sorgen, dass keiner mehr mit dem Virus infiziert werden wird.“

Die letzten Worte der Reptiloiden hatten Shashana in großes Erstaunen versetzt. „Was sagst du da?!“, fragte sie. „Wie soll dir etwas gelingen, an dem sich unsere Wissenschaftlerinnen gemeinsam mit den Xylianern bereits die Zähne ausbeißen?! Wer bist du? Über welches Wissen verfügst du?!“ „Oh ich bin nur eine kleine Pilotin mit einem Sanitätskurs.“, sagte Tchey bescheiden. „Den brauchte ich, um das Rettungsshuttle fliegen zu dürfen. Aber ich habe Freundinnen mit viel umfangreicherem Wissen. Eine von ihnen ist zufällig auch Xylianerin. Ihr sagt, auch Ihr arbeitet mit den Xylianern zusammen. Ihre Taktik ist es, in so einem Fall eine Sonde zu schicken, die sozusagen die Aufgaben eines Verbindungsoffiziers wahrnimmt. Vielleicht solltet Ihr mich dieser Sonde mal vorstellen. Vielleicht kennt sie ja auch die Sonde, die ich kenne. Davon ist aber fast auszugehen, da die ja alle untereinander kommunizieren können. Sie müssen zwar nicht dauernd vernetzt sein wie die Borg, aber …“

Shashana wandte sich kurz von Tchey ab, um ihrer Leibwächterin Meduse einen Befehl auf Genesianisch zu geben. Darauf nickte diese nur und verließ die Halle. „Puh!“, machte Tchey. „Und ich dachte schon, ich soll jetzt verhaftet werden.“ Dabei grinste sie. „Aber nein.“, lächelte Shashana. „Ich schätze es gar nicht, wenn jemand in meinem Gefängnis landet, die mir doch so einen großen Spaß verspricht. Reden wir also über deine Herausforderung, Tchey Neran-Jelquist. Gegen welche meiner Kriegerinnen willst du denn antreten. Ich nehme an, du willst die Beste als Gegnerin, oder? Schließlich genießt auch du den Ruf, die beste lebende Pilotin der Föderation zu sein.“ „Ah.“, machte Tchey. „Ihr habt also doch von mir gehört. Aber ich höre Euch immer nur von einer Gegnerin reden. Ich weiß nicht, woher Ihr und die Grenzpatrouille das habt. Davon habe ich nämlich nie gesprochen!“

Sie nahm eine sehr gerade Haltung ein und machte eine Pause, bevor sie fortfuhr: „Mein Schiff ist schnell und reaktionsfreudig und ich bin die Beste, wie Ihr schon festgestellt habt. Ich werde es also gleich mit zehn Eurer besten Fliegerinnen aufnehmen!“ „Mutige Worte, Tchey Neran-Jelquist!“, sagte Shashana anerkennend. „Ich schätze Mut. Aber wie genau hast du dir das denn vorgestellt?“

Tchey war etwas aufgefallen, das sie erst jetzt in der Brusttasche ihrer Bluse gefühlt hatte. Etwas Flaches hatte sich an ihre Brust geschmiegt. Sie fühlte nach und entdeckte ein Pad. Shary musste es ihr heimlich in die Tasche gebeamt haben.

Sie zog es heraus und betrachtete das Display. Hier konnte sie einen Dateinamen lesen, der ihr sofort verriet, dass es sich um eine Datei mit der Strecke handeln musste, die Shary ausgesucht hatte. „Du denkst aber auch an alles, Shary.“, flüsterte sie. Dann legte sie das Pad vor Shashana auf den großen Tisch, an dem die Oberste Prätora saß. „Seht her!“, sagte sie und zeigte auf das Pad. „Das ist die Strecke, die ich mir vorgestellt hatte. Die roten Spiralen dort sind dimensionale Verwerfungen. Schaut es Euch ruhig an. Ich käme da auf jeden Fall klar. Aber wie es bei Euch aussieht, weiß ich nicht. Falls Eure Kriegerinnen aber eine leichtere Strecke bevorzugen, kann ich gern …“ „Oh nein!“, fiel ihr Shashana ins Wort. „Diese Strecke ist in Ordnung. Du sprichst und handelst wie eine wahre Kriegerin! Ich denke schon, dass es in den Reihen der Meinen auch genügend gäbe, die deiner Herausforderung würdig sind. Aber nun zu deinen Bedingungen.“ „OK.“, sagte Tchey. „Ich habe mir das so vorgestellt: Wenn ich als Erste wieder an dem Punkt in der Umlaufbahn ankomme, dann kriege ich den nächsten Schwung toter Männer beziehungsweise die Koordinaten vom nächsten Friedhof für die Cobali und die bekommen sozusagen die Schürfrechte. Ihr versteht schon. Gewinnt aber eine der Euren, dann werde ich sang- und klanglos abziehen.“ „Und was ist mit den Daten, die du angeblich hast?“, fragte die Oberste Prätora. „Ich nehme an, die werden bereits unter den Xylianern weitergegeben worden sein. Aber da ich ja auch einen Teil dazu beigetragen habe und ich die Probe an Bord meines Schiffes habe, die notwendig ist, um die Daten zu verifizieren, überlasse ich Euch die Entscheidung, ob Ihr sie annehmen wollt oder nicht. Ich weiß ja, wie ungern Kriegerinnen etwas geschenkt bekommen, wenn sie es nicht vorher erlegt oder erstritten haben.“ „Du sprichst wie eine Frau von Ehre, Tchey.“, sagte Shashana. „Und von so einer lassen wir uns auch mal beschenken. Aber wir werden hier ja auch eine gute Gelegenheit haben, um zu prüfen, ob du auch eine bist! Wenn du dich also bei dem Wettflug uns gegenüber fair und ehrenvoll verhältst, dann werden wir auch dein Geschenk annehmen.“ „OK.“, sagte Tchey und gab Shashana die Hand. „Kehre auf dein Schiff zurück, Tchey.“, sagte die Oberste Prätora. „Ich werde inzwischen die Kriegerinnen aussuchen, die ich als würdig erachte, gegen dich anzutreten.“ „In Ordnung.“, sagte Tchey und zog ihr Sprechgerät. „Mein Schiff und ich werden dann schon mal zum Start fliegen. Dort werden wir ein Signal hinterlassen. Ich denke, das wird es ihnen auch einfacher machen, uns zu finden!“ Tchey wusste, dass kleine Provokationen sich in einem Gespräch mit einer Kriegerin gut machten. „Oh das werden sie auch so schaffen.“, sagte Shashana. „Ihre Augen sind sicher genauso gut wie die Deinen. Wenn nicht sogar noch besser!“ „nun, ich bin begierig darauf, das zu testen!“, konterte Tchey.

„Nur eines möchte ich dir noch mitgeben.“, sagte Shashana. „Ich werde an Bord der Rapach sein und alles von dort aus beobachten. Von dort werdet ihr auch das Startzeichen bekommen. Es wird aus drei Schüssen mit dem Phaser in den leeren Weltraum bestehen! Darauf bezog sich übrigens auch mein Befehl an Meduse. Sie sollte meinen Technikerinnen sagen, sie sollten mein Schiff präparieren.“ „Ihr hattet also von Anfang an vor, meine Herausforderung zu akzeptieren?!“, hinterfragte Tchey. „Oh ja!“, sagte Shashana und warf ihr einen genießerischen Blick zu. „Dein Ruf ist dir vorausgeeilt. Gegen dich anzutreten, wird jede meiner Kriegerinnen als große Ehre empfinden!“ „Ihr schmeichelt mir.“, sagte Tchey. „Keinesfalls.“, sagte die Oberste Prätora. „Ich spreche nur die Wahrheit. Ich werde sehr sorgfältig wählen müssen. Sie werden Schlange stehen. Aber das ist eine Herausforderung, die ich auch gern annehmen werde!“ „Das dachte ich mir.“, sagte Tchey. „Was wärt Ihr denn sonst auch für eine Kriegerin?!“ „Exakt!“, sagte Shashana. „In meinen Augen wärst du es wert, eine Genesianerin zu sein!“ „Vielen Dank.“, sagte Tchey. „Ich hoffe nur, dass Ihr mich nach dem Wettstreit noch genauso respektiert.“ „Oh das werde ich ja dann sehen.“, sagte Shashana. „Aber wenn du dich dort genauso ehrenhaft verhältst, dann sehe ich da keine Schwierigkeiten. Die Xylianerin wird übrigens auch bei mir an Bord der Rapach sein. „Dort werden wir dann auch über die Daten reden. Aber hübsch eines nach dem anderen.“ „Mein Reden.“, sagte Tchey. „Aber ich sollte jetzt wirklich gehen. Wir sollten das Ganze nicht länger als nötig herauszögern.“ „In Ordnung.“, sagte Shashana.

Tchey gab Sharys Rufzeichen in ihr Sprechgerät ein und befahl ihr, sie wieder an Bord zu holen. Dies tat Shary auch. Sie konnte es allerdings kaum erwarten, bis ihre Pilotin ihren Neurokoppler aufgesetzt hatte. „Was hat sie gesagt?“, fragte das Schiff. „Sie hat gesagt, dass wir uns zum Start begeben sollen.“, sagte Tchey. „Sie akzeptiert.“ „Über die Daten wird sie später mit uns reden.“ „OK.“, sagte Shary. „Schone deine Konzentration. Ich bringe uns hin!“ „OK.“, sagte Tchey und ließ zu, dass ihr Schiff die Steuerkontrolle übernahm. Dann flogen sie zu jenem Punkt, den Shary als Ausgangspunkt für den Wettflug berechnet hatte.

Shannon und Scotty hatten sich Minuten lang den Kopf zerbrochen, ohne dass ihnen etwas Gescheites eingefallen war. Schließlich hatte der Schotte ein Pad aus der Tasche gezogen, in das er einiges eingegeben hatte. „Was wird das, Scotty?“, fragte die blonde Irin interessiert und rutschte neugierig etwas näher an ihren Verbündeten heran. „Ich überlege.“, sagte Scotty. „Ob wir nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen könnten.“ „Was meinen Sie damit?“, fragte Shannon. „Passen Sie auf.“, sagte Scotty und legte das Pad so hin, dass beiden der gleiche Zugriff möglich war. „Die Regierung der Tindaraner misstraut den Vendar auf New-Vendar-Prime ja nur deshalb, weil sie denken, dass sie sehr leicht wieder unter Sytanias Bann geraten können. Im Prinzip ist das ja auch richtig, wenn man bedenkt, was mit dem armen Diran passiert ist. Aber wie sicherte man früher seine Habe, hm? Ganz einfach, man hing ein Vorhängeschloss davor. Die Tindaraner könnten das also ganz leicht selbst verhindern, indem sie die Vendar selbst unter einen Bann stellen, der ihnen verbietet, für Sytanias Einfluss empfänglich zu sein. Wenn sie zum Beispiel, wenn Sytania versuchen würde, auf sie Einfluss zu nehmen, temporär blind und taub wären, aber nur für sie und ihre Geister geschlossen, dann könnte sie es nicht. Die Tindaraner müssten ihr nur zuvorkommen und der Befehl müsste stark genug sein, dass sie ihn nicht übergehen kann. Ich hörte, die Tindaraner können sich geistig zusammenschließen und dann wie ein Geist agieren. So wären sie ja sicher stark genug.“ „Die Zusammenkunft wird das aber nicht versuchen wollen, wie ich sie einschätze.“, sagte Shannon. „Die sind im Moment viel zu mies drauf gegenüber den Vendar. Ich kenne nur ein bis zwei Tindaranerinnen, die uns jetzt vielleicht helfen würden. Zirell und Nidell. Aber der Rest …“ Sie stöhnte auf.

Scotty rief ein weiteres Programm aus dem Pad auf und gab die beiden Namen, die Shannon ihm gerade genannt hatte, in dieses ein. Augenblicklich erschien ein Diagramm auf dem Bildschirm. Dann gab Scotty noch Sytanias Namen ein und stellte die beiden Diagramme einander gegenüber. Danach betrachtete er dieses Bild sehr lange. „Verflucht!“, sagte er und zeigte mit leicht wütendem Blick auf das Pad. „Das arme Ding kann doch nichts dafür.“, sagte Shannon. „Aber woher haben Sie dieses Programm überhaupt?“ „Schöne Grüße von Ihrer Vorgesetzten.“, sagte mein Mann. „Die gute Jenn’ fand einmal, dass es nicht schaden könnte, wenn ich es hätte und hat es mir zugeschickt. Warum wusste ich damals auch nich’ so genau, aber ich habe es angenommen. Man weiß ja schließlich nie. Aber wir haben ein Problem, meine Liebe. Sehen Sie die beiden Kreise?“ „Sytania hat immer noch einen viel größeren Kreis allein, als Zirell und Nidell zusammen.“, stellte O’Riley fest. Scotty nickte nur resignierend und legte die Hände in den Schoß. „Ganz Ihrer Meinung.“, sagte Shannon. „Aber was machen wir denn da nur? Wir brauchen auf jeden Fall noch eine dritte Person, die Nidell und Zirell unterstützt. Sonst kommen wir nicht weit und Sytania könnte den Bann jederzeit aufheben. Davon, dass die Vendar mit unserer Aktion einverstanden sind, gehe ich aus. Aber …“

„Hier ist Ihre dritte Person!“ Eine weibliche Stimme und dann ein gleißendes Licht, das Shannon und Scotty zunächst geblendet die Augen schließen ließ. Dann, als der Lichtkegel sich etwas verzogen hatte, öffneten sie diese erst langsam wieder und erkannten Tolea, die sich langsam aus eben diesem schälte. Zumindest sah es für die Beiden so aus.

„Was machen Sie denn hier, Tolea?“, fragte Scotty etwas erschrocken, der genauso wenig mit dem Auftritt der Bewohnerin des Raum-Zeit-Kontinuums gerechnet hatte, wie die blonde Irin, die Tolea jetzt nur einen verächtlichen Blick zuwarf. Tolea sah sie nur mild an. „Ich weiß.“, sagte sie freundlich. „Sie mögen keine Mächtigen, nur weil sie mächtig sind. Aber ich dachte, bei mir hätten Sie mittlerweile eine Ausnahme gemacht.“ „Wie Sie sehen, habe ich das nich’.“, sagte Shannon. „Aber ich will gern in den sauren Apfel beißen, wenn es uns hilft und mal versuchen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.“ „Sehr löblich.“, lobte Tolea. „Sie werden feststellen.“, setzte die Q diplomatisch nach, „Dass dieser Apfel süßer sein wird, als Sie auf den ersten Blick vermuten würden. Aber ich kann mir schon denken, dass Sie an meinen Motiven zweifeln, nur weil ich dem Volk der Q angehöre. Wir wollen zwar heute, zumindest zum größten Teil, nicht mehr als solche bezeichnet werden, weil das alte Wunden aufreißen könnte, aber in Ihren Augen … Na ja. Also, meine Motive sind aber sehr lauter. Ein Tindaraner, auch wenn er jetzt tot ist, hat mich davor bewahrt, den größten Fehler meines Lebens zu machen. Zumindest hat er meinem Bruder dabei geholfen. Da empfinde ich es nur als recht und billig, dass ich mich jetzt bei seinem Volk revanchiere. Vielleicht kann auch ich mithelfen, dessen Regierung vor einem ebenso dummen Fehler zu bewahren. Ich finde, das bin ich Ihnen allen schuldig und eine Schuld sollte man bezahlen, nicht wahr?“ Shannon knirschte nur mit den Zähnen.

„Ach, sie ist schon ein extrem harter Brocken, nicht wahr, Mr. Scott?“, fragte Tolea und sah den Angesprochenen etwas hilflos an. „Wenn Sie und ich sie nicht überzeugen können, Tolea.“, sagte der terranische Techniker. „Dann schafft es vielleicht dieses Maschinchen hier.“

Er schob Shannon das Pad hin. „Na los!“, forderte er sie auf. „Geben Sie schon Toleas Namen ein. Wenn sie selbst oder ich das täten, dann würden Sie uns ja nur vorwerfen, die Sache zu frisieren, nicht wahr?“ Missmutigen Ausdrucks tat Shannon, worum sie gerade von Scotty gebeten worden war.

Es dauerte eine kurze Zeit, in der Shannon dem Pad interessiert beim Rechnen zusah. Die Kreise auf dem Bildschirm veränderten sich merklich. Zirells, Nidells und Toleas Kreis wuchs so sehr an, dass Sytanias Kreis total verdrängt wurde und das Pad Hilfe suchend eine Meldung ausspuckte, der nach es ihm unmöglich war, beide Kreise im Vollbild auf dem Monitor anzuzeigen. Der Nutzer sollte sich durch Klicken für eines der Diagramme entscheiden oder die Verkleinerte Anzeige beider akzeptieren.

Die blonde Irin betrachtete diese Meldung sehr lang. Dann sagte sie schließlich: „OK, ich bin überzeugt. Ich bin auch damit einverstanden, dass Sie uns helfen, Tolea. Ohne Sie geht es ja doch nich’.“ „Na sehen Sie, Shannon.“, sagte Tolea freundlich. „Das war doch gar nicht so schwer, oder?“ „Haben Sie eine Ahnung!“, sagte Shannon.

Scotty ging ins Haus und kam wenig später mit einem Stuhl für Tolea zurück. „Wo sind nur meine Manieren?“, fragte er, während er ihn ihr hinschob. „Setzen Sie sich doch, Tolea.“ „Danke, Mr. Scott.“, sagte Tolea mild und ließ sich langsam und würdevoll auf den Stuhl sinken.

„Wir müssen aber genau überlegen, wie der Bann aussehen soll, unter den wir die Vendar stellen.“, sagte sie. „Was die zwei Tindaranerinnen und ich ihnen unter dem Bannwort telepathisch befehlen werden, werden sie wörtlich ausführen. Das war ja auch mein Fehler, durch den der arme bedauernswerte Diran zum Verräter wider Willen wurde. Aber das wird mir kein zweites Mal passieren! Dieses Mal werde ich mich richtig ausdrücken!“ „Sie waren in einer Ausnahmesituation, Tolea.“, entschuldigte Scotty ihr Verhalten. „Da kann so was schon mal …“ „Nein!“, sagte Tolea energisch. „Das akzeptiere ich nicht! Unsere Fähigkeiten sind ein mächtiges Werkzeug, mit dem wir euch Sterblichen eine Menge Leid zufügen können, wenn wir es falsch benutzen und das ist mir gegenüber Diran passiert. Es sollte aber nicht passieren! Gerade weil es so mächtig ist, sollten wir es und uns zu jeder Zeit unter Kontrolle haben! Zu jeder Zeit!“ „Und ich akzeptiere nicht, dass Sie sich hier weiter quälen!“, sagte Scotty. „Genau!“, schlug die blonde Irin in die Kerbe des Schotten. „Sie sind schließlich auch nur ein Wesen und haben eine Seele und wenn einem die bucklige Verwandtschaft die Nachricht vom Weltuntergang um die Ohren haut, dann kann einen das schon mal fertig machen! Ich meine natürlich Verwandtschaft im wissenschaftlichen Sinn.“ „Sie meinen die Quellenwesen.“, sagte Tolea. „Na gut. Aber lassen Sie uns mal nachdenken.“ „Oh das habe ich schon.“, sagte Scotty, grinste sie an und warf ihr Dann noch einen konzentrierten Blick zu. „War das eine Einladung in Ihren Geist?“, vergewisserte sich die Mächtige. Montgomery nickte nur und grinste erneut. „OK.“, sagte Tolea und nahm vorsichtig telepathischen Kontakt mit Scotty auf.

Die Dinge, die sie dort sah, erstaunten sie gleichermaßen und ließen sie lächelnd laut aussprechen, was Scotty ihr zeigte: „Tshê, Vendar! Niemals mehr werdet ihr empfänglich für Sytanias Befehle sein. Sollte sie euch aufsuchen, oder euch geistig kontaktieren, dann seid ihr taub und blind gegen sie und auch jeder eurer Geister ist fest gegen sie verschlossen und auch jeder eurer weiteren Sinne ist gegen sie blockiert! Dieser Befehl gilt ab jetzt bis an das Ende aller Zeiten und nicht nur für euch, sondern auch für die, die nach euch kommen!“

Sie ließ wieder lächelnd von Scottys Geist ab. „Das hätte ich Ihnen wahrhaftig nicht zugetraut!“, sagte sie und klopfte ihm lächelnd auf die Schulter. „Warum?“, fragte Scotty grinsend. „Weil ich ein Sterblicher bin? Na ja. Ich bin aber einer, der Programmieren kann. Und das hier hat doch was vom Programmieren eines Computers, finde ich zumindest. Wenn man sich da falsch ausdrückt, kriegt man ja auch Fehlermeldungen oder ein falsches Programm, das genau das Falsche tut.“ „Kompliment, Mr. Scott.“, sagte Tolea. Diesen geistigen Transfer schaffen aber nicht viele.“ „Ich weiß.“, sagte Scotty. „Den Meisten stößt sauer auf, dass es sich um Lebewesen handelt. Deshalb kriegen sie das wohl nich’ hin. Aber das Problem habe ich nich’.“ „Man sieht’s.“, sagte Shannon. „Aber wir haben eines ganz außer Acht gelassen. Wie helfen wir damit eigentlich IDUSA? Vor Toleas denkwürdigem Auftritt haben Sie doch was gesagt von zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, Scotty.“ „Das machen wir so, Shannon.“, sagte der Schotte und grinste sie an. „Wenn wir sie damit schon mal weichgekocht haben, dass ihre Angst wegen der Vendar völlig unnütz war, dann konfrontieren wir sie auch noch mit der Sache mit ihrer zweiten Fehlentscheidung. Mal sehen, wie sie dann reagieren werden! Aber wir müssen einen Moment wählen, an dem sie sich so richtig vor der Presse blamieren würden. Vielleicht sollten wir mitten in eine Sitzung des Parlaments platzen oder so.“ Shannon klatschte Beifall und Tolea nickte nur: „Ganz recht, ganz recht. Lassen Sie uns nun zu Ihrem Sprechgerät gehen, Mr. Scott. Mit seiner Hilfe werden wir Commander Zirell über unsere Pläne informieren.“ „OK.“, sagte Scotty. „Wir sollten außerdem IDUSA für den Rückflug nutzen.“, sagte Tolea. „Schließlich ist sie auch ein Teil dessen, um das es geht.“ Shannon und Scotty nickten ihr nur zu. Dann machten sich alle auf den Weg in Richtung des Sprechgerätes, welches sich in Scottys Wohnzimmer befand.

 

Kapitel 81: Meroolas Falle

von Visitor

 

Meroola war zu einem erneuten Verhör zu Cirnach geführt worden. Die Vendar hatte in einem abgedunkelten Zimmer vor dem Gerät auf ihre Gefangene gewartet, die von einer Wächterin hineingebracht wurde. Dieser rief Cirnach nur einen Befehl auf Vendarisch zu, worauf sie die Kette, an der sie Meroola führte, ihrer Vorgesetzten übergab und dann ging.

Unsanft riss Cirnach Meroola zu sich heran. „Nicht so grob.“, grinste Meroola. „Ich komme ja schon.”

Für ihr Gegenüber war die Reaktion der Fremden wie eine Provokation. Cirnach konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie sich eine solche Respektlosigkeit gegenüber ihrer Gefängniswärterin erlauben konnte. Sie wusste ja nicht, dass Meroola in der Lage gewesen war, jedes Wort, das die Wächter miteinander gewechselt hatten, zu verstehen. In ihrer Vergangenheit hatte sie ja auch Geschäfte mit Sytanias Vendar gemacht und war deshalb ihrer Sprache sehr wohl mächtig. Das war aber wohl ein Umstand, der bei ihnen völlig in Vergessenheit geraten war, als sie über die Situation von Cirnach und ihrem Mann vor der Tür ihrer Zelle getuschelt hatten. Das hatten sie aber nicht gerade leise getan und Meroola hatte so sehr gut hören können, dass es unter ihnen genug Gerüchte gab. Davon, dass der Raub des Energiefeldes wohl gründlich in die Hose gegangen war, hatte sie Kenntnis erhalten. Man fragte sich auch wohl schon länger, warum Cirnach ihren Mann ständig von Sytania fern zu halten versuchte und warum sie die Prinzessin ständig ablenkte, sobald das Gespräch zwischen ihr und Sytania auf Telzan kam. Meroola wusste aber sehr genau, dass sie hier einen Punkt zum Ansetzen hatte. Sie wusste aus den Gesprächen der Wächter nämlich auch, wie sehr Cirnach und Telzan ihren Lebensstil mochten und wie sehr sie die Situation gehasst hatten, als Sytania Telzan seines Amtes enthoben hatte. Die anderen Vendar, sogar das niederste Fußvolk, hatten sie gemieden und waren ihnen begegnet, als wären sie Aussätzige gewesen! Das war ein Umstand, den Cirnach, zumindest laut den Gerüchten, die im Umlauf waren, nun so gar nicht gemocht hatte. Ihr luxuriöses Leben, das sie als Ehefrau und Stellvertreterin des obersten Vendar der Prinzessin hatte führen dürfen, hatte sie aufgeben müssen und das hatte ihr gar nicht gefallen. Das war auch einer der Gründe, aus denen Cirnach Sytania dauernd in den Ohren gelegen hatte, Telzan wieder in sein Amt einzusetzen. Meroola konnte sich also denken, unter welchem Druck Cirnach stand. Wenn sie nicht herausbekam, wozu das Gerät diente, dann würde sie Gefahr laufen, ihre Annehmlichkeiten zu verlieren. Außerdem war da noch der Druck, den die Situation um Telzan auf sie ausübte. Sytania durfte ja auf keinen Fall die Wahrheit erfahren. Sonst würden Cirnach und Telzan ja alles verlieren. Aber Meroola wusste, dass sie genau das Mittel hatte, welches Cirnach helfen würde, ihre Lüge gegenüber Sytania noch länger aufrecht halten zu können. Mit einer kleinen neuen Programmierung würde das Gerät Energie auf genau den gleichen Frequenzen produzieren, die auch das Energiefeld hatte. Da es sich aber nur um normale elektrische Energie handeln würde, die lange nicht so potent war wie die der Quellenwesen, hätte sie aber nur ungefähr die Wirkung von heißer Luft auf die Dimensionen, nämlich gar keine. Telzans Sifa aber würde sich verhalten, als trüge er Energie und diese Botschaft würde auch Sytania empfangen, wenn sie es telepathisch nachprüfen würde. Dass sie darin nicht sehr gründlich war, wenn ihr nur die Aussicht auf ein Fünkchen Allmacht versprochen würde, das wusste Meroola aus eigener Erfahrung und auch von Joran. Von ihm wusste sie, dass Sytania ihre Träume von absoluter Macht viel zu sehr gefielen, als dass sie der Wahrheit weiter auf den Grund gehen würde. Wenn sie Cirnach also einen Deal vorschlug, dann war sie sicher, die Vendar würde darauf eingehen. Die Vendar hatte während der Verhöre immer wieder versucht, Meroola den Eindruck zu vermitteln, sie hätte sie in der Hand. Angesichts der neuen Umstände fragte sich Meroola jedoch langsam, wer hier wen in der Hand hatte.

Erbosten Blickes drehte sich die Vendar zu ihrer Gefangenen um. „Wie kommst du dazu, so ein respektloses Verhalten an den Tag zu legen?!“, fragte sie. „Weißt du nicht wer ich bin?! Weißt du nicht wer hier vor dir steht?! Ich bin Cirnach Ed Telzan! Ich bin die Stellvertreterin und Ehefrau des Vertrauten und obersten Vendar der Sytania El Imperia! Ich bin …! „Du bist.“, grinste Meroola. „Ja, ja. Das Einzige, das du bist, ist ganz schön unter Druck! Deine Leute reden verdammt viel, wenn der Tag lang ist. Sie denken aber, dass ich sie nicht verstehe. Deshalb haben sie ganz unverblümt über einige Gerüchte gesprochen. Ich hörte zum Beispiel davon, dass der Raub des Energiefeldes reichlich in die Hose gegangen ist! Dein Mann hat seine Hälfte verloren, nicht wahr? Und jetzt musst du dafür sorgen, dass Sytania das auf keinen Fall erfährt, stimmt’s? Du willst nämlich auf keinen Fall, dass dir die Sache erneut passiert, die dir damals passiert ist. Du willst ja nicht, dass Sytania deinen Mann ein zweites Mal seines Amtes enthebt, nicht wahr? Du erinnerst dich doch noch sehr gut an die erbärmliche Behausung, in der ihr leben musstet, oder? Du erinnerst dich an die Schmach, dass dich und deinen Mann alle gemieden hatten, die zuvor respektvoll zu euch aufgeschaut hatten. Du kannst mir nichts vormachen! Ich weiß genau, wie wichtig dir dein Ruf und dein Ansehen und vor allem dein Lebensstil sind. Du bist und bleibst eben doch ein kleines verwöhntes Luxusweibchen, auch wenn du versuchst, mir hier die harte Gefängniswärterin vorzuspielen!“

Cirnach waren die Gesichtszüge entglitten. Mit so einer Reaktion und mit der Tatsache, dass Meroola so gut darin sein würde, sie auf sich selbst zu fixieren, hatte sie wohl nicht gerechnet. „Machen wir uns doch gegenseitig nichts mehr vor.“, setzte Meroola nach und tat dabei sehr verständig. Dass sie eine gute Schauspielerin war, ließ sich ja wohl denken. Diese Fähigkeit hatte sie ja sehr gut kultivieren können, als sie selbst noch eine Betrügerin gewesen war. Dann hatte sie ja auch erkennen müssen, was ihre Opfer brauchten und wie sie zu ködern waren. Dies war auch genau das, was sie jetzt bei Cirnach angewendet hatte. „Ich weiß genau, wie es dir mit dieser Situation geht. Aber Meroola Sylenne weiß Rat! Zufällig habe ich hier genau das, was dir helfen wird, deine kleine Lüge gegenüber Sytania noch für sehr lange aufrecht zu erhalten. Für sehr lange, Cirnach. Für sehr lange! Wenn nicht sogar für immer! Ich schlage dir einen Deal vor. Ich gebe dir alle Informationen über dieses Gerät und du gibst mir dafür meine Freiheit wieder. Solltest du dich dazu nicht entschließen, Dann werde ich Sytania persönlich stecken, was hier wirklich abgeht! Hast du mich verstanden, Cirnach?! Solltest du nicht einschlagen, dann wird deine Herrin sicher einmal liebend gern in meinen Gedanken stöbern wollen, wenn deine Verhöre nichts bringen. Aber die letzte Entscheidung liegt selbstverständlich bei dir. Ich bin die, die dir etwas anzubieten hat, also die Verkäuferin und du bist also so was wie meine Kundin und der Kunde ist ja bekanntlich König, oder besser in deinem Fall Königin.“

Cirnach schnappte nach Luft. Sie durfte auf keinen Fall zulassen, was Meroola ihr gerade geschildert hatte! Auf gar keinen Fall. „Also gut.“, sagte sie schließlich. „Aber wenn ich auf deinen Deal eingehe, was ist dann der Preis, den du verlangst?“ „Oh es ist nur ein sehr geringer Preis.“, lächelte Meroola, die sich sicher war, Cirnach jetzt in der Hand zu haben. „Ich will nichts Geringeres als meine Freiheit. Wie gesagt. Überlege dir genau, was du tust, Cirnach Ed Telzan! Überlege es dir genau!“

Die letzten Worte des Mischlings hatten Cirnach verstummen lassen. Nichts war mehr übrig von der Fassade der Kerkermeisterin. Im Gegenteil. Cirnach liebäugelte so sehr mit Meroolas Vorschlag, dass sie fast an nichts anderes mehr denken konnte. Sie hatte ihm im tiefsten Inneren längst zugestimmt, eine Tatsache, die der ehemaligen Betrügerin und Trickdiebin nicht entgangen war.

„Willst du deinen Lebensstil und deine Ämter behalten oder nicht?!“, brachte Meroola den Deal noch einmal auf einen einfachen Nenner. „Es bleibt auch wahrhaftig unter uns.“, versicherte Meroola. „Ich meine, es bleibt auch tatsächlich zwischen dir, deinem Mann und mir.“ „Aber Sytania wird …“, sagte Cirnach und Meroola glaubte sogar, etwas Hilflosigkeit in ihren Augen zu sehen. „Die wird gar nichts.“, sagte Meroola. „Wenn du deinen Mann immer zur gleichen Uhrzeit zu mir schickst, damit ich ihn mit dem Gerät behandeln kann, dann wird der Energiespiegel auch nicht sinken und Telzans Sifa wird Sytania hübsch immer weiter vormachen, er trüge noch das Feld. Eventuelle Abweichungen können wir mit der Umerziehung erklären. Aber warum fragst du mich das überhaupt? Könnte es vielleicht sein, dass du doch auf meinen Vorschlag eingehen willst, hm? Denk dran. Das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, euer Spiel vor Sytania aufrecht zu erhalten. Wenn uns das nicht gelingt, dann …“ Sie machte eine Abwärtsbewegung mit ihrer rechten Hand und zeigte auf Cirnach. Da Telzan nicht anwesend war, zeigte sie stellvertretend noch einmal in den leeren Raum.

Cirnach war hin- und hergerissen. Ihre Herrin zu betrügen war nicht gerade etwas, das sie gern tat. Von Kindesbeinen an war sie dazu erzogen worden, den Verrat an dem Mächtigen, dem sie diente, als Schande anzusehen. Sie war dazu erzogen worden, ihre eigenen Bedürfnisse denen ihrer Herrin Sytania unterzuordnen. Aber jetzt kämpften ihre Erziehung und ihr Egoismus einen schweren Kampf, den sie wohl nicht mehr lange aushalten würde. Das konnte Meroola sehr gut an Cirnachs Gesicht ablesen. Sie war reif, oh ja. Sie war sogar sehr reif! Meroola musste eigentlich nur noch zum alles entscheidenden Schlag ausholen, was sie jetzt auch tat: „Hör zu, Cirnach! Die Sache ist doch ganz einfach. Entweder, du entscheidest dich für ein Leben in ständiger Angst und riskierst, dass Sytania irgendwann hinter deine Lüge steigt und dich so bestraft, wie sie es noch nie getan hat und wie du es auf keinen Fall willst, oder du gehst auf meinen Deal ein und behältst alle deine Privilegien. Also, für wen entscheidest du dich? Für die Angst und die eventuelle Strafe und ein Leben in Schande und Armut, oder für Meroola Sylenne und ihren Vorschlag, der dir den Hintern retten wird? Denk nach, Cirnach! Denk gut nach!“

Es verging einige Zeit. Meroola lehnte sich entspannt an die Mauer. Diese Freiheit hatte Cirnach ihr gelassen. Die Kette war lang genug. Dabei machte der Mischling ein Gesicht, als würde sie alle Zeit der Welt haben.

Plötzlich stand die Vendar von ihrem Stuhl auf und ging zu ihr hinüber, um mit einem schweren eisernen Schlüssel das Schloss an den Ketten zu öffnen. Dann sagte sie fest: „Ich entscheide mich für Meroola! Dein Deal bedeutet zwar, dass ich meine Herrin verrate, aber ich kann nicht mehr mit dieser Angst leben und Telzan auch nicht. Es wird mir sicher ein Leichtes sein, ihn zu überzeugen.“ „Gute Entscheidung!“, sagte Meroola etwas spöttisch und schaute Cirnach ein wenig von oben herab an, was zwar wegen der unterschiedlichen Körpermaße der Frauen nicht im eigentlichen Sinne möglich war, im psychologischen Kontext gesehen jedoch durchaus.

Meroola setzte sich jetzt auf den Stuhl vor das Gerät und aktivierte es. Dann sagte sie: „So weit, so gut. Deine Techniker haben es also ganz gelassen. Ich müsste nur noch einige Konfigurationen vornehmen. Dazu benötige ich deinen Erfasser. Da drin hast du ja sicher Daten von dem Energiefeld. Mit denen müssen wir es füttern. Ich muss außerdem zwei Griffe an die Enden dieser Kabel löten, die Telzan in die Hände nehmen kann. Bitte besorge mir das Werkzeug und das Material.“ „Was immer du wünschst.“, sagte Cirnach erleichtert und zog das gewünschte Gerät aus der Tasche, um es Meroola zu geben, die es sofort an ihren Apparat anschloss und die Datei überspielte, nachdem Cirnach ihr den richtigen Dateinamen übersetzt hatte, was selbstverständlich eigentlich nicht nötig war. Aber Meroola wollte für sie zumindest den Anschein erwecken, dass sie etwas dazu beigetragen hatte. Dann ging die Vendar und ließ ihre neue Komplizin mit dem Gerät allein. Sie musste jetzt nur noch Telzan überzeugen. Aber wie sie das anstellen würde, das wusste sie schon.

Ihre Anwesenheit war auch bitter nötig geworden, denn Sytania hatte Telzan besucht. Der Prinzessin war es komisch vorgekommen, dass Cirnach sie bei jeder Gelegenheit von ihrem Mann abzulenken versuchte. Also war sie selbst in das Haus der Vendar gekommen, um dort nach dem Rechten zu sehen.

Telzan hatte sich in seinem Wohnzimmer auf ein Sitzkissen gesetzt, um sich ein wenig auszuruhen. Mit dem schwarzen Blitz und dem damit verbundenen Auftritt seiner Herrin hatte er nicht gerechnet. Deshalb war er auch sehr erschrocken.

„Hallo, Telzan.“, sagte Sytania und setzte sich ungefragt zu ihm. Das war wohl eines der Privilegien, die er ihr zugestehen musste, das wusste der Vendar. Das war auch der Grund, aus dem er nichts dazu sagte. „Wie geht es dir und deinem Feld heute, hm?“ „Oh es geht uns sehr gut, Herrin!“, sagte Telzan und versuchte sehr überzeugend zu klingen. „Ach ja?“, fragte die Prinzessin spitzfindig. „Deine Frau hat mir aber was ganz anderes erzählt. Laut ihr hast du ordentlich Probleme mit dem Feld und bist fast immer und fast ununterbrochen mit der Ausführung des Fütterungsrituals beschäftigt. Welche Version stimmt denn nun? Ich könnte ja selbst nachsehen, aber ich glaube daran, dass ein Mächtiger sofort ausgesaugt wird, wenn er oder sie freiwillig telepathischen Kontakt zu einem Vendar aufnimmt. Darauf habe ich nun wirklich keine Lust. Also bin ich auf deine wahrheitsgemäße Aussage angewiesen, Telzan. Und die wirst du mir ja wohl geben, hoffe ich. Du würdest es ja wohl niemals wagen, deine Herrin zu belügen, nicht wahr?“ „In der Tat nicht, Herrin.“, sagte Telzan. „Ich weiß, dass ich mich dann selbst in Schande begebe und das wäre ja für mich nicht sehr gut. Euch zu belügen, das käme einem Verrat gleich und ein Verräter bin ich nicht.“ „Recht so, recht so!“, lobte Sytania. „Aber wie kommt es dann, dass du dir gerade so offensichtlich selbst widersprochen hast?“ „Ich weiß nicht, wovon Ihr redet.“, gab Telzan Unwissen vor. „Na von der Sache mit dem Gesundheitszustand des Feldes rede ich.“, half ihm die Königstochter auf die Sprünge und sah ihn streng an. „Du und deine Frau, ihr hättet eure Aussagen doch besser absprechen müssen.“

Telzan war erschrocken. Ihre letzten Sätze hatten sich angehört, als habe sie ihn ertappt! Er wusste ja, dass er sie angelogen hatte und hatte auch alles versucht, dieses Lügengebäude vor ihr aufrecht zu erhalten. Aber jetzt sah er wohl auch seine Felle davonschwimmen. Sein Gesicht sprach Bände und verriet leider sehr genau wie er sich fühlte. „Was verbirgst du vor mir?!“, fragte Sytania genauer nach. „Weißt du denn nicht, dass es sich für einen Vendar nicht gehört, ein Geheimnis vor seiner Herrin zu haben?“ „Das ist mir sehr wohl bekannt.“, sagte Telzan. „Aber Ihr könnt versichert sein, dass ich das nie hatte, es jetzt auch nicht habe und es nie haben werde.“ „Das klingt für mich nicht sehr überzeugend!“, sagte Sytania strengen Tons. „Aber da wir uns schon so lange kennen, will ich noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen und dir etwas Bedenkzeit einräumen. Ich werde morgen wieder zu dir kommen. Dann wirst du dir hoffentlich überlegt haben, was denn nun die Wahrheit ist. Ich warne dich nur schon mal vor. Ich kriege bestimmt heraus, was gelogen ist und was nicht. Sollte sich herausstellen, dass du gelogen hast, werde ich dich bestrafen! Jawohl, das werde ich!“ Sie verschwand in einem schwarzen Blitz.

Telzan musste sich erst einmal sammeln. Er wusste, dass er und Cirnach das Lügengebäude um das Feld wohl nicht mehr lang vor ihrer Herrin aufrechterhalten konnten. Aber was sollte er tun?! Gab er zu, dass er versagt hatte, würde er sein Amt verlieren und die gleiche Schmach würde ihm und seiner Frau drohen, die sie schon einmal erlebt hatten. Wenn nicht sogar noch mehr. Sytania konnte ihn und sie durchaus töten lassen, wenn sie wollte. Das wollte er auf keinen Fall. Er begann nachzudenken.

Ein jähes Geräusch riss ihn plötzlich aus seinen Gedanken. Es war die Tür des Hauses, die langsam zur Seite geglitten war. Dann nahm Telzan eine Gestalt wahr, die sich ihm langsam näherte. Er fuhr zusammen. „Ich bin es.“, sagte die Gestalt und er bemerkte erst jetzt, dass es Cirnach war. Sie, seine über alles geliebte Cirnach! Die Einzige, die ihm jetzt helfen konnte.

„Seit wann bist du so schreckhaft, mein Ehemann?“, wollte Cirnach wissen, nachdem sie sich neben ihn gesetzt hatte. „Ich hatte dich schon für Sytania gehalten, meine geliebte Cirnach.“, sagte Telzan und sah sie mild an. „Und warum ängstigst du dich vor unserer Herrin?“, fragte die Vendar neugierig. „Weil Sytania kurz davor ist, unser Geheimnis zu lüften.“, sagte Telzan und sah sie verzweifelt an. „Oh, Telshanach, was soll ich nur tun?! Was soll ich nur tun, Cirnach?!“ „In jedem Fall solltest du mir zuhören, Telzan.“, sagte Cirnach. „Ich habe nämlich eine Lösung für dieses lästige Problem. Aber eigentlich bin es nicht ich, die diese Lösung hatte, sondern es ist die Gefangene Meroola Sylenne.“ „Meroola Sylenne?“, fragte Telzan ungläubig. „Hat sie endlich geredet? Weißt du endlich, was es mit dem Gerät, das sie mitgebracht hat, für eine Bewandtnis hat?“ „Sie hat mir den eigentlichen Zweck nicht verraten.“, sagte Cirnach. „Aber sie hat mir einen Vorschlag gemacht, der all unsere Probleme auf einen Schlag lösen könnte. Sie will das Gerät so konfigurieren, dass es elektrische Energie in deine Sifa leitet, die genau die gleichen Frequenzen hat wie das Energiefeld. Eventuelle Abweichungen erklären wir mit deinen Maßnahmen zu seiner Umerziehung.“ „Aber wird sie denn nicht dahinter kommen?“, fragte Telzan. „Ich meine, der Spiegel von normaler elektrischer Energie verflüchtigt sich doch und …“ „Nicht, wenn wir die Behandlung auf die Sekunde genau immer zur gleichen Uhrzeit wiederholen.“, sagte Cirnach. „Und weil wir deine Sifa dazu bringen werden, sich zu verhalten, als trügest du Energie, wird auch Sytania nicht so genau hinschauen. Das tut sie ja sowieso nicht, solange sie sich in ihren Träumen von Allmacht sonnt.“ „Du bist dir hoffentlich darüber im Klaren, dass wir gerade darüber sprechen, unsere Herrin zu betrügen.“, sagte Telzan. „Willst du etwa wieder dein Amt verlieren?!“, fragte Cirnach und sah ihn wütend an. „Hast du vergessen, was das letzte Mal geschehen ist? Es könnte sogar noch schlimmer für dich enden. Sie könnte dir sogar dein Leben nehmen, weil du versagt hast! Möchtest du das?!“ Telzan schüttelte den Kopf. „Na also.“, sagte Cirnach. „Dann komm mit!“ Damit zog sie ihn hinter sich her in Richtung von Meroolas Zelle.

Die Beiden betraten diese, Als Meroola gerade mit dem Programmieren und dem Verändern der Hardware fertig war. „Ah, da sind ja meine beiden Versuchskaninchen.“, grinste sie. „Ich hatte schon Sorge, ihr hättet es euch überlegt.“ „Das haben wir nicht, wie du sehen kannst.“, sagte Cirnach. „Sehr gut.“, sagte Meroola und hielt Telzan die Griffe hin. Dieser nahm sie ihr ab, den einen in die rechte und den anderen in die linke Hand. „Ich bin so weit.“, sagte er. „OK.“, sagte Meroola ruhig. „Ich schalte ein! Achtung!“ Sie aktivierte ihr Programm.

Telzan überkam ein Gefühl, als trüge er ein echtes Energiefeld. Die Stimulation musste genau die gewünschte Wirkung auf seine Sifa haben. „Wie ist es?“, erkundigte sich Cirnach. „Oh, Telshanach!“, erwiderte Telzan mit einem genießerischen Blick. „Es ist so echt! Es ist so echt! Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich selbst glauben, noch immer das Energiefeld zu tragen.“ „Es ist enorm wichtig, dass du es glaubst!“, flüsterte Cirnach ihm zu. „Enorm wichtig!“ „Ja, ich glaube es, Telshanach.“, sagte Telzan. „Ich glaube es!“

Meroola wandte sich Cirnach zu: „Und nun zu uns beiden. Ich werde diese Dimension nicht verlassen! Schließlich muss ich ja da sein, um deinen Mann weiter zu behandeln. Ich bin ja die Einzige, die sich mit dem Gerät auskennt. Ich werde zum Schein in meiner Zelle bleiben, damit keiner von euren Kollegen auf die Idee kommt, dumme Fragen zu stellen. Aber offiziell …“ „Ich weiß.“, sagte Cirnach. „Offiziell bist du frei!“ „Recht so.“, sagte Meroola.

Sie sah auf das Display des Gerätes. „Die Behandlungszeit ist gleich um. Ich sehe euch zwei also morgen.“ „In Ordnung.“, nickten Telzan und Cirnach. Dann endete die Behandlung, Meroola deaktivierte das Gerät, Telzan gab die Griffe wieder ab und Cirnach führte Meroola in ihren Haftraum zurück.

 

 

Kapitel 82: Der Wettflug

von Visitor

 

Shary und Tchey waren an dem Punkt angekommen, von dem aus der Wettflug starten sollte. „Ich habe ein mulmiges Gefühl bei der Sache, Tchey.“, meldete das Schiff Bedenken gegenüber ihrer Pilotin an. „Nanu.“, sagte Tchey mit viel Erstaunen in der Stimme. „Es war doch deine eigene Idee. Und jetzt auf einmal machst du einen Rückzieher? Sieht dir gar nicht ähnlich, Shary.“ „Ich mache keinen Rückzieher.“, verteidigte sich Shary. „Ich denke nur, dass wir die Chancen hätten gerechter verteilen sollen.“

Tchey klopfte sich auf die Schenkel vor Lachen. „Die Chancen gerechter verteilen!“, prustete sie. „Ja, das sollten wir tatsächlich. Wir sollten auf die armen Genesianerinnen wirklich etwas Rücksicht nehmen. Vielleicht hättest du doch eine leichtere Strecke berechnen sollen, Shary.“ Sie lachte erneut auf. „Hochmut kommt vor dem Fall, Tchey.“, mahnte Shary und der Avatar vor Tcheys geistigem Auge hob mahnend den Zeigefinger ihrer rechten Hand. „Ruhig, Shary.“, sagte Tchey und riss sich merklich zusammen. Die Reaktion ihres Schiffes hatte sie auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. „Es tut mir leid. Ich hätte mich nicht so über deinen Einwand lustig machen dürfen. Aber sag mir doch mal, was du genau meintest.“ „Es ist wegen der Cobali.“, sagte Shary und klang dabei schon wieder etwas unsicher. „Was ist, wenn ich mein Versprechen gegenüber ihnen nicht einhalten kann, weil wir verlieren. Bei zehn Genesianerinnen ist die Chance zehnmal so hoch, dass eine von ihnen gewinnt. Auch wenn ich die beste Pilotin der Föderation an meiner Seite habe. Aber vielleicht ist die Beste der Genesianerinnen ja genauso gut wie du oder, was wir nicht hoffen wollen, sogar besser! Ich meine …“ „Hey!“, fiel Tchey Shary harsch ins Wort. „Du weißt, dass ich es nicht mag, wenn man mich herabwürdigt. Aber du hast dich in einem geirrt, Shary. Die Chance ist nicht zehn zu eins, sondern es steht zehn zu zwei. Immerhin bist du eine selbstständig handelnde und denkende künstliche Intelligenz.“ „Aber in den Augen der Genesianer bin ich nur ein Gegenstand.“, sagte Shary. „Nur eine Maschine.“ „Diskutieren die Genesianer gerade die Sache mit dir durch, oder tu ich es?!“, fragte Tchey spitzfindig wie eine Anwältin. Sharys Avatar vor ihrem geistigen Auge zeigte auf sie. „Na also.“, sagte die Reptiloide. „Und ich sehe dich als gleichwertige Partnerin. Das weißt du doch, oder?“ „Danke, Tchey.“, sagte Shary.

Neben ihnen tauchten plötzlich zehn kleine wendige genesianische Schiffe auf. „Ah, die Konkurrenz ist auch schon da.“, lächelte Tchey. „Shary, siehst du die Rapach?“

Shary scannte die Umgebung. „Ja, ich sehe sie.“, sagte sie dann. „Sie ist genau hinter uns allen. Jetzt werden wir gerufen. Es ist ein Sammelruf, den auch die Genesianerinnen hören können.“ „OK.“, sagte Tchey. „Dann stell mal durch.“

Der Avatar nickte und dann wich ihr Bild dem der Obersten Prätora. „Teilnehmerinnen, ich werde euch jetzt noch einmal die Regeln dieses Wettstreits in Erinnerung rufen. Jede von euch muss die Strecke, die ich euch in einer SITCH-Mail geschickt habe, bis zur Wendemarke fliegen und dort zurück. Wer als Erste wieder hier ankommt, hat gewonnen! Die Waffen gegeneinander zu verwenden, oder gar durch unfaire Manöver den Antrieb einer Gegnerin zu beschädigen, ist nicht erlaubt. Schilde dagegen sind es, da ihr auch an Stellen vorbeikommen werdet, an denen es massive Strahlung gibt! Wer noch Fragen hat, kann sie mir gern stellen.“

Shashana hatte kurz abgewartet. Da aber kein Rückruf kam, fuhr sie fort: „Dann werde ich jetzt jeder ihre Startnummer senden. Ihr fliegt dann in Zweierreihen nebeneinander los. Jede Reihe bekommt ein eigenes Startsignal wie bei einer Staffel, damit nicht alle miteinander kollidieren.“

Es gab eine kurze SITCH-Mail, die Tchey sofort per Gedankenbefehl öffnete. Daraus konnte sie ersehen, dass sie und Shary leider eine sehr niedrige Startnummer hatten. „Wir sind an neunter Stelle.“, sagte sie. „Aber das macht nichts. Ich liebe Herausforderungen!“ „Ich auch.“, sagte Shary. „Frag mal meinen Antrieb. Der freut sich schon, den Genesianerinnen unsere Plasma-Rückstände um die Ohren zu jagen.“ „Nun mal ganz ruhig und ganz langsam, Shary.“, sagte Tchey. „Erst mal müssen wir etwas umparken.“ Damit erteilte sie Shary den Befehl, sich zu drehen und die Position an neunter Stelle einzunehmen. Dann drehte sich die Rapach jeder Reihe einzeln zu und feuerte drei Mal kurz mit dem Phaser in den leeren Raum. Das war das vereinbarte Startzeichen.

Vor dem Kontaktkelch sitzend hatte Sytania die Situation um Tchey und die Genesianer beobachtet. Auch Telzan war bei ihr. Er hatte wohl ihr Vertrauen zurückgewonnen. Offensichtlich hatte Meroola mit ihrer Vermutung Recht gehabt. Sytania nahm Telzan tatsächlich ab, dass er ein echtes Feld trug.

„Siehst du was sie tun, Telzan?“, fragte Sytania. „Ja, das sehe ich, Herrin.“, antwortete der Vendar. „Sie formieren sich offenbar zu einem albernen Wettflug. Meine Frau hat mich über die Sache in Kenntnis gesetzt, aber ich verstehe nicht, was sich Tchey Neran-Jelquist davon verspricht.“ „Dann scheint Cirnach dich nicht über alles informiert zu haben, mein guter Telzan.“, schloss die Prinzessin aus seinen Worten. „Sie scheint dir nicht gesagt zu haben, dass sie Daten hat, die unsere Position sehr gefährden könnten! Valoras und mein Status bei den Genesianern wäre dann dahin und …“ „Ihr scheint zu vergessen.“, ging Telzan dazwischen. „Dass Ihr den schon lange nicht mehr habt. Shashana hat Euch nie als Göttin angesehen und Valora schon mal gar nicht. Sie ist von Beginn an durch euer Spiel gestiegen und würde ihre Rasse lieber zum Aussterben verurteilen, als sich Euch beim Thema Fortpflanzung anvertrauen. Gut, da sind noch die Rotash. Aber sie sind ein einzelner kleiner Clan. Sie können nicht viel ausrichten.“ „Sei’s drum!“, sagte Sytania schnippisch. „Wenn die Genesianer ausstürben, dann wäre mir das auch egal! Aber das brächte mir ja auch einen Vorteil. Sie könnten mich dann auch nicht mehr bekämpfen, wenn ich vorhätte, in die Dimension Universum einzufallen. Fast immer dann, wenn die Föderation nicht gewillt war, ihre eigene Dimension zu verteidigen, haben sie das gemeinsam mit anderen Kriegervölkern übernommen. Wenn es gegen mich ging, dann standen auf einmal Genesianer und Klingonen Seite an Seite und die auswärtigen Retter dürfen wir auch nicht vergessen!“ „Ihr denkt an Euer letztes großes Debakel, Herrin, nicht wahr?“, sagte Telzan und sah sie fast mitleidig an. „Ja, genau daran denke ich und ich denke auch vor allem an die verdammten Tindaraner, wenn ich von Rettern von außerhalb rede!“ „Die!“, lachte der Vendar und klopfte sich auf die Schenkel. „Die haben im Moment eigene Probleme! Von denen habt Ihr im Augenblick gar nichts zu befürchten. Aber Ihr solltet Euch wirklich um Tchey Neran-Jelquist kümmern. Der Plan, den Ihr gemeinsam mit meiner Frau gefasst habt, dürfte sehr gut funktionieren. Wenn sie erst einmal bei Shashana unten durch ist, dann …“ „Ja, dann!“, sagte Sytania.

Es gab einen schwarzen Blitz. „Was habt Ihr getan?“, fragte Telzan neugierig, der zwar gespürt hatte, dass sie ihre Kräfte benutzt hatte, der aber selbstverständlich nicht wusste, was sie konkret tat. „Ich habe im Universum der Föderation und der Genesianer auf der Rennstrecke noch ein Hindernis mehr geschaffen!“, grinste die Königstochter. „Aber das hat es in sich. Jedes genesianische Schiff, das durch den kleinen Wirbel dort fliegt, wird danach langsam in seine Einzelteile zerfallen. Tchey und Shary jedoch wird nichts passieren. Wenn diese einfältige Reptiloide das nicht merkt, bis sie am Ziel ankommt, dann wird Shashana ihr unehrenhaftes Verhalten vorwerfen, weil sie trotz der Tatsache, dass ihre Gegnerinnen offensichtlich massive Schwierigkeiten hatten, einfach weitergeflogen ist. Lass uns mal sehen, was aus der Sache wird, mein guter Telzan.“ „Ja, Herrin.“, sagte der Vendar und legte seine Hand wieder neben die ihre auf den Fuß des Kelches um ihr dann die andere freie Hand zu geben.

Tchey und Shary hatten ihre Position nicht wirklich verbessern können. Nur ein Schiff hatten sie überholt. „Ich muss schon sagen, Shary.“, sagte Tchey, die gerade damit beschäftigt war, ihr Schiff durch ein Asteroidenfeld zu manövrieren, in dem es starke Strahlung gab, die immer stärker wurde, je tiefer sie in das Feld kamen. „Deine Strecke hat es echt in sich.“ „Was dachtest du denn, Tchey.“, erwiderte der Avatar. „Ich berechne doch keine Strecken für Anfänger! Die Genesianer hätten uns ja ausgelacht! Aber jetzt habe ich auch Schwierigkeiten. Die Strahlung hat bereits damit angefangen, meine Sensoren zu beeinträchtigen. Ich befürchte, dass meine optischen Systeme dieser Belastung nicht mehr lange standhalten.“ „Willst du mir damit sagen, dass dir langsam schwindelig wird?!“, fragte Tchey flapsig. Sharys Avatar nickte. „Dann schalte deine optischen Systeme offline!“, befahl Tchey. Die einzigen Informationen, die du jetzt kriegst, kriegst du von mir! Meine Augen funktionieren auch hier und wenn du …“

Sie hatte kurz aus einem von Sharys Cockpitfenstern gesehen. „Oh wie sauber!“, sagte sie. „Was hast du gemacht? Soviel ich weiß, hast du keine Scheibenwischer.“ „Das zwar nicht.“, sagte Shary. „Aber der Staub im Weltall hat eine bestimmte Zusammensetzung, die nur deshalb von meiner Hülle angezogen wird, weil die in bestimmter Weise polarisiert ist. Wenn ich diese Polung umkehre, dann …“ „Cool!“, sagte Tchey. „Da muss erst mal einer drauf kommen!“ „Tja.“, sagte Shary. „Ich wollte zumindest dafür sorgen, dass eine von uns den vollen Durchblick hat.“ „Nett von dir.“, sagte Tchey. „Dann können wir ja jetzt los. Vertrau mir.“

Sie gab Shary einige Gedankenbefehle, die sie auf einem vollen Impuls weiter in das Feld eindringen ließen. Shary hatte nichts gegen diese Manöver einzuwenden. Sie wusste, dass Tchey genau wusste, was sie tat.

Irgendwann hatten sie das Feld passiert. Die Flugzeit war Tchey sehr lang vorgekommen. Dieses Feld hatte ihr eine Menge abverlangt! Es hatte sie nicht nur gezwungen, Shary sehr präzise Steuerbefehle zu geben, nein, sie hatte ja auch noch für ihr Schiff sehen müssen. „Den Göttern sei Dank!“, sagte Tchey. „Hier sind wir durch! Reaktiviere deine Sensoren und sag mir, was die Genesianer so treiben!“ „Ich kann nicht mehr alle sehen.“, sagte Shary. „Das mag daran liegen, dass sie sich längst nicht mehr innerhalb der Reichweite meiner Sensoren befinden. Ich sehe allerdings neun Antriebssignaturen vor uns. Alle sind genesianisch und alle gehören zu den Schiffen, gegen die wir antreten. Mit uns sind es elf. Nur eines dürfte noch hinter uns sein. Ich scanne mal nach hinten. Ja, da ist es!“ „Keine guten Aussichten.“, sagte Tchey. „Wenn wir nicht bald eine gerade Strecke finden, auf der wir auf Warp gehen können, dann … Was ist denn das?! Komm!“

Sie gab Shary einen energischen Gedankenbefehl, der sie sofort dazu brachte, eine scharfe Linkskurve zu fliegen. Dann stoppte sie das Schiff durch eine harte Abschaltung des Antriebs. Auch die Trägheitsdämpfer schaltete sie auf volle Leistung. „Was ist denn los?“, fragte Shary irritiert. „Ich weiß es nicht.“, sagte Tchey, die vor angestrengter Konzentration etwas außer Atem geraten war. „Ich glaubte, dass ich aus dem Augenwinkel heraus etwas gesehen hätte, mit dem wir fast zusammengestoßen wären.“ „Ich habe nichts gesehen, Tchey.“, sagte Shary. „Dann war das Ding im toten Winkel deiner Sensoren.“, insistierte Tchey. „Scanne mal nach steuerbord und achtern. Dann dürftest du es auch sehen.“

Shary führte Tcheys Befehle aus, obwohl das Schiff sich zuerst keinen Reim auf sie machen konnte. Was sie dann aber sah, bestätigte alles, was Tchey ihr gesagt hatte. „Da ist nicht nur ein Teil, Tchey.“, sagte sie. „Warte, ich zeige dir die Bilder.“ Damit stellte sie ihre Sensorenbilder auf Tcheys Neurokoppler. „Du meine Güte!“, rief Tchey aus. „Aus dem, was da so rumliegt, könnte man ja ein ganzes Raumschiff bauen. Aber das kann doch nicht alles Weltraumschrott sein!“ „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte Shary. „Dafür sind die Teile nämlich alle zu neu. Aber offenbar fallen den Genesianerinnen ihre Schiffe unter dem Hintern auseinander, seit wir durch das eine Phänomen geflogen sind. Erinnerst du dich?“ „Ja.“, sagte Tchey. Dieser Wirbel, der mir offen gesagt verdammten Spaß gemacht hat. Sag bitte nicht, du beobachtest dass schon seit …“ „Doch.“, sagte Shary und setzte zum Überholen auf ein Schiff an, dass ohne Warpantrieb vor ihnen dahindümpelte. „Shary, nein!“, sagte Tchey sehr energisch und riss die Steuerkontrolle wieder an sich. Das gelang ihr aber auch nur, weil Shary von ihrem plötzlichen Ausbruch sehr beeindruckt und verwirrt war. „Warum nicht?“, fragte sie. „Die Genesianer haben Probleme und wir nicht. Wir könnten doch jetzt unsere Position verbessern und …“ „Weil man nicht auf jemanden eintritt, der bereits am Boden liegt, Shary.“, erklärte Tchey langsam, bestimmt und deutlich. „Denk mal nach! Was würde passieren, wenn wir auf so unehrenhafte Art diesen Wettstreit gewinnen? Shashana würde uns alles, was sie uns versprochen hat, nicht mehr zubilligen und wer hätte was davon, he? Wer hätte einen Vorteil davon, wenn wir die Genesianer nicht von dem Virus befreien können? Von deinem Deal mit den Cobali gar nicht erst zu reden.“ „Sytania.“, sagte Shary kleinlaut. „Entschuldige bitte, Tchey. Da wäre ich doch gerade beinahe in ihre Falle getappt. Aufgeben dürfen wir nicht. Dann haben wir gleich verloren. Aber wir dürfen auch nicht weiterfliegen, dann sind wir Ehrlose. Was machen wir denn da nur?“ „Was wir machen?“, sagte Tchey. „Ganz einfach! Wir treten in Streik!“

Sie legte demonstrativ die Beine übereinander, während sie Shary befahl, sich entgegen der Flugrichtung zu drehen und dann ihren Ankerstrahl zu setzen. „Hoffen wir, dass Shashana auf uns aufmerksam wird.“, sagte Tchey. „Wie weit bist du von der nächsten Sonne weg, Shary? Könntest du Energie tanken?“ „Ja, das könnte ich.“, sagte das Schiff. „Du willst also, dass wir es uns gut gehen lassen.“ Tchey nickte. „Dann will ich dir aber auch etwas Gutes tun.“, sagte Shary und ihr Replikator servierte Tchey einen Drink mit Schirmchen. Natürlich war das nichts Alkoholisches. „OK.“, sagte Tchey. „Dann warten wir mal ab.“

Lange mussten sie nicht warten, denn wenige Minuten später ging bereits das letzte der genesianischen Schiffe, das sie noch nicht überholt hatte, neben ihnen längsseits. Dann wurden sie von einer Genesianerin gerufen: „Flieg gefälligst weiter, du …!“

Etwas in Tcheys Gesicht hatte die Fremde verstummen lassen. Dann sagte sie nur noch stammelnd: „Allrounder?“ Auch Tchey hatte jetzt ihr Gesicht erkannt. „Warrior?“, fragte sie ebenso verwundert. Die beiden Frauen kannten sich offensichtlich noch aus ihrer gemeinsamen Zeit auf der Scientiffica. Die Fremde war die einzige Überlebende ihres Clans gewesen und von Tchey und ihrem Commander aufgelesen worden. Dann wurde sie Warrior ehrenhalber. „Sie haben bestimmt Ihre Gründe!“, sagte die Fremde. „Allrounder Tchey Neran hatte immer ihre Gründe für ihr Verhalten! Warten Sie! Ich komme zu Ihnen an Bord und wir reden.“ Damit beendete sie die Verbindung.

Tchey sank blass im Pilotensitz zusammen. War das wahr? Hatte sie gerade wirklich mit ihrer alten Bekannten gesprochen? Aber wie konnte das sein? Droena und ihr Mann Yaron waren doch zuletzt auf die Erde nach Little Federation gezogen! Was war passiert? Warum war sie jetzt wieder in der Heimat?

„Tchey?!“, Sharys Ansprache hatte sie zusammenfahren lassen. „Was ist los? Worüber denkst du nach?“ „Erinnerst du dich noch an Warrior Droena, Shary?“, fragte die leicht verwirrte Reptiloide ihr Schiff. „Natürlich erinnere ich mich.“, antwortete Shary. „Das war doch die Genesianerin, die mir nicht über den Weg getraut hat. Sie dachte doch, ich wolle sie umbringen, weil du mir damals unbedingt helfen wolltest. Sie dachte wohl, das würde enden wie bei Tom Paris und B’Elanna Torres.“ Tchey gab einen bestätigenden Laut von sich und sagte: „Aber dabei hatte sie vergessen, dass ich nun gar kein amouröses Interesse an ihr hatte. Das ist schon mal der erste Punkt, an dem ihr Beispiel gewaltig hinkt. Aber du hattest auch viel zu viel Angst. Du hättest deine manipulative Fähigkeit auch nie gegenüber mir eingesetzt. Das entspricht auch gar nicht deinem Charakter, Shary. Du bist nicht so fies wie die gemeine Alice. Du bist eine ganz Liebe, die ihr Herz, pardon, ihre moralischen Unterprogramme, unter der richtigen Speicheradresse abgelegt hat. Du würdest niemandem etwas Böses tun. Das weiß Droena mittlerweile aber auch. Ich denke, das ist auch der Grund, aus dem sie sich doch traut, zu uns an Bord zu kommen. Aber meine ganzen Fragen, die müsste sie mir dringend mal beantworten.“

Sharys innere Sensoren hatten etwas entdeckt. „Die Gelegenheit wirst du früher haben als du denkst, Tchey.“, sagte sie. Im gleichen Augenblick sah Tchey eine Säule aus Energie neben sich, die langsam aber sicher eine feste Gestalt annahm. Dann sagte eine wohl bekannte Stimme: „Hier bin ich, Tchey!“ „Hallo, Droena!“, sagte Tchey immer noch sehr erstaunt. „Was machen Sie denn hier? Damit, dass Sie eine meiner Gegnerinnen sind, hätte ich ja nie gerechnet. „Aber warum sind Sie überhaupt hier? Das Letzte, das ich von Ihnen hörte war, dass Sie und Yaron …“ „Yaron!“, unterbrach Droena ihre ehemalige Kameradin. „Von dem bin ich geschieden, nur um Sie auf den aktuellen Stand zu bringen. Es ging einfach nicht mit uns beiden. Die interkulturellen Unterschiede waren einfach zu groß. So hat sich zumindest diese Vulkanierin ausgedrückt, die uns geschieden hat. Wissen Sie, was Yaron zu mir gesagt hat, als wir die Scheidungspapiere unterschrieben haben? Danke, dass du es mit mir versucht hast, Droena. Verstehen Sie! Er war nicht sauer, sondern typisch demetanisch verständig. Die Vulkanierin hat ihn dann auch noch gelobt und gesagt, er sei sehr vernünftig mit der Situation umgegangen. Ich wäre am liebsten vor Rührung in Tränen ausgebrochen! Aber für eine genesianische Kriegerin gehört sich das ja nicht. Ich habe meine Zelte dort sofort abgebrochen. Dort hat mich alles zu sehr an ihn erinnert. Ich ging wieder in die Heimat und die Oberste Prätora hat mich adoptiert. Mein jetziger Name lautet also: Droena Tochter von Shashana Oberste Erbprätora der Genesianer.“ „Ui!“, machte Tchey und schaute sie anerkennend an. „Das nenne ich einen Karriereschub!“ Droena grinste. „Sie und Ihre Sprüche.“, sagte sie. „Hey.“, sagte Tchey. „Das meinte ich verdammt ernst!“

Die hoch gewachsene schlanke drahtige Kriegerin setzte sich auf den Platz neben Tchey. „Ich muss Sie warnen.“, sagte Tchey mit einem Lächeln. „Ich weiß nicht, ob es Ihnen bewusst ist, aber Sie befinden sich gerade an Bord von Shary!“ „Das ist mir durchaus bewusst.“, sagte die genesianische Kriegerin. „Und es macht mir auch nichts aus. Zumindest nicht mehr. Ich habe meine Angst vor dir längst abgelegt, Shary. Ich weiß, dass ich damals dumm und paranoid war und mein Verhalten hat deine Versuche, zu uns ein vertrautes Verhältnis aufzubauen, nicht gerade gefördert. Es tut mir leid, Shary. Kann sie mich hören, Tchey?“ „Das kann sie.“, sagte die Reptiloide. „Aber Sie können ihre Antwort ohne Neurokoppler nicht hören. Warten Sie.“

Sie drehte sich zu Sharys Replikator, der daraufhin einen zweiten Neurokoppler ausspuckte. Diesen schloss sie an einen zweiten Port an und gab ihn Droena, die ihn sich sofort aufsetzte und wenige Sekunden danach in das Gesicht von Sharys Avatar blickte. „Hi, Shary.“, sagte sie. „Hast du mitbekommen, was ich dir gerade gesagt habe?“ „Hi, Droena.“, sagte Shary. „es freut mich dich kennen zu lernen. Aber ich habe mitbekommen, was du gesagt hast und ich nehme deine Entschuldigung an. Aber jetzt sollten wir die Daten, die wir gesammelt haben, was dieses Phänomen da draußen angeht, so schnell wie möglich an Shashana schicken. Sie sollte erfahren, warum wir in Streik getreten sind.“ „Da hast du Recht, Shary.“, sagte Droena. „Und glücklicherweise kenne ich als gute Tochter ja auch Mummys direktes Rufzeichen. Pass auf!“ „Sehr gut.“, sagte Tchey. „Dann müssen wir uns zumindest nicht mit irgendeiner begriffsstutzigen Kommunikationsoffizierin herumschlagen.“ Dabei grinste sie, denn diese Ausbildung hatte sie ja selbst. Auch die Kriegerin lächelte.

Sie gab das Rufzeichen per Gedankenbefehl in Sharys Rechner ein. Tchey, die dies durch die gemeinsame Benutzung der Neurokoppler und durch Sharys Einstellungen bedingt auch mitbekommen hatte, staunte nicht schlecht. „Wow!“, machte sie. „Sie trauen sich ja was!“ „Was wäre sie denn auch für eine Kriegerin, wenn sie sich das nicht trauen würde, Tchey.“, sagte Shary. „Als sehr mutig würde es sicher nicht gelten, wenn sie sich vor einem Raumschiff in die Hose machen würde. Und Angst davor, dass ich sie töten oder manipulieren könnte, muss sie ja nicht haben.“ Droena und Tchey nickten nur.

Vor ihren geistigen Augen erschien plötzlich das Gesicht der Obersten Prätora. „Was gibt es, Tchey?“, fragte sie, die sehr wohl erkannt hatte, von welchem Rufzeichen der Ruf gekommen war. „Wir müssen Euch etwas melden, Oberste Prätora!“, sagte Tchey fest. Dann flüsterte sie Shary zu: „Gib ihr die Daten.“ Das Schiff führte den Befehl sofort aus. „Was sind das für Daten, Tchey?“, fragte Shashana. „Sie betreffen ein Phänomen, durch das wir gerade alle geflogen sind.“, sagte Tchey. „Das Ding hat dafür gesorgt, dass all unseren Gegnerinnen ihre Schiffe quasi unter dem Hintern zerbröseln. Das fanden mein Schiff und ich total merkwürdig und sind dem mal nachgegangen. Sharys Scans haben ergeben, dass die Urheberin des Phänomens Sytania ist!“ „Sytania?!“, fragte Shashana gleichzeitig verwundert und auch etwas böse. „Was hat die Ehrlose nur bewogen, sich hier einzumischen?! Was hätte sie davon, einen einfachen Wettstreit unter ehrbaren Gegnerinnen zu sabotieren?! Ist ihr denn so langweilig?!“ „Nun, ich glaube nicht, dass das etwas mit Langeweile zu tun hat.“, sagte Tchey. „Denkt doch mal nach, Oberste Prätora. Was könnte sie für ein Motiv haben. Ich meine, ihre Vorgehensweise dürfte doch schon alles sagen. Ich könnte zum Ziel fliegen, wenn ich wollte, aber Euren Kriegerinnen fallen die Schiffe buchstäblich unter dem Hintern auseinander. Was ergibt das Eurer Ansicht nach?“

Sie gab Shary den Gedankenbefehl, die Verbindung in die Warteschleife zu legen. „Lassen wir Shashana eine Weile nachdenken.“, sagte sie. „Meine Mutter ist clever.“, sagte Droena. „Ich denke, sie wird schnell drauf kommen.“ „Sie hat Recht, Tchey.“, sagte Shary. „Shashana hatte kurz die Verbindung beendet und uns jetzt schon wieder gerufen. Das ist ja auch die einzige Möglichkeit, aus meiner Warteschleife herauszukommen.“ Dann stell sie mal durch.“, sagte Tchey.

Erneut wich das Gesicht von Sharys Avatar dem von Shashana. „Ich denke, ich weiß jetzt, was Sytanias Motiv ist!“, sagte die oberste der genesianischen Kriegerinnen fest. „Sie wollte dich dazu bringen, unehrenhaft zu handeln. Sie hatte wohl gehofft, du würdest nicht merken, dass hier etwas nicht stimmt. Aber du hast es gemerkt! Du hast gemerkt, dass du unehrenhaft gewinnen würdest unter diesen Umständen und hast alles getan, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen. Außerdem hast du Sytania gezeigt, dass du ihr Spiel nicht mitspielst. Sicher konntest du nicht alle retten, aber die Rettung des Lebens meiner Adoptivtochter rechne ich dir hoch an! Du bist eine Frau von Ehre, Tchey Neran-Jelquist! Als Lohn für dein ehrenhaftes Verhalten sollen dein Schiff und du euren Preis erhalten. Ihr werdet eine SITCH-Mail erhalten, die Koordinaten von Planeten enthält, auf denen sich Männerfriedhöfe befinden. Diese könnt ihr dann an die Cobali weitergeben. Diese hätten dann sozusagen dort Schürfrecht bis ans Ende der Zeit. Aber auch euer Geschenk will ich annehmen. Ich werde der Sonde Bescheid geben.“ „Das machen wir besser in der großen Halle, Oberste Prätora.“, schlug Tchey vor. „Da sind die Bedingungen viel besser. Wir hätten mehr Platz und …“ „Also gut.“, sagte Shashana. „Aber nenne mir doch noch alle Bedingungen, die sonst noch erfüllt werden müssen. Ich werde alles in die Wege leiten.“ „Ich denke, eine medizinische Liege wäre gut.“, sagte Tchey. „Für den Rest dürfte die Xylianerin sorgen.“ „In Ordnung.“, sagte Shashana. „Wir werden alles vorbereiten. Meine Kriegerinnen werden deinem Schiff einen Landeplatz geben und sie gegebenenfalls warten, wenn du willst. Meine Tochter wird dich begleiten und dir den Weg zu mir ebnen. Ich bin sehr gespannt auf eure Erkenntnisse! Sehr gespannt.“ Damit beendete sie das Gespräch.

Tchey wandte sich Droena zu. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich so ein Schwein habe, Warrior. Sie hier zu treffen. Ich denke, wenn Sie nicht neben mir gesessen hätten, dann hätte ich die Sache Shashana noch viel intensiver auseinandersetzen müssen. Aber es kann schon sehr hilfreich sein, über Vitamin B zu verfügen.“ „Das kann es wohl.“, antwortete die Kriegerin und Shary fügte bei: „Meiner Ansicht nach war das kein kleines normales Schwein, sondern schon ein ausgewachsener Zuchteber!“ „Warum sagst du nicht gleich, es war eine ganze Farm!“, lachte Droena. Sharys Avatar grinste.

Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich plötzlich von sehr locker wieder in sehr aufmerksam. „Tchey.“, meldete sie. „Ich registriere Positionslichter. Sie signalisieren uns zu landen.“ „Dann komm, Shary.“, sagte Tchey. „Einen guten Gastgeber soll man schließlich nicht verärgern, indem man ihn warten lässt.“ „Unsere Partys sind legendär!“, grinste Droena. „Oh ja.“, sagte Tchey. „Das kann ich mir vorstellen. Und ich armes Etwas darf dann morgen wieder mit einem dicken Kopf aufwachen!“ „Das liegt ja ganz bei dir.“, sagte Shary. „Stimmt allerdings.“, sagte Tchey und gab ihr die nötigen Befehle, die auslösten, dass sie der Rapach folgten, die ebenfalls die Landekoordinaten anflog.

Kapitel 83: Eine königliche Pleite

von Visitor

 

Ihre seherischen Fähigkeiten hatten Sytania verraten, dass ihr Plan gründlich in die Hose gegangen war. Mit sehr schlechter Laune saß sie vor dem Kontaktkelch. Dies wiederum hatte Telzan bemerkt, der sich ihr langsam und ehrfürchtig genähert hatte. „Was ist Euch, Herrin?“, fragte der Vendar mit einem fast mitleidigen Blick. „Ach, es ist Tchey Neran-Jelquist.“, sagte die Königstochter. „Anscheinend haben wir sie doch gewaltig unterschätzt. Sie ist nicht auf meine Schliche hereingefallen! Im Gegenteil! Sie hat sogar ihr Schiff dazu angehalten, Beweise gegen mich zu sammeln! Und als ob das nicht schon genug wäre, hat sie dann auch noch eine alte Bekannte getroffen, die auch noch die Adoptivtochter der Obersten Prätora ist! Wie kann man nur so viel Glück haben?!“ „Dieses Glück wird ihr aber nicht viel helfen!“, sagte Telzan und grinste sie an. „Meine Leute und ich haben nämlich vorgesorgt, wenn es demnächst zum Untergang aller Dimensionen kommen wird. Bitte kommt mit mir.“ „Ich bin neugierig, was ihr da gemacht haben wollt.“, sagte Sytania. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass Sterbliche da etwas ausrichten können, aber gut. Ich will dir mal folgen.“

Sie stand von ihrem Thron auf und folgte Telzan in einige Katakomben, die sich unter dem Schloss befanden. Hier stand in einer Kammer die Hälfte des Webstuhls des Schicksals, die Sytanias Soldaten erbeutet hatten. Aber sie stand da nicht allein. Die fehlende Hälfte war durch eine gewöhnliche Hälfte ersetzt worden, die vendarische Zimmerleute angefertigt hatten.

Die Prinzessin ging um das Werk herum und schaute es sich von allen Seiten an. Dann fragte sie: „Und was soll uns das nützen, du einfältiger Narr?! In diesem Zustand wird der Webstuhl seine Macht wohl kaum entfalten können. Du hast wohl ganz vergessen, dass seine eine Hälfte aus ganz gewöhnlichem Holz besteht!“ „Das habe ich nicht vergessen, Herrin.“, sagte Telzan. „Das habe ich ganz und gar nicht vergessen. Nächtelang haben meine Leute und ich uns den Kopf zerbrochen, wie wir dieses Problem lösen können. Zum Glück ist uns dann auch gleich etwas eingefallen. Ihr könntet das doch sicher mit Eurer Macht kompensieren. Auf Logars Seite der Dimension soll es ein Spinnenmännchen Namens Akantus geben. Er hat mit seinem Faden schon einmal zum Sieg des Guten beigetragen. Töten könnt Ihr ihn nicht, weil er selbst ein Mächtiger ist und sich bestimmt wehren würde. Aber Ihr könntet einen Gegenpol zu ihm schaffen. Dieser Gegenpol könnte ebenfalls Fäden produzieren, die wir auch brauchen werden. Mein Weib Cirnach ist eine hervorragende Weberin. Sie würde es übernehmen, alle Lebensfäden unserer Leute aufzuspannen und zu verweben, damit wir das Ende überleben können. Wenn sie beim Weben eines jeden Fadens fest an denjenigen denkt, dem er gewidmet ist, dann dürfte das ja eigentlich funktionieren, nicht wahr?“

Sytania begann zu überlegen. Dann sagte sie begeisterten Tons: „Oh, Telzan! Mein Kluger und aufmerksamer Telzan! Wie habe ich dich und deine Planspiele vermisst! Gut, deine Frau war eine sehr gute Vertretung, aber du, du bist nun einmal mein Bester! Es hat schon seinen Grund, warum ich gerade dich zu meinem Vertrauten und zum obersten meiner Vendar gemacht habe! Sieh her! Ich werde dir jetzt zeigen, wie ich über deinen Plan denke!“

Es gab einen schwarzen Blitz. Dann sah Telzan in einer Ecke der Höhle ein riesiges Spinnenweibchen, das sich auf den Rücken gelegt und bereitwillig ihre Spinnwarzen präsentiert hatte. „Ich gebe dir den Namen Argonia, meine Schöpfung!“, rief Sytania aus. „Du sollst uns zu Diensten sein und den Faden produzieren, den wir benötigen!“ Ich werde dich nicht enttäuschen, Meine Schöpferin., gab die Spinne telepathisch zurück.

Telzan wandte sich wieder seiner Herrin zu: „Ich finde der Name Argonia passt sehr gut zu ihr. Schließlich soll sie ja auch Tod und Schmerz über die bringen, die nicht dem Bösen dienen, also über die, die wir nicht retten werden!“ „Recht hast du, mein lieber Telzan.“, sagte Sytania. „Und nun hol deine Frau und besorge ihr alles, was sie benötigen wird, um die Arbeiten auszuführen. Auch all die Dinge, die sie zum Gewinnen des Fadens brauchen wird.“ „Ach.“, sagte Telzan. „Diese niedere Aufgabe kann doch eine der Novizinnen übernehmen. Cirnach wird eine aussuchen, die sie vielleicht auch mal am Webstuhl ablöst. Irgendwann muss ja auch schließlich sie mal schlafen.“ „Nun gut.“, sagte Sytania. „Dann sei es so. Erkläre deiner Frau unser Vorgehen.“ „Das muss ich nicht.“, sagte Telzan. „Den Plan haben wir schließlich gemeinsam gefasst. Wir wollten Euch damit überraschen, falls die Sache mit Tchey Neran-Jelquist in die Hose geht. Wir hatten das schon geahnt und …“ „Oh, Telzan!“, sagte Sytania stolz. „Du weißt genau, wann und wie du deine Herrin glücklich machen kannst! Geh jetzt und richte deinem holden Weibe aus, dass ich einverstanden bin!“ „Ja, Herrin!“, sagte Telzan und ging.

Shannon, Tolea und Scotty hatten Zirell tatsächlich erreichen können. Gemeinsam hatten sie der tindaranischen Kommandantin ihren Plan auseinandergesetzt. „Ich halte auch für möglich, dass das klappen könnte.“, sagte Zirell. „Aber wir müssen sehen, was die Vendar dazu sagen. Wenn Sianach und ihre Leute nicht einverstanden sein sollten, dann sollten wir das nicht über ihre Köpfe hinweg tun.“ „Oh, ich denke schon, dass sie einverstanden sein werden, Commander.“, sagte Scotty. „Das ist schließlich ihre einzige Versicherung gegen Sytania!“ „So denken wir.“, sagte Zirell. „Die Frage ist aber, ob Sianach und ihre Leute das genauso sehen. Ich werde sie am besten zu uns in die Leitung holen. Beendet bitte die Verbindung, damit IDUSA eine Konferenzschaltung aufbauen kann.“ „OK, Zirell.“, sagte Scotty und drückte die 88-Taste.

Shannon sah ihn missmutig an. „Das klang ja nich’ sehr positiv.“, flapste sie. „Abwarten.“, versuchte Tolea sie zu beschwichtigen. „Zirell muss das Einverständnis einholen. Oder würden Sie, gerade sie, es etwa gut finden, wenn einfach so jemand in Ihren Geist eindringen würde.“ „Ne!“, sagte Shannon mit Überzeugung. „Na also.“, pflichtete Scotty ihr und der Q bei.

Scottys Sprechgerät piepte und im Display war das Rufzeichen von Zirells Basis zu sehen. Daneben gab es einen symbolischen Vermerk, dass es sich um eine Konferenzschaltung handelte und darunter befand sich das Rufzeichen von Sianachs Garnison. „Hier Techniker Scott!“, meldete sich mein Ehemann. „Hi, Scotty.“, sagte Zirell. „Ich habe Sianach den Plan bereits erklärt und sie ist einverstanden. Wir warten nur noch auf Nidell. Dann machen wir es am besten gleich hier. Mit Tolea dürften wir ja Reichweite genug haben. Durch einen hier nicht weiter zu erwähnenden Umstand bin ich ja auch die einzige Tindaranerin, die über dimensionale Grenzen hinaus ihre Kräfte benutzen kann. Tolea, wir nehmen Nidell sozusagen in die Mitte und dann geht es los. Sie werden den verbalen Teil übernehmen und Nidell und ich sind Ihre mentalen Verstärker. OK?“ „OK.“, erklärte sich die Q einverstanden. „Es ist für uns alle sicher besser so, weil ich Ihnen dann nicht erst den Wortlaut des Banns übermitteln müsste, Zirell. Aber ich würde gern von Sianach selbst hören, dass sie einverstanden ist.“ „Ich bin einverstanden, Gebieterin Tolea!“, sagte die Vendar mit Überzeugtem Ton. „Ich habe auch bereits mit meinen Leuten geredet. Auch sie halten das für möglich und wollen es nicht nur tun, weil ich es ihnen befohlen habe, als ihre Anführerin. Nein, sie glauben daran, dass es möglich ist und freuen sich schon darauf!“

Nidell hatte die Kommandozentrale der Basis betreten. „Hier bin ich, Zirell.“, sagte sie. „Du wolltest mich sehen?“ „Ja, das wollte ich.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „Ich hoffe, IDUSA hat dich über unser Vorhaben in Kenntnis gesetzt.“ „Das hat sie.“, sagte die medizinische Assistentin. „Aber ich frage mich, ob ich hier wirklich helfen kann. Meine mentalen Fähigkeiten sind sicher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, wenn man sie mit den Deinen oder mit Toleas vergleicht.“ „Aber steter Tropfen höhlt auch den Stein, Nidell.“, entgegnete Zirell. „Vielleicht bist ja sogar du das Zünglein an der Waage. Immerhin müssen wir einige tausend Vendar mit dem Schutz versorgen und das schaffen Tolea und ich sicher nicht allein. So und jetzt konzentriere dich mit mir auf die geistige Prägung von Tolea, damit wir uns mit ihr zusammenschließen können und dann denken wir alle drei ganz intensiv an die Vendar auf New-Vendar-Prime!“ „Zu Befehl, Kommandantin!“, sagte Nidell förmlich und führte aus, was Zirell ihr gerade gesagt hatte.

Tolea spürte den Kontaktversuch der beiden Tindaranerinnen. „Es ist so weit.“, sagte sie. „OK, Sie haben Ihre Aufgabe, Tolea.“, sagte Scotty. „Aber was machen Shannon und ich in der Zwischenzeit?“ „Ihre Freundin könnte an Bord ihres Schiffes zurückkehren und es warten.“, schlug Tolea vor. „Schließlich werden wir es noch für Teil zwei unseres Plans benötigen und ich habe keine Lust, mitten im Weltraum liegen zu bleiben.“ Sie grinste bei ihrem letzten Satz. „Und Sie, Scotty, Sie sorgen mir dafür, dass diese Sprechverbindung nicht abreißt, was immer gleich auch passieren mag.“ „Sie machen mir Angst, Tolea.“, sagte Scotty. „Aber gut.“ Damit winkte er Shannon. „Ich gehe ja schon.“, sagte sie und zog ihr Sprechgerät, in das sie IDUSAs Rufzeichen eingab, um sich dann von ihr an Bord beamen zu lassen.

Tolea und Scotty waren allein. „Bitte sprechen Sie mich jetzt nicht an, Techniker Scott.“, bat die Mächtige. „Das werde ich nich’.“, sagte Scotty und richtete seinen Blick fest auf das Display des Sprechgerätes. „Ich hätte ja auch gar keine Zeit, jetzt mit Ihnen Smalltalk zu halten. Schließlich muss ich mich um dieses Baby hier kümmern.“ „Sehr gut.“, sagte Tolea und begann damit, sich gemeinsam mit Zirell und Nidell auf ihr Vorhaben zu konzentrieren.

Als die telepathische Verbindung zu den Vendar stabil war, dachte sie: Tshê, Vendar! Niemals mehr werdet ihr empfänglich für Sytanias Befehle sein. Sollte sie euch aufsuchen, oder euch geistig kontaktieren, dann seid ihr taub und blind gegen sie und auch jeder eurer Geister ist fest gegen sie verschlossen und auch jeder eurer weiteren Sinne ist gegen sie blockiert! Dieser Befehl gilt ab jetzt bis an das Ende aller Zeiten und nicht nur für euch, sondern auch für die, die nach euch kommen!

Augenblicklich gab es einen weißen Blitz und es ging eine Erschütterung durch die Basis und Scottys Haus, die einem Erdbeben glich. Nur blieb alles heil. Immer noch hatte Scotty das Display im Blick. Er wusste, dass so mancher Energieaufbau einer Sprechverbindung sehr zusetzen konnte. Das hatte ich ihm einmal erklärt. Er wusste aber nicht, was er im Notfall tun sollte. Sicher hätte er das Gerät auseinander schrauben können, aber vielleicht war das ja auch nicht nötig. Wo bist du nur, Darling, wenn man eine ausgebildete Kommunikationsoffizierin braucht?, dachte er.

Sianachs Stimme war das Erste, das Scotty hörte, als sich alles wieder beruhigt hatte. Kannst du mich hören, Scotty El Taria?!“, fragte die Vendar. „Ja, das kann ich.“, sagte Scotty mit viel Erleichterung. „Wie fühlst du dich?“ „Ich fühle mich stark!“, sagte die Vendar. „Ich fühle mich gut! Stark, gut und geschützt! Der Teil meiner Leute, der hier mit mir in meinem Haus ist, bestätigt das auch. Es scheint funktioniert zu haben.“ „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte Zirell und auch Nidell nickte im Hintergrund. „Dann müsste das ja die Regierung auch spüren, wenn wir sie dazu auffordern, es zu überprüfen.“, sagte Scotty. „Ah!“, machte Zirell. Daher weht also der Wind. Na, ich wäre gern dabei, wenn ihr meine Regierung auf den Topf setzt.“ „Dann kommen Sie doch mit.“, sagte Scotty. „Oh nein.“, sagte Zirell. „Ich habe leider hier zu tun. Aber ich bin gern bereit, mir alles über eine Sprechverbindung anzusehen.“ „OK.“, sagte Scotty. „Das ließe sich garantiert einrichten.“ Dann beendete er die Verbindung und man begab sich gemeinsam zu Shannon an Bord von IDUSA. Auch Tolea begleitete sie. Sie wollte es sich absolut nicht entgehen lassen, die Gesichter der tindaranischen Regierung zu sehen.

Sedrin und ich waren erneut mit der Behandlung von Invictus beschäftigt gewesen. So hatten wir nicht bemerkt, dass sich heimlich still und leise jemand zu uns in den Stall geschlichen hatte, der unsere Gespräche jetzt hautnah mitbekam. Jemand, für den ihr Inhalt eigentlich noch gar nicht bestimmt war, der ihn jetzt aber doch hören würde. Da weder die Agentin, noch ich etwas an diesem Faktum ändern konnten, würden wir ihm wohl Rede und Antwort stehen müssen. Allerdings dachte ich mir schon, dass Sedrin mir wohl diese Aufgabe überlassen würde.

Sie hatte gerade Invictus‘ Horn wieder von dem übergroßen Fingerhut befreit. „Seine Augen sind schon viel wacher, Allrounder.“, beschrieb sie mir das Gesicht des Einhorns. „Das kann ich nur bestätigen, Madam.“, sagte ich. „Er scheint auch langsam unruhig zu werden. Die Spannung in seinem Körper nimmt auch wieder zu. Offenbar kommt er wirklich wieder zu Kräften.“ „Und das sicher im wahrsten Sinn des Wortes.“, ergänzte Sedrin. „Joran hat mir seinen Erfasser gelassen. Damit habe ich sein telepathisches Zentrum während der Behandlung gescannt. Das Interpretationsprogramm sagt, seine Zellen würden sich wieder langsam regenerieren.“

Ich beugte mich zu Invictus hinunter und streichelte ihn. „Hast du gehört?“, fragte ich leise und sehr ruhig. „Sie sagt, du wirst wieder gesund. Es kommt alles wieder in Ordnung.“

Der Hengst machte eine plötzliche Bewegung mit dem Kopf und Sedrin zog mich zurück. „Was ist los, Agent?“, fragte ich verwirrt und auch leicht alarmiert, denn ich hatte weder mit der Bewegung, noch mit ihrem daraus resultierenden Verhalten gerechnet. „Ich denke, dass er aufzustehen versucht.“, erklärte Sedrin und parkte mich an einem Pfeiler weit weg von Invictus zwischen. „Ich denke, Ihnen ist auch bekannt, dass Pferdeartige, wenn sie aufstehen wollen, sich den nötigen Schwung über den Hals holen.“ „Ja.“, sagte ich und klang dabei wohl auch etwas besorgt. „Aber ist das nicht noch zu früh?“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Sedrin. „Deshalb werden Sie hierbleiben und ich hole die Männer!“ „Aye, Agent.“, sagte ich fast automatisiert. Jetzt war mir auch klar, warum sie mich aus der Schusslinie haben wollte. Wäre Invictus gestürzt und ich wäre noch immer zu nah bei ihm gewesen, hätten wir beide uns schwer verletzen können. Von einem Wesen, das ca. eine Tonne wog, zerquetscht zu werden, war sicher nicht angenehm. Ihre Aktion war also total vernünftig.

Sie hatte den Stall verlassen. Jetzt wähnte ich mich mit Invictus allein, der tatsächlich offenbar mit dem Versuch des Aufstehens beschäftigt war. Immer wieder trat er gegen die Strohballen und versuchte sie wegzustoßen. Da Samson und Tchiach sie aber durch ein ausgeklügeltes System von Verzahnung und Seilen miteinander verbunden hatten, gelang ihm das nicht. „Ruhig, Dicker.“, flüsterte ich ihm zu. „Das geht nicht. Dafür bist du noch viel zu schwach. Glaub es mir!“ Er schien mir das aber nicht abzunehmen, denn seine Versuche gingen ungehindert weiter. Ich teilte aber inzwischen die Befürchtungen des Agens. Invictus könnte sich verletzen, wenn er so weitermachte. Wie weit seine Kräfte wieder da waren, wusste ich ja nicht genau. Ich wusste ja nicht, ob seine Unverwundbarkeit wieder intakt war oder nicht. Sedrin hatte das jedenfalls nicht gesagt. Sie hatte nur gesagt, er sei auf dem Weg der Besserung, aber nicht mehr.

„Tante Betsy!“ Ein besorgtes Kinderstimmchen hatte mich zusammenfahren lassen. Ich drehte mich in die Richtung, aus der ich es vernommen hatte. Erkannt hatte ich längst, zu wem es gehört hatte. „James, was machst du denn hier?!“, fragte ich aufgeregt. „Es ist schon spät! Kinder deines Alters sollten längst im Bett liegen!“ „Ich weiß.“, sagte James. „Bitte schimpf nicht. Aber ich wollte doch nur wissen, wie es dem armen kranken Einhorn geht.“

Ich musste ihn irgendwie dazu bringen, dass er den Stall verließ. Die Dinge, die er gleich vielleicht zu sehen bekommen könnte, waren sicher nicht schön und ein Kind wie er sollte so etwas wie ein taumelndes und stürzendes Einhorn sicher nicht sehen. Das stand für mich fest.

„Hör mal, James.“, sagte ich. „Dein Vater macht sich bestimmt schon Sorgen um dich und ist ganz traurig, weil du nicht in deinem Bett bist und er gar nicht weiß, wo er nach dir suchen soll. Ich denke, es wird besser für dich sein, wenn du ganz schnell wieder unter deine warme Decke huschst.“ „Ich glaube nich’, dass mein Vater traurig sein wird.“, sagte James. „Die Tante Sedrin hat gesagt, sie wird die Männer holen, also auch meinen Vater. Der sieht ja dann, wo ich bin. Dann braucht er ja auch nich’ mehr traurig zu sein.“

Mir war in diesem Moment sonnenklar geworden, dass er mehr mitbekommen haben dürfte, als für ihn gut war. Aber das waren viele Dinge gewesen, die auch nur Sternenflottenoffiziere verstehen konnten. Für einen 6-Jährigen waren diese Informationen sicher viel zu viel. Ich musste herausbekommen, wieviel er wusste. Vielleicht konnte ich den Schaden ja noch begrenzen. Außerdem konnte ich ihn so prima ablenken.

„Wo ist der Heuballen, auf dem Sedrin und ich immer sitzen, wenn wir Invictus behandeln?“, fragte ich, die ich aufgrund der geänderten Situation nicht wirklich orientiert war. „Ich führe dich hin!“, sagte James stolz und nahm mich bei der Hand. Dann drehten wir uns nach rechts und gingen ein Stück geradeaus. Danach drehte er mich und wir setzten uns gemeinsam auf den Heuballen.

„Seit wann warst du hier?“, fragte ich. „Was hast du gehört? Wenn du Fragen hast, dann werden die Tante Sedrin und ich sie dir gern beantworten.“ „Fragen möchte ich dich tatsächlich was, Tante Betsy.“, sagte James. „Du erklärst so toll. Die Tante Sedrin und du, ihr habt darüber geredet, dass der Invictus die Valora nur betrogen hat, weil er Kinder haben wollte, die vorsichtig sind mit uns. Aber kann das die Valora nich’ auch? Wäre es nich’ gut, wenn sie dem Invictus dabei hilft? Ich meine, um Kinder zu bekommen braucht es doch immer eine Mummy und einen Daddy. Oder?“ „Richtig!“, lobte ich. „Das hast du sehr gut erkannt. Du bist sehr intelligent für dein Alter. Gibt es vielleicht noch eine Frage, die ich dir beantworten könnte?“ „Ja, die gibt es.“, sagte James. „Die Tante Sedrin hat was von den Gänsianern gesagt und davon, dass die Valora sie reingelegt hat. Was meinte sie damit?“

Hier muss ich euch vielleicht was erklären, liebe Leserinnen und Leser. Das englische Wort für Genesianer ist Genesians. Da das für einen 6-Jährigen vielleicht sehr schwer auszusprechen ist, insbesondere dann, wenn er gar nicht weiß, worum es eigentlich geht, könnte es sein, dass er Geesians sagt. Gees ist aber das englische Wort für Gänse. So kommt es in der Übersetzung zu Gänsianer.

„OK.“, sagte ich und begann erneut zu überlegen. „Du weißt ja, dass sich die Biene auf die Blume setzt, um …“ „Ääää, Tante Betsy?“, fragte James dazwischen. „Und was machen die Bienen, wenn die Blumen ihre Tage haben?“ „OK!“, sagte ich anerkennend. Offenbar war er nicht nur sehr intelligent, sondern auch schon recht aufgeklärt für sein Alter. Ich konnte also ruhig einen Gang höher schalten, was das Niveau der Aufklärung anging. Aber auch nur einen. Ich musste nach wie vor sehr vorsichtig sein. Um ihn nicht zu traumatisieren, würde ich die für ein Kind in seinem Alter doch sehr verstörenden Details der Sexualität weglassen müssen. Aber es ging ja in der Hauptsache doch eher um deren Konsequenzen. „Also.“, sagte ich. „Du hast ja schon richtig erkannt, dass es eine Mummy und einen Daddy braucht, damit Kinder entstehen können. Die Genesianer glauben aber, dass eine Mummy zu werden eine Schande ist, die ihnen von den Daddys auferlegt wird. Sie glauben, dass durch die Daddys alles außer Kontrolle geraten ist. Die Valora hat ihnen gesagt, dass sie die Daddys nicht mehr brauchen, wenn sie als ihre Göttin angenommen wird. Aber das war die Idee der bösen Sytania, die wollte, dass die Genesianer von ihr und der Valora abhängig werden, damit sie mit ihnen spielen kann. Für die Genesianer ist das aber ganz schlimm, wenn sie das merken. Sie sind dann ganz traurig und wütend, weil sie ganz stolz sind darauf, dass sie so selbstständig und ein Volk von großen Kämpferinnen sind.“ „Dann ist das ganz gemein von der bösen Prinzessin Sytania.“, weinte James. „Ich mag sie nich’! Olle blöde Prinzessin Sytania!“ „Ich verrate dir mal was.“, sagte ich konspirativ. „Wir von der Sternenflotte, wir mögen sie auch nicht, weil sie so fies und gemein ist.“ „Aber du hast gesagt.“, sagte James. „Dass die Gänsianer es nich’ mögen, Mummys zu werden. Warum nich’? Mögen die etwa keine Kinder?“ „Das ist es nicht.“, sagte ich. Aber was es ist, das zeige ich dir morgen. Vertrau mir. Das wird sicher ein Spaß!“ „OK.“, sagte James und lächelte mich vertrauensvoll an. Meine Einlassung zum Thema Sytania musste auch seine Tränen wieder getrocknet haben.

 

Kapitel 84: Über den Berg

von Visitor

 

Sedrin hatte mit Jaden, Joran und Samson den Stall betreten. Ihr entgegen war ein strahlender kleiner James aus der Tür gesaust. Sie wunderte sich wohl, was ich getan haben könnte, um das Kind so in große Freude zu versetzen. Sicher würde sie mich auch darauf ansprechen. Jetzt hatte sie aber erst einmal ganz andere Sorgen.

Die Demetanerin stellte sich vor den immer noch sehr unruhigen Invictus. „Ich denke, er will tatsächlich aufstehen.“, sagte sie. „In der Tat.“, bestätigte Joran, der genau neben ihr stand und sich die Situation jetzt auch ansah. „Hältst du für möglich, dass er das schaffen könnte, Jinya?“, fragte Jaden. „Ich bin mir nicht sicher.“, sagte Sedrin. „Seine Beine scheinen zwar schon wieder sehr kräftig zu sein, aber wenn wir seinen Kreislauf überfordern, könnte das ebenfalls in die Hose gehen. Ich würde vorschlagen, ihr löst die Seile und nehmt vorsichtig die oberste Schicht der Heuballen weg. Aber tut das bitte ganz langsam. Ich werde ihn beobachten und beim kleinsten bisschen Alarm schlagen. Dann muss der Ballen so schnell wie möglich wieder zurück unter seinen Bauch! Jaden, Joran, denkt ihr, ihr kriegt das hin?“ „Du kannst dich auf uns verlassen, Sedrin El Demeta!“, sagte Joran fest und auch Sedrins Ehemann nickte. Dann sagte er zu O’Grady: „Sam, bitte lösen Sie die Seile. Joran und ich machen den Rest. Jinya, schau bitte jetzt genau hin. Es geht los.“ Damit ging Sam an die Seile und Jaden an Invictus‘ Hinterteil. Joran begab sich zum Kopf des Hengstes. Von hier aus gingen sie in die Mitte, nachdem Sam ihnen signalisiert hatte, dass er mit dem Lösen der Seile, welche die Heuballen zusammenhielten, fertig war. „Schnapp dir den vorderen Ballen!“, befahl Jaden in Jorans Richtung. Ich nehme den hier hinten! Dann zähle ich bis drei und wir beide ziehen ein Stück. Dann hören wir, was Sedrin sagt und falls alles in Ordnung ist, machen wir weiter. Falls nicht, schieben wir den Ballen wieder zurück.“ „Ich habe verstanden, Jaden El Taria.“, sagte Joran. „Also dann!“, sagte Huxley, spuckte in die Hände und griff nach dem Ballen. Dann zählte er: „Eins, zwei, drei, Hauruck!“

Sie hatten die Ballen bis zu ihrer Hälfte unter dem Bauch des Hengstes vorgezogen. Jetzt lag quasi seine rechte Körperhälfte nicht mehr darauf. Das zwang ihn, sein Gewicht auf das rechte Vorder- und das rechte Hinterbein zu verteilen. Sedrin sah sich sein Ohrenspiel und die Bewegungen seiner Augen genau an. Ich hatte es übernommen, auf seine Atmung und seine Laute zu lauschen. Aber keine von uns konnte etwas Alarmierendes feststellen. Im Gegenteil. Was wir taten, schien ihn sehr zu beruhigen. „OK, langsam weiter!“, entschied die Agentin. „Aber zieht bitte nur so weit, dass ein weiteres Viertel des Ballens zum Vorschein kommt. Joran, du hast die besseren und schärferen Augen. Mach du es bitte vor. Jaden, orientiere dich bitte daran.“ „Wie du wünschst, Sedrin El Demeta.“, sagte der Vendar und packte zu. Warum Sedrin dies entschieden hatte, war mir klar. Sie wollte jetzt ganz vorsichtig sein. Wir waren in einer sehr sensiblen Phase und wenn Invictus zu schnell gezwungen war, im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf den eigenen Füßen zu stehen, dann konnte das schon schiefgehen. Das wollte und konnte sie nicht riskieren.

Auch diese Veränderung schien Invictus nicht zu tangieren. Im Gegenteil. Er versuchte sogar, den Ballen mit den eigenen Beinen fortzustoßen. „Gut.“, sagte Sedrin und versuchte dabei sehr souverän zu klingen. Meinem geschulten Gehör war allerdings nicht entgangen, dass sie doch ein kleines bisschen unsicher war. Aber das würde ich selbstverständlich niemandem sagen. Es lag mir nämlich sehr fern, eine Kameradin und Vorgesetzte vor versammelter Mannschaft in die eine oder andere Pfanne zu hauen. „Wenn es Bedarf zum Reden gab, dann würden wir dies tun, wenn wir allein waren. Jetzt aber bestimmt nicht!

„Joran.“, sagte Sedrin. „Zieh du jetzt bitte deinen Ballen ganz raus! Jaden, du wartest!“ Der Amerikaner und der Vendar nickten und Joran führte Sedrins Anweisung aus.

Invictus stellte drei seiner Hufe gerade hin. Das konnte ich auf dem Stallboden gut hören. Da sein viertes Bein immer noch leicht durch Jadens Ballen gestützt wurde, veränderte er dessen Position noch nicht. Allerdings war er ganz ruhig dabei. „Also gut.“, sagte Sedrin, die dies auch beobachtet hatte. Dann zeigte sie auf Jadens Ballen: „Langsam, Jineron Teranneron. Ganz langsam.“

Wir alle hielten den Atem an, als Jaden vorsichtig den Ballen unter dem Bauch des Hengstes hervorzog. Eine unglaubliche Stille herrschte plötzlich im Stall. Auch Samsons Pferde, die eben noch friedlich neben, vor und hinter uns vor sich hin gemalmt hatten, waren plötzlich ganz aufmerksam, als würden sie auch spüren, worum es ging und versuchen wollen, Invictus für seinen Aufstehversuch die Daumen, pardon, die Hufe, zu drücken und ihm Glück wünschen.

Der Ballen war jetzt ganz unter Invictus herausgezogen und Jaden hielt ihn hoch. „Was soll ich damit machen, Sedrin?“, wandte er sich seiner Frau zu. „Leg ihn erst einmal vor dich hin und warte.“, sagte Sedrin. Jaden nickte und legte den Ballen vor sich auf dem Boden ab.

Invictus stand jetzt völlig frei. Zumindest galt das für seine Oberschenkel. Der Wegfall der obersten Schicht der Heuballen hatte dafür gesorgt, dass er sein Gleichgewicht selbst halten musste, was ihm anscheinend auch sehr gut gelang. Jedenfalls stellte er jetzt auch den letzten Huf richtig hin und gab ein erfreutes Wiehern und ein lautes Schnauben von sich.

Jaden sah Sedrin an, die aber nur unwissend mit den Achseln zuckte. Anscheinend war sie sich nicht sicher, wie sie Invictus‘ Verhalten interpretieren sollte. Dieser Umstand machte ihn sehr aufgeregt. Wahrscheinlich hatte er das Gefühl, wieder einmal etwas in seinem Leben falsch gemacht zu haben.

Er drehte sich fast panisch in meine Richtung und rief: „Scott!“ „Es ist alles gut, Sir.“, versuchte ich ihn zu beruhigen. „Das war ein Wohlfühllaut. Ich denke, wir sind auf dem genau richtigen Weg. Ich würde an Ihrer Stelle die Seile wieder um den Rest der Ballen verzurren und dann jeden Tag eine weitere Schicht wegnehmen.“ „Uff!“, machte Jaden erleichtert. „Und ich dachte schon, ich hätte schon wieder einen Fehler gemacht.“ „Das hast du nicht.“, sagte Sedrin. „Und ich stimme Allrounder Scott zu. Ich habe Invictus gerade mit deinem Erfasser gescannt, Joran. Seine Macht und somit seine Gesundheit, scheint wirklich zurückzukehren.“

Jaden trug seinen Heuballen in die gleiche Ecke des Stalls, in der auch Joran den Seinen inzwischen abgelegt hatte. Dann kehrte er zu uns zurück und ließ sich erleichtert neben mich auf den Heuballen sinken, auf dem ich immer noch saß. „Das ist ja noch mal gut gegangen.“, sagte er. „Hattest du daran etwa gezweifelt, Jaden?“, fragte Sedrin. „Wenn ich ehrlich sein soll.“, sagte der Terraner. „Dann habe ich das. Ich habe ja ein Talent für das Treten in Fettnäpfchen und das nicht zu knapp. Da sind Captain Archer und ich uns sehr ähnlich. Deshalb glaubte ich, dass …“ „Aber ich war ja auch da, Jaden El Taria!“, ging Joran entschieden dazwischen. „Und ich glaube nicht, dass dein Pech auf mich abfärbt!“ „Das glauben wir alle nicht, Jineron.“, sagte Sedrin und sah ihren Mann freundlich an. „Aber wenn du das selbst von dir immer wieder glaubst, dann wird es irgendwann zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Aber dieses Mal hast du alles richtig gemacht!“ „Danke, Jinya Demetana.“, sagte Jaden und machte ein abgekämpftes Gesicht. „Wir sollten alle schlafen gehen.“, sagte Samson. „Das war eine anstrengende Nacht.“ „Sehr richtig.“, bestätigte Sedrin und hakte mich unter, die ich inzwischen aufgestanden war. Dann verließen wir alle den Stall.

Auf dem Weg zu unserer Hütte wandte ich mich noch einmal zu der mich führenden Sedrin um: „Überwachen Sie meine Träume eigentlich immer noch?“ „Nicht mehr so intensiv.“, sagte die Agentin. „Ihre Träume haben sich verändert. Sie scheinen keinen solchen Stress mehr zu empfinden.“ „Das stimmt.“, bestätigte ich. „Ich bin übrigens sicher, dass das kleine Einhorn Kontakt zu mir sucht. Sie ist aber jetzt auf einer tindaranischen Basis, die wir sehr gut kennen, in Sicherheit. Ich bin sicher, dass sie mich auserwählt hat, damit ich ihr mit Ihnen zusammen helfe. Ich meine, ein Fohlen ist ein Kind. Ein Pferdekind. In der Weissagung stand ja nicht, dass es ein Menschenkind sein muss, dass die Leute erwählt. Die Hand könnte auch nur symbolisch gemeint sein, wie oft in solchen Texten. Aber der kleine James hat mir auch etwas gesagt. Dem muss ich morgen noch etwas zeigen. Ich habe es ihm versprochen. Aber dafür brauche ich noch so einiges. Einen Sack, einen großen Bademantel, Schnüre und Kissen. Am besten so viele Kissen, wie aufzutreiben sind.“ „Sie machen mich neugierig.“, sagte Sedrin und lächelte. „Aber ich werde Ihnen helfen, alles zu besorgen. Auf morgen bin ich schon gewaltig gespannt!“ „Das können Sie auch sein.“, sagte ich und lächelte sie ebenfalls an, während wir in unserer Hütte verschwanden.

Zirell und Nidell hatten sich, außer Tolea, Shannon und Scotty zu helfen, auch bei der Behandlung des kleinen Einhorns abgewechselt. Die Kommandantin war nach Gabe ihrer Dosis mentaler Energie wieder in die Kommandozentrale zurückgekehrt, wo sie bereits von ihrem Ersten Offizier erwartet wurde.

Maron war aufgefallen, dass sie IDUSA vorher das Etablieren einer dauerhaften Verbindung mit Shimars Schiff befohlen hatte. „Was hat das zu bedeuten, Zirell?“, fragte der Geheimdienstler. „Oh Shannon und Techniker Scott haben wohl vor, die Zusammenkunft gehörig auf den Topf zu setzen.“, antwortete die Tindaranerin. „Bei der Aktion wäre ich gern dabei. Da ich aber gerade hier nicht abkömmlich bin, werde ich mir die Sache wohl auf diesem Weg ansehen müssen. Techniker Scott hat mich zwar eingeladen, aber ich musste leider ablehnen. Ich habe hier noch sehr viel zu tun!“ „Aber das Kommando über die Basis könnte ich doch auch übernehmen, Zirell.“, erinnerte Maron sie. „Aber du bist kein Telepath.“, widersprach Zirell. „Du könntest ja wohl schlecht das kleine kranke Einhorn behandeln.“ „Ach das meinst du.“, sagte Maron. „Da hast du allerdings Recht.“

Das Bild vor ihren geistigen Augen änderte sich. Der Avatar des Stationsrechners, der zunächst recht neutral geschaut hatte, sah sie plötzlich beide sehr alarmiert an. „Commander Zirell, Agent Maron, ich glaube, es geht bald los. Jedenfalls sind sie gestartet und haben den interdimensionalen Flug hinter sich. Sie sind gerade wieder in unsere Dimension eingeflogen. Jetzt haben sie Kurs Richtung Tindara gesetzt und Shimars Schiff fragt an, ob Sie die Verbindung zur Überwachung herstellen möchten.“ „Ja, das wollen wir, IDUSA!“, sagte Zirell fest. „Sag ihr das!“ Dann wandte sie sich Maron zu: „Halt dich besser an deinem Sitz fest. Wie ich Shannon, Scotty und Tolea kenne, dürfte hier bald etwas passieren, das dich sonst vom Sessel fegen könnte.“ „Oh, Zirell, so schnell passiert das nicht.“, versicherte Maron. „Ich bin recht standhaft und genügend Sitzfleisch habe ich auch.“ „Na, ich schätze, das wirst du auch brauchen.“, sagte Zirell. „Wie ich die drei einschätze, werden sie mit einem Plan um die Ecke kommen, den die Welt noch nicht gesehen hat.“ „Schauen wir mal.“, sagte Maron.

Dass Zirell mit ihrer Einschätzung sehr richtig liegen sollte, stellte sich zum gleichen Zeitpunkt an Bord von Shimars Schiff heraus. Dort saßen Shannon, die es flog, Scotty, der neben ihr saß und Tolea, die sich auf die Rückbank des Cockpits zurückgezogen hatte und sich dort etwas entspannte. Im Gegensatz zu ihr waren Shannon und Scotty aber sehr beschäftigt. Shannon wie gesagt mit dem Fliegen des Schiffes und Scotty damit, unentwegt irgendwelche Berechnungen anzustellen, für die er sich von IDUSA ein Modell des Innenraums des tindaranischen Parlamentsgebäudes zeigen ließ. Außerdem musste sie ihm die Größe der Bühne zeigen, auf der die Reden gehalten wurden. Diese war, wie auf Tindara üblich, leer. Es sollte kein hübsch verschnörkeltes Pult die Aufmerksamkeit der Zuschauer von der Rede und dem Redner ablenken. Alle Politiker hatten von der geschäftig am Eingang herumlaufenden Assistenz ein drahtloses Mikrofon verpasst bekommen, das mit der Kommunikationsanlage des Gebäudes verbunden war, was aufgrund seiner Größe auch sein musste, damit alle überall verstanden wurden. Das war aber auch ein Umstand, den sich Scotty wohl zunutze machen wollte. Jedenfalls ließ er das Schiff sehr viele Simulationen durchführen, die aber die Frauen zunächst nicht sahen. Er hatte ihr befohlen, die Simulationen nur auf seinen Neurokoppler zu spielen.

Nach der letzten Simulation machte mein Mann ein zufriedenes Gesicht. „Sehr schön, IDUSA, sehr schön.“, sagte er. „Genauso machen wir’s!“ „Kann ich erfahren, was IDUSA und Sie da besprochen haben, Scotty?“, flapste Shannon. „Ja, das können Sie.“, sagte Scotty. „Sie müssen es ja sogar. Schließlich müssen Sie uns ins Parlamentsgebäude fliegen.“

O’Riley wurde blass. Es gelang ihr gerade noch, IDUSA den nötigen Gedankenbefehl zu geben, der sie dazu brachte, das Steuer zu übernehmen. Dann fragte sie: „Ich soll was tun, Scotty? Wie soll das denn gehen?! Denken Sie, wir können einfach höflich ans Fenster klopfen und es macht uns jemand auf?! Da wäre ich mir nich’ so sicher. Außerdem passt IDUSA nie und nimmer durch ’n kleines schmales popeliges beschissenes Fenster! Sie haben wohl den …“ „Mein Interdimensionaler Antrieb könnte da sehr hilfreich sein!“, ging das Schiff dazwischen, um Scottys Plan zu verteidigen. „Sie müssen einfach nur Zielkoordinaten eingeben, die sich direkt über der Bühne befinden. Wenn ich außer Phase bin und Sie damit auch, dann bestehen wir alle vier nur aus reiner Energie und die kann ja bekanntlich durch Wände gehen. Sie lassen mich dann einfach elegant herabschweben und wir landen genau mitten auf der Bühne. Dann ist noch genug Platz rechts und links, dass Sie alle aussteigen und neben mir stehen können. Es hat schon einmal funktioniert. Jenna und Joran haben …“ „Das weiß ich!“, sagte Shannon etwas missmutig. „Ich bin aber nich’ Joran! Ich kann nich’ so gut mit euch Schiffen umgehen. Ich will weder dich, noch andere oder anderes beschädigen, verstehst du?!“ „Ich verstehe.“, sagte IDUSA nüchtern. „Aber dann werden wir wohl eine andere Lösung finden müssen.“ „Und die haben wir auch schon gefunden.“, sagte Scotty. „Zeig mir die Steuerkonsole, IDUSA! Ich mache es selbst! Sie können ja die Systeme überwachen, Shannon.“ „Is’ mir auch lieber.“, sagte Shannon und ließ sich von dem Schiff die technische Konsole zeigen. Scotty bekam die Flugkonsole gezeigt.

„Na schön.“, sagte der Schotte. „Hör zu. Ich bin wahrscheinlich lange nich’ so gut wie die Piloten, die du sonst gewohnt bist. Aber …“ „Aber Sie wollen es zumindest versuchen.“, sagte IDUSA. „Im Gegensatz zu manch anderer anwesender Person hier. Im Zweifel werde ich Ihnen auch assistieren und Sie korrigieren, falls es notwendig sein sollte. Das Gleiche hätte auch für Ms. O‘Riley gegolten.“ „Schon gut.“, sagte Scotty. „Wer nich’ will, der hat schon.“ „Hey!“, sagte Shannon. „Machen Sie’s erst mal besser, Sie Weltmeister!“ „Sie wollte ja sicher nur niemandem die Frisur ruinieren.“, witzelte Tolea von hinten dazwischen. „So ein Raumschiff macht sicher eine Menge Wind.“ „Shannon und Scotty, die mit so einem Spruch seitens der Mächtigen sicher nicht gerechnet hatten, mussten beide schallend lachen. „Sie sehen also.“, sagte die Q. „Auch wir haben Humor.“ Scotty und Shannon nickten grinsend.

 

 

Kapitel 85: Mit beeindruckendem Nachdruck

von Visitor

 

Im tindaranischen Parlament war man gerade in die schönsten Diskussionen zu einem alltäglichen Thema vertieft, als das Antriebsgeräusch von Shimars Schiff die Luft zerriss. Zuerst konnte sich niemand vorstellen, was da gerade passierte. Als die Politiker aber genauer hinsahen, stand ihnen vor Staunen der Mund offen. Als das Schiff dann auch noch mitten auf der Bühne zur Landung ansetzte, war es völlig um Darell und ihre Leute geschehen. Sie saßen still da und wagten nicht sich zu bewegen.

IDUSA hatte Scotty diese Bilder ebenfalls gezeigt. „Na, wir scheinen ja schon einmal einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.“, sagte der Schotte zufrieden. „Und solange sich niemand bewegt, werde ich das mit der Landung wohl auch hinkriegen.“ „Werden wir das mit der Landung wohl auch hinkriegen.“, verbesserte ihn IDUSA. „Vergessen Sie bitte nicht, dass ich Ihnen angeboten habe, ihnen zu assistieren.“ „Das habe ich nicht vergessen, Schiffchen.“, sagte Scotty. „Und ich bin dir auch verdammt dankbar dafür. Aber jetzt muss ich dich erst mal heil hier auf die kleine Bühne kriegen. Ich bin ja heilfroh, dass diese Halle eine Deckenhöhe von mindestens 30 Metern und eine Größe hat, in die du 20-mal passen würdest, wenn nur die Stuhlreihen nicht wären.“ „Die dürften nicht das Problem sein.“, sagte IDUSA. „Ich bin ja da.“

Sie korrigierte einen von Scottys Steuerbefehlen. „Hätte ich das ausgeführt, dann währen wir mit dem Bug zuerst aufgeschlagen.“, sagte sie zur Erklärung. „Tut mir leid, Schiffchen.“, sagte Scotty. „Ich bin eben ein besserer Schrauber als ein Pilot. „Schon verziehen.“, sagte das Schiff. „Es ist ja nichts passiert.“

Sie setzten mit einem leichten dumpfen Geräusch auf der Bühne auf. „Da wären wir.“, sagte Scotty erleichtert. „Endstation! Bitte alle aussteigen!“ Alle nickten und Scotty wies das Schiff an, die Luken zu öffnen.

Leicht verwirrt sahen sich Darell und die anderen Politiker mit der Situation konfrontiert. Da stand mitten auf der Bühne ein Schiff! Die halbe tindaranische Presse hatte außerdem den Auftritt mitbekommen. Allerdings konnte sich niemand einen wirklichen Reim darauf machen.

Schließlich ergriff Darell das Wort: „Könnte mir jemand von euch vielleicht mal erklären, was hier los ist?“ „Ja, das können wir durchaus.“, sagte Shannon, die sich in dieser Situation freiwillig als Rädelsführerin zur Verfügung gestellt hatte. „Meine Leute und ich wissen, dass ihr Schiss habt bis Unterkante Oberlippe! Aber das braucht ihr gar nich’! Dafür haben wir nämlich gesorgt, jawohl! Die Vendar können nich’ mehr auf Sytania hereinfallen!“

Sie machte eine Pause, die es Darell und ihren Leuten erlauben sollte, über ihre Worte nachzudenken. Tatsächlich saßen alle stocksteif da. Ob sie aber wirklich nachdachten, vermochte Shannon nicht zu beurteilen. Im Gegensatz zu den Tindaranern war sie ja keine Telepathin.

„Also gut, Shannon.“, sagte Darell schließlich. „Was macht dich so sicher, dass sie nicht mehr von Sytania unter den Bann gestellt und somit zu einer Gefahr für uns werden können?“ „Das will ich dir gern sagen, Darell.“, sagte Shannon und zeigte auffordernd auf Tolea, die sofort vortrat. „Weil sich Commander Zirell, Medical Assistant Nidell und meine Wenigkeit um dieses Problem gekümmert haben, Vorsitzende der Zusammenkunft.“ Die Q wusste genau, wie das Oberhaupt der tindaranischen Regierung anzusprechen war. „Du und deine Leute, ihr seid eingeladen, es zu überprüfen. Die Vendar dürften ja in eurer telepathischen Reichweite sein.“

Sofort begannen alle anwesenden Tindaraner damit, sich auf die geistige Prägung der Vendar auf New-Vendar-Prime zu konzentrieren. „Es ist erstaunlich!“, stellte Darell fest. „Ich bin ja auch schon einmal Shimar begegnet, nachdem er gegen Sytanias Macht immun geworden war. Ich weiß also, wie sich das anfühlt. Das, was ich gerade von den Vendar empfangen habe, fühlt sich ähnlich an. Sie stehen zwar unter einem Bann, aber der schützt sie nur vor Sytania. Mehr tut er nicht. Es ist erstaunlich! Warum sind wir nicht auf so etwas gekommen?!“ „Weil ihr angesichts dessen, was noch auf uns zukommen wird, sicher schreckliche Angst hattet.“, sagte Tolea verständig. Im Gegensatz zu den alten Q stand sie den Sterblichen ja immer recht freundlich gegenüber, auch wenn sie in ihren Augen einmal etwas Falsches taten. Sie ging davon aus, dass sie es ja noch nicht besser wissen konnten und so würde es auch nichts nützen, sie zu tadeln.

„Deshalb.“, fuhr sie fort. „Werde ich auch kein weiteres Wort über die Zukunft verlauten lassen. Es würde euch nur alle zu sehr erschrecken und dann wärt ihr komplett handlungsunfähig. Soweit dürfen wir es nicht kommen lassen.“ „Also gut, Tolea.“, sagte Darell, die der Mächtigen sehr vertraute. „Aber das allein kann doch nicht der Grund für diesen spektakulären Auftritt sein. Da gibt es doch sicher noch etwas.“

„Stimmt, Darell.“, flapste Shannon, der Tolea wieder nonverbal das Wort erteilt hatte, indem sie einfach einige Schritte zurück gemacht hatte. „Deshalb haben wir die, um die es geht, auch gleich mitgebracht. Wie kommt ihr dazu, sie einfach demontieren zu wollen?! Sie soll quasi sterben, aber vorher wollt ihr noch ihre Daten und ihre Teile sollen auch wieder neu verwendet werden. Ich dachte immer, die künstlichen Intelligenzen wären uns gleichgestellt in eurer Rechtsprechung. Die Argumente, aus denen ihr das wollt, die kenne ich. Aber würdet ihr etwa auch einen Kameraden aus Fleisch und Blut töten, nur weil er zu viel diskutiert oder weil euch seine Meinung nicht passt?“

Ein Raunen ging durch das gesamte Parlament. Alle hatten wohl gemerkt, dass Shannon sie mit der Nase auf etwas gestoßen hatte.

Schließlich trat Divar vor. Er war der tindaranische Verteidigungsminister. Alles, was IDUSA anging, fiel also in sein Ressort. Er war ein etwas untersetzter kleiner Mann mit schwarzem Haar und einem leichten Bartwuchs. Er trug einen roten Anzug und dazu braune elegante Schuhe. „Die Situation ist nicht so einfach, Shannon.“, sagte er. „Leider kommt kein anderer Pilot mit den charakterlichen Eigenschaften dieses Schiffes zurecht. Die Ingenieure hatten etwas hochgegriffen bei ihrer Programmierung. Das müssen wir jetzt korrigieren. Die Verantwortlichen wurden abgemahnt und der Bau der Serie wurde eingestellt. Diese IDUSA ist die einzige ihrer Art und wird es auch bleiben. Das tindaranische Militär kann sich leider im Moment keine Sentimentalitäten leisten. Ich kann mir schon denken, dass du denkst, sie wäre erhaltenswert, gerade weil sie die Einzige ist. Aber im Moment geht das nicht. Wir stehen kurz vor dem Untergang aller Dimensionen, verursacht durch einen mächtigen Feind und müssen uns dem mit allem, was wir haben, entgegenstellen. Da darf kein Teil unnütz in ein Schiff gebaut sein, das nicht mitkämpfen kann.“ „So einfach lasse ich mich nich’ abspeisen!“, sagte Shannon. „Es gibt nämlich sehr wohl einen Piloten, der mit ihr zurechtkommt. Sein Name ist Joran Ed Namach! Der Haken ist nur, dass er ein Vendar ist! Aber das dürfte ja jetzt auch kein Problem mehr sein, wo das Vertrauen in die Vendar doch wieder hergestellt ist! Seien wir doch ehrlich. Jetzt gehen euch die Argumente aus, he?“

Wieder wurde es unheimlich still. Aber auch alle Kameras und Mikrofone waren plötzlich auf den Minister gerichtet. Der war jetzt gezwungen, sich in der einen oder anderen Weise zu äußern, wenn er nicht vor der gesamten tindaranischen Wählerschaft sein Gesicht verlieren wollte. Die Floskel kein Kommentar würde da nichts bringen und nur weitere Fragen aufwerfen. Das wollte und konnte er sich nicht leisten.

Divar gab einen schweren Seufzer von sich. „Du hast ja Recht.“, gab er schließlich zu. „Und jetzt, da auch unser Vertrauen in die Vendar wieder hergestellt ist, werden wir eine Lösung für dich finden, IDUSA.“ Er hatte sich pressewirksam direkt an das Schiff gewandt. „Ich muss und werde mich bei dir entschuldigen und bei Sianach und ihren Leuten müssen wir das wohl auch. Ich denke, Commander Zirell wird den Flugplan etwas ändern. Joran Ed Namach hat ab heute ein schweres Erbe angetreten. Ich hoffe, er wird dem gerecht.“ „Das schafft der Grizzly mit Leichtigkeit!“, lachte Shannon und alle anderen, die Joran auch kannten, nickten zustimmend.

„Dann solltet ihr jetzt wieder zu eurer Basis zurückkehren.“, sagte Darell. „Das wäre wohl das Beste.“ „Sehe ich genauso.“, sagte Shannon. Dann stiegen sie alle drei wieder ins Cockpit und Scotty startete das Schiff.

„Sollen wir Sie noch nach Hause bringen, Scotty?“, fragte Shannon. „Was?!“, sagte mein Mann mit etwas Empörung in der Stimme. „Ich soll zuhause sitzen und mir den ganzen Spaß entgehen lassen?! Aber ohne den alten Scotty! Mich werdet ihr nicht los! Sagen Sie das Ihrem Commander, Shannon!“ „Na, OK.“, sagte die blonde Irin.

„Ich werde Sie aber verlassen.“, sagte Tolea. „Mein Platz ist an anderer Stelle.“ Damit verschwand sie in einem weißen Blitz.

„Endlich allein!“, flapste Shannon. „Ja, das sind wir.“, bestätigte IDUSA. „Wenn man einmal von Techniker Scott absieht. Aber mit dem hatten Sie ja noch nie Probleme, Shannon. Ich möchte mich übrigens noch einmal bei Ihnen allen für meine Rettung bedanken.“ „Gern geschehen, IDUSA!“, sagten Shannon und Scotty im Chor. Dann flogen sie zurück zu Zirells Basis.

Staunend hatten Zirell und ihr Erster Offizier die Situation beobachtet. „So etwas hätte ich Shannon nicht zugetraut.“, sagte der Demetaner. „Ich sicher auch nicht.“, pflichtete ihm die Tindaranerin bei. „Aber sie ist eben immer wieder überraschend.“

Sie stand auf. „Ich werde zur Schleuse gehen und sie empfangen.“, sagte sie. „Dann bringen wir auch Techniker Scott auf den neuesten Stand. Mir war fast klar, dass er mit einsteigen würde und ich lasse ihn. Seine Einmischung hat immer nur Gutes bewirkt. Du hast das Kommando, Maron. Damit ging sie.

Tchey und Droena waren von Shary in die große Halle gebeamt worden, wo sie bereits von Shashana erwartet wurden. Auch für die von Tchey angeforderte Liege hatte man gesorgt. Shimars Körper war allerdings noch immer in Sharys Transporterpuffer verblieben. Tchey hatte es für besser empfunden, ihn als letzte Überraschung für Shashana aufzuheben.

Die Oberste Prätora sah Tchey erwartungsvoll an. „Was ist nun das Geschenk, das du für uns hast, Tchey Neran-Jelquist?“, fragte sie. „Immer mit der Ruhe.“, sagte Tchey langsam und deutlich. „Das seht Ihr noch früh genug.“

Sie griff in ihre Tasche und holte ihr Sprechgerät hervor. Dann gab sie Sharys Rufzeichen ein und befahl ihrem Schiff: „Beam Shimars Körper auf die Liege, Shary!“ Ohne ein Wort zu verlieren tat das Schiff, was ihre Pilotin ihr befohlen hatte.

Über den versteinerten Körper wunderten sich Shashana und Meduse, die ja als ihre Leibwächterin immer in ihrer Nähe war, zunächst sehr. Allerdings erklärte K/14: „Die Tindaraner sind kristallinen Ursprungs. Wenn sie menschliche Gestalt annehmen, dann nur, um mit uns besser und leichter agieren und kommunizieren zu können. Bei Eintritt des Todes verwandeln sie sich wieder in Kristalle. Aber sie können das auch zu Lebzeiten steuern.“ „Ich verstehe.“, sagte Shashana. „Und du willst uns jetzt diesen Körper überantworten, damit wir mit ihm experimentieren können?“ „Nein.“, sagte Tchey. „Ich wollte Euch und die Sonde eigentlich auf etwas viel Besseres Aufmerksam machen! Habt Ihr einen Erfasser?“

Ihre Andeutung hatte ausgereicht, um die Sonde dazu zu bringen, Shimars Körper noch einmal zu scannen. Dann sagte sie: „Meine Ergebnisse bestätigen die Informationen, die ich bereits von D/4 erhalten hatte. In seinem Blut befinden sich eine Menge inaktiver Viren. Offenbar konnten sie sich nach seinem Tod nicht weiter vermehren, weil sie Kristall wohl nicht verändern können. Aber diese inaktiven Viren bilden einen sehr guten Grundstock, um jeden Genesianer, der noch nicht infiziert ist, gegen das Virus zu impfen. Ihre Immunsysteme können sozusagen an den inaktiven Viren, die wir mit abgeschwächter Molekularstruktur replizieren werden und an den ebenfalls hier vorhandenen Antikörpern, von denen wir auch Kopien erstellen werden, unter Laborbedingungen üben, sie zu beseitigen. So funktionieren viele Impfstoffe. Das Eingehen von Risiken durch lebende Tindaraner ist unnötig. Diese Daten sind sehr hilfreich. Vielen Dank, Bioeinheit Tchey Neran-Jelquist.“ „Gern geschehen.“, lächelte Tchey. „Man hilft doch immer wieder gern, wo man kann.“

Mittels eines Hypors entnahm die Sonde alle inaktiven Viren und auch einige Antikörper aus Shimars Körper und zog sich dann wieder in das Labor zurück, das die Genesianer ihr zur Verfügung gestellt hatten. Jetzt war Tchey mit Shimars Körper und den beiden Genesianerinnen wieder allein. „Willst du den Körper wieder mitnehmen?“, fragte Shashana. „Ich meine, jetzt, da uns K/14 gesagt hat, dass er nicht unbedingt für die Gewinnung einer Medizin notwendig ist, benötigen wir ihn ja nicht. Es wäre sicher gut, wenn du ihn zu seinem Volk zurückbringen würdest. Ich bin sicher, die Tindaraner währen dir sehr dankbar.“ „Das hatte ich auch vor.“, sagte Tchey. „Schließlich wäre es gut, wenn er dort seine letzte Ruhe finden könnte.“ Damit gab sie Shary den Befehl, sie und den toten Shimar wieder an Bord zu holen. Dann verabschiedete sie sich noch von Shashana, bevor sie ihrem Schiff endgültig den Befehl zum Aktivieren des Transporters gab. Zufrieden sah Shashana zu, wie Tchey in einer immer durchsichtiger werdenden Säule aus Energie verschwand.

Shary hatte Shimars Körper in ihrem Frachtraum abgeladen und Tchey wieder ins Cockpit gebeamt. „Was hast du jetzt vor, Tchey.“, fragte das Schiff. „Wir fliegen nach Tindara.“, sagte Tchey. „Dort werden wir den armen Shimar jetzt wirklich beerdigen. Aber wenn wir ihn dort im Weltraum abladen, dann solltest du vorher scannen, ob nicht irgendwo ein verdammter Ferengi herumstreicht.“ „Keine Angst.“, sagte Shary. „Darauf passe ich schon auf. Mach dir darüber mal keine Sorgen. Das steht dir nicht! Es macht nur Falten!“ „Hey.“, erwiderte Tchey. „Du kannst ja richtig gut Sprüche klopfen. Aber jetzt sollten wir das genesianische Sonnensystem verlassen und dann so früh wie möglich auf Warp gehen. Wenn wir den offenen Raum erreicht haben, kannst du auch gleich den interdimensionalen Antrieb aktivieren.“ „Warum hast du es denn so eilig?“, wollte Shary wissen. „Ich fand die Genesianer sehr gastfreundlich.“ „Darum geht es mir nicht.“, sagte Tchey. „Ich will noch was von meinem Urlaub haben.“ „Ach, das ist ja interessant.“, sagte Shary und ihr Avatar vor Tcheys geistigem Auge grinste sie an. „Und ich dachte immer, im Urlaub tut man Dinge, die einem Spaß machen. Hat dir unsere Mission etwa keinen gemacht?“ „Oh doch!“, sagte Tchey fest. „Aber ich denke, ich sollte mal nach D/4 schauen. Ich weiß ja nicht, wie gut sie allein klarkommt!“ Bei ihrem letzten Satz grinste die Reptiloide. „Na dann sieht das schon ganz anders aus.“, stieg Shary auf ihren Scherz ein. „Auf die muss man natürlich aufpassen. Also gut. Wir bringen Shimar nach Hause und dann fliegen wir wieder zur Erde, wo ich dich absetzen werde.“ „OK.“, sagte Tchey. Shary ging mit einem hellen Lichtblitz auf Warp.

Sedrin und ich hatten fast die ganze Nacht geredet. Die letzten Ereignisse hatten mich doch sehr mitgenommen. „Hoffentlich geht es Invictus wirklich bald wieder besser.“, sagte ich. „Wer weiß, was sich Sytania noch einfallen lässt.“ „Ich denke, sie wird sich erst mal nichts einfallen lassen.“, tröstete die Agentin. „Sie weiß schließlich, dass wir auf ihrer Spur sind. Wenn sie jetzt etwas täte, dann wäre sie schön dumm und für so dumm halte ich sie nicht, auch wenn sie sehr machtgierig ist. Aber sie weiß auch, dass ich nur darauf warte, dass sie einen Fehler macht, um sie dingfest machen zu können. Sie weiß auch, dass wir sehr effiziente Mittel gegen sie in der Hand haben. Sie wird es nicht wagen, Invictus noch einmal ein Haar zu krümmen. Darauf können Sie sich verlassen, Betsy!“ „Ihr Wort in Mutter Schicksals Gehörgang, Agent.“, sagte ich.

Es klopfte an die Tür unserer Hütte. Es war aber ein kleines zartes Klopfen, wie es nur eine Kinderhand vollbringen konnte. Da James das einzige Kind in der Nähe war, wusste ich sofort, was hier Sache war. „Komm rein, James!“, sagte ich daher.

Der kleine Junge öffnete zaghaft die Tür und trat ein. „Wie hast du das gemacht?“, fragte er staunend, nachdem er die Hütte betreten hatte. „Ich konnte hören, dass es keine Hand eines Erwachsenen war, die da geklopft hat.“, sagte ich. „Aber was tust du denn hier mitten in der Nacht?“ „Es is’ nich’ mehr Nacht.“, sagte James. Habt ihr mal rausgeguckt?“

Sedrin schaute zuerst ungläubig auf ihre Uhr und dann aus dem Fenster. „Die Sonne ist ja schon aufgegangen!“, stellte sie fest. „Unglaublich, wie lange wir diskutiert haben. Wir sollten jetzt aber noch etwas schlafen. Lassen Sie uns ins Bett gehen, Betsy. Sie brauchen die Erholung.“ „Bitte nich’!“, rief ein etwas enttäuschter James aus. „Du hast heute Nacht gesagt, du wolltest mir morgen was erklären und jetzt is’ morgen. Bitte, bitte, Tante Betsy.“ „Na, OK.“, sagte ich, die ich an seiner Stimme ganz genau gehört hatte, wie traurig er war. „Aber wir müssen noch was besorgen. Ich denke, eine Sache kriegen wir von Jenna und Joran. Wir brauchen einen großen Bademantel.“ „OK.“, sagte Sedrin. „Dann bringe ich Sie rüber und dann besorge ich den Rest, also die Kissen und die Schnüre und den Sack, den Sie haben wollten. James, du weißt doch bestimmt, wo bei euch so was ist. Würdest du es mir zeigen?“ „Aber sicher, Tante Sedrin!“, strahlte James. „OK.“, sagte die demetanische Agentin. „Dann warte bitte hier auf Tante Betsy und mich. „OK.“, sagte James und setzte sich auf einen Stuhl am Wohnzimmertisch. Ich hakte mich bei Sedrin unter und wir verließen die Hütte in Richtung der von Jenna und Joran.

Dort war der Vendar mit dem Fütterungsritual beschäftigt. Er hatte sich sogar so sehr darin vertieft, dass ihm das, was er erlebte, sehr real vorkam. Er sah sich erneut in jener Landschaft, in der er auch auf Illiane getroffen war. Im gleichen Moment, in dem er an sie gedacht hatte, kam sie auch schon um die Ecke. Sie hatte einen sehr wichtigen Ausdruck im Gesicht und Joran dachte sich schon, dass sie ihm etwas Wichtiges zu sagen hatte.

„Sei gegrüßt, Quellenwesen!“, begrüßte er sie ehrfürchtig und sank vor ihr auf die Knie. „Du weißt, dass du dich vor mir nicht erniedrigen musst, Joran Ed Namach.“, sagte Illiane. „Ich habe dich aber aus einem bestimmten Grund hergeholt. „Du sollst nun erfahren, warum du dieses Energiefeld von uns bekommen hast. Deine Telshanach muss, wenn ihr wieder auf eurer Basis seid, eine Vorrichtung bauen, mit der es möglich wird, die Energie aus deiner Sifa in Photonentorpedos zu füllen. Wenn das getan ist, dann muss einer von euch sie an die zehn wichtigsten Punkte der interdimensionalen Schicht bringen und dort jeweils einen detonieren lassen. Hast du das soweit verstanden?“ „Das habe ich, Illiane St. John.“, sagte Joran. „Aber was soll die Energie dort tun?“ „Sie wird die Dimensionen für ca. drei Tage stabilisieren, wenn die große Katastrophe eintritt, die noch nicht einmal wir verhindern können. Aber das gibt euch drei Tage Zeit, es zumindest zu versuchen.“ „Warum glaubt ihr, dass uns einfachen Sterblichen gelingen könnte, wozu ihr Mächtigen noch nicht einmal in der Lage seid?“, fragte der Vendar. „Weil ihr erfinderisch seid!“, sagte Illiane mit sehr viel Überzeugung. „Meine Anhänger und ich glauben, dass es sogar der Einfachheit eines sterblichen Geistes bedarf, um genau das Richtige zu tun. Ich habe lange selbst als Sterbliche gelebt und habe daher erfahren dürfen, wie trickreich ihr sein könnt. Man wird sehr bequem, wenn man sich nur etwas zu wünschen braucht und es schon geschieht, weißt du? Man macht sich keine Gedanken mehr über das Warum. Aber gerade das ist es, über das wir wieder lernen müssen nachzudenken. So denke zumindest ich. Du hast ja sicher auch schon gemerkt, dass in den Dimensionen nicht mehr alles so läuft, wie es laufen soll. Da sich die Situation grundlegend verändert hat, hat auch unsere geistige Energie oft Auswirkungen, die wir nicht beabsichtigt haben. Aber viele von uns können sich nicht anpassen, weil sie sich nicht mehr darüber im Klaren sind, warum etwas geschieht. Sie sind total verzweifelt und fragen sich, warum sie doch keine Macht mehr haben, obwohl sie doch so mächtig sind.“ „Du riskierst viel, Illiane St. John.“, sagte Joran. „Durftest du mir das jetzt überhaupt sagen? Durftest du überhaupt zugeben, dass ihr unsere Hilfe benötigt?“ „Ich rechne es dir hoch an, dass du dir solche Sorgen um mich machst, Joran.“, sagte Illiane. „Aber was soll mir im Zweifel denn schon Schlimmes geschehen? Mehr tun, als mich wieder zu einer Sterblichen zu machen, können sie ja nicht. Da das gar nicht so lange her ist, käme ich ja noch sehr gut zurecht. Es wäre also für mich nicht wirklich eine Strafe! Ich habe sowieso nie verstanden, warum so viele Mächtige die Sterblichkeit als Strafe sehen. Wenn das so wäre, dann müsstet ihr ja den ganzen Tag leiden und ich habe nicht den Eindruck, dass du oder einer der anderen unter der Sterblichkeit an sich leidet, Joran Ed Namach! Ich bin davon überzeugt, dass das reine Kopfsache ist. Jemand, der Sterblichkeit an sich verachtet, für den wird es auch eine Strafe sein. Aber jemand wie ich, der immer das Beste daraus gemacht hat und sich noch sehr gut daran erinnert, wird nie so empfinden!“ „Ich hätte nie für möglich gehalten, solche Worte einmal aus deinem Mund zu vernehmen, Illiane St. John!“, staunte Joran. „Agent Sedrin hat dich immer als sehr schüchtern und bescheiden geschildert.“ „Man lernt eben dazu.“, sagte das Quellenwesen. „Aber grüß sie bitte sehr lieb von mir.“

Die Umgebung um Joran verschwamm und er fand sich in der Hütte in dem Raum wieder, in den er sich zur Durchführung des Rituals zurückgezogen hatte. Was er zu tun hatte, das wusste er bereits. Zunächst würde er Jenna wegen der Vorrichtung Bescheid geben. Dann würde er unsere Hütte aufsuchen, um Sedrin Illianes Grüße auszurichten. Er wusste ja nicht, dass sie bereits auf dem Weg zu ihm war.

Er stand aus seiner meditativen Haltung auf und ging zur Tür. Dann öffnete er diese und trat auf den Flur. Hier kam ihm Jenna bereits entgegen. „Ich grüße dich, Telshanach.“, sagte Joran. „Hi.“, erwiderte Jenna und lächelte. „Wie lief es mit dem Fütterungsritual?“ „Sehr gut.“, sagte Joran. „Aber ich habe auch eine Information für dich, Telshanach. Es ist bald Zeit für mich, die Energie in meiner Sifa ihrem eigentlichen Zweck zuzuführen. Dabei spielst auch du eine wichtige Rolle. Du musst eine Vorrichtung bauen, mit der sie in Photonentorpedos gefüllt werden kann. Diese müssen dann an den zehn wichtigsten Punkten der interdimensionalen Schicht zur Detonation gebracht werden. Das wird die Dimensionen noch für ca. drei Tage stabil halten. Für drei Tage, Telshanach! Nicht mehr. So viel Zeit haben wir dann, um sie zu retten.“ „Woher weißt du das?“, erkundigte sich die hoch intelligente Halbschottin. „Illiane St. John.“, sagte Joran. „Sie sagte es mir.“ „Du meinst das Quellenwesen, zu dem du Kontakt hast, seit du diese Energie trägst.“, sagte Jenna, um sich noch einmal der wahrheitsgemäßen Aussage seinerseits zu versichern. „In der Tat, Telshanach.“, sagte Joran. „Na gut.“, sagte Jenna. „Dann werde ich am besten gleich an Bord unseres Schiffes beamen und dort bereits mit dem Bau der Vorrichtung beginnen.“ „Illiane sagte, dass wir noch Zeit hätten, bis wir wieder auf der Station sind, Telshanach.“, sagte Joran und sah sie ruhig an. „Wer weiß, wann das sein wird.“, entgegnete McKnight. „Wenn das Ding so wichtig ist, dann kann ich mit seinem Bau gar nicht früh genug beginnen, finde ich. Ich kann mir auch schon vorstellen, wie es aussehen wird. Wir benötigen zwei Griffe, die du zur Übertragung in die Hand nehmen kannst. Auf der anderen Seite des Systems werden sich Klemmen für die kristallinen Sprengköpfe der Torpedos befinden. Dazwischen noch ein Rechner und Überwachungs- und Steuertechnik. Ich weiß schon, wie ich das anstellen muss. Verlass dich auf mich.“

Damit zog sie ihr Sprechgerät und gab einige Befehle ein, auf die IDUSA sie sofort an Bord beamte. Joran blieb nichts weiter als zuzusehen, wie sie in einer immer durchsichtiger werdenden Säule aus Energie verschwand.

Sedrin und ich hatten die letzte Kurve auf dem Weg zu Jorans und Jennas Hütte hinter uns gebracht und gingen nun die Auffahrt hinauf. Dabei waren wir in ein angeregtes Gespräch vertieft. „Ich bin neugierig.“, deutete die Agentin an, schwieg dann aber, als würde sie auf eine Reaktion meinerseits warten. „Wenn Sie das nicht wären, Agent.“, sagte ich. „Dann hätten Sie sicher Ihren Beruf verfehlt.“ Dabei grinste ich in ihre Richtung. „Diplomatisch wie immer.“, sagte sie in einer Mischung aus freundlich und etwas schnippisch, was ihrer Stimme einen sehr ironischen Touch verlieh. Das hatte ich von sonst niemandem gehört. Meines Wissens war nur Sedrin Taleris-Huxley zu derartigen Dingen in der Lage. Nur sie konnte so kunstvoll Dinge in ihrer Betonung vereinen, die sich ja eigentlich ausschlossen. „Tja, so bin ich halt.“, sagte ich und grinste erneut. „Aber Sie haben mir noch immer nicht gesagt, worauf Sie so neugierig sind.“ „Ich bin neugierig darauf, was Sie dem kleinen James versprochen haben. Das muss ja etwas ganz außergewöhnliches sein. Ihre Methoden sind immer sehr außergewöhnlich und oft genug auch sehr speziell. Aber gerade das macht wohl auch aus, dass sie immer wieder funktionieren. Also, was werden wir James denn mit Hilfe von Jorans Bademantel, den Kissen und den Schnüren erklären, hm?“ „Schwangerschaft, Agent!“, sagte ich fest. „Wir werden ihm Schwangerschaft erklären und den Grund, warum die Genesianer sie nicht mögen und sie sogar als schändlichen Zustand sehen.“ „Mutter Schicksal!“, rief Sedrin aus. „Du liebe Zeit! Damit, das zu verstehen, haben ja schon oft genug die Erwachsenen und vor allem unsere Diplomaten ein Problem! Und Sie, eine kleine Kommunikationsoffizierin, wollen es einem 6-Jährigen auseinandersetzen? Na hoffentlich geht das gut!“ „Kommunikationsoffizierin und Raumschiffpilotin bitte schön, Agent!“, verbesserte ich. „Außerdem haben Sie gerade selbst gesagt, dass ich ungewöhnliche Methoden habe, die gerade aus dem Grund, weil sie so ungewöhnlich sind, oft zum Erfolg führen.“ „Trotzdem.“, sagte Sedrin skeptisch. „Das hier ist und bleibt für ein Kind zu hoch! Das kriegen noch nicht mal Sie hin, denke ich.“ „Wir werden ja sehen!“, gab ich mich kämpferisch. „Natürlich werde ich nicht alle Aspekte der Schwangerschaft erklären, weil ich ihm dann schaden müsste und das will ich nicht. Einen, nämlich einen sehr entscheidenden, gibt es aber doch, den ich ihm an sich selbst demonstrieren kann. Dafür brauchen wir die Sachen und die Wiese vor Sams Haus.“ „Na, das werde ich mir nicht entgehen lassen.“, sagte Sedrin.

Wir standen vor der Tür. „Wollen wir die Sprechanlage benutzen oder bevorzugen Sie die altmodische Methode des Klopfens?“, fragte Sedrin. „Die Anlage, Madam.“, sagte ich. „James hatte großes Glück, dass wir alle im Wohnzimmer waren. Sonst hätten wir sein Klopfen auch nicht hören können.“ „Das stimmt.“, sagte die Agentin und drückte auf den Knopf, der das Terminal im Inneren der Hütte auslöste. Wir waren allerdings etwas überrascht, am anderen Ende der Verbindung die Stimme der kleinen Tchiach zu hören: „Ja bitte!“ „Hier sind Agent Sedrin und Allrounder Scott.“, sagte die Demetanerin, um uns zu identifizieren. „Wir müssten mal mit deinem Vater reden, Tchiach. Ist er da?“ „Gewiss, Sedrin El Demeta.“, antwortete der Vendar-Teenager freundlich. „Ich werde euch die Tür öffnen und euch einlassen. Dann sage ich ihm Bescheid.“ „In Ordnung.“, sagte Sedrin gleichmütig und zog mich ein Stück von der sich nach außen öffnenden Tür weg.

Wir kamen bald im Wohnzimmer der Hütte an, die genau wie die unsere geschnitten war. Tchiach hatte, wie sie es auch angekündigt hatte, ihren Vater verständigt und Joran war zu uns gestoßen. Dann hatten wir uns alle auf die Sofalandschaft gesetzt. „Was gibt es denn, Sedrin El Demeta?“, wendete sich Joran freundlich an die Agentin. „Eigentlich bin ich nur die Begleitung.“, sagte Sedrin. „Du solltest Betsy fragen.“ „Dann stelle ich dir die gleiche Frage, Betsy El Taria.“, fragte der Vendar in meine Richtung. „Darf ich mir einen Bademantel von dir leihen, Joran?“, fragte ich. „Warum möchtest du das?“, fragte der etwas irritierte Vendar. „in den dürftest du mindestens zweimal passen.“ „Ich möchte dem kleinen James die Schwangerschaft erklären.“, sagte ich. „Und er soll wissen, warum die Genesianerinnen sie als Fluch sehen.“ „Du verwirrst mich, Betsy El Taria.“, sagte Joran und sah Hilfe suchend in die Runde. Sein Blick streifte auch unter anderem Sedrin, die sofort erwiderte: „Ich kann dir auch nicht helfen, Joran. Mir ist auch total schleierhaft, was sie vorhat. Aber sie hat mich zum Zusehen eingeladen. Ich denke, das darfst du auch.“ „Natürlich darf er.“, bestätigte ich. „Sie alle dürfen zusehen. Agent, ich möchte Sie sogar bitten, mir etwas zu assistieren.“ „Na, wenn’s weiter nichts ist.“, sagte Sedrin, die über mein Ansinnen immer noch extreme Verwirrung zu verspüren schien. Da ich keine Betazoide war, wusste ich selbstverständlich nicht genau, was sie tatsächlich fühlte. Mein geschultes Gehör jedoch hatte es mir verraten. Ihre Stimme sprach Bände.

Joran hatte eine Weile überlegt. Dann hatte er schließlich gesagt: „Ich werde dir geben, was du verlangst, Betsy El Taria. Du musst mir dafür aber auch das Recht einräumen, bei eurem Experiment zugegen zu sein. Ich denke, wir würden es alle gern sehen. Du und deine Methoden, ihr macht sehr von euch reden. Es wäre mir eine Ehre, dich einmal in Aktion zu bewundern.“ „Schmeichler!“, zischte Sedrin. „Deal!“, sagte ich und streckte ihm meine rechte Hand hin, in die er mit seiner linken Hand vorsichtig schlug. Dann stand er auf, um den Bademantel zu holen.

Nach seiner Rückkehr legte er ihn vor mir hin und sagte: „Lasst uns gehen. Tchiach, komm bitte mit.“, „Ja, Vater.“, sagte die kleine Vendar und folgte uns zur Tür.

„Wir sollten noch auf Techniker McKnight warten.“, schlug Sedrin vor. „Wo ist sie? Ich denke, sie wäre auch nicht abgeneigt, Allrounder Scott bei ihrem Experiment mit James zu beobachten.“ „Sie ist nicht mehr hier, Agent Sedrin.“, sagte der Vendar. „Sie befindet sich an Bord unseres Schiffes und baut an einer Vorrichtung, die es uns erlaubt, die Energie, die ich trage, in der interdimensionalen Schicht zu verteilen, wenn es so weit ist. Das wird die Dimensionen für drei Tage aufrechthalten. Diese drei Tage haben wir dann, um sie zu retten.“ „Woher weißt du das?“, fragte Sedrin. „Ich stehe in Kontakt mit dem Quellenwesen, das mir die Energie gegeben hat.“, antwortete der Vendar. „Du kennst sie. Ihr Name als Sterbliche lautete Illiane St. John!“

Wie versteinert stand Sedrin da. „Wenn du einen Beweis verlangst.“, sagte Joran. „Dann kann ich ihn dir gern geben. Nimm meinen Erfasser und scanne mich damit. Er wird zwar ihren Namen nicht kennen, aber er wird dir die Signatur ihrer neuralen Energie anzeigen. Ein Wert, an den du dich zweifelsfrei noch sehr gut erinnern wirst. Das gehört nämlich zu den Details, die auch für eine Kriminalistin wichtig sein können. Das wird dir zeigen, dass ich die Wahrheit spreche und dass wir das Richtige tun. Dass Illiane ein Quellenwesen ist, dass wusstest du ja schon.“

Er zog seinen Erfasser und hielt ihn ihr hin, die ihm das Gerät mit leicht zitternden Fingern abnahm. Dann tat Sedrin, was er ihr soeben vorgeschlagen hatte.

„Es stimmt.“, sagte sie und gab ihm das Gerät zurück. „Aber ich hätte nie gedacht, dass Illiane den Mut finden würde, sich in dieser Weise einzumischen.“ „Sie hat sich sehr verändert, seit sie bei ihresgleichen ist.“, sagte Joran. „Sie hat sogar eine sehr kühne Theorie aufgestellt. Sie glaubt, dass es des einfachen Geistes eines Sterblichen bedarf, um die richtige Idee zu entwickeln, die zur Rettung der Dimensionen führen wird. Damit steht sie aber auch nicht allein. Sie sprach von ihren Anhängern. Es scheint mehrere Quellenwesen zu geben, die dies für möglich halten.“ „Ich könnte es mir auch vorstellen.“, sagte Sedrin. „Seit die Naturgesetze immer mehr aus dem Ruder laufen, dürfte auch so mancher geistige Energiestrahl eines Mächtigen nicht mehr die Wirkung haben, die er sonst hat. Ich denke, dass wird nicht in die Köpfe von einigen gehen.“ „Das ist korrekt.“, sagte der Vendar. „Der Unterschied zwischen uns und den Mächtigen ist, dass wir noch über Zusammenhänge nachdenken und sie nicht. Sobald also etwas nicht mehr damit getan ist, dass sie es einfach nur wollen, und gar nichts oder gar etwas ganz anderes geschieht, dann sind sie aufgeschmissen. Das kommt daher, weil ihre Gedanken und die Dimensionen nicht mehr die gleiche Sprache sprechen. Das hat mir zumindest meine Telshanach so erklärt.“ „Und das hat sie dir gut erklärt!“, sagte ich. „So ist es nämlich im Prinzip auch. Aber jetzt sollten wir gehen. Bei uns wartet der Kleine James und der ist bestimmt schon ganz kribbelig.“ „OK.“, sagte Sedrin und bot mir ihren Arm zum Einhaken an. Joran und Tchiach folgten uns. So ging es wieder zu unserer Hütte zurück.

 

 

Kapitel 86: Unorthodoxe Methoden

von Visitor

 

Hier erwartete uns bereits ein kleiner fröhlicher James mit leuchtenden Augen, wie mir Sedrin beschrieb. Aber auch das, was er wenige Sekunden nach unserem Eintreffen sagte, ließ mich das bereits vermuten: „Da seid ihr ja endlich wieder! Können wir jetzt anfangen, ja?“ „Sicher.“, sagte Sedrin nüchtern. „Du zeigst mir jetzt am besten, wo ihr die Kissen und die Schnüre habt, die Tante Betsy braucht. Wir beide holen sie und dann geht es zur Wiese.“ „OK, Tante Sedrin.“, strahlte James. „Komm mit!“ Dann wuselte er los in Richtung seines Hauses, während ich davor am Rand der Wiese, wo mich Sedrin stehen ließ, zurückblieb.

Neben den beiden Vendar, die sich mit mir hier versammelt hatten, war auch Jaden zu uns gestoßen. Ihn schien auch brennend zu interessieren, was ich vorhatte. „Was wollen Sie dem Kleinen denn jetzt zeigen, Allrounder?“, flapste Huxley. „Ich habe‘ wohl mitgekriegt, dass er wohl einige Fragen hatte. Aber was genau …“ „Bitte warten Sie es ab, Sir.“, lächelte ich. „Dann werden Sie schon sehen.“

Sedrin und James kamen mit einer Schubkarre um die Ecke, die voller Kissen und Schnüre war. „Hier kommt Ihr Material!“, sagte Sedrin und stellte die Karre ab. James, der die gesamte Zeit über neben ihr gelaufen war, wuselte gleich zu mir durch. „Haben Sie auch den Sack, Agent?“, fragte ich. „Selbstverständlich.“, sagte sie und gab ihn mir in die rechte Hand.

Ich öffnete ihn und stopfte einige der Kissen hinein. Dann modellierte ich das Ganze so, dass es bald wie ein großer runder Babybauch aussah. Die Form fixierte ich mit einer langen Schnur, die ich zuerst um den Sack und dann dem armen James um den Leib wickelte, um sie dann mit einigen festen Knoten ebenfalls zu fixieren. Die restlichen Kissen befestigten Sedrin und ich ebenfalls mit Schnüren an anderen Stellen seines Körpers. Schließlich nahm eine Schwangere zwar vornehmlich, aber nicht nur am Bauch zu. Dann steckten wir den armen Jungen in den eigentlich für ihn viel zu großen Bademantel. „Fertig.“, sagte Sedrin. „Und was jetzt?“ „Bringen Sie James bitte auf die eine Seite der Wiese und gehen Sie selbst bitte auf die andere, Agent.“, wies ich Sedrin an, die mir ja versprochen hatte, mir zu assistieren. Das tat sie auch.

„Jetzt tun Sie bitte, als wollten sie mit James Kämpfen!“, rief ich ihr zu. „In Ordnung!“, gab sie zurück und vollführte Bewegungen wie beim Nahkampf. Der Unterschied war nur, dass sie ihn nicht wirklich damit traf, da der Abstand zu groß war. Das war aber durchaus von mir beabsichtigt, denn ich wollte ja nicht wirklich riskieren, dass der Junge Schaden nahm.

Huxley war plötzlich wieder an mich herangetreten. „Ich flüstere Ihnen, was meine Frau da macht.“, sagte er. „Ich glaube, ich weiß was Sie bezwecken wollen. James soll bestimmt tun, als würde er sich wehren. Das kann er aber nich‘, wenn er nich’ weiß, was er tun soll. Sie wissen das ja auch nich’, weil Sie Sedrins Bewegungen nich’ sehen.“ „Danke, Sir.“, sagte ich. „Daran hatte ich tatsächlich nicht mehr gedacht. Sie behandeln mich alle so selbstverständlich, dass ich mit unter meine eigene Blindheit völlig vergesse.“ „Na, bei der Fülle an Hilfsmitteln, die Sie mittlerweile im 30. Jahrhundert haben, kann das schon mal passieren.“, sagte Huxley. „Aber ich könnte ihm die Anweisungen auch gleich selbst geben.“ „OK.“, sagte ich und wandte mich James zu: James, der Onkel Jaden sagt dir gleich ein paar Übungen, die du machen sollst. Versuch das bitte so schnell wie möglich!“ „OK, Tante Betsy!“, rief James.

Jaden und ich tauschten die Positionen. So konnte er auch besser die Bewegungen seiner Frau einsehen. „Lauf schnell nach links und nach rechts!“, wies er James an. „Tu so, als wolltest du ihren Schlägen ausweichen!“ „OK, Onkel Jaden!“, rief der kleine Junge und versuchte loszurennen. Wegen der simulierten Gewichtszunahme und der daraus resultierenden Unbeweglichkeit gelang ihm das aber nicht und er fiel hin. Da er aber auf den Rasen fiel, tat er sich nichts. Die Kissen an seinem Hintern und seinen Hüften taten auch ihr Übriges.

„Macht nichts.“, sagte Jaden. „Auch wenn du am Boden liegst, kannst du dich noch wehren. Roll dich auf den Rücken und tritt in die Luft.

James versuchte es zwar, aber da sein Körper durch die Kissen an allen möglichen Stellen sehr ungelenkig geworden war, gelang es ihm nicht. „Ich kann nich’!“, rief er. „Der dumme dicke Kissenbauch und die anderen Kissen sind im Weg. Außerdem bin ich total außer Puste!“ „Alles klar.“, sagte ich. „Genau das solltest du lernen. Bleib liegen. Wir kommen und befreien dich!“ Dann rief ich Sedrin zu: „Agent, wir brechen ab!“

Jaden und ich näherten uns James vorsichtig von der einen und Sedrin sich ihm von der anderen Seite. Dann öffneten wir die Knoten und befreiten ihn von seiner Last. „Ich denke, ich habe dich verstanden, Tante Betsy.“, sagte James. „Die mögen es nicht, Mummys zu werden, weil sie dann keine Kämpferinnen mehr sein können.“ „Genau.“, sagte ich. „Aber das ist nur ein Grund. Die anderen kann ich dir aber nicht zeigen, weil ich dir dann wehtun müsste und das will ich nicht. Dann werde ich nämlich ganz traurig, weil ich dich viel zu gern mag.“ „Das brauchst du nich’, Tante Betsy.“, sagte James. „Das reicht schon.“

„Na ja.“, meinte Jaden. „Aber wenn aus den Schwangerschaften Mädchen entstehen, dann hat es sich doch aber in den Augen der Genesianerinnen wenigstens gelohnt.“ „Wieso?“, fragte James. „Mögen die keine Jungen?“ „Jaden sah mich Hilfe suchend an. Er wusste genau, was seine unbedachte Äußerung schon wieder ausgelöst hatte. „Nein.“, sagte ich. „Das ist, weil aus Jungen Daddys werden und die Genesianerinnen glauben, Daddys sind ein Fehler. Sie glauben, dass alles angefangen hat, falsch zu laufen, seit die Daddys in die Welt kamen, weil sie von einer Göttin gemacht wurden, die das eigentlich nicht kann, weil sie für den Tod und nicht für das Leben zuständig ist. Deshalb haben Daddys bei ihnen auch keine Rechte und sie finden es total komisch und nicht gut, dass Daddys sie in so eine Situation bringen können, zumindest aus ihrer Sicht.“ „Aber du hast gesagt, dass es eine Mummy und einen Daddy braucht, damit Kinder entstehen können. Also sind doch beide gleich daran beteiligt, oder?“ „So denken wir.“, sagte ich. „Aber die Genesianer sehen das ganz anders.“ „Aber das is’ falsch!“, rief James aus. „Die glauben das Falsche! Jemand muss es ihnen erklären! Mach du das doch, Tante Betsy. Flieg hin und erklär es ihnen. Das machst du bestimmt ganz fabelhaft!“ „Tut mir leid, James.“, sagte ich. „Das darf ich nicht.“ „Warum nich’?“, fragte der sehr aufgeweckte kleine Junge.

Ich wollte gerade ansetzen, als Huxley dazwischenfuhr: „Mundhalten, Scott! Das ist ein Befehl!“ „Warum das denn, Jaden?!“, ließ sich eine genervte Sedrin vernehmen. „Weil es bestimmt zu hoch is’.“, sagte Jaden. „Sie kann doch einem Kind nich’ die Oberste Direktive erklären wollen!“ „Oh doch!“, sagte Sedrin fest. „Genau das will sie und ich bin überzeugt, dass sie das auch hinkriegen wird. Wollen wir wetten?!“ „Also gut.“, sagte Huxley. „Wer verliert, macht für den Rest des Urlaubs den Hausputz.“ „Einverstanden.“, sagte Sedrin und beide gaben sich die Hände. Joran trat aus dem Hintergrund hervor und schlug sie durch. Dabei sagte er: „Top, die Wette gilt!“

Zwischenzeitlich war Jenna mit dem Bau der Vorrichtung gut vorangekommen. IDUSA, die ihr ja die Teile dafür mittels ihres Replikators hergestellt hatte, war allerdings sehr verwundert über Jennas Eingaben gewesen. Sie konnte zwar die emotionale Seite der Verwunderung sicher nicht in dem Maße empfinden wie wir, aber sie konnte dennoch feststellen, dass die Daten von den sonst üblichen abwichen.

„Die Auswahl der Teile, die Sie benötigen, verwirrt mich, Jenna.“, sagte sie. „Darf ich erfahren, welchem Zweck Ihre Konstruktion dienen soll?“ „Das darfst du, IDUSA.“, sagte die ausgebildete Ingenieurin. „Wir beide werden ja auch schließlich gemeinsam die Software schreiben müssen, die diese Vorrichtung überhaupt funktionsfähig macht. Da ist es doch nur recht und billig, wenn ich dich über ihren Zweck informiere. Also, pass auf! Joran hat von den Quellenwesen erfahren, dass die Energie, die er trägt, an die zehn wichtigsten Punkte der interdimensionalen Schicht gebracht werden muss, wenn die Dimensionen anfangen zusammenzubrechen. Das werden wir mit Photonentorpedos erreichen, die wir dort zur Detonation bringen. Ihre Sprengköpfe werden aber keinen Explosivstoff, sondern Kristalle tragen, in denen sich die Energie befindet. Aber da muss sie ja erst mal hinein. Diese Vorrichtung wird Joran ermöglichen, sie zu übertragen. Ich werde den Vorgang mit dir zusammen überwachen und du wirst eine Datenverbindung mit unserer Heimatbasis herstellen, damit auch Zirell auf dem Laufenden bleibt.“ „Verstanden, Jenna.“, sagte der Rechner des Schiffes.

Ich hatte den kleinen James auf die Stufe des Hauseingangs gezogen und wir hatten uns dort hingesetzt. Dann sagte ich: „OK, James. Jetzt pass mal auf. Ich darf das nicht, weil es ein Gesetz gibt, dass es mir verbietet. Ja, auch wir Erwachsenen müssen uns an Regeln halten. Nicht nur ihr Kinder. Wenn ich das machen würde, dann wäre die Tante Nugura ganz böse mit mir und würde mich bestrafen, weißt du? Dann dürfte die Tante Betsy keine Offizierin der Sternenflotte mehr sein und wäre dann ganz traurig.“ „Das will ich nich’.“, sagte James traurig. „Aber warum dürft ihr das nich’? Warum dürft ihr denen nich’ erklären, dass sie das Falsche glauben?“ „Pass auf.“, sagte ich. „Wir machen das anders. Dein Daddy hat dir doch bestimmt schon Sachen verboten, weil du noch zu klein bist und du dir wehtun könntest, wenn du sie machst, weil du noch nicht begreifst, was genau passiert oder du rein körperlich noch nicht stark genug dafür bist.“ „Ja.“, sagte der kleine Junge. „OK, sag mir ein Beispiel!“, forderte ich ihn auf. „Ich darf nich’ allein mit den Leuten im Garten Feuer machen.“, sagte James. „Daddy sagt, ich bin noch zu klein und habe das nich’ im Griff. Aber größer werde ich ja von ganz allein.“ „Das stimmt.“, sagte ich. „Aber du würdest bestimmt Angst haben, wenn du das plötzlich allein machen solltest und vor allem dann, wenn dich ein Fremder versucht, dazu zu zwingen, nicht wahr?“ „Oh ja.“, sagte James. Dann hätte ich ganz doll Angst! Aber dann würde ich nach meinem Daddy rufen.“ „Stell dir mal vor, er wäre nicht da.“, sagte ich. „Ui.“, machte James und fing fast an zu weinen. „Das wäre ganz schlimm!“

Ich zog ein Taschentuch aus meiner Hosentasche und gab es James. Dann half ich ihm beim Putzen seiner Nase und nahm ihn danach fest in den Arm. „Tut mir leid.“, sagte ich. „Aber jetzt weißt du, wie sich jemand fühlt, der zu etwas gezwungen werden soll, für das er noch nicht groß oder stark genug ist. Bei den Genesianern ist das ähnlich. Sie sind einfach noch nicht so weit, ihren Glauben zu ändern. Wenn sie es überhaupt tun werden. Ihre Entwicklung kann keiner vorhersehen. Glaubst du noch an den Weihnachtsmann?“ „Ja.“, sagte James. „Es gibt ihn doch auch. Ich sehe jeden Winter seine Spuren.“

Ich gab einen Seufzer von mir. Ich konnte mir längst denken, wie Mr. O’Grady das machte. Die Stiefelabdrücke, die James gesehen hatte, würden von ihm selbst stammen. Sicher hatte er Stiefel, die er im Rest des Jahres gut versteckt hielt und nur zu diesem Anlass anzog. Die Hufabdrücke der Rentiere würden von den Pferden verursacht werden. Denen musste man ja nur etwas unter die Hufe schnallen. Sie, allen voran die liebe alte gutmütige Jessy, würden das bestimmt gern mitmachen. Das durfte ich ihm aber auf keinen Fall sagen! Sein kindlicher Glaube würde einen Knacks wegbekommen, dass es nur so krachte! Er hatte schon seine Mutter verloren und wer war ich, dass ich ihm diesen Rest heile Welt stehlen durfte? Ich entschied mich also, ihm die Wahrheit noch eine Weile vorzuenthalten. Für seine Entwicklung war das bestimmt besser.

„Woran denkst du, Tante Betsy?“ Seine plötzliche Frage hatte mich zusammenfahren lassen. „Oh nichts.“, sagte ich. „Wo waren wir?“ „Du hattest mich gefragt, ob ich noch an den Weihnachtsmann glaube.“, sagte James. „Ach ja, der Weihnachtsmann.“, sagte ich. „Stell dir vor, jemand würde dich auslachen und dir sagen, das sei Quatsch. Den gebe es gar nicht. Was würdest du dann fühlen?“ „Ich wäre wütend auf den.“, sagte James. „Ich würde den ganz blöd finden.“ „OK.“, sagte ich. „Und was glaubst du, würden die Genesianerinnen machen, wenn ihnen das jemand von uns erzählen würde? Stell dir vor, jemand würde hingehen und zu denen sagen, dass ihr Glaube Quatsch sei. Was denkst du, würden sie tun. Denk dran, sie sind ein Volk aus Kämpferinnen.“

Der kleine Junge zog hörbar Luft ein. Dann sagte er mit zitternder Stimme: „Glaubst du, sie würden Krieg machen? Krieg gegen die Föderation?“ Ich nickte. „Ui.“, machte James. „Das is’ nich’ gut.“ „Nein, das ist es nicht.“, bestätigte ich. „Ich glaube, ich habe dich verstanden.“, sagte er. „Jetzt weiß ich, warum es nich’ gut is’ wenn man sich bei anderen einmischt. Das kann auch ganz blöd für die sein und auch für einen selbst.“ „Richtig.“, lobte ich.

Joran hatte die gesamte Situation als Schiedsrichter beobachtet. „Ich hoffe, du hast ein gutes Mittel gegen Spülhände, Jaden El Taria.“, grinste er zu Huxley hinüber. „Das werde ich mir wohl besorgen müssen, Verdammt!“, gab der sichtlich enttäuschte Amerikaner zurück. „Ich will mal nicht so sein, Jineron.“, sagte Sedrin. „Ich verzichte auf meinen Preis und helfe dir auch weiterhin.“ „Vielen Dank, Jinya Demetana.“, sagte Jaden. Dann murmelte er noch vor sich hin: „Die könnte ’nem Esel den Warpantrieb erklären.“, und zeigte auf mich.

Eine kleine Schelle zerriss die Stille. Dann hörten wir ein aufgeregtes: „Min-Mang!“ Im gleichen Augenblick sah man einen schwarzen kleinen Schatten um die Ecke biegen. Es war Caruso. Er musste sich aus der Hütte begeben haben. Wie er das gemacht hatte, war mir längst klar. Schließlich mussten Jenna und Joran ja auch mal lüften. Der Kater würde durch ein offenes Fenster geklettert sein. Aber nicht nur Caruso war aufmerksam geworden. Auch Joran hatte das Gesicht verzogen. Jetzt sah er etwas alarmiert drein. „Was is’ los, Kumpel?!“, flapste Jaden ihm zu. „Ich denke, Invictus‘ Kräfte sind wiedererwacht.“, sagte der Vendar. „Ihr wisst alle, dass ich, als Telepathenjäger, in der Lage bin, das zu spüren. Caruso könnte das auch gespürt haben. Es ist doch bekannt, dass Katzen Telepathie spüren können.“ „Das kann ich nur bestätigen.“, sagte Sedrin, die Caruso genau beobachtet hatte. „Er läuft in Richtung Pferdestall.“ „Dann nichts wie hinterher!“, sagte Jaden.

Erneut verzog Joran das Gesicht. „Ich werde euch nicht begleiten können.“, sagte er. „Es ist Zeit. Ich muss an Bord unseres Schiffes.“

Tchiach hielt ihrem Vater ihr eigenes Handsprechgerät hin, das er dann auch benutzte. „Danke, meine kleine pflichtbewusste Tchiach.“, sagte Joran erleichtert. „Gern geschehen, Vater.“, sagte der Vendar-Teenager.

Jenna war mit dem Bau der Vorrichtung gerade fertig geworden, als IDUSA Jorans Ruf empfing. „Jenna, Wir werden von Joran gerufen.“, sagte sie. „Er möchte an Bord gebeamt werden. Er sagt, es wäre Zeit, die Energie zu übertragen.“ „Das Timing ist perfekt.“, sagte Jenna. Hol ihn!“ „Sofort, Jenna.“, sagte IDUSA und führte den Befehl der Ingenieurin aus.

Joran fand sich wenige Sekunden später neben ihr wieder. „Ist die Vorrichtung fertig, Telshanach?“, fragte er. „Das ist sie.“, sagte Jenna. „Da ich ja wusste, wozu sie da sein soll, habe ich sie auch gleich entsprechend bestückt.“

Sie nahm die beiden Griffe und hielt sie ihm hin, nachdem er sich gesetzt hatte. „Lass es zu, Joran.“, flüsterte sie ihm zu. „Lass die Übertragung einfach geschehen. IDUSA und ich werden schon darauf achten, dass nichts Schlimmes geschieht.“ Joran nickte nur: „Ja, Telshanach.“, und entspannte sich. Dann befahl sie dem Rechner: „Aktiviere die Vorrichtung, IDUSA!“ „Ja, Jenna.“, gab der tindaranische Rechner zurück und tat, was Jenna ihr befohlen hatte. An den Symbolen auf dem Schirm konnte diese gut sehen, dass alles gut vonstattenging. Jenna hatte aber auch nichts anderes erwartet. Sie wusste, dass die Quellenwesen auch auf Joran aufpassten und mit Sicherheit keine Komplikationen zulassen würden.

 

 

Kapitel 87: Der Geheimauftrag

von Visitor

 

Wir hatten inzwischen den Pferdestall erreicht. Hier hatte Caruso angehalten und sich vor die Tür gesetzt, ein Verhalten, das ich normalerweise nur von Hunden aber wohl kaum von Katzen kannte. Shimar aber hatte mir berichtet, dass er dies schon einmal bei ihm gesehen hatte. Damals hatte ihm Caruso unbedingt zeigen wollen, wo ich war und in welcher Situation ich mich befand. Also konnte es sehr gut möglich sein, dass er uns gegenüber damit ausdrücken wollte: „Hier ist das Problem und nicht anderswo!“ Das wiederum wäre typisch Katze, denn Katzen konnten sehr beharrlich und bestimmt sein, wenn es darum ging, ihre Interessen durchzusetzen. Wir, die wir ihm alle gefolgt waren, blieben stehen und Sam öffnete die Stalltür.

Er traute allerdings seinen Augen kaum, als sich ihm ein sicher auf seinen vier Beinen stehender und gehender Invictus näherte. „Na, das ging aber schnell mit der Heilung.“, sagte er und sah Sedrin Hilfe suchend an. „Die Mächtigen besitzen unheimliche Selbstheilungskräfte.“, erklärte die demetanische Agentin. „Aber Sie hatten doch gesagt, er habe sie total eingebüßt.“, erkundigte sich der leicht verwirrte Farmer. „Das hatte er auch.“, sagte Sedrin. „Aber offenbar ist es uns gelungen, die Zellen in seinem telepathischen Zentrum wieder zu stimulieren, wie wir es auch beabsichtigt hatten.“ „Heißt das, er wird uns bald wieder verlassen?“, fragte O’Grady. „Das wird es wohl heißen.“, vermutete Huxley. „Ich kann mir nich’ denken, dass er länger als nötig im Jammertal bei uns Sterblichen sein will.“

Sedrin warf ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu. „Leute mit Ansichten wie den deinen sind es, die es den Mächtigen wie Tolea oder auch Dill oder Logar unmöglich machen, einen Dialog mit uns aufzubauen.“, sagte sie. „Die Welt ist nicht schwarz-weiß, Jaden H Huxley! Ich hatte eigentlich gehofft, das hättest du in der Zwischenzeit gelernt!“ „Na, wer bei Ihnen beiden die Hosen an hat, ist mir klar.“, grinste Sam.

Während der gesamten Diskussion hatte niemand auf mich geachtet, die ich mich leise Invictus genähert hatte. Ich konnte nicht anders. Ich musste plötzlich auf ihn zugehen und sein Fell berühren. Sicher war das nicht vielen Sterblichen je erlaubt gewesen, aber ich genoss es auch. Er war so weich wie ein Seidenkissen!

Kaum hatte ich ihn aber berührt, hörte ich seine Stimme in meinem Geist: Du hast mir geholfen, Auserwählte meiner Tochter, also werde ich jetzt auch dir helfen. Du wirst es sein, die einen entscheidenden Teil dazu beitragen wird, den Krieg zwischen meiner Partnerin und mir zu beenden. Du wirst es sein, die jenes unheilige Band zwischen Sytania und ihr zerstören wird. Damit du das kannst, werde ich dir eine Vision geben von dem, was geschehen ist, als Valora und ich damals die Vision von den Quellenwesen empfingen. Sie war genauso erschüttert wie ich. Nur hat sie die falschen Schlüsse daraus gezogen. Um sich zu erinnern, soll sie aus deinem Kopf lesen, was sie und ich damals getan und gedacht haben!

Es gab ein Geräusch. Dann sah ich Valora vor mir. Sie stand gemeinsam mit Invictus auf einer Wiese im Dunklen Imperium. Zumindest kam mir einiges danach vor. Die Gerüche und die Akustik hatten es mir verraten. Beide mussten gerade die Vision von den Quellenwesen empfangen haben. Jedenfalls hörte ich Valora zu Invictus telepathisch sagen: Es ist schrecklich, Invictus! Die armen Sterblichen! Ihrer Freiheit und ihres freien Willens beraubt und hin- und hergeschoben wie Schachfiguren! Wie können sich unsere Kinder und deren Kinder nur so versündigen! Oh wie kann das sein?! Wie kann das sein, Invictus?! Was können wir nur tun, damit diese Vision nicht wahr wird?! Was können wir nur tun?! Sie ließ traurig die Ohren hängen. Ich werde meinen Freund Grandemought von Zeitland fragen., sagte Invictus. Er weiß in solchen Fällen meistens Rat. Aber soweit ich das verstanden habe, gibt es da nur eine Lösung. Wir beide, Valora, wir müssen uns von Zeit zu Zeit mit Sterblichen paaren, um unsere Kinder daran zu erinnern, wie kostbar das Leben ist. Wenn sie eine Spur Verwundbarkeit in sich behalten, dann dürften sie sich immer daran erinnern und nicht zu überheblichen Opfern ihrer Gier nach Macht werden. Ich werde gleich nach Zeitland aufbrechen. Tu das, mein kluger Invictus., sagte Valora, der es angesichts seiner Worte schon viel besser ging.

Die Vision endete, aber Invictus nahm seinen Einfluss noch nicht von mir. Das bekamen jetzt vor allem die anderen zu sehen, denn ich ging plötzlich aus dem Stall und auf das Haus der O’Gradys zu. „Hey, Scott!“, rief Huxley mir hinterher. „Kommen Sie zu sich!“ Er musste meinen abwesenden Blick gesehen haben. „Sie kann dich nicht hören, Jaden El Taria.“, sagte Tchiach. „Sie ist im Zustand des Tembrakelmosh.“ „Im Zustand von was?!“, fragte der Amerikaner etwas empört. Sein Unwissen hatte ihn wieder einmal bloßgestellt und Commander Jaden H. Huxley mochte es nun einmal gar nicht, vor anderen bloßgestellt zu werden, obwohl es oft genug Gelegenheit dazu gegeben hatte. Da stand er leider Captain Archer in nichts nach. „Und woher weißt du das überhaupt? Du hast doch gar keinen Erfasser benutzt! Wollt ihr mich alle veralbern?!“ „Sie ist eine Vendar, Jaden!“, mischte sich Sedrin ein und wies ihn zurecht. „Ihre Spezies ist in der Lage, telepathischen Einfluss wahrzunehmen! Tchiach, was bedeutet das Wort, das du gerade benutzt hast, genau?“ „Ich kenne das englische Wort dafür nicht, Sedrin El Demeta.“, sagte die Kleine. „Aber wir haben mein Sprechgerät. Ich hatte es meinem Vater ja nur hingehalten. Das Rufzeichen unseres Schiffes dürfte noch gespeichert sein. Lass mich IDUSA rufen und ihr sagen, sie soll dir das Wort übersetzen. Dann kann sie auch gleich alles aufzeichnen, was hier jetzt passiert. Wer weiß, wozu es gut ist.“ „Sehr gut, Tchiach!“, lobte Sedrin. „So machen wir es!“

Der Vendar-Teenager zog ihr Sprechgerät und betätigte die Rufwiederholung. Tatsächlich reagierte IDUSA sofort auf den Ruf. „Was gibt es denn, Tchiach?“, fragte sie. „Wir benötigen deine Hilfe, IDUSA.“, sagte Tchiach. „Bitte übersetze mir doch den Begriff Tembrakelmosh ins Englische und zeichne alles auf, was die Kamera meines Sprechgerätes dir jetzt überträgt.“ „Gern.“, sagte das Schiff. „Aber schalte das Gerät doch vorher bitte auf Lautsprecher, damit alle mich hören können, wenn ich die Übersetzung liefere.“ „OK.“, sagte Tchiach. „Und zeig du aber auch bitte Stiefmutter Jenna und meinem Vater, was hier geschieht, ja?“ „Du kannst dich auf mich verlassen, Tchiach.“, sagte IDUSA.

Über die technischen Werte des Schiffes hatte Jenna mitbekommen, dass die zu verarbeitenden Daten mehr geworden sein mussten. Aber auch die Leuchte auf der virtuellen Konsole des Sprechgerätes vor ihrem geistigen Auge hatte ihren Teil dazu beigetragen. „Was machst du da, IDUSA?“, fragte die Technikerin des tindaranischen Militärs. „Ich habe gerade einen Ruf von Jorans Tochter erhalten, Jenna.“, sagte das Schiff. „Sie bittet mich um die Übersetzung des vendarischen Begriffes Tembrakelmosh ins Englische und darum, alle Dinge, die Tchiach uns zeigt, aufzuzeichnen. Sie beide, also Joran und Sie, Jenna, sollen außerdem alles beobachten.“ „Dann zeig es uns, IDUSA!“, befahl Jenna.

Durch die halb geöffnete Tür zwischen Cockpit und Achterkabine hatte Joran ihre Antworten mitbekommen. Er hatte sich nach der Übertragung hingelegt, um sich zu erholen. Aber jetzt gaben ihm die Dinge, die sie gesagt hatte, doch Rätsel auf und machten ihn sehr neugierig. Also war er aufgestanden und an sie herangetreten, um sie zu fragen: „Was ist los, Telshanach?“ „Genau weiß ich das auch noch nicht.“, entgegnete sie. „Aber wir werden es gleich sehen. Bitte nimm deinen Neurokoppler. Ich denke, da unten wird etwas passiert sein.“ „In der Tat!“, bestätigte der Vendar und zog seinen Neurokoppler aus der Tasche, um ihn an einen Port an der Konsole vor dem Sitz neben Jennas anzuschließen.

Leider hatte auch der kleine James von der Sache Wind bekommen. „Was ist mit Tante Betsy?!“, rief er aufgeregt aus.

Erschrocken drehte sich Sedrin nach ihm um. Sie hatte gar nicht mehr auf dem Schirm, dass er überhaupt noch da war. „Verdammt!“, entfuhr es ihr. „Sam, bitte bringen Sie Ihren Sohn ins Haus! Ich habe keine Ahnung, was jetzt gleich passiert und bevor dieses Kind etwas sehen könnte, das ihn bis an sein Lebensende traumatisiert, sollte er hiervon besser gar nichts sehen.“ „OK, Agent.“, sagte Sam und nahm seinen Sohn bei der Hand. Dann gingen beide in Richtung Haus. „Es wird sicher nichts Schlimmes geschehen, Sedrin El Demeta.“, tröstete Tchiach. „Wenn Betsy El Taria unter einem bösen Einfluss wäre, dann würde ich das spüren.“ „Das denke ich mir, Tchiach.“, sagte Sedrin. „Aber für einen 6-Jährigen dürfte die Situation an sich sehr beunruhigend sein. Er versteht ja sicher nicht, was hier gerade passiert und ich möchte nicht, dass er mit dem Trauma aufwächst, Telepathen sind unheimlich und tun unheimliche Dinge mit einem, wenn man nicht aufpasst. Die meisten Telepathen, außer Sytania vielleicht, sind nämlich gar nicht so.“ „Ich verstehe.“, sagte die kleine Vendar.

Das Sprechgerät in Tchiachs Tasche hatte gepiept. „Oh ich hätte ja IDUSA fast vergessen.“, sagte sie und holte es hervor. Dann hielt sie sich das Mikrofon an den Mund und sagte: „Wir sind bereit, IDUSA! Ich schalte jetzt auf Lautsprecher!“ „OK, Tchiach.“, ließ sich die elektronische Stimme des Schiffsrechners in Tchiachs Ohrhörer vernehmen. Dann verriet ein leises Klicken, dass sie umgeschaltet hatte. „Ladies und Gentlemen!“, vernahmen jetzt alle IDUSAs Stimme. „Die Übersetzung des Wortes Tembrakelmosh lautet: verborgene Leine oder auch: verborgener Zügel. Es beschreibt einen Zustand, in welchem sich jemand unter dem direkten Einfluss eines Telepathen befindet.“ „Hab Dank, IDUSA.“, sagte Tchiach. Dann steckte sie das Gerät wieder ein, ließ es aber einige Zentimeter aus ihrer Tasche schauen. Nur so viel, dass die Linse der Kamera alles gut überblicken konnte. Auch die Verbindung wurde nicht beendet. Schließlich benötigten sie diese ja noch. Die junge Vendar musste sich jetzt nur bemühen, immer in meiner Nähe, also am Ort des Geschehens, zu bleiben. Aber da Tchiach sehr flinke Beine hatte, war dies für sie kein Problem.

Auch alle anderen folgten mir, die ich langsam aber zielstrebig in Richtung von Sams Haus unterwegs war. Hier ging ich zum Replikator im Wohnzimmer und machte einige Eingaben. Sedrin hatte Sam angewiesen, mir sämtliche Türen zu öffnen, durch die ich gehen wollte und mich auch an keiner Tätigkeit, so absurd sie auch anmuten mochte, zu hindern. „Wir wissen nicht, was Invictus von uns will oder uns durch Allrounder Scott zu zeigen gedenkt.“, hatte sie gesagt. „Ihm und ihr dazwischen zu funken, könnte unter Umständen eher kontraproduktiv sein.“

Besorgt hatte Jaden meine Eingaben beobachtet. Er sorgte sich aber nicht um mich, wie sich bald herausstellen sollte. Mit einem ängstlichen Blick in Richtung seiner Frau flüsterte er: „Hast du nicht irgendein geheimdienstliches Werkzeug, mit dem du seinen Einfluss von ihr nehmen kannst, Jinya? Ich dachte da an Rosannium-Spray oder so etwas.“ „Du darfst zwei Dinge nicht vergessen, Jaden!“, sagte die Agentin jetzt sehr laut und sehr deutlich. „Invictus ist unser Freund und wird ihr nichts tun! Da bin ich sicher! Außerdem habe ich keine Technologie mitgenommen! Genau wie du auch nicht. Ich beabsichtigte nämlich, mich an Cupernicas Verbot zu halten! Jedenfalls solange es irgendwie möglich ist! Für die anderen Fälle sind ja jetzt genug Leute da, von denen ich mir Geräte leihen kann! Das zweite Ding, das du unbedingt wissen solltest, ist die Tatsache, dass sich Invictus garantiert nicht für Sternenflottentechnologie und erst recht nicht für die Funktionsweise von Replikatoren interessiert. Er kann Dinge mit einem einzigen Gedanken regeln! Denkst du ernsthaft, da hält er sich mit dem Ergründen primitiver Technik auf?!“ „Du hast ja Recht, Sedrin.“, sagte Jaden kleinlaut. „Ach, offenbar ist der Gedanke, ich müsse dafür sorgen, dass unsere Technik auf keinen Fall in die falschen primitiven Hände gerät, bei mir so festgefahren, dass ich gar nicht mehr nachdenke. Ich weiß, das ist ja ohnehin nicht meine starke Seite. Aber offenbar hatte ich mich von Invictus‘ Aussehen aufs Glatteis führen lassen.“ „Ein Problem, das Allrounder Scott eindeutig nicht hat!“, sagte Sedrin.

Sam hatte seinen Sohn in dessen Zimmer gebracht, ihm noch eine Geschichte vorgelesen und ihn dann ins Bett geschickt. Er wusste, dass der Kleine sich sehr vor der Situation erschrocken haben musste und jetzt sicher Trost brauchte. Danach war er zu uns zurückgekehrt. Zu uns, die wir noch immer um den Replikator herumstanden.

Das Gerät spuckte auf meine Eingaben hin plötzlich eine Menge Packungen mit Ton aus. Diese trug ich einzeln in den Garten. Dann folgten noch Werkzeuge, wie sie mir aus diversen Töpferkursen, die ich in meinem Leben bereits besucht hatte, sehr gut bekannt waren. Auch diese brachte ich dort hin. Ich bemerkte zwar auch, dass ich etwas tat, mir kam alles aber wie ein langer seltsamer Traum vor.

Ich drehte mich, nachdem ich sozusagen meinen Arbeitsplatz eingerichtet hatte, wieder den anderen zu und sagte deutlich und langsam: „Es wird nun Zeit zu verstehen!“ Dann ging ich in den Garten auf die Wiese, auf der ich die Sachen gelagert hatte. Hier begann ich nun damit, aus langen Strängen aus Ton eine Art Schachbrettmuster auf die Wiese zu legen. Dann machte ich große Kugeln aus einigen Blöcken, die sich in ihrer Größe voneinander unterschieden. Diese legte ich in bestimmter Anordnung auf das Spielbrett.

„Was macht sie da?“, fragte Jaden zu Sedrin gewandt. Die Demetanerin wandte sich meinem Werk zu und beobachtete es länger. Dann sagte sie: „Der Anordnung nach könnten das Planeten sein, Jineron. Sie formt offenbar Sonnensysteme.“ „Wozu soll das gut sein?“, fragte Sam. „Abwarten.“, sagte Sedrin. „Vertrauen wir Invictus. Er wird schon wissen, was er mit ihr tut.“ „Dein Wort in Mutter Schicksals Gehörgang.“, sagte Jaden skeptisch.

Ich hatte weitere Blöcke aus Ton herangeschleppt und aus ihnen zwei lebensgroße Fohlen geformt, die beide ein Horn auf der Stirn hatten. Sie standen mit den Blicken zum Spielfeld gewandt, als wollten sie die Schachfiguren nur durch ihre Gedanken bewegen. Der Ausdruck in ihren Gesichtern gab sehr starke Konzentration wieder. Dann platzierte ich noch einige Kugeln außerhalb des Schachspiels.

„Was hat das verdammt noch mal zu bedeuten?!“, wollte Jaden wissen und zeigte auf das Geschehen. „Scott, was machen Sie …?“

Sedrin knuffte ihren Mann unsanft in die Seite und warf ihm einen tadelnden Blick zu. „Spar deine heiße Luft, Jaden.“, sagte sie. „Tchiach hat uns doch gerade erklärt, dass Betsy uns jetzt nicht verstehen kann. Aber vielleicht gibt es einen Weg. Es gibt sicher auch Vendar, die den Einhörnern direkt dienen. Tchiach, bitte geh zurück in den Stall und flüstere Jadens Frage direkt in deiner Muttersprache in Invictus’ Ohr!“ „Wie du wünschst, Sedrin El Demeta.“, sagte die Vendar, lächelte und ging langsam davon. „Du denkst ernsthaft, das wird etwas bringen?“, fragte Jaden, dem Sedrin nur einen abwartenden Blick zuwarf.

Tchiach war zurückgekehrt. „Ich habe getan, worum du mich gebeten hast, Sedrin El Demeta.“, sagte sie. „In Ordnung.“, sagte Sedrin.

Im gleichen Moment drehte ich mich allen zu, zeigte hinter mich auf das Schachbrett und sagte sehr bestimmt: „Fotar!“ „Das bedeutet Zukunft.“, übersetzte Tchiach. „Das würde uns also blühen, wenn die Einhörner zuließen, dass sich Mächtige nur mit Mächtigen paaren.“, schlussfolgerte Sedrin.

Ich war am Rand des Spielfeldes zusammengebrochen. Sofort eilten alle zu mir. „Sie scheint zu schlafen.“, stellte Sedrin fest. „Ich denke, das war Invictus’ Absicht. Sie jetzt hier erwachen zu lassen, hätte sie sicher nur verwirrt. Aber wenn sie glaubt, sie habe alles nur geträumt, dann ist das sicher etwas anderes. Helfen wir ihm, diese Kulisse aufrecht zu erhalten! Fasst an! Wir bringen sie in ihr Bett!“

Alle nickten und versammelten sich um mich. Dann nahm Jaden meine Füße und Sam meine Schultern und meinen Kopf und so brachte man mich in die Hütte und in unser Schlafzimmer. Sedrin war vorangegangen und hatte die Türen geöffnet und die Decke zurückgeschlagen, damit mich die Männer hinlegen konnten. Dann war sie noch einmal in Sams Haus gegangen, um mit Hilfe des Sprechgerätes für Gäste einiges zu regeln. Sie würde ihre Partnerin verständigen müssen. Dieser Garten war jetzt schließlich ein Tatort in ihrem neuesten Fall.

Sedrin war in den Raum mit dem Sprechgerät gegangen und hatte Sam danach aufgefordert, diesen zu verlassen. Da sie ja, wie allen bekannt sein dürfte, für den Geheimdienst arbeitete, durfte sie es ja nicht riskieren, dass er vielleicht das Rufzeichen sah, das sie eingab, oder dass er gar das Gespräch mitbekam. Das war auch der Grund, aus dem sie nicht das direkte Rufzeichen ihres Büros eingab, sondern das öffentlich bekannte benutzte. Auch in der Rufwiederholung wollte sie keine verräterischen Informationen hinterlassen.

Kelly war sehr erstaunt, als sie Sedrins Bild auf dem Schirm ihres Arbeitsplatzes sah. Die Vermittlerin konnte sich zwar auch auf das unbekannte Rufzeichen keinen Reim machen, sie hatte aber an der planetaren Kennung erkannt, dass es sich um eines von der Erde handeln musste. Die Abteilung für feindlichen außerirdischen Einfluss war ja für ganz Terra zuständig und nicht nur für Little Federation oder Amerika. Die Tatsache, dass sie im Polizeigebäude von Little Federation untergebracht war, tat dem keinen Abbruch.

„Notrufzentrale, was kann ich für Sie tun?“, meldete sich Davis routiniert. Erst danach hatte sie Sedrin erkannt. „Agent, was gibt es?“, fragte sie. „Warum melden Sie sich über dieses fremde Rufzeichen und warum benutzen Sie nicht das direkte, durch das Sie gleich mit Ihrer Partnerin sprechen würden? Hatten Sie nicht Urlaub?“, fragte Kelly etwas verwundert. „Ich erkläre Ihnen alles bei Gelegenheit, Kelly.“, sagte Sedrin. „Ihren Äußerungen entnehme ich, dass Kate im Haus ist. Bitte verbinden Sie mich so schnell wie möglich mit ihr! Ich benutze ein halb öffentliches Sprechgerät. Es wäre wahrhaftig nicht gut, wenn jemand in der Rufwiederholung auf Kates und mein direktes Rufzeichen stoßen würde, Sie verstehen?“ „Schon gut.“, sagte Kelly und lächelte. „Ich verbinde.“ Damit stellte sie Sedrin an Malkovich durch.

Kate war ebenso überrascht über Sedrins Ruf, wie es Kelly gewesen war. „Hey, Urlauberin!“, lästerte sie lächelnd ins Mikrofon. „Du kannst wohl auch nicht ohne mich, was? Da denkt man, du machst dir einen faulen Lenz und liegst in der Sonne und was passiert, die Kollegin beehrt einen mit einem SITCH! Spuck’s aus! Du willst doch bestimmt nicht nur Urlaubsgrüße übermitteln.“ „Du hast Recht, Kate.“, sagte Sedrin. „Es geht um unseren Fall und um Allrounder Scott. Aber es würde definitiv zu lange dauern, dir alles hier am SITCH zu erklären. Pack bitte einige Jungs von der Spurensicherung ein und dann kommt so schnell wie möglich hierher!“ „Oh je!“, stöhnte Kate. „Was ist denn passiert? Du machst ja ein Riesendrama aus der Sache!“ „Ihre Träume.“, sagte Sedrin. „Haben definitiv mit den Einhörnern zu tun. Sie hat sich unter direktem Einfluss von Invictus befunden, als sie uns eine Skulptur gemacht hat, die uns verdeutlichen soll, was mit uns passieren kann, wenn sich Mächtige nur immer mit Mächtigen paaren und warum es notwendig war, dass Invictus Fohlen mit Kipana oder anderen sterblichen Stuten zeugt. Ach, wir reden später darüber. Bitte kommt her! Ich habe alles mit dem Besitzer dieses Grundstücks besprochen.“ „Geht klar.“, lächelte Kate. „Verlass dich auf mich.“ „Danke, Kate.“, sagte Sedrin erleichtert. „Entschuldige bitte, dass ich so kurz angebunden bin. Aber ich will Allrounder Scott nicht so lange allein lassen.“ „Schon gut.“, lächelte Malkovich. „Gib mir etwa vier Stunden. Dann werde ich alles geregelt haben und bin dann sofort da!“ „OK.“, sagte Sedrin und beendete die Verbindung. Dann machte sie sich wieder auf den Weg zu mir.

Kapitel 88: Heimlicher Aufbruch

von Visitor

 

Ich war aber auch nicht allein. Ich hatte einen kleinen kuscheligen Gesellschafter bekommen. Durch ein geöffnetes Fenster musste Caruso in mein Schlafzimmer gekommen sein. Seine kleine Schelle, die er immer trug, war ein für mich sehr gut bekanntes und erfreuliches Geräusch.

Der Kater sprang auf mein Bett und rieb laut schnurrend seinen Kopf an meiner rechten Wange. Dann ging er bis zu meinem Bauch vor und legte sich dort auf die Decke. Während er sich zusammenrollte, wurde vergnügt weitergeschnurrt. „Ich dich auch, mein kleiner Miezenmann.“, sagte ich, die ich sein Verhalten sehr gut einordnen konnte. „Ich meine …“ Dann setzte ich mich auf, meine Hände suchten seinen Kopf und ich rieb meine rechte Wange daran. Das war etwas, das er mit Sicherheit sehr gut verstanden hatte.

Sedrin hatte den Raum betreten und mich angesprochen: „Ich bin es, Betsy.“ „Hallo, Agent.“, hatte ich ruhig gesagt. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie. „Ja.“, sagte ich. „Bis auf die Tatsache, dass ich nicht weiß, wie ich in mein Bett gekommen bin und dass ich einen verrückten Traum hatte, ist alles OK. Aber das passiert wohl, wenn man die Auserwählte eines Einhorns wird. Ich habe aber keine Angst. Caruso hat mich schon getröstet.“

Die Agentin setzte sich auf meine Bettkante. „An was erinnern Sie sich?“, fragte sie. „Ich war mit Ihnen allen im Stall bei Invictus.“, sagte ich. „Dann war ich plötzlich gezwungen, mich ihm zu nähern und ihn zu streicheln. Dann habe ich geträumt, ich wäre zum Replikator in Sams Haus gegangen und hätte Unmengen von Ton repliziert. Daraus hätte ich eine Skulptur gemacht. Außerdem hat mir Invictus gesagt, ich sei die Einzige, die jene Freundschaft zwischen Sytania und Valora zerstören könnte.“

Ich hatte etwas Feuchtes und Schmutziges auf Carusos Fell gespürt. Es war genau dort überall, wo ich ihn gestreichelt hatte. „Warum bist du denn so schmutzig, Caruso?“, fragte ich. „Er wird schmutzig sein, weil Ihre Hände es sind.“, erklärte Sedrin. „Das war nämlich kein Traum. Invictus hat tatsächlich Einfluss auf Sie genommen. Er wird nur gewollt haben, dass Sie seinen Einfluss als Traum verarbeiten, damit es für Sie nicht so verwirrend ist. Jene Skulptur im Garten gibt es nämlich auch wirklich.“ „Ach du meine Güte, Agent!“, rief ich aus. „Ich habe gar nicht gewusst, dass ich schlafwandle. Können Sie mir mein Kunstwerk zeigen?“ „Später sehr gern.“, sagte Sedrin diplomatisch. „Jetzt sollten Sie sich aber erst einmal ausruhen. Caruso wird Ihnen sicher gern dabei helfen, sich zu entspannen.“

Sie wandte sich dem Kater zu: „Habe ich Recht, kleiner Panther?“ Caruso antwortete ihr mit einem lauten festen: „Min-Mang!“ und räkelte sich demonstrativ. Dann schnurrte er weiter. „Ich würde sagen, das war ein klares Ja.“, sagte Sedrin und lächelte. „Oder was sagen Sie dazu, als Hobbyverhaltensforscherin?!“ „Ich sehe das genauso.“, sagte ich. „Caruso wird schon auf mich aufpassen.“ „Dann kann ich ja beruhigt gehen.“, sagte Sedrin und wandte sich um. Dann verließ sie das Schlafzimmer.

Caruso und ich waren wieder allein. Ich drehte mich erneut zur Wand. Eigentlich hatte ich schlafen sollen, eine Tatsache jedoch, die ich Sedrin verschwiegen hatte, ließ mich nicht ruhen. Den Teil über die Genesianer hatte ich absichtlich weggelassen. Ich konnte ihr, einer Hüterin der Gesetze der Föderation, ja wohl schlecht sagen, dass ich demnächst vorhatte, das heiligste von ihnen zu übertreten! Gerade ich, als Offizierin der Sternenflotte, durfte das ja eigentlich nicht. Aber wenn Invictus meine Hilfe benötigte, dann musste es wohl so sein. Schließlich stand hier weitaus mehr auf dem Spiel als die Gesetzbücher der Föderation. Trotzdem musste mir etwas einfallen, wie ich mich heimlich davonstehlen konnte. Bevor ich allerdings weiter darüber nachdenken konnte, war ich bereits fest eingeschlafen.

Es dauerte allerdings noch nicht einmal die von Malkovich angekündigten vier Stunden, sondern nur zwei. Deshalb war auch Sedrin sehr überrascht, ihre Partnerin wenig später bereits im Garten der O’Gradys stehen zu sehen. Aber Kate war nicht allein gekommen. Tatsächlich wurde sie von einigen Agenten der Spurensicherung begleitet, die sofort ausschwärmten und sich mit Hilfe ihrer Erfasser Bilder von der Situation machten. Dies war etwas, das Sam mit großem Argwohn beobachtete.

„Es besteht für Sie überhaupt kein Grund zur Beunruhigung.“, tröstete Sedrin den armen Farmer, der mit fast verzweifeltem Blick neben ihr stand. „Meine Leute werden Ihre Blumenbeete schon ganz lassen.“ „Das bezweifele ich nicht, Agent.“, sagte Sam. „Ich bin mir nur nicht so sicher, ob die Tatsache, dass einige Agenten in meinem Garten herumstreichen, gut für meinen guten Ruf sein wird.“ „Machen Sie sich doch bitte nicht immer so viele Sorgen.“, sagte die Agentin. „Ich kann nun wirklich nicht nachvollziehen, warum sogar Unschuldige offenbar solche Angst vor Polizeibehörden oder ähnlichen Institutionen haben. Solange Sie selbst keine Leichen im Keller haben, sehe ich da keine Schwierigkeiten.“ Bei ihrem letzten Satz lächelte sie. „Da haben Sie ja eigentlich ganz Recht.“, sagte Sam. „Ich kann es ja selbst nicht nachvollziehen, aber …“ „Ach, das geht vielen so.“, sagte Sedrin. „Und die können es sicher auch nicht. Aber um noch mal auf Ihre Sorge wegen der Touristen zurückzukommen. Die kommen sicher jetzt noch umso lieber. In der Nähe Ihrer Farm ist Stonehenge. Das ist schon mal mysteriös. Wenn sie dann noch von der Sache mit der Skulptur erfahren, dann sind sie sicher noch viel stärker fasziniert. Die Art von Touristen, die zu Ihnen kommt, Sam, liebt doch ohnehin das Mysteriöse, nicht wahr?“ „Das ist wohl wahr.“, sagte O’Grady. „Aber soll das etwa heißen, Sie sperren meine Farm nicht?“ „Ich will ehrlich sein.“, sagte Sedrin. „Für die Dauer unserer Ermittlungen dürfen Sie keine weiteren Urlauber aufnehmen, da nichts verändert werden sollte. Aber wenn wir alle fort sind, dann kann der Betrieb hier ganz normal weitergehen. Wie gesagt, wir finden sicher einen Weg, die Skulptur in Ihr Konzept einzubinden, ohne dass zu viele Leute erfahren, was hier wirklich passiert ist. Wenn Sie wollen, dann helfe ich Ihnen sogar dabei, bevor wir Sie wieder verlassen. Ich bin ausgebildete Agentin. Ich weiß, wie man formulieren darf, damit die Leute einem nur das abnehmen, was sie einem abnehmen sollen. Vertrauen Sie mir. Ich kenne mich da aus.“ „Na gut, Sie kleine demetanische Füchsin.“, sagte Sam und grinste sie an.

Sedrin hatte Kates winkende rechte Hand erspäht. „Bitte entschuldigen Sie mich kurz.“, sagte sie und setzte sich in Richtung ihrer Partnerin in Bewegung, die jetzt mit einigen anderen Agenten vor der Skulptur stand. „Hi, Kate.“, sagte Sedrin. „Gut, dass du so schnell kommen konntest. Aber ich wusste gar nicht, dass du so eine Tiefstaplerin bist. Die Verfahren für sämtliche Genehmigungen in zwei, statt in vier Stunden abzuschließen und dann auch noch so schnell hierher zu kommen, halte ich schon für eine ganz schön stramme Leistung. Was musstest du tun, Um Tamara davon zu überzeugen?“ „Eigentlich nicht viel.“, sagte Kate und lächelte. „Ich hatte die Mail mit der Anfrage kaum abgeschickt, da war ihr Ja schon da. Ich denke, sie hat nur den Betreff gelesen und sich ihren Teil gedacht. Ich bin davon überzeugt, die da oben haben ganz schön kalte Füße. Aber angesichts der Situation ist das wohl auch ganz normal. Sie wissen ja auch, was uns bevorsteht, wenn wir Sytania und Valora nicht stoppen. Nur die Öffentlichkeit, die soll am besten davon nichts erfahren. Alle interdimensionalen Physiker sind geimpft. Wenn die Leute fragen, dann sollen sie die merkwürdigen Wetterphänomene und alles andere auch mit allgemeinen völlig normalen Schwankungen im Energiehaushalt der Dimensionen und mit verstärkten Sonnenaktivitäten erklären.“ „Verstehe.“, sagte Sedrin. „Die Wahrheit über den bevorstehenden Weltuntergang würde eine Massenpanik verursachen und das können die Politiker gar nicht gebrauchen. Außerdem würde das zu viele Ordnungskräfte auf den Plan rufen und in unserer friedensverwöhnten Zeit würden dann viele sicher Polizeistaat schreien und dann gäbe es innere Unruhen, die wir gar nicht vertragen können, jetzt, wo wir uns vornehmlich um eine Bedrohung von außen zu kümmern haben.“ „Genau das haben Tamara und ich auch besprochen.“, sagte Malkovich. „Sie wird sich mit den anderen Abteilungen auf den anderen Planeten in Verbindung setzen und dann werden wir uns alle absprechen, damit keiner abweichen kann und doch noch was durchsickert. Außerdem passte es gerade am öffentlichen Transporter. Wir waren da mutterseelenallein.“ „In Ordnung.“, sagte Sedrin. „Gut gemacht, Kate!“ „Danke.“, sagte die junge Agentin und lächelte. Das Lob von der dienstälteren und damit leitenden Ermittlerin in diesem Fall, schmeichelte ihr sehr.

Malkovich zeigte auf die Skulptur. „Das hat Allrounder Scott allein getöpfert?“, fragte sie. „Ja.“, sagte Sedrin. „Ich war dabei.“ „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Allerdings stand sie dabei unter dem direkten Einfluss von Invictus. Ich bin überzeugt, dass auch er sein Scherflein dazu beigetragen hat, damit das Bild so lebensecht wird. Siehst du den Ausdruck in den Gesichtern der Fohlen? Betsy hat nie gesehen und kann daher nicht wissen, wie die Mimik eines Wesens ist, das sich verbissen auf etwas konzentriert. Bei einem menschlichen Gesicht funktioniert das wohl noch gerade, weil sie es im Notfall ja bei sich selbst abtasten könnte. Aber dies auf einen Pferdekopf zu übertragen, würde sie bestimmt überfordern.“ „Und wie soll Invictus das deiner Meinung nach gemacht haben?“, fragte Kate. „Du hast ja gerade selbst gesagt, dass sie nie gesehen hat und deshalb mit Bildern nichts anfangen kann. Wie soll das denn dann vonstatten gegangen sein, he?“ „Das habe ich nicht gesagt.“, sagte Sedrin. „Ich sagte nur, dass sie mit optischen Reizen nicht arbeiten kann, auch wenn sie ihr telepathisch zukommen. Aber wenn Invictus auch nur ein bisschen denken kann, was ich ihm durchaus zutraue, dann wird er sie einen Pferdekopf mit Horn fühlen lassen haben, Als er sie bezüglich der Skulptur instruiert hat. Wenn du willst, dann können wir ja gleich hinübergehen und ihre Aussage nehmen. Ich bin sicher, sie wird es uns bestätigen.“ „Also gut.“, sagte Kate. Dann sahen die beiden Agentinnen zu, wie ihre Leute weiterhin Bilder machten und proben einpackten.

Allerdings sollte es zu dieser Vernehmung nicht mehr kommen, denn ich hatte von Invictus geträumt. Er musste erneut geistigen Kontakt zu mir aufgenommen haben. Jedenfalls hörte ich seine telepathische Stimme sagen: Höre mich noch einmal, Auserwählte meiner Tochter. Ich will dir nun sagen, wie du das unheilige Band zwischen Sytania und Valora zerstören und meine Geliebte wieder zur Vernunft bringen wirst. Du wirst, wenn ich dich erwachen lassen habe, zu eurem Replikator gehen. Mit ihm wirst du drei Kunststoffstreifen replizieren. Einer wird matt sein, einer Glänzend und einer ganz dunkel. Damit gehst du nach draußen und hältst diese Streifen so in das Licht des Vollmondes, dass dessen Reflektion wie das Positionslichteralphabet aussieht. Dein Schiff Lycira wird das sehen. Sie befindet sich ja in der Umlaufbahn. Das Alphabet beherrscht du ja. Ich weiß, dass du weißt, dass der Code ja aus den drei genannten Helligkeitsstufen besteht. Sag Lycira damit, sie soll dich an Bord holen. Dann müsst ihr mir folgen. Ich führe euch zu einem Planeten im genesianischen Reich, auf dem ein Clan lebt, der Opfer von Sytanias und Valoras Coup geworden ist. Sorge dich nicht um die Oberste Direktive. Sie ist lächerlich im Vergleich zu dem, was hier auf dem Spiel steht. Hinterlasse deinen Freunden eine Botschaft, aus der sie lesen können, dass du zwar einen Vorsprung benötigst, sie dir aber folgen und helfen sollen, sobald es nötig wird. Und nun erwache, Betsy Scott! Erwache aus diesem Traum!

Ich war mit einem Schlag hellwach! An jedes von seinen Worten hatte ich mich erinnert! An wirklich jedes! Ich wusste auch, wie dringend die Situation war.

Ich stand auf und ging zum Replikator, um die Kunststoffstreifen zu replizieren. Dann zog ich mir zivile Kleidung an. In Uniform die Oberste Direktive zu übertreten, wäre mir nicht im Traum eingefallen. Außerdem ging es mir um die Botschaft, die ich meinen Freunden und Kameraden hinterlassen sollte. Um mein Offizierspatent behalten zu dürfen, musste ich als Zivilistin handeln. Aber so hatte ich auch Gelegenheit, ihnen zu sagen: „Kommt nach und helft mir!“ Ich würde aber auch die Kunststoffstreifen hier hinterlassen, damit sie auch ja auch meine Spur kämen. Lycira würde Befehl erhalten, ihre Warpsignatur auf keinen Fall zu maskieren.

So präpariert ging ich also vor die Tür und hielt die Streifen abwechselnd hoch. Dabei hielt ich mich genau an das Positionslichteralphabet, wie ich es auf der Akademie der Sternenflotte gelernt hatte. Im Normalfall übersetzte der Rechner der Granger alles, wenn ich es benutzen oder einmal eine Nachricht interpretieren musste, die so gesendet worden war. Das verstand sich von selbst, denn ich konnte die Lichter ja nicht sehen. Aber wie gut es war, dass ich zumindest in der Theorie schon einmal davon gehört hatte, stellte sich jetzt heraus. Ich hatte den Streifen, um sie selbst besser unterscheiden zu können, auch verschiedene Formen gegeben. Der matte Streifen hatte eine dreieckige, der glänzende eine kreisrunde und der dunkle eine quadratische Spitze. Am anderen Ende waren alle drei gerade.

Ich hatte keine Ahnung, dass ich beobachtet worden war. „Was machst du da, Tante Betsy?“ Die kleine Stimme hatte mich zusammenzucken lassen, aber ich hatte auch sofort erkannt, zu wem sie gehörte. „James!“, sagte ich etwas erschrocken. „Was tust du denn hier? Ich dachte, du bist in deinem Bett und träumst süß vor dich hin, hm?“ „Das wollte ich auch.“, sagte James. „Aber der Mond scheint so hell! Deshalb kann ich nich’ schlafen. Aber was machst du da?“

Ich überlegte. Sicher war er noch zu jung, um die gesamten Zusammenhänge zu verstehen. Wenn ich Zeit gehabt hätte, dann hätte ich sicher auch versucht, sie ihm zu erklären. Aber die Zeit hatte ich nicht. Invictus’ Botschaft hatte sich sehr dringend angehört! Ich konnte und durfte nicht warten, das stand fest! Aber er würde sich gut als Postbote für meine Nachricht an die anderen eignen. Deshalb wandte ich mich ihm zu und sagte: „Ich rede mit meinem Schiff. Sie wird mich, wenn sie das sieht, sicher gleich an Bord holen. Hör mir bitte genau zu, James. Wenn ich weg bin, dann möchte ich, dass du zur Tante Sedrin gehst und ihr sagst, ich wäre auf dem Weg zu den Genesianern. Ich muss dort dringend jemandem erklären, dass das falsch ist, was sie tut. Zeig der Tante Sedrin bitte auch mein Schlafzimmer. Da ist etwas, das sie sehen muss. Hab keine Angst, James. Wenn du genau tust, was ich gesagt habe, dann kannst du da sogar was machen, damit alles wieder gut wird.“ „Aber du hast doch gesagt, dass du das nich’ darfst.“, sagte James verwirrt. „Wegen der Tante Nugura. Ich will nich’, dass die böse mit dir is’.“ Er klammerte sich an mein rechtes Bein und weinte herzerschütternd.

Ich ließ die Streifen fallen und beugte mich zu ihm herunter. Dann nahm ich ihn fest in den Arm, drückte sein nasses Gesichtchen an das meine und erklärte: „Pass mal auf. Wenn die das später alles hier untersuchen, dann werden sie sehen, dass ich das nur gemacht habe, weil der Invictus das so wollte. Der ist viel mächtiger als die Tante Nugura. Das musst du der Tante Sedrin auch sagen. „Das ist ganz wichtig, hörst du? Bitte versprich mir das!“ „Ich verspreche es dir, Tante Betsy!“, sagte James recht fest, der sich langsam wieder beruhigt hatte. „Dann ist ja gut.“, sagte ich und schmuste noch einmal kräftig mit ihm. Dann hob ich die Streifen wieder auf und setzte meine Befehlskette an Lycira fort. Dabei vergaß ich nicht zu erwähnen, dass sie mich erst dann holen sollte, wenn ich James die Streifen übergeben hatte. Das tat ich dann auch bald.

„Nimm das hier bitte, James.“, sagte ich. „Es ist ein Schatz. Es ist ein Schatz, den nur die Tante Sedrin und die Tante Kate sehen dürfen.“ Mir war längst klar, dass Sedrin ihre Partnerin verständigt haben würde. „OK, Tante Betsy.“, sagte James. „Aber wird die Tante Sedrin nich’ böse werden, wenn du einfach ohne ihre Erlaubnis zu den Gänsianern fliegst?“ „Deshalb sollst du ihr ja auch alles sagen.“, sagte ich. „Ich kann es ja wohl schlecht, wenn ich nicht mehr hier bin. Das ist ganz doll wichtig, James! Ganz doll!“ „OK.“, sagte der Junge und nahm mir die Streifen ab, was auch für Lycira das endgültige Signal war, mich an Bord zu holen. „Ich werde der Tante Sedrin alles erklären!“, rief James mir noch hinterher, die ich in einer immer durchsichtiger werdenden Säule aus Energie verschwand. „Du kannst dich auf mich verlassen, Tante Betsy!“

Sofort legte ich meine Hände in die Mulden, als ich an Bord von Lycira angekommen war. Du kannst froh sein, dass ich deine Signale überhaupt gesehen habe, Betsy., sagte mein Schiff. Mit so einer Methode rechnet man nämlich nicht so ohne weiteres. Primitiv aber wirkungsvoll. Ich muss schon sagen. „Was soll ich denn machen, wenn ich kein Sprechgerät habe, Lycira?“, sagte ich gleichzeitig laut und dachte es, wie es auch schon immer meine Gewohnheit war. Oh das sollten wir gleich mal ändern!, sagte Lycira und ihr Replikator spuckte eines aus. Nimm es!, sagte sie. Du kannst ja nie so genau wissen, wozu es gut sein wird. „Da hast du Recht, Lycira.“, sagte ich und nahm das Gerät an mich, um es einzustecken. Dann fragte ich sie: „Siehst du hier irgendwo eine Energiewolke in Form eines Einhorns?“ Ja, die sehe ich., antwortete Lycira. Sie fliegt von der Erde weg. Wenn ich ihren Kurs richtig extrapoliere, dann ist sie auf dem Weg zu den Genesianern. „Und genau auf dem werden wir jetzt gleich auch sein, Lycira! Hinterher!“, befahl ich fest. Aber kannst du das denn mit deiner Karriere bei der Sternenflotte vereinbaren?, fragte Lycira sorgenvoll. Da ich eine echte telepathische Verbindung zu dir habe, weiß ich auch, was du vorhast. Das verstößt gegen die Oberste Direktive! Ich hoffe, das ist dir klar. Als dein Schiff ist es meine Aufgabe, dich zu beschützen und wenn es auch vor dir selbst ist. Bist du wirklich sicher, dass du das durchziehen willst? „Ja, das bin ich, Lycira!“, sagte ich. „Und gerade weil du eine echte telepathische Verbindung zu mir hast, dürfte dir klar sein, dass alles in Ordnung ist. Du dürftest spüren, in wessen Namen ich das tue.“ Das stimmt., sagte Lycira. Ich spüre deutlich den Einfluss von Invictus. Er ist es auch, der sich in die Wolke verwandelt hat. Also gut. Halt dich fest. Wir werden ihm folgen! „Danke, Lycira.“, sagte ich. „Ich wusste, ich kann mich auf dich verlassen.“ Gern geschehen., gab mein Schiff zurück und setzte sich mit einem vollen Impuls in Bewegung, um Invictus, der bereits am Rand des Sonnensystems auf uns wartete, schneller einholen zu können. Dann ging sie sofort auf Maximum-Warp. So flogen wir in Windeseile hinter dem Hengst her, der uns auf direktem Kurs in Richtung genesianische Grenze führte. Allerdings waren von meiner Seite her noch viele Fragen offen. Ich fragte mich beispielsweise, wie wir auf Föderationsseite durch die Kontrollen kommen sollten. Auch in Zivil bestand die Gefahr, dass man mich erkennen würde. Dazu war ich viel zu berühmt. Um irgendeine genesianische Grenzpatrouille machte ich mir keine Sorgen. Denen würde ich im Zweifel sogar alles erklären, denn ich konnte mir schon denken, dass Shashana sicher längst durch das Spiel von Sytania und Valora gestiegen war und mir sicher liebend gern auch einige Kriegerinnen als Verstärkung mitgeben würde. Um unsere Leute machte ich mir allerdings mehr Gedanken. Die waren immer so bürokratisch.

„Schreib dein Transpondersignal um, Lycira!“, befahl ich. „Sie kennen dich auch und werden uns sicher Probleme machen, wenn …“ Das habe ich längst.“, sagte mein Schiff. „Wir sind ein kleines privates Schiff auf einem Vergnügungsflug. Wenn sie uns rufen, dann machst du auf unwissend. Ich werde dir in der Übertragung eine andere Stimme geben, damit sie dich nicht erkennen. Auch ein anderes Bild werde ich ihnen zeigen. Dann verwickelst du sie in ein Gespräch, ich gehe auf Warp und flutsch! Wir sind durch. Dann lasse ich ganz plötzlich den Kontakt abbrechen. Es wird wie eine zufällige Störung aussehen. Na, wie findest du das?“ „Sehr gut, meine kleine Füchsin!“, lobte ich und lehnte mich zurück. Für eine Weile würde sie noch das Steuer übernehmen. Das gab mir Gelegenheit, mich endlich richtig auszuruhen.

Auf der Erde waren Sedrin und Kate gerade auf dem Weg in unsere Hütte, als sie von James aufgehalten wurden, der ihnen aufgeregt vor die Füße wuselte. „Tante Sedrin!“, rief er aus. „Bitte warte! Ich muss dir was zeigen.“ Erst jetzt fiel sein Blick auf Malkovich: „Bist du die Tante Kate?“

Die junge Agentin sah ihre weitaus ältere Partnerin etwas verwirrt an. „Spiel mit!“, zischte Sedrin ihr zu. „Außerdem stimmt das ja auch. Kinder in seinem Alter sprechen jeden Erwachsenen mit Tante oder Onkel an.“ „Entschuldige.“, sagte Kate. „Das wusste ich nicht.“

Sie wandte sich James zu: „Ja, ich bin die Tante Kate.“ „Dann darf ich es dir ja auch zeigen.“, sagte James stolz und kramte im Oberteil seines Schlafanzuges, in den er die Streifen gesteckt hatte. Schließlich hatte ich ihm gesagt, es sei ein Schatz und einen Schatz musste man schließlich gut verstecken, damit kein Räuber ihm habhaft werden konnte.

„Was willst du uns denn zeigen?“, lächelte Kate James zu. „Ich will euch einen Schatz zeigen!“, sagte James stolz. „Einen Schatz, den nur ihr zwei sehen dürft. Jedenfalls hat das die Tante Betsy gesagt.“ „Na, das muss ja ein sehr großer und schöner Schatz sein.“, sagte Sedrin. „Aber warum will denn die Tante Betsy, dass nur wir ihn sehen dürfen, hm? Wollen wir sie mal fragen?“ „Das geht nich’.“, sagte James. „Die Tante Betsy is’ weg. Die hat mit ihrem Schiff geredet und dann hat das sie geholt und jetzt fliegt sie zu den Gänsianern.“

Sedrin und Kate erstarrten, als James das Wort Gänsianer ausgesprochen hatte. Beide konnten sich durchaus denken, dass die Genesianer gemeint waren. Sie konnten sich aber gerade von mir nicht vorstellen, dass ich einfach so die Oberste Direktive übertreten würde. Gerade von mir nicht, die ich bei ihnen doch eigentlich immer als sehr brav bekannt war, zumindest bei Sedrin. Kate kannte mich ja noch nicht so gut. Die demetanische Agentin wusste aber auch, dass ich, wenn ich mein Verhalten so extrem änderte, eigentlich immer meine Gründe hatte. Oft genug hatte hinter solchen Aktionen meinerseits ein versteckter Hilferuf gesteckt und dies vermutete Sedrin jetzt auch wieder. Das war auch der Grund, aus dem sie James fragte: „Gibt es noch etwas, was du uns vielleicht zeigen willst, James?“ „Ja!“, strahlte der 6-Jährige. „Da is’ noch was in eurem Schlafzimmer, Tante Sedrin. Komm!“ „Darf ich denn auch mitkommen?“, fragte Kate. „Aber ja, Tante Kate.“, sagte James und wuselte voran.

In der Hütte angekommen führte sie der Junge sofort ins Schlafzimmer, wo sie bereits von Jaden erwartet wurden, der völlig perplex vor dem Stuhl stand, über den ich meine Uniform gehängt hatte. „Was machst du denn hier, Jaden?!“, fragte Sedrin überrascht. „Keine Angst, Jinya Demetana.“, flapste Jaden ihr entgegen. „Ich habe deinen schönen Tatort ganz gelassen. Du impfst mir ja oft genug ein, dass ich, wenn ich an so einen komme, nichts anfassen oder verändern darf. Ich wollte euch zwei eigentlich auch nur wecken, weil ich weder Betsy noch dich heute Morgen gesehen habe. Da wollte ich mal nach dem Rechten sehen und fand das hier?“ Er zeigte auf meine auf den ersten Blick hier vielleicht etwas schlampig abgelegte Uniform.

„Bitte tritt zur Seite.“, sagte Sedrin. „Kate wird dich später vernehmen. Ich darf es nicht, weil ich befangen bin. Schließlich sind wir verheiratet.“ „Ach ne.“, scherzte Huxley. „Is’ mir noch gar nich’ aufgefallen.“ Auch Sedrin und Kate mussten Grinsen. „Bitte geh erst einmal, damit keine Eindrücke, die du jetzt vielleicht bekommst, deine spätere Aussage verfälschen können.“, sagte Sedrin. „Na gut.“, sagte Jaden und verließ Raum und Hütte.

Kate hatte sich mit James beschäftigt, der ihr inzwischen stolz den Schatz präsentiert hatte, den er inzwischen wiedergefunden hatte. „Hier is’ der Schatz, Tante Kate!“, hatte er stolz gesagt und ihr die drei Kunststoffstreifen hingehalten. Malkovich hatte sie betrachtet, sich aber daraus zuerst keinen Reim machen können. Deshalb hatte sie James auch gefragt: „Darf ich den Schatz der Tante Sedrin geben? Vielleicht weiß sie ja, was die Tante Betsy damit gemeint hat.“ „Das kann ich dir auch zeigen.“, sagte James. „Sie hat die Streifen in der Hand gehabt und sie so in die Luft gehalten. Kannst du sie mir wiedergeben, Tante Kate? Dann zeige ich es dir.“ „OK.“, sagte Kate und gab die Streifen an den Jungen zurück, der sie sofort abwechselnd in die Luft hielt. „Ich sehe nichts Besonderes.“, sagte Kate. „Das kannst du so ja auch nich’.“, sagte James. „Wir brauchen den Mond. Aber der scheint ja jetzt schon nicht mehr.“ „Wenn du nach einer Lichtquelle suchst.“, sagte Kate. „Dann machen wir das jetzt anders. Nicht erschrecken!“

Sie drehte sich zum Hausrechner: „Computer, Licht!“ Sofort führte dieser ihren Befehl aus. Da er auf keine bestimmten Stimmabdrücke programmiert war, hatte er sie sehr gut verstehen können.

Die beiden Lampen an der Decke des Raums hellten sich langsam auf. Dann sagte Kate: „Versuchen wir es jetzt noch einmal, James. Was hat die Tante Betsy mit den Streifen gemacht?“ „Na, das hier.“, sagte James und begann erneut, die Streifen abwechselnd ins Licht zu halten. Sofort fiel Kate die unterschiedliche Reflexion auf. „Verdammt clever!“, stellte sie fest. „Das hätte ich einer Person, die nicht sehen kann, eigentlich nicht zugetraut. Aber so kann man durchaus Nachrichten im Positionslichteralphabet senden.“

Sie wandte sich nach Sedrin um: „Bitte komm her!“ Die Angesprochene drehte sich zu ihr. „Was ist, Kate?“, fragte sie. „James hat doch gerade ausgesagt, dass Scott mit ihrem Schiff geredet hätte.“, sagte Malkovich. „Du wirst dich bestimmt fragen, wie sie das angestellt haben will ohne Sprechgerät. Ich denke, ich habe hier die Antwort.“

Sie hielt ihrer Partnerin einen der Streifen hin, den ihr James inzwischen wiedergegeben hatte. „Die Reflexion.“, sagte Sedrin. „Positionslichteralphabet. Natürlich. Ganz schön verwegen. Das hätte ich Scott nun wirklich nicht zugetraut. Danke, James. Du warst ein ganz toller Zeuge! Aber jetzt geh bitte erst einmal zu deinem Vater. Er wird sicher schon mit dem Frühstück auf dich warten. Wir reden später noch mal. OK?“ „OK, Tante Sedrin.“, sagte James, lächelte sie und Kate ein letztes Mal an und verließ dann stolz wieder die Hütte.

Malkovich hatte ihre Partnerin wieder zu dem Stuhl gerufen, auf dem meine Uniform lag. „Ist es Scotts Art, ihre Sachen so unordentlich herumliegen zu lassen, Sedrin?“, fragte sie. „Eigentlich nicht.“, sagte die Demetanerin mit einem nachdenklichen Ausdruck in den Augen. „Ich bin sicher, sie will uns damit etwas sagen. Hast du einen Erfasser, Kate?“ „Ich habe doch immer alles, Sedrin.“, entgegnete Kate und griff lächelnd in ihre Tasche, aus der sie einen Erfasser hervorzog, den sie Sedrin auch gleich gab.

Die Agentin aktivierte das Gerät und ließ seinen Scanner über meine Uniform schweifen. Dann ließ sie die Daten durch das ballistische Interpretationsprogramm laufen. „Die Uniform ist frisch repliziert.“, sagte sie. „Aber das lässt sich auch erklären. Da Scott sie nicht wirklich benötigte, hat sie die Ihre auch daheim gelassen. Aber warum macht sie sich solche Mühe. Sehen wir uns hier weiter um, Kate. Vielleicht fällt uns ja noch mehr auf.“

Malkovich nickte ihrer Partnerin zwar zu, aber ihr Blick war weiterhin der Uniform auf dem Stuhl zugewandt. „Was ist denn da noch, Kate?“, fragte Sedrin. „Mich stört da so einiges.“, sagte Malkovich. „Du hast gesagt, es sei nicht ihre Art, ihre Sachen so unordentlich hinzulegen. Für mich sieht das auch nicht aus, als hätte sie die Uniform hingelegt, sondern eher, als hätte sie diese hingehängt und zwar in einer Weise, als wollte sie diese an einem sehr kleinen Gegenstand aufhängen.“ Sie lüftete die Jacke. „Dachte ich es mir doch.“ Ihr Blick war auf eine kleine Schraube gefallen, die aus dem Stuhl ragte. Darüber hatte ich mit Absicht den Kragen der Uniformjacke gestülpt.

Sedrin trat näher und sah sich an, was ihre Partnerin da zutage gefördert hatte. „Was meinst du genau hiermit, Kate?“, fragte sie. „Kennst du die terranische Redensart, etwas an den Nagel zu hängen?“, fragte Malkovich. „Die kenne ich.“, sagte Sedrin. „Sie bedeutet, dass jemand etwas aufgibt, das er oder sie lange getan hat. Aber Scott ist viel zu gern Offizierin der Sternenflotte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihre Karriere so einfach sausen lässt. Da muss es einen anderen Hintergrund geben.“ „Den gibt es vielleicht auch.“, sagte Kate. „Denk mal nach, Sedrin. Was ist, wenn sie ihre Uniform nur temporär an den Nagel gehängt hat, um als Zivilistin handeln zu können? Erinnerst du dich noch an James‘ Aussage?“ „Sicher.“, sagte die Demetanerin nüchtern. „Die ist ja noch gar nicht so lange her. Aber du könntest Recht haben. Diese Uniform ist sauber und frisch repliziert. Das kann bedeuten, dass sie uns sagen will, dass sie zwar etwas tun will, aber sie will auf keinen Fall ihre Uniform damit beschmutzen. Das ist ja schon ein Teil ihrer Botschaft an uns, den wir entschlüsselt haben. Lass uns mal nachsehen, ob es noch mehr gibt, Kate.“

Malkovich nickte und folgte Sedrin ins Wohnzimmer. Hier fiel der Demetanerin sofort das Display des Replikators auf. „Sie hat noch nicht einmal den Bildschirm gelöscht.“, sagte sie. „Offenbar spielt sie mit sehr offenen Karten. Sie hat noch nicht einmal ansatzweise ihre Spuren verwischt und das ist bestimmt keine Nachlässigkeit. Ich kenne Scott. Sie ist sonst immer sehr gründlich. Aber manchmal tut sie auch Dinge, die versteckte Nachrichten an uns erhalten, wenn sie meint, sie könne uns nicht direkt aufmerksam machen. Ich denke, mit so etwas werden wir es hier zu tun haben.“ „Das ist mehr als offensichtlich, Sedrin.“, sagte Kate. „Aber warum sollte sie das tun? Sie kann uns doch alles sagen. Gibt es vielleicht noch andere Gründe, aus denen sie ihre Nachrichten so verschlüsseln könnte?“ „Die könnte es allerdings geben.“, sagte Sedrin. „James sagte, sie wolle zu den Genesianern. Dort könnte sie mit Sicherheit irgendwann Hilfe benötigen. Aber was ist, wenn wir ihr nicht sofort folgen sollen. Was ist, wenn sie durch ihre Aktion Zeit gewinnen will?“ „Das halte ich durchaus für möglich.“, sagte Malkovich. „Immerhin haben wir eine Weile gebraucht, um ihren Code zu verstehen. Ich bin mittlerweile genauso sicher wie du, dass sie das beabsichtigt hat. Aber das alles sind bisher nur Indizien. Wir benötigen einen handfesten Beweis.“ „Den werden wir auch sicher bekommen!“, sagte Sedrin fest. „Lass uns …“

Sie kam nicht sehr weit, denn Tchiach hatte die Hütte betreten. Hektisch hatte die kleine Vendar damit begonnen, sie nach der Agentin zu durchsuchen. „Sedrin El Demeta!“, rief sie aus. „Bist du noch hier?“

Sedrin hatte sich ihr zugedreht. „Ich bin hier, Tchiach!“, rief sie und trat aus der Tür des Wohnzimmers auf den Flur hinaus. Dort sauste ihr Tchiach bereits entgegen. „Was ist los?“, fragte Sedrin. „Du bist ja ganz aufgeregt.“ „Invictus ist fort!“, entgegnete die junge Vendar. „Dem nach, was ich gespürt habe, als ich den Stall betrat, hat er seine Kräfte benutzt. Das bedeutet, er kann überall sein.“ „Nicht nur er ist verschwunden.“, sagte Sedrin. „Betsy ist es auch. Aber ich denke, ich kann mir mittlerweile einiges zusammenreimen. Hast du noch dein Sprechgerät?“ Tchiach nickte. „Dann gib bitte das Rufzeichen eures Schiffes ein.“, forderte Sedrin sie auf. „Ich muss deinen Vater und deine Stiefmutter in Spe unbedingt etwas fragen.“ „Wie du wünscht, Sedrin El Demeta.“, sagte Tchiach und tat, wozu die Agentin sie gerade aufgefordert hatte. „Gib mir bitte das Gerät, sobald du die Verbindung hast.“, sagte Sedrin. „In Ordnung.“, sagte Tchiach.

 

 

Kapitel 89: Taktische Manöver

von Visitor

 

Jenna und Joran hatten über die Verteilung der Energie gesprochen, als IDUSA sie darauf aufmerksam machte, dass Tchiach sie gerufen hatte. „Was kann das bedeuten?“, fragte Jenna. Sollte da etwa schon wieder etwas passiert sein?“ „Ich denke ja, Telshanach.“, sagte Joran. „Meine Tochter würde uns sicher nicht umsonst rufen.“ „Das denke ich auch.“, sagte Jenna.

Sie drehte sich der Konsole zu, als sie sagte: „Stell Tchiach durch, IDUSA!“ „Sofort, Jenna.“, antwortete das Schiff. „Ich wollte Ihnen und Joran ohnehin noch etwas zeigen. Auf Terra befinden sich einige Geheimagenten mehr im Garten der O’Gradys und Lycira, Allrounder Scotts Schiff, hat offensichtlich die Umlaufbahn verlassen. Laut meinen Sensoren sind ihre Biozeichen aber sichtbar. Das Gleiche gilt für Lyciras Warpsignatur. Offenbar macht sie sich keine Mühe, ihre Spuren zu verschleiern.“ „Das ist merkwürdig.“, sagte Jenna. „Aber lass mich erst einmal mit der süßen Tchiach reden.“ „OK.“, sagte IDUSA und ihr Bild wich dem Sedrins vor Jennas geistigem Auge. Die Technikerin war allerdings sehr überrascht. „Du hast dich sehr verändert, Tchiach.“, sagte sie und grinste. „Das sollte wohl ein Witz sein, McKnight.“, sagte Sedrin. „Nicht wahr?“ „Das ist richtig, Agent.“, sagte die hoch intelligente Halbschottin. „Aber was gibt es denn?“ „Invictus und Scott sind verschwunden, McKnight.“, sagte Sedrin. „Sehen Sie vielleicht Hinweise auf ihren Verbleib?“ „Das tun wir allerdings, Agent.“, sagte Jenna. „IDUSA hat Lyciras Warpsignatur erkannt. Sie führt von uns weg in Richtung der Genesianer. Außerdem gibt es eine Signatur von Invictus, die in die gleiche Richtung führt. Es sieht aus, als würde er sie führen wollen. Er muss sich in eine Wolke aus Energie verwandelt haben, aber seine Neuralsignatur ist eindeutig.“ Verstanden.“, sagte Sedrin. „Können Sie ihr folgen?“

Bevor Jenna allerdings antworten konnte, hakte IDUSA ein: „Die interdimensionalen Störungen nehmen zu, Jenna. Es fällt mir schwer, sie von Lyciras Warpsignatur zu unterscheiden. Wir sollten mit Commander Zirell unser weiteres Vorgehen besprechen.“ „Das würde ich auch sagen, IDUSA.“, sagte die Technikerin. Dann nahm sie das Gespräch mit Sedrin wieder auf: „Agent, IDUSA hat Probleme, die Signatur zu verfolgen. Die Störungen nehmen zu stark zu. Aber Joran und ich haben ja auch noch eine andere Mission. Die scheint wohl auch im Moment wichtiger zu werden, wie es aussieht. Wir reden mit unserem Commander. Die letzte Entscheidung liegt bei ihr.“ „OK.“, sagte Sedrin, beendete die Verbindung und gab Tchiach erleichtert das Sprechgerät zurück. Zu Kate, die sie fragend ansah, sagte sie nur: „Die Tindaraner werden einen Weg finden. Im Gegensatz zu unserer eigenen Regierung haben sie ja signalisiert, dass sie uns in jedem Fall helfen werden.“ „In Ordnung.“, sagte Kate. „Ich vertraue dir. Du kennst dich da ja schon besser aus als ich. Meine Leute und ich werden wieder einpacken und gehen. Ich werde Tamara nichts über Scotts Vorhaben sagen. Zumindest noch nicht. Später können wir ja immer noch behaupten, wir seien erst im Zuge weiterer Ermittlungen darauf gekommen. Geh du ruhig mit deinem Mann frühstücken. Ich mache das hier schon.“ „Danke, Kate.“, sagte Sedrin erleichtert und sah zu, wie ihre Partnerin die Hütte verließ. Auch sie würde sich jetzt zu Jaden auf die Terrasse begeben, wo er tatsächlich schon mit einem reichhaltigen Frühstück auf sie wartete.

Lycira und ich hatten längst das terranische Sonnensystem verlassen. Der Flug war zwar etwas holperig gewesen, da sie ständig ihren Antrieb den vorherrschenden Bedingungen anpassen musste, aber das hatten wir doch sehr gut gemeistert, obwohl es Stellen gegeben hatte, an denen wir auf ein Viertel Impuls herunterbremsen mussten. Aber viel Zeit musste uns das nicht gekostet haben. Invictus jedenfalls hatte mich weder telepathisch zur Eile gedrängt, noch hatte er eingegriffen, was ihm ja jetzt, nachdem er ja seine Kräfte wiederbekommen hatte, durchaus möglich gewesen wäre.

Wir nähern uns der Grenze, Betsy., sagte mein Schiff. Hast du ernsthaft vor, den Genesianern alles zu erklären? Ich meine, wie willst du sichergehen, dass es sich bei den Kriegerinnen, die wir treffen, nicht etwa genau um Mitglieder des Clans handelt, über die Invictus gesprochen hat? Falls das nämlich nicht der Fall sein sollte, würden wir die schönste Schießerei riskieren und das wäre für uns bestimmt nicht gut. Ich kann uns dann vielleicht nicht retten. Immerhin könnten die Genesianer mehr Schiffe haben und ich wäre allein. „Mach dir da bitte keine Sorgen, Lycira.“, tröstete ich. „Invictus wird uns schon warnen. Schließlich will er uns ja auch führen und wird genau wissen, welchen Kriegerinnen wir vertrauen können und welchen nicht. Ich bin sicher, er beobachtet uns jetzt auch ganz genau mit Hilfe seiner seherischen Kräfte. Oder was sagst du dazu? Genauso wie du eine echte telepathische Verbindung zu mir unterhältst, dürfte es dir ja auch möglich sein, seine Aura zu spüren, oder irre ich mich da?“ Du irrst dich nicht, Betsy., sagte Lycira. Und du hast Recht. Ich spüre genau, dass er uns beobachtet. Aber ich spüre auch, dass du dir Sorgen machst und deine coole Fassade langsam zu bröckeln beginnt. Aber der Grund für deine Sorge sind nicht die Genesianer. Es sind eher die eigenen Kameraden. Könntest du mir das vielleicht erklären? „Das kann ich.“, sagte ich. „Pass auf, Lycira. Wir beide, wir werden gleich die Oberste Direktive übertreten und das kann ich ihnen ja wohl schlecht auf die Nase binden. Wenn ich sage, was ich vorhabe, wenn wir in eine Kontrolle kommen, dann werden sie mich verhaften und dann geht alles genauso weiter und Sytania gewinnt am Ende sogar noch. Die Betonköpfe raffen ja nicht, was hier abgeht!“ Du scheinst viel Zeit im Kreise einiger Celsianer zu verbringen., stellte mein Schiff fest. „Na ja.“, sagte ich. „Mein Mann lebt ja schließlich dort.“

Es vergingen einige Minuten, in denen Lycira zu überlegen schien. Wir könnten die Grenze im toten Winkel einiger Sensoren überqueren., schlug sie vor. Bis wir in der neutralen Zone wären, wäre es schon zu …

Sie hatte sich plötzlich selbst unterbrochen und mir ein Bild gezeigt. Es war das Bild eines kleinen Shuttles. Ich erkannte sofort, dass es ein Shuttle der Sternenflotte sein musste. Es war auf jeden Fall längsseits gekommen und jetzt wurden wir auch noch von Bord des Schiffes gerufen, was meine Vermutung bestätigte. Laut Lycira war der Pilot des Shuttles ein leicht untersetzter Mann in der Uniform eines Agent. Er hatte kurze braune Haare und einen ebensolchen Bart.

„Ich bin Agent John Larsson von der Grenzpatrouille der Föderation der vereinten Planeten.“, stellte er sich mit seiner doch recht warm und ruhig klingenden tiefen Stimme vor. „Allrounder Scott, machen Sie keinen Unsinn! Kehren Sie um, dann wird Ihnen kein Haar gekrümmt und wir vergessen die ganze Angelegenheit. Sagen wir, es war ein Navigationsfehler aufgrund einer Fehlfunktion der Sensoren Ihres Schiffes. Verstehen Sie mich richtig! Ich bin auf Ihrer Seite! Sie haben zu viele Verdienste, als dass ich Sie einfach wie eine Schwerverbrecherin ins Gefängnis werfen könnte. Dazu haben Sie uns alle viel zu oft gerettet! Das verdienen Sie nicht. Aber was Sie jetzt vorhaben, das dürfen Sie nicht! Seien Sie doch vernünftig. Denken Sie an die Werte der Föderation!“

Ich war erstarrt und nicht in der Lage gewesen, ihm zu antworten. Trotz all der Maßnahmen, die Lycira und ich ergriffen hatten, war es ihm möglich gewesen, uns zu erkennen. Wie das passiert war und vor allem wie er meine Absichten herausgefunden hatte, war mir schleierhaft.

Aber ich hatte auch keine Zeit, großartig darüber nachzudenken, denn im nächsten Moment hörte ich etwas, das sich anhörte wie Lyciras interdimensionaler Antrieb. Dann bemerkte ich, dass sie die Steuerkontrolle an sich gezogen hatte. Kurze Zeit danach waren all ihre Antriebsgeräusche verstummt. „Wohin hast du uns gebracht, Lycira?“, fragte ich etwas verwirrt. Wir sind im Kern eines hohlen Kometen., sagte sie. Es tut mir leid. Ich konnte dich nicht mehr warnen, da wir die Zeit nicht hatten. Der Mantel des Kometen ist so dick, dass kein Sensor durch ihn scannen kann. Weder auf genesianischer, noch auf Föderationsseite. Ich kann dir übrigens auch sagen, woher Larsson unsere Absichten kannte. Er wird letzte Nacht von Sytania geträumt haben. Ihr Einfluss auf ihn war jedenfalls deutlich für mich zu spüren. „Der arme Mann!“, sagte ich betroffen. „Tja, es wäre wohl von Zeit zu Zeit mal ganz gut gewesen, wenn er sich öfter mit dem Erfasser gescannt hätte. Aber das zeigt mir auch, dass wir auf der Hut sein müssen, Lycira.“ Das kann ich nur bestätigen., erklärte mein Schiff. Aber ich glaube, dass ich uns in gewisser Hinsicht gerade selbst ein Ei ins Nest gelegt habe. Wenn wir nicht entdeckt werden wollen, dann müssen wir hier in dem Kometen bleiben. Mit Hilfe der Einstellungen meiner Umweltkontrollen kann ich dich warmhalten, obwohl wir in diesem Eisklotz sind. Aber wir können dem Kometen ja nicht sagen, wohin er fliegen soll.

Sie hatte das kaum ausgesprochen, da kam mir erneut ein Bild in den Sinn. Während meiner Schulzeit hatte ich eine Klassenkameradin und die hatte einen Hamster. Der wiederum hatte eine Plastikkugel, in die man ihn setzen konnte. Durch Veränderung seiner eigenen Position in ihrem Innern konnte er die Kugel in alle Richtungen bewegen, in die er wollte. So konnte er frei in der Wohnung herumlaufen, ohne eventuell zum Opfer des Familienhundes zu werden. In einer ähnlichen Situation waren wir ja jetzt auch. Wir waren der Hamster, der Komet war die Kugel und der Familienhund war in diesem Fall die Grenzpatrouille.

„Du irrst dich, was deine Idee angeht, Lycira!“, sagte ich fest. „Wir können nämlich durchaus die Position des Kometen verändern, wenn er weniger Masse hat als wir! Überprüfe das!“ Er hat weniger Masse., sagte mein Schiff. Schließlich ist er hohl. Der Hohlraum ist groß genug, dass wir darin in alle Richtungen manövrieren könnten. Aber was genau hast du vor? „Gib mir die rechte Steuerdüse, Lycira!“, befahl ich. „Aber mit Schwung!“ Na, dann halt dich mal gut fest!, sagte sie und tat, was ich ihr soeben befohlen hatte. Für ca. zwei Sekunden brachte sie die Steuerdüse auf volle Leistung. Das hatte zur Folge, dass sie sich sehr schnell um sich selbst drehte. Diese plötzliche Veränderung ging auch in Form eines Rucks durch den Kometen, der sofort begann, sich wie ein Brummkreisel um die eigene Achse zu drehen. Durch die aufgrund der Schwerelosigkeit herrschende Trägheit um uns herum hielt die Drehbewegung sogar auch noch an, als mein Schiff die Düse längst wieder abgeschaltet hatte. „Schubumkehr, Lycira!“, befahl ich. „Sonst drehen wir uns hier bis zum Sankt Nimmerleinstag!“ OK!, gab mein Schiff zurück und zündete die linke Düse. Was ich in diesem Fall unter Schubumkehr verstand, hatte ich ihr mit Absicht nicht gesagt, denn ich war mir sicher, sie würde selbst drauf kommen.

Ihr Avatar vor meinem geistigen Auge sah mich plötzlich an, als hätte sie ein Aha-Erlebnis gehabt. Ich glaube, ich habe dich verstanden, Betsy., sagte sie. Wenn wir eine Veränderung unserer Position vornehmen, die schnell genug ist, dann können wir die Flugrichtung des Kometen beeinflussen und vielleicht sogar seine Geschwindigkeit. Aber dann müsste ich ihm einen Schups nach Vorn geben. Wenn ich dann aber wieder eine Schubumkehr durchführe, um uns auf die alte Position zu bringen, damit ich von neuem starten kann, bremse ich uns wieder. „Dann musst du ohne Antrieb rückwärts fliegen.“, sagte ich. „Stell deinen Hecktraktorstrahl auf so geringe Leistung, dass seine Reichweite gerade mal einmal über den Durchmesser unseres kleinen Verstecks hier geht. Zieh aber noch einen oder zwei Zentimeter ab, damit wir noch Spiel haben bis zur Wand. Ich will deine Hülle ja nicht beschädigen, falls das mit dem Bremsmanöver mal nicht klappt. Dann aktivierst du den Strahl. Sobald wir am Ende seiner Reichweite angekommen sind, deaktivierst du einfach den Antrieb und lässt dich zurückziehen. Die Wand des Kometen können wir nicht zu uns ziehen. Aber da du bei inaktivem Antrieb ja keinen Widerstand mehr leistest, wird sie dich quasi zu sich ziehen.“ Merkwürdiges Manöver., wunderte sich Lycira. Aber ich vertraue dir.

Damit führte sie meine Befehle aus. Tatsächlich gelang es uns auf diese Weise, den Kometen quasi als mobile Tarnung zu benutzen. So würden wir über die Grenze kommen. Einfach einen interdimensionalen Flug zu starten und hinter der Grenze wieder in die Dimension einzutauchen, wäre unklug gewesen. Diese Spur hätten sie nämlich durchaus verfolgen können. Mich beschäftigten nur zwei Fragen: Wo war der Komet plötzlich hergekommen und wo war Invictus?

Sytania hatte grinsend vor dem Kontaktkelch gesessen. Gemeinsam mit Telzan hatte sie sich das Ergebnis ihrer letzten Schandtaten angesehen. „Er hat es wirklich versucht, Milady!“, freute sich der Vendar. „Larsson hat tatsächlich versucht, Scott aufzuhalten!“ „Ja.“, bestätigte die Prinzessin. „Aber leider hat er versagt. Es war aber nicht seine Schuld. Wer hätte denn ahnen können, dass dieses verdammte Schiff so intelligent ist und Invictus‘ Einmischung genau richtig versteht. Dieses verdammte Einhorn hat sich doch tatsächlich in einen Kometen verwandelt und bietet Scott und ihrem Schiff jetzt Schutz! Das hatte ich leider nicht bedacht. Die Zukunft könnte also, wenn wir nicht aufpassen, doch noch so stattfinden, wie ich sie in meinen schlimmsten Albträumen gesehen habe.“ „Oh dessen bin ich nicht so sicher.“, sagte Telzan. „Cirnach kommt mit dem Weben des Tuches gut voran und wenn es so weiter geht, dann dürften wir, wenn die Dimensionen untergehen, dies als einzige überleben. Ihr werdet dann absolute Macht haben und dann könnt Ihr Euch die Dimensionen so wiedererschaffen, wie es Euch beliebt. Dann wird es keine Föderation, keine Tindaraner, keinen Dill und auch sonst niemanden mehr geben, der Euch ins Handwerk pfuschen könnte.“ „Ach, wenn es doch nur schon so weit wäre!“, stöhnte Sytania. „Ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, die Sache ein wenig zu beschleunigen.“ „Gerade das solltet Ihr nicht tun!“, sagte Telzan fest, langsam und deutlich. „Man weiß in den Kreisen Eurer Widersacher schon längst, dass Ihr an der Sache nicht gerade unschuldig seid. Wenn Ihr Euch jetz noch über die Maße einmischt, dann wirkt das wie ein Geständnis und selbst die größten Zweifler werden überzeugt sein. Außerdem wäre es Wasser auf die Mühlen einer gewissen demetanischen Agentin, die Ihr ja ohnehin als Eure persönliche Gegnerin betrachtet. Wollt Ihr das?“

Sytania gab einen schweren Seufzer von sich. „Nein, Telzan!“, sagte sie. „Das will ich natürlich nicht. Ach, ich weiß schon, warum du mein bester Stratege bist. Du hast die Besonnenheit und Geduld, die mir offenbar abgeht. Gut, dass du mich aufmerksam gemacht hast. Aber lass uns doch mal das Thema zu etwas Erfreulicherem wechseln. Wie geht es mit dem Feld voran?“ „Es wird von Tag zu Tag besser.“, sagte Telzan. „Die Anfangsschwierigkeiten scheinen wohl endlich überwunden zu sein. Ich denke, das Feld hat sich in sein Schicksal gefügt. Cirnach hat mich heute untersucht. Sie denkt, dass ich das Feld wahrscheinlich schon morgen übertragen muss. Wenn das passiert ist, werde ich persönlich mit einem Schiff in die interdimensionale Schicht fliegen und die Torpedos ausbringen. Das wird den Untergang zwar auch beschleunigen, aber es wird zu einem Zeitpunkt geschehen, an dem sowieso keiner mehr etwas ändern kann. Dann kann es Agent Sedrin Taleris-Huxley egal sein, ob sie Euch draufkommt. Sie wird nicht mehr dazu kommen, Euch zu verhaften, weil sie dann schon nicht mehr leben wird.“ Er lachte hämisch. „Das klingt alles sehr gut, Telzan.“, sagte Sytania. „Dann habe ich ja etwas, auf das ich mich freuen kann. Wie es aussieht, hätte das Timing für das Feld auch nicht besser sein können. Wie es aussieht, kommt der große Knall auch schon morgen. Du hast also alles richtig gemacht. Die Quellenwesen werden sich schwarzärgern, wenn sie sehen, dass ihr schönes Feld derart von uns missbraucht wird!“ „Dem kann ich nur zustimmen, Hoheit.“, sagte Telzan.

Der Vendar war noch einmal geistig zu Larsson zurückgekehrt. „Um noch einmal auf diesen vertrottelten Grenzpolizisten von der Föderation zurückzukommen, den Ihr von Euch träumen lassen habt.“, sagte er. „Glaubt Ihr nicht, er könnte zu seinen Vorgesetzten laufen und ihnen stecken, dass Ihr ihn des Nachts in seinem Geist besucht habt?“ „Ach, Telzan.“, sagte Sytania abfällig. „Für was für eine Anfängerin hältst du mich denn eigentlich, he? Denkst du nicht, ich hätte da nicht vorgesorgt? Natürlich habe ich ihm nicht gezeigt, dass ich eben ich bin. Ich habe ihm nur telepathisch übertragen, was ich in einer Vision gesehen hatte, nämlich die Überquerung der Grenze durch Allrounder Betsy Scott und ihr Schiff. Wer die Absenderin der Nachricht war, wird er niemals erfahren. Wirklich niemals! Oh, es war mir ein Leichtes, in seinen Geist einzudringen und ihm die Vision zu überspielen. Wie du schon gesagt hast. Er ist nicht sehr helle, was das angeht. Wenn Scott die Zeit gehabt hätte, ihn mit der Nase darauf zu stoßen, dann hätte es vielleicht anders ausgesehen. Aber die hatte sie ja nicht, weil ihr Schiff und Invictus rechtzeitig reagiert haben. Aber er hätte ihr sowieso nicht geglaubt, weil er jetzt womöglich von sich meint, hellsehen zu können, der Idiot. Oh, ihr Götter, war ich froh, als ich diesen unterbelichteten Kopf wieder verlassen konnte!“ „Ihr habt mein Mitleid, Milady.“, sagte Telzan und sah sie fast freundlich an. „Aber was können wir tun? Ihr sagtet, dass Ihr eine Vision gehabt hättet, die sehr grausig sei. Was beinhaltete sie in Bezug auf Scott und ihre Mission?“ „Wenn wir nichts tun!“, sagte Sytania und wurde dabei sehr aufgeregt. „Dann könnte es sein, dass sie das Band zwischen Valora und mir doch noch zerstört. Aber wir können nichts tun, jetzt, da Invictus seine Kräfte wiederbekommen hat. Diese verdammte Celsianerin! Hat sie uns doch wirklich hereingelegt!“ „Ihr sprecht von Ginalla El Celsius.“, vergewisserte sich der Vendar. „Ja, sie hat uns wahrlich hereingelegt. Da schlüpft sie einfach mit einem zweiten Gerät und ihrem Schiff durch unsere Kontrollen. Meroola Sylenne war also nur ein Köder. Aber anscheinend ist sie wohl doch auf unserer Seite. Sonst hätte sie ja nicht …“

Er schluckte. Fast wäre ihm der Grund für den Deal mit Meroola entglitten. „Sonst hätte sie nicht was?!“, fragte Sytania nach. „Sonst hätte sie uns nicht so freiwillig den Zweck des Gerätes verraten.“, sagte Telzan. „Sie sagte, dass es, wenn man es ein wenig umbaut, mir durchaus bei der Umerziehung des Feldes helfen könnte. Genau das ist auch passiert. Sonst wäre ich jetzt sicher nicht so weit, wie ich es bin.“ „Schau an, schau an.“, sagte Sytania. „Unsere neueste Gefangene ist also eine Doppelagentin. Erst gibt sie vor, auf der Seite des Guten zu kämpfen, entscheidet sich dann aber doch für uns. Kluges Kind! Sie weiß eben, auf welcher Seite das Brot gebuttert ist.“ „In der Tat!“, bestätigte Telzan fest. „Das weiß sie. Deshalb möchte ich anregen, dass wir ihr so schnell wie möglich die Freiheit schenken. Sie wird aber ein Schiff benötigen. Ich würde ihr gern eines unserer Shuttles geben.“ „Wir wollen es mal nicht übertreiben!“, sagte Sytania. Eine Rettungskapsel wird reichen. Aber warum will sie denn überhaupt weg? Sie könnte doch ebenso gut hier abwarten, bis alles vorbei ist!“ „Sie sagt, sie traut dem Braten nicht.“, sagte Telzan. „Außerdem ist sie daran interessiert, dass ihre Heimat tatsächlich untergeht. Das würde sie gern Live sehen. Wenn man bedenkt, wie übel man ihr schon in ihrem Leben mitgespielt hat, dann lässt sich das auch durchaus verstehen. Sie hat mir während der Behandlungen, die sie mit Hilfe des Gerätes bei mir durchgeführt hat, ihre gesamte Geschichte erzählt und sogar ich bin dabei fast in Tränen ausgebrochen.“ „Nun gut.“, sagte Sytania. „Sie soll ihre Freiheit und die Kapsel haben. Geh in ihre Zelle und sag ihr das!“ „Sofort, Herrin!“, rief der Vendar aus, drehte sich zackig um und verließ den Thronsaal von Logars ehemaligem Schloss, das jetzt ja Sytanias Schloss war. Natürlich war ihm klar, dass er die Wahrheit ein wenig verdreht hatte. Aber er hatte sie offenbar gut genug verkauft, dass die Königstochter sie ihm abnehmen musste.

Meroola erwartete ihn bereits in ihrer Zelle. Sie saß vor dem Monitor des Gerätes und hielt ihm die Griffe hin. „Setz dich.“, sagte sie und grinste ihn verbrecherisch an. „Das wird die letzte Behandlung werden, Meroola Sylenne.“, sagte Telzan. „Ich verstehe.“, sagte sie lakonisch. „Morgen soll die Welt also untergehen, wie?“

Sie aktivierte das Gerät. „In der Tat!“, sagte Telzan mit einem genießerischen Ausdruck im Gesicht. „Aber du bekommst eine Rettungskapsel. Damit kannst du in die interdimensionale Schicht fliegen und deiner Heimat beim Untergang zusehen.“ „Ich danke dir.“, sagte Meroola, die sehr gut verbarg, warum sie die Kapsel tatsächlich haben wollte.

Die Behandlung hatte geendet. „So, das wär’s.“, sagte Meroola. „Morgen komme ich mit der Vorrichtung und dann verteilen wir die Energie auf die Torpedos. Deine Sifa ist kurz vor dem Zeitpunkt der Übertragung.“ „In Ordnung.“, sagte Telzan. „Ich selbst werde dich dann zu deiner Kapsel eskortieren.“ „OK.“, sagte Meroola und sah grinsend zu, wie ihr Gefängniswärter, der ihr wie ein zahmes Lamm aus der Hand fraß, die Zelle wieder verließ.

Kapitel 90: Eine gefährliche Mission

von Visitor

 

 

Lycira und ich hatten die Grenze überquert. Das hatte sie mir aber auch nur sagen können, weil sie ihre interdimensionalen Sensoren benutzte, mit denen sie quasi einen Röntgenblick nach außerhalb der Hülle des Kometen hatte. Wir sind bald da, Betsy., sagte sie. Leider werden wir unser Versteck jetzt verlassen müssen. „Schade, Lycira.“, gab ich zurück. „Die Schaukelei hatte gerade angefangen, mir so richtig Spaß zu machen. Aber was ist mit Invictus? Er wollte uns doch zu dem Clan führen. Wo ist er?“ Nun., machte mein Schiff eine Andeutung. In gewisser Weise war er die gesamte Zeit über hier.

Ich begann nachzudenken. Schon die gesamte Zeit, die unser Flug innerhalb des Kometen gedauert hatte, hatte ich mich gefragt, wo er eigentlich so plötzlich hergekommen war. Was war, wenn sich Invictus in den Kometen verwandelt hatte und Lycira das erkannt hatte. Offenbar hatte sie mich aber nicht mehr warnen können, aber es war wohl auch gut so. Je weniger ich wusste, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass mir einmal ein versehentlicher Gedanke daran vor den falschen Leuten herausrutschte. Schließlich war ich Nicht-Telepathin und merkte so nicht unbedingt, wenn jemand sich in meinen Geist begab, außer er tat Dinge, die es mich merken lassen würden. Aber wenn jemand heimlich meine Absichten herausfinden wollte, dann war das wohl für ihn eher kontraproduktiv. Dann war es schon besser, ich wusste es erst gar nicht.

„Moment mal, Lycira.“, sagte ich. „Du hast die ganze Zeit über gewusst, dass es sich bei dem Kometen um den verwandelten Invictus handelt. Du hast mir nur deshalb nichts gesagt, weil du mich schützen wolltest. Ich sollte nicht aus Versehen etwas ausplaudern oder zeigen können, du verstehst?“ Oh, Betsy!, antwortete sie. Wenn so manches andere Schiff wüsste, was ich für eine intelligente Pilotin habe, dann würde ihm sicher vor Neid der Rostschutzlack von der Hülle platzen und zwar deckplattenweise! „Also tatsächlich.“, sagte ich. Ihr Avatar vor meinem geistigen Auge nickte.

Wir flogen tiefer in das genesianische Gebiet ein. Jetzt sah mein Schiff auch die Energiewolke wieder, in die sich Invictus verwandelt hatte. Diese führte uns schließlich zu einem Planeten, in dessen Umlaufbahn Lycira schwenkte. Wir sind da, Betsy.“, sagte sie. Ich werde dir aber auch eine Waffe mit Techniker Jannings‘ Hilfsmittel replizieren. Man weiß ja nie. „Das wirst du schön bleibenlassen, Lycira!“, sagte ich fest. „Wenn ich bewaffnet zu den Genesianern komme, dann werden sie denken, ich sei auf einen Konflikt aus, was ich ja gar nicht bin.“ Aber dann lass mich bitte wenigstens eine dauerhafte Sprechverbindung zu dir halten!, bat mein Schiff schon fast verzweifelt. Und dich zumindest von hier oben beschützen, wenn es sein muss! Du weißt, dass es meine Aufgabe ist, meine Pilotin zu schützen! „Auch wenn sie dir sagt, dass sie nicht beschützt werden will?!“, fragte ich. „Pass auf! Ich werde mich auf deinen Kompromiss einlassen. Aber mich würde noch interessieren, was Invictus zu der Sache meint.“

Kaum hatte ich das gesagt, hörte ich die Stimme des Einhorns in meinem Geist: Das sollst du auch erfahren, Betsy Scott! Ich bin der Meinung, dass du alle Waffen hast, die du benötigst. Aber Lycira kann nicht anders. Sie wurde ebenso programmiert. Deshalb ist ihr Kompromiss der einzig gangbare Weg! Außerdem stehst du auch noch unter meinem Schutz. Wir werden von Situation zu Situation gemeinsam entscheiden. Wenn es möglich ist, alle drei. Ich habe eine geistige Verbindung zu dir und Lycira unterhält sie per SITCH. Wir sind also jederzeit alle beide über deine Situation informiert. Sorge dich also nicht! „Ok!“, gab ich erleichtert zurück.

Ich hatte plötzlich den Eindruck, das Modell einer Tempelanlage zu betasten. Natürlich kam das nur daher, dass mir Lycira zeigte, was sie sah. „Ist das der Tempel der Rotash, den sie für ihre angebliche neue Göttin errichtet haben?“, fragte ich. Das ist er., gab Lycira zurück. Siehst du das Einhorn am Eingang? Es ist das Symbol für Valora. Ich beame dich der Torwächterin am besten direkt vor die Nase. Umso eher hast du ihre Aufmerksamkeit. „Alles klar.“, sagte ich, nahm den Neurokoppler ab und stand auf: „Aktivieren, Lycira! Sobald ich unten bin, informierst du die Granger!“ „OK, Betsy.“, sagte mein Schiff dieses Mal über den Lautsprecher in der Konsole und aktivierte ihren Transporter.

Ich fand mich in mitten einer Dschungellandschaft wieder. Aber bevor ich noch großartig nachdenken konnte, stellte sich mir eine Kriegerin in den Weg und hielt mich zurück: „Wer bist du, Terranerin und was tust du hier? Wir sind gerade mitten in einer heiligen Zeremonie! Du störst! Mach, dass du fortkommst!“

Sie hatte ihren Griff, mit dem sie mich fast eisern umklammert hatte, wieder gelöst. Das hatte mir Gelegenheit gegeben, mich zu ihr zu drehen und mit fester Stimme zu sagen: „Ich bin Betsy Tochter von Renata! Und ich bin hier, um euch zu zeigen, dass ihr eine falsche Göttin anbetet!“ „So?“, fragte die Kriegerin zynisch. „Tun wir das?“ Dann hörte ich ein Geräusch, das mir unmissverständlich klarmachte, dass sie ihren traditionellen Dolch gezogen haben musste. Aber mein geschultes feines Gehör hatte mir noch ganz andere Sachen verraten. Obwohl sie sich große Mühe gegeben hatte, sehr überzeugt zu klingen, war ihr das irgendwie nicht ganz gelungen. Ihre Betonung war überzeichnet und fast so, als spielte sie mir ein Theater vor. Sie war offenbar nicht wirklich der Überzeugung, die sie da gerade krampfhaft versuchte, mir darzulegen.

Im Ohrhörer meines Sprechgerätes hörte ich plötzlich Lyciras Stimme: „Betsy, ich habe sie erfasst und muss nur noch feuern, wenn du es wünscht. Keine Angst, mein Phaser steht auf Betäubung.“ „Lycira, ich habe nein gesagt!“, gab ich streng zurück.

In diesem Augenblick geschah mit der Kriegerin etwas Seltsames. Sie warf ihre Waffe in hohem Bogen von sich, soweit ich das beurteilen konnte und schlang ihre Arme um mich. Dann presste sich ihr zitternder Körper an den meinen. „Hast du gerade Lycira gesagt?“, flüsterte sie in mein rechtes Ohr. „Ja.“, sagte ich ruhig. „Dann musst du Allrounder Betsy Scott von der Sternenflotte sein.“, vermutete die Kriegerin. „Oh ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Ihr habt doch eure Oberste Direktive. Die würde euch doch verbieten, uns zu helfen.“

Ihre Ausdrucksweise hatte mich verwirrt. Sie hatte davon gesprochen, die Hilfe der Föderation zu erwarten. Sie hatte es Hilfe genannt und nicht Ketzerei. Jenes Verhalten würde nur dann Sinn machen, wenn sie eine Spionin Shashanas wäre und keine echte Rotash.

Ich drehte mich ins Profil und richtete mich auf. Dann sagte ich: „Sieh mich an, Kriegerin! Trage ich etwa eine Uniform der Sternenflotte?“ „Nein.“, sagte sie. „Du siehst aus, als seist du eine ganz normale Bürgerin der Föderation.“ „Genau.“, sagte ich. „Und die Bürgerin Betsy Scott findet, dass Sytania mal gehörig der Hintern versohlt werden muss und Valora aus ihrer Verblendung geführt gehört!“ Angesichts meiner Wortwahl musste die Kriegerin schallend lachen. „Na gut!“, sagte sie. „Dann will ich dir auch mal was verraten, Bürgerin Betsy Scott. Die Sternenflottenoffizierin in dir scheint ja im Moment nichts zu melden zu haben. Dann ist ja alles in bester Ordnung. Sie konnte dich offenbar nicht davon abhalten, gegen die ach so heilige Oberste Direktive zu verstoßen, weil du genau weißt, was hier auf dem Spiel steht. Genau das weiß ich auch. Deshalb habe ich mich freiwillig gemeldet, als Shashana nach einer Spionin suchte.“ „Habe ich es mir doch gedacht.“, sagte ich. „Und nun, da wir Verbündete sind, darf ich den Namen meiner neuen Freundin erfahren?“ „Ich bin Adriella.“, sagte die Kriegerin. „Es ist besser, wenn du meinen vollen Namen nicht kennst. Wer weiß, wer dich am Ende vielleicht noch in die Finger bekommt und dann …“ „Verstehe, Adriella.“, sagte ich. „Aber diese Strategie kommt mir irgendwie bekannt vor.“

Sie stellte sich links von mir hin und bot mir ihren rechten Arm: „Komm, Betsy Tochter von Renata! Ich werde dich führen. Wir beide werden es irgendwie hinbekommen, denke ich!“ „Dessen bin ich mir auch sicher.“, sagte ich und hakte mich bei ihr ein. „Ich habe da auch schon eine Idee. Ich werde zwar etwas schauspielern müssen, aber das schaffe ich schon. Du musst mir nur vertrauen und darfst keine unnützen Fragen stellen. Sonst kommen sie uns noch drauf und das willst du ja sicher auch nicht.“ „Da hast du Recht.“, sagte Adriella und dann setzten wir uns in Richtung Tempel in Bewegung.

Im Reich der Toten saß Shimar vor dem Fernseher und sah sich gemeinsam mit Mikosch an, was im Diesseits geschah. Sicher hätte er das auch ohne das Gerät tun können, aber er hatte sich jetzt schon sehr an das Dasein in Rudis Wohnung gewöhnt und da gehörte das Gerät nun einmal dazu. Gerade hatte er gesehen, wie Shannon und Scotty IDUSA quasi das Leben gerettet und die tindaranische Regierung auf ihren Fehler aufmerksam gemacht hatten. Auch ihr Einlenken hatte er zur Kenntnis genommen. „Das glaube ich einfach nicht.“, sagte er. „Ausgerechnet Shannon rettet mein Schiff und sorgt für politisches Umdenken. Das hätte ich ihr wirklich nicht zugetraut.“

Er wandte sich dem Kater zu: „Du etwa?“ Mikosch, der halb geschlafen hatte, hob nur kurz den Kopf und gähnte. „Schon klar.“, sagte der junge tindaranische Flieger. „Du kennst sie ja nicht. Dieses Programm muss ja für dich irre langweilig sein. Warte mal. Ich suche uns was Besseres.“

Er schaute den Fernseher fest an und konzentrierte sich auf mein Bild. Tatsächlich sah er alsbald, wie Adriella und ich den Pfad zum Tempel entlanggingen. Er war gerade in den Moment eingestiegen, in welchem ich gegenüber der genesianischen Kriegerin meine Absicht kundgetan hatte, Sytania mal so richtig den Hintern zu versohlen. „Hat dir schon mal jemand gesagt, wie sexy du wirst, Kleines, wenn du davon sprichst, Sytania eine fiese Niederlage zu bereiten?!“, sagte Shimar und gab einen Laut von sich, als hätte er gerade sein Lieblingsessen erspäht und vor, es jetzt auf einen Ratz zu verschlingen. „Noch besser ist es natürlich, wenn du es dann auch noch tust und ich zusehen darf und noch besser ist es, wenn wir es zusammen tun. Das ist …“ Er machte das Geräusch erneut.

Mikosch sah ihn nur skeptischen Blickes von oben bis unten an, als würde er schon ahnen, was noch kommen würde. „Was weißt du denn davon?“, fragte Shimar etwas konsterniert. „Ich dachte, dich hätten sie bei Zeiten kastriert.“

Adriella und ich hatten den Eingang des Tempels erreicht. Aus seinem Inneren schallte uns bereits eine laute Stimme entgegen. „Kriegerinnen vom Clan der Rotash!“, sagte sie. „Wir sind heute hier zusammengekommen, um unserer Göttin das Heiligste zu opfern, was wir haben. Unser Blut!“ „Was genau hat das zu bedeuten, Adriella?“, flüsterte ich meiner neuen Verbündeten zu. „Sie stechen sich alle nacheinander einen heiligen Dolch in den Bauch.“, antwortete sie. „Dabei versuchen sie, ihre Hauptschlagader zu treffen.“ „Ihre was?!“, empörte ich mich. „Aber dann werden sie ausbluten und das ist doch eigentlich für eine Genesianerin ein wirklich jämmerlicher Tod. Normalerweise bringt euch so was doch automatisch in die Zwischenwelt und nicht ins Gore!“ „Da siehst du mal, wie weit unser Glaube pervertiert ist!“, sagte Adriella. „Dem müssen wir wirklich ein Ende bereiten!“, sagte ich entschlossen. „Bring mich zu der Priesterin!“

Sie führte mich durch den Eingang in den Tempel, wo uns die Priesterin, eine große schlanke Kriegerin mit schwarzem Haar, gleich ansichtig wurde. Sie hatte außerdem ein metallenes Horn in der Hand, in dem sich bereits allerlei Blut befand.

Adriella, die aufgrund ihrer Intelligenz, wie ich sie einschätzte, längst verstanden hatte, schob mich in ihre Richtung, damit sie mich auch ja sehen konnte. „Was tut diese Ungläubige hier, Adriella?!“, fragte sie erbost. „Warum wagt sie es, unsere heilige Opferzeremonie zu stören?“ „Oh ich bin keine Ungläubige.“, sagte ich. „Ich mag zwar so aussehen, aber ich bin total von eurem Glauben überzeugt! Heil dir, Valora!“

Diesen Fehler hatte ich absichtlich gemacht. Natürlich wusste ich, dass Valora als Wächterin von Gore angesprochen werden wollte, Aber ich wollte erreichen, dass alle ein wenig verwirrt waren. Offenbar war mir das, zumindest bei der Priesterin, auch gelungen, denn sie sah mich an und fragte: „Wie kannst du von unserem Glauben überzeugt sein, Terranerin und nicht wissen, dass Valora in Wahrheit die Wächterin von Gore ist? Ich zweifle wirklich an deiner Überzeugung!“ „Dann soll die Göttin selbst entscheiden, ob ich es wert bin, in euren Orden aufgenommen zu werden. Ich bin bereit, meinen Glauben durch sie prüfen zu lassen. Sie soll in meinen Geist sehen und dort wird sie es feststellen können. Kannst du das ermöglichen, Priesterin?!“, erklärte ich.

Die Genesianerin wollte noch etwas erwidern, aber dazu kam sie nicht, denn im gleichen Moment fuhr ein schwarzer Blitz durch die Decke und Valora stand vor uns. Du willst also ernsthaft, dass ich deinen Glauben prüfe, Betsy Scott? In Ordnung! Das kannst du haben!

Das Eindringen in meinen Geist spürte ich natürlich nicht, aber ich bemerkte sehr wohl, dass sie meine Erinnerungen um- und umdrehte. Dabei kamen auch recht unschöne Dinge zutage, die ich am liebsten längst vergessen hätte. Ich wusste, ich durfte mich nicht wehren oder gar versuchen, sie auf Invictus‘ Hinterlassenschaft zu lenken. Man hätte mir sonst Schmus vorwerfen können. Lange würde ich das aber nicht mehr aushalten. Offenbar hatte ich mich überschätzt.

Adriella war hinzugekommen. An meinem verzerrten Gesicht musste sie gesehen haben, dass etwas mit mir nicht stimmte. „Du musst durchhalten!“, rief sie mir zu. „Nimm meine Hand und drück sie, wenn es zu schlimm wird! Aber du musst warten, bis sie es von allein gefunden hat! Erinnere dich an dein mentales Sternenflottentraining und vor allem an das, was dir Shimar beigebracht hat! Vertraue darauf und auf mich! Hier, nimm meine beiden Hände!“ „Oh, Adriella!“, rief ich atemlos und griff zu. „Gerade das darf ich nicht! Ich darf nicht versuchen, die Sache irgendwie zu steuern, sonst …!“ Ich gab einen Schrei von mir und drückte ihre Hände so fest, dass ich mir einbildete, ihre Knochen brechen zu hören.

Rudi war von einem Spaziergang mit Mausi zurückgekehrt. Sofort hatte er Shimar gesehen, der krampfhaft versuchte, durch den Fernseher mit mir Kontakt aufzunehmen. Immer wieder dachte er angestrengt: Komm schon, Kleines! Halt durch! Wir sind ja alle bei dir! So weit entfernt ist Valora nicht mehr! Das sehe ich! Halt durch! Halt durch!

Rudi war an die Couch herangetreten, auf der Shimar und Mikosch saßen. „Du strengst dich ganz umsonst an, mein Junge.“, sagte er zu dem jungen tindaranischen Flieger. „Sie empfängt dich nicht. Zumindest nicht auf diesem Weg. Dieser Fernseher ist einem aus meinem Jahrhundert nachempfunden und die waren ja auch nicht interaktiv. Spare deine Kräfte!“ „Aber ich muss doch …“, sagte Shimar bereits total erschöpft. „Du musst gar nichts.“, sagte Rudi. „Überleg doch mal. Jeder mentale Eingriff könnte von Valora als Betrug gewertet werden und dann glaubt sie nicht, was sie sehen wird. Denk doch nach, mein Sohn. Ich weiß, dass es schwierig ist, eine Kameradin, die du noch dazu liebst, in so einer Situation zu sehen und nichts tun zu können. Mir geht es ja genauso. Ich liebe mein Miezerle ja nach wie vor über alles. Auch ich fühle wie du. Aber wir müssen uns zusammennehmen. Sonst öffnen wir dem Feind Tür und Tor und machen ihren Plan kaputt. Willst du das etwa?! Sie hat diese Kriegerin. Sie ist die Einzige, die ihr jetzt helfen darf. Adriella kann zwar nicht mehr, als psychischen Beistand leisten, aber das muss jetzt reichen. Hör auf einen alten erfahrenen Soldaten, Shimar von Tindara! Höre auf mich!“

Shimar ließ von weiteren Kontaktversuchen ab. „Du hast Recht, Rudi.“, sagte er schließlich. „Aber sie tut mir einfach nur leid.“

Valora hatte inzwischen die Stelle in meinem Geist erreicht, an der Invictus die Vision und ihre Folgen abgelegt hatte. Jetzt sah sie genau, was sie und er sich damals geschworen hatten und erinnerte sich auch daran, wie erschüttert sie gewesen war über das Bild ihrer eigenen Kinder, für die wir nichts anderes waren als Schachfiguren. Aber sie sah auch, dass sie ja das gleiche Recht zur Paarung mit sterblichen Hengsten hatte, wie es Invictus mit sterblichen Stuten tat, um zu realisieren, dass sich ihre Kinder an die Kostbarkeit des Lebens erinnern würden.

Jetzt erinnere ich mich wieder., sagte sie. Oh was war ich für eine Närrin! Auf was habe ich mich da eingelassen?! Warum nur habe ich mich nicht früher erinnert und zugelassen, dass meine Eifersucht solche Blüten treibt?! Und vor allem, warum habe ich mich auf Sytania eingelassen?!

Sie drückte ihren Kopf gegen meine Brust und ich begann damit, sie liebevoll zu streicheln. Dabei kamen mir, wohl auch aus Erschöpfung aber auch vor Rührung, die Tränen. „Es ist ja schon gut, Valora.“, sagte ich. „Das alles ist ja schon über 5000 Jahre her. Da kann es schon mal passieren, dass man es vergisst.“ Aber eigentlich darf es das nicht!“, gab Valora zurück. Invictus hat es ja auch nicht vergessen. Aber vielleicht ist sein Gedächtnis einfach besser als meines. „Das vermag ich nicht zu beurteilen.“, sagte ich diplomatisch.

Es gab einen weißen Blitz und der Drudenfuß auf ihrem Hinterteil war verschwunden. Fort mit diesem unseligen Symbol des Bösen!, sagte sie noch. Dann wandte sie sich den Genesianerinnen zu: Hört mich ein letztes Mal an. Ich bin nicht die Wächterin von Gore. Ich bereue, was ich euch getan habe und dass ich mich mit Sytania zusammentat, um euch so schändlich zu betrügen. Bitte glaubt nicht länger an mich. Kehrt zu eurem alten Glauben zurück. Das ist besser für euch.

Leandra war aus der Menge getreten und hatte einen Phaser in der Hand. „Du!“, stieß sie hervor und richtete die Waffe auf mich. „Du hast uns alles zerstört. Dank dir müssen wir wieder die Zeit der Schande ertragen. Dafür wirst du sterben, Betsy Scott! Sterben wirst du!“

„Deckung nehmen!“ Eine weibliche Stimme hatte diesen Befehl in den Raum gerufen. Wie automatisch warf ich mich auf den Bauch und dann hörte ich zweifaches Phaserfeuer über mir. Dann fiel jemand neben mir hin.

Als nächstes erinnerte ich mich, dass ich wieder im Pilotensitz von Lycira saß und meine Hände in den Mulden lagen. Es wird alles wieder gut, Betsy., schmeichelte mir ihre liebe Stimme zu. „Lycira!“, stammelte ich. „Wo kommst du her? Ich hatte dir doch befohlen …“ Du hattest mir befohlen, die Granger zu informieren., sagte mein Schiff. Das ging auch per Mail. Du hattest nicht gesagt, dass ich hinfliegen soll. „Dann danke ich dir, dass du meine Befehle so wörtlich ausgeführt hast.“, sagte ich erleichtert. Du kennst mich doch., sagte sie.

Das Sprechgerät piepte. Wir werden gerufen., erklärte Lycira. Es ist ein Rufzeichen aus dem Tempel. „Lass mich hören.“, sagte ich.

Ihr Avatar nickte und dann hörte ich Adriellas Stimme: „Hier ist Adriella Prätora des Clans der Rotash! Da ich, um dich zu retten, Prätora Leandra getötet habe, bin ich jetzt Prätora. Ich habe auch eine eigene Theorie zur Zeit der Schande. Der Grund, aus dem die Götter das nicht korrigiert haben, ist meiner Meinung nach, dass wir, als ein Volk von tapferen Kriegerinnen, uns jeder Unbill stellen sollten mit Tapferkeit und Würde und nicht den Problemen ausweichen und bequeme Lösungen suchen sollten wie dreckige Ferengi! Das haben auch meine Kriegerinnen eingesehen. Auch Valora hat uns verlassen. Danke, Bürgerin Betsy Scott! Danke für alles! Oh eines noch: Valora sagte, dass es ihr und Invictus nicht mehr möglich sei, das Ende der Dimensionen zu verhindern. Dafür ist der Schaden zu groß. Aber sie setzt große Hoffnungen in euch.“ Das Gespräch endete.

Wohin jetzt, Betsy?, fragte Lycira. „Hast du die Position der Granger?“, fragte ich. Ja., gab sie zurück. „Dann bring uns hin!“, befahl ich. Lyciras Avatar nickte und sie setzte Kurs, um danach sofort auf Warp zu gehen.

Rudi und Shimar hatten alles am Fernseher mitbekommen. „Das hätte ich ihr nicht zugetraut.“, sagte der junge Tindaraner und machte ein überraschtes Gesicht. „Oder kennst du so etwas von deinem Miezerle?“ „Nun.“, sagte Rudi. „Sie gibt sich normalerweise immer recht unschuldig, aber ich habe auch schon erlebt, dass sie auch anders kann, wenn sie will. Sie ist nur meistens rational genug, um nicht sofort überzureagieren.“ „Das habe ich auch schon festgestellt.“, sagte Shimar. „Aber wenn sie dann doch mal ihre bissige und kratzige Seite zeigt, unsere kleine Miezekatze, dann hat man meistens keine Fragen mehr. Aber gerade das macht ja ihren Auftritt dann auch so wirksam. Aber mal was anderes: Mich würde brennend interessieren, was Sytania jetzt zu unternehmen gedenkt, da ihre Verbindung zu Valora zerstört ist. Die hat ja schließlich erkannt, dass sie da ganz schön auf dem Holzweg war. Die Einhörner sind ja viel mächtiger als Sytania und wenn Valora damals nicht freiwillig ja gesagt hätte, dann wäre diese Allianz ja nie zustande gekommen.“ „Das ist wohl richtig.“, antwortete mein Großvater. „Aber bevor wir nachsehen, ob wir auch Feindsender sehen können, würde ich dir vorschlagen, du redest erst einmal. Ich sehe nämlich, dass dir noch etwas auf der Seele brennen muss, so wie du mich ansiehst.“ „Das stimmt tatsächlich.“, sagte Shimar. „Ich hätte nie gedacht, dass sie sich traut, jemanden anders als mich in ihren Geist zu lassen, noch dazu wenn sich derjenige nicht bemerkbar macht. OK, sie hat es ja selbst Valora angeboten, aber selbst das hätte ich nicht von ihr gedacht. Sie ist viel mutiger geworden, was Telepathie angeht.“ „Und das verdankt sie nur dir!“, sagte Rudi stolz. „Mir?“, fragte der tindaranische Aufklärerpilot unschuldig und sah ihn ungläubig an. „Was habe ich denn schon groß getan? Ich habe sie doch nur an die harmlose Seite der Telepathie herangeführt. Ich wollte doch nur, dass sie ihre Angst verliert. Valora in ihren Geist zu lassen, das stellte meiner Meinung nach schon ein ganz schönes Risiko dar. Sie hatte ja ihre Meinung noch nicht geändert und hätte Betsy schwer traumatisieren oder sogar verletzen können, wenn ihr nicht gepasst hätte, was sie dort gesehen hätte. Dann wäre vielleicht meine ganze Arbeit umsonst gewesen.“ „Hätte spielt Klarinette, mein Sohn.“, sagte Rudi. „Es ist ja Gott sei Dank alles ganz anders gelaufen. Valora ist schließlich nicht Sytania, auch wenn sie in ihrer Verblendung zunächst auf deren Seite war. Aber wie du gesehen hast, war das ja nur ein temporärer Zustand. In ihrem Inneren hat sie doch einen guten Kern. Die Eifersucht kann nur manchmal extrem scheußliche Blüten treiben, mein Junge. Glaub einem alten Mann. Ich habe Erfahrung. Ich weiß, wovon ich rede.“ „Das spreche ich dir auch sicher nicht ab.“, sagte Shimar. „Aber jetzt möchte ich doch sehr gern sehen, was unsere Feindin so treibt.“ „Also gut.“, sagte Rudi. „Versuchen wir es mal. Aber ich denke, du solltest es besser tun. Du weißt schließlich besser, wie sie und ihr Schloss aussehen.“ „Ach ja.“, sagte Shimar. „Wir müssen dem Fernseher ja die richtigen Befehle geben. Sonst weiß er ja nicht, was er uns zeigen soll.“ Damit begann er, sich auf das Bild von Sytania in Logars Thronsaal zu konzentrieren. Dass das Schloss ihres Vaters durch die Prinzessin erobert worden war, das wusste er schließlich.

 

Kapitel 91: Die Festung des Bösen bröckelt

von Visitor

 

Tatsächlich hatte Sytania schmerzhaft erfahren müssen, dass Valora ihr die Freundschaft gekündigt hatte. Die Vereinigung ihrer Macht mit der Sytanias hatte das Einhorn sehr schnell rückgängig gemacht. Das hatte die imperianische Königstochter sofort zu spüren bekommen. Blass und mit schmerzverzerrtem Gesicht war sie auf ihrem Thron zusammengebrochen. Es war Telzan gerade noch gelungen, ihren Körper zu stützen und sie auf den Boden zu legen.

Sofort zog der Vendar seinen Erfasser und begann damit, Sytania von Kopf bis Fuß zu scannen. Endlich schlug seine Gebieterin wieder die Augen auf. „Was ist geschehen, Telzan?“, fragte Sytania. „Was tue ich hier auf dem Boden?“ „Ihr wart bewusstlos, Herrin.“, sagte der Vendar leise und setzte sich neben sie. Dann nahm er ihren Oberkörper in einen speziellen Griff und half ihr sich aufzusetzen. Dann rutschte er näher an sie, um ihr als lebendige Lehne dienen zu können. „Das tut gut, Telzan.“, sagte Sytania. „Aber was ist gerade geschehen?“ „Das Gleiche könnte Ich Euch fragen.“, sagte der Vendar. „Mein Erfasser hat festgestellt, dass Valora wohl die Verbindung zu Euch getrennt haben muss und das ziemlich gewalttätig, als wollte sie es Euch heimzahlen. An was erinnert Ihr Euch?“ „Nur daran, dass Valora bei den Genesianern erschienen ist und den Glauben einer Fremden geprüft hat. Aber dabei muss sie sich erinnert haben, was sie und Invictus sich damals geschworen haben, als die Quellenwesen ihnen zur Warnung eine Vision schickten. Sie hat alles im Geist der Fremden gesehen. Danach hat sie sich leider wieder erinnert, dass sie ja das gleiche Recht wie Invictus hat. Das bedeutet, sie ist kein armes betrogenes Opfer. Sie war nur etwas vergesslich. Das macht aber meine ganze Strategie kaputt. Jetzt habe ich nichts mehr, was ich ausnutzen kann und das Schlimmste ist, dass sie jetzt auch noch gemerkt hat, dass ich sie nur hinters Licht geführt und ihre Situation für mich ausgenutzt habe. Wenn ich nur wüsste, wer die verdammte Fremde war und woher sie die Informationen hatte!“ „Beschreibt mir die Fremde doch einmal, Milady.“, bot Telzan an. „Vielleicht vermag ja ich, sie zu erkennen.“ „Wohlan denn.“, sagte Sytania. „Sie war ca. 1,64 m groß, hatte eine durchschnittliche Figur für eine Terranerin und trug eine blaue Hose und eine rote Bluse dazu. Ihre Schuhe waren ebenfalls rot. Sie hatte braunes Haar und sie wurde geführt, als sie den Tempel betrat. Sie wurde von einer genesianischen Kriegerin geführt.“

Ihr letzter Satz hatte für den Vendar das bestätigt, was er sich schon längst gedacht hatte, als er die Personenbeschreibung gehört hatte. „Kann es sein, dass es sich um Allrounder Betsy Scott gehandelt hat?“, fragte er. „Ich meine, ich könnte mir vorstellen, dass Euch ihr Bild als Zivilistin nichts sagt, da sie Euch ja nur in Uniform bekannt ist. Aber wäre das nicht möglich?“ „Scott!“, rief Sytania aus. „Aber natürlich! Oh das würde so zu ihr passen! Das würde so wunderbar zu ihr passen! Jetzt kann ich mir auch vorstellen, woher sie die Informationen hat. Dieser verdammte Invictus! Aber was tun wir jetzt, Telzan? Wie können wir dafür sorgen, dass wir unsere Pläne doch noch realisieren können?“ „Macht Euch darüber bitte keine Sorgen.“, tröstete Telzan. „Noch nicht einmal die Quellenwesen können den Untergang der Dimensionen noch verhindern. Mein Schiff ist bereits mit den Torpedos bestückt. Ich werde losfliegen, sobald es beginnt. Dann werde ich sie ausbringen und Ihr, Milady, Ihr werdet dann bald über absolute Macht verfügen. Wenn Ihr die dann klug einsetzt, dann werdet Ihr die Dimensionen nach Eurem Willen neu formen können. Die Arbeit von Cirnach wird sicher auch ihren Teil dazu beitragen. Während sie am Webstuhl des Schicksals sitzt und webt, denkt sie an all unsere Leute und an Euch. Sie wird schon dafür sorgen, dass keiner unserer Lebensfäden abgeschnitten wird.“ „Ach ja, deine liebe Frau.“, sagte Sytania. „Die hätte ich ja fast vergessen. Hoffen wir mal, dass alles genauso eintritt, wie du es vorausgesagt hast.“ „Oh das wird es schon, Herrin. Das wird es schon.“, versicherte Telzan und half Sytania wieder auf den Thron. Dann nahm er eine zackige Haltung ein und sagte: „Ich muss jetzt zu meinem Schiff. Es kann jeden Moment so weit sein und ich möchte nicht zu spät kommen, nur weil ich noch nicht bereit war. Der Zeitpunkt muss sehr präzise genutzt werden, versteht Ihr?“ „Ja, ich verstehe.“, gab die Prinzessin zurück. „Du wirst das schon hinbekommen. Ich vertraue dir und lasse alles liebend gern in deinen fähigen Händen.“ „Ich danke Euch, Hoheit.“, sagte Telzan, verbeugte sich ein letztes Mal und ging.

Rudi und Shimar hatten alles genau gesehen. Aber jetzt passierte etwas mit dem Tindaraner, das zunächst niemand der umsitzenden einordnen konnte. Er schien plötzlich durchsichtig zu werden und zu einem pulsierenden Energiefeld zu mutieren. Die Tiere, die das nicht verstehen konnten, wurden ganz aufgeregt und Mausi sprang fiepend auf Rudis Schoß, während Mikosch zwar mit dem Schwanz peitschte, Ansonsten aber abwartend auf seiner erhöhten Position auf der Lehne der Couch sitzenblieb, und sich die Sache erst einmal ansah. „Was?“, sagte Rudi zu Mausi. „Ist das so schlimm? Soll der Opa mal gucken, was da ist? Soll der Opa da mal gucken, hm?“ Mausi fiepte noch mehr. Rudi sah Shimar an: „Was ist los, Mein Junge?“

Ohne zu antworten hatte sich Shimar mit einem weißen Blitz ins Badezimmer teleportiert. Dann hörte man wenig später einen lauten freudigen Schrei aus dem Raum: „Oh, Kleines, du bist so wundervoll, wenn du Sytania den Hintern versohlst!!!“ Dann folgten noch einige Laute und dann kam ein über beide Ohren grinsender Shimar wieder aus dem Zimmer. Rudi, der mittlerweile wohl verstanden hatte, warf ihm nur einen weiten milden Blick zu und Mikosch stand auf und machte laut und fest: „Meng!“, als wollte er ihn beglückwünschen.

Shimar setzte sich wieder zu Rudi auf die Couch und begann damit, Mausi beruhigend zu streicheln. Offenbar plagte ihn ein schlechtes Gewissen, weil er ihr so einen Schrecken eingejagt hatte. „Mal unter uns großen Jungs.“, sagte mein Großvater. „Mir ist längst klar, was du gerade gehabt hast. Ich weiß ja, dass da bei euch so einiges anders funktioniert. Aber dass mein Miezerle das allein dadurch bei dir auslösen kann, dass sie Sytania sozusagen den Hintern versohlt, das hätte ich nicht gedacht. Weiß eigentlich euer Stabsarzt von deiner … hm … nennen wir es Neigung?“ „Nein.“, sagte Shimar etwas peinlich berührt. „Aber du hast Recht. Wenn es anfangen sollte, meine Dienstfähigkeit zu beeinträchtigen, dann sollte ich wohl mal mit ihm reden.“

Eine große Erschütterung traf das Haus und dann wackelte auch alles andere. „Es geht los.“, stellte Rudi fest und stand auf. „Na dann auf zur Granger!“, sagte Shimar. „Die anderen werden ja hoffentlich auch Bescheid wissen.“ „Davon kannst du ausgehen.“, sagte Rudi. Dann wünschten sich beide auf Kissaras Schiff.

Hier hatte sich Mikel gerade die Mail durchgelesen, die Lycira geschickt hatte. Er hatte das Kommando inne, weil Kissara es ihrem Ersten Offizier abgetreten hatte, um sich selbst ein wenig hinzulegen.

„Es ist schon merkwürdig, Ribanna.“, wandte er sich meiner Vertretung, der allen sicher schon sehr gut bekannten indianischen Reservistin an der Flugkonsole, zu. „Da denkt man, sie sei krank und dabei fliegt sie ganz allein zu den Genesianern und setzt sich einem solchen Risiko aus. So hätte ich sie nie eingeschätzt. Die Beziehung zu Shimar und ihre Ehe mit Mr. Scott scheinen ihr sehr gut zu tun.“

Ribanna sah kurz von ihrem Bildschirm auf und fragte: „Von wem reden Sie, Sir, wenn ich fragen darf?“ „Von der, die Sie gerade vertreten, Allrounder.“, sagte Mikel. „Ich kenne Allrounder Scott schon seit unserer gemeinsamen Schulzeit. Sie gehörte eigentlich nie zu den Draufgängern. Das war, wenn ich ehrlich sein soll, eigentlich in gewisser Hinsicht immer meine Devise. Damit bin ich zwar auch manchmal auf die Nase gefallen, aber jeder hat mal die eine oder andere Jugendsünde begangen. Vielleicht jeder außer Betsy, die alles immer genau abgewogen hat. Und jetzt tut sie so etwas! Das hätte ich niemals …“

Eine starke Erschütterung hatte das Schiff getroffen. „Bericht!“, forderte Mikel gleichermaßen von Kang und Ribanna. „Es war kein Waffenfeuer, Agent!“, gab der Klingone schmissig zurück. „Aber es war eine Störung, die sich offenbar in allen Dimensionen gleichzeitig manifestiert.“, ergänzte die Indianerin. „Deshalb können wir ihr auch nicht entkommen. Sie ist quasi überall. Die Struktur des Weltraums um uns scheint sich auch zu verändern. Der Antrieb greift nicht mehr. Sir, es kommen auch immer mehr Notrufe herein. Offenbar sind wir nicht das einzige Schiff, dem es so geht!“ „Das lässt sich denken, Ribanna!“, sagte Mikel. „Wenn die Störung überall ist, dann betrifft sie ja wohl alles und jedes. Da wird sie für die Sternenflotte wohl keine Ausnahme machen. Aber können Sie ihren Ursprung feststellen?“ „Nein, Agent.“, negierte Ribanna. „Es sieht aus, als würde die interdimensionale Schicht quasi in sich zusammenfallen. Es gibt keine Trennung mehr zwischen den einzelnen physikalischen Gegebenheiten in den Dimensionen. Unsere künstliche Umwelt schirmt uns noch ab. Aber wenn die Systeme … Sir, immer mehr Systeme brechen zusammen!“ „Na das ist wohl die Konsequenz, wenn sich die Naturgesetze völlig verändern.“, sagte Mikel. „Da können wir wohl nichts …“

Ein Geräusch von seiner Konsole hatte Mikel aufhorchen lassen. „Ribanna, sagten Sie nicht, die Systeme gingen offline?“ „Das sagte ich, Sir.“, bekräftigte der terranische Allrounder ihre Aussage von vorher. „Aber offenbar fahren sie aus irgendeinem Grund wieder hoch. Wir haben den Hauptrechner zurück und den Antrieb. Allerdings weiß ich nicht, wie das Schiff unter den gegebenen Umständen reagieren wird.“ „Was ist mit dem Intercom, Ribanna?“, fragte Mikel. „Ist auch wieder da.“, sagte Ribanna kurz. „Danke, Allrounder.“, sagte Mikel und betätigte die Sprechanlage für den Maschinenraum.

Jannings hatte dort alle Hände voll zu tun. Er konnte sich nicht erklären, was er da sah. Etwas, das er nur als Wolke aus Licht wahrgenommen hatte, war offenbar in den Computerkern eingedrungen und hatte dort begonnen, die gesamte Software umzuschreiben. Aber damit nicht genug. Das Etwas hatte auch die Transporter und Replikatoren besetzt und konfigurierte damit quasi die gesamte Technik der Granger um. Alle Versuche des Chefingenieurs, der Lage wieder Herr zu werden, waren zwecklos gewesen und jetzt wollte auch noch der Commander was von ihm, was er am Rufzeichen im Display der Sprechanlage gut sehen konnte.

„Jannings hier!“, meldete er sich ziemlich abgekämpft. „Techniker!“, gab Mikel zurück. „Wie sieht es bei Ihnen da unten aus?!“ „Hier passieren Dinge, die ich mir nicht erklären kann, Agent.“, sagte George. „Da war eine Wolke aus Licht, die in den Computerkern eingedrungen ist. Jetzt konfiguriert sie offenbar unsere Systeme neu. Mehr kann ich nicht sagen, Sir. Meine Werkzeuge und mein technischer Erfasser funktionieren nicht mehr.“ „Das lässt sich denken, Jannings.“, sagte Mikel. „Hören Sie mir jetzt genau zu. Sind die Replikatoren auch betroffen?“ „Das sind sie, Agent.“, sagte Jannings, dem anscheinend überhaupt nicht klar war, was sein Vorgesetzter von ihm wollen konnte. „Sehr gut.“, sagte Mikel. „Dann werden Sie sich jetzt mit dem neu konfigurierten Replikator neues Werkzeug und einen neuen technischen Erfasser replizieren! Vertrauen Sie mir, George. Wenn das wahr ist, was ich vermute, dann können wir es nur so herausbekommen.“ „Also gut, Agent.“, sagte Jannings, dem es sehr mulmig im Bauch war und ging zu dem Gerät, um die Befehle seines Vorgesetzten auszuführen.

Ribanna hatte die Worte des Agenten wohl mitbekommen. „Was vermuten Sie, Sir?!“, fragte sie. „Ich vermute das, an das Ihr Volk schon seit Jahrhunderten glaubt, Allrounder!“, erwiderte der Erste Offizier. „Ich denke, dass uns die Geister der Toten ein wenig helfen und das nicht nur in beratender Tätigkeit. Ich denke, sie lassen auch Taten folgen.“ „Meinen Sie das ernst, Agent?!“, fragte Kang konsterniert und sah skeptisch zu dem blinden Agenten hinüber. „Oh ja, das meine ich sehr ernst, Warrior!“, sagte Mikel sehr fest in einer Weise, die keinen Zweifel an seinen Worten zuließ.

Die Sprechanlage piepte. „Ja, Mr. Jannings!“, sagte Mikel. „Also, Agent.“, sagte der Ingenieur. „Ich stehe jetzt mit meinem Erfasser vor dem Computerkern. Er sagt, die Energiesignatur der Wolke besteht aus polyfrequenten Mustern im Neuroband-Bereich.“ „Das bestätigt meine Theorie.“, sagte Mikel. „Ihre Theorie?“, fragte der Techniker. „Was für eine haben Sie denn, Sir. Ich bin für jede Hilfe dankbar. Ich kenne mich nämlich langsam gar nicht mehr aus.“ „Offenbar bekommen wir etwas Hilfe aus dem Jenseits, Techniker.“, sagte Mikel. „Hilfe von wo?“, fragte Jannings und Mikel konnte buchstäblich hören, wie ihm die Knie weich wurden. „Bitte, Agent.“, sagte George. „Das wird mir hier langsam zu unheimlich. Ich stehe kurz vor einer Ohnmacht. Ich bitte hiermit um Ablösung. Vielleicht sollte jemand den Job hier machen, der keine Angst empfinden kann.“ „In Ordnung.“, sagte Mikel. „Gehen Sie in Ihr Quartier und legen Sie sich hin, Mr. Jannings! Das ist ein Befehl! Ribanna, sagen Sie Elektra, ihr Schönheitsschlaf ist zu Ende!“ „Aye, Agent.“, sagten beide Angesprochenen wie aus einem Mund.

Auch vor Jorans Schiff hatten die Toten offenbar nicht Halt gemacht, wie dieses Jenna sofort mitteilte. „Meine Systeme sind völlig verändert, Jenna.“, sagte IDUSA. „Aber anscheinend musste das sein, damit sie an die veränderten Naturgesetze angepasst werden konnten. Deshalb funktionieren sie auch noch. Mir ist allerdings schleierhaft, woher die neurale Energie kam, die das hier verursacht hat.“ „Konntest du vielleicht etwas davon identifizieren, IDUSA?“, fragte die hoch intelligente Halbschottin. „Bedaure.“, sagte das Schiff. „Persönlich erkennen konnte ich leider keines der Wesen. Aber ich konnte die Spezies einordnen. Das merkwürdige aber war, dass eines der beiden Muster, die das mit mir gemacht haben, terranisch und das andere vendarisch war. Aber wie gesagt. Identifizieren konnte ich sie nicht.“ „Das macht nichts.“, sagte Jenna. „Wichtig ist, dass sie dafür gesorgt haben, dass du offenbar in der neuen Umgebung zurechtkommen kannst. So können wir zumindest die Torpedos ausbringen. Gilt das auch für deinen interdimensionalen Antrieb? Mach mal eine Selbstdiagnose!“

Sofort hatte das Schiff den Befehl der Technikerin ausgeführt. „Ja, es gilt auch für den, Jenna.“, sagte sie. „OK.“, sagte McKnight. „Trotzdem werde ich deine Systeme überwachen. Zeig mir die technische Konsole!“ „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und tat, was Jenna ihr gesagt hatte.

Die brünette Ingenieurin wandte sich Joran zu: „Bring uns in die interdimensionale Schicht. Ich werde dir sagen, welches die wichtigsten Punkte sind. Ich bin ja schließlich ausgebildete Interdimensionsphysikerin.“ „Wie du wünschst, Telshanach.“, sagte der Vendar und gab dem Schiff die notwendigen Steuerbefehle. Jenna achtete derweil auf das Antriebsfeld, das auch tatsächlich hielt.

Telzan, der ja das gleiche Ziel hatte, war bereits an fünf von den zehn Punkten gewesen und hatte dort jeweils einen seiner Torpedos detonieren lassen. Allerdings irritierte ihn der Umstand sehr, dass diese offenbar keine Wirkung hatten, weder in die eine, noch in die andere Richtung. Er konnte sich dies nicht erklären. Die Wahrheit, nämlich, dass Meroola ihn offenbar hereingelegt hatte und er auf ihre Schliche angesprungen war, verdrängte er allerdings.

Jenna, Joran und ihr Schiff waren jetzt ebenfalls an dem ersten der Punkte angekommen und IDUSA hatte den ersten Torpedo im Ziel versenkt. Im gleichen Moment veränderten sich bereits die Messergebnisse, allerdings war Jenna die einzige, die sie interpretieren konnte. „Es sieht aus, als wären wir erfolgreich, Joran.“, sagte sie. „Flieg jetzt bitte den nächsten Punkt an. IDUSA, wenn du kannst, mach mir bitte eine dauerhafte Sprechverbindung mit unserer Basis. Ich bin sicher, die werden auch sehen, dass wir hier in der Schicht schießen und Zirell wird sicher wissen wollen, warum wir das tun.“ „Selbstredend, Jenna.“, sagte IDUSA.

Derjenige, den McKnight daraufhin ans Sprechgerät bekam, war Maron. „Das wurde ja auch Zeit, Techniker!“, sagte der Agent beunruhigt. „Späher haben berichtet, dass sie Waffenfeuer in der interdimensionalen Schicht gesehen hätten. Das Feuer ginge von einem tindaranischen Schiff mit einem vendarischen Piloten und einer Terranerin an Bord aus. Da Sie und Joran und seine IDUSA-Einheit die einzigen sind, auf die das zutrifft, frage ich mich ernsthaft, was Sie da treiben, McKnight. Als ob der Besuch von fremden Neuralmustern, der unsere Systeme völlig umgekrempelt hat, nicht schon genug wäre.“ „Seien Sie froh, dass das passiert ist, Sir.“, sagte McKnight ruhig. „Sonst würden wir alle nicht mehr existieren. Ich erkläre es Ihnen bei Gelegenheit mal ganz ausführlich. Wichtig ist, dass Joran und ich das einzige Mittel bei uns haben, das in dieser Situation noch Stabilität bringen kann. Allerdings werden wir nur einen Zeitraum von drei Tagen haben, um etwas zu tun. Wenn uns nichts einfällt, dann werden die Dimensionen nach Ablauf dieser Frist trotzdem zusammenbrechen. Erinnern Sie sich noch an das Feld? Seine Energie ist es, die wir ausbringen. Vertrauen Sie uns!“ „Ich vertraue Ihnen, Techniker.“, sagte der Erste Offizier und beendete die Verbindung.

„Ich fürchte, Techniker McKnight wird sich beeilen müssen.“, wandte sich der Rechner der Station Maron zu. „Ich sehe ein Veshel in der interdimensionalen Schicht. Laut Biozeichen wird es von Telzan geflogen. Auch es bringt Torpedos aus. Die Sprengköpfe setzen aber nur Energie in der Stärke einer durchschnittlichen Batterie frei. Aber jeder Punkt, den sie nach Telzan erreichen, verzögert die Stabilisierung.“ „Verstehe.“, sagte Maron. „Zeig mir Jorans Position im Verhältnis zu Telzans.“ „Sofort.“, erwiderte der Rechner. Dann sah Maron auf dem virtuellen Schirm vor seinem geistigen Auge eine Karte der Schicht mit den zehn wichtigsten Punkten, und zwei weiteren, die sich bewegten und rot markiert waren. Dort konnte er feststellen, dass es nur noch um einen einzigen Punkt ging. „Na los, Joran!“, rief er aus.

Jenna und Joran hatten sich auch um die Punkte gekümmert, an denen Telzan bereits gewesen war, denn auch die mussten schließlich mit wirksamer Energie versorgt werden. Jetzt waren sie auf dem Weg zum letzten Punkt. Hier trafen sie allerdings auch schon auf Telzan, der sie auch gleich rief. Er hatte gesehen, dass sie, im Gegensatz zu ihm, ja wirksame Energie an Bord hatten.

„Woher hast du die Energie, Veshan?!“, wandte er sich mit verächtlichem Ton an Joran. „Von den Quellenwesen, du Narr!“, gab dieser selbstbewusst zurück. „Du hättest dir doch denken müssen, dass dein Raub nicht funktionieren kann. Was kann ich denn dafür, wenn du dich nachher auch noch wahrscheinlich irgendwelchen falschen Hoffnungen hingibst?!“ Er lachte. „Das Lachen wird dir gleich vergehen!“, sagte Telzan. Dann ging eine Erschütterung durch das Schiff und einige Leitungen barsten.

Joran sah fragend zu Jenna hinüber. „Er hat mit seinem Phaser auf den Hauptenergieknoten für die Torpedorampen geschossen.“, analysierte McKnight. „Kannst du das reparieren, Telshanach?“ fragte Joran. „Nicht unter diesen Umständen.“, sagte Jenna. „Dazu benötige ich eine ruhigere Umgebung. Eine falsche Bewegung und ich verursache einen Kurzschluss, der das Aus für IDUSA bedeuten könnte!“ „Kelbesh!“, fluchte Joran.

Es vergingen wenige Sekunden. Dann wurde plötzlich alles ganz ruhig. „IDUSA, was ist geschehen?“, fragte Joran. „Die Dimensionen sind stabil.“, meldete das Schiff. „Wie kann das sein?“, fragte der Vendar verwundert. „Jenna hat doch gesagt, du konntest den letzten Torpedo nicht abfeuern.“ „Ich habe ihn ja auch nicht abgefeuert.“, sagte IDUSA und ihr Avatar vor Jorans geistigem Auge schaute übertrieben unschuldig aus der Wäsche. „Das war Telzan.“ „Wieso hat Telzans Schiff unseren Torpedo abgefeuert?“, fragte Joran.

„Ich habe einen Verdacht.“, hakte Jenna ein. „Zeig mir die Dateien vom Transporter, IDUSA!“

Jenna sah sich das Verzeichnis genau durch. Dann sagte sie: „Wie ich vermutet habe. Du hast Telzans Torpedo aus dem Schacht gebeamt und ihn durch unseren ersetzt. Seinen hast du in seine Atome zerlegt in den Raum gebeamt. Na, er kann ja mal versuchen, ihn wieder zusammenzusetzen. Ich wünsche ihm dabei viel Spaß!“ „Dem schließe ich mich gern an, Techniker.“, sagte IDUSA nüchtern.

„Was für ein Taschenspielertrick, IDUSA.“, sagte Joran. „Das hätte ich dir wirklich nicht zugetraut.“ „In harten Zeiten muss man eben manchmal improvisieren, Joran.“, antwortete das Schiff. „Ich wäre dafür, wir fliegen zurück nach Terra, holen Ihre Tochter und dann fliegen wir wieder nach Tindara, um dort weiter zu beraten. Ich denke nicht, dass Huxleys uns jetzt noch benötigen. Aber wir sollten sie trotzdem auf dem Laufenden halten.“ „OK, IDUSA.“, sagten Jenna und Joran unisono. Dann ließ der Vendar sein Schiff wieder den Kurs in das Universum der Föderation und in Richtung Erde einschlagen.

 

Kapitel 92: Hilfe aus dem Jenseits

von Visitor

 

Auch Lycira und ich mussten von einem oder zwei Toten besucht worden sein, jedenfalls vermutete ich das, da ich bemerkt hatte, dass sie temporär jede Verbindung zu mir gekappt hatte. Sicherlich wollte sie nur sichergehen, dass mir nichts passierte, da sie die Wahrnehmung, die sie hatte, selbst erst einmal einordnen musste. Ich vertraute ihr in der Hinsicht vollkommen.

Wenig später forderte sie mich über den Bordlautsprecher auf: „Bitte leg deine Hände wieder in die Mulden, damit ich unsere Verbindung reaktivieren kann, Betsy!“ „OK, Lycira.“, sagte ich und tat es. Dann fragte ich: „Was ist passiert?“ Du weißt, dass ich echte Telepathie betreibe.“, sagte mein Schiff. Das bedeutet, ich kann auch tatsächlich spüren, wer in meinen Systemen war und sie konfiguriert hat. Wir beide wurden von Captain Kirk und Mr. Spock beehrt. „Bist du sicher?“, fragte ich etwas ungläubig. Natürlich bin ich das., sagte Lycira und klang dabei fast etwas beleidigt und enttäuscht. „Es tut mir leid.“, sagte ich, die ich diese Feinheit sehr wohl gehört hatte. „Aber was du gesagt hast, klingt doch sehr seltsam. Aber andererseits könnte ich mir das auch sehr gut vorstellen. Ich denke sogar, dass ich den Urheber dieser ganzen Geschichte kenne! Oh, Srinadar! Selbst nach deinem Tod gelingt es dir noch, die richtigen Verbindungen anzuzapfen und uns zu helfen!“ Das kann ich nur bestätigen., erklärte Lycira. Zumal alles um uns herum irgendwie eine Mischung aus allen Dimensionen zu sein scheint. Ich kann nur deshalb noch funktionieren, weil meine Systeme dem angepasst worden sind. „Oh ja.“, sagte ich. „Und das von keinem Geringeren als James T. Kirk und Mr. Spock! Kannst du dich bewegen? Ich meine, kannst du fliegen?“ Ich versuche es mal., sagte mein Schiff, aktivierte ihren Antrieb und flog tatsächlich ein Stück geradeaus. Dann drehte sie sich und flog das gleiche Stück zurück. „Das klappt ja wunderbar!“, sagte ich. „Kannst du die Granger finden?“ Das kann ich., antwortete sie. Sie ist einige wenige Parsec von uns entfernt. Sie scheint aber auch von Toten heimgesucht worden zu sein. „Hoffentlich trifft Kissara die richtigen Entscheidungen.“, sagte ich. „Falls sie Mr. Jannings den Computerkern mit Rosannium fluten lässt, könnte das für unsere Freunde das Aus bedeuten! Ich muss sie informieren! Verbinde mich und bring uns dann zur nächsten freien Andockrampe!“ In Ordnung., sagte Lycira.

Elektra hatte ihren Vorgesetzten, der mit der Situation ja reichlich überfordert war, im Maschinenraum abgelöst und sich bei Agent Mikel auf der Brücke per Sprechanlage gemeldet. „Ich kann Ihre Vermutung nur bestätigen, Agent.“, sagte die Androidin nüchtern, nachdem sie einen Blick auf den Computerkern geworfen hatte. „Meine interne Datenbank identifiziert sogar einen der Beiden als Shimar. Sein Muster ist allen Rechnern in der Sternenflotte und auch allen anderen künstlichen Intelligenzen, zu denen ich ja auch zähle, bekannt.“ „Sehr gut, Technical Assistant.“, sagte Mikel. „Den anderen erkennen Sie nicht zufälligerweise auch noch?“ „Negativ, Sir.“, sagte Elektra. „Aber da die Beiden ja offensichtlich im Computerkern sind, dürfte es uns vielleicht möglich sein, mit ihnen zu reden. Sie müssen vielleicht nur das Computermikrofon benutzen.“ „Also schön, Elektra.“, sagte Mikel. „Ich teste Ihre Theorie!“

Er drehte sich dem Computermikrofon zu und räusperte sich. Dann holte er tief Luft, aber bevor er noch etwas sagen konnte, unterbrach ihn Ribanna besorgt: „Tun Sie das besser nicht, Agent. Wer weiß schon, was dann passiert!“ „Ich kann mir denken, dass die Sache für Sie sehr unheimlich ist, Ribanna.“, sagte der Erste Offizier verständig. „Aber ich kenne mich in der Materie etwas aus. Ich weiß schon, was ich tue. Vertrauen Sie mir!“ „Ich will es versuchen, Agent.“, sagte die indianische Reservistin zaghaft.

Er machte einen neuen Ansatz: „An die Besucher in unserem Computerkern! Ich bin Agent Mikel, Erster Offizier und momentaner Kommandant der USS Granger. Bitte identifizieren Sie sich!“ „Moin, Mikel!“, schallte Mikel eine ihm sehr gut bekannte Stimme aus dem Computer entgegen. Die Stimme hatte außerdem einen sehr starken deutschen Akzent in ihrem Englisch. „Ich bin aber nicht allein. Bei mir ist noch Shimar. Wenn du uns nicht glaubst, dann wirst du mit Sicherheit eine Möglichkeit finden, es dir selbst zu beweisen, wie ich dich kenne.“ „Das hoffe ich.“, sagte Mikel, der zwar den anderen Gegenüber versucht hatte, Sicherheit auszustrahlen, der jetzt aber doch ein wenig Angst vor der eigenen Courage bekommen hatte. Aber er wusste, dass er das hier zu Ende ermitteln musste. Schließlich war er ja auch für die interne Sicherheit des Schiffes zuständig und musste abschätzen, ob es eine Bedrohung von außen gab oder nicht. Es musste ihm irgendwie gelingen herauszufinden, ob dies eine Falle von Sytania war, oder ob alles, was Rudi ihm gesagt hatte, wirklich der Wahrheit entsprach. Dazu musste er erst einmal wissen, ob Rudi wirklich Rudi war. Seine Stimme hatte er zwar eindeutig erkannt, aber er wusste auch, dass Sytania in der Lage war, manche Vision zu erzeugen, um jemanden auf die falsche Spur zu locken. Er musste also genau abwägen, ob er Elektra das Fluten des Computerkerns mit Rosannium befehlen sollte oder besser nicht. Ihm wollte nur absolut nichts einfallen, um dies zu bewerkstelligen.

Ribanna war schließlich diejenige, die ihm den entscheidenden Hinweis gab: „Sir, wir werden gerufen. Es ist Allrounder Scott!“ „Betsy?!“, fragte der Agent ungläubig. „Was macht sie denn hier? Geben Sie her, Ribanna!“ Die junge Indianerin nickte und stellte mich an meinen ehemaligen Schulkameraden durch. „Hi, Mikel!“, sagte ich und fuhr auf Deutsch fort: „Gibt es vielleicht irgendwas, bei dem ich dir helfen kann?“ „Vielleicht kannst du das wirklich.“, gab Mikel ebenfalls auf Deutsch zurück. „In unserem Computerkern befindet sich eine Wolke aus Energie. Sie besteht zu einem Teil wohl aus dem Geist von Shimar, den Elektra bereits eindeutig identifiziert hat. Aber auch sie kann getäuscht werden, wenn man ihren Sensoren das Richtige vorspielt. Als ich mit dem Computer reden wollte, antwortete mir die Stimme deines Großvaters. Aber bei einer Gegnerin wie Sytania müssen wir auf alles gefasst sein. Vielleicht kannst du mir sagen, wie ich ihn eindeutig identifizieren kann.“ „Das kann ich tatsächlich.“, sagte ich. „Lass mich zu euch an Bord und dann erkläre ich es dir.“ „OK.“, sagte Mikel. Dann wies er Ribanna an, Lycira und mich an die freie Andockrampe zu weisen.

„Sobald wir gedockt haben, Lycira.“, wandte ich mich meinem Schiff zu. „Beamst du mich an Bord der Granger. Am besten direkt auf die Brücke.“ In Ordnung, Betsy., sagte mein Schiff.

Wenige Sekunden später stand ich bereits neben Mikel. „Da bist du ja!“, sagte er erleichtert. „Und wie hast du dir jetzt vorgestellt, dass wir deinen Opa erkennen, he?“ „Frag ihn, wie der Spitzname lautet, den er und meine Oma mir als Kind gegeben haben.“, sagte ich und legte einen konspirativen Ton in meine Stimme. Ihn jetzt schon auszusprechen, hatte ich wohlweislich vermieden, damit Sytania, falls sie doch tatsächlich in unseren Köpfen war, keine Möglichkeit hatte, ihn herauszufinden und somit meine Idee zu zerstören.

Mikel drehte sich erneut dem Computermikrofon zu. Dann fragte er auf Deutsch hinein: „Rudi, wie lautet der Spitzname, den Sie und Ihre Frau Betsy als Kind gegeben haben?!“ „Er lautet Miezerle!“, sagte mein Großvater fest. „Für meine Frau und mich war sie immer unser kleines liebes Miezerle!“ „Miezerle ist richtig, Mikel!“, bestätigte ich.

Erleichtert ließ der Erste Offizier hörbar die Luft aus seinen Lungen entweichen, die er bis zu meiner Bestätigung gespannt angehalten hatte. Dann betätigte er die Sprechanlage für den Maschinenraum: „Es ist alles gut, Elektra. Lassen Sie den Dingen einfach erst mal ihren Lauf. Die Fremden sind keine Bedrohung für uns! Im Gegenteil!“ „Bestätigt, Sir.“, sagte die Androidin nüchtern. „Soweit ich die neue Konfiguration unserer Schiffssysteme hier beurteilen kann, wären wir ohne ihr Eingreifen schon nicht mehr am Leben.“ „Das stimmt wohl.“, sagte Mikel und beendete die Verbindung.

Ich hatte mich Ribanna zugewandt, die von der Situation um sie herum wohl sehr geängstigt worden war. „Ich denke, du kannst ihm ruhig sagen, wenn du abgelöst werden möchtest.“, flüsterte ich ihr auf Englisch zu. „Ich bin ja jetzt da und übernehme deinen Posten.“ „OK!“, gab sie erleichtert zurück und wandte sich an Mikel: „Sir, Ich bitte hiermit um Ablösung. Die Situation ist mir nicht geheuer und ich habe Sorge, in irgendeinem Moment vielleicht das Falsche zu tun vor lauter Angst. Allrounder Scott hat angeboten, meinen Posten zu übernehmen.“ „Bitte gewährt, Allrounder Ribanna!“, sagte der Agent. „Gehen Sie in Ihr Quartier und ruhen Sie sich aus!“ „Danke, Sir.“, sagte sie und verließ ihren Platz, den ich sofort einnahm. Die Situation musste Mikel doch sehr willkommen sein, so wie sie jetzt war. Er hatte wohl sowieso noch einige Fragen an mich, wie ich die Sache einschätzte. Die konnte er mir jetzt auch gleich stellen.

Ein Signal von seiner Konsole ließ Mikel aufhorchen. „Ja, Computer!“, sagte er. „Hier ist noch mal Rudi.“, sagte die Stimme meines Großvaters. „Ich werde den Rechner jetzt wieder verlassen und ins Reich der Toten zurückkehren. Aber Shimar benötigt hier eine temporäre Bleibe, du verstehst?“ „Ich verstehe sehr gut.“, sagte Mikel und visualisierte seine eigene Hand, wie sie in den Computer griff und Shimar herauszog. Augenblicklich wurde der Geist des jungen Tindaraners in seinen Körper gezogen. Danke, Mikel!, bedankte sich dieser telepathisch. Gern geschehen., gab Mikel ebenfalls in Gedanken zurück.

Ich hatte mein Hilfsmittel nach dem aktuellen Kurs gefragt und es hatte ihn mir genannt. „Soll ich den Kurs halten, Mikel?“, fragte ich. „Ja.“, sagte Mikel. „Du wirst dich ja sicher erst einmal mit den neuen Konfigurationen anfreunden müssen. Das Schiff dürfte jetzt ja etwas anders reagieren, als wir es gewohnt sind.“ „Das denke ich auch.“, sagte ich. Dann stellte ich das Schiff auf Handsteuerung um, um so ein besseres Gefühl für sie bekommen zu können und schob den Regler für den Impulsantrieb langsam vor: „Na komm, Granger! Schön vorsichtig.“ Langsam und ruhig schob sich unser Schiff durch den Raum. „Geht doch!“, lobte Mikel. „Na ja.“, sagte ich. „Warten wir mal ab, ob du immer noch so begeistert bist, wenn wir auf Warp gehen. Vom interdimensionalen Flug ganz zu schweigen.“ „Also gut.“, sagte Mikel. „Du übst ein bisschen Fliegen unter den neuen Bedingungen und ich rede spätestens morgen mit Kissara. Sie hat eine Menge verpasst, wenn du mich fragst.“ Ich nickte und sagte dann: „Reden ist eine gute Idee. Aber das sollte wohl auch jemand mit der armen Ribanna tun. Sie dürfte in eine Glaubenskrise geraten sein. Sicher hat sie sich das mit dem Aufpassen der Toten auf uns nie so vorgestellt und das sollte jemand tun, der sich damit auskennt.“ „Also ich!“, stellte Mikel fest. „In Ordnung, du sensibles Etwas! Ich kümmere mich morgen darum.“ „OK, Mikel.“, erwiderte ich und widmete mich weiterhin dem Fliegen des Schiffes.

Auch Tchey und Shary waren nicht von der umfangreichen Aktion unserer Freunde aus dem Jenseits verschont worden. Weder das Schiff, noch ihre Pilotin, hatten die Sache allerdings einordnen können. Beide waren insgeheim sehr froh, als es vorbei war.

„Was bitte war das, Shary?!“, fragte eine total verwunderte Tchey. „Ich weiß es nicht.“, gab das Schiff zu. „Ich erinnere mich nur, dass ich irgendwie wie ferngesteuert war. Irgendwas hat die Kontrolle über meine Systeme übernommen und sie teilweise völlig umgeschrieben. Man könnte sagen, ich erkenne mich selbst nicht wieder.“ „Deiner Persönlichkeit hat das aber keinen Abbruch getan, wie ich feststelle.“, sagte Tchey und setzte sich zurecht. „Du bist immer noch die gute alte Shary. Aber scann mal deine Umgebung. Ich habe so ein komisches Gefühl. Erinnerst du dich noch an die Erschütterung, die uns getroffen hat, kurz bevor die Wolke in deine Hülle eindrang?“ „Wie kann ich das vergessen?!“, fragte Shary beunruhigt. „Die Störung war ja schließlich überall! Aber OK. Ich zeige dir auch, was ich sehe.“

Sie begann den Vorgang des Scannens und Tchey sah genau, was auch Shary sah. „Moment mal, Shary.“, sagte die Reptiloide, der plötzlich etwas aufgefallen war. „Das Wellenmuster des Weltraums scheint sich total verändert zu haben und wenn ich mir diese Sterne da so ansehe, dann glaube ich, dass das auch auf andere Naturgesetze zutrifft. Kannst du mir sagen, ob es die interdimensionale Schicht noch gibt?“

Shary schaltete auf die interdimensionalen Sensoren um. „Nein, die gibt es leider nicht mehr, Tchey.“, sagte sie dann. „Ach du Scheiße!“, entflog es Tchey. „Das bedeutet, alle Dimensionen laufen quasi ineinander wie die Farben auf einem schlechten Gemälde. Das kann ja auf die Dauer nicht gut gehen!“ „Das wird es auch nicht.“, bestätigte Shary die Vermutung ihrer Pilotin. „Weil einige Naturgesetze sich ja auch gegenseitig neutralisieren. Zumindest sagt das Techniker McKnight.“ „Das weiß ich.“, sagte Tchey. „Ihre Theorien findet man ja heute in jeder Datenbank. Aber du könntest mich gleich mal mit den Tindaranern verbinden, wenn es sie noch gibt. Ich weiß. Du bist ein ziviles Schiff und ich bin nur eine kleine Pilotin mit einem Sanitätskurs, aber …“

„Tchey!“, Shary war ihr ins Wort gefallen. An dem alarmierten Gesicht des Avatars vor ihrem geistigen Auge konnte Tchey sehr gut sehen, wie ernst es ihr war. „Was ist los?“, fragte sie. „Es geht um Shimars Körper.“, sagte Shary. „Mir ist da was aufgefallen. Du weißt, dass wir ihn mit der medizinischen Liege in meinen Frachtraum gebeamt haben.“ „Ja.“, sagte Tchey. „Natürlich haben wir das. Der Plan war ja, dass wir ihn im tindaranischen Universum absetzen, damit er dort endlich seine letzte Ruhe finden kann.“ „Ich denke, den müssen wir verwerfen, Tchey.“, sagte Shary und replizierte einen Erfasser und ein Sprechgerät. „Was sollen deine Andeutungen, Shary?“, fragte Tchey. „Nimm bitte die Geräte und schau es dir selbst an.“, sagte das Schiff. „Halte aber Kontakt zu mir über das Handsprechgerät.“ „Ach, also gut.“, sagte Tchey leicht genervt, nahm den Neurokoppler ab und stand auf. Dann drehte sie sich in Richtung der Tür zur Achterkabine, die von Shary bereitwillig geöffnet wurde. Auch mit der Tür zum Frachtraum verhielt es sich so.

Bald stand Tchey vor der Liege, auf der Shimars Körper immer noch lag. Sie zog den frisch replizierten Erfasser aus ihrer Tasche und ließ ihn darüber kreisen. Was sie allerdings sah, erstaunte sie sehr. Sofort holte sie auch ihr Handsprechgerät aus der Tasche und schloss den Erfasser daran an. Dann gab sie Sharys Rufzeichen ein, vertippte sich dabei allerdings aus Nervosität einige Male.

„Shary, das glaube ich jetzt nicht!“, sagte Tchey, nachdem die Verbindung endlich zustande gekommen war. „Sein Körper schwingt. Da er jetzt eine kristalline Form hat, kann ich mir das durchaus vorstellen. Aber die Sache hat einen kleinen Schönheitsfehler. Nur lebende Kristalle schwingen meines Wissens. Wieso … Augenblick!“

Sie beugte sich herunter und scannte eine der Deckplatten. Dabei war ihr Ziel aber nicht, deren Zusammensetzung zu erfahren, nein, sie wollte viel eher herausfinden, was sich darunter abspielte. Unter dem Frachtraum, das wusste Tchey, waren nämlich direkt Sharys Antriebsspulen für ihren Impulsantrieb.

Nachdem sie ihren Scann komplettiert hatte, rief sie die Datei mit dem Muster von Shimars Körper noch einmal auf und verglich die Frequenzen. Sie stimmten genau überein!

„Stopp, Shary!“, befahl sie in das Mikrofon ihres Sprechgerätes. „Was meinst du genau damit?“, fragte das etwas irritierte Schiff. „Ich meine genau das, was ich gerade gesagt habe.“, sagte Tchey. „Ich meine, dass du anhalten sollst. Mach deinen Antrieb aus.“ „Warum?“, fragte eine völlig irritierte Shary, die langsam das Gefühl hatte, sich gar nicht mehr auszukennen. „Ich werde es dir gleich erklären.“, beschwichtigte Tchey. „Aber dazu muss ich noch was rauskriegen. Du kannst mir am besten dabei helfen, wenn du tust, was ich dir gerade gesagt habe.“ „Na, OK.“, sagte Shary und deaktivierte ihren Antrieb befehlsgemäß.

Tchey scannte Shimars Körper erneut. Dabei fiel ihr auf, dass die Schwingungen weniger wurden. „Alles klar.“, sagte sie. „Jetzt weiß ich Bescheid. Wir können weiterfliegen. Ich muss nur noch den Übertragungsweg finden. Aber ich glaube, da habe ich auch schon eine Idee.“

Sie legte sich auf den Bauch und konzentrierte sich auf das, was sie jetzt über die Nerven ihrer Haut wahrnahm. Tatsächlich hörte sie jedes kleine Geräusch von Sharys Antrieb und spürte jede Schwingung der Spulen. Bingo!, dachte sie.

Sie stand wieder auf und ging ins Cockpit zurück. „Kannst du mir vielleicht mal den Sinn deiner merkwürdigen Übungen erklären?“, fragte Shary etwas verwirrt, als Tchey den Neurokoppler wieder aufgesetzt hatte. „Oh ja!“, gab eine sehr zufrieden dreinschauende Tchey zurück. „Offensichtlich hat dein Antrieb genau die richtige Frequenz, um Shimars Körper zum Schwingen zu bringen. Tindaranische Körper verwesen nicht, weil sie zu Kristallen werden, wenn sie sterben. Aber Kristalle können von außen zum Schwingen gebracht werden. Wenn ein Tindaraner mit Absicht wieder in seine kristalline Form geht, dann schwingt sein Körper auch, wenn er noch am Leben ist. Das könnte im Umkehrschluss bedeuten, dass du eine Art lebenserhaltende Maßnahme durchführst, ohne davon zu wissen oder es zu wollen. Dein Frachtraum ist nicht so gut isoliert wie dein Cockpit oder deine Achterkabine. Das kommt daher, weil sich eine Palette Energiezellen wohl kaum über zu viel Lärm oder zu viel Rütteln oder Vibration beschwert. Zeichne dein eigenes Antriebsgeräusch auf und dann repliziere mir einen Lautsprecher und ein Abspielgerät, mit dem wir es in die Liege direkt einspeisen können. Während ich das Ding einbaue, wirst du nach der Granger suchen! Shimars Körper haben wir. Jetzt müssen wir nur noch seinen Geist finden, um ihn eventuell zurück ins Leben holen zu können und derjenige, der sich mit so was am besten auskennt, ist Commander Kissaras Erster Offizier, Agent Mikel! Mach schon, Shary!“ „Na hoffentlich nehmen sie uns deine Theorie überhaupt ab.“, sagte Shary skeptisch. „Immerhin bist du nur eine kleine Pilotin mit einem Sanitätskurs und keine Ärztin.“ „Aber sie haben eine an Bord.“, sagte Tchey. „Die soll herkommen und sich selbst überzeugen.“ „Also gut.“, sagte das Schiff und führte alles aus, was Tchey ihr gesagt hatte.

Mikel hatte einen schriftlichen Bericht verfasst und ihn Kissara gesendet. Er wusste zwar, dass sie ihn erst nach dem Aufstehen lesen würde, aber dann war sie ja mindestens schon mal auf das vorbereitet, was sie dann sehen würde. Danach hatte er begonnen, sich mit mir zu unterhalten, die ich mich mittlerweile schon recht gut mit den neuen Reaktionen der Granger angefreundet hatte. So sehr unterschieden sie sich ja auch nicht von denen, die das Schiff sonst gezeigt hatte. Aber das lag wahrscheinlich in gewisser Weise auch daran, dass sich ja auch unsere Umgebung verändert hatte.

„Denkst du, du kannst den Autopiloten aktivieren?“, fragte Mikel. „Ich denke schon.“, entgegnete ich. „Der Weltraum vor uns scheint ruhig zu sein und ich denke, das Schiff kommt eine Weile ohne mich klar. Warum fragst du?“

Ich bekam mit, wie Mikel seinen Platz verließ und sich meinem näherte. Dann flüsterte er mir auf Deutsch ins Ohr: „Ich muss mit dir reden, aber das tun wir am besten in unserer Muttersprache. Wenn Kang das mitkriegt, was ich dir sagen muss, dann flippt er aus.“ Ich gab nur einen bestätigenden Laut von mir und aktivierte den Autopiloten. Dann bemerkte ich, wie Mikel sich auf den Platz neben mir setzte. „Was willst du mir sagen?“, fragte ich. „Ich bin nicht allein in diesem Körper, Betsy.“, sagte Mikel zu mir auf Deutsch. „Dein Großvater ist wieder im Reich der Toten, aber Shimar ist hier. Er sagt, sein Platz sei noch immer unter den Lebenden und er müsse dringend zurück in seinen Körper. Aber er hat noch eine andere Bitte an dich und mich. Er würde gern meine Lippen benutzen, um dich zu küssen.“

Ich musste tief durchatmen. Die Informationen, die mir Mikel gerade gegeben hatte, waren doch schon ganz schön heftig. Dann sagte ich: „Oh mein Gott! Er muss sich ja in deinem Körper nicht sehr wohl fühlen. Keine Telepathie und kein Augenlicht. Wie kommt ihr klar?!“ „Na gut.“, sagte Mikel. „Dann machen wir das anders.“

Er entspannte sich hörbar und dann hörte ich seine Stimme erneut, allerdings sprach er jetzt wieder Englisch mit mir und seine Betonung hatte sich auch verändert. „Hallo, Kleines.“, sagte er. „Shimar?“, fragte ich ungläubig. „Ja, ich bin es wirklich.“, sagte Mikel, oder besser Shimar. Mittlerweile glaubte ich nämlich, was er mir gesagt hatte. „Du möchtest wissen, wie Mikel und ich klarkommen? Das kann ich dir beantworten. Wir kommen sehr gut klar. Mikel fühlt sich durch meine Anwesenheit in seinem Körper keinesfalls eingeschränkt und ich mich durch seinen Körper auch nicht. Man könnte sogar sagen, es ist für mich eine sehr lehrreiche Erfahrung. Er bringt mir Sachen bei, von denen habe ich noch nicht einmal zu träumen gewagt. Ein Beispiel: Wusstest du, dass man Leute an ihrem Schritt erkennen kann? Ach, natürlich wusstest du das! Aber die Sache mit der Telepathie stimmt auch nicht ganz. Wusstest du, dass Mikel zu den wenigen Terranern gehört, die ein so genanntes telepathisches Mikrozentrum haben?“ „Na ja.“, sagte ich. „Ich wusste, dass er in mentalen Dingen sehr talentiert ist, aber das wusste ich nicht.“ „Loridana, eure Ärztin, wird es wissen, Srinadell.“, sagte Shimar. „Eure Geräte können das ja auch feststellen. Nur in Mikels und deinem Heimatjahrhundert geht das noch nicht.“ „Ich weiß.“, sagte ich. „Aber trotzdem wirst du mit seinem Zentrum ja nicht so viel machen können wie mit deinem eigenen, wenn es nur ein Mikrozentrum, also ein kleines Zentrum, ist.“ „Das ist mir bewusst.“, sagte Shimar. „Aber es ist nicht schlimm. Ihr müsst aber so schnell wie möglich meinen Körper finden! Ich will mich Mikel nicht länger als nötig aufbürden, obwohl er das gar nicht als Bürde empfindet. Wenn er wieder die Kontrolle übernommen hat, kannst du ihn ja persönlich danach fragen, wenn du mir nicht vertraust.“ „Ich vertraue dir.“, sagte ich. „Du würdest seinen Körper ja auch bestimmt nicht gegen seinen Willen in Besitz nehmen. Das passt ja nun so gar nicht zu dir. Und dass ich dir vertraue, werde ich dir jetzt beweisen!“

Ich bewegte hörbar meine Zunge über meine Lippen. Dann drehte ich mich zu ihm und sagte auffordernd: „Nur zu!“ Er näherte sich vorsichtig und dann legten sich seine Lippen auf die meinen. Dabei bemerkte ich, dass er viel vorsichtiger und geschickter vorging, als ich es von Mikels Küssen während unserer Beziehung in unserer gemeinsamen Jugend kannte. Ich machte mir nichts vor. Sicher war ich ähnlich ungeschickt gewesen und unser erster Versuch eines Zungenkusses hatte auch leider für mich in einem Erstickungsanfall geendet. Allerdings war ich auch noch zusätzlich erkältet gewesen. Diesen Eindruck hatte ich jetzt aber gar nicht! Im Gegenteil! Es fühlte sich alles sehr schön und sehr vorsichtig und zärtlich an, so wie ich es von Shimar gewohnt war. Nein!, dachte ich bei mir. Das ist nicht Mikel! Er hat dir kein Theater vorgespielt! Mit Sicherheit nicht!

Ein jähes Geräusch hinter uns ließ mich plötzlich zusammenfahren und Shimar abwehren. Dann drehte ich mich der Quelle des Geräusches zu, das ich inzwischen als das Ziehen eines traditionellen klingonischen Degens erkannt hatte und schrie in deren Richtung: „Mr. Kang, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen?!“ Vermutlich ob meiner Reaktion, mit der er offensichtlich nicht gerechnet hatte sehr erschrocken, ließ der Klingone seine Waffe fallen. Erstens hatte er wohl nicht damit gerechnet, dass ich ihn nur an seinem Tun erkennen würde und zweitens passte meine Reaktion wohl nicht so ganz zu dem, was er sich erhofft hatte. Es konnte drittens aber auch daran liegen, dass ich im Allgemeinen als Leisetreterin bekannt war und nur dann laut meine Stimme erhob, wenn ich dafür wirklich einen Grund sah. „Oh ich wollte Ihnen doch nichts Böses, Allrounder.“, beschwichtigte Kang mich. „Im Gegenteil. Ich wollte Sie nur vor Mikel, diesem Petach, beschützen, der sich gerade von Ihnen einen Kuss ergaunert hat! So etwas hätte ich von unserem Ersten Offizier, der ja eigentlich eine Vorbildfunktion ausüben sollte, nicht gedacht!“ „Und da hätten Sie ihn gleich umgebracht?!“, fragte ich fassungslos und sichtlich empört. „Zunächst nicht.“, tröstete Kang. „Ich wollte ihn zuerst nur einschüchtern.“

Ich atmete erneut tief durch. Irgendwie konnte ich ihn ja verstehen. Es war viel passiert, das für einen Klingonen wie ihn sehr verwirrend sein musste. Tote, die eigentlich ins Totenreich gehörten, waren hierher zurückgekehrt in dieses für manche vielleicht so anmutende Jammertal, nur um uns zu helfen und jetzt behauptete auch noch jemand, dass einer dieser Toten noch immer hier war und sich im Körper eines seiner Kameraden aufhielt. Das musste bei Kang ja eine wahre Glaubenskrise ausgelöst haben. Dass er, als Krieger, auf eine Situation, die er nicht verstand, mit Aggression reagierte, war für mich auf jeden Fall sehr wahrscheinlich. Es war mir aber auch klar, dass die logische Konsequenz aus dieser Situation nur sein konnte, dass ich die einzige Anwesende war, die dieses Problem jetzt lösen konnte. Also sagte ich ganz ruhig: „Warrior, ich finde es hoch ehrenhaft, dass Sie mich beschützen wollen. Aber dazu besteht gar kein Anlass. Nehmen Sie doch statt Ihrer Waffe Ihren Erfasser in die Hand und scannen Sie Agent Mikels vorderen Schädelbereich. Dann lassen Sie das Interpretationsprogramm durchlaufen mit der Fragestellung nach der Identität des Neuralmusters, das Sie dort sehen. Daran werden Sie erkennen, dass sich Mikel nichts ergaunert hat, sondern dass Shimar wirklich hier ist und gerade die Kontrolle hat.“

Peinlich berührt ob der Ruhe, die ich bei meinen Sätzen offenbar gerade ausgestrahlt hatte, tat Kang, was ich ihm gesagt hatte. Dann ließ er das Gerät wieder sinken und sagte: „Danke, Allrounder Scott. Sie haben mich da gerade vor einer riesigen Dummheit bewahrt. Ihre Argumente, Ihre wirklich sehr entwaffnenden Argumente im Wortsinn, hätten glatt von einer Vulkanierin stammen können.“ „Vielen Dank, Kang.“, sagte ich. „Aber Sie wissen, dass die Vorschriften jetzt verlangen, dass ein derartiger Fall untersucht wird. Immerhin hätten Sie beinahe einen Vorgesetzten angegriffen. Da Agent Mikel nicht ermitteln kann, weil er sozusagen befangen ist, wird Commander Kissara wohl selbst ermitteln müssen. Der Vorfall ist von den Sensoren aufgezeichnet worden, die auch für die schiffsinterne Sicherheit zuständig sind. Jannings zu befehlen, die Aufzeichnungen zu löschen, würde nur noch mehr Ungereimtheiten auslösen.“ „Also gut.“, sagte Kang. „Wenn man einen Fehler macht, dann muss man auch dazu stehen. Ich wäre dafür, wir reden nachher alle drei mit Kissara.“ Mikel und ich nickten zustimmend.

 

Kapitel 93: Das Geständnis

von Visitor

 

Auch auf der Basis 818 war man von den Ereignissen natürlich nicht verschont geblieben. Time und Yetron hatten in Times Bereitschaftsraum gesessen, als sich die Ereignisse zugespitzt hatten. Sofort hatte der Demetaner das Ruder übernommen, nachdem ihm sein terranischer Vorgesetzter deutlich gemacht hatte, dass ihn die Situation vom Intellekt her wohl überfordern würde. Yetron wusste zwar, dass Time nicht dumm war, aber er wusste auch, dass er so erzogen war, dass Tote eben im Jenseits und Lebende im Diesseits zu bleiben hatten. Das, was jetzt passiert war, konnte Time einfach nicht fassen, da es nicht in sein Bild von der Welt passte. Die demetanische Erziehung war mit diesem Thema wohl offener umgegangen. Deshalb hatte Yetron auch verfügt, dass Cenda auf keinen Fall den Computerkern mit Rosannium fluten durfte. Der Agent hatte den Computer sogar einige der Energiemuster mit Hilfe der Sternenflottendatenbank identifizieren lassen, um einen Beweis zu haben. Dies hatte ihn nur noch in seinem Vorhaben bestätigt. Zu Cenda hatte er nur gesagt: „Gönnen Sie sich eine Pause, Techniker! Ich denke, wir können den Toten vertrauen. Es ist aber auch wichtig, dass Sie mir vertrauen. Ich bin sicher, es ist alles in Ordnung. Ich weiß, dass all das unfassbar klingt, was ich Ihnen jetzt sage, aber unsere Freunde aus dem Jenseits wollen offenbar auch nicht, dass Sytania mit ihren Spielchen durchkommt. Wenn Sie das auch nicht wollen, dann lassen Sie jetzt schön das Ventil für das Rosannium ein Ventil sein und lassen es in Ruhe! Haben Sie mich verstanden, Techniker?!“ „Das habe ich sehr wohl, Mr. Yetron.“, hatte die kesse Celsianerin entgegnet und dabei zu überspielen versucht, dass sie sehr weiche Knie bekommen hatte. Das, was ihr Vorgesetzter ihr gerade gesagt hatte, ängstigte sie doch sehr, Aber sie vertraute ihm schlussendlich doch. Das hatte dazu geführt, dass auch die Electronica, die Niagara und die Basis umgestaltet werden konnten, denn auch zwischen Commander Cinia und Agent Indira hatten ähnliche Gespräche stattgefunden.

„Ich hätte nie gedacht, dass so etwas funktionieren kann, Agent.“, sagte ein leicht verwirrter Time. „Da kommen ein paar Tote und ändern unsere Technik per geistigem Befehl. Das ist etwas, mit dem wohl Sytania auch nicht gerechnet hat. Hoffen wir nur, dass auch andere Kommandanten so schlau waren oder zumindest so schlaue Erste Offiziere haben, wie ich einen habe. Nicht auszudenken, wenn ich Cenda befohlen hätte, den Computerkern mit Rosannium zu fluten.“ „Ich danke Ihnen für das Kompliment, Sir.“, sagte Yetron bescheiden. „Aber wenn man nur ein bisschen offen für bestimmte Tatsachen ist, dann wird jeder so entscheiden können, wie ich entschieden habe. Die Tatsache, dass die Toten nicht mehr unter uns weilen, bedeutet ja nicht, dass sie nicht mehr existieren, wie wir bereits aus diversen Aussagen bestimmter Leute gelernt haben. Sie sind nur in eine rein energetische Form übergegangen und benötigen jetzt andere Lebensbedingungen, die sie in der Dimension, in die sie gegangen sind, zweifelsfrei vorfinden werden. Sie würden einen Fisch ja auch nicht zwingen wollen, auf dem Trockenen zu überleben. Das Ergebnis wäre fatal.“ „Logisch.“, sagte Time. „Also manchmal glaube ich, Sie und Mr. Spock haben eine ganze Menge gemeinsam.“

Er drehte sich der Sprechanlage zu und gab das Rufzeichen der Stationszentrale ein. Dann sagte er: „Sensora, schicken Sie einen Testruf an alle Sternenflottenrufzeichen! Lassen Sie sich vom Computer sagen, wer den Ruf empfängt und wo er ins Leere geht. Der Rechner soll eine Liste anfertigen, die Sie mir dann schicken werden!“ „Verstanden, Commander.“, sagte die Androidin nüchtern und machte sich an Ihre Arbeit.

Yetron und Time waren wartend in Times Bereitschaftsraum zurückgeblieben. „Warum haben Sie ihr diesen Befehl erteilt, Sir?“, fragte Yetron. „Weil ich einige meiner Kollegen für reichlich begriffsstutzig halte, was das hier angeht, Agent!“, sagte Peter etwas missmutig. „Vielleicht haben sie so viel Angst vor den Toten, dass sie ihren Ingenieuren tatsächlich die Flutung der Computerkerne ihrer Stationen und Schiffe mit Rosannium befohlen haben.“ „Das, Commander.“, sagte der demetanische Agent ungerührt und fast schon recht kalt. „Würde zweifelsfrei auch ihren Tod und die Vernichtung ihrer Crews, sowie ihrer Schiffe und ihrer Basen bedeuten, weil sie nicht angepasst werden konnten.“ „Da stimme ich Ihnen ja zu, Agent.“, sagte Time. „Ich bete nur, dass es nicht so ist.“

Die Sprechanlage piepte. Im Display sah Peter genau das Rufzeichen von Sensoras Arbeitskonsole. „Na, das ging ja schnell mit der Liste, Allrounder.“, flapste er. „Aber Sie sollten sie mir nicht vorlesen.“ „Oh das hatte ich auch nicht vor.“, sagte Sensora. „Es ist nur eine vendarische Rettungskapsel aufgetaucht, deren Pilotin dringend mit uns reden möchte. Laut Computer ist sie ein Hybrid aus Ferengi und Platonierin. Ihr Name ist Meroola Sylenne. Sie behauptet, für die Tatsache verantwortlich zu sein, dass es die Dimensionen noch gibt. Sie behauptet ferner, Sytanias Allmachtspläne empfindlich gestört zu haben. Sie möchte unbedingt von einem Spionageoffizier vernommen werden.“

Das war Yetrons Stichwort. Sofort stellte er sich neben Time und bedeutete ihm, das Mikrofon an ihn zu übergeben. Das tat der Terraner auch. „Sensora, weisen Sie Miss Meroola Sylenne nach Andockbucht vier. Ich werde sie dort persönlich abholen und sie dann vernehmen. Sagen Sie ihr das und sagen Sie ihr auch, dass ich sehr gespannt auf ihre Geschichte bin.“ „Aye, Agent.“, gab die Androidin nüchtern zurück und beendete die Verbindung.

Time sah seinen Ersten Offizier fragend an. „Ein Hybrid aus Ferengi und Platonierin?“, fragte er verwundert. „Kann es das geben? Ich dachte immer, es sei biologisch unmöglich.“ „Auf natürlichem Wege definitiv.“, sagte Yetron. „Aber es gab einen Fall, in dem eine entführte Platonierin das bedauernswerte Opfer eines wahnsinnigen Ferengi wurde, der sich dermaßen in seine Obsession, einen Sohn bekommen zu wollen, hineingesteigert hat, dass er alles entführte, was weiblich war. Er wird versucht haben, sich einen im Labor zu basteln. Aber da er, wie ich gerade sagte, ja nicht bei Verstand war, als er das tat, wird er einige Fehler gemacht haben. Sein Opfer hat er später einfach wieder auf ihrem Planeten entsorgt. Mutter Schicksal sei Dank konnte sie aussagen.“ „Und Sie meinen, ihre Tochter ist …“ „Exakt.“, sagte Yetron. „Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, Sir. Ich lasse eine Dame ungern warten.“ Time nickte Yetron nur auffordernd zu, worauf dieser den Bereitschaftsraum verließ.

Rudi war wieder in seiner Wohnung im Reich der Toten auf dem Gelände von Shinells Therapiezentrum eingetroffen. Der deutsche Terraner war überrascht, dort bereits auf die Besagte zu treffen, die Mikosch auf dem Schoß und Mausi neben sich auf der Couch liegen hatte. „Oh, das Fräulein Shinell!“, rief er aus. „Was verschafft mir die Ehre?“

Die junge Außerirdische wandte sich zu Rudi um und sah ihn ernst an. „Wir müssen reden.“, brachte sie nüchtern hervor. „Was ist los?“, fragte Rudi. „Ich dachte, unsere Operation ist ein voller Erfolg gewesen.“ „Das war sie auch.“, sagte Shinell. „Dennoch haben wir einige Verluste zu beklagen. Einige der Kommandanten waren nicht so schlau wie Kissara, Cinia oder Time. Du musst dir das vorstellen! Es gab tatsächlich Sternenflottenoffiziere, die sich wirklich lieber der Vernichtung anheimgegeben haben, als sich von uns helfen zu lassen. Dabei wollen sie doch immer so offen und tolerant sein!“ Sie warf einen verärgerten Blick in den Raum. „Rosannium!“, rief sie aus. „Kannst du dir das vorstellen? Sie haben Rosannium gegen uns benutzt! Das zerstört neurale Energie. Eigentlich nur die von Telepathen, aber wenn man länger als reines Energiewesen existiert, verändert sich die Struktur irgendwann so, dass alle für Rosannium anfällig werden. Je länger man von seiner körperlichen Existenz getrennt wird, desto stärker ist die Veränderung. Das macht es auch umso schwerer, wieder ins Leben zurückzukehren. 100 Jahre reichen dafür schon aus. Wusstest du das?“ „Ich dachte es mir, Shinell.“, sagte Rudi ruhig. „Bis dahin ist ja selbst der zäheste Körper verwest. Dazu kommt noch die Tatsache, dass ja einige unserer Freunde schon sehr lange hier waren.“ „Das ist richtig.“, sagte die Tindaranerin. „Du zum Beispiel. Du könntest nicht wieder zurück, weil du schon viel zu sehr an diese Dimension angepasst bist. Wenn, dann könntest du nur temporär einen Körper oder Gegenstand dort aufsuchen.“ „Das stimmt.“, sagte Rudi. „Genauso haben wir es ja auch gemacht. Aber das war ja bestimmt nicht alles, über das du mit mir reden wolltest, nicht wahr, Shinell?“ „Du hast Recht.“, sagte Shimars Schwester und gab einen schweren Seufzer von sich. „Ich habe heute eine Vision von den Quellenwesen empfangen, die ich nicht verstanden habe. Ich dachte, dass du mir mit deiner Lebenserfahrung vielleicht behilflich sein könntest, sie zu interpretieren, alter Mann!“ Bei ihren letzten zwei Worten hatte sie gegrinst.

Rudi setzte sich auf einen Sessel, den er in ihre Nähe geschoben hatte. Dann sagte er: „Na, dann erzähl mal.“ „OK.“, sagte Shinell und begann: „Ich sah eines von ihnen in einer Art Feuerwand stehen. Es hat sich mir in weiblicher Gestalt gezeigt. Sie war sehr klein und zierlich und sie trug eine Sternenflottenuniform. Ihr Rangabzeichen wies sie als Allrounder Ehrenhalber aus. Zuerst habe ich mich wahnsinnig erschrocken, weil ich meinte, es sei Betsy. Aber dann fiel mir auf, dass Betsy ja kein weißes Abzeichen trägt, das erkennen lässt, dass sie ihren Rang nur ehrenhalber hätte, weil das ja auch nicht stimmt. Ich habe dann …“ „Warte, Shinell!“, fiel ihr Rudi ins Wort. „Warum zeigst du es mir nicht einfach telepathisch. Dann bekomme ich doch fiel eher auch deine emotionalen Eindrücke mit.“ „Na gut.“, sagte Shinell. „Wenn du dich wirklich darauf einlassen willst …“ „Das will ich!“, sagte Rudi mit Überzeugung.

Shinell nahm eine sehr konzentrierte Haltung ein und dann sah Rudi bald alles, was sie während ihrer Vision gesehen hatte. Jetzt sah auch er das Quellenwesen, das in der Flammenwand tanzte. Er kannte es nicht, aber ich war es auf keinen Fall. Erstens wusste er genau, dass ich kein Quellenwesen war und zweitens war sie mindestens zehn Zentimeter kleiner als ich. Aber auch Shinells Schreck, der ihr durch Mark und Bein gefahren war, hatte er mitbekommen. Jetzt hörte auch er, wie das Quellenwesen zu Shinell im Geist sagte: Hab keine Furcht! Was wir dir zu sagen haben, ist sehr wichtig. Du weißt, dass unsere gemeinsame Aktion nur einen Aufschub bedeutet, nicht aber die endgültige Stabilisierung. Für die können nur die Sterblichen Sorgen. Das kann nur gelingen, wenn alle Freunde an einem Strang ziehen und auch sich Feind und Feind die Hand reichen. Denke über meine Worte nach, Shinell von Tindara! Denke gut über meine Worte nach!

Sie hatte die telepathische Verbindung zu Rudi wieder beendet. „Das war sehr interessant, Shinell.“, sagte dieser. „Findest du?“, fragte sie. „Mir hat das eher Angst gemacht. Feind und Feind sollen sich die Hand reichen! Wie stellen die Quellenwesen sich das vor? Sytania wird niemals …“ „Nein.“, sagte Rudi ruhig. „Sytania bestimmt nicht. Aber es gibt ja Gott sei Dank noch Wesen, die vernünftiger sind als ihre Herrin. Es haben ja schon einmal Vendar gegen sie gemeutert. Warum soll das kein zweites Mal geschehen?“ „Du kennst Telzan nicht.“, sagte Shinell. „Er ist der treueste unter Sytanias Dienern. Er wird niemals klein beigeben und sich gar der guten Sache anschließen! Niemals!“ „Na, da bin ich mir nicht ganz so sicher.“, sagte Rudi skeptisch. „Kennst du den Spruch: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff? Wenn Telzan merkt, dass das mit der Allmacht seiner Herrin unter den gegebenen Umständen nichts wird, dann wird er sich schon nach Alternativen umsehen. Dessen bin ich mir sicher! Dazu hängt er viel zu sehr an seinem Leben. Du weißt doch: Kein Minuspol ohne einen Pluspol und kein Pluspol ohne einen Minuspol. Wenn Sytania nicht bereit ist und das ist sie bestimmt nicht, sich einen guten Gegenpol zu ihrem bösen Pol zu schaffen, dann wird auch sie untergehen. Das ist nur eine Tatsache, die sie gern übersieht.“ „Weil sie ihr unbequem ist.“, begriff Shinell. „Und Sytania ist sehr bequem und selbstgefällig. Du meinst also wirklich, das könnte unser Vorteil sein?“ „Darum würde ich mit dir sogar wetten!“, sagte Rudi fest. „Also gut.“, sagte Shinell. „Ich glaube dir. Danke, dass du mir geholfen hast, die Vision zu verstehen. Ich wäre sonst noch verrückt geworden. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass Sytanias Vendar bereit sein könnten, mit unseren Leuten zusammenzuarbeiten.“ „Warum nicht?“, fragte Rudi und machte ein optimistisches Gesicht. „Auch sie hängen an ihrem Leben und das ist nun einmal die Triebfeder der meisten Wesen in gefährlichen Situationen. Alle Instinkte raten einem dann dazu, sich selbst auf jeden Fall zu retten. Ich kann mir gerade von Telzan und seiner Frau Cirnach, die auch immer sehr auf ihren Vorteil bedacht sind, nicht vorstellen, dass sie dies vor lauter Treue zu Sytania völlig außer Acht lassen können. Training hin oder her! Das kann ich dir sogar beweisen.“

Er drehte sich dem Fernseher zu und konzentrierte sich auf Sytanias Kerker. Allerdings stellte er sich auch eine Uhr vor, die rückwärts lief. Dies tat sie aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Jetzt sahen Shinell und er genau, wie Meroola Telzan und Cirnach und somit auch Sytania betrogen hatte und sie sah vor allem genau, wie bereitwillig die Vendar darauf eingingen.

Die junge Tindaranerin gab einen Laut der Erleichterung von sich. „Danke für die Geschichtsstunde, Rudi.“, sagte sie. „Oh, ihr Götter! Ich hätte nicht gedacht, dass Vendar so einfach zu beeinflussen sind!“ „Sie sind eben auch nur Wesen aus Fleisch und Blut, Shinell.“, sagte Rudi erneut sehr ruhig. „Und alle Wesen haben eben Überlebensinstinkte. Gut, hier ging es nicht um Leben und Tod, sondern nur um den eigenen Vorteil und ein Luxusleben, aber wenn sie schon darauf so bereitwillig eingehen, dann möchte ich nicht wissen, wie schnell sie ihre Herrin verraten werden, wenn es wirklich um Leben und Tod für sie geht. Du sollst mal sehen, wie schnell sie sich unseren Freunden anschließen, wenn nur sie die richtige Idee haben sollten.“ „Das glaube ich dir jetzt sehr gern.“, sagte Shinell erleichtert und verabschiedete sich. Dann verschwand sie wieder in einem weißen Blitz, nachdem sie Mikosch, auch entgegen seines lauten Protestes, wieder auf dem Boden abgesetzt hatte.

Auf seiner Basis hatte Time noch immer in seinem Bereitschaftsraum gesessen. Verärgert hatte er sich Sensoras Liste angesehen. Dabei war er nicht etwa über seine Untergebene verärgert, sondern über die Tatsache, dass es wohl offensichtlich tatsächlich welche unter seinen Kollegen gegeben hatte, die sich und ihre Leute lieber der Vernichtung überließen, als Hilfe von denen anzunehmen, die offensichtlich die Einzigen waren, die sie ihnen geben konnten. Seiner Meinung nach passte ein solches Verhalten gar nicht in den Ehrenkodex eines Raumschiffkommandanten, der ja eigentlich immer versuchen sollte, das Beste und die größten Chancen zum Überleben in einer gefährlichen Situation für seine Crew und sich herauszuholen. Auch wäre eine Option, sich zu opfern, damit sie im Notfall überleben würden. Dies stand zwar hier nicht zur Debatte, weil die Situation völlig anders war, aber man hatte ihm schon auf der Akademie ein entsprechendes Leitbild für einen Commander eingeimpft, gegen das diese Kameraden jetzt bitter verstoßen hatten, wie er fand. „Eine Schande sind sie für ihren Berufsstand.“, hatte Time gezischt. „Eine Schande, Jawohl! Ich gebe ja zu, ich hatte vielleicht unverschämtes Glück. Nicht alle sind mit einem Mr. Yetron gesegnet, aber …“

Die Sprechanlage hatte seinem halblauten Hadern abrupt ein Ende gesetzt. Ohne auf das Display zu sehen, hatte Peter das Mikrofon in die Hand genommen und die Sendetaste gedrückt. Dann sagte er: „Jetzt nicht, Sensora, wenn es nicht wirklich dringend ist.“ Umso überraschter war er, eine männliche Stimme zu hören, die ihm antwortete: „Falsch, Peter, mein Freund. Ich bin nicht die Ersehnte. Aber dennoch muss ich mit dir reden. Es wäre gut, wenn dein Erster Offizier auch zugegen sein könnte. Was ich euch beiden zu sagen habe, ist enorm wichtig!“

Die Sprechweise des Mannes hatte Time bereits eine Vermutung entwickeln lassen. Aber er hatte erst jetzt auf das Display geschaut. Hier hatte er König Logars Gesicht erkannt. „Es tut mir leid, Majestät.“, entschuldigte er sich. „Aber bitte tretet doch ein. Mr. Yetron kann leider nicht unserem Gespräch beiwohnen, weil er gerade selbst eine Vernehmung führt. Aber ich denke, wir können uns auch darüber unterhalten, wenn es so dringend ist.“ Dann befahl er dem Rechner, die Tür zu entriegeln.

Logar hatte wenig später den Raum betreten und Time hatte sich und ihm vom Replikator eine Kanne terranischen schwarzen Tee und einige Gebäckstücke samt Geschirr replizieren lassen. Dann hatte der Amerikaner dem imperianischen König den Stuhl gegenüber seines eigenen Platzes an seinem Schreibtisch angeboten.

„Mir ist aufgefallen.“, begann Logar das Gespräch. „Dass du mich gerade Majestät genannt hast. Aber ich bin ein König ohne Reich, Peter, mein Freund. Der Titel passt nicht mehr zu mir.“ „Bei allem Respekt, da irrt Ihr Euch gewaltig, Majestät!“, sagte Time fest. Dabei betonte er die Majestät noch einmal besonders stark. „Für mich seid Ihr noch immer der König in Eurer Dimension, da es Sytania bisher ja nicht gelungen ist, den Ring der Macht aufzuspüren und an ihren eigenen Finger zu stecken. Sie mag zwar jetzt Euer Schloss bewohnen, aber das ist nur eine Bleibe auf Zeit für sie. Was ich Euch sage! Iranachs Plan war anscheinend perfekt, was die Sache mit dem Versteck für die Kleinodien der Wahrung angeht. Darüber müsst Ihr Euch nun wirklich keine Sorgen mehr machen. Aber lassen wir das. Ihr wolltet ja mit mir reden. Worum geht es denn?“ „Es hat im Grunde auch etwas mit den Kleinodien der Wahrung zu tun.“, sagte Logar. „Meine seherischen Fähigkeiten haben mir verraten, dass eine gewisse Meroola Sylenne meine Tochter ganz schön betrogen hat und für ihre neueste Niederlage verantwortlich ist.“ „Dann stimmt das also.“, sagte Time. „Mr. Yetron vernimmt sie gerade.“ „Ja, es ist die Wahrheit.“, sagte Logar. „Aber das bedeutet auch, dass ihr nur drei Tage habt, um das zu tun, was wirklich notwendig ist. Aber ihr habt euren Teil fast erfüllt, deine Crew und du. Ihr müsst nur der USS Granger einige Informationen geben, die ich dir jetzt geben werde. Höre mir genau zu, Peter Time. Sag Commander Kissara, Dass Allrounder Scott zuerst den Dolch des Vertrauens für sich erringen muss und dann Akantus aufzusuchen hat. Er soll ihr genug Spinnfaden für ein Tuch liefern, das sie auf unserer Hälfte des Webstuhls des Schicksals weben wird. Diese Hälfte ist doch auch hier. Deine Ingenieurin soll eine zweite Hälfte replizieren, die sie auch an den Stuhl anbauen wird. Dann wird Kissara ihn abholen. Sie soll sich aber, bevor sie ins Dunkle Imperium fliegt, auch noch einmal nach Tindara begeben, um mit Commander Zirell zu sprechen. Warum dies notwendig wird, kann ich dir nicht sagen. Es würde die Möglichkeiten deiner Vorstellung überschreiten.“ „Na, da seid Euch mal nicht so sicher, Majestät!“, sagte Time fest. „Ich habe schon Dinge gesehen, da haben sich so manch anderem die Fußnägel hochgeklappt.“

Er wies, wahrscheinlich ohne es selbst zu merken, mit dem rechten Zeigefinger auf das Pad mit der Liste, das noch immer vor ihm auf dem Schreibtisch lag. „Ah, Allrounder Sensoras Liste.“, stellte der König fest. „Dann kann ich es dir ja doch sagen, wenn du dich schon so sehr mit derartigen Dingen beschäftigst. Sie haben eine Chance, Shimar von Tindara zurück ins Leben zu holen, oder besser, sie werden sie bekommen. Was deine Kollegin Kissara daraus macht, ist selbstverständlich ihr überlassen. Aber ich denke, sie wird schon die richtigen Entscheidungen treffen.“ „Davon gehe ich auch aus, wie ich sie kenne.“, sagte der Terraner. „In Ordnung. Ich werde ihr Bescheid sagen und ihr auch die Koordinaten des Waldes geben, in dem die drei Lateiner leben. Dort wird Scott den Dolch ja wohl finden, zumindest dann, wenn ich mich noch korrekt an die Ergebnisse von Yetrons Vernehmung von Iranach erinnere. Sonst werde ich sie auch gern selbst noch mal fragen. Sie und Elisa bewohnen ja das zweite Gästequartier.“ „Oh das musst du nicht, Peter.“, sagte Logar. „Deine Erinnerungen sind völlig richtig! Aber nun entschuldige mich, denn auch ich habe noch etwas zu erledigen.“ Damit stand der Herrscher auf und verließ Time.

Der terranische Commander fasste noch einmal in seinem Kopf zusammen, was Logar ihm gerade gesagt hatte. Er wollte gerade die Sprechanlage betätigen, um sich von Sensora mit Kissaras Schiff verbinden zu lassen, als das Gerät erneut piepte. Um ein erneutes Missverständnis zu vermeiden, das erste war ihm peinlich genug, sah er jetzt zunächst auf das Display, um festzustellen, dass das Rufzeichen das der Türsprechanlage war und dass ein Strahlender Yetron in die Kamera lächelte. „Kommen Sie rein, Agent!“, sagte Time fest.

Die Türen glitten auseinander und der Demetaner betrat den Raum. Sofort legte er ein Pad vor Time auf dem Schreibtisch ab. Dann warf er ihm einen siegessicheren Blick zu.

„Ich nehme an, Ihre Vernehmung mit Ms. Meroola Sylenne lief zufriedenstellend?“, erkundigte sich Time und deutete auf den jetzt frei gewordenen Stuhl. „Oh viel mehr als das, Sir.“, sagte der Demetaner und schaute fasziniert, während er sich setzte. „Meroola hat mir stimmig geschildert, dass und wie sie Sytania und ihre Vendar betrogen hat. Sie hat tatsächlich dafür gesorgt, dass sie mit ihrem Plan, die Zerstörung der Dimensionen zu beschleunigen und alles nach Sytanias Willen neu zu erschaffen, erst einmal gescheitert sind. Die Details finden Sie alle in diesem Bericht.“ „Na, jetzt warten Sie mal, Agent.“, sagte Time. „Bei mir hat da gerade was geklingelt. Meroola Sylenne ist eine ehemalige Kriminelle, eine Betrügerin! Der Geheimdienst sucht sie schon seit Jahren! Ihr Vorstrafenregister könnte einen ganzen Frachtraum füllen und Sie glauben ihr, wenn sie mit einer Geschichte daherkommt, in der sie behauptet, sogar die mächtige Sytania aufs Kreuz gelegt zu haben?! Wo sind Ihre Beweise, Agent!“ „Der Beweis, Sir.“, sagte Yetron ruhig. „Der Beweis ist die Tatsache, dass wir alle noch leben. Ms. Meroola bringt, als Betrügerin, außerdem die idealen Voraussetzungen für ihren eigenen Plan mit, über dessen Inhalt Sie dieses Pad informieren wird. Nur so viel: Sie hat die Tatsache ausgenutzt, dass sowohl Sytania, als auch ihre Vendar, sehr auf ihren Vorteil bedacht sind. Sytania ist außerdem zu selbstgefällig und bequem. Sie gefällt sich viel zu sehr in der Rolle der Siegerin und ist somit auch für das Versprechen eines schnellen Sieges sehr empfänglich. Das macht sie unvorsichtig und ihre Kräfte nützen ihr dann gar nichts, wenn sie diese gar nicht einsetzt, um dies oder jenes zu verifizieren. Dazu ist sie zu gierig und Gier ist manchmal eben fatal. Dies ist ihr Nachteil und unser Vorteil, den wir bisher auch immer ausnutzen konnten. Ms. Meroola hat im Grunde nichts anderes getan.“ „Verstehe.“, sagte Time. „Wo ist sie jetzt?!“ „Sie befindet sich im Aufenthaltsraum auf Deck fünf.“, sagte Yetron. „Ich schlug ihr vor, sich dort etwas zu verlustieren, bevor der Chief-Agent über ihren weiteren Verbleib entschieden hat. Ich wollte sofort mit Tamara reden. Ich denke aber, eine Haft wird sie nicht mehr zu erwarten haben, wenn herauskommt, dass sie entscheidend zur Rettung der Dimensionen beigetragen hat.“ „In Ordnung.“, sagte Time. „Ich muss auch noch einmal SITCHen. Aber erst einmal lese ich mir durch, was Sie aus ihr herausgeholt haben, Agent.“

Er zog Yetrons Pad zu sich. „Oh sie hat mir alles freiwillig gesagt.“, sagte der Demetaner und grinste. „Dachte ich mir.“, sagte Time. „Ihr Angebot war ja auch eindeutig.“ Damit vertiefte er sich in das Pad. Yetron winkte ihm noch kurz und ging. Sein Gespräch mit Tamara würde er an anderer Stelle führen.

 

 

Kapitel 94: Neue Voraussetzungen

von Visitor

 

Immer besser hatte ich mich mit den fliegerischen Gegebenheiten in der so genannten Superdimension, zu der das Universum jetzt geworden war, angefreundet. Ich hatte mich mittlerweile sogar getraut, mit der Granger auf Warp zu gehen. Mich hatte nur irritiert, dass ich glaubte, immer ein leises Geräusch des interdimensionalen Antriebs zu hören, egal welche Stufe ich einstellte oder welchen Antrieb ich gerade benutzte. Ich wusste aber sofort, mit wem ich das klären konnte.

Ich gab also das Rufzeichen des Maschinenraums in das Sprechanlagenterminal meiner Konsole ein. „Hier Technical Assistant Elektra.“, meldete sich die Stimme der dort diensthabenden Androidin nüchtern und freundlich, wie wir es alle von ihr gewohnt waren. „Elektra, hier ist Allrounder Scott.“, sagte ich. „Können Sie mir bestätigen, dass der interdimensionale Antrieb zu einem gewissen Prozentsatz mit den anderen Antrieben jeweils synchron mitläuft?“ „Affirmativ.“, sagte Elektra. „Aber an Ihrer Fragestellung konnte ich sehen, dass Sie sich bereits selbst Gedanken zu diesem Thema gemacht haben müssen, Allrounder. Ich denke, das ist Ihrer hervorragenden technischen Begabung geschuldet, die ja bereits in Ihrer Kindheit sehr stark von ihrem Großvater gefördert wurde. Sie hatten so etwas schon vermutet, nicht wahr?“ Ich gab einen bestätigenden Laut von mir und sagte dann: „Aber das ist ja ganz normal unter den gegebenen Umständen, denke ich. Aber ich denke auch, dass wir nicht viel Zeit haben dürften. Eine Superdimension kann sich nur recht kurze Zeit halten, wenn die Stellen, an denen sich die einzelnen Naturgesetze begegnen, zu dicht zusammenliegen.“ „Bestätigt.“, sagte Elektra. „Meine Datenbank enthält ebenfalls Informationen über die Theorie von Techniker Jenna McKnight zu diesem Thema. Die Existenz der Dimension der Toten widerspricht dem zwar, sie lässt sich allerdings durch zwei Dinge erklären: erstens: die so genannten Reibungspunkte sind weiter auseinander und zweitens gibt es dort keine Materie. Energie kann sich so etwas viel besser und leichter anpassen. Es gibt auch noch weitere Theoretiker, auf die ich verweisen könnte. Da wäre zum Beispiel …“

Der Computer hatte einen externen Ruf gemeldet und so musste ich ihr ins Wort fallen: „Wir reden darüber sicher noch ein anderes Mal, Elektra. Jetzt habe ich aber leider zu tun.“ „In Ordnung, Allrounder.“, sagte sie. „Ich hoffe nur, ich konnte Ihnen das komische Geräusch erklären und Sie wissen jetzt, dass nichts kaputt ist.“ „Das konnten Sie.“, lächelte ich und beendete die Verbindung, aber nur, um mich gleich danach der nächsten zu widmen. Dazu drehte ich mich zunächst dem Computermikrofon zu und befahl: „Rufzeichen des rufenden Gerätes vorlesen, Computer!“ „Das Rufzeichen lautet: SH198 …“, begann der Computer, kam aber nicht mehr weiter, denn ich wusste sofort, wer das nur sein konnte. „Das Gespräch auf meine Konsole legen!“, sagte ich und der Rechner der Granger führte meinen Befehl auch bereitwillig aus.

Die Stimme, welche ich dann allerdings zu hören bekam, irritierte mich. „Verdammt!“, war das erste Wort, das sie mir entgegenzischte. „Na, das ist ja eine tolle Begrüßung, Tchey!“, sagte ich, die ich ihre Stimme längst erkannt hatte. Dann scherzte ich: „Ob Tom Paris schon einmal so eine alte Freundin begrüßt hat?“ „Entschuldige.“, sagte Tchey. „Aber ich hätte nicht mit dir gerechnet. Was machst du an Bord der Granger? Wo ist Ribanna? Sie hätte mir jetzt einiges sehr erleichtert.“ „Oh bin ich dir also nicht gut genug?!“, fragte ich und tat übertrieben schnippisch. Dabei grinste ich allerdings. „Komm schon!“, sagte sie hektisch. „Es ist keine Zeit für Scherze. Ich meinte das total ernst. Du könntest das, was ich dir jetzt sagen muss, vielleicht nicht verkraften.“ „Keine Panik.“, sagte ich. „Rück schon raus damit! So zerbrechlich wie früher bin ich nicht mehr.“ „Also gut.“, sagte Tchey. „Hör mir jetzt genau zu! Aber ich glaube, es wäre besser, wenn du vorher den Autopiloten aktivierst. Es könnte dich nämlich vom Sessel hauen!“ „OK.“, sagte ich leicht genervt. „Wenn du unbedingt willst.“ Dann aktivierte ich den Autopiloten, um danach zu nuscheln: „Bin so weit.“ „Shary und ich haben Shimars Körper.“, sagte sie langsam und deutlich. „Kannst du mir vielleicht sagen, wo sein Geist ist? Shary hat sein Neuralmuster auf eurem Schiff lokalisiert. Sie sagt, es wird in deiner Sektion und ganz in deiner Nähe angezeigt.“ „Da hat sie Recht.“, sagte ich ruhig und wohl viel gefasster, als es Tchey von mir erwartet hatte. „Er ist in Mikels Körper.“

Mikel schaltete sich in unser Gespräch ein: „Sag ihr, sie soll Shimars Körper zunächst einmal auf die Krankenstation beamen. Ich werde Loridana und Learosh informieren. Kissara dürfte ja auch bald kommen. Ihr erkläre ich es dann auch.“ „OK.“, sagte ich und wandte mich wieder Tchey zu: „Sag Shary, sie soll Shimars Körper auf der Krankenstation auf ein freies Biobett beamen. Mikel informiert unsere Ärztin.“ „OK.“, sagte Tchey. „Du reagierst erstaunlich cool. Hätte ich dir nicht zugetraut. Sag Mikel bitte, er soll dafür sorgen, dass die Aufzeichnung, die ich dir gerade zugeschickt habe, ihm irgendwie vorgespielt wird. Sie wirkt offenbar wie eine lebenserhaltende Maßnahme. Vielleicht können wir Shimar so zurückholen.“ „Ich denke, er wird es mitbekommen haben.“, sagte ich. „Ich habe dich nämlich auf den Hauptschirm gestellt.“ „Auch gut.“, sagte Tchey. „Dann musst du nicht alles zweimal erzählen.“ Ich nickte nur bestätigend in die Kamera des Sprechgerätes.

„Mikel hatte im Hintergrund alles mit Loridana und ihrem Assistenten besprochen. „Auf der Krankenstation ist alles bereit.“, sagte er. „Also gut.“, sagte Tchey. „Wir beamen ihn jetzt her und dann werden Shary und ich wieder unserer Wege fliegen.“ „Geht klar.“, sagte ich. „Passt auf euch auf!“ „Du kennst uns doch!“, grinste Tchey und beendete die Verbindung.

Wenige Sekunden danach bestätigte der Computer den Transport und Tcheys Schiff entfernte sich wieder. „Glauben Shimar und du, dass das hinzukriegen sein könnte?“, fragte ich in Mikels Richtung. „Allerdings!“, bestätigte der Agent fest. „Aber das erläutere ich später.“ „OK.“, sagte ich vertrauensvoll und setzte meine Arbeit, das Fliegen der Granger, fort.

Beim Frühstück, einer Fischplatte, hatte Kissara in ihrem Quartier Mikels Mail gelesen und was sie dort gelesen hatte, gefiel ihr sehr. „Oh da hat wohl diese Nacht jemand ein paar richtige Entscheidungen getroffen.“, sagte sie leise zu sich. Sie wunderte sich nur über die Tatsache, dass ich offenbar auch dort war. „Scott ist hier?“, fragte sie halblaut in den leeren Raum. „Ich dachte, sie läge krank im Bett auf der Erde. Ich denke, da wird mir Mikel noch etwas erklären müssen.“

Sie verließ ihr Quartier und machte sich per Turbolift auf den Weg zur Brücke, die sie bald darauf laut schnurrend betrat. Für sie, eine Thundarianerin, war dieses Verhalten etwas völlig Normales. Genauso schnurrend setzte sie sich jetzt neben Mikel. Dabei berührten ihre Schnurrhaare leicht die linke Hand des Ersten Offiziers, der gerade etwas an seiner Konsole einstellte, als sie sich zu ihm herüberbeugte und leise sagte: „Guten Morgen, Agent. Sie waren großartig letzte Nacht! Ohne Sie, der die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt getroffen hat, wären wir heute alle nicht mehr am Leben, wie es aussieht.“ „Das mag ja sein.“, entgegnete Mikel bescheiden. „Aber ohne Allrounder Scott wäre mir das sicher auch nicht möglich gewesen. Wenn sie mir nicht im entscheidenden Moment geholfen hätte, dann …“

Kissara sah zur Flugkonsole herüber. „Guten Morgen, Betsy!“, begrüßte sie mich erstaunt. „Wie kommen Sie denn hierher?“ „Das ist eine lange Geschichte, Madam.“, sagte ich. „Ich denke, es würde zu lange dauern, wenn ich sie Ihnen erzählen würde. Ich werde einen schriftlichen Bericht abfassen, wenn es die Situation zulässt.“ „In Ordnung, Allrounder.“, sagte meine Vorgesetzte. „Ich wüsste nur gern, was der Agent damit meinte, als er gerade andeutete, Sie hätten ihm im entscheidenden Moment dabei geholfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, um uns alle zu retten.“ „Das will ich Ihnen gern erklären, Commander.“, sagte ich. „Der Geist meines Großvaters und der von Shimar waren in unserem Rechner und haben die Systeme der Granger auf die neuen physikalischen Gegebenheiten eingestellt. Die Dimensionen waren fast zusammengebrochen. Irgendwas muss das aber im letzten Moment verhindert haben. Jetzt haben wir eine Superdimension und genau deshalb auch nur wenig Zeit, denke ich. Agent Mikel wollte sichergehen, dass mein Großvater auch wirklich mein Großvater ist und ich habe ihm eine Information geliefert, die ihm diese Sicherheit gegeben hat. Deshalb hat er Elektra auch nicht befohlen, den Computerkern mit Rosannium zu fluten.“ „Elektra?“, fragte Kissara verwundert. „Laut Dienstplan hat aber doch Mr. Jannings im Maschinenraum Dienst gehabt.“

„Es gab eine Komplikation, durch die ich gezwungen war, den Dienstplan etwas zu modifizieren, Kissara.“, sagte Mikel. „Der Gedanke, dass zwei Tote durch unsere Schiffssysteme geistern und sie verändern, war für Techniker Jannings zu beängstigend. Er hat selbst um Ablösung gebeten und ich habe seiner Bitte stattgegeben. Genauso ging es übrigens Allrounder Ribanna. Sie hat das aus religiösen Gründen auch nicht ausgehalten. Aber wir haben ja Elektra und Scott.“ Kissara nickte nur bestätigend.

Das Sprechgerät machte ihrer Unterhaltung ein Ende. Erneut befahl ich dem Computer, mir das Rufzeichen vorzulesen, welches ich als das der Station 818 identifizierte. „Commander, wir werden von Commander Time gerufen!“, meldete ich in Kissaras Richtung. „Auf den Hauptschirm, Allrounder!“, befahl sie. Ich nickte nur und führte ihren Befehl aus.

Das Bild des Amerikaners erschien auf dem Bildschirm vor Kissara und Mikel. „Hi, Kissara.“, sagte Time. „Du musst sofort herkommen! Logar sagt, wir haben nicht viel Zeit. Cenda baut eine zweite Hälfte für den halben Webstuhl des Schicksals, den wir bei uns haben. Den müsst ihr mitnehmen ins Dunkle Imperium. Dort muss Scott den Dolch des Vertrauens für sich erringen und dann muss sie zu Akantus und von ihm Spinnfaden holen, um ein Tuch zu weben. Ich kann dir übrigens auch sagen, warum die Dimensionen nicht ganz zusammengebrochen sind. Eine gewisse Meroola Sylenne hatte daran einen entscheidenden Anteil. Aber das steht alles in Mr. Yetrons Bericht. Er hat sie vernommen. Bitte, Kissara, schnell! Wir haben nur noch zwei Tage! Logars Vertraute Iranach wird euch übrigens auch begleiten und ihr müsst auch noch nach Tindara!“ „Langsam, Peter.“, sagte Kissara. „Das sind ja eine Menge Informationen auf einmal. Die muss ich erst einmal ordnen. Aber wir kommen her. Allrounder Scott, wie lange werden wir bis zu Times Basis brauchen?“ „Eine halbe Stunde bei gegenwärtiger Geschwindigkeit, Madam!“, sagte ich fest, nachdem ich den Computer konsultiert hatte. „Machen Sie eine Viertelstunde daraus!“, befahl Kissara. „Verdoppeln Sie unsere Fluggeschwindigkeit!“ „Ich kann auch eine Sekunde daraus machen, Madam!“, sagte ich. „Indem ich den interdimensionalen Antrieb benutze und uns hier aus der Dimension heraus und in der Umlaufbahn um seine Basis wieder hineinfliege.“ „Oh das wird wohl nicht gleich notwendig sein.“, sagte Kissara. „Also gut.“, sagte ich. „Dann also eine Viertelstunde.“ Dann gab ich den entsprechenden Wert in die Flugkonsole ein.

Mikel hatte Kissara etwas verärgert angesehen. Die Thundarianerin wusste aber, dass dies nichts mit ihrem Befehl an mich zu tun hatte, sondern wohl eher etwas mit dem Namen Meroola Sylenne. Die Verärgerung war nämlich bereits in den Augen des Agenten zu sehen gewesen, als Time den Namen erwähnt hatte. „Was ist los, Agent.“, fragte sie. „Meroola!“, sagte Mikel laut und fast wütend. „Wenn Time dieser Betrügerin auch nur ein Sterbenswörtchen glaubt, dann dürfte er verraten und verkauft sein. Die hat ’n Vorstrafenregister für Betrug, das ist so dick wie die Speckschwarte eines terranischen Rhinozerosses!“ „Also wirklich, Mikel!“, wunderte sich Kissara und sah ihn etwas streng an. „Wie reden Sie denn?! Als Geheimdienstler dürften Sie doch wohl am besten wissen, dass jemand solange als unschuldig gilt, bis seine Schuld nachgewiesen ist. Warten Sie doch erst einmal Mr. Yetrons Bericht ab und lesen Sie ihn sich durch. Dann können Sie ja immer noch urteilen. Auch Ms. Meroola Sylenne hat ein Recht auf ein faires Verfahren, Agent!“

Seine Reaktion blieb auffallend lange aus. So lange, dass sie schließlich nachbohrte: „Gibt es da etwa noch etwas, das Sie mir vorenthalten, Agent?“ „Ja, Kissara.“, sagte Mikel. „Ich bin seit heute Nacht auch nicht mehr allein in diesem Körper. Rudi ist wieder im Reich der Toten, aber Shimar muss hierbleiben. Um ihm das zu ermöglichen, teilen wir uns meinen Körper. Er kennt Meroola und hat sie nie gemocht. Die heftige Reaktion gerade, die kam nicht von mir, sondern von ihm. Er war wohl so wütend, dass er die Kontrolle an sich gerissen hat. Er hat sich aber bereits telepathisch bei mir entschuldigt und das möchte ich in seinem Namen jetzt auch bei Ihnen tun. Er muss aber bald wieder zurück in seinen Körper. Eine Dauerlösung ist das hier so nicht.“

„Und den hat uns Tchey gebracht.“, ergänzte ich. „Er ist auf der Krankenstation. Allerdings hatte die Sache mit der Teilung des Körpers auch Konsequenzen, in die ich involviert war, Commander. Ich und Mr. Kang.“

Der Klingone, der sich offenbar angesprochen fühlte, drehte sich uns zu. Dann sagte er: „Ich traf aufgrund der Situation eine Fehlentscheidung, Madam, vor deren Konsequenzen mich Allrounder Scott allerdings gerade noch bewahrt hat. Ohne sie stünde ich jetzt vor dem Kriegsgericht wegen der Tötung unseres Ersten Offiziers. Ich wollte Scott eigentlich nur beschützen, aber …“ „Na, Sie scheinen aber bei Ihrer Ankunft hier einen ganz schönen Wirbel verursacht zu haben, Allrounder.“, stellte Kissara fest. „Ich denke, darüber sollten wir mal reden. Aktivieren Sie den Autopiloten und dann kommen Sie mit mir in meinen Bereitschaftsraum. Ach, ist die Mail von Agent Yetron schon da?“ „Sicher.“, sagte Mikel, der sie gerade bekommen hatte. „Dann lesen Sie sich erst einmal den Bericht durch, Agent, während ich mich mit unserem Allrounder Wirbelsturm hier unterhalte.“ „Aye, Madam.“, nickten Mikel und ich und dann taten wir, was sie uns gerade gesagt hatte.

Kissara und ich hatten uns bald in ihrem Bereitschaftsraum an ihren Schreibtisch gesetzt. „Also, ich muss schon sagen, Betsy.“, setzte sie an. „Überall, wo Sie unvermutet auftauchen, stiften Sie erst einmal Chaos.“ „Ja, Commander.“, sagte ich und grinste sie an. „Man sollte ein Tiefdruckgebiet mit einem ordentlichen Sturm nach mir benennen. Aber ein schönes großes Gebiet, bitteschön!“ Auch sie grinste hörbar. „Aber nun lassen Sie uns zu dem kommen, was da eigentlich passiert ist. Worum ging es denn eigentlich?“, fragte sie dann. „Shimar hatte sich Mikels Lippen geliehen, um mich zu küssen.“, erklärte ich. „Das hatte Mr. Kang wohl missverstanden. Er meinte, Mikel hätte mir ein Theater vorgespielt, um sich von mir einen Kuss zu ergaunern. Der Warrior ist wohl davon ausgegangen, ich würde den Unterschied nicht erkennen und dachte, mich beschützen zu müssen. Er hat versucht, Mikel mit seinem traditionellen Degen einzuschüchtern, damit er von mir ablässt, aber ich kenne den Unterschied ganz genau, Madam! Ich weiß genau, dass Shimar während des Kusses am Drücker war und nicht Mikel! Dessen bin ich zu 100 % sicher! Shimar ist nämlich viel geschickter. Aber das ist vielleicht auch normal. Als Mikel und ich eine Beziehung führten, waren wir beide unerfahrene Teenager und …“

Sie hatte eine ihrer beiden weichen Hände, die mich auch entfernt an die Pfoten einer Katze erinnerten, auf meine rechte Hand gelegt, die ich auf dem Tisch abgelegt hatte. So hatte sie meine Aufmerksamkeit in jedem Fall bekommen, um mich zu unterbrechen: „Nichts liegt mir ferner, als irgendwelche intimen Leistungen meines Ersten Offiziers Ihnen gegenüber zu benoten oder zu beurteilen, Allrounder. Wenn Sie mir zu 100 % versichern, es war Shimar, dann war es auch Shimar! Sie müssen nichts rechtfertigen. Was privat ist, darf auch privat bleiben. Ich glaube Ihnen! Mich würde nur noch interessieren, wie Sie es angestellt haben, das doch sehr stark überhitzte Gemüt unseres Warriors wieder zu besänftigen.“ „Ich denke, ich habe einiges getan, mit dem er nicht gerechnet hat und das hat ihn aus dem Konzept gebracht.“, antwortete ich. „Er hätte wohl nicht gedacht, dass ich allein am Geräusch erkenne, was er vorhat. Auch damit, dass ich leises Etwas ihn anschreie, hätte er wohl nicht gerechnet. Er hat völlig verdattert seine Waffe fallenlassen.“ „Nun ja.“, sagte Kissara. „Der Umstand, dass Sie eigentlich immer recht leise sind, ist aber gleichzeitig Ihre schärfste Waffe. Er macht Sie für Ihre Gegner unberechenbar, weil Sie auch anders können, wenn Sie wollen. Wann Sie das aber einsetzen, weiß niemand so genau.“ „Stimmt, Commander.“, sagte ich und gestand: „Meistens weiß es noch nicht einmal ich.“

Piepend hatte die Sprechanlage unsere Unterhaltung unterbrochen. Im Display hatte Kissara eindeutig das Rufzeichen des Behandlungszimmers auf der Krankenstation erkannt. „Was ist los, Loridana?“, fragte sie. „Agent Mikel ist hier.“, sagte die Ärztin am anderen Ende der Verbindung. „Er sagt, es gebe einen Weg, Shimar in seinen Körper zurückzubringen. Er möchte aber, dass Sie und Allrounder Scott ebenfalls zugegen sind.“ „Wir kommen!“, sagte Kissara und drückte die 88-Taste, um die Verbindung zu beenden. Dann stand sie auf und bot mir ihren rechten Arm an: „Kommen Sie!“

 

Kapitel 95: Zurück ins Leben!

von Visitor

 

Wir hatten den nächsten Turbolift genommen und waren auch bald auf der Krankenstation angekommen. Hier deutete Loridana sofort nach der Begrüßung auf Shimars Körper: „Schwer zu glauben, dass diese Kristalldruse der gleiche gut aussehende junge Mann ist, in den sich unser junger Allrounder hier so Hals über Kopf verliebt hat.“ „Nun, Scientist.“, sagte Kissara und warf ihr einen leicht tadelnden Blick zu. „Erinnern Sie sich noch, dass Scott Sie einmal in meinem Beisein gefragt hat, in wie weit Sie eine Gefangene Ihrer Augen wären?“ „Ja.“, sagte die Zeonide. „Aber ich konnte mit ihrer Frage zunächst nicht viel anfangen.“ „Aber dafür haben Sie jetzt die Antwort!“, sagte Kissara etwas strenger. „Oh, ich verstehe.“, sagte Loridana sichtlich peinlich berührt. „Ich sollte wirklich versuchen, über das rein Äußerliche hinwegzusehen. Es tut mir leid, Madam. Als Sternenflottenoffizierin dürfte mir das eigentlich nicht passieren, weil es ja so viele verschiedene Spezies mit so verschiedenem Aussehen gibt, dass …“ „Entschuldigung angenommen, Scientist!“, ging Kissara dazwischen. „So und jetzt gehe ich zu Agent Mikel! Er soll mir mal erklären, wie er Shimar in seinen Körper zurückbekommen möchte!“ „Biobett zwei!“, gab die leicht geknickte Loridana Auskunft.

Die Kommandantin ging geradewegs durch zu dem genannten Biobett. Hier fand sie ihren Ersten Offizier bereits in sehr entspannter Haltung vor. „Können Sie mich hören, Agent?“, fragte sie leise.

Mikel tat einen tiefen Atemzug. Dann sagte er: „Ja, das kann ich, Kissara. Es tut mir leid, dass ich bereits ohne Sie mit der Show anfangen wollte. Aber Shimar hat gesagt, er will mir nicht länger zur Last fallen.“ „Was genau haben Sie denn vor?“, fragte Kissara. „Zwischen Ihnen und Shimars Körper gibt es doch keine Silberschnur, oder?“ „Noch nicht.“, sagte Mikel. „Aber ich beabsichtige, eine zu spannen. Sie wissen, dass ich meinen Körper verlassen kann, wenn ich will. Dann gehe ich temporär in Shimars Körper und wieder zurück in den meinen. Danach kann sich Shimar an der nun vorhandenen Schnur hinüberhangeln. Er ist Telepath. Sein Geist kann sie durchaus ergreifen. Später wird er sie zerreißen, damit ich nicht auf ewig mit seinem Körper verbunden bleiben muss.“ „Wenn man bedenkt, was ich schon alles mit Ihnen erlebt habe, Mikel.“, sagte Kissara. „Dann klingt auch das sehr plausibel. Und dann komme ich auch noch und bringe Sie raus! Jetzt müssen Sie sicher wieder ganz von Vorn anfangen!“ „Das wird schnell gehen.“, sagte Mikel. „Shimar hilft mir ja gut mit, wo er kann. Nur eines noch: Ist Betsy hier?“ „Ich bin hier, Mikel!“, rief ich aus dem Hintergrund. „Dann ist ja alles gut.“, sagte Mikel und schloss die Augen. Sofort positionierten sich auch Loridana und Learosh an den Monitoren. Dabei überwachte die eine Mikel und der andere Shimar. Kissara und ich blieben im Hintergrund.

Shimar hatte Mikels Fortschritte tatsächlich beobachtet. Du hast es gleich geschafft, Mikel., sagte er. Gleich wirst du deinen Körper verlassen. Vielen Dank für alles, was du mir ermöglicht hast. Jetzt kann ich Betsy noch besser verstehen. Das ist das größte Geschenk, was du mir machen konntest, weißt du das?! Danke, Shimar!“, gab Kissaras Erster Offizier hocherfreut zurück. Und ich hatte schon befürchtet, der Aufenthalt in meinem Körper sei für dich nur eine Last gewesen wegen meiner Behinderung und dann auch noch wegen eines popeligen telepathischen Mikrozentroms, mit dem du … Hey!, unterbrach Shimar ihn. Ich dachte, ich hätte dir klar gemacht, dass das genaue Gegenteil der Fall ist! Aber darüber reden wir noch einmal, wenn ich wieder in meinem Körper bin. Du wirst jetzt nämlich gleich …

Mikel spürte, wie sich alles um ihn herum zu drehen begann. Außerdem hörte er ein Sausen, was für ihn ein eindeutiges Zeichen war, dass er seinen Körper verlassen hatte. Auch Loridana und ihr Assistent konnten dies am Monitor nachvollziehen.

„Bericht, Scientist!“, forderte Kissara von ihrer Untergebenen. „Agent Mikel ist in Shimars Körper übergetreten.“, sagte Loridana. „Er ist aber nur wenige Sekunden dort verblieben und ist jetzt wieder zurück in seinem.“ „Die Silberschnur hat sich etabliert!“, fügte Learosh bei. „So weit, so gut.“, sagte unser Commander. „Jetzt ist wohl Shimar dran.“ Die Ärztin und ihr Assistent nickten bestätigend.

Mikel fühlte, dass Shimar begonnen hatte, die Silberschnur mit seinem Geist zu prüfen. Sie wird einen großartigen Job machen, Mikel!, versicherte er. Ich gehe jetzt rüber. Sobald ich drüben bin, zerreiße ich sie, wie wir es abgesprochen haben. Kann ich dir irgendwie helfen?, fragte Mikel. Du hast schon mehr als genug für mich getan., sagte Shimar. Den Rest schaffe ich wohl allein.

Damit griff er nach der Silberschnur und begann sich an ihr hinüber zu hangeln. Kaum hatte er dies aber getan, sah er, wie sich unter ihm ein riesiger Abgrund auftat. Außerdem brach ein Sturm los und er hörte Sytanias Stimme in seinem Geist: Na, mit meiner Einmischung hättest du wohl nicht gerechnet, Shimar von Tindara, was?! Und dich habe ich wohl auch total überrascht, Mikel, he?! Na ja. Oft habt ihr mich unterschätzt. Aber jetzt werdet ihr meine Rache dafür zu spüren bekommen. Früher oder später wird die Schnur reißen und dann fällst du tief, Tindaraner! Das wird deinen Geist vernichten!

Die Alarme der Monitore hatten Kissara und die Mediziner gleichermaßen aufgeschreckt. „Was ist los?!“, fragte die thundarianische Kommandantin. „Genau können wir das nicht sagen!“, sagte eine völlig alarmierte Loridana. „Aber offenbar hat Sytania Einfluss genommen. Sie versucht offenbar, die Silberschnur zu zerstören!“ „Verdammt!“, sagte Kissara. „Aber das hätten wir uns denken müssen. Es lief ja bisher alles zu glatt. Können Sie ihnen Rosannium spritzen oder einen zellaren Peptidsenker oder so etwas?“ „Sie vergessen, dass das, was Mikel und Shimar tun, auch auf telepathischer Basis stattfindet!“, sagte die Ärztin etwas hektisch. „Die Medikamente würden auch das unmöglich machen und wir würden vielleicht sogar beide verlieren!“ „Das habe ich nicht bedacht.“, entschuldigte sich Kissara. „Verzeihen Sie bitte, Loridana.“ „Schon gut.“, winkte Loridana ab und wandte sich wieder dem Monitor zu.

Mikel hatte gefühlt, wie stark der Sturm, den Sytania heraufbeschworen hatte, an ihm zerrte. Das war kein Wunder, da er ja auch als einer der beiden Pfosten für die Silberschnur fungierte. Er versuchte zwar sich vorzustellen, wie er sie immer wieder erneuerte und verstärkte, aber da Sytania immer genau das Gegenteil davon tat, erschöpfte ihn das jetzt schon sehr. Lange würde er diesen Kampf mit ihr nicht mehr führen können. Aber auch Shimar war in keiner viel besseren Situation. Er konnte weder vor noch zurück, denn dann hätte er umgreifen müssen. Dazu hätte er auf einer Seite temporär loslassen müssen, was die Gefahr bedeutet hätte, dass er fallen konnte. Er wusste, dass es unter diesen Umständen klüger war, genau dort hängen zu bleiben, wo er hing, auch wenn das die Last für Mikel noch erhöhen würde.

Mach schon!, rief Mikel Shimar zu. Ich kann nicht mehr! Es tut mir leid!, gab der Tindaraner zurück. Wenn ich nur mit einer Hand loslasse, dann falle ich sofort. Der Sturm ist zu stark. Du musst durchhalten, bis sie von außen eine Möglichkeit gefunden haben! Versuch es, Mikel! Versuch es! Wenn du es schon nicht für mich tun willst, dann versuch es wenigstens für Betsy!

Ich hatte eine schreckliche Angst um Shimar und Mikel bekommen. Dieser erlaubte ich jetzt, so weit in mir hochzukriechen, bis mir tatsächlich die Tränen über das Gesicht liefen. „Ich bringe Sie raus, Betsy.“, sagte Kissara. „Nein!“, schluchzte ich. „Bitte führen Sie mich zu Mikels Bett und vertrauen Sie mir! Ich habe einen Plan! Bitte vertrauen Sie mir!“ „Also gut.“, sagte Kissara und schlug mit mir die Richtung zu Mikels Bett ein. „Sein Ohr!“, sagte ich. „OK.“, sagte sie und ihre Hand schob meinen Kopf in die richtige Richtung. Dann flüsterte ich unter Tränen, die auch auf Mikels Gesicht fielen: „Danke für die schöne Zeit mit dir, Srinadar. Es war unglaublich. Aber jetzt muss ich dich wohl gehen lassen. Vergiss bitte nie, dass und wie sehr ich dich geliebt habe. Vergiss das bitte niemals, Shimar Sohn von Tanell und Suvar! Vergiss das bitte niemals!“ Erneut schüttelte mich ein Weinkrampf.

Auch Sytania hatte zwangsläufig mitbekommen, was ich Shimar durch Mikel gesagt hatte. Siehst du, Shimar!, sagte sie schadenfroh. Sogar deine Freundin gibt dich auf. Ihre Angst um dich ist echt. Das kann ich, als Mächtige, ja sehr gut fühlen. Sie weiß eben, wann man verloren hat. Es sieht nicht gut für dich aus, Shimar. Und wenn es schon so weit ist, dass sie nicht mehr wissen, wie sie dir helfen sollen, dann habe ich ja längst gesiegt und kann mich getrost zurückziehen. Ich habe ja alles erreicht, was ich erreichen wollte. Scott ist demoralisiert und du bist tot!

Sie lachte hämisch und zog sich zurück. Dabei hatte sie aber nicht bedacht, dass sie damit auch ihren Sturm mitnahm. Sofort nutzte Shimar das aus, indem er sich mit aller Kraft an der Silberschnur in seinen Körper hinüberzog.

Learosh wies auf den Monitor und winkte seine Vorgesetzte herbei. „Offenbar scheint sich die Molekularstruktur des Kristalls zu verändern.“, sagte die Ärztin. „Sie wird wieder zu humanoider DNS. Er verwandelt sich!“ „Nicht nur das.“, sagte Learosh. „Ich erkenne einen Herzschlag.“ „Bestätigt.“, sagte Loridana, nachdem sie einen Blick auf die Kurven geworfen hatte.

In diesem Moment tat Shimar einen tiefen Atemzug und öffnete die Augen. „Hey.“, sagte er. „Kann mir mal jemand sagen, wo ich hier eigentlich bin?!“ „Du bist auf der Granger, Srinadar!“, rief ich erfreut aus, die ich mich auf wundersame Weise plötzlich wieder beruhigt hatte. Mein Plan, Sytania einen schnellen und bequemen Sieg vorzugaukeln, wie sie ihn mochte, war aufgegangen. Meine Angst war zwar echt gewesen, aber ich hatte auch gewusst, wie selbstgefällig und bequem sie war und vor allem wusste ich genau, wie sehr sie nach Macht und nach schnellen siegen gierte. Dass Gier Hirn fraß und das vor allem bei ihr, war eine Tatsache, die jedem Sternenflottenoffizier bekannt war. Dann ließ sie schon mal alle Vorsicht fahren und wurde nachlässig. Genauer nachzusehen war ihr da eher lästig, weil es Arbeit bedeutete. Aber selbst dann, wenn sie nachgesehen hätte, hätte sie ja echte Angst gesehen.

„Was bei allen Göttern war das, Betsy!“, fragte Kissara, die wohl über mein Verhalten etwas verwirrt war. „Na ja.“, sagte ich. „Ich habe Sytania nur einen schnellen Sieg vorgespielt, wie sie ihn liebt. Was kann ich dafür, wenn sie auf mich reinfällt und nicht hinguckt? Selber schuld!“ „Oh, das ist mein cleveres Kleines!“, rief Shimar erfreut, warf mir einen ebensolchen Blick zu, wie Kissara mir beschrieb und schlief dann ein.

„Der Agent und Shimar sollten eine Weile schlafen.“, sagte Loridana. „So eine Wiedergeburt ist sicher anstrengend für alle Beteiligten. Ich werde sie zur Beobachtung auf der Krankenstation behalten, bis wir in der tindaranischen Dimension sind. Bitte gehen Sie jetzt, Commander und Sie bitte auch, Allrounder. Dann können sich Learosh und ich in Ruhe um die Patienten kümmern.“ „In Ordnung.“, sagte Kissara und nahm mich bei der Hand: „Kommen Sie!“ Ich folgte bereitwillig.

Auf Zirells Basis hatte Maron nach einer recht langweiligen Nachtschicht mit seiner Müdigkeit zu kämpfen. Der Demetaner sehnte regelrecht den Moment herbei, an dem Zirell durch die Tür kommen und ihn ablösen würde.

Statt Zirell meldete sich aber bald IDUSA bei ihm über den Neurokoppler: „Agent, die Sensoren der Station sehen eine Energiewolke in Gestalt eines Einhorns, die sich auf uns zu bewegt. Ihr Neuralmuster kann ich als das von Valora identifizieren.“

Mit einem Schlag war der Erste Offizier hellwach. „Was hast du gerade gesagt, IDUSA?!“, fragte er alarmiert. „Valora?! Das kann nichts Gutes bedeuten. Sicher will sie ihrer Stieftochter jetzt endlich den Garaus machen! Schilde hoch und wirf die Rosannium-Generatoren an, IDUSA! Aber etwas plötzlich!“ „Ich mache Sie darauf aufmerksam.“, sagte der Rechner. „Dass sich Nidell gerade bei dem kleinen Einhorn befindet und es behandelt. Wenn ich jetzt die Atmosphäre dort im Frachtraum mit Rosannium versetze, gefährde ich beide! Das werden Sie doch sicher nicht wollen, Agent. Oder irre ich mich da etwa?“

Maron dachte nach. Dann sagte er: „Nein, da irrst du dich selbstverständlich nicht, IDUSA. Ich danke dir. Oh, ich und meine Fehlentscheidungen. In diesem Fall bin ich froh, dass du kein Sternenflottenrechner bist. Der hätte meinen Befehl sicher sofort ausgeführt, weil er nicht auf selbstständiges Handeln programmiert ist. Aber was tut Valora? Zeig es mir!“

Vor dem geistigen Auge des Demetaners erschien das Innere des umgemünzten Frachtraums. Hier sah er jetzt das kleine Einhorn und Nidell, die auf einem Strohballen saß und sich dort offensichtlich gerade nach erfolgreicher Behandlung ausruhte. Aber er sah auch Valora, die als Energiefeld die Hülle der Station durchdrungen hatte und nun in fester Gestalt neben der kleinen Stute stand. Er traute dem Braten nur nicht so wirklich. Immer noch ging er davon aus, dass Valora der Kleinen etwas Böses wollen könnte.

Entschlossen stand er auf, legte den Neurokoppler ab und überprüfte seine Waffe. Dann replizierte er mit Hilfe seines Sicherheitscodes eine Fokussionslinse mit einem Rosannium-Kristall und steckte sie auf. „Was tun Sie da, Agent?!“, ermahnte ihn IDUSA über den Bordlautsprecher. „Ich werde die Kleine retten, IDUSA!“, sagte Maron entschlossen. „Dazu werde ich tun, was immer auch notwendig ist!

Damit verließ er die Kommandozentrale und stieg in den nächsten Turbolift. Dann befahl er: „Frachtdeck, IDUSA! Notfallgeschwindigkeit!“ Der Rechner aber führte seinen Befehl nur teilweise aus. Ihre Daten hatten ihr gesagt, dass Valora keinesfalls mehr eine Gefahr für das kleine Einhorn darstellte, da ihre Verbindung zu Sytania eindeutig getrennt war. Dies hätte sie ihm noch gern gesagt, aber dazu war es ja nicht mehr gekommen. Jetzt musste sie nur verhindern, dass Maron eine Schuld auf sich lud, mit der wohl keiner, am allerwenigsten er selbst, später hätte leben können.

Endlich war Maron angekommen. Die Fahrt war ihm sehr lang vorgekommen, jedenfalls wenn er davon ausging, dass der Lift mit der höchsten möglichen Geschwindigkeit unterwegs war, wie er befohlen hatte. Verärgert drehte er sich vor dem Aussteigen noch einmal zum Computermikrofon: „IDUSA, ich hatte Notfallgeschwindigkeit befohlen!“ „Das hatten Sie.“, antwortete der Rechner. „Aber dafür gibt es keinen Grund. Meine Daten sagen eindeutig, dass weder die Kleine, noch Nidell, in Gefahr sind! Überlegen Sie, was Sie tun, Agent! Bitte überlegen Sie! Tun Sie bitte nichts, was Sie am Ende bereuen!“

Maron hatte ihr nicht zugehört. Mit festem Blick war er dem Lift entstiegen und hatte seine Waffe an die rechte Schulter gelegt. Dann hatte er seine Augen auf das Fadenkreuz im Display gerichtet. So zielend ging er jetzt auf Valora zu. Dabei rief er noch in Nidells Richtung: „Nidell, geh! Verlass den Raum! Es könnte für dich sonst gleich auch sehr gefährlich werden und ich habe nicht die Absicht, dir wehzutun! Aber bei dir, Valora, sieht das schon anders aus! Wenn du auch nur versuchen solltest, dem Fohlen ein Haar zu krümmen, dann machst du Bekanntschaft mit einer großen Ladung Rosannium! Also, an deiner Stelle würde ich machen, dass ich mich von hier verziehe! Ich meine es ernst!“

Nidell hatte sich Maron zugedreht. Sie hatte nicht vor, den Raum zu verlassen. Als Telepathin hatte sie sofort gespürt, dass Valora keine bösen Absichten verfolgte. Sie hatte aber auch gesehen, dass Maron sehr entschlossen war. Offensichtlich war es jetzt an ihr, die Situation zu entschärfen. „Hast du den Verstand verloren, Maron!“, schrie sie ihn an. „Denk doch mal nach! Die Kleine hat keine Angst vor Valora! Siehst du das denn nicht! Im Gegenteil! Schau! Die Beiden kuscheln sogar! Schau doch hin, Maron! Schau doch hin!“ Sie schrie sich fast die Lunge aus dem Leib. Aber dennoch hatte sie das Gefühl, dass keines ihrer Worte zu ihm durchdringen wollte.

Marons Blick war immer noch fest auf das Display des Phasers gerichtet. Für sein Umfeld hatte der Demetaner keine Augen. „Ich zähle bis drei, Valora!“, wandte er sich bedrohlich an das erwachsene Einhorn. „Wenn du bis dahin nicht verschwunden bist, werde ich feuern! Eins, zwei, drei!“

„Nein, Maron! Um Himmels Willen!“ Mit ihrem letzten Ausruf hatte Nidell ein paar Schritte in Marons Richtung getan. Dabei war sie direkt in den Strahl des feuernden Phasers gelaufen. Jedenfalls glaubte das Maron, der nur noch etwas Kleines Schlankes vor sich ins Stroh fallen sah.

Sofort war er ernüchtert. Er warf den Phaser mit aller Kraft so stark in Richtung der Wand, dass das Gehäuse sicher geborsten wäre, wenn die Waffe nicht einen Zentimeter vor der Wand im Stroh gelandet wäre. „Weg mit der Waffe!“, schrie er. „Was will ich damit?!“ Dann beugte er sich zu Nidells Körper herunter, den er tot glaubte. Alle Anzeichen sprachen dafür. Das konnte er auch ohne Erfasser sehen. Nidells Körper hatte sogar angefangen zu kristallisieren. „Was habe ich getan?“, fragte er erschüttert. „Mutter Schicksal, was habe ich getan?!“

Eine weiche große Nase berührte ihn im Gesicht. Dann hörte er Valoras Stimme in seinem Geist: Hab keine Furcht, Maron von Demeta. Ich will dir nichts Böses. Ich bin nur hier, um mein Stiefkind abzuholen, das bei uns in der Herde leben wird. Im Gedenken an Betsy, die mich nie aufgegeben hat und immer meinen guten Kern sah, auch als ich eine verblendete und kurzsichtige Närrin war und mich Sytania hingab, werde ich die Kleine Benevidea nennen. „Ich verstehe.“, gab Maron traurig verbal zurück. „Wegen ihrer Kräfte kann sie nicht mehr unter Sterblichen bleiben. Und ich denke, der Name passt auch zu ihr. Benevidea! Die Gutes sieht! Das bringt mich auch gleich zu Nidell. Sie hat das von Anfang an gesehen und IDUSA auch. Hätte ich nur auf die Beiden gehört! Jetzt darf ich mich vor dem tindaranischen Kriegsgericht wegen Tötung einer Kameradin verantworten!“

„Das musst du nicht, Maron.“ Eine leise helle Stimme hatte sich tröstend an ihn gewandt. Dann stand Nidell quicklebendig vor ihm. „Aber wie …?“, staunte er. „Ganz einfach.“, sagte die medizinische Assistentin. „Du hast zwar abgedrückt, aber dein Phaser hat nicht gefeuert. Ich denke, IDUSA hat sich über die drahtlose Diagnoseverbindung in dessen System gehackt und die Feuertaste gesperrt. Dann musste ich dir nur noch das passende Theater liefern.“ „Aber dein kristalliner Zustand.“, sagte Maron verwundert.

Weißt du denn nicht, dass die Tindaraner das auch zu Lebzeiten steuern können?, mischte sich Valora ein. Nidell und ich haben alles telepathisch abgesprochen. Euer Rechner hat uns auch sehr gut zugearbeitet. „Na dann hat Mann ja wohl keine Chance, wenn er von drei so charmanten Ladies auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird, IDUSA eingeschlossen.“, lächelte Maron und ließ sich erleichtert ins Stroh fallen. „Das stimmt wohl.“, lächelte Nidell und kauerte sich neben ihn. Dann sahen beide zu, wie sich Valora und Benevidea in zwei Energiewolken verwandelten und die Station verließen.

Maron sammelte seine Waffe wieder ein. Dann fragte er: „Kannst du arbeiten, Nidell?“ „Oh sicher.“, erklärte die medizinische Assistentin. „Die Frage solltest du dir aber besser selbst stellen. Sollen Ishan und ich dich krankschreiben?“ „Nicht nötig.“, sagte Maron und drehte sich ebenfalls zum Gehen. „Es geht schon. Ich werde Zirell nur eine Menge gestehen müssen.“ „Na, dann ist ja gut.“, sagte Nidell und beide verließen den Frachtraum, um wieder an ihre Arbeit zu gehen.

In der Kommandozentrale war Maron bereits von Zirell erwartet worden, die sich inzwischen die eingegangenen Mails von Time und Kissara durchgelesen hatte. Sie hatte ihnen auch schon geantwortet und die Granger auf ihrer Station herzlich willkommen geheißen. Die Electronica würde ja nicht kommen, denn sie war zu einer anderen Mission abberufen worden. Aber auch Iranach durfte gern kommen und den geflickten Webstuhl des Schicksals mitbringen. Sie würde allen ja sagen können, was Logar Time gesagt hatte. Aber auch IDUSAs Nachricht war von der Kommandantin zur Kenntnis genommen worden, in der ihr der Rechner den Vorfall im Frachtraum gemeldet hatte. Jeden Vorfall, in dem das Abfeuern einer Waffe und war es auch nur ein Versuch, eine Rolle spielte, musste der Computer eigentlich zuerst Maron melden. Das verlangten die Protokolle, da so etwas ja auch Einfluss auf die Sicherheit der Station haben konnte. Wurde zum Beispiel deren Hülle dabei beschädigt, konnte sie Atmosphäre in den Weltraum verlieren und das war sehr lebensfeindlich für alle. Von den Toten und Verletzten durch eine Schießerei ganz zu schweigen. Da Maron aber involviert war, war Zirell die nächste Adresse.

Der Erste Offizier setzte sich wieder auf seinen Platz und sah sie abwartend an. „Na, da ist ja ganz schön was passiert, während ich in süßen Träumen lag, Maron.“, sagte Zirell ruhig, was ihn sehr überraschte, denn er hatte eigentlich mit einem handfesten Donnerwetter ihrerseits gerechnet. „Das kann schon sein, Zirell.“, sagte Maron diplomatisch. „Aber auf was genau beziehst du dich? Du hast da eine Menge Nachrichten auf deinem Schreibtisch.“ „In gewisser Weise beziehe ich mich auf all diese Nachrichten, Maron.“, sagte die Tindaranerin. „Wir sollten in den großen Konferenzraum gehen. Ich denke, da haben wir genug Platz für alle. „In Ordnung.“, sagte Maron.

Der Blick seines mentalen Auges war über den virtuellen Schirm gewandert, den IDUSA beiden gezeigt hatte. Dann hatte Maron auf einmal zu grinsen begonnen. „Was steht hier?“, fragte er etwas fassungslos. „Die Electronica hat eine Raumbrüchige Namens Meroola Sylenne aufgefischt und die behauptet auch noch, in gewisser Weise für die neueste Niederlage Sytanias verantwortlich zu sein?“ „Das stimmt inhaltlich so, Maron.“, sagte Zirell. „Und ich wette mit dir, dass es wahr ist. Wenn es sich um unsere Meroola handelt, dann gehe ich jede Wette mit dir ein, dass es genauso stimmt!“ „Das werde ich ja, wenn alles gut geht, auch irgendwann selbst überprüfen können.“, sagte Maron. „Hier steht schließlich auch, dass sie Asyl auf Celsius bekommen hat. Ich werde sie dort einmal besuchen.“ „Das musst du vielleicht gar nicht.“, sagte Zirell. „In der Anlage der Mail von der Electronica befindet sich der Vernehmungsbericht. Dort wird es sicher auch eine erkennungsdienstliche Akte mit einem Bild geben. Aber die kriegt nur ein Agent auf.“ „Schon gut, Zirell.“, sagte Maron und befahl IDUSA, die Akte zu öffnen. Über das, was er dort sah, traf ihn fast der Schlag. Das Bild auf dem Deckblatt zeigte genau die Person, von der sie beide gerade geredet hatten. „Das ist ohne Zweifel Meroola Sylenne.“, sagte Maron. „Allerdings hieß sie Meroola Ed Joran, als wir sie das letzte Mal sahen. Sie hatte Jorans Doppelgänger aus einer Parallelrealität geheiratet. Erinnerst du dich?“ Zirell nickte nur. „Aber vielleicht ist ihm etwas passiert.“, sagte sie. „Dass sie einfach nur geschieden sind, glaube ich nicht. Die Gegend, in der sie gelebt haben, gilt nicht als sehr sicher. Aber Meroola und ihr Joran hatten uns damals versichert, sie kämen schon klar.“ „Vor Schicksalsschlägen ist niemand gefeit, Zirell.“, sagte Maron. „Aber wir sollten jetzt erst einmal gehen. Obwohl ich auf diese Vernehmung wirklich sehr neugierig bin. Ich bin wirklich gespannt, wie Meroola es angestellt haben will, Sytania derart an den Karren zu fahren.“ „Nach der Konferenz wirst du dafür noch genug Gelegenheit haben.“, tröstete Zirell. „Ich nehme ja an, von uns beiden wird keiner zum Außenteam gehören. Die Nachricht von der Granger besagt eindeutig, dass Shimar große Fortschritte bei der Genesung macht und Kissaras Ärztin ihn schon wieder für dienstfähig hält. Jenna wird sein Schiff überprüfen. Er wird sich sehr freuen, dass sie nicht verschrottet worden ist.“ „Das denke ich auch.“, sagte Maron. „Zumal das ja fast die Konsequenz war, als er tot war. Aber ich denke auch, er wird sich noch mehr freuen, wenn er erfährt, wem er das zu verdanken hat.“ „Oh ja!“, sagte Zirell mit Überzeugung. „Ich glaube, dass wird ihn aus den Socken hauen! Komm jetzt, Maron. Wir wollen unsere Gäste schließlich nicht warten lassen und sollten noch einiges vorbereiten.“ „OK.“, sagte der Erste Offizier und stand gemeinsam mit seiner Vorgesetzten auf, um mit ihr den Raum zu verlassen. IDUSA erhielt den Auftrag, ihnen über die Handsprechgeräte Bescheid zu geben, sobald die Granger gedockt hätte.

Kissara selbst hatte temporär meinen Posten am Steuerpult übernommen, da sie fand, dass dies eine Ausnahmesituation war. So hatte ich Zeit, mich mit Shimar auszutauschen. Wir hatten einen langen Spaziergang über das gesamte Schiff gemacht und ich hatte ihm dabei auch von meiner Mission berichtet. Darauf war er plötzlich stehengeblieben und hatte mich mitten auf dem Flur geküsst und fest in den Arm genommen. Es war uns beiden völlig egal gewesen, ob uns jemand zusah. „Du hast keine Ahnung, wie mutig das von dir war, Kleines!“, rief er aus. „Ich hätte dir nicht zugetraut, dass du jemand anders in deinen Geist lassen kannst. Zumal du ja nicht sicher warst, was Valora unter diesen Umständen mit dir gemacht hätte. Du musst aber auch Sytania sehr überrascht haben. Anders kann ich mir nicht erklären, warum sie nicht versucht hat, Valora wieder für sich einzunehmen.“ „Das denke ich auch, Srinadar.“, sagte ich und küsste dieses Mal ihn.

Leider machte die Sprechanlage im Flur unserem romantischen Spaziergang ein abruptes Ende. Am anderen Ende der Verbindung war Kissara, die uns mitteilte, dass wir an Zirells Basis gedockt hatten und uns alle im Transporterraum treffen würden, um dann gemeinsam auf die Station zu beamen. „Also gut.“, sagte Shimar. „Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich darauf freue, meine Kameraden wiederzusehen und wenn das stimmt, was ich nur noch als verrückten Traum in Erinnerung habe, dann muss ich mich noch bei einer Frau bedanken, der ich das, was sie getan hat, überhaupt nicht zugetraut hatte. Aber du hast mir ja bestätigt, dass alles, was ich im Reich der Toten im Fernseher deines Großvaters gesehen habe, der Realität hier entsprach. Shannon! Ausgerechnet Shannon! Das hätte wohl niemand für möglich gehalten.“ „Tja.“, grinste ich. „Sie ist halt immer wieder für eine Überraschung gut. Aber das mit deinem Schiff ist ja nicht das Einzige. Sie hat ja auch das Vertrauen deiner Regierung in die Vendar wiederhergestellt. Also, wenn du es auch nicht zurück ins Leben geschafft hättest, dann hätte es trotzdem jemanden gegeben, der deine IDUSA hätte fliegen können. Aber so oder so, wir haben es Shannon zu verdanken. Das stimmt schon. Wenn sie auch ein wenig Hilfe von meinem Mann und Tolea hatte, die damit ihre Schuld beglichen hat.“ „Eine Schuld, die sie in meinen Augen nie hatte.“, sagte Shimar. „Ich habe aus freien Stücken getan, was ich damals getan habe.“ „Das weißt du, das weiß ich!“, rappte ich ihm etwas vor. „Nur Tolea, die glaubt es nich’.“ Shimar grinste. „Gehen wir.“, lachte er. Bevor ich hier noch vor Lachen platze! Du bist so süß, wenn du witzig bist.“ „Oh, ich setze dich gern wieder zusammen.“, frotzelte ich. „Hey gern!“, sagte Shimar und legte einen fast erotischen Touch in seine Stimme. „Aber dazu sollten wir uns mehr Zeit nehmen.“ Dann räusperte er sich und schien angestrengt zu versuchen, jeden weiteren Gedanken daran aus seinem Kopf zu vertreiben. Dabei flüsterte er sich selbst noch auf Tindaranisch zu: „Konzentrier dich, Junge! Das ist ein Befehl!“ Darüber musste wiederum ich, die alles genau verstanden hatte, leise lachen. „OK.“, lächelte ich dann. „Lass uns lieber gehen, bevor das hier noch ausartet. Schließlich sind wir beide im Dienst.“ „Sehe ich genauso.“, sagte Shimar, nachdem er sich erneut geräuspert hatte. Dann nahm er mich bei der Hand: „Na komm!“

Kapitel 96: Der Schlachtplan

von Visitor

 

Bald waren wir auch im Konferenzraum angekommen, wo uns Zirell und die anderen bereits erwarteten. Nun begannen wir damit, unser Wissen auszutauschen. Maron hatte dafür gesorgt, dass ein schriftlicher Bericht von Meroolas Vernehmung vorlag und er uns allen zugänglich war. Auch ich bekam Gelegenheit, über meine Mission bei den Genesianern zu reden.

„Die Frage ist.“, sagte Zirell schließlich. „Was wir alle jetzt aus diesen Informationen machen. Iranach, du hast angekündigt, dass du noch Informationen von Logar aus seinem Exil auf Times Basis für uns hast.“ „Das ist korrekt, Zirell El Tindara.“, sagte die Vendar und trat vor, um sich direkt neben die tindaranische Kommandantin zu stellen. Dann hob sie an: „Mein Gebieter hat eine Information für euch alle, die ich euch bitte, nicht zu hinterfragen, so sonderbar sie euch auch erscheinen mag. Wir haben eine Hälfte des Webstuhls des Schicksals mitgebracht. Sie wurde durch eine von Techniker Cenda angefertigte Hälfte ergänzt. Es wird an Betsy El Taria sein, zu Akantus zu gehen und dort Spinnfaden zu besorgen, aus dem sie ein Tuch machen wird. Dieses Tuch wird das Überleben aller guten Wesen sichern. Vorher allerdings muss sie den Dolch des Vertrauens finden. Es gibt mehrere Kopien und ich weiß, wo das Original und die Kopien zu finden sind. Aber nur sie darf die Prüfung ablegen. Nur sie allein. Mein Gebieter sagt, das sei die Bedingung, damit alles wieder gut werden kann. Er hat in die Zukunft gesehen.“

Shannon meldete sich und sah skeptisch in die Runde. „Sekunde, Iranach!“, sagte sie. „Ein von Menschenhand geflickter Webstuhl des Schicksals? Wie soll der denn helfen? Ich weiß, dass es Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, die für mich Kleingeist nich’ zu kapieren sind. Aber das müsste dir doch auch einleuchten! Da is’ doch nur die halbe Energie der Quellenwesen drin. Das kann doch nich’ funktionieren!“ „So hat es mir Logar El Imperia aufgetragen, Shannon O’Riley.“, sagte die Vendar. „Was is’ denn mit dir los?!“, fragte Shannon verärgert. „Kaum sagt ein Mächtiger dir was, läufst du hinter ihm her wie ein Schaf hinter seinem Hirten! Hast du dein eigenes Gehirn etwa total abgeschaltet?!“

„O’Riley, das ging zu weit!“, ermahnte Maron sie streng. „Hinsetzen und den Mund halten! Das ist ein Befehl, Technical Assistant!“ Die blonde Irin gab nur ein mürrisches: „Aye, Sir.“, zurück und setzte sich. Sie wollte nicht auch noch wegen Insubordination abgeurteilt werden, obwohl sie eigentlich noch viel Mehr hätte sagen wollen.

Ich fühlte mich irgendwie schuldig an der Sache. Schließlich ging es um eine Mission, die ich bestreiten sollte. Aber ich kannte die Zustände im Dunklen Imperium ja auch und wusste, dass es auch einige Dinge gab, die auf den zweiten Blick anders waren, als sie auf den ersten Blick schienen und meistens hatte so etwas auch mit irgendwelchen Rätseln zu tun, die man lösen musste. Vielleicht würde es ja trotzdem klappen können. Ich vertraute Logar und Iranach und das wollte ich jetzt auch zum Ausdruck bringen.

Ich stieß Shimar, der sich mit mir in eine Sitzreihe gesetzt hatte, vorsichtig an: „Bitte bring mich nach vorn.“ „OK.“, sagte mein Freund ebenfalls sehr leise und trat mit mir den Weg zu Zirell und Iranach in die Raummitte an. Dort stellte er mich ab und sah zu, wie ich mich in Richtung der Zuschauer drehte und sagte: „Im Grunde ist es doch ganz einfach. Ich bin die, welche die Mission bestreiten soll und Commander Kissara ist meine Vorgesetzte. Im Grunde hat sie zu entscheiden, ob sie mich auf diese Mission gehen lässt, oder ob sie das Ganze für ein sinnloses Unterfangen hält! Aber ich denke, Wir wissen auch noch nicht alles. Du wurdest unterbrochen, Iranach. Gibt es vielleicht noch etwas, das ich über den Dolch wissen muss?“ „In der Tat, Betsy El Taria.“, sagte die Vendar. „In seinem Griff ist eine vendarische Inschrift eingraviert. Ihre Übersetzung lautet: Wenn du mir im Vertrauen wirst zugetan sein, dann finde ich für dich meinen Weg allein!“

Ihre Worte hatten mich kurz überlegen lassen. Dann sagte ich: „Unter Umständen könnte das bedeuten, dass ich die Einzige bin, die ihn unter den Kopien herausfinden kann. Ich kann eine Zielscheibe oder dergleichen nicht sehen und wenn man mir meinen speziell programmierten Erfasser auch wegnimmt, dann habe ich keine Möglichkeit, genau bestimmte Koordinaten festzustellen. Gut, ich hätte meine Ohren und aus Beschreibungen eine ungefähre Richtung, aber wenn der Dolch seinen Weg allein ins Ziel findet, wenn man ihm vertraut, dann bin ich die ideale Besetzung. Ich muss vertrauen.“

Maron kam zu uns. „Ich stimme Allrounder Scott zu.“, sagte Zirells Erster Offizier. „Wir anderen würden wahrscheinlich viel zu sehr den eigenen Augen und den anderen Sinnen vertrauen, und versuchen, den Dolch in die Mitte der Zielscheibe zu werfen. Da viele von uns eine recht gute Hand-Augen-Koordination haben dürften, könnte das bedeuten, dass am Ende vielleicht mehrere Dolche der Richtige sein könnten und dann wären wir genauso schlau wie jetzt auch. Die andere Sache mit dem Webstuhl sei dahingestellt! Oder, Moment, Iranach, was geschah mit der zweiten Hälfte?“ „Sie ist im Besitz von Sytania und ihren Leuten, Maron El Demeta.“, sagte die Vendar. „Ah ja.“, sagte der Agent. „Das bedeutet, Sytania ist in einer ähnlichen Situation wie wir, was das angeht. McKnight, kommen Sie her!“

Jetzt betrat auch Jenna unseren Kreis. „Sie sagten einmal, es könne keinen Minuspol ohne einen Pluspol geben und umgekehrt.“ „Das ist korrekt, Sir.“, antwortete die Technikerin. „Und ich denke, ich weiß auch, worauf Sie hinauswollen. Aber Sytania wird nicht bereit sein, sich einen guten Gegenpol zu schaffen, geschweige denn, unser Tuch mit ihrem zu verbinden, vorausgesetzt, sie käme irgendwie an Fäden. Aber ich denke, dass es da durchaus Leute in ihrem Umkreis gibt, die das durchaus anders sehen. Ich schließe sogar eine zweite vendarische Rebellion unter Telzans Führung nicht aus.“

„Telshanach.“, meldete sich Joran. „Telzan ist Sytanias treuester Diener. Ich glaube nicht, dass …“ „Na da wäre ich mir nicht so sicher, Joran.“, fiel ihm Jenna ins Wort. „Der hängt nämlich auch an seinem Leben und wenn er merkt, dass seiner Herrin ihre Macht auch nicht mehr gehorcht, weil die Dimensionen ihre geistigen Befehle einfach nicht mehr verstehen, laienhaft ausgedrückt, dann wird er schon merken, was er davon hat und wenn er dann auch nur den Hauch einer Chance in unserer Mission sieht, dann wird er schon das Richtige tun. Vertrau mir. Ich kenne Telzan ja auch. Wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann ist auch er sich selbst der Nächste.“

Shimar hatte Jennas Theorie gespannt gelauscht. Genau das Gleiche hat Rudi auch gesagt., dachte er bei sich. Und wenn Jenn genau die gleiche Theorie aufstellt, dann hatte er vielleicht sogar Recht!

Kissara war zu uns getreten. „Ich vertraue Logar und auch dir, Iranach.“, sagte sie. „Und auch die Ausführungen von Techniker McKnight klingen plausibel für mich. Deshalb werde ich Ihnen, Allrounder Scott, auch diese Mission zubilligen. Iranach, du wirst sie begleiten wollen, denke ich. Du kennst ja die Gegebenheiten. Wir fliegen mit der Granger ins Dunkle Imperium und operieren von dort aus. Zirell, wenn du mir einen Aufklärer zur Unterstützung mitgeben könntest, wäre ich dir sehr dankbar. Die Situation ist knifflig und man weiß bei Sytanias Vendar ja nie.“ „Sicher.“, sagte Zirell und deutete auf Shimar und Jenna: „Jenna, Überprüfe Shimars Schiff! Shimar, wenn deine Gesundheit es erlaubt, wirst du die Granger begleiten!“ „OK, Zirell!“, sagten Jenna und Shimar und waren aus dem Raum.

„Was ist mit mir?“, fragte Scotty aus dem Hintergrund. „Es tut mir leid, Mr. Scott.“, sagte Maron diplomatisch. „Aber seit Sie für eine zivile Firma auf Celsius arbeiten, gelten Sie als Zivilist und dürfen Ihrer Frau leider nicht zur Seite stehen. So sind leider die Vorschriften.“

Kommentarlos setzte mein Mann sich wieder hin. Er hatte es nicht gezeigt, aber in ihm war bereits ein Plan gereift, wie er diese Vorschrift umgehen würde. Ich geb‘ denen gleich n Zivilisten!, dachte er. Aber n Anständigen!

„Dann dürfte jetzt ja alles geklärt sein.“, sagte Zirell. Alle nickten. „Also dann.“, sagte Kissara und winkte Mr. Jannings, der sich gemeinsam mit seiner Assistentin aufmachte, die Granger zu überprüfen. Wenn das geschehen wäre, würden wir sofort aufbrechen.

Auch Shimar war zu IDUSA gegangen. Dort hatte er Shannon getroffen, die bereits gemeinsam mit Jenna dabei war das Schiff zu warten. „Ich kann gar nicht glauben, dass sie wirklich noch existiert!“, sagte er und nahm die technische Assistentin fest in die Arme. „Gerade dir hätte ich das am wenigsten zugetraut, Shannon. Ich hätte nicht gedacht, dass du auf so einen Trick kommen würdest, wo du dich doch selbst immer als recht dumm darstellst. Aber das bist du nicht. Lass dir das von einem Telepathen gesagt sein!“ „Geschenkt.“, sagte die blonde Irin. „Aber sag mir bitte nich’, du warst gerade in meinem Kopf!“ „Keine Panik.“, beruhigte Shimar sie. „Das würde ich nie tun, ohne dich vorher zu warnen. Das weißt du doch. Aber jetzt muss ich machen, dass ich wegkomme! Sonst kriege ich noch einen gewaltigen Anpfiff von Commander Kissara, weil ich zu sehr rumgetrödelt habe.“ „Schon OK.“, sagte O’Riley. Dann sah sie zu, wie Shimar sein Schiff bestieg.

Hier fühlte sich alles so wunderbar vertraut an! Aber nicht nur Shimar schien froh zu sein, dass sie wieder zusammen waren. Als er seinen Neurokoppler in den Port gesteckt hatte, empfing ihn ein überglücklicher Avatar, der es sich nicht nehmen ließ, ihm das Gefühl einer festen Umarmung zu geben. „Shimar!“, rief sie aus. „Ich hätte nie gedacht, dass ich Sie je wiedersehen würde. Nachdem unser Commander mir sagte, Sie seien tot, wäre ich beinahe verschrottet worden, wenn Ms. O‘Riley nicht gewesen wäre. Aber ich hätte nie gedacht, dass es unseren Freunden gelingen könnte, Sie aus dem Reich der Toten zurückzuholen!“ „Eine lange Geschichte.“, sagte Shimar. „Aber die werde ich dir auf dem Flug erzählen. Zeig mir die Steuerkonsole und lass uns starten! Ich will die Granger nicht länger als nötig auf uns warten lassen.“

IDUSAs Avatar nickte und zeigte ihm auch die Konsole, den Befehl zum Start führte sie aber nicht aus. „Na komm!“, sagte Shimar. „Was ist denn?“ „Ich kann nicht.“, sagte das Schiff. „Da ist jemand an der Luke.“ „Wer ist es?“, fragte der junge Tindaraner. „Es ist Mr. Scott.“, sagte IDUSA. „Öffne deine Luke einen Spalt!“, befahl Shimar. Dann stand er auf und drehte sich in Richtung der gerade genannten Luke, um Scotty entgegenzuschmettern: „Was willst du hier?! Hast du nicht mitbekommen, was dir Maron gesagt hat?!“ „Natürlich habe ich das, Junge!“, sagte Scotty. „Aber dein Agent übersieht total, dass ich mal für den selben Verein gearbeitet habe wie meine Frau, beziehungsweise deine Freundin, auch wenn das schon knapp 1000 Jahre her ist. Aber wir sollten nich’ päpstlicher sein als der Papst, wenn du mich fragst! Betsy könnte uns beide brauchen, Junge! Uns beide, hörst du?! Also stell dich nich’ so an und nimm den alten Scotty gefälligst mit!“ „Das darf ich nicht!“, sagte Shimar. „Maron wird seine Gründe haben, warum du nicht mit darfst und Zirell hat ihm ja auch nicht widersprochen.“ „Die hat das glaube ich gar nich’ mitgekriegt!“, sagte Scotty. „Sonst hätte sie bestimmt was gesagt! Ich weiß, dass IDUSA nich’ starten kann, solange noch jemand in der Schleuse steht! Deshalb werde ich so lange hier stehen bleiben, bis du dich entschließt, mich endlich einsteigen zu lassen!“

Das Schiff zeigte Shimar eine laufende Sanduhr. Damit wollte sie ihm wohl andeuten, dass die Zeit drängte. „Beam Scotty irgendwo hin auf dem Freizeitdeck, IDUSA!“, befahl Shimar seinem Schiff. „Er ist zu nah.“, entgegnete sie. „Ich habe den Eindämmungsstrahl meines Transporters bereits soweit eingeengt, wie es mir möglich war. Aber so dicht an der Luke kann ich nicht beamen. Mr. Scott steht sozusagen im toten Winkel der Sensoren.“ „Verdammt!“ zischte Shimar. „Dann müssen wir das wohl anders machen!“

Er begann damit, sich auf das Bild von Scotty zu konzentrieren, wie dieser langsam in Richtung Freizeitdeck schwebte. Allerdings fühlte es sich für ihn so an, als würde er ins Nichts fassen. Seine mentale Energie schien einfach durch Scotty hindurchzugehen. IDUSA, die dies ja zwangsläufig mitbekam, da Shimar ja den Neurokoppler trug, hatte sofort begonnen, Scotty zu untersuchen. Bald hatte sie den Grund dafür gefunden.

„Bitte verschwenden Sie nicht länger Ihre Energie, Shimar!“, bat sie. „Es scheint mir, als hätte Mr. Scott sich das Gift der weiblichen Schlangenmenschen aus dem Dunklen Imperium gespritzt. Sie wissen, das Gift der Männer ist einfach nur tödlich. Aber das der Frauen verändert die Zellen so, das mentale Energie nicht haften kann. Bitte verausgaben Sie sich nicht länger.“

Shimar ließ von seinem angestrengten Vorhaben ab. Dann raunte er Scotty zu: „Steig ein, bevor ich es mir noch wieder überlege.“

Mein Mann betrat lächelnd das Cockpit und IDUSA schloss die Tür hinter ihm. Dann starteten sie doch noch. „Was hättest du denn tun wollen?“, erkundigte sich Scotty. „Dein Schiff konnte nich’ beamen und du konntest mich auch nich’ da wegbekommen. In der Enge wolltest du bestimmt auch keinen Nahkampf riskieren. „Ich hätte IDUSA immer noch befehlen können, Maron Bescheid zu geben. Der hätte dich dann festnehmen können.“, sagte Shimar. „Aber das wolltest du nich’.“, sagte Scotty. „Das sehe ich dir doch an deiner Nasenspitze an.“ „Erwischt.“, sagte Shimar. „Ich gestehe im vollen Umfang. Aber jetzt, IDUSA, musst du Scottys Lebenszeichen verschleiern. Lass dir was einfallen!“ „Keine Sorge.“, sagte das Schiff. „Ich bin ein Aufklärer des tindaranischen Militärs. Auf getarnte Operationen bin ich programmiert. Oh, Shimar, wir werden gerufen. Es ist Zirell.“ „Duck dich!“, rief Shimar Scotty zu, bevor er seinem Schiff befahl: „Gib sie her, IDUSA!“

Das Bild des Avatars vor seinem geistigen Auge wurde durch das von Zirell ersetzt. „Bist du allein?!“, fragte die Kommandantin. „Ja, das bin ich.“, log Shimar. „Merkwürdig.“, sagte Zirell. „Mir war gerade, als hätte ich einen weiteren Haarschopf gesehen, der merkwürdig abgetaucht ist.“ „Das wird eine Sensorenspiegelung gewesen sein.“, redete sich mein Freund heraus. „IDUSA hat darüber geklagt, dass einige ihrer internen Sensoren nicht richtig funktionieren und dieses Problem aufweisen. Es dürfte unsere Mission aber nicht gefährden. Jenna kann sich drum kümmern, wenn wir wieder zurück sind.“ „Ich finde seltsam, dass Jenna das vorher nicht aufgefallen ist.“, wunderte sich die Kommandantin. „Sie ist doch sonst immer so gründlich bei IDUSAs Wartung. Na, ich werde mal mit ihr reden.“ „Na ja.“, sagte Shimar. Auch unsere Göttin der Technik ist im Grunde nur ein Wesen aus Fleisch und Blut. Auch Jenn’ kann mal was übersehen. Aber diese Kleinigkeit ist doch nun wirklich nicht wichtig. Wir kommen schon klar! Aber warum wolltest du denn jetzt wirklich mit mir reden, Zirell?“ „Du benimmst dich ja, als wolltest du mich loswerden.“, stellte die ältere Tindaranerin fest. „Aber sei’s drum. Ich wollte dir nur sagen, dass du freie Hand hast, was deine Hilfe für die Granger angeht. Du musst nicht alles mit mir absprechen. Es können Situationen auftreten, in denen du gar nicht die Zeit dazu hast.“ „Ok, Zirell.“, sagte Shimar. „Danke!“ Dann beendete er die Verbindung.

Erleichtert bückte sich Shimar zu Scotty: „Komm raus!“ „Na endlich!“, sagte der terranische Ingenieur. „Ich kriegte da unten schon Rückenschmerzen.“ „Du hast’s nötig.“, sagte Shimar missmutig. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was ich für dich riskiert habe? Deinetwegen habe ich meinen Commander hintergangen! Von der armen Jenn’ ganz zu schweigen. Für so was kann ich vors Kriegsgericht kommen und für illoyales Verhalten als Verräter abgeurteilt werden. Hast du über so was schon mal nachgedacht?! Das müsstest du ja eigentlich, wenn du behauptest, kein Zivilist zu sein.“

Scotty schluckte. „Es tut mir leid, Junge.“, sagte er und Shimar hatte durchaus das Gefühl, dass er es ehrlich meinte. „Darüber habe ich aus Liebe zu unserer Betsy wohl nicht nachgedacht. Friede?“ „Friede!“, sagte Shimar mit Überzeugung. „Mehr als dich entschuldigen kannst du ja nicht und ich kann dich hier ja wohl schlecht irgendwo vor die Tür setzen. Also gut. Arbeiten wir zusammen.“

Per virtuellem Display hatte IDUSA Shimar bedeutet, Scotty den zweiten Neurokoppler zu geben und ihn anzuschließen. Dann lud sie seine Reaktionstabelle und sagte zu beiden: „Ich hoffe aber, Gentlemen, dass Sie sich bewusst sind, dass Allrounder Scott die Prüfung zur Erlangung des Dolches des Vertrauens allein bestreiten muss. Die Versuchung wird groß sein, aber Sie dürfen ihr nicht helfen, soweit ich das verstanden habe.“ „Das hast du richtig verstanden.“, sagte Shimar. „Deshalb möchten Scotty und ich auch, dass du alles tust, um uns davon abzuhalten, wenn wir es versuchen sollten. Alles, was dir möglich ist, verstanden?!“ „Definitiv.“, sagte IDUSA. „OK.“, sagte Shimar und Scotty fügte bei: „Dann sind wir uns ja einig.“

Wir waren bald alle im Dunklen Imperium angekommen und Iranach und ich hatten uns von Techniker Jannings in der Nähe der Koordinaten absetzen lassen, an denen der Wald lag, in welchem die drei Lateiner wohnten. Die Vendar hatte es vorgezogen, die drei nicht sofort mit unserer Materialisierung zu konfrontieren. Sie hatte wohl Angst, sie könnten uns nicht vertrauen, wenn sie das sehen würden. So legten wir einen kleinen Teil des Weges zu Fuß zurück. Dabei konnte mich Iranach auch noch über einige Fakten informieren, was die drei anging. „Sie sind sehr dumm, Betsy El Taria.“, sagte sie. „Meines Erachtens sind sie auf dem Entwicklungsstand kleiner Kinder. Ich denke aber, dass uns gerade dieser Umstand einen Vorteil bietet. Sytania wird niemals versuchen, in ihren Geistern nach dem Rechten zu sehen. In ihrer Überheblichkeit ekelt sie sich regelrecht vor so viel Dummheit.“ „Das kann ich mir gut vorstellen, Iranach.“, sagte ich. „Und unsere Prinzessin auf der Erbse würde ja nichts tun, was sie anekelt. Dazu ist sie sich ja selbst viel zu schade. Sehr gute Strategie!“ „Ich danke dir für das Kompliment, Betsy El Taria.“, sagte Iranach. „Aber das mit der Prinzessin auf der Erbse musst du mir erklären. Eine Erbse ist doch viel zu klein, als dass eine Prinzessin auf ihr sitzen könnte.“ „Oh in dem Märchen, auf das ich mich gerade bezogen habe, hat sie ja auch nicht darauf gesessen, sondern darauf gelegen.“, erklärte ich. „Also jetzt kenne ich mich gar nicht mehr aus.“, sagte die Vendar. „Ich erzähle dir die Geschichte bei Gelegenheit.“, versprach ich.

Sie war plötzlich stehengeblieben und hatte tief Luft geholt. Dann rief sie: „Hey, Simplicissimus, Sophus und Pfiffikus, kommt raus aus eurem Versteck! Ich bin es! Eure Freundin Iranach!“

Es dauerte einige Sekunden. Dann hörte ich aus drei Richtungen das Rascheln von Buschwerk und drei Männer tauchten auf. „Du bist es wirklich!“, begrüßte sie einer. „Du bist es tatsächlich, Iranach. Aber Talan hat sich sehr verändert.“ „Das ist nicht mein Novize, Simplicissimus.“, sagte Iranach. „Das ist Betsy El Taria. Sie arbeitet für die Sternenflotte und ist hier, um den Dolch des Vertrauens zu erringen. Sophus, du hast doch eine sehr ruhige Hand. Bitte geh zu dem toten Baumstamm dort hinüber und ritze mit deinem Messer drei Ringe hinein, die ineinander liegen und somit immer kleiner werden.“ „Das habe ich nich’ verstanden.“, sagte der Angesprochene. Dann gab er Iranach sein Messer: „Bitte zeig mir, was du damit meinst.“ „Na gut.“, sagte die Vendar, ging zu dem Baumstamm und tat es selbst. „Ach so.“, sagte Sophus. „Jetzt verstehe ich.“

Iranach war zu mir zurückgekehrt. Dann hatte sie mich in Richtung des Baumstumpfes gedreht. „Warum hilfst du ihr so viel?“, erkundigte sich Pfiffikus. „Betsy El Taria verfügt über kein Augenlicht.“, sagte Iranach. „Aber das muss euch nicht weiter interessieren. Schafft jetzt am besten alle Dolche her, die es hier gibt. Wir werden den Richtigen schon finden.“ „OK.“, sagten die drei. „Wenn wir uns nur erinnern könnten, wo wir sie versteckt haben.“

Iranach gab einen schweren Seufzer von sich. „OK.“, sagte sie. „Ich werde mit euch suchen. Aber eigentlich könnte ja einer von euch bei Betsy bleiben.“ „Ich mach‘ das.“, sagte Simplicissimus. „OK.“, sagte Iranach und ging mit Sophus und Pfiffikus los.

Ich hatte durch die Unterhaltung mit den dreien einen ungefähren Eindruck ihrer geistigen Entwicklung erlangen können. Tatsächlich erinnerten sie mich irgendwo viel mehr an den kleinen James, als an erwachsene Männer. „Wie willst du das denn anstellen, Betsy?“, fragte mich der Räuberhauptmann. „Du kannst doch die Zielscheibe gar nich’ sehen.“ „Nein, Simplicissimus.“, sagte ich. „Aber das muss ich auch nicht. Auf dem Dolch ist ein Rätsel und wenn ich das richtig gelöst habe, dann muss ich dem Dolch nur vertrauen. Seinen Weg wird er dann ganz allein finden.“ „Das glaube ich nich’.“, sagte Simplicissimus. „Wie soll denn ’n Dolch seinen Weg allein finden?“

Mit einem Handwagen voller Dolche waren Iranach und die beiden Kumpane von Simplicissimus bald zurück. „Welcher war das jetzt noch?“, fragte Sophus. „Die sehen alle so gleich aus.“ „Das werden wir bald sehen.“, sagte Iranach und gab mir den ersten Dolch in die Hand.

„Ich helfe dir, Betsy!“, rief Simplicissimus plötzlich und rannte auf den Baumstamm zu. Im gleichen Moment aber packte ihn die Vendar am Kragen, hob ihn hoch, schleuderte ihn herum und setzte ihn mit einer solchen Wucht wieder auf dem weichen Waldboden ab, dass seine beiden Füße ca. 20 cm darin einsanken. Das war für Iranach ja kein Problem. Immerhin hatte sie die Stärke von fünf durchschnittlichen menschlichen Frauen. Dass sie ihm dabei aber nicht beide Knöchel brach oder mindestens verstauchte, grenzte für mich schon an ein kleines Wunder. „Aus dem Weg, du Narr!“, schrie sie ihn an. „Oder willst du etwa durchbohrt werden?!“ Der arme Mann gab einen leisen negierenden Laut von sich. „Ich wollte ihr doch nur helfen.“

Iranach wollte zu einer weiteren Standpauke ansetzen, aber ich sagte nur: „Warte! Ich werde es ihm erklären.“ „Also gut.“, sagte Iranach. „Dann versuch mal dein Glück. Ich bin mit meiner Geduld am Ende.“

Ich drehte mich zu Simplicissimus und sagte: „Pass auf. Die Quellenwesen haben den Dolch des Vertrauens gemacht. Sie haben da was eingebaut, damit er den Weg finden kann. Die anderen Dolche können das natürlich nicht, weil sie von Menschenhand gemacht sind. Aber das bedeutet, wir müssen darauf vertrauen, dass die Quellenwesen schon alles richtig gemacht haben und das tue ich. Du musst mir also nicht helfen, auch wenn ich das total lieb von dir finde. Aber es ist alles OK.“ „Na gut.“, sagte Simplicissimus. „Aber sag Iranach bitte, sie soll mich wieder ausgraben. Ich verspreche auch, dass ich mich nie wieder einmischen werde und meine Leute auch nich’. Wir haben ja gesehen, was sie dann mit uns macht.“ Ich nickte ihm nur zu und sagte dann zu der Vendar: „Du hast ihn gehört, Iranach. Ach, nimm doch bitte noch meine Ausrüstung in Verwahrung, damit ich wirklich nicht schummeln kann. Damit gab ich ihr die Bauchtasche mit meiner Ausrüstung. „Wie du wünschst, Betsy El Taria.“, sagte Iranach und steckte die Bauchtasche ein. Dann sagte sie zu Sophus: „Bitte geh und besorge mir einen Spaten oder eine Schaufel.“ Sophus nickte und ging in Richtung Höhle davon.

Ich hatte meine rechte Hand gehoben, in der sich der Dolch befand. Dann hatte ich mir die Zielscheibe vorgestellt und meinen Griff gelockert. Aber der Dolch war einfach nur heruntergefallen. „Der war es also nicht.“, sagte Iranach und gab mir den nächsten Kandidaten. So ging es eine ganze Weile fort.

Scotty und Shimar hatten dies auch von Bord des tindaranischen Schiffes beobachtet. „Uns läuft die Zeit weg!“, stellte mein Mann fest. „Hilf ihr doch! Ich meine, du bist Telepath! Du müsstest doch spüren können, welches der Richtige ist.“ „Wir dürfen uns nicht einmischen!“, erinnerte Shimar ihn. „Was glaubst du, wie schwer das gerade für mich ist. Aber wir …“

Es gab ein lautes Zischen und dann eine Rauchwolke. Dann zeigte das Schiff Scotty eine Anzeige auf der technischen Konsole, die sie ihm gezeigt hatte, damit er ihre Systeme überwachen konnte. „Da is’ ’n Relais durchgebrannt!“, sagte er. „Und auch noch so ’n wichtiges! Es ist eines für die Lebenserhaltung. Wenn ich mich da nich’ kümmere, dann ersticken wir bald!“ „Die Wartungsschächte sind hinten.“, sagte Shimar.“ „OK.“, sagte Scotty, schnappte seine Werkzeugtasche, die er immer dabei hatte und ging los. Dabei murmelte er noch: „Mensch, Schiffchen, was machst du denn für Sachen!“

Kaum hatte Scotty allerdings das Cockpit verlassen, sackte IDUSA gefährlich ab. Shimar hatte alle Hände voll zu tun, sie wieder zu stabilisieren. „Wir sind in einen unberechenbaren Abwind geraten, Shimar.“, sagte sie. „Das muss bereits mit dem Untergang der Dimension zusammenhängen. Ich denke, die Atmosphäre wird instabil!“ „Das denke ich auch.“, sagte der junge Flieger und gab ihr den Gedankenbefehl zur Deaktivierung der elektronischen Trimmung, was ihm ermöglichte, ihre Atmosphärentriebwerke so zu steuern, dass er sie seitwärts aus der Strömung manövrieren konnte. Dann ließ er sie die Trimmung reaktivieren und zog sie wieder auf die Höhe, auf der sie vorher waren. „Wie konnte denn das passieren?“, fragte er. „Hast du die Strömung denn vorher nicht messen können? Und die Sache mit dem Relais. Wie konnte Jenna denn so etwas Wichtiges übersehen?“ „Aber Shimar!“, sagte das Schiff. „Haben Sie denn Ihren eigenen Befehl an mich etwa schon wieder vergessen?“ „Soll das etwa heißen, du hast das Relais mit Absicht überlastet und dich einfach fallen lassen, um uns abzulenken?“, fragte der tindaranische Flieger.

Bevor das Schiff antworten konnte, hatte Scotty wieder das Cockpit betreten. „Das war vielleicht komisch, Shimar.“, sagte er. „Wieso hat Jenna das beschädigte Relais übersehen und wieso hatte IDUSA das fertige Ersatzteil schon repliziert, als ich …“ „Jenn’ hat nichts damit zu tun!“, sagte Shimar. Aber wenn ich IDUSA sage, sie soll alles tun, um uns abzulenken, dann tut sie auch alles.“ „Ach so.“, sagte Scotty und strich mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand über einige leere Ports, wie er es bei Shimar schon oft gesehen hatte. „Gut gemacht, Schiffchen!“

Inzwischen hatten wir die Dolche auf nur noch einen reduzieren können, der auch bereits in meiner Hand lag. „Ich bin gespannt!“, sagte Simplicissimus. Im gleichen Moment erhob sich der Dolch von meiner Hand, ohne dass ich ihn geworfen hatte und landete direkt in der Mitte des mittleren Rings. „Das wird er dann wohl sein!“, sagte Iranach fest, ging zu dem Baumstumpf, zog ihn heraus und gab ihn mir. Dann gab sie mir auch meine Ausrüstung zurück und ich steckte beides wieder ein. Dann bedankten wir uns noch bei den drei Lateinern, aber als ich gerade wieder mein sprechgerät ziehen wollte, um Jannings Bescheid zu geben, hörte ich das Herannahen eines galoppierenden Pferdes. An der Silhouette hatte Iranach erkannt, dass es sich um Kipana handelte. Aber sie war auch noch gesattelt.

Jetzt kam sie auf uns zu und hielt genau vor mir an. Ihre Ohren schienen aufgeregt hin- und her zu wackeln, als würde sie nach etwas suchen. Sofort hatte ich meinen Erfasser gezogen. So wurde mir dann auch bald klar, wonach sie suchte. Offenbar hörte sie Logars Stimme in ihrem Geist, der ihr Kommandos gab, die sie sehr gut kannte. Da sie aber nicht wusste, was Telepathie war, lauschte sie in alle Richtungen. Aber nicht nur sie hatte wohl seine Stimme gehört. Auch derjenige, der sie gesattelt hatte, musste das getan haben. Jetzt aber hörte auch ich sie: Betsy, meine Freundin. Kipana wird dich zu Akantus tragen. Sitz auf und vertraue ihr.

Ich drehte mich Iranach zu, die Logars Anwesenheit ja sicher auch gespürt haben musste. „Ich verstehe schon, Betsy El Taria.“, sagte sie und half mir in den Sattel. Dann setzte sich Kipana mit mir in Bewegung. Ich vertraute ihr. Sie würde mich schon zu Akantus’ Höhle bringen und dann würde ich mir dort den Rest von der Granger herbeamen lassen.

 

Kapitel 97: Endkampf!

von Visitor

 

Telzan hatte seiner Frau beim Weben zugesehen. Er sah mit viel Wohlwollen, dass sie das Tuch schon fast fertig hatte. Aber er hatte auch den Kontaktkelch bei sich, in dem er jetzt auch mich sah, die ich auf dem Weg zu Akantus war. Sofort befahl er dem Kelch, ihm die Zukunft zu zeigen, indem er sich den Lauf der Sonne in beschleunigter Form vorstellte, aber was er da zu sehen bekam, schreckte ihn doch sehr.

Dies war auch seiner Frau aufgefallen, die kurz von ihrer Arbeit aufgesehen hatte. „Was schreckt dich so, mein armer Ehemann?“, fragte sie. „Es ist das, was Scott tun wird, wenn wir nicht …“

Ein schwarzer Blitz hatte seine Ausführungen unterbrochen. Dann stand Sytania vor Cirnach und ihm. „Habe ich dich gerade den Namen Scott sagen hören?!“, fragte Sytania streng. „Es wird nichts nützen, wenn du leugnest!“ „Das würde mir nie im Traum einfallen.“, sagte Telzan. „Ich würde Euch nie belügen, Gebieterin. Ja, es stimmt. Ich habe Scott gesehen. Der Kontaktkelch hat mir gezeigt, dass sie auf dem Weg zu Akantus ist. Ich habe gesehen, dass sie sich auch von ihm Fäden besorgen wird, um es uns gleich zu tun. Die zweite Hälfte des Webstuhls des Schicksals ist in ihrem Besitz, oder besser, sie wird es sein. Aber das wird ihr alles nichts nützen, wenn wir den töten, der ihr die Fäden geben könnte. Aber das müssen wir nicht selbst tun. Es dürfte allgemein bekannt sein, dass Spinnenweibchen ihre Partner nach dem Liebesakt töten und fressen. Nur wird Argonia den Liebesakt ganz weglassen!“ Er lachte hämisch auf. „Sehr gut, Telzan!“, rief Sytania aus. „Der arme einsame Akantus wird sich so freuen, endlich eine Partnerin gefunden zu haben, dass er deren wahre Absicht gar nicht hinterfragen wird. Ich werde es Argonia gleich sagen!“

Die imperianische Königstochter konzentrierte sich auf das Bild ihrer Schöpfung und dachte: Argonia, ich habe einen Auftrag für dich. Geh zu Akantus Höhle und töte ihn. Ich werde dir den Weg weisen. Du wirst schon früh genug ankommen. Jedenfalls früher als Scott, die ja zu Pferd unterwegs ist. Sie hat zwar einen Vorsprung, Aber ich kenne einige Abkürzungen. Meine Macht werde ich nicht nutzen, um dich dort abzusetzen. Das könnte Akantus nämlich spüren und dann würde er misstrauisch. Das dürfen wir auf keinen Fall riskieren, verstehst du? Auf gar keinen Fall! Ich wünsche dir auch später einen guten Appetit bei seinen Überresten! Ich werde Euch nicht enttäuschen, meine Schöpferin!, gab Argonia fest auf gleichem Wege zurück. Dann sahen Sytania und die beiden Vendar, wie sie sich davonmachte.

Kipana war jetzt schon fast eine Stunde lang ununterbrochen galoppiert und ich hatte langsam Mühe, mich im Sattel zu halten. Immer wieder hatte ich versucht, sie dazu zu bewegen, ihre Kräfte zu sparen. Ich wusste ja nicht, wie weit es noch zu Akantus’ Höhle sein würde. Sie aber war nicht davon abzubringen gewesen. Ich wusste, dass Logar hieran wohl nicht ganz unschuldig war und hoffte inständig, er würde ihr mittels seiner Macht auch die Kraft geben, diesen Höllentripp durchzuhalten.

Plötzlich blieb sie stehen und ich zog sofort meinen Erfasser, um die Umgebung zu scannen. Dann fragte ich: „Erfasser, handelt es sich bei der Umgebung in Reichweite um die von Akantus’ Höhle?“ Genug Daten, um mir diese Frage zu beantworten, hatte das Gerät ja. „Affirmativ.“, gab die nüchterne Computerstimme zurück. „OK.“, sagte ich erleichtert, steckte das Gerät wieder ein und stieg aus dem Sattel, den ich meiner armen großen Dickmaus gleich abnahm und an den nächsten Baum über einen niedrig hängenden Ast hing. Dann verfuhr ich ähnlich mit der Beißstange, die ich aus dem Zaumzeug hakte und zum Sattel hing. Einen mitgeführten Strick, den ich in der Satteltasche gefunden hatte, befestigte ich am Zaum und führte sie zu einem weiteren Baum in der Nähe, wo ich sie lang anband, damit sie dort auch grasen konnte. Dann streichelte und klopfte ich sie noch eine Weile: „Fein gemacht, Süße! Ganz fein!“

Ein Geräusch hinter mir hatte mich plötzlich aufhorchen lassen. Es war mir, als würde ich etwas krabbeln hören, das aber recht groß sein musste. „Akantus, bist du das?“, fragte ich. Aber statt einer Antwort erhielt ich nur einen Hinweis von Kipana, die plötzlich unruhig mit den Hufen scharrte. Jenes Verhalten hatte ich schon oft bei ihr beobachten können, wenn sie etwas Böses oder eine Gefahr gespürt hatte. Dafür hatte sie untrügliche Instinkte!

Sofort zog ich erneut meinen Erfasser und befahl ihm die Interpretation der gescannten Daten. „Das zu scannende Objekt enthält Sytanias Neuralmuster.“, sagte das Gerät. Es handelt sich um eine weibliche Spinne von der Größe eines Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine Schöpfung von Sytania handelt, beträgt 100 %!“ Sofort hatte ich geschaltet und das Gerät wieder eingesteckt. Dabei hatte ich ihm noch zugezischt, „Ich danke dir.“ Auch Kipana hatte ich fest geklopft und gekrault. Schließlich war sie es ja auch gewesen, die mich erst aufmerksam gemacht hatte.

Ich zog den Dolch des Vertrauens und ging damit auf die Spinne zu. Dann sagte ich fest und etwas aggressiv: „Ich weiß nicht, wer du bist, oder woher du kommst! Aber das interessiert mich im Moment auch nicht! Wenn du auch nur versuchen solltest, Akantus zu nahe zu kommen, dann bekommst du meine Waffe zu spüren! Nur, dass dir das klar ist!“ Warum denn gleich so hitzig?, gab sie telepathisch zur Antwort und ich konnte ihre Hinterlist sehr gut hören. Ich will doch gar nichts Böses von Akantus. Ich bin eine Frau, er ist ein Mann. Was denkst du denn, dass ich wollen könnte, hm? „Darauf werde ich nicht hereinfallen!“, sagte ich mit immer noch der gleichen Grundhaltung. „Mir ist bekannt, dass Spinnenweibchen Ihre Männchen nach der Liebe gern verspeisen! Ich denke, deine Schöpferin hat dir den Befehl erteilt, den Liebesakt gleich ganz wegzulassen, he?! Oder irre ich mich da etwa?! Du brauchst gar nicht zu leugnen! Deine Absichten sind mir mehr als klar, gerade weil ich jetzt weiß, dass du definitiv von Sytania kommst!“ Du irrst, Sternenflottenoffizierin., gab Argonia zurück. Ich bin nur unsterblich verliebt in Akantus. „Ja, sterben!“ sagte ich. „Sterben wird jetzt gleich jemand. Aber das wird mit Sicherheit nicht Akantus sein. Fragen wir doch den Dolch des Vertrauens, ob du die Wahrheit gesprochen hast!“

Ich öffnete meine Hand nur leicht und der Dolch fuhr heraus und flog in Richtung der Spinne. Dann bohrte er sich durch ihre Atmungsorgane an ihrem Hinterleib. Das konnte ich sehr gut in meinem Geist sehen, da er es mir zu zeigen schien. Dann hörte ich eine röchelnde weibliche Stimme in meinem Kopf: Zieh den Dolch wieder heraus! Ich dachte immer, dass ihr von der Sternenflotte Leben achtet! „Aber nicht dann, wenn es das Leben bedroht, das wir schützen sollen!“, sagte ich mit einer Art von Aggression in der Stimme, die ich von mir sonst eigentlich gar nicht kannte. „Falls es dir entgangen sein sollte, wir sind im Krieg mit deiner Schöpferin! Also ist sie der Feind genau wie du!“ Aber ihr versucht es doch sonst immer mit Diplomatie., versuchte Argonia mich einzulullen. Bitte, zieh den Dolch endlich heraus! Zieh …

Ein letztes Röcheln und dann war sie tot. Erst jetzt nahm ich den Dolch wieder an mich. Dabei stellte ich fest, dass er sich so durch die Röhren gebohrt hatte, dass er sie regelrecht zusammengetackert hatte. Selbst dann, wenn ich ihn also herausgezogen hätte, hätte sie keine Luft bekommen. Wer schon einmal versucht hat, ein Getränk durch einen löcherigen Strohhalm zu saugen, der weiß jetzt vielleicht, wovon ich rede. Sie war also gleichzeitig verblutet und erstickt. Nachdem ich ihr Blut mit einigen Blättern notdürftig vom Dolch gewischt hatte, steckte ich ihn wieder ein.

Ein erneutes Geräusch hatte mich aufhorchen lassen. Es klang ähnlich wie das Krabbeln vorher. Aber jetzt hörte ich eine männliche Stimme in meinem Geist: Hab keine Furcht, Betsy! Ich wusste, wir würden uns irgendwann noch einmal sehen. Ich weiß, was du willst. Folge mir in meine Höhle. Von dort aus werden wir alles andere regeln. Den Leichnam hier werden wir mitnehmen. Ich werde sie essen müssen, um genug Faden produzieren zu können. Wir haben ein sehr wichtiges Projekt zu verwirklichen, du und ich. Ein sehr Wichtiges! „Ich werde dir tragen helfen, Akantus.“, gab ich verbal zurück. Sehr gut! sagte er. Dann habe ich auch gleich eine Möglichkeit, dich zu führen. So nahmen wir die Spinne, ich am Hinterteil mit meinen Händen und er mit einem seiner Beinpaare vorn und machten uns auf den Weg in seine Höhle.

Hier angekommen beförderte er zunächst die Leiche von Sytanias Schöpfung in ein Netz unter der Decke, das ihm als Vorratskammer diente. Aber auch ich hatte mitbekommen, dass ich wohl ordentlich zu tun bekommen würde. Der Webstuhl und alles, was ich benötigen würde, war nämlich auch schon da. Ich konnte mir auch denken, wie es dazu gekommen war. Sicher hatte Shimar von seinem Schiff aus alles gesehen und meinen Commander über die Situation informiert. Die Granger konnte nicht in der Tiefe operieren, in der es IDUSA konnte. Sie war zu groß und hätte trotz der tragfähigen Atmosphäre der Dimension einen Absturz riskiert. Sie war eben eher für den weiten Weltraum gebaut.

Der Spinnenmann hatte sich jetzt vor mir auf den Rücken gelegt. Wir sollten so schnell wie möglich beginnen., schlug er vor. Ich nehme an, deine Leute haben dir alles mitgegeben, was du so brauchen wirst.

„Das stimmt, Akantus.“, sagte ich, nachdem ich meine Ausrüstung überprüft hatte. „Aber denkst du nicht, dass du zunächst einmal etwas essen solltest? Ich meine, du wirst eine Menge Proteine benötigen, wenn …“ Gute Idee!, gab Akantus zurück und ließ mich zusehen, wie er genüsslich in Sytanias toter Schöpfung bis un begann sie auszusaugen.

Ich nahm meinen Erfasser und scannte mich selbst. Danach war das Stück Spinne dran. Dann ließ ich diese Daten unter der genannten Fragestellung durch das Interpretationsprogramm laufen. Dieses verneinte den Umstand der Giftigkeit, wies mich aber darauf hin, dass es zu leichten Komplikationen kommen könnte, weil meine Verdauung es ja nicht gewöhnt sei. Es lieferte mir aber auch gleich die passende Empfehlung für ein Medikament gegen Übelkeit. „Danke, Erfasser.“, sagte ich und steckte das Gerät wieder ein.

Akantus gab mir das Stück Spinne, in das ich etwas zögerlich biss. Es schmeckte leicht nach Erdnuss. Die Konsistenz erinnerte mich an eine härtere Zwiebel. Irgendwie war das nicht schlecht. Aber im Interesse meiner Gesundheit sollte ich es wohl besser bei diesem einen Stück bewenden lassen. Meine diplomatische Pflicht hatte ich ja erfüllt. Ich würde dann doch lieber meinen Haferschleim aus der Packung schlabbern.

Nach dem Essen zog ich mir medizinische Handschuhe über. „Wollen wir dann anfangen, Akantus?“, fragte ich. Wie du wünschst., sagte er und ich bemerkte, dass er sich anzuspannen begann. „Warte!“, sagte ich. „Ich will zuerst deine Spinnwarzen mit etwas Alkohol und einem Wattebausch von Resten alter Fäden befreien. Ich bin überzeugt, wenn die Verklebungen weg sind, dann hast du es viel leichter.“ In Ordnung., gab er zurück. Dann mach nur.

Bald hatte ich erledigt, was ich gesagt hatte. Das fühlt sich gut an., meinte Akantus. So etwas habe ich lange nicht mehr gefühlt. So, jetzt nimm dir besser mal einen dieser Stäbe, um die du den Faden wickeln wirst. Du wirst gefühlt haben, dass meine Warzen schon ganz dick und voll sind. Lange halte ich das nicht mehr aus! „OK.“, sagte ich und packte einen Stab aus, so schnell ich konnte. Dann hielt ich ihn an den Ausgang einer der Warzen und sagte: „Jetzt!“

Ich spürte, wie die Warze gegen seinen Beckenboden gepresst wurde. Dann kam tatsächlich ein Fadenende zum Vorschein, das ich eilig um den Stab wickelte. Dann sagte ich: „Du kannst dich entspannen. Ich habe das Ende.“ Schon?, gab er erstaunt zurück. Deine Reinigungskur muss Wunder gewirkt haben. Sonst hatte ich es damit nie so leicht und benötigte mehrere Versuche. „Du solltest vielleicht öfter mal zum Fluss gehen und deine Spinnwarzen reinigen.“, schlug ich vor. Das werde ich., sagte Akantus. Aber eines möchte ich noch gern von dir wissen. Wirst du wieder für mich singen? „Wenn du möchtest?“, sagte ich. „Sicher möchte ich., sagte Akantus. Du singst nämlich sehr schön. Übrigens, dass, was wir hier beide gerade tun, hätte sich zum Beispiel deine Vorgängerin Hoshi sicher nicht getraut. Für sie wäre ich bestimmt viel zu abstoßend gewesen. „Aber für mich bist du das nicht!“, erklärte ich fest, die ich genau wusste, woher er diese Information hatte. Schließlich war er in meinem Geist und ich hatte gerade daran gedacht, wie Sehende, also auch sicher sie, auf ihn reagieren würden. „Ich mag dich! Du bist groß, weich und hast einen guten Charakter und du hast sicher mit einem Recht. Das wäre ihr bestimmt alles abgegangen. Ach übrigens, damals hast du mir gesagt, du würdest dafür beten, dass wir einmal einer Spezies begegnen würden, deren Sprache eine Melodie ist. In gewisser Weise sind deine Gebete wohl erhört worden.“ Ach ja, die Tindaraner., sagte er. Und du bist sogar in einen verliebt! Herz, was willst du mehr. Ich nickte nur lächelnd und hob zu einem ruhigen Stück aus meinem Heimatjahrhundert an, während ich langsam den Stab drehte, auf den sich immer mehr Faden wickelte. Wenn die Spule voll wäre, würde ich mit dem Aufspannen der Fäden und mit dem Weben beginnen, um auch ihm eine Pause zu gönnen.

Bis zum Sonnenuntergang hatte Telzan vor dem Kontaktkelch gesessen und meine Fortschritte beobachtet. Dabei hatte er nur manchmal kurz zu seiner Frau hinübergesehen, um ihre mit den Meinen zu vergleichen. „Betsy El Taria hat enorm aufgeholt, Telshanach.“, stellte er fest. „Genau wie du benötigt sie nur noch eine Reihe bis zum Ende.“ „Wenn das mal kein Schicksal ist, Telzan.“, sagte die Vendar.

Kaum hatte sie das gesagt, ging eine Erschütterung durch die gesamte Dimension. Sofort zog Telzan seinen Erfasser, gab bestimmte Befehle ein und scannte die Umgebung. „Es beginnt.“, sagte er. „Aber wie kann es beginnen, wenn wir doch alles tun, um es zu verhindern?“, fragte Cirnach. „Vielleicht müssen wir den Webstuhl des Schicksals doch wieder korrekt zusammenfügen. Das würde auch zu der Theorie von Jenna McKnight passen, die ja sagt, dass Gut und Böse nicht ohne einander existieren können. Ich denke, wir müssen unsere Tücher verbinden, Betsy El Taria und ich. Anders wird es keine Rettung geben! Denk bitte nach, mein Ehemann. Denk nach! Es gibt immer für alles ein Für und Wider. Immer gibt es zwei Seiten. Komm! Hilf mir packen. Wir bringen unseren Webstuhl in Akantus‘ Höhle und dann fügst du die Hälfte, die von den Quellenwesen kommt, mit der von Betsys Webstuhl zusammen. Sie wird uns keine Steine in den Weg legen, denke ich. Dazu ist sie viel zu vernünftig. Sie wird auch bemerkt haben, dass es nicht anders geht.“

Telzan hatte kurz überlegt. Dann aber war er aufgestanden und hatte beherzt nach der einen Seite des Stuhles gegriffen: „Lass uns gehen, Telshanach! Wir laden den Stuhl in den Laderaum meines Schiffes und fliegen hin. Das geht am schnellsten. Vorausgesetzt, ich bekomme es überhaupt unter den Voraussetzungen gestartet.“

„Ihr werdet nirgendwo hingehen!“ Ein schwarzer Blitz und dann hatte eine weibliche Stimme genau das in den leeren Raum gerufen. Die Vendar hatten sofort Sytania erkannt. „Es führt kein Weg daran vorbei, Herrin!“, hatte sich Telzan ihr mutig entgegengestellt. „Wenn wir das nicht tun, dann werdet auch Ihr vergehen! Es wird keine absolute Macht für Euch geben!“

Er zählte bis drei und Cirnach und er hoben den Webstuhl an, um entschlossenen Schrittes die Richtung zu ihrem Schiff einzuschlagen. „Bleibt stehen, ihr Narren!“, befahl Sytania. „Habt ihr denn gar kein Vertrauen mehr in mich?! Ich werde euch zeigen, dass ihr euch gründlich irrt!“

Schwarze Blitze zogen durch die Luft, aber sie schienen den Vendar eher unkontrolliert und zufällig zu sein. Deshalb warfen sie auch nur noch einen bedauernden Blick auf ihre Herrin und gingen ungerührt weiter.

Auch Akantus und ich hatten die Erschütterungen bemerkt. „Es beginnt.“, sagte ich, nachdem auch ich die Stabilität der Dimension mit meinem Erfasser überprüft hatte. Ja, es beginnt., bestätigte der Spinnenmann. Aber ich bemerke in deinem Geist bereits eine Lösung. Du willst dein Tuch mit dem von Cirnach verbinden. Ich denke auch, dass das die richtige Lösung sein wird. Du bist intelligent genug, um auf so etwas zu kommen. Das habe ich geahnt. Du warst ja auch intelligent genug, um zu sehen, dass du nicht alle guten Wesen, denen du die Lebensfäden in diesem Tuch widmest, direkt beim Namen kennen musst, sondern dass es ausreicht, wenn du liebevoll daran denkst, es eben allen guten Wesen in allen Dimensionen zu widmen. Darauf wäre sicher nicht jeder gekommen. „Du schmeichelst mir.“, lächelte ich. „Dann hoffen wir mal, dass Cirnach genauso schlau ist.“

Auch Scotty und Shimar hatten alles mitgekriegt. Der junge Tindaraner musste inzwischen alle fliegerischen Kenntnisse aufbieten, um IDUSA in dieser unruhigen Atmosphäre überhaupt stabil zu halten. Aber da er geschickt die Pausen zwischen den Verwerfungen ausnutzte, gelang ihm das auch einigermaßen. Er hatte sogar die Zeit gefunden, sich mit Scotty über einiges zu unterhalten. „Weißt du, dass Loridana den Grund gefunden hat, aus dem IDUSA und ich so gut miteinander zurechtkommen?“, fragte Shimar. Scotty gab nur einen negierenden Laut von sich. „Sie sagte, mein moralisches Zentrum wäre viel feiner durch Nervenzellen mit dem Rest meines Gehirns verbunden, als es bei anderen Tindaranern der Fall sei, die sie schon gesehen hätte. Sie sagt, dass muss ich schon von Geburt an haben. Deshalb nehme ich auch unsere Rechtsprechung so ernst und das wiederum lässt mich diese IDUSA-Einheit hier sehr ernst nehmen.“, „Aha.“, sagte Scotty. „Das erklärt natürlich einiges.“

Telzan und Cirnach waren auch bald über der Höhle von Akantus angekommen. Es war dem Vendar tatsächlich gelungen, sein Schiff zu starten, aber mit der Landung haperte es jetzt gewaltig. Das lag nicht zuletzt auch daran, dass die sehr tragfähige und unruhige Luft das Schiff auf und ab tanzen ließ wie einen Ball, wenn immer er versuchte, den Sinkflug einzuleiten. Das war aber auch der Grund, aus dem er Cirnach und den Webstuhl nicht einfach herunterbeamen konnte. Eine stabile Erfassung bestimmter Koordinaten mit dem Transporter war ja so auch nicht möglich.

Cirnach hatte Shimars Schiff nicht aus den Augen gelassen. Sie hatte gesehen, dass es ihm, im Gegensatz zu ihrem Mann, wohl gelingen könnte, eine Landung hinzulegen. „Die Zeit läuft uns davon, Telzan!“, drängte sie. „Offensichtlich benötigst du Hilfe und es gibt hier nur einen, der sie dir gewähren kann und der sie dir, wenn er vernünftig ist, auch gewähren wird! Ruf den Tindaraner. Shimar El Tindara ist immer sehr vernünftig gewesen, seit wir ihn kennen. Er wird dir bestimmt helfen. Ich weiß, dass du ein stolzer Krieger bist, der nur ungern Hilfe annimmt. Aber jetzt schluck endlich deinen Stolz herunter und ruf den Tindaraner!“

Telzan versuchte offenbar, sie zu ignorieren. Er biss nur die Zähne zusammen und vertiefte sich noch mehr in seine erfolglosen Landeversuche. „Ruf den Tindaraner!“, wiederholte Cirnach. „Sonst tue ich es!“

IDUSA und ihre Crew hatten das Unterfangen der Vendar mitbekommen. „Es sieht aus, Gentlemen.“, sagte das Schiff. „Als hätten unsere Gegner einige Schwierigkeiten.“ „Ich würde sie nicht unbedingt als unsere Gegner bezeichnen.“, sagte Shimar, der sich in diesem Moment gut an Rudis Worte erinnerte. Sie waren für ihn zwar so weit weg wie ein verrückter Traum, aber sie waren noch immer präsent. „Telzan und seine Frau würden nicht samt Webstuhl im Laderaum ihres Schiffes herkommen, wenn sie nicht eingesehen hätten, dass das Gute nicht ohne das Böse existieren kann und andersrum. Du hast mir ja gerade die Bilder aus dem Frachtraum ihres Schiffes gezeigt.“ „Korrekt.“, sagte IDUSA. Dann stellte sie fest: „Wir werden gerufen. Es ist Cirnach. Der Ruf kommt von der Copilotenkonsole.“ „Gib sie her!“, befahl Shimar. „Ich habe einen Plan.“ „In Ordnung.“, sagte IDUSA.

Vor dem geistigen Auge des Tindaraners erschien Cirnachs Bild. „Bitte Hilf uns, Shimar El Tindara!“, bat Cirnach. „Unter diesen Voraussetzungen können wir nicht beamen und die Landung wird mein Mann ohne dich wohl auch nicht schaffen. Ich muss aber zu Betsy El Taria, um mein Tuch mit dem ihren zu verbinden. Bitte hilf uns.“ „Das ist ein sehr vernünftiger Ansatz, Cirnach.“, lobte Shimar. „Weißt du, wenn mehr Planeten in mehr Dimensionen von Frauen regiert würden, dann gebe es sicher auch viel mehr vernünftige Entscheidungen. Euch ist euer Stolz nicht immer im Weg.“ „Ich danke dir, Shimar El Tindara.“, sagte Cirnach lächelnd und mit einem fast schon verliebt anmutenden Blick.

„Jetzt mach mal halblang, du Charmebolzen!“, mischte sich Scotty ein. „Willst du sie anmachen und Betsy somit das Herz brechen?!“ „Nein.“, beruhigte ihn Shimar. „Ich will nur erreichen, dass er denkt, dass sie mir verfallen könnte. Dann wird er alles versuchen, um wieder ihr Held zu werden und dann wird sie genau das bekommen, was sie will.“ „Ah so.“, sagte Scotty. „Also alles nur Ticktack. Ich meine Taktik.“ „Genau.“, grinste der tindaranische Pilot. „Alles nur Ticktack!“

„Ihre Taktik scheint aufzugehen.“, meldete IDUSA. „Dieses Mal ruft uns Telzan.“ „Na dann her mit ihm.“, sagte Shimar. „Meine Frau hat Recht!“, sagte Telzan verzweifelt. Bitte hilf mir, Tindaraner! Hilf mir!“ „Schon gut.“, sagte Shimar. „Ich steige auf deine Höhe und setze mich neben dich. Dann sage ich dir genau, was du tun musst.“ „OK.“, sagte Telzan.

Bald waren beide Schiffe auf einem parallelen Spiralkurs abwärts unterwegs. „Du musst die Pausen zwischen den atmosphärischen Verwerfungen ausnutzen.“, sagte Shimar zu Telzan. Nur während dieser kannst du sie herunterdrücken. Stell außerdem den Regler für den Schub der Triebwerke auf null. Dann laufen sie zwar auch noch, aber nur mit Minimalleistung. Das macht sie langsam und somit schwer. Wenn du von mir das Kommando „Und aus“ bekommst, drehst du den Schaltschlüssel und die Triebwerke sind aus. Das machen wir aber erst, wenn wir aufsetzen. Nicht zu früh und nicht zu spät.“

IDUSAs Landestützen berührten den Boden. So ging es auch bei Telzans Schiff. „Und aus!“, befahl Shimar und gab IDUSA gleichzeitig den entsprechenden Gedankenbefehl. Im gleichen Moment standen die Schiffe fest auf dem Boden. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mir von dir mal eine Flugstunde gefallen lassen würde, Tindaraner.“, sagte Telzan. „Ich bin dir verdammt dankbar. Bitte schick mir Scotty El Taria mit. Er soll mir beim Rückbau der Webstühle helfen. Wir haben keine Zeit.“ „OK.“, sagte Shimar.

„Ich habe es gehört.“, sagte Scotty, schulterte seine Werkzeugtasche und ging. Auch Shimar entstieg IDUSA. Er wollte sich um Kipana kümmern, die ja irgendwie abgelenkt werden musste und die er erspäht hatte.

Scotty und Telzan hatten bald Akantus’ Höhle betreten. „Ich komme in Frieden, Betsy El Taria!“, sagte der Vendar. „Er spricht die Wahrheit, Darling.“, sagte Scotty. „OK.“, sagte ich. „Auch ich bin hier, Betsy El Taria.“, vernahm ich Cirnachs Stimme. „Ich denke, wir müssen unsere Tücher verbinden, um den Untergang aufzuhalten.“ „So weit war ich auch schon, Cirnach!“, rief ich.

Die Männer stellten sich an die jeweiligen Enden der Webstühle. „Ein Wort von dir, Darling.“, sagte Scotty. „Und ich entferne diese Leiste!“ „Das Gleiche gilt auch für dich, Telshanach.“, sagte Telzan. Dann sah er Scotty an: „Hast du Werkzeug?“ „Fragt der mich, ob ich Werkzeug hätte!“, empörte sich mein Mann. „’n anständiger Ingenieur geht ohne seinen Werkzeugkasten nirgendwo hin! Merk dir das! Hier, ich habe sogar alles zweimal, falls eine Garnitur mal kaputt geht!“ „Ich danke dir, Scotty El Taria.“, sagte Telzan.

„Also gut.“, sagte ich. „Ich vertraue euch! Los, Scotty!“ Auch Cirnach sagte: „Los, Telzan!“

Scotty und Telzan hatten bald die beiden künstlichen Hälften der Webstühle entfernt und die ursprünglichen wieder zusammengefügt. Dann hatten Cirnach und ich unsere Gerüstfäden verknotet und unsere Arbeitsfäden verzwirbelt, um eine feste und stabile Nahtstelle zu bekommen. „Ich werde deine Hand führen, Betsy El Taria.“, sagte Cirnach. „Durch die Knoten könntest du sonst deine Orientierung einbüßen.“ „In Ordnung, Cirnach.“, sagte ich. „So weben wir auf jeden Fall die letzte Reihe gemeinsam.“

Je stärker wir zusammengearbeitet hatten, desto geringer waren die Erdbeben geworden. Als wir unsere Reihe beendet hatten, hörten sie sogar ganz auf. „Es ist vollbracht!“, stellte Telzan stolz fest. „Die Dimensionen sind wieder stabil!“

„Aber zu welchem Preis, du Verräter!“ Ein schwarzer Blitz hatte die Luft zerrissen. Dann stand Sytania vor uns. „Wie hast du es angestellt, meine Leute auf deine Seite zu bringen, du verdammte Tindaranermieze?!“ „Ach, das war ganz einfach, Milady!“, sagte ich schadenfroh. „Das haben sie schon selbst erledigt, weil sie vernünftig sind im Gegensatz zu Euch!“ „Unter anderen Umständen könntest du jetzt was erleben!“, sagte Sytania. „Aber ich bin zu geknickt! Ich werde mich zurückziehen! Nein, mein schöner Plan! Mein schöner Plan!“ Sie verschwand auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen war.

Shimar hatte vor der Höhle alles mitbekommen. Er hatte Kipana durch gezielte Bodenarbeit sehr gut beruhigen können und schätzte die Situation jetzt so ein, dass er sie alleinlassen konnte. So war er in die Höhle gekommen und fragte Scotty nun: „Na, da hat sich meine Mieze, also deine Frau, wohl ganz anständig die Krallen an Sytanias Plan geschärft, was?“ Mein Mann nickte nur stolz und Telzan gab zu: „In der Tat!“

„Darauf ein gepflegtes Miau!“ Die Besitzerin der weiblichen Stimme, die das gesagt hatte, kam jetzt langsam auf uns zu. Es war Kissara, die heruntergebeamt war. Über eine permanente Datenverbindung zwischen IDUSA und der Granger hatte sie alles mitbekommen können. „Allrounder Scott, Ich habe die Daten bereits an die Präsidentin geschickt. Nugura will Ihnen den Sarek-Stern am goldenen Band verleihen für besondere diplomatische Leistungen. Wir bringen Sie auf der Erde vorbei. Die Verleihung soll in Washington stattfinden. Mr. Scott, Shimar, Sie dürfen sie gern begleiten.“ „Aber das war doch nicht mein Verdienst.“, sagte ich bescheiden. „Telzan und Cirnach haben ganz von allein mit uns zusammengearbeitet.“ „Bescheiden wie immer.“, lächelte Scotty. Dann nahmen Shimar und er mich in die Mitte, wir verabschiedeten uns alle von Akantus und wir beamten auf den Granger. IDUSA wurde in Schlepp genommen. So ging es zur Erde.

Kissaras Überredungskunst sei Dank hatte ich die Auszeichnung schließlich doch angenommen. Aber auch in meiner Dankesrede hatte ich noch einmal darauf hingewiesen, dass es ja Telzan und Cirnach waren, die von ganz allein mit mir zusammengearbeitet hatten. Alle waren froh, dass in der Not doch die Feindschaft überwunden worden war und alle einander beigestanden hatten, denn so knapp war es bisher wohl noch nie gewesen. Auch Logar würde jetzt wieder seinen rechtmäßigen Thron besteigen, auch wenn das seiner Tochter gar nicht gefiel. Wir hofften alle, dass ein Ehestreit unter Mächtigen nie wieder solche Ausmaße annehmen würde.

ENDE

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