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Lucius hatte Simach die seltsame Sache mit den Pferden erzählt. Sie hatte ihm interessiert zugehört und dann gemeint: „Vielleicht haben die Tiere gespürt, dass …“ Sie stöhnte auf, denn sie spürte jenen ziehenden Kopfschmerz, der den Abbau der Sifa-Schleimhaut ankündigt, gepaart mit dem Verlangen, das Energiefeld zu übertragen. Im gleichen Moment sahen Lucius und Simach einen weißen Blitz und Logar und einige seiner Soldaten hatten sie umstellt. Einer der Soldaten hatte eine Babyleiche von einem Packpferd geholt und hielt jetzt deren Hände in Simachs Richtung. Lucius erkannte Gordian, seinen Hauptmann. „So sieht man sich wieder, Fahnenflüchtiger.“, sagte Gordian verächtlich. „Simach!“, rief Lucius ihr zu. „Du darfst das Bewusstsein nicht übertragen. Komm, denk an etwas anderes.“ „Ich kann nicht.“, entgegnete die Vendar-Novizin. „Das Verlangen ist zu stark.“ Damit nahm sie die Hände des toten Kindes in ihre und konzentrierte sich auf sein leeres Gehirn. Alsbald wechselte das Bewusstsein hinüber.

Um sich Energie zu holen, berühren die Vendar den Telepathen an dessen Schläfe. Um Energie zu geben, nehmen sie dessen Hände.

Nach der Übertragung war plötzlich alles in Dunkelheit gehüllt. Als der dunkle Schleier sich schließlich wieder hob, sah man nur noch den toten Logar und Soldaten, die verzweifelt versuchten, ihre verschreckten Pferde einzufangen. Außerdem stand plötzlich eine junge Frau vor ihnen, die sehr große Macht zu haben schien. Sobald das Bewusstsein übertragen worden sein musste, musste sie ihre Macht benutzt haben, um in Windeseile vom Baby zur Frau zu werden und Logar getötet haben. Lucius war im allgemeinen Tumult entkommen. „Simach, meine Vendar-Vertraute.“, wandte sich die Mächtige scheinheilig an diese. „Ich habe dir versprochen, wenn ich herrsche, wirst du die Führerin meiner Vendar. Und ihr, ihr wisst doch wohl, wem ihr ab jetzt zu gehorchen habt.“, wandte sie sich an die Soldaten. Diese nickten eingeschüchtert. Auch Simach fügte sich weinend in ihr Schicksal.

Geradeausflüge fand ich schon immer langweilig. Deshalb sang ich auf dem Weg zur Regierungsbasis vor mich hin. Mir war aufgefallen, dass der Computer des Schiffes Scottys Stimme hatte. Das sollte mich wohl daran erinnern, wer Data beim Bau des Shuttles geholfen hatte. Ich war meinem Ehemann dafür sehr dankbar. Also stimmte ich an: „Der Scotty wird’s schon richten, der Scotty macht’s schon gut, der Scotty, der macht alles, was sonst keiner gerne tut. Der Scotty wird’s schon richten, wir haben ja zum Glück, den guten alten Scotty, unser bestes Stück.“ Dann fragte ich: „Computer, wie lange brauchen wir noch zur Regierungsbasis?“ „2,5 Tage.“, erfolgte die prompte Antwort. „Zu lange.“, überlegte ich. „Computer, aktiviere den interdimensionalen Antrieb.“ Von Data wusste ich, dass das Schiff über so einen verfügte. Zwar führte der Rechner meinen Befehl sofort aus, aber, durch den Zustand der interdimensionalen Schicht bedingt, war das Feld instabil und die Spulen fielen eine nach der anderen aus. Ich wusste, würde dies so weiter gehen, würde ich unkontrolliert in irgendeiner Dimension landen und nicht, wie ich es ursprünglich vor hatte, aus dem Universum heraus und an einer anderen Stelle wieder hineinfliegen, was meinen Flug aufgrund der zeitlichen Unabhängigkeit in der Schicht auf eine Sekunde verkürzt hätte. Während ich sämtliche Pilotentricks aus dem Ärmel zog, um das Schiff stabil zu halten, ließ ich den Computer einen interdimensionalen Notruf absetzen. Umso erstaunter war ich, als ich tatsächlich eine Antwort erhielt. „Ich bin Joran, Witwer von Namach. Was ist deine Schwierigkeit, Allrounder Betsy von der Sternenflotte?“ „Ausfall des Interdimensionsantriebes. Die Scherkräfte drohen, die Schiffshülle zu erledigen.“, antwortete ich knapp. „Verharre an deiner Position. Ich bin zu dir unterwegs.“ Sein seltsames Englisch erinnerte mich jetzt an den muskulösen schwarzen außerirdischen Typen mit der Schlange im Bauch und dem Mal auf der Stirn aus Shannons Lieblingsschmöker, dessen Name mir einfach nicht einfallen wollte. Na ja, war ja auch egal.

Joran und IDUSA hatten von Zirell die Starterlaubnis erhalten. „Wir sind weit genug weg von der Station.“, meldete das Beschützerschiff ihrem Piloten. „Nun gut.“, antwortete Joran. Dann gab er über den Neurokoppler den Gedankenbefehl zum Start des Interdimensionalen Antriebes. „Leider kann ich nicht so, wie Sie wollen, Joran.“, sagte das Schiff plötzlich. „Die Oszillation meines interdimensionalen Feldes ist der normalen interdimensionalen Schicht angepasst. Diese ist stark verändert. Ein Phasenwechsel ist unmöglich.“ „Verbinde mich mit Jenna Mc’Knight.“, befahl der Vendar. Nachdem IDUSA ordnungsgemäß seinen Befehl ausgeführt hatte, erschien das Gesicht von Jenna auf dem Bildschirm. „Sag nichts, Telshan.“, sagte die Terranerin. „Ich weiß durch IDUSAs Basesitch schon Bescheid. Hör zu, ich habe die momentane Zerfallsrate der Schicht errechnet und sie als Koeffizienten für eine Anpassungsroutine benutzt. Ich überspiele IDUSA jetzt die neuen Profile. Dann musst du so nah an das andere Schiff heran fliegen, dass sich die Hüllen berühren. Sag Allrounder Betsy, sie darf erst dann die Reste des Interdimensionsantriebes ihres Schiffes deaktivieren, wenn das der Fall ist. Andernfalls stürzt sie in ihre Dimension zurück. Du musst das genau mit ihr timen.“ „Verstanden, Telshanach.“, sagte Joran.

Joran hatte mir alles erklärt. Mit seinem Stolperenglisch kam ich ziemlich gut zurecht. Was mir nur Sorgen machte, war die Tatsache, dass mein Spezialprogramm aufgrund der Situation ebenfalls total überfordert war und mich völlig im Stich gelassen hatte. Wie sollte ich jetzt wissen, wie nah er war?

„Joran.“, meldete IDUSA. „Laut meinen Berechnungen müssen Sie jetzt mit dem Countdown beginnen. „Sie ist genau vor uns.“ „Verbinde mich mit ihr.“, befahl Joran streng. Er wusste, wir hatten nur einen Versuch. „Joran.“, sagte ich ängstlich. „Kann ich etwas tun, um das Ganze zu erleichtern?“ „Du hast dich als kenntnisreiche Pilotin erwiesen.“, schmeichelte er, denn er befürchtete, mich zu verlieren. „Aber jetzt hör mir zu. Ich werde jetzt anfangen zu zählen und du schaltest den Rest deines Antriebes ab, sobald ich bei eins angekommen bin. Sonst kann IDUSA ihr Feld nicht durch die Spulen deines Schiffes leiten.“ „Verstanden.“, sagte ich mit einem mulmigen Gefühl. „Joran.“, flüsterte IDUSA ihm zu. „Beginnen Sie mit dem Zählen von fünf an auf mein Zeichen. Die Geschwindigkeiten und all das habe ich schon berechnet.“ „In Ordnung.“, sagte Joran. „Verbinde mich mit Allrounder Betsy.“ „Ihre SITCH-Verbindung steht noch.“, antwortete der Schiffsrechner freundlich. „Achtung, Joran, jetzt.“

Ich hörte sein Herunterzählen und versuchte, einen Rhythmus zu erkennen. Tatsächlich gelang es mir, in dem Moment, als er „eins“ sagte, den Schalter für den interdimensionalen Antrieb umzulegen, so, dass IDUSAs Feld fassen konnte.

„Wir haben sie.“, freute sich Joran. „Bestätige.“, sagte IDUSA nüchtern. „Bring uns jetzt vorsichtig in unser Universum.“, befahl Joran. IDUSA kam dem befehlsgemäß nach. „Funktioniert der normale Antrieb deines Schiffes, Allrounder Betsy?“, fragte er mich. Ich nickte bei gedrückter Sendetaste mit dem Kopf. „Dann folge uns jetzt bitte zu unserer Basis.“ „Mit dem größten Vergnügen.“, sagte ich erleichtert.

Diran konnte entgegen Clelias Rat nicht schlafen. Er war angestrengt damit beschäftigt, zu überlegen, ob nicht eine der Stimmen doch seiner Gebieterin gehört haben könnte. Sicher, sie hatten sich alle nach ihr angehört. Aber geübte Telepathen waren durchaus in der Lage, andere zu emittieren. Erneut hatte er sich mit seinem Testkristall getestet und herausgefunden, dass es jetzt oder nie passieren musste. Morgen würde seine Sifa nicht mehr zur Aufnahme von Toleas Geist bereit sein. Egal, was geschehen war, er musste es erneut versuchen. Die Reaktion seines Nashach hatte er im Griff. Das war kein Problem. Leise schlich er fort.

Auf halbem Weg musste er plötzlich innehalten. Er hörte etwas, das ihn an Schellen erinnerte. Aber es war weit und breit keine Kutsche eines Gauklers oder etwas Ähnliches zu sehen. Diran sah nur eine große wogende Anzahl Hörner, die sich langsam seiner Position näherte. Bald sah er auch die pferdeartigen Gestalten, die an den Hörnern hingen. Die Einhörner!, dachte er erleichtert, Aber, warum sollten die mir helfen? Ausgerechnet mir?

Die Einhörner des Dunklen Imperiums sind pandimensionale Existenzen, die ihre Gestalt so angepasst haben, dass sie im Dunklen Imperium zurechtkommen. Sie sind sehr mächtige Wesen mit großen potenten Telepathiezentren, die ja in so einem Pferdeschädel irgendwo hin müssen. Deshalb liegen diese Zentren medizinisch ausgedrückt in einer knöchernen Raumforderung, die hornartig ausgebildet ist.

Diran musste stehen bleiben, denn er hatte bemerkt, dass die Einhörner ihn eingekreist hatten. Eines näherte sich schließlich und berührte ihn mit der Nase, was ihn zu einer reflexartigen Streichelorgie veranlasste. Das Einhorn nahm telepathischen Kontakt zu ihm auf und sprach in seinen Geist: Ich bin Valora. Mache dir keine Sorgen mehr, Diran. Berühre mein Horn und du wirst den Geist deiner Gebieterin empfangen. Ich trage ihre Seele bei mir! Diran tat, wie die Einhornstute ihm gesagt hatte. Tatsächlich spürte er bald Toleas Eintritt in seine Sifa. „Danke, Valora.“, sagte er überglücklich. „Aber womit habe ich eure Hilfe verdient?“ „Du hast die drei Eigenschaften gezeigt, denen es dazu bedarf.“, antwortete Valora. „Mut, Weitsicht und Vernunft. Du zeigtest Mut, als du ohne zu zögern Clelia halfst und die Grenze überschrittest. Weitsicht hast du bei der Wahl deiner Waffen gegen die Wölfe gezeigt. Und Vernunft zeigtest du gerade jetzt, als du eingesehen hast, dass du Hilfe brauchst, deine Gebieterin zu finden.“ Dann gingen die Einhörner schweigend wieder fort.

Als Diran am morgen alles Clelia berichtete, schien diese wenig beeindruckt. In Diran wurde ein Verdacht zur Gewissheit. „Du hast es die ganze Zeit gewusst, nicht wahr?“ „Klar.“, antwortete das Bauernmädchen mit der gewohnten Frechheit. „Ich zeig’ dir mal was.“ Sie öffnete leicht ihren Blusenkragen, worauf der Anhänger ihrer Kette zum Vorschein kam. Diran erkannte einen Hornsplitter im Inneren des Schmuckstückes. Bevor Diran fragen konnte, berichtete Clelia: „Valora ist die Leitstute der Einhornherde. Eines Nachts kam sie zu mir auf den Hof und wollte unbedingt die Hufe beschnitten bekommen. Sie sagte mir, ich solle einen Splitter davon aufheben und mir daraus ein Schmuckstück machen. Damit könnte ich Kontakt zu ihr aufnehmen, wenn es nötig wäre. Sie hätten mich für etwas auserwählt.“

Jetzt war Diran alles klar, aber er wusste auch, wie schlecht es Tolea ging. Trotz seiner Bemühungen beim Fütterungsritual schien sie immer schwächer zu werden, das spürte er. Clelia schien aber auch dafür eine Lösung zu haben. „Guck mal nach oben.“, grinste sie. „Mein Schiff.“, stellte Diran fest, nahm sein Sprechgerät und sagte: „Mishar, beam’ mich hoch.“ Dann verabschiedete er sich noch von Clelia, bedankte sich höflich für ihre Hilfe und sagte: „Aktivieren!“

Makabererweise war die fremde Mächtige in Logars Wolkenburg, so wurde der Palast genannt, eingezogen. Simach hatte sie zwar begleitet und auch bei der Show mitgemacht, die sie den eigentlich Logar unterstehenden Vendar geboten hatte, um ihnen zu zeigen, dass die Novizin jetzt ihre Führerin sei, sie fühlte sich aber mit der Situation nach wie vor unwohl.

„Worüber bist du so traurig?“ Wollte die Mächtige, die sich zwischenzeitlich selbst Lucilla getauft hatte, wissen. Simach zögerte, denn sie ahnte, dass ihre Antwort Lucilla sehr erbosen könnte. Schließlich sagte sie doch: „Vergebt mir, Gebieterin, aber ich bin doch nur eine junge Novizin, ich kann die Vendar-Truppen nicht führen.“ Lucilla lachte hämisch auf: „Was für ein Unsinn! Wenn ich dich zur Anführerin mache, dann kannst du das auch. Sonst werde ich ein paar Köpfe rollen lassen. Köpfe von denen, die sich gegen dich stellen.“ Simach wurde noch betrübter. Allerdings wollte sie nicht, dass ihre Herrin sie so sehen müsste. Deshalb bat sie darum, sich zurückziehen zu dürfen, was Lucilla auch erlaubte.

Erneut war Diran über sich ins Staunen gekommen. Er hatte sich eigentlich immer für den Typ Pilot gehalten, der sich sagt: „Ich lege einen Schalter um und das Schiff fliegt.“ Eigentlich hatte er sich nie so genau mit der Antriebstechnik befasst. Deshalb konnte er sich auch nicht so ganz erklären, warum er seinem Schiffscomputer plötzlich folgende Befehle gab: „Mishar, beobachte das Tenjaâl. Passe das Profil des Antriebs an dessen Zerfallsrate an und bringe uns ins Universum der Tindaraner.“ Der Computer führte alle Befehle zu Dirans Zufriedenheit aus. Die einzige Erklärung, die der Vendar für seinen plötzlichen technischen Geistesblitz hatte, war, dass eventuell eine gewisse Valora und eine gewisse Clelia da hinter stecken könnten. Dieser Gedanke brachte ihn zum Schmunzeln. Ordnungsgemäß meldete er sich bei Commander Zirell an.

Jenna betrat gerade Jorans und ihr gemeinsames Quartier, als Joran aus dem Badezimmer trat. Seine Gesichtshaare waren aufgestellt, bei Vendar ein Zeichen für Übelkeit. IDUSAs Flug musste ihn trotz starker Stabilisatoren doch ziemlich durchgeschüttelt haben. Verschämt drehte er sich weg, aber Jenna folgte mit ihrem Taschentuch jeder seiner Bewegungen, als sie ihm das Gesicht abwischte. „Kelbesh.“, fluchte Joran leise, denn die Situation war ihm sogar vor der eigenen Freundin unangenehm. Aber, so sind Vendar-Krieger nun mal. „Also.“, begann Jenna mit einem wichtigen Gesicht. „Ich weiß ja nicht, wie das bei Vendar ist, aber an sich nimmt die doch den rückwärtigen unteren Ausgang und nicht den vorderen oberen.“ Joran musste lachen. Jenna kannte dieses laute und durchdringende Lachen sehr gut. Sie mochte es. Sie war wohl die einzige Terranerin, die dies donnernde und laute Gelächter nicht als störend sondern eher als wohltuend empfand. Kein Wunder, sie war ja auch in den Verursacher verliebt. Manchmal legte sie sogar ihren Kopf auf seinen Bauch und wartete, bis er sich mit einem gedanklichen Trick, den er ihr noch nicht verraten hatte, selbst zum Lachen brachte. Sie mochte es, wenn ihr Kopf dann auf und ab hüpfte. Sie nannte diesen Vorgang: „Gehirnzellen ordnen“. Deshalb zog er sie auch jetzt wieder auf das nahe Bett, legte zuerst sich hin, dann ihren Kopf auf seinen Bauch und dann richtig los. Jenna gab einen Laut der Entspannung und des Genusses von sich.

„Sie ist illegal hier.“, erklärte Maron Zirell, nachdem er meine Vernehmung beendet hatte. „Sie hat keinen Befehl für ihre Mission. Wer weiß, wo sie das Schiff her hatte. Es hatte laut IDUSA kein Transpondersignal. Das ist eigentlich die Art und Weise der Vendar-Rebellen, aber ich habe bereits mit Sianach gesprochen und sie hat mir glaubhaft versichert, dass sie und ihre Leute damit nichts zu tun haben.“ Die tindaranische Kommandantin legte ihr Gesicht in Falten und überlegte eine Weile. „Das kann ich mir auch nicht erklären, Maron.“, sagte sie schließlich. „Aber, was ist, wenn diese Frau das geschafft hat, was du noch herauszögerst?“ Der Demetaner warf fragend den Kopf zurück. „Du kannst mir nichts vormachen.“, lächelte Zirell. „Ich bin Telepathin. Ich weiß genau, dass du noch immer mit dir ringst, um endlich eine Entscheidung treffen zu können. Im Prinzip beneidest du diese Frau doch. Sie steht einen Rang unter dir, hat diesen sogar nur ehrenhalber und hat dich übertrumpft.“ „Also gut, Zirell.“, erwiderte Maron. „Du hast gewonnen. Ich bleibe und schließe mich den Beschützern an. Soll doch meine naive Regierung glauben, dass Logar ein Engel ist und nie von seiner Macht korrumpiert wurde, auch, wenn die Wahrheit ganz anders aussieht. Allrounder Betsy und der Filidea-Sapiens-Kater haben es bewiesen. Sie haben einen Pfeil bei sich gehabt, an dem Sytanias Blut war. Stell dir vor, Zirell, ihr Blut. Sytania ist für normale Waffen unverwundbar, aber nicht für Rosannium. Wahrscheinlich hat Logar dies einen armen Soldaten erledigen lassen, um es wie ein Attentat eines Sterblichen aussehen zu lassen. Im Moment traue ich ihm alles zu. Er ist unzurechnungsfähig.“ „Genau das wollte ich hören.“, lächelte die Tindaranerin und lehnte sich in ihrem großen Sessel zurück.

Jenna war wieder in die technische Kapsel gegangen. Von dort führte ein Zugang direkt zu den Shuttlerampen. Shannon und sie hatten Befehl, mein Schiff zu untersuchen. Die beiden Technikerinnen staunten angesichts der Ergebnisse nicht schlecht. „Assistant.“, wandte sich Jenna an ihre Untergebene. „Holen Sie Agent Maron.“ Shannon nickte und betätigte die Sprechanlage.

Mit aufmerksamem Blick betrat der demetanische Agent die Kapsel. „Na, was haben Sie für mich, Mc’Knight.“, fragte er. „Dieses Shuttle ist Marke Eigenbau, Sir.“, begann Jenna. „Wer um alles in der Welt kann normale Shuttles in Heimarbeit fertigen?“, wollte Maron wissen. „Was für Kontakte hat diese Frau?“ „Das fragen Sie sie am Besten selbst, Sir.“, entgegnete Jenna. Hellsehen kann ich nicht. Ich weiß nur, dass keines der verwendeten Teile eine Seriennummer hat. Auch die atomare Struktur weist darauf hin, dass die Teile in einem normalen Haushaltsreplikator gefertigt wurden.“ „Übrigens.“, mischte sich jetzt Shannon ein. „Sie sollten sich beide mal das hier ansehen.“ Damit stellte sie ein ankommendes Sensorenbild von einer Sonde, die die interdimensionale Schicht beobachtete, auf die den beiden am Nächsten liegende Konsole. „Das sind keine normalen Bilder, Sir.“, stellte Jenna fest. „Das wir vor dem Weltuntergang stehen, weiß ich auch, Mc’Knight. Aber was meinen Sie damit?“ „Die Polung hat sich um 180 Grad verlagert.“, erklärte Jenna. „Noch mal für dumme Vorgesetzte, Techniker.“, frotzelte Maron. „Das heißt was?“ „Die schlechte Nachricht zuerst, Sir.“, begann Mc’Knight. „Die Dimensionen stehen immer noch vor dem Aus, Aber, zuvor gab es keinen Minuspol. Jetzt gibt es zwar einen Minus- aber keinen Pluspol mehr. Das heißt, Logar ist tot und irgendeine böse Kreatur beherrscht jetzt das Dunkle Imperium. Wenn diese sich keinen Gegenpool schafft, geht trotzdem alles zu Grunde.“ Maron drohte, in Ohnmacht zu fallen, aber Jenna konnte ihn gerade noch auffangen und gemeinsam mit Shannon auf einen Sitz bugsieren, was Shannon zu dem Lästerspruch veranlasste: „Na, ob wegen Major Carters Theorien die Vertreter von General Hammond auch reihenweise in Ohnmacht gefallen sind?“ „Das ist nicht lustig, Assistant.“, tadelte Jenna sie. Sie wusste genau, was ihnen bevorstand und hatte lange nicht die ganze Wahrheit gesagt.

Simach saß bei Lucilla in deren Thronsaal. Als einzige Bedienstete hatte sie die Erlaubnis dazu. Wahrscheinlich hing es damit zusammen, dass sie den Geist ihrer Herrin getragen hatte. Lucilla hatte Simach aufgetragen, Ihre Truppen im Hof zu versammeln und hatte sie dann telekinetisch zu allen Telepathen geschickt, die sie mittels ihrer Macht nicht selbst schon ausgelöscht hatte. Außer Tolea, die Lucilla allerdings tot wähnte und den Einhörnern, denen sie aber auch nichts tun konnte, weil sie sich mit Hilfe der Vendar zwar mittlerweile die gleiche Stärke angeeignet hatte wie sie, war fast niemand mehr übrig. So musste sie ihre Vendar wohl oder übel zu schwächeren Telepathen ins Föderationsuniversum Schicken. Durch den Kontaktkelch hatte sie beobachtet, dass die Vendar jeder einem Telepathen Energie genommen hatten und sie alle zurückgeholt. Alle mussten ihr nun die mitgebrachte Energie übertragen.

Vendar können übrigens auch Energie nehmen, wenn der Telepath einen geistigen Schild aufbaut. Es gibt eine Technik, mit der sie aus dem Schild selbst Energie saugen können, und zwar indem sie die Hände flach in Richtung des Schildes strecken und sich vorstellen, von diesem direkt die Energie abzuziehen.

Zum Schluss war die Reihe an Dishan, Simachs Stellvertreter. Er hatte einem aldanischen Zivilisten von der Straße all seine Energie genommen, was zu dessen Tod geführt hatte. Nach der Übertragung sah Lucilla ihn enttäuscht an. „Das war alles.“, spottete sie. „Das war so gut wie gar nichts. Das war für’n hohlen Zahn. Hast du nicht noch mehr?“ „Bitte gebt mir noch einmal die Hände, Gebieterin.“, bat Dishan. Missmutig kam Lucilla seiner Bitte nach. Dishan nahm ihre Hände und konzentrierte sich mit all seiner Willenskraft auf ihr Telepathiezentrum, aber nichts geschah. „Ihr seht, es geht nicht.“, sagte er resignierend. „Da ist nichts mehr.“ „Na gut, Dishan.“, meinte Lucilla schließlich. „Dann geht alle in eure Häuser und erholt euch. Morgen werde ich euch wieder ausschicken, mir Energie zu besorgen. Ich muss noch viel stärker werden. Der Neuschöpfungsakt will mir irgendwie einfach nicht gelingen. Mein Vater, diese Bäuerin und du, Simach, ihr habt mich in eine untergehende Welt gesetzt, aber das werde ich ändern.“ „Vergebt mir, Gebieterin.“, mischte sich Dishan noch einmal ein. Aber der Schöpfungsakt gelingt euch nicht, weil ihr nicht stark genug seid, sondern, weil ihr keinen Gegenpol habt. Selbst eure Schwester Sytania, hat ihren Vater als Gegenpol akzeptieren müssen. Also …“ „Gewinsel eines Sterblichen!“, spottete Lucilla. „Meine Schwester war schwach! Deshalb ist sie jetzt auch tot, aber ich, ich, ich werde dieses Schicksal nie teilen, niemals, niemals!“ Bei ihren letzten Worten lachte sie hämisch auf. „Was wollt Ihr denn?“, wollte Simach wissen. „Die Alleinherrschaft, verstehst du.“, war Lucillas knappe Antwort. „Die kann es niemals geben.“, versuchte die Vendar sie zu überzeugen. Lucilla aber lachte nur erneut. Simach schwor sich, dies nicht länger mitzumachen. Unter einem Vorwand gab sie Dishan ihr Amt und verließ noch in der gleichen Nacht das Schloss.

Der Zufall wollte es, dass sie auf dem Hof von Clelia und ihrem Vater zuflucht fand. Glücklich nahm sie zur Kenntnis, dass dieser Hof unter dem Schutz der Einhörner stand. Dies hatte der Bauer ihr nicht ohne Stolz berichtet. Wessen Tochter war schon Auserwählte der Einhörner?

Auch bei meinem zweiten Verhör durch Agent Maron hatte ich bereitwillig Auskunft gegeben. Ich konnte ja von den Beschützern nur Hilfe und nichts Böses erwarten. „So, so.“, sagte der Demetaner mit leicht ungläubigem Unterton. „Sie sind also verheiratet mit Montgomery Scott. Interessante Geschichte. Und, wo ist Ihr Ehering, Allrounder?“ „Ich lüge nicht, Sir.“, erwiderte ich, denn ich ahnte, dass er das Gefühl haben musste, dass ich ihn von vorn bis hinten veralberte, was unter Umständen auch dazu führen konnte, dass er mir alles andere auch nicht glauben würde, also erzählte ich entgegen der Abmachung die ganze Geschichte von Scotty und mir. „Bitte glauben Sie mir, Sir.“, bat ich. „Wir haben doch außerdem viel wichtigere Probleme als meinen Familienstand, nicht wahr?“ „Das ist wohl wahr.“, gab er zu. „Aber, wer bei seinen Personalien nicht die Wahrheit …“ Ich sprang auf. „Verdammt!“ Meine „Explosion“ hatte ihn aufhorchen lassen. Er nahm das Mikrofon und sagte: „IDUSA, verbinde mich mit den Behörden auf Celsius.“

Stunden schienen vergangen zu sein, bis Maron meine Personalien bezüglich der Eheschließung mit Scotty überprüft hatte. Schließlich wandte er sich wieder an mich: „Alles OK.“ „Gut.“, sagte ich. „Dann kann ich Ihnen jetzt ja wohl endlich erzählen, wie ich an das Shuttle gekommen bin. Halten Sie sich besser irgendwo fest, Sir. Es wird noch einmal haarsträubend.“

Diran lag auf der Krankenstation der Beschützerbasis auf einem Biobett. Er trug einen Neurokoppler. Ishan, der androide Arzt der Tindaraner, der eigentlich ein aldanisches Bewusstsein war, das in einem Androidenkörper steckte und einen vendarischen Namen trug, hatte dies angeordnet. Diran sollte das Fütterungsritual nur unter Aufsicht durchführen, denn Ishan und Nidell, seine tindaranische Assistentin, mussten befürchten, dass sich der Vendar sonst überfordern könnte. IDUSA hatte neben seiner neuralen Reaktionstabelle ein Programm geladen, das über den Neurokoppler künstliche Hirnwellen einspeiste, denn so half sie ihm dabei, sich zu konzentrieren. Da Diran Tolea jetzt durch seine mentale Energie ernährte und es ihr sehr schlecht ging, brauchte er aus Ishans Sicht jede nur erdenkliche Hilfe. Nur mit dem Akzeptieren seiner Situation hatte Diran ein Problem.

Minor und ich waren kurzfristig bei Joran und Jenna untergekommen. Voller Optimismus hatte Zirell angeordnet, dass die Gästequartiere für Tolea und Diran bleiben sollten. Die Tindaranerin war sicher, dass Diran Tolea irgendwann wieder stabilisieren würde. Wir wussten alle, dass sie sich an jeden Strohhalm klammerte, aber das musste sie auch, denn die Beschützer selbst, also, Zirell, Nidell und Shimar, waren es, die im Notfall durch eine geistige Mauer, die sie gemeinsam mit allen anderen Tindaranern bilden konnten, ihre eigene Dimension beschützen mussten. Wäre Zirell dann nicht zuversichtlich, würde sie eine Lücke bilden.

Joran hatte unter meiner Anleitung das Übersetzprogramm zur Verständigung mit Minor auf der IDUSA-Konsole in unserem Quartier installiert. Fasziniert hatte Jenna sich am Vortag mit den ganzen Systemdateien beschäftigt und mich gefragt, ob Tak und ich dieses Programm wirklich allein entworfen hatten. Nachdem ich dies bejaht hatte, hatte Jenna den Mund vor Staunen nicht mehr zubekommen können.

Eine ganze Weile lang hatte der Vendar meinem Umgang mit Minor interessiert zugeschaut. Minor war zwar ein Mitglied der Spezies „Filidea Sapiens“, dennoch fühlte er wie eine normale Katze und wir hatten durch IDUSA gerade erfahren, dass sein Universum nicht mehr existierte. Er war also der einzige Überlebende von Terra Gata. Da ich ahnte, dass er, wie es alle Katzen tun, sehr an seiner Heimat hing, versuchte ich, ihn zu trösten. Mein Kraulen entlockte ihm tatsächlich ein Schnurren. Joran, der dieses Geräusch nicht kannte, sagte darauf plötzlich: „Geht es deinem Begleiter gut, Allrounder Betsy?“ „Wie man es unter diesen Umständen eben erwarten kann.“, entgegnete ich. „Warum fragst du?“ „Er macht ein Geräusch.“, stellte Joran fest. Leider hatte er damit etwas angerichtet, was nur schwerlich wieder gut zu machen war. Er musste vergessen haben, dass Minor jetzt jedes Wort, das wir sagten, verstehen konnte. Der Kater sprang von meinem Schoß, setzte einen empörten Blick auf und meinte: „Geräusch, nein, nein, nein. Noch nie hat jemand mein nachtigallen- ach was sage ich, mein engelsgesanggleiches Schnurren als Geräusch bezeichnet. Aus welcher Hinterweltlerprovinz kommst du denn, du Kunstbanause?“ Damit verzog er sich beleidigt unter das Sofa. „Kelbesh.“, fluchte Joran so laut, dass es wohl die gesamte Station mitbekommen hätte, wären die Wände und Türen nicht schalldicht. „Was habe ich jetzt wieder angerichtet? Wie kann ich das wieder gut machen, Allrounder Betsy? Wir Vendar kennen diese Wesen nicht und wissen nicht, wie wir mit ihnen umgehen müssen. Immer muss ich anecken! Kelbesh!“ „Komm mal zu mir runter, du Riese.“, sagte ich. Joran beugte sich zu mir und ich flüsterte ihm den Speichernamen von Minors Lieblingsfutter zu, unter dem es in IDUSAs System zu finden war.

Gerade wollte Joran das Futter replizieren, als die Sprechanlage seinem Vorhaben abrupt einen Riegel vorschob. Nachdem er sich gemeldet hatte, sagte die Stimme am anderen Ende: „Hier ist Zirell. Kommt bitte alle in den Konferenzraum. Maron und ich müssen euch etwas mitteilen.“ „Sofort, Zirell.“, sagte Joran, hängte das Mikrofon ein und nahm mich bei der Hand.

Es musste sehr putzig aussehen, wie er versuchte, mich um alle Hindernisse zu manövrieren. Aufgrund unserer unterschiedlichen Körpergrößen – er war zwei Meter dreißig und ich nur einen Meter vierundsechzig – gab es hier einige Probleme, die sich in Form von Beulen an meinem Kopf manifestierten. „Ich weiß, warum das schief geht.“, lachte ich, nachdem ich mal wieder eine Säule geküsst hatte und er vor lauter „Kelbesh“ und „Vergib mir“ immer missmutiger wurde. „Die Leine ist zu lang.“

Jenna kam um die Ecke. „Übernimm sie bitte, Telshanach.“, sagte Joran mit sorgenvollem Unterton. „Ich bekomme das irgendwie nicht hin.“ „Schon gut.“, sagte sie und hielt mir ihren Arm hin.

Simach wollte sich auf dem Hof irgendwie nützlich machen. Deshalb half sie Clelia beim Scheren der Schafe. Plötzlich betrat ein junger Bursche mit russschwarzem Gesicht den Hof. „Seid gegrüßt, ihr guten Bauersleute.“, sagte er. „Bitte, sagt, habt ihr …“ Weiter kam er nicht, denn beim Anblick des Vendar-Mädchens stockte ihm der Atem. Eine Weile lang ging es Simach aber ähnlich. Dann ließ sie plötzlich die Schere fallen und warf sich an seine Brust. „Lucius! Mein geliebter Lucius!“ Dabei küsste sie ihm den Ruß vom Gesicht, mit dem er dieses unkenntlich gemacht hatte. Zitternd flüsterte Lucius zurück: „Meine Simach, meine süße liebe Simach. Ich hatte solche Angst, dich nie wieder zu sehen.“ Dann hielten sie sich einfach nur fest. „Na kommt, ihr Turteltauben.“, grinste Clelia frech. „Wir gehen erst mal zu meinem Vater und sagen ihm, dass es ab heute noch ein Maul mehr zu stopfen gibt. Hier zu bleiben ist das Beste, was ihr erst mal tun könnt, denn unser Hof steht unter dem Schutz der Einhörner.“ Lucius und Simach nickten und folgten ihr.

Jenna hatte mich mit in den Konferenzraum genommen. Als wir uns hingesetzt hatten, begann Zirell: „Wir haben einen SITCH von der Regierung der Föderation der vereinten Planeten bekommen. IDUSA, stelle das Gespräch auf den Hauptlautsprecher.“ Der Stationsrechner führte ihren Befehl aus. Auf dem Schirm erschien laut Joran, der mir das Bild flüsternd beschrieb, das Gesicht von Präsidentin Nugura. Aber einer Beschreibung hätte es gar nicht mehr bedurft, denn ich konnte an ihrer Stimme sehr gut hören, wie verzweifelt sie war. „Bitte, helfen Sie uns.“, begann sie. „Irgendwas ist im Dunklen Imperium gewaltig schief gelaufen. Bisher haben wir die Berichte nicht glauben wollen, denen nach Logar von seiner Macht korrumpiert wurde und das alles verursacht haben soll. Das tun wir auch jetzt nicht wirklich, obwohl die Fakten scheinbar etwas anderes sagen. Techniker Mc’Knight ist doch eine Expertin für Interdimensionalphysik. Wir werden ihr die Ergebnisse unserer Forschungsschiffe schicken. Wir wären ihr sehr verbunden, wenn sie etwas anderes herausfinden würde.“ „IDUSA, Stummschaltung.“, befahl Jenna erregt. Dann riss sie sich aber wieder zusammen und sagte zu Maron: „Ich werde die Ergebnisse nicht schönen, Sir!“ „Habe ich mit irgendeinem Wort gesagt, dass Sie das sollen, Jenna?“, fragte er. Sie schüttelte den Kopf.

Dishan saß vor seinem Haus auf einem Stein, als Nedrach, seine Ehefrau an ihn herantrat. „Du bist betrübt, mein Ehemann.“, stellte sie fest und setzte sich neben ihn. Als auf ihren Versuch, ein Gespräch zu beginnen, keine Antwort erfolgte, bohrte sie weiter: „Was ist heute schief gelaufen? Ich war nicht dabei. Ich war im Tempel mit meinen Schwestern. Der Priesterinnenorden darf ja nie dabei sein, wenn ihr Telepathenjäger ausrückt. Also, was ist geschehen?“ Dishan war ob ihrer Hartnäckigkeit etwas genervt und versuchte so zu tun, als würde er sich in das Fütterungsritual vertiefen, aber Nedrach durchschaute ihn. „Das kannst du mir nicht erzählen, Dishan.“, lächelte sie. „Ohne ein Energiefeld ist das Fütterungsritual sinnlos. Du denkst doch nicht wirklich, dass du eine ausgebildete Priesterin derart narren kannst.“ Er spürte, dass er ihr nicht entkommen würde. Deshalb erwiderte er: „Sie ist nicht zufrieden.“ „Wer ist nicht zufrieden, mein armer gebeutelter Dishan.“, fragte Nedrach mitleidig. „Unsere Gebieterin meint, was wir aus dem Föderationsuniversum mitgebracht haben, sei nur Energie für den hohlen Zahn. Sie brauche etwas Stärkeres, aber sie lässt uns weder Zeit, die Energie durch das Fütterungsritual zu vermehren, noch schickt sie uns an Orte, wo wir stärkere Energie finden könnten.“ „Aber diese Energie könntet ihr doch auch selbst finden. Nehmt eure Schiffe und fliegt in irgendeine verdammte Dimension, wo es Telepathen en mass gibt. Was ist zum Beispiel mit Tindaria?“ So nennen die Vendar die Dimension der Beschützer. „Die Dimension ist abgeriegelt.“, sagte Dishan. „Wir können sie aus dem Tenjaâl nicht anfliegen. Es gibt einen schier undurchdringlichen Schleier und andere Dimensionen mit Telepathen gibt es schon fast nicht mehr, weil unsere Gebieterin entweder die, die sich gegen sie gestellt haben, selbst ausgelöscht hat, oder wir alle durch Aussaugen getötet haben.“ „Nicht alle.“, tröstete Nedrach. „Was ist mit den Einhörnern?“ „Denke auch nicht nur im Traum daran, Frau.“, entrüstete sich Dishan. „Unsere Gebieterin selbst traut sich nicht an die heran. Sie haben ihre Macht vereint und sind dadurch mindestens so stark wie sie. Lucilla will, dass wir auf jeden Fall die Finger von ihnen lassen.“ Nedrach lachte schmutzig. „Wer redet denn auch gleich von der ganzen Herde? Es würde ja schon eins reichen. Du musst wissen, vereinzelt sind sie lange nicht so stark und schon gar nicht die Fohlen. Du weißt, Ehemann, an sich gebe ich nicht viel auf das Geschwätz bäuerlicher Waschweiber am Dorfbrunnen, aber du glaubst gar nicht, was ich heute erfahren habe. Valora, die Führerin der Einhornherde, soll einem hübschen Einhörnlein das Leben geschenkt haben. Wenn es euch gelingt, das Fohlen von seiner Mutter zu trennen und dem schutzlosen Wurm dann seine Energie zu nehmen, könntet ihr sie Lucilla geben. Vielleicht reicht das ja schon.“ Dishan horchte auf. „Wie denkst du dir, sollen wir das anstellen?“ „Geh zu Lucilla und lass dir und deinen Männern von ihr Pferde geben. Dann erweckt ihr bei den Einhörnern nicht so leicht Verdacht. Außerdem könnt ihr euch dann in der gleichen Weise wie sie bewegen und seid flexibler. Die einzige Technologie, die ihr mitnehmen werdet, werden eure Energiewaffen sein. Damit schießt ihr Mündung an Mündung und bildet so eine undurchdringliche Feuerwand, vor der das kleine dumme unerfahrene Wesen sicher Angst haben wird. Dann treibt ihr es in die Enge und du oder einer deiner Männer holt sich seine Energie.“ Dann wandte sie einen bestimmten Fingergriff an Dishans Nacken an, ließ ihre Hand einige Minuten in dieser Stellung und schaute konzentriert auf einen Punkt.

Nach einer Weile sagte sie: „Deine Sifa ist in ihrer Ruhephase zwischen zwei Zyklen. Aber die wird spätestens morgen vorbei sein. Gesundheitlich stünde dem, dass du dir selbst die Energie holst, nichts im Wege.“ „Was tun wir, wenn Lucilla auf den Geschmack kommt und die Energie eines erwachsenen Einhorns haben will?“, fragte Dishan. „Darüber lass mich nachdenken, wenn es so weit ist. Manchmal sind Lucilla und du euch sehr ähnlich. Beide wollt ihr immer alles auf einmal.“

Ishan war mit seinem Latein am Ende. Er hatte sich mit Zirell in deren Bereitschaftsraum getroffen, um Dirans Situation mit ihr zu besprechen. „Er schafft es nicht.“, sagte der Android nüchtern. „Meinen Berechnungen zufolge bräuchte Tolea das Doppelte an Fütterung, das Diran ihr geben kann, nur um wieder stabil zu werden. Diran kann sich aber nur eine begrenzte Zeit voll konzentrieren. Diese Zeitspanne wird immer kürzer, weil er immer erschöpfter wird. Er hat bereits seit acht Stunden ununterbrochen das Ritual durchgeführt. Normal sind dafür höchstens zwei. Wirklich nützen kann es schon lange nicht mehr, aber IDUSA und ich manipulieren die Werte, damit er zumindest das Gefühl hat, etwas zu tun. Seit dem ich in diesem Körper bin, sprechen IDUSA und ich ja die gleiche Sprache und ich kann Dinge mit ihr absprechen, ohne dass jemand anders uns versteht.“ „Das du flunkern kannst, überrascht mich.“, sagte die Tindaranerin. „Ich habe immer geglaubt, Androiden können das nicht.“ „Du darfst nicht vergessen, Zirell, was für eine Art Android ich bin.“, antwortete die künstliche Lebensform. „Wahrscheinlich ist mir diese Fähigkeit noch aus meinem vorherigen Leben geblieben. Außerdem bin ich Arzt und weiß daher, wann eine kleine Flunkerei dem Seelenleben meines Patienten gut tun könnte.“ Zirell lächelte konspirativ.

Joran hatte Diran auf der Krankenstation besucht und war danach zu Jenna, Minor und mir zurückgekehrt. Jenna empfing ihn mit einem verführerischen Blick und versuchte, ihn zu umarmen mit den Worten: „Wenn dies schon eine unserer letzten Nächte ist, dann sollten wir sie nicht nur zum Schlafen nutzen.“ „Oh la la.“, flüsterte Minor mir zu. „Die Dame ist in Paarungsstimmung.“ „Minor!“, tadelte ich ihn peinlich berührt.

Joran schob sie sanft aber bestimmt von sich. „Nein, tut mir Leid, Telshanach. Ich kann nicht.“ „Kannst du wenigstens meine Gehirnzellen ordnen?“, fragte sie. „Tut mir Leid, aber du wirst heute Nacht mit Chaos im Kopf denken müssen.“, war seine Antwort.

Sie sah ihn mit festem Blick an und fragte schließlich: „Was ist los? Was hast du auf der Krankenstation gesehen?“ Dabei bekam ihre Stimme einen richtig strengen Charakter, den ich sonst nicht kannte. „Es ist Diran, stimmt’s.“, verhörte Jenna ihn weiter. „Alle Vendar-Kinder kommen mit diesem Wissen auf die Welt.“, platzte es schließlich aus Joran heraus. „Alle wissen schon von frühester Kindheit, dass Unfähigkeit nicht akzeptiert wird, solange man eigentlich noch im praktizierfähigen Alter ist. Diran hat längst durchschaut, dass Ishan und IDUSA die Werte ändern. Das hat er mir gesagt. Unfähige Vendar werden aus der Gesellschaft ausgestoßen. Ich habe angeboten, ihm zu helfen und ihn abzulösen, aber einen Transport von seiner in meine Sifa würde Tolea nicht überleben. Ihr Geist ist für ein Beaming zu instabil und eine natürliche Übertragung zwischen zwei Vendar ist nicht möglich. Niemand weiß, warum das so ist.“ „Stimmt nicht.“, entgegnete Jenna, die in diesem Moment einen Geistesblitz hatte. „Hol mal deinen Erfasser, dann werde ich dir zeigen, warum das so ist. IDUSA, repliziere mir zwei kleine Magneten.“

Joran atmete auf. Sie würde eine Lösung finden, das spürte er. Er hatte zwar keine Ahnung, was sie ihm zeigen wollte, aber er konnte langsam nachvollziehen, wie sich Agent Maron immer dann fühlte, wenn sie diese ungewöhnlichen Wege beschritt, um eine physikalische Tatsache anschaulich zu machen. Der Vendar hatte den Demetaner dann des Öfteren beobachtet und seinen Gesichtsausdruck nach näherer Kenntnisnahme der terranischen Kultur mit dem eines kleinen Jungen unter dem Weihnachtsbaum gleichgesetzt. Jetzt ertappte er sich dabei, das gleiche Gesicht zu machen.

 

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