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„Telzan, Anführer, Eurer Vendar und sein Schüler, Serdan!“, kündigte Sytanias Herold besagte zwei an, als sie den Thronsaal betraten. Sie setzten vorsichtig die Sonde ab und gingen dann ehrerbietig vor Sytania auf die Knie. Diese musterte zunächst die beiden und dann die Sonde. Die groben fast juteartigen Uniformen der Vendar waren Sytania nicht fremd. Auch die Spitzen an ihren Schuhen, die durchaus beim Nahkampf eingesetzt werden können und den Gegner sogar töten können, waren der imperianischen Thronfolgerin nicht fremd. Mit dem meisten Stolz erfüllte sie allerdings die Zeichnung am Hemdkragen, die beide als eben ihre Diener auswies. Jetzt, wo Joran nicht mehr da war, hatte sich Telzan zu ihrem talentiertesten Telepathenjäger entwickelt. Auch er beherrschte das Fütterungsritual, mit dessen Hilfe er die Energie, die er von anderen telepathischen Wesen erbeutet hatte, verstärken konnte, bevor er sie ihr übertrug.

„Bist du sicher, Telzan, dass ihr die richtige Sonde habt?“, fragte Sytania mit einem bohrenden Tonfall. „Das, Gebieterin.“, setzte Telzan zur Antwort an, „Das wird meine Frau herausfinden.“ „Nun gut.“, gab sich Sytania aufgrund mangelnder eigener Möglichkeiten mit der Situation zufrieden. „Dann schaffe sie zu deinem holden Eheweib und setze sie darauf an.“ Telzan nickte ehrfürchtig und bedeutete seinem Schüler, erneut mit anzufassen. Beide schafften die Sonde in den Schlosskeller, wo der Arbeitsplatz der Vendar-Techniker unter Cirnachs Leitung war. Cirnach und Telzan waren die einzigen, die mit im Schloss wohnen durften. Als Anführer der Vendar und dessen Ehefrau, die durch die Heirat automatisch das Amt der Stellvertreterin erhält, duldete Sytania sie so nah bei sich. Alle Anderen mussten in den Kasernen weit ab oder in abgeschlossenen Vendar-Dörfern wohnen.

„Ah, ihr bringt die Sternenflottensonde.“, grinste Cirnach, eine 2,20 m große Vendar-Frau mit tiefschwarzem Fell und einem Gesicht wie eine Bärin. Diese Gesichtszüge hatten übrigens alle Vendar. „Ja, Telshanach.“, erwiderte Telzan. Dass er sie nach ca. 60 Jahren Ehe immer noch mit Liebling ansprach, verwunderte Serdan nicht. Wenn Vendar einmal lieben, dann lieben sie heiß und innig und lang. Überhaupt sind sie dafür bekannt, alles Schöne in die Länge zu ziehen. Sie sind also in gewisser Weise Lebenskünstler.

Cirnach zeigte auf einen Tisch. „Dort hinüber mit dem Ding. Wir werden schon hinter seine Geheimnisse kommen.“ Vorsichtig setzten die Männer die Sonde ab. Dann gingen sie. Menach näherte sich dem Tisch. „Bitte, Ausbilderin, darf ich es versuchen?“, fragte sie und schmeichelte ihrer Lehrerin mit den Augen. Cirnach nickte ihr wohlwollend zu. Sie wusste genau, mit welchem Feuereifer ihre Schülerin bei der Sache war und dass ein Nein von ihr nur schwer akzeptiert würde. Dafür gab es in Cirnachs Augen aber auch keinen Grund. Menach lernte schnell und war in technischen Dingen bereits sehr bewandert.

Jenna saß in ihrem Quartier und hatte einen Ohrhörer im Ohr. Am anderen Ende der im Display der Sprechanlage angezeigten externen SITCH-Verbindung war Tchiach, Jorans kleine Tochter. Diese nannte die Terranerin bereits jetzt oft Stiefmutter Jenna, obwohl Joran und sie noch gar nicht verheiratet waren. Jenna ließ sie gewähren, denn sie wusste, nach dem tragischen Tod ihrer leiblichen Mutter brauchte Tchiach dringend wieder eine weibliche Leitfigur. Mit ihren 11 Jahren war das Vendar-Mädchen fast in dem Alter, in dem ihre Ausbildung zur Telepathenjägerin beginnen könnte, denn ihre Sifa, der Teil ihres Gehirns, der telepathische Energie aufnehmen kann, war laut den Priesterinnen bereits vor dem ersten Zyklus. Die Ausbildung würde zwar Sianach übernehmen, aber, welches Kind freut sich nicht, wenn beide Eltern es zur Einschulung begleiten?

„Dein Englisch hat sich sehr verbessert, Tchiach.“, stellte Jenna fest. „Ich danke dir, Stiefmutter Jenna.“, antwortete die kleine Vendar mit einem Lächeln. Dann fragte sie weiter: „Wie kommt mein Vater mit Agent Marons Training voran?“ „Mehr schlecht als recht, Süßmaus.“, erwiderte Jenna. „Aber ich denke, dass ich eine Lösung gefunden habe.“ „Jenna Mc’Knight findet einen Weg.“, grinste Tchiach ins Mikrofon ihres Sprechgerätes. Diesen Satz kannte Jenna gut. Er wurde vor allem immer dann verwendet, wenn die Besatzung der Tindaranerbasis oder auch Bewohner eines Planeten oder Schiffsbesatzungen, in deren Leben man eben für kurze Zeit verwickelt wurde, ein Problem hatten. Jenna war es, die diese Probleme in eigentlich allen Fällen gelöst hatte. Vielleicht gab es einige Ausnahmen, aber der Großteil ging auf ihr Konto. Shannons Lästereien bezüglich Major Carter, der genialsten Person aus einem Unterhaltungsschmöker, den diese las, ließen Jenna mittlerweile kalt. Sie ließ sich zum Leitwesen der blonden Irin damit nicht mehr aufziehen. Joran hatte ihr anfangs, da er mit der Begrifflichkeit sich aufziehen lassen etwas ganz Anderes verband, geraten, einfach den Schlüssel wegzuwerfen. Wahrscheinlich hatte er sich aufgrund mangelnder Englischkenntnisse tatsächlich vorgestellt, dass seine Freundin einen Schlüssel am Rücken trug, an welchem Shannon nur zu drehen brauchte und schon würde sie reagieren. In gewisser Hinsicht hatte Jenna jedoch den Schlüssel weggeworfen, indem sie sich gegenüber den Sprüchen ihrer Assistentin ein dickes Fell zugelegt hatte.

„Zisch-klack.“, machte die Tür und Joran betrat das Quartier. „Telshanach!“, rief er. „Bist du hier?“ Jenna legte das Gespräch mit Tchiach in die Warteschleife. Dann gab sie zurück: „Ja, Joran. Ich bin im Wohnzimmer!“ Stürmischen Schrittes betrat Joran das Zimmer und nahm Jenna in seine starken Arme. „Telshanach, oh, meine Telshanach, ich wusste, du würdest einen Weg finden. Er hat es kapiert. Er hat es endlich kapiert!“, flüsterte Joran mit freudiger Erregung in der Stimme. Dabei ließ er jedem Wort einen leidenschaftlichen Kuss auf die Körperregionen seiner Freundin folgen, die er gerade noch so erreichen konnte, ohne ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Wo Jenna so wie so schon überall Knutschflecke hatte, durfte sie in der Öffentlichkeit gar nicht aufzählen. „So schwierig war das nicht.“, beschwichtigte sie ihn. Joran hielt inne und sah auf das Display der Sprechanlage. Das Rufzeichen des Rebellenlagers und das Unterrufzeichen von Sianachs Haus kannte er sehr wohl. „Du sprichst mit Sianach?“, fragte er etwas verunsichert. „Nein.“, lächelte Jenna zurück. Dann berührte sie zwei Bilder auf dem Tuchscreen und das Gespräch wurde auf Lautsprecher umgestellt. Außerdem konnten jetzt alle einander sehen. „Vater!“, quietschte Tchiach beim Anblick von Jorans Gesicht. „Du lächelst ja. Hat das mit Maron von Demeta endlich funktioniert?“ „In der Tat, Kleines.“, entgegnete Joran.

Plötzlich zuckte Tchiach mit ihren kleinen Bärenohren. „Ich muss Schluss machen.“, sagte sie. „Ziehmutter Sianach will, dass ich zum Abendbrot erscheine.“ Damit drückte ihr kleiner Zeigefinger die 88-Taste.

Kaum war dieses Gespräch aus der Welt, kündigte sich schon wieder das nächste an. Jenna beantwortete die Türsprechanlage: „Mc’Knight hier.“, „Jenn’, ich bin’s.“, sagte eine der Cheftechnikerin sehr wohl bekannte Stimme. „Was ist denn, Shannon.“, gab Jenna zurück. „Kommen Sie erst mal rein.

Nachdem die blonde Irin von mittlerer Größe und Statur das Zimmer betreten hatte, hielt sie ihrer Vorgesetzten ein Pad unter die Nase. „Ich brauche Ihre Clearence für …“ Ihr Blick fiel auf Jennas zerzaustes Äußeres. „Igitt!“, rief sie aus. „Könnt ihr das nicht nach Dienstschluss machen?“, fragte Shannon mit einem schelmischen Grinsen. „Keine Angst, Assistant.“, feixte Jenna ebenso schelmisch zurück. „Das machen wir brav heute Nacht, wenn keiner mehr was von uns zu wollen hat.“ „Schon wieder.“, brummelte Shannon. „Könnt ihr nicht einmal auf eure direkte Nachbarin Rücksicht nehmen?“ „Ups.“, machte Jenna. „Ich dachte immer, die Wände sind schalldicht. Na ja, morgen lasse ich 200000 Pfund Isolierung von Tindara kommen.“ „Erst morgen.“, flüsterte Shannon unwirsch. „Jetzt zeigen Sie erst mal her.“, damit deutete Jenna auf das Pad in Shannons Hand. Diese hielt ihrer Vorgesetzten selbiges hin, worauf Jenna ihre Clearence eingab. Shannon bedankte sich höflich und ging.

Nachdenklich sah Joran Jenna an. „Das sind 12 Shuttleladungen, Telshanach. Wenn du das alles verbauen willst, hört man auf dieser Station sein eigenes Wort nicht mehr.“ „Keine Sorge, Joran.“, tröstete Jenna ihn. „Das war natürlich reichlich übertrieben und sollte nur ihre ebenfalls sehr übertriebene Reaktion spiegeln.“ Joran nickte verständig.

Über die Ereignisse hatte ich nicht gemerkt, dass es Abend geworden war. Alle Kinder und ihre Eltern waren gegangen. Zumindest dachte ich das. Ich stand von der Bank auf und wollte eben in Richtung meines Hauses gehen, als ich ein leises Kinderschluchzen hörte. Ich ging in Richtung der Sandkästen, denn dort kam es her.

Bei meiner Ankunft fand ich einen kleinen Jungen vor, der mit einem Pad in der Hand am Rand eines der Kästen saß. Ich bückte mich zu ihm herunter. Meiner Schätzung nach war er gerade acht Jahre alt. Er hatte kurze rote Haare und trug eine weiße Hose, die mittlerweile allerdings über und über mit Tränen bekleckert war. „Hey.“, sagte ich. „Wer ist denn da so traurig?“ „Ich bin nicht traurig.“, entgegnete der kleine Junge. „Ich habe Angst. Es ist dunkel und ich muss die Zeit vergessen haben. Ich habe hier meine Hausaufgaben gemacht. Dad sagt, an frischer Luft lernt es sich besser, aber Pustekuchen!“ In diesem Augenblick fiel mir auf, dass er nicht der einzige war, der die Zeit vergessen hatte. „Du lieber Himmel, mein Arzttermin!“, entfuhr es mir. „Aber warum musst du denn zum Arzt. Du siehst doch gar nicht krank aus?“, fragte er. „Es gibt Krankheiten, die sieht man nicht.“, erwiderte ich. Dann nahm ich seine Hand und zog ihn auf die Beine, um mit ihm zu der Bank zu gehen, auf der ich vorher gesessen hatte. Ich dachte mir, ich würde ihm gut bei seinen Hausaufgaben helfen können. Erklären war meine Spezialität. „Wie heißt du eigentlich?“, Fragte ich ihn. „David Handerson.“, sagte er immer noch weinend. „Und wie heißen Sie, Allrounder?“ Erst jetzt fiel mir auf, dass ich aus Gewohnheit meine gesamte Uniform statt lockerer Zivilkleidung angelegt hatte. Mit der Sternenflotte schien David sich auszukennen, wenn er meinen Rang erkannt hatte. Ich wusste, dass ich den Namen Handerson auch schon mal gehört hatte. „Bist du der Sohn von Scientist Diana und Techniker Temm Handerson, die …“, setzte ich an. „Ja!“, quietschte David. „OK, dann weiß ich, wo du wohnst. Pass auf. Wir machen erst zusammen deine Schularbeiten und dann bringe ich dich nach Hause.“ David nickte. „Zeig mal her.“, forderte ich ihn auf. David kam meiner Aufforderung nach und schob mir das Pad hin. „Kannst du dafür sorgen, dass der Computer mir die Fragen oder was auch immer vorliest?“, fragte ich. „Oh, sicher.“, erwiderte der Junge jetzt schon zuversichtlicher und machte einige Eingaben, nach denen die Computerstimme des Pads anhob: „Nenne die berühmtesten Captains der Sternenflotte in Reihenfolge.“ „Mein Problem ist.“, erläuterte David. „Ich habe zwar die Namen drauf, aber mit der Reihenfolge klappt es nicht. Das kann ich mir einfach nicht merken.“ „Hm, wart’ mal.“, überlegte ich. Dann sagte ich: „Pass auf, David. Ich kenne da eine super Eselsbrücke! Jonny, Jimmy, und Jean aus Frankreich eröffnen den Reigen so gleich. Benjamin von Deep Space Nine folgt hinterdrein. Zum Schluss, doch nicht minder, tapfer und schlau, Kathryn Janeway, der Herzen liebste Frau.“ „Cool!“, schrie David begeistert. „Warum haben uns unsere Lehrer das nicht gesagt?“ „Oh.“, antwortete ich. „Die konnten es nicht, weil ich mir das gerade erst ausgedacht hatte.“ „Trotzdem klasse.“, freute sich David. Dann rutschte er näher an mich. „Was haben Sie denn jetzt für eine Krankheit, Allrounder.“, neugierte er. „Erst mal.“, begann ich. „Kannst du mich Betsy nennen und duzen und meine Krankheit, hm tja, also, ich habe Angst vor Telepathen. Aber …“ Er brach in Tränen aus: „Aber dann hast du ja auch Angst vor meinem Daddy.“ Ich nahm ihn in den Arm. „Oh, Knuffi, das wollte ich nicht. Ich weiß, dass du deinen Daddy sehr lieb hast und dass er sicher ein ganz lieber Daddy ist.“ Mr. Handerson war Betazoid, das wusste ich. Seine Frau, deren Nachnamen er angenommen hatte, war Terranerin. „Kannst du mich denn trotzdem nach Hause bringen?“, fragte David leise. „Ach klar. Das schaffe ich schon.“, entgegnete ich zuversichtlich. „Aber erst mal besorge ich dir ein Trostpflaster, wie du noch nie eines gehabt hast.

Ich stand auf und ging zu einem nahen Rasenrondell, auf dem in einer künstlichen Umweltkontrolleinheit ein demetanischer Sommerfruchtbaum stand. Einer der Zweige war über das Kraftfeld, das die dem demetanischen Klima im Sommer entsprechende Atmosphäre in der Einheit hielt, hinausgewachsen und streckte mir nun fast verführerisch eine reife Frucht entgegen. Nachdem ich die etwa handgroße kaffebohnenförmige Frucht abgepflückt hatte, bemerkte ich, wie der Zweig raschelnd in das Kraftfeld zurückschnellte. Das Gewicht der Frucht hatte ihn wohl überhängen lassen.

Auf dem Weg zurück dachte ich daran, was normalerweise mit den Früchten an den zur Stadtbegrünung genutzten teils außerirdischen Pflanzen geschah. Im Zeitalter der Replikatoren hatte man diese zwar gepflückt, sie aber danach der Materierückgewinnung überantwortet, was soviel hieß sie einfach zu entsorgen. In meinem Jahrhundert wusste noch jedes Kind, wo Lebensmittel her kamen. Aber hier beobachtete ich eine obskure Entwicklung. Eine bekannte Familie aus einem Vorort von Little Federation hatte mich doch tatsächlich mal gefragt, ob ich ihren Kindern nicht etwas über die ursprüngliche Herkunft von Lebensmitteln beibringen könnte, denn die Kinder hatten, als der Lehrer in der Schule ihnen Fleisch, Früchte, Getreide und anderes auf Bildern gezeigt hatte, nicht gewusst, wie sie diese Dinge einordnen sollten. Als zweites hatte der Lehrer ihnen das Bild eines Tieres, eines Baumes und eines Feldes gezeigt. Die Kinder sollten die ersten Bilder den letzten jeweils zuordnen und konnten dies nicht. Das erinnerte mich an die Sache mit der gemalten lila Kuh, die viele Kinder nach einem Aufruf an eine Firma geschickt hatten. Das hatte diverse Lehrer und Erzieher damals sehr erschreckt. Diese Entwicklung musste mit einer rasanten Geschwindigkeit weiter fortgeschritten sein. „Szenario X“, eine Rockband aus dem 30. Jahrhundert, die sich kritisch mit manchen Dingen auseinandersetzte, hatte auf ihrem neuen Album ein Stück, in welchem Shalima, die Liedsängerin, eindrücklich vortrug: „Was wollt ihr essen, wenn die Replikatoren nicht mehr funktionieren. Was werdet ihr fühlen, wenn die Kontrollstationen den Regen nicht mehr stoppen? Was wollt ihr erforschen, wenn alle Planeten gleich geterraformt sind und wohin wollt ihr fliegen, wenn eure Schiffe euch nicht mehr tragen wollen? Ich sag’ es euch, ihr werdet alle kläglich untergehen und den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen.“ Natürlich konnte ich David nicht mit so einem Text konfrontieren. Er würde das alles noch nicht verstehen und wahrscheinlich furchtbare Angst bekommen.

„Soll ich dir sagen, ob die Frucht reif ist?“, fragte David, als ich zu ihm zurückgekehrt war. „Nein, nein.“, lächelte ich. „Das finde ich schon selber raus.“ „Aber du kannst doch nicht sehen.“, entgegnete er. „Das macht nichts.“, erklärte ich. „Dafür kann ich gut hören.“ Damit hielt ich die Frucht einige wenige Zentimeter von meinem Ohr weg und schüttelte sie. „Sie gluckst nicht, also ist ihr Mark fest.“, erklärte ich. „Das bedeutet, sie ist reif.“ „Wow!“, staunte David. „Was du alles kannst. Aber wie willst du sie aufmachen? Hast du ein Messer oder gar deine Waffe?“ „Nein.“, lächelte ich. „Ein Messer habe ich nicht und mein Phaser würde sie zum Explodieren bringen. Aber ich weiß was anderes.“ Damit schlug ich die Frucht gegen den Rand der Bank, als würde ich ein Ei über einer Backschüssel aufschlagen. Dabei drehte ich die Frucht so, dass eine kreisrunde Sollbruchstelle entstand. Dann brach ich sie einfach auseinander. „Willst du die spitze oder die flache Seite?“, fragte ich. „Die spitze Seite bitte.“, antwortete David höflich. Lächelnd gab ich ihm die gewünschte Hälfte. „Du musst den Inhalt mit der Zunge ausschlecken wie eine Katze oder ein Hund aus dem Napf.“, erklärte ich die Weise, auf die solche Früchte auf Demeta gegessen werden. „Aber.“, erwiderte David. „Dann muss ich dir ja die Zunge rausstrecken. Das tut man doch nicht.“ „Ach was.“, schmunzelte ich. „Guck mal, ich mach’s doch auch.“

Wir hatten einen Heidenspaß beim Verzehr der Frucht. Unsere Gesichter sahen aus wie die zweier Dreckspatzen, als wir uns endlich in Richtung seiner Heimat aufmachten. David hielt meine Hand ganz fest, denn er fühlte sich in meiner Gegenwart beschützt und sicher. „Meine Adresse ist 242 Janeway Place.“, informierte er mich. „OK, ich weiß Bescheid.“, erwiderte ich. Welche Rolle das Haus am Janeway Place noch spielen sollte, ahnte ich noch nicht.

Es war schon fast Mitternacht, als wir endlich an seinem Elternhaus ankamen. Wir waren aber nicht allein, denn Caruso, der offensichtlich auch noch die Straßen unsicher machte, war uns begegnet. Auch er erinnerte mich daran, dass ich eigentlich im Haus seines Frauchens und Herrchens noch etwas zu erledigen hatte. Das Kling-Klingeling-Kling-Klang seiner Schelle kannte ich sehr wohl. „Hallo, Kätzchen.“, begrüßte ihn David. „Min-Mang!“, antwortete Caruso in alt gewohnter Weise. „Ach Betsy, übrigens, was ist ein Klingone mit einer Schelle um den Hals?“, wollte David wissen. „Ich weiß es nicht.“, antwortete ich. „Na, das ist doch ganz leicht.“, schmunzelte er zurück. „Ein Klingelgone.“ Ich lachte.

Mr. Handerson, ein Mann von durchschnittlicher Größe und Figur mit schwarzen Haaren und ebensolchem Schnurrbart, öffnete die Tür, nachdem ich die Sprechanlage betätigt und uns so zu sagen ausgewiesen hatte. „Gut, dass Sie meinen Sohn hergebracht haben, Allrounder.“, sagte seine sonore Stimme. „Gern geschehen, Mr. Handerson.“, entgegnete ich. David schob sich zwischen seinen Vater und mich. „Du brauchst keine Angst zu haben.“, flüsterte er und griff fest meine Hand. „Mein Dad ist ein ganz lieber.“ „Warum sagst du so etwas, David.“, wollte Mr. Handerson von seinem Sohn wissen. Dabei sah er ihn streng an. Ich bekam das starke Gefühl, dass ich eingreifen musste, denn es war wohl besser, dass ich die Wahrheit sagte, als wenn der Kleine vielleicht auf Grund eines Missverständnisses Ärger bekam. „Ich habe Angst vor Telepathie, Mr. Handerson. Ihr Sohn meinte Wohl, mich beschützen zu müssen.“ Meine Einlassung entlockte ihm ein mildes Lächeln. „Ach.“, machte er tröstend. „Das geht vielen Nicht-Telepathen so. Sie sind allerdings die erste Sternenflottenoffizierin, bei der mir das untergekommen ist. Aber dafür gibt es ja heute hilfreiche Einrichtungen.“ Musste er mich jetzt daran erinnern?

Er drehte sich wieder in Richtung Innenraum und rief: „Diana, komm mal bitte her, David ist wieder da!“ Die Wohnzimmertür öffnete sich und eine blonde langhaarige Terranerin in meiner Größe kam in den Flur. Sie sah müde aus, denn sie musste die halbe Nacht gewartet haben. „Herr Gott, ihr seht aus wie die Schweine.“, lautete ihr erster Kommentar, als sie David und mir ansichtig wurde. „Wie die Marzipanschweine.“, korrigierte das Kind. „David.“, flüsterte ich peinlich berührt. David war offensichtlich durch den leicht marzipanigen Geschmack der Sommerfrucht darauf gekommen. „Ist doch nicht schlimm, Darling.“, besänftigte Mr. Handerson seine Frau. „Irgendein Schlauberger hat mal Wasser und Seife erfunden.“ Ich musste lachen. „Sind Sie sicher, dass Sie keine Celsianer in der Familie haben, Mr. Handerson?“, fragte ich scherzend. „Na ja, da war mal was zwischen meinem Urgroßvater und ’ner celsianischen Technikerin auf einem Frachtschiff.“, scherzte er zurück.

„Kommen Sie doch herein.“, flötete mir Mrs. Handerson zu. „Sie können sich bei uns frisch machen.“ Dann wandte sie sich an David. „Du, junger Mann, gehst gleich mit und machst dein Gesicht anständig sauber und dann ab ins Bett. Morgen fängt die Schule wieder früh an.“ David witschte ins Haus. „Tut mir Leid, Mrs. Handerson.“, entgegnete ich auf ihren Vorschlag. „Ich denke, ich sollte Ihnen nicht länger zur Last fallen und lieber nach Hause gehen. Trotzdem danke für die Einladung.“ Damit drehte ich mich fort und ging.

Caruso hatte auf einem Mauervorsprung auf mich gewartet. Jetzt schlich er vor mir her, als wollte er mich nach Hause führen. Wenn immer ich hinter ihm zurückblieb, drehte sich der schwarze Kater nach mir um und machte: „Min-Mang.“ „Ja, ja, Caruso.“, beruhigte ich ihn. „Ich komme ja.“

Plötzlich hörte ich uhrwerkgleiche Schritte, die auf der anderen Straßenseite auf mich zu kamen. Am nächsten Fußweg wechselten sie die Seite und ich erkannte Data. „Was machen Sie denn am völlig entgegen gesetzten Ende der Stadt, Allrounder Betsy?“, fragte er. „Ich muss wohl beim Spazierengehen die Zeit vergessen haben.“, redete ich mich raus. „Kann ja mal passieren.“, meinte der Android. „Meine Frau hat den ganzen Nachmittag auf Sie gewartet.“ „Das tut mir Leid.“, entschuldigte ich mich. „Aber was machen Sie denn hier, Data? Hat Cupernica Sie geschickt um mich zu suchen?“ „Nein.“, entgegnete er. „Ursprünglich war ich auf der Suche nach Caruso. Er ist heute auch nicht nach Hause gekommen. Aber so sind Katzen nun mal. Es sieht aber so aus, als hätte Caruso Sie und ich Caruso gefunden.“ „Ihr beide solltet eine Detektei aufmachen, die sich auf das Aufspüren vermisster Personen spezialisiert.“, scherzte ich.

Data gab einen zwitschernden Laut von sich, worauf Caruso auf seine Schulter sprang und sich wie ein Tuch um seinen Nacken legte. Dann hielt er mir seinen Arm hin. „Habe ich Erlaubnis zum Andocken, Sir?“, scherzte ich. „Natürlich.“, antwortete er gewohnt sachlich.

Nachdem wir eine Weile gegangen waren, fragte ich: „Wie haben Sie Caruso das beigebracht, Data. Sagen Sie bitte nicht, Sie seien wochenlang mit Katzenfutter im Hemdkragen herumgelaufen.“ „Das bin ich nicht.“, erwiderte er. „Das wäre ja irgendwann sicher der Gesundheit meiner Mitmenschen und auch der Hygiene in unserem Haus sehr abträglich gewesen. Immerhin ist meine Frau Ärztin und es hätte den guten Ruf ihrer Praxis geschädigt.“ „Oh.“, fiel ich ein. „Das war nicht ganz ernst gemeint. Übrigens, mein Kompliment, dass Sie von Mitmenschen gesprochen haben. Sie müssen einen großen Schritt in Ihrer Menschlichwerdung vorangekommen sein.“ „Danke, Allrounder Betsy Scott.“, sagte Data. „Habe ich wirklich Mitmenschen gesagt?“ Ich nickte. „Das ist mir gar nicht aufgefallen.“, Wunderte er sich. „Aber, um noch einmal auf Ihre Frage zurück zu kommen: Ich habe einfach Carusos Hang zur Schmusigkeit ausgenutzt. Immer, wenn ich sah, dass er im Begriff war, auf meine Schulter zu springen, habe ich dieses Geräusch gemacht. Irgendwann hat er das miteinander verknüpft.“ „Klasse!“, lobte ich. „Ich habe mir Ihre Worte zu Herzen genommen. Erinnern Sie sich noch, als Sie mir mit Spot geholfen haben?“ Ich machte: „Hm.“ „Sie hatten in etwa inhaltlich gesagt, dass man als Katzenhalter ein guter Verkäufer sein muss, wenn man seine Katze zu etwas erziehen will. Man muss es ihr so schmackhaft machen, dass es ihr Spaß macht. Wenn Caruso das Gefühl hat, er kriegt jedes Mal einen Zwitscherer, wenn er mit mir schmust, macht er es noch viel lieber.“ „Genau.“, bestätigte ich lächelnd.

Ich erkannte die Tür meines Hauses, vor der Data mich abgesetzt hatte. „Aber ich muss doch zu Cupernica.“, sagte ich irritiert. „Morgen ist auch noch ein Tag. Cupernica wird Ihnen verzeihen, denke ich. Sie weiß sicher auch, wie schwierig es ist, eine Angst zuzugeben.“ Dann ließen Caruso und Data mich allein.

Joran war an diesem Tag sehr unkonzentriert. Zirell hatte ihn zwar mit IDUSA auf Patrouille geschickt, aber das Schiff erhielt seltsame undefinierbare Signale von ihm. „Soll ich auf Automatik gehen, Joran?“, fragte IDUSA mit einem fast mitfühlenden Ton. „Ist schon gut, IDUSA“, antwortete Joran. „Du musst dir keine Sorgen machen.“ „Dessen bin ich mir nicht sicher.“, widersprach die künstliche Intelligenz. „Sie verhalten sich sehr merkwürdig. Sonst sind Sie so pflichtbewusst und wachsam, dass sich sogar ein klingonischer General da noch eine Scheibe von abschneiden könnte und heute kann ich Ihre Gedankenbefehle kaum verstehen. Ich bezweifle ernsthaft, dass wir in einer Gefahrensituation so bestehen können.“ Natürlich wusste Joran, dass sie ihn ertappt hatte. Er sah ein, dass weiteres Leugnen keinen Zweck hatte. Er drehte sich zum Computermikrofon, das IDUSA für den Fall, dass sich mal jemand mit ihr verständigen müsste, dessen Neurotabelle sie nicht hätte oder der keinen Neurokoppler aufsetzen wollte, immer aktiviert hatte und sagte: „Antrieb aus und Ankerstrahl setzen, IDUSA!“ Das Schiff folgte seinen Befehlen.

Minutenlang hatten sie nun schon dieselbe Stelle im Weltraum umkreist, ohne dass Joran auch nur die geringsten Anstalten gemacht hatte, IDUSA zu berichten, wo ihn denn nun der Schuh drückte. Sicherlich wusste das Schiff, dass es für Vendar-Krieger schwierig war, ein Problem zuzugeben. Aber sie hatte eigentlich immer den Eindruck gehabt, dass Joran eher einer von der Sorte war, die auch mal die Effizienz über den falschen Stolz stellen konnte.

IDUSA ließ ihren Avatar lächeln und sich zu Joran drehen. „Was haben Sie denn nun für ein Problem, Joran?“, fragte sie freundlich. „Es ist die Föderation, IDUSA.“, begann der Vendar. Am Frequenzschema seiner Stimme, das etwas vom Üblichen abwich, konnte IDUSA erkennen, dass er wohl mit dem momentanen Verhalten der Föderation ziemliche moralische Bauchschmerzen haben musste. „Was haben die schon wieder angestellt?“, wollte sie wissen. „Sie haben gegenüber der Zusammenkunft und auch gegenüber Anführerin Zirell gesagt, dass sie einen großen Sieg gegen Sytania errungen hätten. Aber ich kenne meine ehemalige Gebieterin und weiß, dass sie durchaus in der Lage wäre, diesen Sieg in eine Niederlage umzumünzen. Im Moment mag die Föderation durch das Schicken der falschen Sonde eine Kampfpause erreicht haben. Aber es würde mich nicht wundern, wenn dies eines Tages auf uns zurückkommt und uns Sytania mit unseren eigenen Waffen schlägt.“ Joran ahnte nicht, wie Recht er noch haben sollte.

Im Tembraâsh, einer fremden Dimension, schritt ein alter Vendar über eine große Grasebene. Es handelte sich um Tabran, Jorans alten Lehrer. Erst vor kurzem hatte die Wächterin ihn nach Tembraâsh geholt.

Tembraâsh ist im Prinzip eine Art Altersheim für Vendar. Mit ca. 180 bis 200 Jahren werden Vendar praktizierunfähig, das bedeutet, die Sifa bildet sich zurück. Dann können sie keine Energiefelder mehr tragen. Damit sie vor Nachstellungen geschädigter Telepathen oder auch der Feinde ihres ehemaligen Gebieters sicher sind, hat irgendwann vor Millionen von Jahren ein mächtiges Wesen beschlossen, sie alle in eine gemeinsame Dimension zu bringen, in der sie frei und ohne Restriktionen leben können. Hier können sie wieder ein Volk sein und müssen sich nicht mehr feindlich gegenüberstehen, nur weil ihre Gebieter dies tun. Nicht mehr praktizierfähige Vendar wurden vor dem Eingriff dieser Mächtigen, die alle als die Wächterin bezeichnen, einfach von ihren Gebietern getötet. Dies wollte sie auch nicht mehr mit ansehen. Die Wächterin verbirgt ihre Dimension vor Schiffssensoren und interdimensionalen Antrieben. Nur, wenn sie es erlaubt, oder einen Kandidaten abholt, ist die Dimension kurz zu sehen. Tembraâsh bedeutet übrigens: verborgenes Reich.

Tabran war sehr aufgeregt, als er dem Felskessel, in dem er einst von allen begrüßt worden war, immer näher kam. Er war gerade 190 geworden und hatte ein graues schütteres Fell bekommen. Auch seine sonstige Erscheinung war stark vom Alter gezeichnet. Sein Gang war langsam und schlurfend geworden. Sein ehemals muskulöser Körper war dürr und knochig. Auch seinen Rücken hatte das Alter stark gebeugt. Nur sein Gedächtnis hatte den alten Vendar nicht im Stich gelassen. Genau erinnerte er sich an die alte Weisheit, die er auch allen seinen Schülern auf den Weg gegeben hatte. „Merkt euch: Krankheit, Alter und Tod, diese drei, sind die einzigen, denen sich ein Vendar-Krieger geschlagen geben muss.“, hatte er immer gesagt.

Ständig wiederholte Tabran die Worte, die die Anderen auch bei seiner Ankunft gesprochen hatten und die die Wächterin ihm auch noch einmal beigebracht hatte: „Sei gegrüßt, Neuankömmling. Fürchte nichts, denn du bist frei. Hier sind wir ein Volk, hier gibt es keine Feindschaft.“

Tabran erblickte die Anderen, die bereits dicht gedrängt um den Felskessel herumstanden. In seiner Mitte stand die Wächterin. Eigentlich war sie ein Energiewesen, das die Gestalt wählen konnte, die es wollte. Sie bevorzugte es aber, unter den Vendar als ihresgleichen aufzutreten. „Komm zu mir, Tabran, Sohn von Sumach, Ehefrau von Miran und Miran, Ehemann von Sumach.“, wendete sich die Wächterin an ihn. Tabran folgte der Aufforderung und stellte sich, wie es ihm die Wächterin anzeigte, an deren rechte Seite.

Alle übrigen sahen bald ehrfürchtig auf die weiße Wolke, die näher und näher kam und dann schließlich sanft am Boden des Felskessels landete. Sie gab eine alte runzlige Vendar frei, die Mühe hatte, sich vor den Anderen aufrecht hinzustellen. Tabran reichte ihr die Hand. Dabei spürte er ihre knöchernen Finger, aber für ihn war es das schönste Gefühl, das er je hatte. Ihr Gesicht war faltig und fast nackt, ihr Rücken gekrümmt und ihr Mund lächelte ihm zahnlos entgegen. Für ihn jedoch war sie die schönste Frau, die die Götter je erschaffen hatten.

Tabran spürte, wie sein Herz immer schneller schlug. Er bekam einen trockenen Mund und zittrige Knie. „Worauf wartest du.“, erkundigte sich die Wächterin. „Begrüße Shiranach.“ Tabran holte tief Luft, aber das war auch das einzige, was er zustande brachte, denn seine Stimme zettelte mit seinem Großhirn eine gemeinsame Revolte an und das hatte zum Ergebnis, dass er einfach nur mit offenem Mund da stand. Mit aller Gewalt versuchte er, die zeremoniellen Worte aus seinem Mund zu zwingen, aber vergeblich. Er konnte nur ein verschämtes: „Vergib mir.“ flüstern. „Ich vergebe dir.“, erwiderte die Alte. „Es geht mir ja genau so.“ Bevor Tabran fragen konnte, zog sie ihn an sich. Ihre zahnlosen Münder berührten einander zu einem langen und leidenschaftlichen Kuss. Beide spürten, dass ihre Herzen den Namen des anderen sangen. So nennen die Vendar das, wenn man sich verliebt hat.

Die Wächterin lächelte ihnen mild zu und übernahm die Begrüßung selbst. Dann löste sie mit einem Fingerzeig die Versammlung auf und verschwand in einem weißen Blitz.

Der Computer meines Hauses weckte mich bereits um fünf Uhr. Ich hatte keineswegs vor, den Termin bei Cupernica ein zweites Mal zu vergessen. Ich wusste, jetzt würde definitiv noch niemand in der Praxis sein, aber, wenn ich gleich die erste Patientin wäre, könnte ich vielleicht mein Versäumnis von gestern korrigieren.

Ein kurzes Frühstück und dann aus der Tür. Hier erwartete mich bereits Caruso. „Na, Katerchen.“, flüsterte ich ihm zu, nachdem ich mich zu ihm gebückt und sein weiches schwarzes langes Fell gestreichelt hatte. Schnurrend strich er um meine Beine. „Du willst mich wohl abholen.“, grinste ich, bevor wir beide zum Nebengrundstück liefen.

Wo die Tür zu den Praxisräumen war, wusste ich. Zwar hatte ich das Haus meistens durch die private Tür betreten, da Cupernica, Data und ich uns gut kannten, jetzt aber war mein Belang eher dienstlicher bzw. gesundheitlicher Natur.

Durch die weiße Tür mit den roten Glasscheiben, die eine Vertäfelung wie in einem alten Gutshaus darstellen sollten, kam ich in den Flur. Der lange schmale Flur war sehr orientierungsfreundlich. Ich konnte mich sowohl links als auch rechts an der Tapete mit Tiermotiven, die eine Farm darstellten, entlang tasten. Meine Aufmerksamkeit ging verstärkt auf meine rechte Hand. „Bei den Kühen geradeaus rüber.“, hatte mir Oxilon, Cupernicas Assistent, ein Talaxianer, geraten, damit ich die Anmeldung leichter finden würde. Oxilon war ein Freund einfacher Lösungen und verstand gar nicht, weshalb viele erst dicke Bücher wälzen mussten, um unsereins etwas beizubringen.

Ich hatte seinen Rat beherzigt und stand nun vor dem aus repliziertem weißen Marmor bestehenden Tresen, den eine weiche blaue Filzschicht vor Kratzern und Fingerabdrücken schützte. „Summ-Klick.“, schob die Elektronik die weiße durchsichtige Scheibe, die mich vom Inneren des Anmeldungshäuschens trennte, zurück. „Da sind Sie ja.“, lächelte Oxilon mir zu. „Tut mir Leid, Medical Assistant.“, setzte ich an, aber er fiel mir ins Wort: „Keine Entschuldigungen, Allrounder. Hier wird Ihnen nicht der Kopf abgerissen. Cupernicas Firmenpolitik lässt das ohnehin nicht zu. Sie sagt, dass man gerade bei Angstpatienten nicht gleich mit der schriftlichen Keule kommen darf und eine sonstige Strafe haben Sie auch nicht zu erwarten. So, jetzt setzen Sie sich erst mal ins Wartezimmer und dann hole ich Sie rein, sobald ich meiner Vorgesetzten Bescheid gegeben habe.“ „Danke, Oxilon.“, erwiderte ich erleichtert. Dann scherzte ich: „Wie war das noch? Beim Hofhund gleich links, oder?“ „Richtig.“, sing-sangte er zurück. Dann schloss sich die Scheibe wieder.

Im Wartezimmer, einem großen hellen Raum mit weichen bunten Wandbehängen, ließ ich mich erleichtert in eine der großen knautschigen gelben Sitzmuscheln sinken, die rund um eine Gruppe aus zehn runden kleinen glatten mehrfarbigen Tischchen gruppiert waren. Auf den Tischchen befanden sich Terminals und daneben lagen Datenkristalle. Ich zog meinen privaten Ohrhörer aus der Tasche und steckte ihn in die dafür ausgewiesene Buchse. Dann legte ich einen der Datenkristalle in das Laufwerk. „Computer, Inhalt des sich im Laufwerk befindenden Kristalls vorlesen.“, befahl ich.

An sich war ich keine Freundin der in ärztlichen Wartezimmern herumliegenden Zeitschriften. Zumindest dann nicht, wenn es sich um Arztpraxen aus meinem Heimatjahrhundert handelte. Die völlig übertriebenen Liebesgeschichten prominenter Persönlichkeiten interessierten mich nämlich (entschuldigt bitte) einen feuchten Romulanerfurz. Wenn man es recht betrachtete, fand ich einen solchen sogar noch spannender. Auch über die völlig überdramatisierten Überschriften konnte ich eigentlich nur lachen. Hier, dachte ich, hier würde alles anders sein. Immerhin war die Chefin Androidin und würde schon dafür aufpassen, dass ihre Patienten nicht so einen Schund lesen müssten, der sich allenfalls zum Stopfen von undichten Türen eignete.

„Über das Phänomen: Telepathiephobie und seine soziologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Von Prof. Jennifer Owens.“, las der Computer. „Verdammt.“, flüsterte ich. „Muss ich gerade einen erwischen, der mich genau an mein Problem erinnert?“

Menach hatte eines der besten Hackprogramme auf die Sonde angesetzt. Tatsächlich war ihr damit der Zugriff auf die Daten gelungen. Die Geheimdienstler hatten dies zwar mit Absicht sehr leicht gestaltet, dennoch war sie stolz auf sich.

Cirnach ging an Menachs Arbeitsplatz vorbei. „Ausbilderin.“ Die Ansprache ihrer Novizin ließ Cirnach umkehren. „Was gibt es, Menach?“, fragte sie zwar freundlich, dennoch konnte sie ein gewisses verbrecherisches Grinsen nicht vermeiden. „Ich habe Zugriff auf den Inhalt der Sonde erlangt.“, verkündete Menach. „So so.“, erwiderte Cirnach. „Hast du das. Lass mich sehen!“ Die Novizin nickte und machte den Platz am Monitor für ihre Ausbilderin frei. „Interessant.“, stellte Cirnach fest, nachdem ihr Blick, wie vom Geheimdienst beabsichtigt, auf ein völlig veraltetes Bauschema eines Raumschiffes gefallen war, das aber lediglich ein Lockhäppchen war. „Spiele den Inhalt der Sonde auf ein Pad und gib es mir!“, beorderte Cirnach die Jugendliche. „Die Föderation wird sich noch wundern.“

Eng umschlungen saßen Tabran und Shiranach am Grund des Felskessels. Die Anderen waren lange gegangen. Oh, wie gut es doch tat, einander zu halten, zu herzen und zu küssen. Weder Tabran noch Shiranach fanden die richtigen Worte. Deshalb strichen sie sich auch nur zärtlich durch das nicht mehr ganz so üppige Fell.

Stunden mussten vergangen sein, ohne dass sie auch nur ein Wort gewechselt hatten. Der Mond war längst aufgegangen und Tabran fand, dass er sich lieblich in Shiranachs Augen spiegelte. Er wollte diesen Augenblick mit aller Macht festhalten. Nie wieder sollte er aus seinem Gedächtnis entwischen können.

Er rutschte so nah an sie heran, dass seine Lippen mit ihren Ohrpinseln zu spielen begannen. Shiranach gab einen Laut des Gefallens von sich und kraulte ihm dafür den Nacken.

Plötzlich spürten beide die erneute Anwesenheit der Wächterin.

Auch im hohen Alter können Vendar Telepathen noch spüren.

Sie hatte sich dieses Mal in eine Wildkatze verwandelt und schlich neugierig näher. Erst kurz vor den beiden änderte sie ihre Gestalt wieder in die der jungen kräftigen Vendar, die alle kannten. „Vergib mein Versagen, Wächterin.“, entschuldigte sich Tabran noch einmal. Die Wächterin aber lächelte nur: „Ist schon gut, Tabran. Was passiert ist, ist doch sehr schön.“ „Das stimmt.“, pflichtete er ihr bei. „Aber ich hätte nicht gedacht, dass mir so etwas noch einmal passiert.“ „Ah so.“, lachte die Wächterin. „Du glaubst also, sich zu verlieben sei das Vorrecht der Jugend. Da irrst du aber, wie du sehr gut am Beispiel von Shiranach und dir sehen kannst. Lass Shiranach am Besten bei dir wohnen. Ihr solltet jetzt auch ins Warme gehen. Die Nacht wird sicher noch sehr frostig.“ Damit verschwand sie erneut.

Tabran nahm Shiranach bei der Hand und beide standen behäbig auf. Der alte Vendar wusste, wenn die Wächterin etwas sagte, trat es auch ein. Das lag nicht zuletzt daran, dass es sich bei ihr ja schließlich um ein omnipotentes Wesen handelte.

Eine Weile lang waren die zwei Frischverliebten im taunassen Gras unterwegs gewesen. Als Orientierung zu seinem Haus benutzte Tabran einen Flusslauf, dessen Wasser ihnen kristallklar schimmernd den Weg wies.

Immer, wenn die beiden eine Pause machten, schaute Shiranach auf die Wasseroberfläche. Tabran gefiel das Spiegelbild ihres Gesichtes, das er, wenn er auch dorthin sah, gut sehen konnte. Je nach Lichteinfall spiegelten sich sogar beide Gesichter nebeneinander. Tabran war eigentlich nicht als romantische Seele bekannt, aber jetzt wünschte er sich, er würde mit Shiranach genau so auf diesem Fluss hinfort ziehen, wie es ihre Spiegelbilder beim Kräuseln des Wassers taten. Jetzt sah er ohnehin alles durch eine rosarote Brille.

Shiranach hatte eine glänzende Muschel erspäht, die auf der Sandbank auf der anderen Flussseite lag. Sie hatte die Form eines Herzens. „Leider kann ich nicht mehr schwimmen. Meine Knie tun schon zu weh.“, sagte sie traurig. Tabran ließ ihre Hand los und sagte: „Warte hier auf mich.“ Dann ging er ins Wasser und holte tatsächlich die Muschel. Shiranach strahlte, als hätte er ihr gerade ein Königreich zu Füßen gelegt. Plötzlich überkamen sie jedoch Schuldgefühle. „Die Strömung ist ziemlich heftig an diesem Ort.“, begann sie. „Was wäre gewesen, wenn du …“ „Sch, ruhig, Telshanach.“, beschwichtigte Tabran sie. „Ich bin sicher, die Wächterin hätte nicht zugelassen, dass mir etwas geschehen wäre.“ „Glaubst du, die Wächterin hat das mit uns …“, flüsterte Shiranach. „Wer weiß.“, mutmaßte Tabran. „Manchmal sind ihre Wege unergründlich.“

Sie gingen weiter und ließen den Fluss hinter sich. In der Ferne konnte Shiranach ein einfaches kleines Haus erkennen. Nach einigen weiteren Schritten überquerten sie die Türschwelle. Nachdem sie auf zwei braunen Sitzkissen Platz genommen hatten, fragte Tabran nachdenklich: „Ich weiß ja eigentlich nichts weiter über dich als deinen Namen, Telshanach. Woher kommst du? Wem hast du gedient?“ Shiranach schluckte. Sie wollte erst nicht raus mit der Sprache, denn sie befürchtete, dann seine Liebe zu verlieren. Sie wusste, dass er Sytania gedient hatte.

Nach einer ganzen verschwiegenen Weile flüsterte sie fast ängstlich: „Ich diente Dill von Zeitland.“

Über Tabrans Reaktion war sie sehr erleichtert aber auch überrascht. Er zog sie zu sich heran und küsste ihre Augen. „Du liebe kleine einfältige Närrin.“, schmeichelte er. „Hast du wirklich geglaubt, die Feindschaft unserer Gebieter hätte hier noch eine Bedeutung? Erinnerst du dich noch an die Worte, die zu deiner Begrüßung gesprochen wurden?“ Shiranach nickte. „Diese Worte sind nicht nur leere Phrasen.“, erklärte Tabran. Sie ließ sich in seine Arme sinken und so verbrachten sie den Rest der Nacht bis zum Morgengrauen.

Jenna und Joran trafen sich nach getaner Arbeit vor ihrem gemeinsamen Quartier. Zwar kannte Jenna seinen Dienstplan, war aber überrascht, dass er schon so früh wieder zurück war. „Die Patrouille war wohl nicht sehr erfolgreich.“, nahm sie an. „In der Tat nicht.“, bestätigte der müde aussehende Vendar. „IDUSA hat Zirell gebeten, uns früher freizustellen. Ich konnte mich einfach nicht konzentrieren.“

Sie durchschritten die Tür. Jenna ließ seinen letzten Satz noch lang in ihrem Gedächtnis nachhallen, bevor sie nachhakte: „Was ist denn der Grund dafür? Das kennt man ja von dir gar nicht.“ „Es ist die Föderation, Telshanach. Kannst du mir erklären, warum sie so naiv sind?“ Jenna legte den Kopf in beide Hände und machte ein nachdenkliches Gesicht. Dann sagte sie: „Tut mir Leid, Joran, das weiß ich auch nicht. Ich habe noch nicht mal eine Theorie, aber das liegt vielleicht daran, dass ich mit sozialen Problemen nicht so gut bin wie mit Problemen von Computern.“ Sie hatte nicht die geringste Vorstellung davon, wie sehr sie sich noch irren sollte.

Owens Artikel war doch nicht so trocken, wie es seine Überschrift erst vermuten ließ. Im Gegenteil. Ich erfuhr etwas über einen ihrer Probanden, der Betazed als seine Wahlheimat betrachtete, seine Angst vor Telepathie aber erst dort wirklich entdeckt hatte. Ich erfuhr alles über seine Verhaltensweisen, mit denen er sich gegen scheinbare geistige Angriffe zu wehren versuchte. Irgendwie fand ich mich in diesem Mr. X wieder. Immer wieder dachte ich, dass dies auch ich sein könnte.

Jemand tippte mich an. „Kommen Sie, Betsy, Sie sind dran.“ Ich nahm den Ohrhörer heraus und erkannte Oxilons Stimme. „Sehr witzig, Medical Assistant.“, gab ich zurück. „Ich bin die einzige Patientin hier im Wartezimmer. Wer außer mir sollte denn dran sein?“

Bevor Oxilon antworten konnte, hörten wir beide Cupernicas Stimme: „Führen Sie sie in den Wintergarten, Assistant. Hier habe ich selbst bereits alles vorbereitet und bleiben Sie bei uns. Wie Sie wissen, kann ich ja weder trinken noch essen und es wäre Allrounder Betsy sicher nicht recht, wenn sie allein vor Tee und Gebäck säße.“ „Ja, Ma’am.“, flötete Oxilon zurück und nahm meine Hand.

Derartige Dinge waren in Cupernicas Praxis nichts Ungewöhnliches. Sie behandelte jeden Angstpatienten so, vorausgesetzt, der hatte nicht gerade Angst vor Tee und Kuchen. Cupernica fand, dass sie so eine Atmosphäre schaffen könne, in der die Patienten sich wohl fühlten und dann leichter über ihre Probleme reden würden. Oxilon war mit seiner Rolle als Alibi-Esser sicher auch zufrieden.

„So, Betsy, jetzt geht es eine kleine Stufe abwärts und dann stehen Sie schon vor Ihrem Stuhl.“, erklärte Oxilon, als wir den Wintergarten betreten hatten. Dann sagte er: „Computer, verdunkeln.“ Alsbald schoben sich von außen undurchsichtige Scheiben vor die eigentlichen Glasscheiben, die so konzipiert waren, dass man zwar von innen nach außen aber nicht umgekehrt schauen konnte.

Meine Hand glitt an der weichen Lehne des Sessels entlang, zu dem mich Oxilon gebracht hatte. Der Bezug war aus weichem seidigem Stoff mit bunten Blumenmotiven, wie Oxilon mir beschrieb. Als ich auf dem Sitzkissen angekommen war, richtete sich plötzlich etwas darin auf und gab ein erschrecktes „Quietsch!“ von sich. „Oh, Fredy.“, sagte ich beruhigend, nachdem ich mein Herz, das mir vor Schreck in die Hose gerutscht war, wieder gefunden hatte. „Was machst du denn hier? Fast hätte ich mich auf dich gesetzt!“ Damit nahm ich den Tribble, der Cupernicas Haustier war, behutsam hoch und setzte ihn, nachdem ich mich selbst gesetzt hatte, auf meinem Schoß ab. Fredy schnurrte, schmiegte sich an mich und schlief ein.

Wenig später betrat auch Cupernica den Ort des Geschehens. „Ach nein!“, rief sie aus. „Das ist ja wirklich niedlich. Fredy muss gespürt haben, dass es Ihnen nicht gut geht. Jetzt habe ich einen Beweis für die Platonier.“ „Was meinen Sie damit, Cupernica?“, fragte ich irritiert. Wahrscheinlich war Cupernica auf eine bestimmte Art froh darüber, dass sie ein unverfängliches Einstiegsthema gefunden hatte. Sie konnte zwar keine Freude empfinden, aber sicher fand sie es effizienter, dass wir zunächst über etwas Alltägliches plaudern konnten, bevor es ans Eingemachte gehen würde. Meine Zunge wäre dann leichter und ich könnte sicher befreiter über das eigentliche Thema reden. „Nun.“, erklärte sie. „Data und ich wollen Fredy und Caruso zu Therapietieren ausbilden lassen. Die Platonier haben da sehr gute Methoden. Ich habe bereits mit einer Ausbildungsstätte Kontakt aufgenommen. Sie wollten aber einen Beweis für das Talent der zwei Fellknäule, bevor sie ihre Trainerin schicken würden.“ Damit zog sie ihr Sprechgerät aus der Tasche und photographierte die Szene, um sie an das platonische Rufzeichen zu senden. Auch Caruso hatte sich dazugesellt und jetzt hatte ich zwei kuschelige pelzige Tröster, die mir das Gespräch allein durch ihre Anwesenheit sehr erleichtern würden.

Oxilon stellte einen Teller mit Gebäck vor mir ab. Danach folgte eine große Tasse mit demetanischem Sommerfruchttee, den ich so sehr mochte. Nachdenklich betastete ich den Inhalt des Tellers und versuchte, diesen in die Mitte des Tisches zurück zu schieben, nachdem ich mir einen Marzipankeks genommen hatte. „Nein, nein, Betsy, das ist alles für Sie.“, berichtigte mich Oxilon. „Wir haben Ihnen nur einen eigenen Teller gegeben, damit Sie sich nicht immer auf dem großen Ding in der Tischmitte orientieren müssen.“ „Sehr großzügig.“, antwortete ich höflich.

 

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