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Ich bin´s wieder, Flexy.

Ihr erinnert euch noch sicher daran, dass ich gesagt hatte, dass wir neben unserem Navigator und dem Steuermann im gleichen musikalischen System noch einen Senioroffizier an Bord nahmen.

Der Chefarzt. Er war erfreulicherweise ein Mensch, der ins All ausgewandert war. Sein Name war Theobald Enor, kurz T. Enor.

Carter auf jeden Fall war hoch erfreut: "Im Gegensatz zu den beiden unmusikalischen Möchtegern-Obergangstern, deren platte Reime ich mir jeden Tag auf der Brücke anhören muss, wird dieser Arzt das kulturelle Zusammenleben an Bord sicherlich bereichern.", erklärte er während einer Runde abendlichen Zusammenseins im Casino.

"Kulturelles Zusammenleben? Wir haben so was?", fragte Tr´Vak und spießte mit der Gabel in etwas Darmähliches.

"Nun, zumindest die Leute an Bord, die nicht ihr eh schon unappetitliches Essen noch mehr dadurch verunstalten, dass sie es mit ihrer Gabel durchlöchern...", erwiderte Carter mit seinem Eisklotz-Lächeln. 

"Ich masakriere mein Essen nicht. Das ist postmoderne klingonische Kunst." Tr´Vaks Darmschlinge verschwand in seinem breiten Mund.

"Dann ist diese Kunst wirklich jenseits aller Moderne. Wie auch immer: unser Chefarzt hat eine klassische Theaterausbildung und ich hoffe sehr, dass er sein Können der Jugend an Bord dieses Schiffes zur Verfügung stellt." Ein Blick zu Soleta."Zum Beispiel Ihnen."

"Verzeihung, Sir, aber das Rezitieren von Texten erscheint mir zeitintensiv und darüber hinaus störend für die Konzentration. Ich werde mich daran nicht beteiligen.", erwiderte die Vulkanerin. "Dennoch wird jeder an Bord etwas von unserem Bariton haben...wenn man dem glauben darf, was Hip und Hop mir erzählt haben."

"Und das wäre?" Carter wurde neugierig.

Ein Zucken umspielte Soletas Mund. "Nun, Mr. T.Enor lebt seinen Beruf in allen Zügen aus."

***
Was Soleta damit gemeint hatte, erfuhr Carter am nächsten Tag, als wir den Orbit erreichten und Carter sich mit den zukünftigen Chefarzt in Verbindung setzte, wobei zunächst nur eine Audioverbindung zustande kam.

"Ich mich an Bord lassen? Bin ich ein einfacher Offizier?", donnerte die tiefe Stimme über die Brücke. "So etwas entspricht nicht meinem Stand. Ich verlange einen Transport per Shuttle."

"Dies ist ein Förderationsschiff, Mr. T. Enor. Ich bin der kommandierende Offiziere und nicht Ihr Manager. Ich werde kein Shuttle nach unten schicken."

"Dann werde ich nicht an Bord kommen."

***

Letztlich flog doch ein Shuttle nach unten und kehrte mit dem neuen Chefarzt zurück. Sie landeten im Hangar, es fand ein Druckausgleich statt und nachdem grünes Licht gegeben worden war, konnte Carter den Raum betreten. Ich und eine kleine Sicherheitskolonne waren ebenfalls anwesend und standen Spalier. Auch das hatte Mr. T. Enor erwartet. 

Die Luke wurde geöffnet - und dann stand er da. Und Carter war wieder mal nah dran am Herzinfarkt.

Die Gestalt vor uns war klein und gebeugt und erinnerte unweigerlich an den Glöckner von Notre Dame. Gekleidet war die Gestalt wie das Phantom der Oper. Ein langer schwarzer kuttenhafter Mantel, der alles darunter verdeckte, Satinhandschuhe, glänzende Stiefel, ein Krempenhut - und eine goldene Maske auf dem Gesicht.

Galant stolzierte unser Chefarzt zu Carter, machte eine elegante Verbeugung: "Ich freue mich, in Ihre Dienste treten zu können, Sir. Oh...Sie sehen aber gar nicht gut aus. Die Blässe in Ihrem Gesicht...Sie stehen unter massivem Stress, wie mir scheint. Kommen Sie morgen bei mir vorbei, dann verschreibe ich Ihnen Baldrian. Und wir können Ihren Check-Up nachholen."

Und er tänzelte davon, gefolgt von jeder Menge medizinischem Krimskrams in Schwebekisten.

"Mein Herz...mein Herz...", jammerte Carter. "Das ist ein Tollhaus..."

***

Nun wollt ihr sicherlich wissen, wie so eine Untersuchung bei unserem Doc abläuft.

Ich war selbst dort, nachdem ich mir eine Quetschung zugezogen hatte und kann es euch erzählen. Wenn man in die Krankenstation kommt, erklingt eine Fanfare. Durch die Krankenstation erstreckt sich ein roter Teppich, auf dem man wandelt. Vor dem Büro des Doktors ist ein ebenso roter Bühnenvorhang angebracht, aus dem er - sobald die Fanfare einen neuen Besucher ertönt - heraustritt und eine Szene aufführt.

Bei mir war es Hamlet.

Mit einem Skelettkopf in der Hand trat also mein Arzt hervor: "Krank oder nicht krank? Das ist hier die Frage!" Und: nachdem, ich ihm die Verletzung gezeigt hatte: "Ach, weh...welch Übel doch den Menschen klein ereilt. Was ist schon eine Quetschung gegen die Opfer, die täglich im Kampf gegen den Feind erbracht werden müssen? Trage er die Quetschung mit Stolz."

"Nein, das halte ich für keine gute Idee. Ich sterbe nicht gerne an Blutvergiftung.", sagte ich.

T.Enor verpasste mir ein Hypospray: "Auf den, ihr tapferen kleinen Rittern im Inneren dieses doch wundersamen Geräts. Auf, auf, in die Schlacht. Für Ruhm, Ehre und Vaterland - und für den netten Doktor von nebenan. Doch horcht..."

Die Fanfare erklang erneut - Harry Wüstenfuchs hatte sich eine Zerrung am Fuß zugezogen und hinkte mühsam heran.

"Durch diese hohle Gasse muss er kommen...und da kommet er...mühsamen Schrittes er sich plaget..."

Ihr seht also, letztlich kam Kultur an Bord. Eigensinnige Kultur, aber immerhin Kultur. Und diese Kultur in Gestalt unseres Doktors sollte noch Einiges an Bord bewirken.

Bis zum nächsten Mal.

 

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