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Wir gingen zum nächsten Turbolift und fuhren in die Freizeitkapsel. Hier schlugen wir den Weg zu den Simulationskammern ein. „Ich frage mich, Kleines, was ich mit den Erlebnissen zu schaffen habe, die du mit deinem Großvater verbindest.“, bemerkte Shimar. „Genau darauf sollten die Kontrollettis auch reinfallen, falls die Sicherheit mal meine Tasche filzt.“, sagte ich. „Die sollten denken, es handle sich um Tagebucheinträge oder so etwas. Sie wissen es ja Gott sei Dank nicht besser.“ Shimar staunte. Dann sah er mir zu, wie ich den Kristall ins Laufwerk schob. „IDUSA darf keine Sternenflottenprogramme oder welche von der Föderation installieren, seit Krieg herrscht.“, erinnerte er mich. „Keine Angst.“, lächelte ich. „Ich kenne da so meine Methoden. Jannings hat mir mal gezeigt, wie ich eine Simulation direkt vom Kristall starten kann, ohne sie zu installieren.“

Ich gab eine Befehlskette in die Konsole ein, worauf uns bald die uns beiden wohl bekannte Umgebung aus der Simulation gezeigt wurde. „Wow.“, staunte Shimar.

Jemand kam um die Ecke geschlurft. Shimar konnte einen ca. 80-jährigen Mann mit grauem Bart, leichtem Bauchansatz und Arbeitskleidung erkennen. Außerdem hatte er eine Vollglatze. „Hallo, Mäusken.“, begrüßte mich der Mann auf Deutsch. „Moin, Opa.“, gab ich in gleicher Sprache zurück. „Das ist Shimar.“, erklärte ich dann weiter. „Heute musst du mich nicht dirigieren. Das macht er.“ „Dann sag ihm, er soll gut auf meinen Augapfel achten.“, sagte der Alte. „Aber ich darf doch wenigstens auf der Bank sitzen und zusehen.“ „Aber sicher.“, lächelte ich.

Die Simulation meines Großvaters schlurfte zur Bank hinüber. „Worum ging es zwischen euch?“, erkundigte sich Shimar, während wir zum Flugzeug, das bereits an der Winde hing, hinüber gingen. „Ich habe kein Wort verstanden.“ „Er will, dass du gut auf mich aufpasst.“, übersetzte ich ins Englische, was er auf Deutsch gesagt hatte. „Außerdem dirigiert er mich sonst von hinten. Dieses Ding hat ja keinen Bordcomputer, auf den ich mein Spezialprogramm spielen könnte. Jannings hat meinen Großvater eingefügt und …“ „Schon klar.“, sagte Shimar. „Aber wie wäre es, Kleines, wenn ich heute mal übernehme und du einfach nur hinten sitzt und dich entspannst.“ „OK.“, erklärte ich mich einverstanden.

Jemand kam auf uns zu und nahm auf dem Fahrersitz des Traktors platz. „Meisje!“, begrüßte mich der Mann mittleren Alters, der lockere Kleidung trug und einen starken niederländischen Akzent hatte. „Wen hast du denn da mitgebracht?“ „Das ist Shimar.“, stellte ich Shimar erneut vor. Da weder Peet, so hieß der Windenfahrer, noch mein Großvater Englisch sprachen, musste ich das übernehmen. „Du hast das Programm wohl lange nicht mehr benutzt, Kleines.“, stellte Shimar fest. „woher weißt du das?“, fragte ich. „Das sehe ich an der Art und Weise, wie er dich begrüßt hat.“

„Dann mal rein mit euch in die Wanne.“, ermunterte uns Peet in einem von einem starken Akzent gefärbten Deutsch. Weil er dabei auf das Flugzeug gezeigt hatte, verstand auch Shimar.

Wir verstauten und verschnallten uns und dann führte Shimar das Kabel des Sprechgerätmikrofons zu mir nach hinten. „Mach du das lieber.“, sagte er. „Mein Deutsch ist mies.“ Ich lächelte und drückte die Sendetaste: „Kann losgehen, Peet!“

Wir hörten ein lautes Motorengeräusch und die Sache kam im Wortsinn ins Rollen. Shimar zog sanft aber bestimmt den Steuerknüppel zu sich. Dann hörte ich ein leises „Wush“, gefolgt vom Aushaken der Seile. „Du kannst ja nicht nur alles fliegen, das einen Antrieb hat, sondern auch alles, was keinen hat.“, staunte ich. „Hattest du etwas Anderes erwartet, Kleines?“, fragte Shimar stolz zurück. Ich schüttelte den Kopf.

Wir drehten einige Platzrunden, dann meldete sich Peet, um uns zu sagen, dass sich die Thermik verschlechterte. Deshalb kehrten wir so schnell wie möglich zurück. Auch die Landung klappte auf Anhieb, was die Simulation meines Großvaters sehr erstaunte. „Sag dem jungen Mann bitte, dass ich schwer beeindruckt bin, Mäusken.“, bat Opa mich zu übersetzen, nachdem er mir beim Aussteigen geholfen hatte. „Werde ich ausrichten.“, erwiderte ich.

Das Programm wurde plötzlich beendet. Jetzt sahen wir nur IDUSA, die sich uns mit aufgeregtem Gesicht zeigte. „Zirell bittet alle in die Kommandozentrale.“, sagte der Avatar. „Es geht um ein Ereignis auf Khitomer, zu dem wir eingeladen werden sollen.“ „Gehen wir.“, sagte ich.

Zirell stand in der Mitte der Kommandozentrale, als Shimar und ich eintrafen. Mein tindaranischer Gefährte zählte durch und stellte fest, dass Joran und Sedrin fehlten. Auch von Eludeh oder Gajus beziehungsweise den bajoranischen Zivilisten war nichts zu sehen. Wenn IDUSA alle gesagt hatte, musste Zirell ihr das so befohlen haben und alle schloss auch jeden Zivilisten mit ein. Hätte Zirell es nicht so gewollt, hätte sie den Rechner sicher nur die Besatzung in die Zentrale rufen lassen.

„Joran und Sedrin werden später informiert.“, nahm die geschulte Telepathin meine Frage vorweg. ‚Ähnlich werden wir mit dem Kai und der Ersten Ministerin verfahren. Wir werden einen Weg finden müssen, ihnen das schonend beizubringen, was wir jetzt gleich sehen werden. Joran und Sedrin sind mit Eludeh und Gajus im Kinderheim auf Tindara. Sie besuchen dort Centus-Shimar. IDUSA versucht bereits, sie zu erreichen, damit sie so schnell wie möglich mit dem Shuttle zurückkehren. IDUSA, die Nachricht von Nihilla abspielen.“

Auf Zirells Befehl lud der Stationsrechner alle Reaktionstabellen in einen Simulator im Raum. Vor unseren geistigen Augen erschien zuerst ein virtueller Bildschirm, auf dem bald das fischäugige Gesicht Ethius’ zu sehen war. „Ich habe von der Zusammenkunft, der Regierung der Tindaraner also, ein akzeptables Friedensangebot erhalten.“, sagte die für meine Ohren extrem nach Größenwahn klingende Stimme des nihillanischen Staatsoberhauptes. „Ich bin gewillt, es anzunehmen. Anscheinend haben die Tindaraner endlich verstanden, dass gegen uns kein Kraut gewachsen ist und jegliche Götter, die ihnen nicht helfen können, weil es sie nicht gibt, einfach nur eine Ausrede für Dinge sind, die sie sich nicht die Mühe machen wollten, wissenschaftlich zu erklären. Aber diese Mühe haben wir uns gemacht. Deshalb sind wir heute in der Lage, ein Universum neu zu erschaffen, in dem es unsere Feinde einfach nicht mehr geben wird, oder besser noch, sie haben nie existiert. Wir haben uns entschlossen, auch die Tindaraner an diesem denkwürdigen Akt der Neuschöpfung teilhaben zu lassen. Deshalb laden wir eine Delegation nach Khitomer ein. Gemeinsam mit der Föderation, deren Feinde wir selbstverständlich ebenfalls in der Neuschöpfung nicht vorgesehen haben, werden wir in ein neues Zeitalter schreiten.“ Die Übertragung endete.

Mir wurde übel. Der hat nicht mehr alle Kerzen am Kronleuchter., dachte ich. Ganz deiner Meinung, Kleines., gab Shimar zurück.

„Die Zusammenkunft will, dass wir auf die Einladung eingehen.“, erklärte Zirell. „Schließlich muss jemand die Boje zurückgeben und die befindet sich nun einmal auf meiner Basis.“ „Entschuldige, Zirell.“, meldete sich Shimar zu Wort. „Aber wir passen nicht alle in das Shuttle. Falls die Zivilisten dabei sein wollen …“ „Keine Sorge.“, tröstete die tindaranische Kommandantin. „Das bajoranische Schiff ist ja auch noch da. Es wird nur jemanden brauchen, der es fliegt.“ „Ich übernehme das.“, sagte ich. Ich hoffte, dass mich das von meinen trüben Gedanken ablenken würde. Was bildeten diese Nihillaner sich ein?! Nur, weil sie eine so genannte Urknallmaschine besaßen, meinten sie, einfach so ein neues Universum und neue Dimensionen schaffen zu können, wie es ihnen beliebte. Ich verstand zwar gerade genug von Astrophysik, um ein Schiff im Universum schadensfrei fliegen zu können, mehr brauchte ich als Pilotin und SITCH-Offizierin ja auch nicht, aber trotzdem sagte mir ein kleines gemeines Bauchgefühl, dass hier etwas gewaltig schief gehen würde.

„Schön, Betsy.“, sagte Zirell. „Aber nimm besser alle Zivilisten mit. Ich will nicht, dass sie mit uns in einem Shuttle sitzen. Am Ende rutscht einem von uns noch was raus und dann kriegen sie Angst bis Oberkante Unterlippe.“ „Hey!“, mischte sich Shannon ein. „Sprüche zu klopfen ist mein Job!“ Zirell lächelte. Dann sah sie fragend zu Jenna hinüber. „Die Boje ist bereit, Zirell.“, erklärte die terranische Technikerin.

Joran hatte Sedrin und die beiden Nihillaner, beziehungsweise Eludeh und Gajus in Marons Körper, nach Tindara gebracht. Hier sollte er laut Sedrins Befehl mit IDUSA in der Umlaufbahn warten. Sedrin war mit Eludeh und ihrem Mann auf die Planetenoberfläche gebeamt. Die Demetanerin hielt es für besser so. Sie wäre in der Lage, den zivilen Erziehern im Heim die seltsame Situation um Gajus zu erklären.

Sie betraten das Gebäude. „Wir werden uns zunächst beim Empfang melden.“, sagte Sedrin. „Gajus, ich halte es für besser, wenn Sie das Reden zunächst mir überlassen.“ „Wie Sie möchten.“, sagte Gajus und warf ihr einen milden Blick zu. „Halten Sie es wirklich für gut, wenn wir einem völlig ahnungslosen Rezeptionisten erklären, was mit meinem Mann passiert ist?“, erkundigte sich Eludeh. „Die Tindaraner sind Telepathen.“, verteidigte Sedrin ihre Argumente. „Ich bin überzeugt, der weiß eher was los ist, als wir denken.“

Vor einem Tresen stoppten sie. Sedrin betätigte einen Sprechanlagenknopf an der Außenseite eines Fensters, worauf sich dieses öffnete. Ein etwa 150 cm messender Tindaraner streckte den Kopf heraus, den eine verspielte Lockenpracht zierte. „Ich bin Agent Sedrin Taleris-Huxley, das ist Eludeh und das ist Gajus.“, stellte Sedrin alle knapp vor. „Gajus und Eludeh möchten ihren Sohn, Centus-Shimar, besuchen. Ließe sich da was machen?“ „Einen kurzen Augenblick bitte.“, lächelte der Tindaraner und verschwand wieder in sein Anmeldehäuschen. Kurze Zeit danach tauchte eine ungefähr genau so kleine junge Tindaranerin auf. „Ich bin Sarimell.“, stellte sie sich mit hoher lieber Stimme vor. „Ich bin Erzieherin in Centus-Shimars Gruppe. Kommen Sie mit. Ich bin sicher, der Kleine wird sich sehr freuen, seine Eltern zu sehen.“ Sie drehte sich zu Sedrin. „Und Sie, Agent.“, lächelte sie. „Sie müssen gar nichts erklären. Dass ihr Militärglucken auch immer denkt, uns bemuttern zu müssen. Ich bin Telepathin. Ich weiß längst, dass Ihr Schulfreund dem stolzen Vater seinen Körper geliehen hat.“ Sedrin schaute ertappt.

Die Tindaranerin wuselte voraus und bald kamen sie in eine hell eingerichtete Wohngruppe. Hier hatte jedes Kind sein eigenes kleines Zimmer. Sarimell aber führte sie an den Zimmern vorbei in einen großen Raum. Hier saß ein tindaranisches Mädchen auf einem Teppich. Vor ihr saß der kleine Centus-Shimar. Die Kleine stand auf und sagte etwas zu Sarimell auf Tindaranisch, worauf diese sich zu dem kleinen Nihillaner herabbeugte und in Entzücken ausbrach. Mit seinen Froschfüßen war es ihm tatsächlich gelungen, zwei Schaumstoffwürfel aufeinander zu schichten. „Minell sagt, sie hat es ihm nur einmal zeigen müssen.“, stellte Sarimell fest. „Für fast noch ein Baby lernt er verdammt schnell.“ „Das macht sicher Ihre liebevolle Betreuung.“, lächelte Eludeh und nahm ihren Sohn auf den Arm. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie wollte ihn am Liebsten gar nicht mehr loslassen. „Bitte, Eludeh, gib ihn mir einmal.“, bat Gajus. „Ich werde keine Gelegenheit mehr dazu haben, wenn ich Marons Körper wieder verlassen muss.“ „Aber natürlich, Daddy.“, foppte Eludeh und übergab das Kind. Gajus wurde schier von seinen Vatergefühlen überwältigt. Sogar Tränen stiegen ihm in die Augen.

Sedrin ließ Gajus nicht aus den Augen. Sie sah bald jene Veränderung, die sie auch gesehen hatte, als Gajus und Maron den Kontrollwechsel vorgenommen hatten. Nach einigen Sekunden wiederholte sich das Augenspiel.

Bevor die Agentin allerdings nachfragen konnte, wurde sie von ihrem Sprechgerät aus der Situation geholt. Am Rufzeichen im Display erkannte sie, dass am anderen Ende Joran an Bord von IDUSA sein musste. „Vergib mir, Agent Sedrin.“, entschuldigte sich der Vendar. „Aber wir müssen zurück. Anführerin Zirell sagt, es geht um die Nihillaner.“ „Schon gut.“, sagte Sedrin. Dann verabschiedeten sich alle von Centus-Shimar und seiner Betreuerin, bevor Sedrin das Zeichen zum Beamen gab. Sie wusste, das, was jetzt kam, konnte nur Unheil bedeuten.

Jenna hatte das bajoranische Schiff gewartet und ich wartete jetzt auch. Ich saß im Cockpit und erwartete Gajus, Eludeh, den Kai und die Erste Ministerin.

Plötzlich öffnete sich die Luke und Jenna stieg zu mir an Bord des Schiffes. „Wir haben noch was vergessen.“, erklärte sie und schob einen Datenkristall ins Laufwerk des Rechners. „Ich muss noch Ihr Spezialprogramm installieren.“ „Tun Sie sich keinen Zwang an.“, sagte ich und rutschte zur Seite. Sie gab einige Befehle in die Konsole ein.

Mir war ihr Verhalten etwas seltsam vorgekommen. Normalerweise war sie nicht so nachlässig. Ich war überzeugt davon, dass sie in Wahrheit nur einen Grund gesucht hatte, mit mir allein zu sprechen. „Jenn’.“, sprach ich sie an. „Sie haben das doch mehr oder minder aus Versehen mit Absicht vergessen, nicht wahr?“ „Ihnen kann man nichts vormachen.“, sagte sie. „Aber ich muss tatsächlich mit Ihnen reden. Haben Sie bei Ihrem Aufenthalt auf Nihilla irgendetwas bemerkt, das Sie schließen lässt, ob die Nihillaner unter Umständen meinen Plan mit dem Virus voraussehen konnten?“ „Ups.“, machte ich. Ich hatte so etwas schon geahnt. Jenna galt zwar bei uns als technisches Genie, das musste aber nicht bedeuten, dass es nicht irgendwo intelligentere Wesen gab oder mindestens Wesen, die ihr an Intelligenz ebenbürtig waren und die tatsächlich ihren Plan hätten erraten können.

Ich stand auf und sagte ihr direkt ins Gesicht: „Ich will ehrlich sein, Techniker. Die Nihillaner sind sehr intelligent. Ihre politischen Wahlen werden nicht auf demokratischem Wege entschieden, sondern durch IQ-Tests. Der oder die Intelligenteste wird Staatsoberhaupt. Ich persönlich halte für möglich, dass sogar Ethius selbst Ihnen auf die Schliche kommen könnte.“ Sie schien wenig überrascht. „Das dachte ich auch schon.“, sagte sie in ruhigem nüchternen Ton. „Nur alle anderen glauben das nicht. Ich will nur nicht, dass wir nachher eine böse Überraschung erleben.“ „Darauf kann ich auch gut verzichten.“, pflichtete ich ihr bei. „Haben Sie darüber schon mal mit Zirell oder Sedrin gesprochen?“ „Gott bewahre.“, sagte Jenna. „Die Beiden würden mich sicher für verrückt erklären, wenn ich an meinem eigenen Plan zweifeln würde.“ „Sie müssen es ja nicht so ausdrücken, dass man merkt, dass Sie Zweifel haben. Sie können es ja mehr als Warnung und als Wahrscheinlichkeit formulieren.“, schlug ich vor. „Und wie formuliert man so etwas, Frau Kommunikationsoffizier?“, fragte sie scherzend zurück.

Bevor ich ihr helfen konnte, die richtigen Worte zu finden, deutete sie auf das Seitenfenster des Schiffes. „IDUSA kommt zurück.“, sagte sie. „Shannon und ich werden sie jetzt überprüfen und ich denke, dann müssen wir los. Zirell und Sedrin wollen meines Wissens nach keine Zeit verlieren. Er ist ja jetzt auch fertig.“ Bei ihrem letzten Satz deutete sie auf die Computerkonsole und entfernte den Datenkristall. Dann verließ sie das Shuttle.

Wenige Minuten später waren alle um- und eingestiegen und wir waren gestartet. Shimar flog mit IDUSA voraus. In ihrem Hecktraktorstrahl befand sich unsere Boje. Ich blieb mit dem bajoranischen Schiff da hinter. Mein Spezialprogramm hatte Befehl, uns an IDUSAs Antriebsspur zu orientieren.

Plötzlich öffnete sich die Tür zwischen Cockpit und der Achterkabine und Eludeh stand hinter mir. „Kann ich kurz mit dir reden, Betsy?“, formulierte sie eine zögerliche Frage. Ich aktivierte den Autopiloten. „Nur zu.“, sagte ich und drehte mich zu ihr. „Es tut mir leid, dass ich dich für eine Weile so gehasst habe.“, entschuldigte sie sich, nachdem sie sich neben mich gesetzt hatte. „Schwamm drüber.“, sagte ich. Sie sah mich irritiert an. „Oh.“, machte ich. „Das ist ein terranisches Sprichwort. Es heißt, dass alles vergessen ist.“ „Aber ich …“, begann sie. „Scht.“, machte ich leise und strich ihr durch ihr Haar. „Weißt du, eigentlich habe ich deinen Hass als Kompliment gesehen.“, erklärte ich. „Das ist mir zu schräg.“, gab sie zu. „Erklär mal.“ „Ganz einfach.“, sagte ich. „Du als Telepathin hast sogar geglaubt, dass ich auf der Seite eures Militärs sei. Das sehe ich als Kompliment an meine schauspielerische Leistung.“ „OK.“, lächelte sie. „Dann Schwamm drüber meine Unsicherheit.“ Ich musste lachen. „Wenn, dann heißt es: Schwamm über meine Unsicherheit. Aber eine solche Interpretation des Sprichwortes habe ich auch noch nie gehört.“ „Ich kann eben auch schräg.“, lächelte sie, stand auf und verließ das Cockpit.

Ich bekam mit, wie sich Gajus und Eludeh quasi die Klinke in die Hand gaben. Gajus näherte sich mir jetzt mit festem Schritt. „Schließen Sie die Tür, Allrounder!“, sagte er befehlsgewohnt. Einen solchen Kommandoton hatte ich sonst nie bei ihm bemerkt. Eigentlich erinnerte mich dieses Verhalten eher an das eines hochrangigen Sternenflottenoffiziers gegenüber einer Untergebenen. Trotzdem befahl ich dem Computer, die Tür zu verriegeln.

Gajus setzte sich neben mich. Zumindest war ich der Ansicht, es handle sich noch immer um Gajus, obwohl sich langsam Zweifel an dieser Tatsache in mir breit machten. „Ich brauche Sie und Ihr geschultes Gehör, Allrounder.“, sagte er dann. Wieder hatte er eine Art zu formulieren genutzt, wie ich sie einem nihillanischen Zivilisten nicht zutraute. Jetzt war es amtlich! Es musste Maron sein, mit dem ich jetzt sprach. „Worum geht es denn genau, Sir?“, fragte ich salutierend. „Gut erkannt.“, lobte er. „Gajus hat meinen Körper verlassen, nachdem wir aus dem Kinderheim zurückgekehrt waren. Er sagte, er wolle mir nicht länger zur Last fallen. Ich habe ihm gesagt, dass er dies nicht täte, aber er war anderer Meinung. Er hat sich nur sehr überschwänglich bei mir bedankt, dass ich ihm ermöglicht habe, mit meinen Armen sein Kind zu halten und mit meinen Lippen noch einmal seine Frau zu küssen usw. Aber darum geht es eigentlich nicht.“ Er machte eine Pause. Ich sah ihn erwartungsvoll an. „Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache.“, fuhr er dann fort. „Offen gesagt, halte ich Ethius für verrückt. Ihm ist sein Glaube an die Wissenschaft zu Kopf gestiegen.“

Ich ließ seine letzten sechs Worte auf mich wirken. „Glaube an die Wissenschaft.“ Im Grunde hatten die Nihillaner ja jetzt eine Religion, auch wenn sie das leugneten. Die Wissenschaft war zu ihrer Religion geworden. Das empfand ich als sehr ironisch. Eigentlich waren sich Religion und Wissenschaft ja spinnefeind. So etwas konnte ja nicht gut gehen.

„Was hat jetzt mein Gehör damit zu tun?“, drängte ich ihn zum Weiterreden. „Können Sie hören, ob jemand noch ganz bei sich ist, wenn er etwas sagt?“, fragte Maron. „Ich bin keine Psychologin, Agent.“, erwiderte ich. „Aber wenn man von Ethius’ Redeweise ausgeht, dann glaube ich, bei allem Respekt, Sir, dass er einen ziemlichen Haschmich hat. Das sagt mir sein überspitzter Tonfall, die fast kippende Stimme und die größenwahnsinnigen Formulierungen. Der hält sich wahrscheinlich für einen Gott. Aber das tut nicht nur er. Bei meinem Aufenthalt auf Nihilla musste ich feststellen, dass die Meisten das auch tun.“ „Und das tun sie … Warum?“, fragte Maron. „Weil er der Intelligenteste ist.“, antwortete ich. „Sie glauben, er irrt sich nie.“ „Sie wissen, Allrounder, dass Genie und Wahnsinn oft sehr nah beieinander liegen.“, warnte Maron. „Ich weiß, Sir.“, antwortete ich. „Deshalb sollten wir extrem vorsichtig sein.“

Das Sprechgerät riss uns aus unserer Unterhaltung. „Ich muss antworten, Agent.“, sagte ich. „Agent.“, lächelte er zurück. „Diesen Rang habe ich doch nicht mehr. Zoômell hat mich doch beurlaubt.“ „Aber sie hat Sie nicht rausgeschmissen.“, stellte ich richtig, während ich merkte, dass mir das Piepen doch gewaltig auf die Nerven zu gehen begann. „Computer.“, befahl ich. „Ruf durchstellen!“ „Na endlich, Kleines.“, hörte ich Shimars Stimme. „Sorry.“, flapste ich zurück. „War gerade beschäftigt. Was gibt es denn?“ „Zirell und Sedrin wollen, dass wir die Boje an ihrem Stammplatz absetzen. Anscheinend ist sie noch nicht ersetzt worden.“ „Mit dieser Formulierung würde ich vorsichtig sein.“, erwiderte ich. „Ich habe ein verdammt fieses Gefühl.“ „Wir passen schon auf.“, lächelte Shimar und beendete das Gespräch.

Maron und ich sahen zu, wie IDUSA in die interdimensionale Schicht verschwand und die Boje entkoppelte. Dann kamen sie zurück. „Warum haben Sie ihm nichts gesagt?“, erkundigte sich Maron. „Es ist ja bis jetzt nur ein Gefühl.“, sagte ich. „Wir können Ethius’ Verrücktheit ja nicht beweisen, noch nicht. Ein Staatsoberhaupt ohne Beweise als wahnsinnig zu bezeichnen, ist sicher nicht diplomatisch korrekt, oder?“ „Sie haben Recht.“, bestätigte Maron.

Das Spezialprogramm meldete mir, dass wir per Positionslicht eingewiesen wurden. „Machen Sie uns fest und dann gehen wir mal feiern!“, befahl Maron. Dabei konnte er seinen ironischen Unterton nicht verhehlen. Das wollte er meiner Ansicht nach aber auch nicht.

Auch Evain und Ethius waren eingetroffen und von der Besatzung der Khitomer-Basis an eine Schleuse gewiesen worden. „Ist unsere kleine Überraschung bereit, Evain?“, wollte Ethius von der Führerin seines Militärs wissen, die es sich nicht nehmen lassen hatte, ihn persönlich zu begleiten und sein Schiff zu fliegen. „Aber natürlich, Allverstehender Präsident.“, grinste Evain dreckig. „Sobald Sie oder auch die liebe Nugura, der Sie ja planen, die Kontrolleinheit in die Hand zu geben, das Netzwerk aktiviert haben, kommt sie aus ihrem Versteck im Laderaum dieses Schiffes und nimmt ihren Platz ein. Die übrigen Bojen werden nur Kontakt zu ihr aufnehmen und die alte Boje brav ignorieren. Dann steht diese Mc’Knight da mit ihrem Talent.“ „Sehr gut.“, lobte Ethius und verließ mit ihr das Schiff.

Auf der Feier waren Shimar und ich in eine stille Ecke verschwunden. „Ich habe da was nicht ganz kapiert.“, gab ich zu. „Ist es wahr, dass du Sytania dabei geholfen hast, einen Schutzschild gemeinsam mit den anderen Mächtigen aufzubauen?“ „In gewisser Hinsicht stimmt das, Kleines. Aber …“

Auf einer großen Fläche in der Mitte des Raumes nahm der Chor der Akademie Aufstellung. Kurz danach begann der Computer, die Melodie von Riverdance, einem alten irischen Volkslied, abzuspielen. Eine der jungen Auszubildenden trat vor und begann ihren Soloauftritt. Unwillkürlich begann auch ich mitzusingen. Dieser Part war auch einmal meiner gewesen, während ich auf der Akademie war. Ich war damals gemeinsam mit Mikel ebenfalls dem Chor beigetreten. Hätte es damals Feierlichkeiten gegeben, hätten wir dieses Stück auch aufgeführt. Immerhin war es das Lieblingslied der Präsidentin und durfte deshalb bei keinem wichtigen Ereignis fehlen.

Versunken in die leise Intonierung nahm ich nicht wahr, dass Sedrin sich an unseren Tisch gesetzt hatte. „Ich muss Sie etwas fragen, Allrounder.“, begann die demetanische Agentin. „Oh, was gibt es denn, Ma’am.“, schreckte ich auf. „Halten Sie es angesichts der Intelligenz der Nihillaner für möglich, dass Mc’Knights Plan mit dem Virus nicht aufgeht?“ Ich schaute sie alarmiert an. „Woher wissen Sie …“, stieß ich hervor. „Weil O’Riley ihren Mund nicht halten kann.“, antwortete sie. Oh, Mann., dachte ich. Dann sagte ich: „Nun, Agent, Techniker Mc’Knight hat sicher nur die Wahrscheinlichkeiten ausgelotet, als sie äußerte, dass sie vermutete, dass ihr die Nihillaner eventuell drauf kommen könnten.“ „Aha.“, sagte Sedrin und ging. Ich atmete auf. Ich war froh, dass sie mir die Nachricht so abgenommen hatte, wie ich sie zwar inhaltlich korrekt, aber dennoch diplomatisch vertretbar weiter gegeben hatte.

„Allrounder, alles klärchen bei Ihnen?“ Die nassforsche Stimme, die mich das gefragt hatte, erkannte ich sofort. „Geht so, Shannon.“, gab ich zurück und sah zu, wie sie sich setzte. Dabei fiel ihr Blick auf den Riesenteller Essen, den mir Shimar gerade hingestellt hatte. „Heftige Henkersmahlzeit.“, kommentierte sie das Gesehene. „Sollte ich wohl genau so machen. Werd’ mir ooch noch mal anständich den Bauch vollschlagen, bevor die Welt untergeht. Na ja, wenigstens hör’ ich noch ’n anständiges irisches Volkslied, bevor ich den Löffel abgeb’.“

Die junge platonische Auszubildende war in den Hintergrund getreten und hatte dem übrigen Chor und einigen Tänzern Platz gemacht. Wenn das passierte, war das Stück fast zu Ende. Das passierte immer auf solchen Festen, kurz bevor Nugura ihre Reden begann. Ich wusste, viel Zeit würde nicht mehr bleiben.

Das Lied endete und die Auszubildenden gingen, angeführt von einem der Professoren, von der Bühne. Jetzt betraten Nugura und Ethius diese. „Heute ist ein denkwürdiger Tag.“, begann Nugura ihre Rede. „Unsere neuen Bürger, die Nihillaner, werden uns mit dem heutigen Tage von all unseren Feinden befreien. Mehr noch, sie werden ein Universum schaffen, in dem es keine bösen Kräfte mehr geben wird. Denken Sie sich nur, es wird nie wieder die Gefahr durch Romulaner, Genesianer, Zadorianer und andere primitive Kräfte geben, für die der Krieg wohl die einzige Daseinsberechtigung darstellte. Sie alle werden heute Zeugen dieses denkwürdigen Ereignisses werden.“ Sie endete.

Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Anscheinend glaubte sie diesen Schwachsinn wirklich! Sie schien wahrhaftig daran zu glauben, dass wir alle die Zerstörung des Universums überleben würden. Aber wo sollten wir denn hin? Alle anderen Dimensionen waren doch gleichermaßen betroffen!

Ethius betrat die Bühne. Er hatte etwas in der Hand, das an eine altertümliche Fernbedienung für einen Fernseher erinnerte. „Ich kann mich meiner Vorrednerin nur anschließen.“, sagte Ethius. „Deshalb will ich ihr zum Lohn für ihre schöne Rede den Schlüssel zum neuen friedlichen Zeitalter selbst in die Hand geben.“ Er übergab das Gerät an Nugura, die es lächelnd aktivierte.

Minuten danach brach plötzlich große Hektik aus. Die Besatzung der Khitomer-Basis rannte hin und her. Alarme blinkten und piepten. Jemand sagte etwas von einem Interdimensionsbeben. IDUSA meldete sich über das Rufzeichen der Basis. Die Verbindung war allerdings aufgrund von Interferenzen sehr schlecht. „Ich beobachte quasi eine Auflösung aller Dimensionen.“, meldete das tindaranische Schiff. „Das gesamte Gefüge scheint zusammenzubrechen. Planeten, nein, ganze Sonnensysteme, hören einfach auf zu existieren. Die interdimensionale Sensorenplattform kann mir darüber gerade noch Auskunft geben. Ich halte es aber nur für eine Frage der Zeit, wann ich auch zu ihr den Kontakt verliere.“

Zirell stürzte zum Terminal, aus dem IDUSAs Meldung in den Festsaal übertragen wurde. „Was ist mit den nihillanischen Bojen, IDUSA?“, fragte sie. „Die sind die Quelle der Strahlung, die hierfür sorgt.“, kam es nüchtern zurück.

Die Tindaranerin verließ das Terminal wieder und flitzte zu Jennas Tisch. Aber die war schon in ein Verhör durch Sedrin verwickelt. „Verraten Sie mir bitte, warum das mit dem Virus nicht funktioniert, Mc’Knight!“, sagte Sedrin mit strengem Tonfall. „Weil die Nihillaner meinen Plan vorausgesehen haben, Ma’am.“, antwortete Jenna. „Die Chance dazu stand 50 zu 50. Die Bojen ignorieren unsere Boje völlig. Die müssen sie ersetzt haben.“

Die Demetanerin sprintete zum bereits genannten Terminal. „IDUSA, kannst du bestätigen, dass unsere Boje keinen SITCH-Kontakt zum nihillanischen Netzwerk hat?“, fragte sie. „Affirmativ.“, kam es zurück.

„Schalten Sie das Netzwerk ab!“, forderte der terranische Präsident. „Sie werden uns noch alle töten!“ „Das ist nicht möglich.“, grinste Ethius. „Dieser Prozess kann nicht aufgehalten werden, wenn er einmal in Gang gesetzt worden ist. Außerdem müssen für jeden Neuanfang Opfer gebracht werden. Aber ich werde Ihnen beweisen, Sie ängstlicher Narr, Dass die wirklich an die Errungenschaften der Wissenschaft Gläubigen nicht sterben werden!“ Damit rannte er aus dem Saal in Richtung Schleuse. „Was zur Hölle hat der Kerl vor?“, fragte Sedrin halblaut. Dabei war ihr entgangen, dass sie das Mikrofon der Konsole, dessen Leitung lang genug war, noch immer in der Hand und die Sendetaste gedrückt hielt. „Soll ich ihn überwachen?“, fragte IDUSA zurück. Die Verbindung war inzwischen so schlecht geworden, dass jede Art von visueller Kommunikation unmöglich war. „Tu das!“, befahl Sedrin. „Er ist in das nihillanische Shuttle gestiegen und hat abgedockt.“, erklärte das Schiff. „Die Strahlung ist uns inzwischen sehr nah gekommen. Er fliegt ihr entgegen. Wenn es so weiter geht, wird auch er bald aufhören zu existieren. Ich muss den Andockplatz wechseln.“

Zwischen Zirell, Sedrin und dem Kommandanten von Khitomer gingen Blicke hin und her. Dann sagte Sedrin zu IDUSA: „Ist OK. Halte aber Sensorenkontakt mit Ethius. Versuche, mich mit ihm zu verbinden.“ „Das ist unmöglich.“, erwiderte IDUSA. „Aber es gibt eine letzte automatische Nachricht von Bord seines Schiffes.“ „Abspielen!“, befahl Sedrin. „Oh, ihr furchtvollen Schafe.“, begann die Stimme des Präsidenten. „Bald werdet ihr alle sehen, dass die Wissenschaft über die Angst triumphieren wird!“

Es gab ein fürchterliches Geräusch und die Verbindung brach ab. Dann sahen wir alle die buchstäbliche Auflösung des nihillanischen Schiffes. „… und Ikarus kam der Sonne zu nah.“, spottete Jenna. „Wer ist Ikarus, Telshanach?“, fragte Joran. „Eine Gestalt aus der irdischen Mythologie.“, antwortete die Angesprochene. „Er hat versucht, mit Wachsflügeln zur Sonne zu fliegen und ist dabei tödlich verunglückt.“ „Aber Telshanach.“, erwiderte Joran. „Du weißt doch, dass das physikalisch gar nicht geht.“ „Heute wissen wir das.“, beschwichtigte ihn Jenna. „Aber damals sah man das noch anders. Es ist außerdem nur eine Sage.“

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