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Eine Frau in einem wallenden geblümten Kleid lief die Hauptstraße Little Federations entlang. Sie war etwa 1,70 m groß, von schlanker Statur und trug fröhlich gefärbte Sandalen. Bei dem Sommerwetter, das in Little Federation zu dieser Zeit herrschte, war ihr Aufzug nichts Ungewöhnliches. Ihre langen schwarzen Haare wehten im Wind, denn sie war nicht gerade langsam unterwegs. Ungewöhnlich war allerdings, was sie auf ihrer rechten Hand trug. Diese zierte ein Handschuh, wie man ihn an sich nur von mittelalterlichen Falknern kennt. Auf dem Handschuh saß ein Pfauenhahn. „Ganz ruhig.“, flüsterte sie dem Vogel immer wieder zu. „Es wird alles gut, Captain Picard.“

Ich saß auf Cupernicas und Datas Terrasse. Die Androiden hatten jeder das eigene Haustier auf dem Schoß und kraulten es. Cupernica kraulte Fredy und Data Caruso. Die beiden lieferten ein Schnurrkonzert, das seinesgleichen suchte. Data und Cupernica zeichneten dieses Schnurren auf und gaben es durch ihre eigenen Stimmsynthesizer wieder, was die Tiere veranlasste, noch mehr zu schnurren. Bei mir hatte diese spezielle Art von „Katzenmusik“ jedes Mal den Effekt, dass ich breit grinsend vor Genuss – Schnurren ist mein Lieblingsgeräusch – so weit entspannte, dass man mich auf den Boden legen musste, damit ich nicht vom Stuhl fiel. Cupernica fand, dass dies auch aus medizinischer Sicht sehr positiv für mich war. Also luden sie mich regelmäßig dazu ein.

Das Schnurren verstummte plötzlich und Cupernica strich mir langsam mit ihrer Hand über die Stirn. „Kommen Sie bitte aus Ihrer Entspannung zurück, Allrounder.“, flüsterte sie. „Wir bekommen bald Besuch.“ Sie half mir gemeinsam mit Data auf den Stuhl zurück.

Schon rauschte die Frau mit dem Wallekleid heran. Cupernica gab Data ein Zeichen. Er schob einen weiteren Stuhl zurecht und wies die Fremde an, darauf Platz zu nehmen. Sofort begann Cupernica, erst die Frau und dann den Vogel zu scannen. „Anhand Ihres beschleunigten Herzschlages und der ebensolchen Atmung stelle ich fest, Tolea, dass Sie sehr beunruhigt sind.“, schloss die Androidin. „Versuchen Sie bitte, sich zu beruhigen und dann reden wir.“ „Tolea.“, staunte ich. „Was machen Sie denn hier?“ „Was ich hier mache. Was ich hier mache.“, schnaubte die Bewohnerin des Raum-Zeit-Kontinuums – selbige wollen im 30. Jahrhundert nicht mehr als Q bezeichnet werden – verächtlich. „Ach, Clytus, dieser Lausejunge. Ich könnte meinen Neffen manchmal …“ „Ich darf Sie darauf hinweisen.“, begann Data. „Dass Kindesmisshandlung ein Verbrechen darstellt.“ Tolea, deren Aufmerksamkeit er offensichtlich errungen hatte, lächelte kurz. Dann aber verfiel sie wieder in ihre ernste Haltung von vorher.

Sie streifte sich den Handschuh mit dem Vogel ab und zog ihn mir mit den Worten: „Nehmen Sie ihn!“, über. „Bei Ihnen fühlt er sich sicherer. Sie sind eine Sterbliche. Gegen unsereinen hat er wahrscheinlich eine Abneigung.“ „Warum sollte der Vogel gegen Sie eine Abneigung haben, Tolea?“, fragte ich verwundert. „Weil ich in seinen Augen eine Q bin.“, antwortete sie nervös.

Irritiert strich ich dem Vogel durch sein Gefieder. Warum sollte ein Vogel keine Q mögen? Was war hier los? Weich fühlten sich seine Federn an. Ich spürte aber auch, dass er zitterte. „Er hat Angst.“, stellte ich fest. „Sicher hat er Angst.“, bestätigte Tolea. „Picard fühlt sich in seiner jetzigen Gestalt gar nicht wohl.“ „Ups?“, machte ich. Mir ging durch den Kopf, dass er sich bei mir ja auch nicht wohl fühlen dürfte, vorausgesetzt, es stimmte, was ich jetzt vermutete. „Ähm, sorry.“, stammelte ich. „Tolea, ist das echt Picard?“

Die Angesprochene kniff die Augen halb zusammen und nickte zu Cupernica herüber. Die Androidin kannte diesen Blick. „Sie kann es doch nicht wissen, Tolea.“, beschwichtigte sie selbige. „Außerdem haben Sie sich und uns doch geschworen, geduldig und freundlich mit Sterblichen zu sein.“ Tolea tauschte mit Data den Platz, der ohnehin Caruso ins Haus bringen wollte, denn er dachte, dass sich ein Vogel in Gegenwart einer Katze nicht wirklich wohl fühlen würde. Dann legte sie mir die Hand auf die Schulter und sagte: „Tut mir Leid. Es ist nur alles so furchtbar verzwickt. Ach, am Besten, ich zeige Ihnen alles.“ Dann gab es einen weißen Blitz und wir fanden uns auf der Brücke der Enterprise wieder. „Niemand kann uns sehen.“, nahm Tolea meine Frage vorweg. „Aber wir werden gleich etwas zu sehen bekommen. Cupernica, bitte klären Sie Betsy auf.“ Die Androidin nickte und stellte sich neben mich. Sie schaute in die Richtung, in die Tolea gewiesen hatte. „Picard sitzt auf seinem Stuhl.“, begann sie eine nüchterne Beschreibung. Dann gab es ein Geräusch und einen weißen Blitz und ein Pfau flog kreischend über die Brücke des Schiffes. Alle gerieten in helle Aufregung. Worf zog sogar seinen Phaser. Gleichzeitig hörten wir alle eine Kinderstimme in unserem Geist: „Rache is’ Blutwurst und Blutwurst is’ teuer. Hast de nun davon, du Kinderhasser!“ Tatsächlich erkannte ich Clytus an der Stimme. Er war der Sohn von Kairon - Toleas Bruder - und einer zeitländischen Adeligen, mit der Kairon einmal eine kurze aber heftige Beziehung hatte. Der Kleine musste jetzt ungefähr 12 sein.

„Ach du liebes Bisschen!“, rief ich aus. „Es kommt noch schlimmer!“, erwiderte Tolea und einen weiteren Blitz später waren wir auf einem Planeten. Tolea hetzte allen voran. Wir kamen an Shuttletrümmern vorbei. „In diesem Shuttle geht nichts mehr.“, analysierte Data. „Noch nicht einmal der Replikator.“ „Das Außenteam ist abgestürzt.“, erklärte Tolea. „Aber das war nicht Clytus. Das war Sytania. Sie hat wohl seinen Streich ausgenutzt.“

Data hatte mich geführt und jetzt bemerkt, dass ich mich in die andere Richtung gedreht hatte. Hier hatte ich einen lauten Frauenschrei gehört. Dieser war von einer lauten knurrenden Klingonenstimme und der ernsten Stimme Rikers gefolgt worden. Dann hatte der Klingone wieder etwas von Essen geschrieen. Tolea und Cupernica waren zu uns zurückgekehrt. „Sie hat etwas gehört.“, erklärte Data. „Können wir zurückspulen oder so was, Tolea?“, fragte ich. Sie schnippte mit den Fingern.

Dieses Mal standen wir näher am Geschehen. „Ich sehe Troi, Riker und Worf.“, beschrieb Data mir die Situation. „Worf sitzt mit seinem Phaser im Anschlag im Gebüsch. Er scheint zu jagen. Troi und Riker stehen daneben.“

Der Schrei eines Pfauen zerriss die Luft. Gleichzeitig hörte ich ein Rascheln, dann Trois aufgeregte Stimme: „Nicht schießen, Worf! Der Captain! Das ist der Captain! Will! Oh, Gott, Hilfe!!!“ „Keine Angst, Imzadi.“, hörte ich Rikers hektische aber feste und dadurch sehr überzeugende Stimme. Es gab ein Geräusch wie von einem Schlag und Worfs Phaser flog durch die Gegend. Riker hatte seinen Untergebenen offensichtlich überrascht. „Irgendwas müssen wir doch essen!“, empörte sich der Klingone. „Mit der Enterprise kriegen wir keinen Kontakt und die Replikatoren des Shuttles funktionieren auch nicht. Dieser verdammte Vogel war das Erste, das ich seit Tagen vor die Waffe gekriegt habe.“ Mir schwante schreckliches. „Ist der Pfau das einzige Tier hier?“, flüsterte ich Data ins Ohr. Der Android scannte die Umgebung kurz und flüsterte zurück: „Bitte warten.“ Dann sagte er: „Positiv. Bevor Sie fragen: Alle Pflanzen sind giftig.“ Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Das hatte Sytania wirklich geschickt eingefädelt. Aber Clytus hatte es sicher nicht so gewollt. Er hatte, soweit ich es verstand, Picard ja nur einen Streich spielen wollen und ihn nicht gleich töten wollen. Das war allein Sytanias Schuld.

Tolea brachte uns zurück. „Warum verwandeln Sie ihn nicht einfach zurück?“, fragte ich unbedarft. „Weil ich es nicht kann.“, antwortete Tolea frustriert. „Clytus hat es so gemacht, dass nur er ihn zurückverwandeln könnte, wenn er es denn könnte. Mit seiner Aktion hat er sein unausgereiftes Machtzentrum aber total überfordert. Ich bin zwar stärker als er, aber ich habe die falsche Neuralsignatur. Deshalb wird es nicht funktionieren. Das einzige, was ich tun konnte, war, Picard einzufangen und ihn hierherzubringen. Nur, die Geschichte ist jetzt schon verändert. Clytus hat ihn zu einem sehr frühen Zeitpunkt der Enterprise-Mission erwischt. Vieles, was wir heute kennen, hat nie stattgefunden. Je länger das Zeitparadoxon andauert, desto mehr verändert sich die Geschichte. Ich habe uns alle zeitlich isoliert, damit mir keiner von Ihnen abhanden kommt.“ „Wo ist Clytus jetzt.“, wollte ich wissen. „Auf Commander Zirells Station.“, erklärte Tolea. „Sie wollen ihm helfen, schneller wieder gesund zu werden. Hat wohl was mit Joran zu tun.“

Joran erwachte auf einem Biobett. „Du warst bewusstlos.“, klärte ihn Nidell auf. „Wir mussten die Stimulation deiner Sifa abbrechen.“, fügte Ishan hinzu. „Dein Organismus ist nicht in der Lage, den beschleunigten Stoffwechsel deiner Sifa zu kompensieren. Wir haben Clytus’ Geist per Transporter wieder entfernt und in seinen Körper zurückgebeamt. „Kelbesh!“, fluchte Joran leise. „Das war unsere einzige Möglichkeit.“

Die Tindaraner hatten die Föderation informiert. „Die Föderationsregierung wird einen Krieg zwischen der Föderation und uns vom Zaun brechen wollen.“, sagte Tolea enttäuscht. „Schließlich hat jemand aus dem Raum-Zeit-Kontinuum das hier verursacht.“ „Den Berechnungen meines Kollegen zufolge.“, begann Cupernica. „Dauert es noch mindestens 14 Tage, bis sich Clytus’ Machtzentrum auf natürliche Weise wieder erholt hat.“ „Zu lange.“, seufzte Tolea. „Bis dahin wird das Zeitparadoxon alles vernichtet haben. Clytus bereut wirklich, was er getan hat. Er hat nicht geahnt, was das für Konsequenzen haben kann.“ „Wie denn auch.“, erwiderte ich. „Er ist ein Kind, kann also nicht wissen, wann er sein Machtzentrum überfordert. Ein Junge, der einen Fußball in eine Scheibe wirft, lernt doch auch erst später daraus, wenn ihm die Eltern die Konsequenzen aufzeigen und außerdem, wer ahnt schon, dass sich Sytania einmischt. Vielleicht hasst Picard ja auch keine Kinder, sondern findet sie nur unbequem auf einem Raumschiff. Aber, da muss er halt mit leben. Aber damit hat er halt etwas Schwierigkeiten, weil jetzt alles nicht so glatt läuft. Aber, so ist das Leben.“

Weder Tolea, noch Cupernica, oder ich hatten bemerkt, dass Data sich in seinen Bastelschuppen zurückgezogen hatte. Er musste seiner Frau etwas in F-14-Code übermittelt haben, denn Cupernica nahm mich plötzlich bei der Hand und forderte Tolea zum Folgen auf. Jetzt standen wir vor einem Minitransporter, den Data gebaut hatte. Auf der Plattform lag ein Taschentuch. „Das Tuch wird gerade dematerialisiert.“, erklärte Cupernica. „Ich unterbreche jetzt den Vorgang.“, übernahm Data. „Jetzt suche ich aus der Datenbank ein anderes Profil und leite den Rematerialisierungsprozess ein.“ Der Transporter surrte. „Fühlen Sie mal.“, sagte Data und legte ein Wiener Würstchen in meine Hand.“ „Klar, oh, mein Gott.“, stammelte ich. „Die temporale Ermittlung! Die müssen uns eine Verbindung zur Enterprise genehmigen. Vielleicht können wir die Geschichte noch retten. Mann, Data, super!“ „Sie verwirren mich.“, wunderte sich Data. „Ich dachte, Sie mögen Picard nicht.“ „Schon richtig.“, gab ich zu. „Aber ich mag die Geschichte, wenn Sie so wollen. Ich täte es ja nur ihretwegen.“

In diesem speziellen Fall machte die temporale Ermittlung tatsächlich eine Ausnahme. Wahrscheinlich wusste man, dass man einen Krieg gegen das Raum-Zeit-Kontinuum ja eh verlieren würde. Da war das schon die bessere Alternative. Data bekam ein Haftmodul, mit dessen Hilfe er sich mit einem Transceaver verband. Darüber und über das Interdimensionsrelais übermittelte er jetzt seinem jüngeren Ich unseren Plan. So war es am Besten. Dem jüngeren Data würden so schnell keine Details über die Zukunft herausrutschen, wie es bei einem von uns der Fall sein könnte. Data hatte einen Zeitpunkt gewählt, der sehr nah an Picards Verwandlung lag. Je näher, desto besser für die Geschichte. Da die beiden Datas die gleichen Codes benutzten, konnte er den Plan im „Unterbewusstsein“ seines jüngeren Ich’s verankern. Data würde denken, er sei allein darauf gekommen.

Riker hatte den Pfau eingefangen und ihn auf Datas Geheiß in den Transporterraum gebracht. „Hoffentlich funktioniert Ihr Plan.“, sagte der erste Offizier skeptisch, während er den Vogel auf die Plattform setzte. „Dessen bin ich sicher, Sir!“, entgegnete der Android seinem Vorgesetzten fast energisch. „Energie, Mr. O’Brien!“ Der Ire an der Bedienkonsole beamte den Pfau in den Puffer. „So.“, sagte Data. „Und jetzt lassen Sie mich ran da, denn ich will ja.“ Riker blieb vor Staunen der Mund offen. So einen Spruch hatte er von Data nicht erwartet. Der Android speiste aus seiner eigenen Datenbank ein DNS-Profil Picards in den Transporter. Dann ließ er selbst den Vorgang weiterlaufen. Nach dessen Ende stand vor allen ein zwar verwirrter aber gesunder Picard.

Tolea hatte alles mit Hilfe ihrer seherischen Fähigkeiten beobachtet. Erleichtert klopfte sie uns allen auf die Schulter. „Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Sterblicher mit ’ner Idee daher.“, atmete sie auf. „Die Geschichte ist zwar etwas angekratzt. Eine bis zwei Narben werden wohl bleiben, aber, im Großen und Ganzen haben wir sie wieder einmal gerettet.“ „Wirklich rückgängig machen durften wir Picards Verwandlung ja auch nicht, denn sonst würde Clytus ja nichts lernen und der erzieherische Effekt wäre beim Teufel.“, sagte ich. Tolea nickte. Dann verschwand sie in einem weißen Blitz. Ich dachte mir, dass sie Clytus noch einmal ins Gebet nehmen würde. Aber ich wusste auch, dass der Kleine sicher aus seinem Fehler gelernt hatte und sein Machtzentrum so schnell nicht noch einmal überfordern würde.

Zufrieden lauschte ich erneut dem Schnurrkonzert. Jetzt ging das mit dem Entspannen sogar noch besser, denn ich wusste, es war alles wieder in Ordnung.

ENDE

 

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