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Jenna kam zurückgewuselt und präsentierte die beiden Magnete. „Achtung, Joran.“, sagte sie. „Sobald ich sage, scannst du das Feld zwischen den Magneten mit dem Erfasser. Dabei hielt sie die Magnete so, dass sich beide Südpole anschauten. Natürlich stießen die Magnete sich ab. Als Jenna sie näher zusammen brachte, fluktuierte das Feld entsprechend, denn ein Wellenberg passt bekanntlich nicht auf einen Wellenberg. Deshalb wird jede Materie, die an so einem Feld hängt, weggedrückt. „Ganz schönes Hin und Her, nicht wahr?“, erkundigte sie sich. „Auch ihr seid im Prinzip wie die gleichen Pole eines Magneten. Die Telepathiezentren eurer Gebieter sind genau gegenläufig zu eurer Sifa gepolt. Deshalb könnt ihr ihnen Energie geben. Meiner Theorie nach könnte telepathische Energie zwischen zwei Vendar-Sifas aber nur genau so …“ Joran ließ den Erfasser sinken, bekam ein Lächeln auf den Lippen und rief: „Oh, Telshanach!“ Damit war er aus der Tür.

Zur Krankenstation!, dachte er. Der Weg kam ihm wie ein stundenlanger Fußmarsch vor. Dabei war die Krankenstation nur um ein paar Ecken.

Ishan erklärte sich nur widerwillig mit dem Experiment einverstanden, denn weder IDUSA noch er hatten entsprechende Daten. Kein Wunder, Jennas Theorie war ja auch ganz frisch. „Diran, höre.“, sagte Joran fest, als er das Krankenzimmer seines langjährigen Kampfgefährten betrat. „Meine Telshanach sagt, es gibt einen Weg, wie wir Tolea gemeinsam füttern können. Du musst tun, als wolltest du sie mir übertragen. Das wird zwar nicht funktionieren, aber sie wird zwischen uns hin und her Pendeln. Jeder von uns hat dann eine Sekunde, um sie zu füttern. Das reicht ja, um sich vorzustellen, dass man ihr einen Löffel der eigenen geistigen Energie gibt.“ Diran kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass Widerspruch zwecklos war, wenn dieser sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte und es mit einer solchen Begeisterung vortrug. Deshalb nahm er bereitwillig Jorans Hände und tat, was dieser verlangt hatte.

Beide wurden von einem starken Kribbeln und einem rauschartigen Zustand durchzogen. Sie spürten aber auch, als sie endlich den richtigen Rhythmus für das Fütterungsritual gefunden hatten, dass sich Tolea stabilisierte. „Lass mich bitte nicht los.“, bat Diran. „Ich lasse dich nur dann nicht los, wenn du das auch nicht mit mir machst. Zumindest nicht, bevor wir uns beide nicht mehr konzentrieren können.“, erwiderte Joran. Dann gaben sich beide völlig ihrem Vorhaben hin.

Wie viel Zeit vergangen war, als Diran und Joran völlig verschwitzt und erschöpft einander wieder los ließen, wussten sie nicht. Tolea war wieder in Dirans Sifa, aber sie war jetzt stabil. Ishan staunte angesichts der Ergebnisse seiner Untersuchung. Er hatte aber noch etwas festgestellt. „Dein Sifa-Zyklus.“, begann er an Diran gewandt. „Ist anscheinend zu Ende. Ihr scheint Tolea tatsächlich gesund gemacht zu haben.“ Diran verzog das Gesicht, denn da war er, der Kopfschmerz, der das Ende des Sifa-Zyklus ankündigte und das Verlangen zur Übertragung gesellte sich auch gleich dazu. Joran stützte seinen Freund in Richtung des Biobettes, auf dem Toleas Körper lag. „Lass es mich bitte einmal versuchen.“, wandte sich Diran an Ishan. „Falls es nicht geht, weil meine Konzentration nicht mehr ausreicht, kannst du ja mit deinem Transportgerät eingreifen.“ Ishan nickte.

Entgegen seiner eigenen Befürchtungen fiel Diran die Übertragung sehr leicht. Ob dies an Toleas eigenem Willen lag, ihren Körper wieder in Besitz zu nehmen, konnte er nicht sagen. Dann schlug Tolea die Augen auf. Sofort erkannte sie Diran, der sich vor ihrem Biobett auf die Knie warf. Im gleichen Moment betrat auch Jenna, die unbedingt wissen wollte, was da vor ging, die Krankenstation.

Tolea setzte sich auf und fragte: „Diran, Was ist geschehen?“ „Ihr seid auf einer Basis der Tindaraner, Gebieterin.“, antwortete der Vendar. „Das weiß ich.“, lächelte Tolea. „Ich meine, wer hat mich gesund gemacht?“ „Das, Tolea, haben Sie nur den Beiden hier zu verdanken.“, ergänzte Jenna stolz aus dem Hintergrund. „Sie irrt, Gebieterin.“, sagte Joran. „Jenna Mc’Knight ist eine glorreiche Kriegerin der Wissenschaft, deren Schwert und Schild Naturgesetz heißt. Ohne sie hätten wir …“ „Nicht so bescheiden, du Held.“, meinte Jenna. „Ich hatte keine Ahnung, was du vorhattest.“ „Trotzdem ist dir der entscheidende Streich gelungen, Telshahnach. Als du an unserer Seite in die Schlacht um Toleas Leben getreten bist, musste der Tod sich ergeben.“, sagte Joran fast ehrfürchtig. „Ich habe gar nichts gemacht.“, erwiderte Jenna. „Aber ihr zwei beiden solltet erst mal ein Bad nehmen. Ihr seht nämlich mit eurem zerzausten und klebrigen Fell aus, als hättet ihr in Spaghetti gebadet.“ Joran und Diran folgten ihrer Aufforderung.

„Was soll ich?“, fragte Lucilla aufgebracht, als Dishan den Plan seiner Frau an sie herantrug. „Bedenkt, Gebieterin, dass Ihr so Eure Macht sehr stärken könnt. Ihr könntet dann vielleicht auch endlich den Schöpfungsakt vollziehen.“, antwortete Dishan. Im Gegensatz zu Simach hatte er nicht verstanden, dass es immer eines Plus- und eines Minuspols bedurfte, damit die Dimensionen existieren konnten, beziehungsweise überhaupt erst entstanden. Lucilla aber fühlte sich von der Aussicht, bald die Macht der Einhörner zu besitzen, derart geschmeichelt, dass sie einwilligte.

Nedrach hatte ihrem Mann die Zugroute der Einhörner genau genannt. Als Priesterin der Vendar verfügte sie über dieses Wissen. In einem Versteck auf einer Anhöhe warteten Dishan und seine Männer. Alle hatten ihre Phaser im Anschlag. Der Plan war, das Einhornfohlen zu erschrecken, es von seiner Mutter zu trennen und dann, in einem Talkessel in der Nähe, in den sie es treiben würden, würde Dishan ihm seine Energie nehmen.

Lange Zeit geschah nichts. Dishan befürchtete schon, seine Frau habe ihm falsche Informationen gegeben, als ein junger Novize ihn plötzlich anstieß. „Anführer.“, flüsterte er. „Ich höre Schellen, aber sehe noch nichts.“ „Welche Richtung?“, fragte Dishan fast geifernd. Der Novize zeigte nach Süden. Dishan drehte sich dort hin und sah bald die Hörner, das hervor stechenste Merkmal der Einhörner, in der Ferne. „Sie kommen.“, stellte er fest und befahl: „Auf die Pferde!“

In wilder Jagd preschten sie auf die Einhörner zu. Kaum in Sichtweite befahl Dishan: „Alle Mann Feuer!“ Gleichzeitig schossen alle in die Luft. Außer sich vor Angst sprang Valoras Fohlen aus der Herde und rannte weg. Es wollte einfach nur weg, dabei gelangte es aber leider, wie von Dishan beabsichtigt, in die Falle der Vendar. Der im Talkessel wartende Dishan war bereits hoch konzentriert und konnte aufgrund der bekannten Tatsachen trotz des instinktiv von dem armen Einhornfohlen aufgebauten mentalen Schildes sich dessen Energie bemächtigen. Er saugte das arme Wesen so sehr aus, dass es ohnmächtig zu Boden sank. „Das hätten wir.“, sagte er danach. „Zurück zum Palast. Das Vieh lassen wir hier liegen, stirbt ja eh bald.“

Von den dramatischen Vorgängen im Dunklen Imperium hatten wir nichts mitbekommen. Wir waren zu sehr damit beschäftigt, Jorans und Dirans neu entdeckte Fähigkeit zu feiern. „Sytania hatte uns nie wissen lassen, dass wir das können.“, erklärte mir Joran. „Klar.“, erwiderte ich. „Je dümmer sie euch hielt, desto bereiter wart ihr, ihre Befehle zu befolgen.“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. Allerdings konnte ich beobachten, dass er irgendwas ziemlich konzentriert zu tun schien. Auf Nachfrage erfuhr ich, dass er aus einem Teller Müsli alle Rosinen herauspulte. „Für wen machst du das?“, wollte ich wissen. „Für Jenna Mc’Knight.“, antwortete er. „Sie mag keine Rosinen.“, „Ist das zu fassen.“, lächelte ich. „Ich auch nicht.“

Maron setzte sich zu uns an den Tisch. „Was für ein Umstand.“, sagte er mit oberlehrerhaftem Ton. „Warum bestellst du nicht einfach eins ohne Rosinen. Warte, ich mache es dir vor. IDU’SA, repliziere eine Schale Müsli ohne Rosinen.“ IDUSAs Replikator führte den Befehl aus. Verächtlich sah Joran an der ihm von Maron präsentierten Schale vorbei. „So etwas tun nur Waschlappen, Agent Maron!“ Seine direkte Art war der Demetaner, der seiner Stellung nach Jorans Vorgesetzter war, von ihm gewohnt. Wie alle Vendar war eben auch Joran, Witwer von Namach, sehr direkt.

Nach Luft jappend wandte sich Maron schließlich mir zu. „Allrounder Betsy.“, begann er und zückte ein Pad. „Commander Zirell hat mich beauftragt, in der Sache mit dem Geniestreich zu ermitteln. Ich soll herausfinden, ob Joran da allein drauf gekommen ist, oder, ob Jenna nachgeholfen hat, wie Joran behauptet. Also, was haben Sie gesehen?“ „Tja, ich, ääähm.“, stammelte ich. „Sprich die Wahrheit ruhig ohne Furcht aus, Allrounder Betsy.“, sagte Joran. „Egal, wem sie nützt.“ „Na gut.“, sagte ich. „Jenna hat Joran zwar die Sache mit dem Magnetismus erklärt, aber dann hat er ganz aufgeregt unser Quartier verlassen. Sie hat mit keinem Wort erwähnt, dass er etwas so oder so machen soll. Sie hat die Polung seiner Sifa lediglich mit der eines Magneten verglichen.“

Maron ging zu Zirells Tisch hinüber. „Die Aussage der Zeugin stützt eindeutig Mc’Knights Version, Zirell.“, sagte er. „Darauf gekommen scheint Joran ganz allein zu sein. Sie hat vielleicht den Anstoß geliefert, aber zu Ende gedacht hat Joran das ganz allein.“ „Interessant.“, sagte die Tindaranerin zufrieden.

Dishan und seine Leute waren wieder im Palast angekommen. „Schläft unsere Herrin bereits.“, wollte Dishan vom Torwächter wissen. „Ja, sie schläft.“, antwortete dieser. „Dann lass sie wecken.“, erwiderte Dishan. Ich habe etwas, das sie bestimmt für ein paar Minuten verlorenen Schlafs entschädigen wird.“ Der Wächter hatte von der Sache mit den Einhörnern gerüchteweise gehört. „Hat es etwa funktioniert?“, fragte er. Dishan nickte mit stolz geschwellter Brust. „Dann wecke ich sie sofort persönlich.“, sagte der Torwächter, winkte einem anderen Soldaten, seinen Posten einzunehmen und verschwand im Schloss.

Wenige Minuten später wurde Dishan zu seiner Gebieterin vorgelassen. „Ist das wirklich wahr, was ich von dir spüre?“, fragte Lucilla mit einem giftigen Leuchten in den Augen. Dishan nickte. „Dann gib mir die Energie.“, geiferte Lucilla. Dishan nahm ihre Hände und konzentrierte sich auf ihr telepathisches Zentrum.

Nach der Übertragung sah Lucilla mehr als zufrieden aus und Dishan erfreut an. „Das war unglaublich, Dishan.“, sagte sie langsam, aber erfreut. „Ach, davon muss ich mehr haben, viel mehr. Du musst unbedingt versuchen, mir die Energie eines erwachsenen Einhorns zu besorgen.“ „Wie das, Gebieterin?“, fragte Dishan. „Da fällt dir oder deiner kleinen Frau doch sicher etwas ein, nicht wahr? Ich habe gehört, das mit dem Fohlen war auch Nedrachs Idee. Ich überlege, ob ich sie nicht zu meiner Vertrauten mache, jetzt, wo mich Simach so schändlich im Stich gelassen hat.“, sagte Lucilla.

Dishan überlegte. Seine Frau in der Stellung der Vertrauten ihrer gemeinsamen Gebieterin würde auch seine Stellung bei Hofe verbessern. Deshalb sagte er: „Ich werde gleich morgen mit Nedrach darüber sprechen.“

Das Einhornfohlen hatte sich wieder aufgerappelt und verzweifelt versucht, seine Mutter zu finden, was ihm aber leider nicht gelungen war. Stunden war es jetzt allein und hilflos herumgeirrt. Endlich hörte es eine vertraute menschliche Stimme. Sie gehörte Clelia, deren Stimme es ja schon öfter gehört hatte. Clelia hatte nämlich die Angewohnheit, bei der Arbeit zu singen. Von alten imperianischen Volksweisen über gängige Minnelieder bis zu einigen Tanzstücken, wie sie in den Wirtshäusern rund um das Dorf gespielt wurden, hatte sie alles Mögliche drauf.

Durch das nervöse Scharren der Hufe ihres Ackergauls wurde sie schließlich auf das Fohlen aufmerksam, das entkräftet am Rande ihres Feldes zusammengebrochen war. Vorsichtig schritt sie hinüber. „Um Himmels Willen!“, rief sie. „Ein Einhornfohlen! Bei allen Göttern, du armes Kleines! Was ist denn mit dir passiert?“ Durch ihr lautes Rufen waren jetzt auch Simach und Lucius aufmerksam geworden und hinzugetreten. Simach beugte sich ebenfalls zu dem jungen Einhorn herunter und betrachtete es. Dann stellte sie sich wieder auf und sagte mit hasserfülltem Blick: „Ich weiß, wer das war. Das waren Vendar. Sie haben ihm all seine Energie genommen und es ist fraglich, ob es sich je wieder erholt. Clelia, bitte hol’ deinen Vater. Wir sollten es zunächst in euren Stall bringen und dort versorgen. Vielleicht kann ihm ja noch einmal geholfen werden.“ Clelia nickte und rannte davon.

„Sie will die Energie eines erwachsenen Einhorns.“, erklärte Dishan seiner Frau. „Du hast gesagt, du würdest darüber nachdenken, wenn es so weit ist. Jetzt ist es so weit.“ Nedrach lächelte verbrecherisch. „Ruhig Blut, mein eiliger Ehemann.“, sagte sie listig. „Es gibt hier in der Nähe einen Bauernhof. Der steht unter dem Schutz der Einhörner. Deshalb wird die kleine Tochter des Bauern sicher vorschlagen, dass sie, Simach und Lucius sich in den Wald der Einhörner begeben. Lucius ist Rekrut in Logars Armee gewesen. Er weiß, dass normalerweise kein Sterblicher den Wald betreten kann, ohne des Todes zu sein, es sei denn, die Einhörner erlauben es. Bei ihm hätte man die größte Chance, Angst und Zweifel zu sähen. Das müsste allerdings unsere Gebieterin telepathisch tun. Aber, das kriegst du ihr schon beigebracht. Wenn sie von euch verlangt, ihr die Energie von so mächtigen Wesen zu besorgen, muss sie sich schon selbst ein wenig nach der Decke strecken. Wenn der Junge nicht folgt, wird Valora ihn holen wollen und schon entfernt sie sich von ihrer Herde. Dann ist sie vereinzelt und ihr habt jede Chance.“ Dishan nickte und lächelte ihr zu. Dann berichtete er Lucilla, die sich einverstanden erklärte.

Zirell hatte uns alle in die Kommandozentrale gerufen. Jenna hatte zwischenzeitlich die Berichte von der Föderation durchgeackert. Sie war aber zu keinem besseren Ergebnis gekommen, als die Regierungswissenschaftler selbst. Bei einem Bericht von Commander Peter Time war sie allerdings hängen geblieben. Die Electronica war anscheinend einer neuen Mächtigen begegnet und die hatte sich mit Times Leuten angelegt. Die Rosannium-Waffen hatten allerdings bei ihr nur leichte temporäre Kopfschmerzen ausgelöst. Den Berechnungen von Techniker Cenda Nia und Warrior Shorna sowie Scientist Ketna zufolge bräuchte man, um sie zu besiegen, so viel Rosannium, wie kein Schiff tragen konnte und man auch nicht so schnell im gesamten Universum zusammenkratzen könne. Diese Tatsache hatte Jenna sehr besorgt.

Wir warteten noch auf Shannon, die mal wieder dabei war, kräftig zu spät zu kommen. „Wir sollten nicht ohne sie anfangen.“, beschloss Zirell. „Sonst muss ich alles doppelt und dreifach erzählen.“ Ich beschloss, die Zeit zu nutzen, um zwischen Maron und Joran zu vermitteln. Die beiden würden wohl noch eine ganze Weile zusammenarbeiten müssen und deshalb hatte ich das Gefühl, wegen der Sache mit dem Waschlappen zwischen ihnen vermitteln zu müssen. „Sir.“, wandte ich mich dem demetanischen Agenten zu. „Sie wissen, wie direkt Vendar sind. Joran ist halt sehr wahrheitstreu. Ich bin sicher, er hat es nicht persönlich gemeint und Ihre Autorität wollte er sicher auch nicht untergraben. Außerdem mag ich Waschlappen. Besonders im Gesicht und besonders den von Mausi.“ Meinen letzten Satz hatte ich eher als Scherz gemeint. „Ach, Allrounder.“, erwiderte Maron. „Es ist doch schon wieder in Ordnung. Genau die Dinge, die Sie gerade angesprochen haben, weiß ich doch längst und Joran weiß, dass wir Demetaner eher pragmatisch den einfacheren Weg nehmen würden, wo hingegen ein Vendar-Krieger sich lieber an der Rosinenfront beweist und gegebenenfalls auch heimischen Ärger in Kauf nimmt. Aber die Versöhnung ist doch immer am Schönsten, selbst, wenn man mal eine Rosine vergessen hat. Nicht wahr, Joran?“ Der Vendar nickte und meinte dann leise: „Du bringst mich vielleicht auf Ideen, Agent Maron.“

Shannon betrat den Raum und hatte eine (entschuldigt den Ausdruck) Scheißlaune. Während des Durchsehens der Berichte hatte sie ihrer Vorgesetzten über die Schulter geschaut und ebenfalls die furchtbaren Dinge gesehen. Missmutig setzte sie sich in unsere Mitte. Minor, der mich begleitet hatte, ging zu ihr und versuchte, sie aufzuheitern. „Na, Shannon, kann ich nicht toll schnurren?“, fagte er. „Ja, ja.“, meinte Shannon genervt. „Ich finde, dein Schnurren klingt wie eine Symphonie.“ „Wirklich?“, entgegnete Minor. „Ja.“, sagte die Irin. „Wie Beethovens Unvollendete.“ Traurig sagte Minor: „Entschuldigt mich.“ Dann verließ er den Raum. „Sagen Sie mal, was war denn das, Assistant.“, sagte Jenna streng. „Er versucht, Sie zu erfreuen und was machen Sie? Na ja, wenn diese Konferenz vorbei ist, müssen wir zwei ja sicher IDUSA warten. Arbeit hat bisher jede schlechte Laune kuriert.“ Shannon nuschelte eine Entschuldigung. Jetzt betraten auch Diran und Tolea den Raum. „Nee.“, stöhnte Shannon. „Hey, Diran, hättest du deine Herrin nicht zu Hause lassen können?“ Shannons Verhältnis zu Mächtigen war seit ihrer ersten Erfahrung mit Sytania sehr gestört.

„OK.“, jetzt mal alle Mann zugehört.“, begann Zirell. „Ihr wisst, dass die Dimensionen vor dem Aus stehen. Tolea hat uns noch etwas zu sagen.“ Dann trat sie demonstrativ ein paar Schritte zurück, um für die Bewohnerin des Raum-Zeit-Kontinuums Platz zu machen. Tolea ging an den Platz, an dem Zirell vorher gestanden hatte und sagte: „Was los ist, wisst ihr ja bereits. Die neue Mächtige, mit der wir es hier zu tun haben, heißt Lucilla und ist ein Geschöpf Logars. Sie ist abgrundtief böse. Viel böser, als es Sytania je war. Sie hat Logar getötet, weil sie neben sich niemanden akzeptiert. Auch alle anderen Mächtigen hat sie entweder selbst getötet, oder sie sind gestorben, als ihre Vendar ihnen all ihre Energie ausgesaugt hatten. Das hat sie viel stärker gemacht, als ihr es euch vorstellen könnt. Ich selbst werde nicht so verrückt sein und mich mit ihr anlegen. Aber ihr könntet es schon.“ Sprach's und war einen weißen Blitz später mit samt Diran und dessen Schiff wieder in ihre Dimension, oder besser in das, was davon noch übrig war, verschwunden.

„Oh, ich hasse Rätsel! Ihr könnt euch gar nich’ vorstellen, wie sehr ich Rätsel hasse!“ Shannons Reaktion ließ uns alle aufhorchen. „Die Welt geht diesen Mittwoch unter und sie macht daraus ’n Spielchen. Typisch. Aber was will man erwarten. Sie is’ ’ne Mächtige. Wo denen unser Leben vorbei geht, möchte ich jetzt gar nicht sagen, weil ich dann sofort wieder einen drauf kriege. Aber, ich hab’s ja schon immer gewusst. Denen kann man nicht trauen. Tolea is’ genau so. Hinten rum tut s’e scheißfreundlich, aber dann …“ „Sind sie fertig, Assistant.“, schnippte Jenna zurück. „Eigentlich nich’, Jenn’.“, antwortete Shannon. „Aber bitte.“

Jenna räusperte sich und ging festen Schrittes in die Mitte des Raumes. „Ist euch aufgefallen, dass sich der ganze Untergangsprozess verlangsamt hat.“, wendete sie sich an uns alle. Geschlossen nickten wir. „OK.“, sagte Jenna weiter. „Das liegt daran, dass Lucilla wahrscheinlich eine Neuschöpfung aller Dimensionen versucht. Aber das kann ihr nicht gelingen, so lange sie keinen Gegenpol hat, der ihre Heimatdimension, mit der sie verbunden ist, mit ihr stabilisiert. Das begreift sie nur nicht. Deshalb hat sie sich so viel Energie geholt. Sie glaubt, sie sei nicht stark genug für den Schöpfungsakt, aber da irrt sie. Ihr bleiben nur zwei Möglichkeiten. Entweder, sie schafft sich einen Gegenpol, oder sie löscht ihre eigene Existenz aus, und zwar so, dass sie nie geboren würde. Andernfalls kriegt sie das hier nie in den Griff.“ „Schwachsinn!“, quietschte Shannon dazwischen. „Die Frau müsste doch allmächtig sein.“ „Wieso schafft sie dass nicht?“ „OK.“, seufzte Jenna. Aufgepasst.“ Damit kramte sie in ihren Taschen. Joran, der ahnte, was jetzt kam, stieß Maron vorsichtig den Ellenbogen in die Seite. „Hab Acht, Agent Maron.“, flüsterte er. Gleich tut sie es wieder.“ Beide machten ein Gesicht wie zwei Jungen kurz vor der Bescherung an Weihnachten.

Nach einigen Sekunden, die Maron und Joran wie eine Qual vorgekommen sein mussten, hatte Jenna anscheinend endlich gefunden, was sie suchte. Cool sagte sie: „Ganz ruhig, Jungs, jetzt kommt die Bescherung. Sir, würden Sie bitte mal zu mir nach vorn kommen?“ Tänzelnd kam der Demetaner der Bitte seiner terranischen Untergebenen nach. Jenna gab Maron einen der beiden Magnete in die Hand. Dann sagte sie: „So, Agent. Sie halten jetzt den stabilen Minuspol. Ich lege den anderen Magneten jetzt hier auf den Tisch. So, jetzt gehen Sie mal mit Ihrem drüber.“ Jenna hatte die Plus- und Minuspole der Magneten gut sichtbar beschriftet. Ich hörte ein metallisches Klicken, das mich sofort schließen ließ, dass der Minuspol von Marons Magneten den Pluspol des anderen angezogen haben musste. „Also, Agent.“, fragte Jenna. „Was will ein Minuspol?“ „Einen Pluspol.“, antwortete der Demetaner. „Richtig.“, bestätigte Jenna. Sie wollte noch weiter reden, aber Maron schnitt ihr das Wort ab: „Sagen Sie nichts, Mc’Knight. Ich glaube, ich verstehe schon. Deshalb ist Lucilla auch böse. Zum Zeitpunkt ihrer Schöpfung ging es ihrem Schöpfer, Logar, noch gut. Er stellte einen stabilen Pluspol dar. Es gab aber keinen Minuspol mehr, weil Sytania zu diesem Zeitpunkt schon tot war. Deshalb wurde Lucilla zu einem Minuspol. Dann tötete sie Logar, also den Pluspol, weil sie allein herrschen wollte. Sie muss noch viel böser sein, als Sytania es je war. Sytania hat aus Notwendigkeit ihren Vater neben sich akzeptiert und was er anfasste, war stabil, weil er selbst stabil war, aber Lucilla …“ „Chapeau, Sir.“, sagte Jenna und klatschte in die Hände. „Das liegt nur an Ihrer guten Illustration, Mc’Knight.“, lobte Maron. Shannon machte einen Witz bezüglich Major Carter aus ihrem Unterhaltungsschmöker.

„Na dann.“, sagte Zirell. „Jemand sollte ihr das mal beibringen und im Dunklen Imperium nach dem Rechten sehen. Jenna, Shannon, ihr bereitet IDUSA vor. Joran, du und Agent Maron nebst unserer zweiten Sternenflottenoffizierin hier, ihr trefft die beiden später an der Shuttlerampe. Von uns kann euch leider niemand begleiten, weil wir Tindaraner unsere eigene Dimension schützen müssen. Allrounder Betsy, Sie lassen Minor am Besten hier. Hier ist er am sichersten.“ Wir nickten alle bestätigend und Jenna und ihre Assistentin verließen den Raum.

Lucilla hatte Dishan noch einmal zu sich in den Palast bestellt. „Bevor du aufbrichst.“, begann sie mit einem süffisanten Lächeln. „Will ich dir noch ein paar Informationen geben, die mir durch den Kontaktkelch gerade zugeflossen sind. Auf dem erwähnten Bauernhof wird gerade kräftig diskutiert. Simach und Clelia wollen in den Wald der Einhörner, aber Lucius will nicht.“ „Daran seid Ihr doch nicht ganz unschuldig, Gebieterin, nicht wahr?“, fragte der Vendar schelmisch. „Nein, das bin ich nicht.“, antwortete Lucilla.

Dishan wollte schon gehen, aber Lucilla hielt ihn auf. „Warte.“, sagte sie. „Ich will ja nicht, dass sie euch sehen. Zumindest noch nicht.“ Dann sah sie konzentriert auf einen Punkt. Alsbald fuhr ein schwarzer Blitz durch den Raum und Dishan war nicht mehr zu sehen. „Ich habe dich und deine Männer jetzt unsichtbar gemacht. Erst, wenn die armen Einhörner in der Falle sitzen, mache ich das wieder rückgängig. Valora soll ja schließlich sehen, wer ihr ans Leder will.“, sagte Lucilla.

Wir waren an IDUSAs Einstiegsluke angekommen. Joran hatte mir einen Neurokoppler in die Hand gedrückt. „Ich finde, dir sollte die Ehre gebühren, uns ins Dunkle Imperium zu bringen.“, sagte er. „Wie stellst du dir das vor, Joran?“, fragte ich verunsichert. „IDUSA hat kein Spezialprogramm.“ „Macht nichts, Allrounder Betsy.“, sagte der Vendar und befahl dem Schiff, eine Reaktionstabelle von mir zu erstellen und zu laden.

Ich staunte nicht schlecht, als ich vor meinem geistigen Auge eine Frauengestalt sah, die vor einer Steuerkonsole saß. Sogar die Sensorenbilder zeigte IDUSA mir. „Flugschulmodus, IDUSA.“, befahl Joran. „Du wirst es doch bestimmt besser finden, Allrounder Betsy, wenn ich im Notfall eingreifen kann, nicht wahr.“, erklärte er sein Handeln. „In der Tat.“, erwiderte ich lächelnd. „Das ist mein Spruch.“, lächelte er freundlich zurück.

„Festhalten, Ladies and Gentlemen.“, sagte ich und dachte daran, IDUSAs Antrieb zu aktivieren. Die virtuelle Frau vor der virtuellen Steuerkonsole drehte einen virtuellen Schaltschlüssel um, worauf IDUSAs realer Antrieb zu surren begann. Auf ähnlichem Weg brachte ich uns auch von der Station fort. „Da werde ich mich wohl nie dran gewöhnen.“, stellte ich fest. „Das Problem haben viele Sternenflottenoffiziere, Allrounder Betsy.“, erwiderte Joran. „Agent Maron hat noch nie.“, „Musst du das jetzt erwähnen, Joran?“, fragte Maron von hinten.

„Sie kommen ja prima mit mir zurecht, Allrounder Betsy.“, hörte ich bald IDUSAs etwas blecherne Stimme. „Kann sein.“, gab ich zurück. „Aber ich bin heilfroh, dass Joran bei mir ist und wir im Flugschulmodus fliegen. So kann er dich abfangen, falls ich uns vielleicht vor einen Kometen setze.“ „Das wird nicht geschehen.“, erklärte sie. „Sie sehen mich ja auch vor sich, weil ich den direkten Nervenknoten in Ihrem Gehirn entsprechend stimuliere. Mit ihren Augen hat das hier ja nichts zu tun. Was meinen Sie, wollen wir jetzt mal interdimensional durchstarten, oder haben Sie dazu nicht den Mumm?“ „Das werde ich dir gleich zeigen, wo zu ich Mumm habe.“, erwiderte ich und dachte: IDUSA, interdimensionalen Antrieb aktivieren! Meinen Gedankenbefehl führte sie sofort aus. Ich sah eine Karte der interdimensionalen Schicht. Sogar die Beschriftungen an den schon kartographierten Falten konnte ich lesen. Eine kurze virtuelle Berührung auf dem virtuellen Touchscreen und wir waren dort.“ „Klasse.“, kommentierte Shannon meine Leistung. „Klasse in der Tat.“, bestätigte Joran.

„Also dann.“, begann Agent Maron, der dem Rang nach der kommandierende Offizier unseres Teams war. „Wir sollten schauen, dass wir Informationen bekommen, was hier genau passiert ist. Wir sollten alle runter gehen und …“ „Ne ne, Sir.“, sagte Shannon. „Ich gehe nicht in diese Geisterbahn von Dimension. Vor all diesen komischen Wesen hab’ ich tierisches Muffensausen. Außerdem traue ich keinem Telepathen, wie Sie wissen. Ich bleibe lieber hier an Bord von IDUSA. Ich mein’, mein Misstrauen würden die Telepathen eh spüren und Ihnen dann auch keine Infos geben. Ich wäre nur hinderlich.“ „Na gut, Shannon.“, sagte Maron, ohne zu ahnen, dass sie in Wahrheit etwas im Schilde führte.

In der Nähe von Logars Wolkenburg hieß Maron mich, IDUSA in eine höhere Umlaufbahn zu bringen, damit man sie auch in mondklaren Nächten vom Boden aus nicht sehen konnte. Dann beamten wir alle hinunter, bis auf Shannon.

Gespenstisch und nachtschwarz lag das Schloss da. Auf Marons Geheiß versteckten wir uns alle hinter einem Busch. Dann flüsterte Maron Joran zu: „Kannst du etwas erkennen?“ „In der Tat.“, flüsterte der Vendar zurück. Aufgrund seiner Körpergröße und der um etwa 40 % höheren Schärfe seiner Augen konnte Joran prima sehen, was im Schlosshof geschah. „Ich sehe eine Frau in Herrschergewändern.“, beschrieb er die Szenerie. „Sie trägt Logars Krone und Zepter.“ Maron hatte genug gehört. „Anscheinend.“, kombinierte er. „Hat tatsächlich die Schöpfung den Schöpfer getötet.“ „Was tun wir jetzt?“, fragte ich leise. „Wir sollten zu irgendeinem Bauern gehen und dort fragen, ob jemand etwas weiß.“, schlug Jenna vor. „Von den Adeligen werden wir keine Informationen bekommen. Die haben alle Angst vor Lucilla und davor, dass deren Vendar ihnen ihre Kräfte nehmen könnten, wenn sie etwas Falsches sagen. Die Bauern haben in der Hinsicht nichts zu verlieren.“ „Geht klar, Techniker.“, sagte Maron. Dann setzten wir uns leise in Bewegung.

„Sind sie weg, IDUSA?“, wollte Shannon von dem Schiff wissen. „Positiv, Shannon.“, lautete IDUSAs knappe Antwort. „Um so besser.“, sagte Shannon. „Such’ mir das nächste Wirtshaus und beam’ mich vor der Tür runter, aber nur, wenn keiner guckt.“ „Shannon.“, entfuhr es IDUSA. „Denken Sie bitte daran, dass Sie dienstlich hier sind. Sie können sich doch nicht einfach betrinken.“ „Oh doch.“, antwortete Shannon. „Das muss ich sogar, wenn ich zur Wahrheitsfindung beitragen will.“ „Also schön.“, meinte IDUSA. „Aber achten Sie darauf, dass Sie nicht zu viel trinken.“ „Ich bin Irin.“, antwortete Shannon zuversichtlich. „Weißt du, für was mein Volk bekannt ist?“ IDUSA konsultierte ihre Datenbank. „Die Iren, ein terranischer Volksstamm, sind für ihre Trinkfestigkeit bekannt. Also, Shannon, Sie vertragen schon einen Stiefel, nicht wahr?“ „Ich wusste, wir verstehen uns.“, lächelte Shannon. Dann drehte sie sich in Richtung Transporterplattform. „Halt.“, hielt IDUSA sie auf. „Wie wollen Sie irgendeinem Bauern die Informationen aus dem Kreuz leiern, wenn Sie ihm keinen ausgeben können. Ich habe bereits einiges an gängigen Zahlungsmitteln für Sie repliziert.“ Shannon hörte es im Auswurffach des Replikators kräftig klimpern. „Nun mal langsam, IDUSA.“, sagte sie. „Zur Millionärin machen musst du mich ja nicht gleich. Vielleicht habe ich ja Glück und es redet sogar einer gratis.“ „Sie setzen auf das sprichwörtliche Glück der Iren, habe ich Recht?“, fragte IDUSA. „Genau.“, meinte Shannon, während sie sich die Taschen füllte. „Warum wollen Sie das überhaupt tun?“, fragte IDUSA. „Ach.“, antwortete Shannon. „Ich will wider gut machen, was ich für’n Bockmist wegen Minor gebaut habe. Jenn’ hat mich ziemlich zusammengeschissen. Na ja, da hatte sie auch allen Grund zu. Habe mich echt fies benommen gegenüber dem armen Kätzchen. Was glaubst du wohl, was Jenn’ sagt, wenn ich ihr ’ne Info auf dem Silbertablett serviere.“ „Verstehe, Shannon.“, sagte IDUSA, suchte nach dem passenden Etablissement und beamte Shannon mit den Worten: „Guten Durst und gute Jagd!“ hinunter.

Von Shannons Vorhaben ahnte weder Jenna, noch Maron oder Joran etwas. Die Einzige, die ein komisches Gefühl hatte, war ich. Ich kannte Shannon zwar noch nicht lange, wusste aber, dass sie sich eigentlich nie darum riss, stinklangweilig an Bord eines Schiffes herumzusitzen. Auch, wenn dieses Schiff IDUSA hieß und ein Stück Beschützertechnologie war. Meine Versuche, die Anderen von meiner Theorie zu überzeugen, waren allerdings recht fruchtlos.

Shannon hatte das Wirtshaus betreten und stand nun in der Mitte zwischen einigen Tischen, an denen Dorfbewohner teils nur tranken, aber auch Karten spielten oder Verhandlungen mit angehörigen eines hier nicht näher zu beschreibenden Gewerbes nachgingen. Sie klatschte in die Hände. Dann sagte sie: „Alle mal hergehört. Ich heiße Shannon und verkaufe Informationen jeder Art an Gaukler und Minnesänger. Wer mir was Aufregendes zu sagen hat, kann es jetzt tun. Für denjenigen schmeiße ich sogar eins, zwei Runden, wenn’s genehm is’.“ Einige Bauern kratzten sich die Köpfe und schienen sich etwas überlegen zu wollen, denn die Aussicht auf einige spendierte Drinks und eine fette Belohnung ließ sie versuchen, sich etwas aus den Fingern zu saugen. Shannon aber bemerkte schnell, dass man sie veralbern wollte. „Ne ne, so nich’. Nich’ mit Tante Shannon. Verarschen lassen sich weder meine Auftraggeber noch ich. Man hat ja schließlich ’n Ruf zu verlieren. Was glaubt ihr wohl, was passiert, wenn die Lieder meiner Auftraggeber in der Luft zerrissen werden, weil irgend so ’n Schlauberger merkt, dass alles vorn und hinten nicht stimmt.“

Trochus, der Wirt, schaute jetzt auch hinter der Theke hervor und meinte: „Bevor du hier große Töne spuckst, Fremde, möchte ich erst wissen, ob du deine Versprechen auch einhalten kannst.“ „Willst wohl was vom Kuchen abhaben.“, grinste Shannon. „Von mir aus gern, hier bitte.“ Damit griff sie in ihre Taschen und holte Händeweise Taler heraus, die sie genüsslich auf die Theke klimpern ließ. Sie machte sich sogar die Mühe, sie einzeln nach ihrer Größe geordnet aufzustapeln. Dabei fühlte sie sich wie der Protagonist in dem alten irischen Volkslied vom wilden Herumtreiber, der so auch seine Vermieterin schockt. Geschockt, allerdings eher positiv, war auch Trochus. Rechnete er sich jetzt doch eine Chance aus, wenn er die Bauern dazu kriegen würde, die Wahrheit zu sagen. Zumal Shannon ihm ja in gewisser Weise dies in Aussicht gestellt hatte. „Hört mal, Männer.“, sagte er. „Wer ihr hilft, soll auch von meiner Seite belohnt werden. Ich werde den besten Met aus meiner Speisekammer holen und ihr sollt die besten Stücke Braten, Schinken, Wurst und Käse bekommen, die sonst nur den adeligen Herrschaften und den reichen Kaufleuten vorbehalten sind. Außerdem das beste Brot und das beste Obst und Gemüse. Esst euch satt und trinkt, so viel ihr könnt.“

„Ha.“, meinte einer der Bauern zu Shanon gewandt und auf einen Tisch zeigend, an dem ein einsamer Mann saß. „Das wird unseren feinen Herrn Obstbauern freuen. Der bildet sich schon was drauf ein, dass er sich die Finger lange nicht so schmutzig machen muss wie wir. Stell dir vor, Fremde, er meint sogar, seine Tochter, Clelia, wäre Auserwählte der Einhörner. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.“ Shannon ging hinüber. Bingo!, hatte sie bei sich gedacht. Wenn die Einhörner sich einmischen, dann ist bestimmt der meine einzige und verlässlichste Quelle. Die anderen haben gelogen, dass es eine Freude war! Sie setzte sich mit einer mitgebrachten Kanne Met, die Trochus ihr gegeben hatte, zu dem Bauern an den Tisch. „Also.“, begann sie, nachdem sie ihren Stuhl zurechtgerückt hatte. „Ich finde, wir sollten uns erst mal vorstellen. Ich bin Shannon.“ „Ich heiße Vorenus.“, erwiderte der Bauer. „Fein, Vorenus.“, entgegnete Shannon. „Was ist das mit deiner Tochter und den Einhörnern. Wissen die echt Bescheid und ist deine Tochter wirklich ihre Auserwählte, oder bist du ein Prahlhans wie alle anderen.“ Ob ihrer forschen Art musste Vorenus erst mal einen großen Schluck Met nehmen. „Nein“, sagte er. Ich kann und werde es dir beweisen. „Wenn du wirklich Interesse daran hast, zu erfahren, was das mit Clelia und den Einhörnern ist, dann feiere mit mir. Dann werde ich dir alle Informationen geben. Wenn es dich nicht interessiert und du mich für einen Prahlhans hältst, dann geh. Wenn du bleibst und mir beweist, dass es dir wirklich ernst ist, dann nehme ich dich sogar mit auf meinen Hof und beweise dir alles, was ich dir jetzt erzählen werde.“

Diese Prüfung kam nicht von ungefähr. Vorenus hatte von Clelia den Auftrag hierzu bekommen. Die Einhörner konnten, weil sie mächtige Wesen waren, natürlich in die Zukunft sehen, das wusste Vorenus. Valora hatte Clelia instruiert, jeden, der genaues zu ihrer Beziehung wissen wollte, auf seine Beharrlichkeit zu testen, damit auch ja nur die Richtigen die entsprechenden Informationen bekämen, auch, wenn dies bedeuten würde, dass sie nachher mit einem dicken Kater aufwachen würden.

Wir kampierten in dieser Nacht im Schutz eines Wäldchens. Immer noch versuchte ich, die anderen von meiner Theorie bezüglich Shannon zu überzeugen. „Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Allrounder.“, sagte Agent Maron. „Sie ist zwar schlauer, als sie zugibt, aber ich glaube nicht, dass sie sich allein in eine Dimension begibt, in der ihr jederzeit ein Telepath entgegen kommen könnte.“

Bevor ich antworten konnte, fühlte ich plötzlich Jorans riesige weiche Fellhand, die meine umschloss. „Allrounder Betsy, würdest du mir bitte folgen?“ Seine Frage war für mich zunächst sehr merkwürdig, aber dennoch vertraute ich ihm. Hier würde es ja keine Hindernisse geben, vor die er mich aus Versehen laufen lassen könnte. Die Bäume waren weit genug weg.

Ich bejahte und wir gingen ein ganzes Stück, bevor er mich auf einen Baumstumpf dirigierte. Er selbst setzte sich vor mir auf den weichen Waldboden. Dann begann er: „Ich beginne, dir zu glauben, Allrounder Betsy. Aber wir müssen es beweisen.“ „Was hat deinen plötzlichen Sinneswandel verursacht?“, wollte ich wissen. „Einzig und allein die Tatsache, dass Shannon O’Riley, wenn man sie lässt, sehr gute Pläne schmieden kann. Sie behauptet zwar immer, das seien alles Glückstreffer, aber das stimmt nicht. Wenn ich die Zeilen aus dem Unterhaltungsroman richtig deute, dann war sogar dieser O’Neill, an dem sie sich orientiert, schlauer, als er zugegeben hat. Shannon O’Riley und er sind …“ Er überlegte eine Weile angestrengt. Dann sagte er: „Heimlich schlau. Ja, sie sind heimlich schlau.“ Ob seiner Wortschöpfung musste ich schmunzeln. Ohnehin hatte ich sein Stolperenglisch echt niedlich gefunden. Auch die Diskussionen zwischen Agent Maron und ihm bezüglich der Benutzung eines Universalübersetzers hatte ich verfolgt. Joran hatte sich aber standhaft geweigert, das zu tun, denn er war der Ansicht, Sytania hätte die technologische Abhängigkeit der Sternenflottenoffiziere irgendwann eiskalt ausnutzen können. Deshalb wollte er lieber aus eigener Kraft die Amtssprache der Föderation lernen.

„IDUSA.“, sagte ich plötzlich und sprang auf. „Sie wird wissen, ob Shannon noch bei ihr ist und wenn nicht, wo sie ist und was sie tut!“ Dann fingerte ich an mir herum und entdeckte, dass ich mein Sprechgerät nicht bei mir hatte. „Joran.“, fragte ich hektisch. „Hast du deinen Transceaver?“ Auch er begann, sämtliche Taschen zu durchsuchen. „Tut mir Leid, Allrounder Betsy. Auch ich habe kein Sprechgerät dabei. Aber ich werde zurückgehen und eines holen. Auch wenn Agent Maron und Jenna Mc’Knight mich ertappen sollten. Bleib du bitte hier. Das ist sicherer für dich.“ Ich nickte und beobachtete, wie er von dannen schlich.

Vorenus und Shannon hatten es irgendwie geschafft, so betrunken, wie sie waren, auf Vorenuses Hof zu gelangen. Shannon hatte es trotz alkoholschwangerer Stimme dennoch geschafft, dem Schiff deutlich zu machen, dass es ihr Signal verfolgen sollte und die Koordinaten mit einem schönen Gruß an Jenna auf deren Sprechgerät überspielen sollte. IDUSA hatte das getan, obwohl sie wusste, dass sie Shannon damit verraten würde, aber irgendwann würde sie ohnehin damit herausrücken, wie es auch ihr Plan war. Unter einem Vorwand hatte Shannon, nachdem sie sich von der Richtigkeit der Worte des Bauern überzeugt hatte, IDUSA befohlen, sie wieder an Bord zu holen.

 

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