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Cupernica war am nächsten Tag schon früh in ihrem Labor, das sich direkt an ihre Praxis anschloss. Sie war hier nicht allein. Oxilon, der sonst ihr Assistent war, hatte zwar frei, aber dafür assistierte ihr jetzt Data. Oxilon war, so fand sie, für die Aufgaben der Gerichtsmedizin, die sie jetzt für den Geheimdienst durchführte, zu redselig.

Das Labor war ein dunkler Raum mit allerlei Geräten, Tischen und Regalen. In einer Ecke stand ein Rechner. Daran war jetzt Cupernicas Erfasser angeschlossen. Auf einem Objektträger vor ihr auf dem Tisch befand sich die Zellprobe aus dem Grab. Cupernica sah gebannt auf den Bildschirm des Rechners. „Diese Zellkerne, Data, finde ich höchst faszinierend. Anscheinend verstecken sich in ihnen dreierlei DNS-Stränge. Es ist wie bei einer Zwiebel oder einem Rosenkohl. Irgendwann ist die erste Schicht durch Telumerase, also, Kürzung der Fasern im zellaren Alterungsprozess bedingt, verbraucht und ein neuer Bauplan schiebt sich nach vorn. Das bestätigt, dass es sich um nihillanische Zellen handelt.“ „Bestätigt.“, antwortete der Androide nüchtern. „Aber sind dir die Vergiftungserscheinungen aufgefallen?“ „Positiv.“, erwiderte die Androidin. „Wir sollten dies auf jeden Fall den Agenten mitteilen. Außerdem müssen wir ihnen sagen, dass die Erde, aus der das Grab besteht, nicht terranischen Ursprungs ist. Sie scheint, zumindest den Vergleichen zufolge, die ich angestellt habe, nihillanisch zu sein. Ich bin überzeugt, hier will uns jemand etwas sagen.“ Sie packte die Proben und einen Datenkristall mit den Ergebnissen ein und sagte dann: „Auf zum Geheimdienst.“

Böse Zungen hatten ohnehin schon manches Mal behauptet, dass Cupernica in dieser Androiden-Ehe eindeutig die Hosen an, beziehungsweise die Steuerung in der Hand hatte. Ich hatte dies nicht wirklich bestätigen können. Ich wusste nämlich genau, dass sich die Situation je nach Fachgebiet auch umgekehrt darstellen konnte. Cupernica würde Data nie in Entscheidungen seines Fachgebietes hineinreden und er ihr nicht in die Medizin. Hier handelte es sich jetzt aber um eine rein gerichtsmedizinische Sache.

Sedrin hatte mit einem Koffer in der Hand das Kinderheim betreten. Mikor war für seine Aussage von der Schule freigestellt worden und erwartete die Agentin bereits gemeinsam mit Mittana, die extra wegen ihm noch ein paar Überstunden dranhängen würde. Die Celsianerin genoss bei ihren Schützlingen eine außerordentliche Vertrauensstellung und da Mikor erst 14 Jahre alt war, musste auch immer noch ein Erziehungsberechtigter dabei sein. Das verlangte die Rechtsprechung der Föderation.

„Hallo, Mikor.“, begrüßte Sedrin den kleinen Cardassianer, der ihr stumm die Hand gab. Dann gingen beide in Mikors Zimmer. Mittana hielt sich im Hintergrund.

„Ich habe ein Modell mitgebracht.“, erklärte Sedrin, nachdem sich beide an Mikors Schreibtisch gesetzt hatten. „Ich möchte, dass du mir genau zeigst, was du gesehen hast.“ „Aber natürlich, Agent.“, erwiderte Mikor folgsam. Dann beobachtete er, wie die demetanische Agentin ein minimiertes Replikat des Grabes und seiner unmittelbaren Umgebung aus dem Koffer holte, und vor seiner Nase aufbaute. Als Nächstes entnahm sie dem Koffer noch Spielfiguren, die die Gesichter von Mikor und seinen Freunden trugen. „So.“, sagte Sedrin. „Dann leg mal los.“ Mikor sah über die Figuren und das Grab hinweg, als wollte er zuerst etwas überprüfen. „Wo ist Mrs. Scott?“, fragte er schließlich. Sedrin machte ein ertapptes Gesicht. „Ach du Schreck.“, schauspielerte sie schließlich. „Die hätte ich ja fast vergessen! Aber wenn sie dir so wichtig ist …“ Sie griff erneut in den Koffer. „Hier ist sie.“

Mittana lächelte. Sie wusste genau, dass Sedrin diesen Fehler mit Absicht eingebaut hatte. Als ausgebildete Erzieherin wusste sie, dass man mit kleinen psychologischen Tricks bei Kindern und Jugendlichen oft viel erreichen konnte. Auch in ihrer Ausbildung hatte Sedrin dieses Kapitel durchgenommen, um jugendliche Opfer oder Zeugen besser „Anfassen“ zu können. Dadurch, dass er sie quasi korrigiert hatte, hatte sie ihm das Gefühl vermittelt, dass extrem wichtig war, wie er die Situation erlebt hatte und dass nur er derjenige war, der sie richtig wiedergeben könnte.

Geduldig sah Sedrin zu, wie Mikor die Modelle des Grabes und der Figuren seiner Erinnerung nach platzierte. Dann nahm sie ihren Erfasser und fotografierte alles ab. „Mir fällt auf.“, begann die demetanische Agentin, nachdem sie die Szene noch einmal betrachtet hatte. „Dass du so zum Grab stehst, als würdest du genau wissen, wo es ist. Wärst du einfach nur zufällig dran vorbeigekommen, stündest du so da.“ Sie drehte den Plastik-Mikor so, dass er schräg mit dem Gesicht zum Grab stand. „Weißt du hiervon etwa schon länger?“ Ob ihres Verhörtons errötete Mikor. Sedrin legte verständig ihre Hand auf seine Schulter. „Ist schon gut.“, beschwichtigte sie ihn. „Auch ein Cardassianer darf mal vergessen, etwas zu melden. Ich weiß ja, wie gewissenhaft ihr sonst in solchen Dingen seid.“ „OK, Sie haben mich. Aber das ist noch nicht alles.“, entgegnete Mikor. „Jemand trauert dort heimlich.“ „Was!“, fragte Sedrin alarmiert. „Ja.“, bestätigte Mikor noch einmal. „Bitte kommen Sie heute Nacht wieder. Dann zeige ich es Ihnen.“ „Na gut.“, sagte Sedrin, bevor sie alles wieder einpackte. „Legen wir uns also heute Nacht auf die Lauer.“

Data und Cupernica hatten das Gebäude des Geheimdienstes betreten. Ihr Weg führte sie jetzt direkt zu Agent Sedrins und Agent Jones’ Büro. Der schnauzbärtige Agent erwartete sie bereits. Seine Partnerin hatte ihn darüber informiert, dass noch eine wissenschaftliche Auswertung anstand.

Jones öffnete die Tür. „Kommen Sie rein.“, flüsterte er. Lauter zu sprechen, vermied er mit Absicht, denn inzwischen hatten eine Menge Bürger von Little Federation von dem geheimen Grab Wind bekommen. Die Kids mussten sich gegenüber ihren Eltern verplappert haben. Zwar stimmte es schon, dass man ein Grab am Besten auf einem Friedhof versteckte, aber das ganze Drumherum musste ihnen sehr beängstigend vorkommen. Ihre Reaktion, alles brühwarm ihren Eltern zu servieren, war also irgendwie verständlich.

Diverse Bürger hatten sich daraufhin gemeldet und sagten jetzt aus. Die Agenten hatten so schon alle Hände voll damit zu tun, die Aussagen von Verrückten und Geltungssüchtigen von den wirklich wahren zu unterscheiden. Wenn jetzt noch jemand etwas von den Ergebnissen dieser Auswertung mitbekommen sollte, befürchteten sie, dass alles aus dem Ruder laufen könnte.

Jones, Data und Cupernica betraten ein leeres Verhörzimmer. Dort setzten sich alle drei um einen Tisch. Cupernica packte ihren Erfasser und die Proben aus. „Meinen Ergebnissen zufolge.“, begann sie einen sachlichen Vortrag. „Handelt es sich hier tatsächlich um ein nihillanisches Grab. Mir ist bekannt, dass die Nihillaner an sich ihre Toten nicht begraben, sondern von Staatswegen verordnet als Organbanken nutzen, da sie die Existenz einer Seele negieren und es somit keine moralischen Gründe gibt, die dagegen sprechen würden. Aus unserer Sicht mag das ein Frevel sein und so sehen das wohl auch die, die nicht mit dieser Handlung einverstanden sind. Es gibt diverse Flüchtlingsströme in Richtung Tindara, soweit ich gehört habe. Die Tindaraner verhalten sich in diesem Punkt neutral, da sie nicht wissen, warum die Flüchtlinge flüchten. Es gibt keine Beweise für diese Verstöße. Aber die tindaranische Regierung meint, dass ja irgendwas auf Nihilla nicht stimmen kann. Sonst würde ja niemand flüchten.“

Jones bekam einen roten Kopf, als würde er sich fremd schämen . „Was Sie da sagen, Cupernica, klingt sehr amoralisch. Glauben Sie diese Gerüchte ernsthaft? Ich meine, die Nihillaner sind warpfähig. Sie stehen mit uns auf einer technologischen Stufe. Denken Sie nicht, dass dies sie auch automatisch moralisch integer macht?“ Cupernica schüttelte den Kopf. Sie wusste genau, dass dies zwei verschiedene paar Schuhe waren.

„Aber nun zu Ihren Beweisen.“, sagte Jones und zog ein Pad, um alles zu protokollieren. „Einen kurzen Moment.“, sagte Data eifrig. Dann ging er zum Replikator und replizierte ein Rosenkohlröschen. Dieses legte er vor Jones auf dem Schreibtisch ab. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte der sichtlich verwirrte Agent. „Damit möchte ich Ihnen den Aufbau einer der Zellen demonstrieren, die wir aus dem Grab entnommen haben.“ Er blickte zu Cupernica herüber, die sogleich einen Vortrag zur nihillanischen Biologie begann, zu dem Data an den richtigen Stellen schichtweise die Blätter des Rosenkohls entfernte. Auch Details über die Vergiftung ließen die Androiden nicht aus.

Zoômell, die Chefin des tindaranischen Geheimdienstes, eine hagere Mittfünfzigerin mit praktischem blonden Kurzhaarschnitt, hatte Maron ganz schön abgewatscht. Ihr hatte gar nicht gefallen, dass der Demetaner gegenüber ihr vollmundige Behauptungen bezüglich der Beweisführung in Sachen nihillanische Waffen aufgestellt hatte. „Dass die Nihillaner Militärs in die Flüchtlingszüge einschmuggeln, ist schlimm genug.“, hatte Zoômell gesagt. „Aber das haben sie ja auch unumwunden zugegeben. Die Zusammenkunft hat Nugura auch dafür öffentlich gerügt, dass sie zulässt, dass jemand, der diese Praxis betreibt, in die Föderation kommt. Aber sie hat davon nicht abgelassen. Die letzte Konsequenz könnte zwar lauten, dass Tindara sich von der Föderation löst, sollte Nugura trotz allem weitere Verstöße dulden, aber die Flüchtlingslager werden immer voller und, wenn du nicht bald einen triftigen Beweis dafür anbringst, wie amoralisch die Nihillaner sind, könnten wir gezwungen sein, weitere Flüchtlinge abzuweisen, weil es einfach keinen Platz mehr für sie gibt.“ „Ich weiß auch, wie die politische Situation ist, Zoômell.“, hatte Maron versucht, sie zu beruhigen. „Aber ich hatte gehofft, du würdest mir das abnehmen.“ „Wie verzweifelt bist du eigentlich?“, hatte sie erwidert. „Als einem Ermittler deines Schlages sollte dir doch eigentlich klar sein, dass fingierte oder gar erfundene Beweise gar nichts bringen und alles nur auf uns zurückfallen wird.“ Maron hatte ihre Rüge zähneknirschend zur Kenntnis genommen.

Joran saß wartend vor einem reich gedeckten Tisch in Jennas und seinem Quartier. Die Zeitanzeige seines Sprechgerätes ließ er nicht aus den Augen. Wo blieb sie denn? Der Vendar wusste, dass Unpünktlichkeit eigentlich nicht zu seiner Freundin passte. Wenn sie später kam, gab es dafür sicher einen Grund.

Das plötzliche Piepen der Sprechanlage ließ ihn aufhorchen und zum Terminal hinüber sehen. Auf dem Display erkannte er das Rufzeichen von Jennas Arbeitsplatz. Er nahm das Mikrofon, drückte die Sendetaste und sagte mit abwartender fast fragender Betonung: „Telshanach?“ „Ja, ich bin’s.“, gab die Angesprochene etwas aufgeregt zurück. „Iss bitte ohne mich. Es wird heute wohl spät. IDUSA braucht mich. Jemand hat ein merkwürdiges Programm in Simulationskammer eins installiert. Es wurde mit dem Programmierassistenten verfasst. Es läuft gerade und IDUSA bittet mich, den Netzwerkbericht zu verfolgen. Sie glaubt, dass derjenige, der es verfasst hat, Hilfe braucht. Ihrer Ansicht nach ist es sehr merkwürdig und ich muss zugeben, das finde ich langsam auch.“ „Wenn du einen Anhaltspunkt dafür siehst, dass hier etwas nicht stimmt.“, begann der über alle Maßen pflichtbewusste Vendar. „Dann würde ich an deiner Stelle Agent Maron verständigen und vielleicht auch Ishan und Nidell.“ „Die Mediziner kann ich holen.“, antwortete die terranische Technikerin. „Aber mit Agent Maron sieht’s schlecht aus. Der ist nämlich der Nutzer des Programms.“

Joran wurde heiß und kalt. Maron war ihm manchmal als für seinen Geschmack zu starker Heißsporn aufgefallen. Der Vendar hatte sich oft im Stillen über die aus seiner Sicht zu impulsiven Entscheidungen seines demetanischen Vorgesetzten geärgert. Zwar waren die Dinge oft gut ausgegangen, aber Joran fand, dass dies oft sehr knapp war und seiner Meinung nach nur durch Glück zu erklären. Shannon und Joran hatten dies oft in einem ungestörten Moment diskutiert. Dabei hatte die blonde Irin stets gemeint: „Mach’ dir nich’ ins Höschen, Grizzly, der is’ halt schicksalsgläubig. Da muss das so.“ Joran hatten sich dann immer die Haare zu Berge gestellt. Als Telepathenjäger hatte er immer besonnen handeln müssen. Da durfte er sich derartige Eskapaden nicht leisten. Aber das war wohl der kleine aber feine Unterschied. Zum Schluss dieser Diskussionen hatte Shannon immer gesagt: „Ihr zwei erinnert mich mit eurem Verhältnis glatt an den Typen mit der Schlange im Bauch aus meinem Schmöker und seinen Vorgesetzten. Die hatten die gleichen Probleme.“ Dann war sie meistens wieder arbeiten gegangen.

Joran drückte die Sendetaste erneut und sagte: „Bin unterwegs, Telshanach!“ Dann stürmte er aus dem Raum, durch die Tür des Quartiers auf den Stationsflur, wo er den nächsten Turbolift aufsuchte, um damit in die technische Kapsel zu fahren.

Jenna saß mit einem Neurokoppler auf dem Kopf vor einer Konsole, als Joran ihren Arbeitsraum betrat. Ohne Umschweife kam er gleich zur Sache. „Du musst einen Weg finden, mich in das Programm zu lassen, Telshanach.“, begann er mit alarmierter Stimme. „Rasch! Bevor Maron Dummheiten macht!“ Die sehr intelligente Technikerin drehte sich langsam um, warf ihm einen beruhigenden Blick zu und sagte dann: „Die Sicherheitsprotokolle sind online. Es kann Maron gar nichts passieren.“ „Um seine körperliche Verfassung mache ich mir keine Sorgen.“, erwiderte Joran. „Eher um seine seelische. Hast du schon mal gesehen, wie frustriert er manchmal ist?“ Jenna nickte. „Und du meinst, dieses Programm könnte …“, vermutete sie weiter. „In der Tat.“, fiel er ihr ins Wort.

Während sie nachdachte, schaute sich Joran um, als wollte er sich versichern, dass niemand sonst ihnen zusah. Dann fragte er: „Wo ist deine Assistentin?“ „Shannon habe ich in den wohlverdienten Feierabend geschickt. Wir sind allein. Geh bitte in Simulationskammer zwei. Ich werde ein Uplink schreiben und das wird die Kammern miteinander verbinden. So kannst du an Marons Programm teilnehmen.“ Joran drückte sie an sich, als hätte sie gerade seinen Heiratsantrag bejaht und sagte: „Danke, Telshanach.“ Dann wandte er sich um und ging.

Joran bot sich in der Simulation ein merkwürdiges Bild. Er sah eine Art Boxring. In dessen Mitte hing ein mit Sägemehl gefüllter Sack von der Decke. Auf der einen Seite des Sackes befand sich ein Bild von Präsident Ethius und auf der anderen eines von Evain. Beide Gesichter kannte der Vendar aus den Nachrichten, die er auch immer interessiert verfolgt hatte. Maron stand in der einen Hälfte des Ringes und hatte einen Baseballschläger in der Hand. Damit versuchte er, den Sack zu treffen, was ihm selten genug gelang.

Joran waren die Unmengen von Fehlern, die sein Vorgesetzter und Freund machte, längst aufgefallen. Er ging näher und versuchte, die Aufmerksamkeit des Demetaners auf sich zu lenken. Er wusste, würde er offen Kritik äußern, würde Maron schon reagieren. Er dachte sich, dass die alte Sternenflottenmentalität ja immer noch in ihm steckte. Er wusste, dass offene Kritik an einem vorgesetzten Offizier zu üben, dort mindestens als verpönt galt, wenn nicht sogar noch Schlimmeres. Aber dieses Risiko war Joran gewillt einzugehen. „Du gehst das völlig falsch an, Maron El Demeta!“, rief er dem Agenten zu. „Deine Treffer kann eine platonische Ein-Zehen-Wühlmaus an ihren Pfoten abzählen! Aber keine Angst!“ Er überstieg die Seile. „Ich werde dir jetzt helfen! IDUSA, Schläger!“ Diesen knappen aber eindeutigen Befehl hatte der Rechner verstanden und simulierte ihm alsbald ebenfalls einen Baseballschläger. Damit stellte sich Joran jetzt Maron gegenüber und schlug derart heftig auf den Sack, dass dieser fast über die Seile hinaus pendelte. Gespannt sah er zu, wie Maron versuchte, ebenfalls den Sack zu treffen. „Ach nein!“, stellte Joran fest. „So wird das nichts.“ Mit tänzelnden Schritten bewegte er sich um den Sack herum auf Marons Seite, um im nächsten Moment mit seiner starken Hand das im Vergleich dazu schmächtige Handgelenk des Demetaners zu fassen. Maron wusste, dass es zwecklos war, sich gegen diesen eisenharten Griff zu wehren. Joran war fünf mal so stark wie ein durchschnittlich trainierter Terraner. Maron wusste, dass er chancenlos war.

Joran drehte seinen Freund zu sich, um ihm aus dieser Zwangshaltung heraus entgegenzuschmettern: „Du schlägst im falschen Moment zu! Wenn der Sack auf dich zu kommt, musst du zuschlagen! Nicht später! Du willst doch deinen Frust loswerden, oder?!“ „Sicher.“, jappte Maron. „Also!“, erwiderte Joran. „Dann trau dich endlich!“ „Du bist ganz schön unfair. Behandle mich gefälligst nicht wie einen deiner Novizen. Aus dem Alter bin ich nämlich lange raus.“, verteidigte sich Maron. „Das bezweifle ich.“, sagte Joran ruhig. „Du schlägst zu wie ein Kind, das Angst vor dem großen Sack hat.“ „Ich habe keine Angst.“, entgegnete Maron. „Dann beweise das!“, forderte Joran. „Und benimm dich nicht wie der Sohn eines windigen Aals und einer glitschigen Erdkröte.“

Dass die Vendar beim Fluchen das Tierreich bemühten und es dabei oft zu den abenteuerlichsten Kreuzungen kam, wusste Maron. Er dachte sich, dass der bekannte terranische Tierforscher, Bernhard Grzimek, sicher seine helle Freude an einem vendarischen Ehestreit haben müsste.

„Lass mich los!“, forderte Maron. „Jetzt gebe ich es diesem Ssssack!!!“ Kaum hatte Joran seinen Griff gelockert, nahm Maron Anlauf und zimmerte den Schläger derart auf den Sack, dass dieser mit einer solchen Energie gegen die Seile geschleudert wurde, dass er platzte. Dadurch spritzte das Sägemehl nach allen Seiten und Maron und Joran kriegten den Großteil ab.

Joran zog seinen Freund und Vorgesetzten anerkennend in eine Ecke und klopfte ihm mit seiner großen Hand auf die Schulter, was anständig staubte. „Na bitte.“, sagte der Vendar anerkennend und zufrieden. Beide setzten sich in den Sand.

Maron spürte, wie seine Gesichtszüge außer Kontrolle gerieten. Sein Mund formte gegen seinen Willen ein Grinsen. Eigentlich empfand der Demetaner die Situation als Beschämend. Man lachte als anständiger Offizier an sich nicht, wenn die Bilder eines Politikers und einer militärischen Führerin einer fremden Macht, die noch dazu bald zur Föderation gehören sollte, gerade in Sägemehl und Fetzen aufgegangen waren. Angestrengt versuchte Maron, seine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu bekommen. „Hör auf, dich zu wehren!“, sagte Joran schon fast im Kommandoton. „Sonst bringt es dir doch nichts!“ „Du hast gut Reden.“, nuschelte Maron mit zusammengebissenen Zähnen. „Ich kann nicht … Ich darf nicht … Ich soll nicht …“ Er fühlte, wie ihm die Kontrolle jetzt völlig entglitt. Joran umfasste ihn, als wolle er ihn stützen und sagte ruhig: „Richtig so. Lass los. Lass einfach los. Lass es zu. Sonst kannst du dir dieses Programm 1000 Mal ansehen und es wird nie den gewünschten Effekt haben.“

Maron bekam einen Lachanfall, der wohl mehr als eine Stunde angedauert haben musste. „Du hattest Recht.“, flüsterte er völlig außer Atem. „Mutter Schicksal! Oh, hast du Recht gehabt! So verdammt Recht! Du triffst immer wieder den richtigen Nerv!“ „Muss ein schönes Gefühl sein, wenn einer so den Nerv trifft, nicht wahr?“, fragte Joran mit einem schelmischen Grinsen. „In der Tat.“, erwiderte Maron. „Das ist mein Spruch.“, grinste der Vendar. „Sorry.“, entschuldigte sich der Demetaner übertrieben kleinlaut. „Ich dachte nur, du würdest ihn mir vielleicht mal leihen.“ Joran musste lachen.

„Wir sollten das Programm beenden.“, schlug Joran vor. „Wird Zeit, dass wir uns von dem ganzen Sägemehl befreien.“ „Du hast schon wieder Recht.“, sagte Maron, stand auf und befahl: „IDUSA, Programm beenden!“

Das Sägemehl und die Umgebung verschwanden, aber der Schweiß, der sich auf ihren Körpern angesammelt hatte, der blieb. Er war echt und keine Simulation, denn beide waren ziemlich aufgeregt gewesen.

Jenna waren all diese Vorgänge nicht verborgen geblieben. Die Cheftechnikerin hatte dem Stationsrechner befohlen, den Netzwerkbericht vom Bildschirm zu nehmen. „Das ist harmlos, IDUSA.“, hatte sie gesagt. „Das ist nur Frustbewältigung. Ich bin sicher, Maron hat keine echten Mordgedanken gegenüber Ethius und Evain. Wäre das so, hätte er dir sicher befohlen, ein Programm zu schreiben, in welchem er sie direkt mit dem Phaser erledigt. Diese ganzen Verfremdungen und Bilder mit dem Sack und dem Sägemehl wären dann sicher nicht nötig gewesen.“ „Verstanden.“, antwortete der Rechner nüchtern. „Sie werden Zirell den Vorfall also nicht melden?“ Jenna schüttelte den Kopf.

Eine bekannte hohe Stimme hinter sich ließ Mc’Knight plötzlich aufhorchen. „Jenn’?“ Sie drehte sich um. „Ich bin’s, Shannon.“, gab sich Jennas Assistentin zu erkennen. „Schauen Sie mal auf die Uhr. Es ist Mitternacht. Ich komm’ zur Nachtschicht.“ „Ups!“, machte Jenna. Dabei verhielt sie sich fast wie ein scheues Reh, das den Geruch eines Jägers wahrgenommen hatte. „Is’ was?“, fragte Shannon in ihrer plumpen Art weiter. „Es ist alles in Ordnung, Assistant!“, log Jenna. Sie ahnte, würde Shannon von dem Ganzen erfahren, würde es bald die Runde auf der gesamten Station machen. Deshalb lenkte sie die Aufmerksamkeit der blonden Irin schnell auf die technische Übergabebesprechung, um dann so schnell es ging zu verschwinden. Sie hatte beschlossen, Joran abzuholen.

Maron und Joran hatten die Simulationskammer verlassen. Gemeinsam gingen sie jetzt den Korridor zur technischen Kapsel entlang, der sie auch zu den Turbolifts führte. Sie schritten nebeneinander her und sprachen immer noch über das gerade Erlebte. Es würde sie lange nicht loslassen. „Ich habe nie verstanden, Maron El Demeta, warum eine Geschwindigkeitsangabe eine Garantie für den Eintritt in deine Föderation sein soll.“, begann der Vendar mit absichtlich leicht provozierendem Wortlaut. Maron legte sein Gesicht in Falten. Er wusste längst, dass es nicht mehr seine Föderation war. Er drehte sich zu seinem Untergebenen um und sagte: „Du hast Recht. Wenn das so ist, müsste Nugura Sytania ja regelrecht umarmen. Sie erledigt alles mit der Geschwindigkeit eines Gedanken. Das ist viel schneller als sogar Transwarp oder eine Interdimensionsreise.“ „Wenn das so ist.“, entgegnete Joran. „Habe ich etwas für dich. Sagen dir die Zeichnungen von Nivar etwas?“ Maron grinste. Er hatte natürlich von jenem tindaranischen Karikaturisten gehört. „Der hat was Neues?“, fragte der Demetaner erstaunt. „Der hat was Neues.“, bestätigte Joran. „Komm doch mit, dann suche ich es dir heraus. Du wirst aber IDUSAs Hilfe brauchen. Dieses Mal ist es sogar animiert.“ Maron freute sich diebisch. Insgeheim hatte er die Wände seines Quartiers mit Nivars Bildern tapeziert. Er würde sich einen dieser Briefbeschwerer replizieren, die nur noch zur Zierde benutzt wurden, denn Briefe aus Papier gab es ja schon lange nicht mehr. Die Dinger hatten aber einen weiteren Nutzen. In sie konnte man Videosiquenzen laden. Das würde Maron mit der Animation machen. So hätte er sie immer zur Sicht, wenn er sich mal wieder über die Politik seiner ehemaligen Oberbefehlshaberin aufregte. Er fragte sich langsam, warum Nugura immer wieder gewählt wurde, obwohl sie schon so viele Fehler während ihrer Amtszeit gemacht hatte. Er konnte sich nur denken, dass der Grund dafür in der Einsatzbereitschaft gewisser Offiziere liegen musste, die immer wieder die Kastanien für Nugura aus dem Feuer holten. Die einfachen Leute würden ja so niemals erfahren, wie knapp man schon oft an der Katastrophe vorbeigeschrammt war.

Sie bogen zu den Lifts ab. Jetzt erblickte Joran Jenna, die bereits auf ihn wartete. Sie konnte gut sehen, dass er geschwitzt hatte, denn sein weiches Fell, das sonst locker um seinen Körper fluffte, lag jetzt eng an und machte jede Kontur sichtbar. Jenna entlockte dies einen Laut des Gefallens und sie setzte einen Blick auf, als sei Joran eine reife süße Frucht, die sie auf der Stelle verschlingen wollte. „Ich möchte ja nicht wissen, was ihr da gemacht habt.“, scherzte sie und zeigte auf die beiden verschwitzten Männer. „Seid froh, dass das nur eine Simulation war. Mit dem ganzen Sägemehl saht ihr aus wie zwei gut panierte Schnitzel.“ Sie stutzte, denn ihr selbst war aufgefallen, dass sie sich gerade verraten hatte. „Pfui, Mc’Knight!“, rief Maron aus. „Sie sind ja eine richtige Voyeurin!“ „Na ja.“, redete sich Jenna heraus. „Ich musste ja beobachten, ob mein Uplink stabil ist.“ „Das mussten Sie sicher, Techniker.“, grinste Maron. „Wenn es nicht stabil wäre, könnte es sicherlich zu schlimmen systemischen Fehlern kommen, nicht wahr?“ Der intelligenten Halbschottin war durchaus klar, dass ihr Vorgesetzter ihr hier gerade eine goldene Brücke gebaut hatte. Schön dumm wäre sie gewesen, wenn sie nicht hinübergegangen wäre. Da Dummheit aber nicht zu ihr passte, sagte sie: „Oh, ja, Sir. Sehr schlimme Fehler.“ Dabei grinste sie über beide Ohren.

„Telshanach.“, lenkte Joran das Gespräch wieder in eine andere Richtung. „Wir haben heute Abend einen Besucher. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn Agent Maron uns mit seiner Anwesenheit beehrt.“ „Natürlich nicht.“, erwiderte Jenna. „Und jetzt kommt mit! Ich habe Kohldampf! Den habt ihr doch nach der Aktion sicher auch!“ Maron und Joran nickten und schlappten lässig hinter ihr her.

Jones und Sedrin hatten sich in ihrem gemeinsamen Büro getroffen und sich über das Gehörte ausgetauscht. „Stell dir vor.“, sagte Jones, nachdem er sich einen starken Kaffee repliziert hatte. „Der Scientist geht davon aus, dass jemand mit Absicht die beiden Kinder, die in dem Grab liegen, vergiftet hat.“ „Wahrscheinlich wollte derjenige verhindern, dass ihre Organe zwangsgespendet werden und sie wie schrottreife Raumschiffe oder Jeeps ausgeschlachtet werden.“, entgegnete die Demetanerin. Jones schüttelte sich. „Wie kommst du auf das schmale Brett?“, fragte er, als hätte sie gerade die Grundfesten seines Glaubens erschüttert. Wenn man es genau nahm, hatte sie dies ja auch. „Glaubst du etwa die Gerüchte von Tindara?“ „Auch auf die Gefahr hin, dass du mir hier gleich vom Stuhl kippst.“, meinte Sedrin zynisch. „Ja, ich glaube sie.“ „Aber warum sollte der nihillanische Staat so etwas tun?“, fragte Jones. „Weil Leben keinen höheren Stellenwert bei denen hat, als Maschinen. Diese bestehen ja auch nur aus Materie und nicht anders sehen die Nihillaner Lebensformen. Sie machen keinen Unterschied. Für sie besteht alles aus rein chemischen Verbindungen und ist rationell erklärbar. Deshalb negieren sie jede Art von moralischer …“ Der untersetzte Terraner schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Allerdings nicht wegen der haarsträubenden Dinge, die sie ihm berichtet hatte, sondern wegen der Tatsache, dass er meinte, sie würde lügen. „Das ist noch nicht alles.“, fuhr Sedrin fort. „Gerüchten zufolge muss jedes Ei auf Erbkrankheiten untersucht werden, bevor es den Eltern zurückgegeben wird. Ist der Embryo krank oder behindert, wird er gleich getötet und die Eltern erhalten nur einen lieben Brief.“ Bei den Worten: “lieben Brief.“, machte sie ein besonders zynisches Gesicht. „ist der Embryo gesund.“, berichtete sie weiter. „Kriegen sie einen Brief und das Ei. Ach ja, mit Urkunde und Glückwunschkarte, weil sie ihrem Volk damit einen großen Nutzen erweisen.“ „Dass du so etwas glaubst!“, rief Jones aus und stieß seinen Kaffee um. „Ich nehme den Job als Ermittlerin eben ernst.“, erwiderte die Demetanerin mit einem tadelnden Blick in seine Richtung. „Und ich lasse mich eben nicht von Dingen wie Warpfähigkeit blenden. Warp ist eine Maßeinheit für Geschwindigkeit und nicht für Moral. Das sollte sich Nugura mal wieder in Erinnerung rufen. Und, ich muss es erst mal glauben, solange ich keine Gegenbeweise habe. Unser Job als Ermittler bringt das mit sich.“ Wieder sah sie ihn tadelnd an. „Warpfähigkeit.“, begann Jones, nachdem er aufgestanden war. „Ist seit Jahrhunderten der Maßstab für den Eintritt in die Föderation. Sie steht für die gleiche Stufe.“ „Leider.“, zischte Sedrin. Dann stand sie auf und zog ihren Mantel an. „Ich werde jetzt gehen. Heute Nacht habe ich noch eine Verabredung mit einem Zeugen.“ Sie warf ihm einen letzten abschätzigen Blick zu und verließ das Büro. Wer Sedrin kannte, wusste, dass sie schon zu ihrer Zeit als Huxleys erste Offizierin oft Kritik an der Schwarzweißpolitik der Föderation geübt hatte und das oft zu Recht!

Jenna, Joran und Maron hatten Jennas und Jorans Quartier betreten. Maron hatte sich rechts neben Joran gesetzt, der sich gleich daran machte, die IDUSA-Konsole nach der gewissen Animation zu durchsuchen. Dann warf er Jenna einen kurzen Blick zu, bei dem er leicht mit der rechten Augenbraue wippte. Die Terranerin verstand. Dieses Zeichen bedeutete: „Lenk ihn ab!“

Kennen Sie Tchalback?“, fragte Jenna. „Gehört habe ich davon.“, gab Maron zu. „Aber ich habe mich da nie so richtig dran getraut.“ „Dann wird es aber mal Zeit.“, sagte die terranische Technikerin ermunternd und türmte aus einer großen silbernen Metallschüssel, die in der Mitte des Tisches stand, einen großen Berg des Getreidebreis auf den Teller ihres neugierig dreinschauenden Vorgesetzten. Dann zeigte sie auf zwei weitere Teller, von denen der eine mit repliziertem Fleisch, der andere mit Fisch gefüllt war. „Joran mag es am liebsten mit Fisch.“, erklärte sie. „Ich glaube, ich teste das Zeug erst mal ohne alles, Mc’Knight.“, lehnte der Demetaner zunächst dankend ab. Dann nahm er seine Gabel und ließ sich etwas von dem Brei schmecken. Jenna beobachtete zufrieden, wie er sich danach sogar den Mund ableckte.

Joran biss leicht die Zähne aufeinander, öffnete seine Lippen einen kleinen Spalt und zog Luft durch den hierbei entstandenen Zwischenraum. Dabei machte er ein Geräusch, als würde er eine Katze oder einen Hund anlocken wollen. Für Jenna war dies das geheime Zeichen, welches sie vorher abgemacht hatten. Sie lernte seit geraumer Zeit Vendarisch und hatte sich so mit ihm absprechen können, ohne, dass Maron etwas verstanden hatte. Sie drehte sich zu ihrem Freund und nahm aus seinen Händen jenen Briefbeschwerer entgegen, den er gerade repliziert hatte. Auf den Datenkristall hatte Joran bereits das Video geladen. Der Briefbeschwerer hatte die Form eines der Modelle der Enterprise. Maron pfiff angesichts von Jorans Zynismus durch die Zähne. „Symbolträchtig hast du’s doch am liebsten, Agent Maron.“, sagte Joran nicht ohne einen gewissen Stolz. „Du hast Recht. Aber ich sollte mir das erst in meinem Quartier ansehen. Sonst verschlucke ich mich gleich noch vor Lachen.“, erwiderte Maron.

An einem Punkt weit weg vom Gebiet der Föderation hatte Diran das Schiff auf Toleas Geheiß aus dem Interdimensionalmodus genommen. Er wollte gerade auf Warpgeschwindigkeit umschalten, als seine Gebieterin ihm einen Strich durch die Rechnung machte. Immer, wenn er die entsprechenden Schaltfelder erreichen wollte, schützte Tolea diese mit Hilfe ihres mentalen Schildes. „Warum tut Ihr das, Gebieterin?“, fragte der Vendar irritiert. „Weil es nicht in meinem Interesse liegt, schnell zum Ort der Konferenz zu kommen, sondern schön langsam.“, antwortete Tolea. Diran, der immer noch nicht verstanden hatte, fragte verwundert: „Aber die Anderen werden warten, oder etwa nicht?“

Sie sah ihn fest an und sagte: „Diran, tshê!“ Dieses Wort aus der eigenen Muttersprache kannte Diran sehr gut, also folgte er ihrem Befehl, ihr zuzuhören. „Du wirst den Antrieb auf ein Viertel Impuls schalten, nicht mehr. Du wirst einen Kurs setzen, der uns an so vielen bewohnten Planeten der Föderation wie möglich vorbeiführt, auch, wenn dies einen Umweg zu den Weltraumwirbeln bedeutet. Jedes Rufzeichen wirst du anSITCHen, das auf unserem Weg liegt. Die Rufzeichen liefert dir ja jeder Transponder frei Haus.“ Diran nickte und folgte ihrem Befehl, obwohl er ihn nicht ganz verstanden hatte.

Auch Tabran und die Wächterin hatten sich in der Zwischenzeit aufgemacht. Tabran war es bezüglich der Wahl der Geschwindigkeit seines Schiffes ähnlich ergangen wie Diran. Deshalb wandte er sich auch wenige Sekunden nach Eintritt ins Föderationsuniversum an die Wächterin: „In diesem Tempo benötigen wir Tage, wenn nicht gar Wochen bis zu den Wirbeln, Wächterin. Warum möchtest du, dass wir, mit Verlaub, so langsam durch den Weltraum tuckern?“ Die Mächtige drehte den Kopf zu ihm und lächelte. Dann erwiderte sie: „Das ist schon richtig. Aber je länger wir im Universum der Föderation bleiben, desto mehr Aufmerksamkeit können wir auf uns ziehen. Sprich jedes Rufzeichen an, das in Reichweite unseres Sprechgerätes kommt. Egal, ob Schiff, Planet, Raumstation oder Sonde. Sende von mir aus auch an jeden Rechner eine Botschaft, die enthält, warum und wohin wir unterwegs sind. Wir müssen die Föderation aufmerksam machen. Falls nötig, verbinde mit mir.“ Tabran stutzte. Dann fragte er: „Aber wenn du alle telepathisch informieren würdest, wäre dies doch viel effizienter, nicht wahr?“ „Effizienter vielleicht.“, antwortete die Wächterin. „Aber ich könnte mir vorstellen, dass dies nach hinten los gehen könnte. Wie würdest du dich fühlen, wenn dir plötzlich einer telepathisch dein Tun diktieren würde. Würdest du dann nicht denken, dass sich die Mächtigen zu sehr einmischen und dich nicht sogar aus purem Trotz für das genaue Gegenteil entscheiden?“

Tabran dachte eine Weile nach. Er selbst würde sicher nicht so reagieren. Er war ein Vendar und als solcher gewohnt, dass ein Mächtiger, dem er dienen würde, ihm auch telepathische Instruktionen oder Ermahnungen erteilen würde. Aber die Präsidentin der Föderation, die könnte sich dann schon auf den nicht vorhandenen Schlips getreten fühlen, denn die Föderation hatte auch keine so guten Erfahrungen mit Mächtigen. Ihm kamen diverse Situationen mit Q in den Sinn, die ein Föderationsoffizier Namens Picard erlebt hatte, bevor Q sich zum Guten gewandelt hatte. Nugura würde dies immer vor Augen haben und sich wahrscheinlich dann erst recht aus Trotz den Nihillanern anschließen. Würden die Wächterin, Tolea und Dill so vorgehen, das wusste der Vendar jetzt, würden sie die Föderation gerade in Ethius’ Arme treiben. „Du hast Recht, Wächterin.“, sagte Tabran, bevor er das Schiff in der gewünschten Geschwindigkeit den Flug fortsetzen ließ.

Sie trafen bald auch auf Tolea und Diran. Diese waren auf ein Schiff aus der Dimension Zeitland getroffen. An Bord dieses Schiffes befanden sich Dill, der Herrscher der genannten Dimension und eine Vendar, die weder Diran noch Tabran kannten. „Ich bin Crimach, Vertraute des Dill und der Messalina von Zeitland.“, stellte sich die Fremde am SITCH vor. Da Crimach die Rufzeichen beider Schiffe in einer Konferenzschaltung gemeinsam gerufen hatte, konnten sich alle gegenseitig hören. Nachdem man Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatte, ging es im Dreierzug weiter.

Jene Ereignisse waren Evain nicht verborgen geblieben. Sie war in eine Art Bunker im Präsidentenpalast gegangen, der auch ihr persönlicher Kommandostand war. Von hier aus hatte die Führerin des nihillanischen Militärs Kontakt zu einer Sonde aufgenommen, die die drei Schiffe jetzt verfolgte. Bei Evain waren einige einfache Soldaten.

Die Commandara wunderte sich sehr stark über die merkwürdigen Bilder, die ihr die Sonde lieferte. „Drei Schiffe mit Mächtigen an Bord, die durch den Weltraum schleichen. Was kann das bedeuten?“, fragte sie sich halblaut. Einer der Soldaten, der ihre Ratlosigkeit mitbekommen haben musste, trat mit ehrfürchtigem Blick an sie heran. Es handelte sich um einen jungen Mann mit silbrigem Schuppenkleid. Er war von schlanker drahtiger Statur und mit 1,90 m für einen Nihillaner auch nicht gerade klein.

Missmutig wandte sich die Commandara zu ihm um. „Was willst du?“, fragte sie mürrisch. „Bitte verzeihen Sie, Commandara, aber Soldat in Ausbildung Kassius aus der Familie des Lukullus und der Martia bittet um Erlaubnis, eine Theorie vorbringen zu dürfen.“ „Rede!“, befahl Evain. Sie hatte selbst keine Idee, was das mit diesen langsam fliegenden Schiffen sollte, aber sie wusste, ihr Präsident würde auf eine Antwort warten. Falls sie ihm keine liefern würde, würde sie vielleicht sogar Gefahr laufen, ihren Posten zu verlieren. Das wollte sie auf keinen Fall.

„Wie würden Sie sich fühlen, Commandara, wenn sich ständig ein Insekt in ihrer Nähe aufhielte und sie mit seinem Summen nerven würde?“, begann der Soldat. „Die Antwort hast du gerade selbst gegeben.“, antwortete Evain. „Ziemlich genervt.“ „Sehen Sie.“, gab Kassius zurück. „Ich denke, die werden alles anSITCHen, was in ihre Reichweite kommt. Was ist, wenn sie die Föderation warnen wollen vor dem, was wir mit ihr vorhaben?“

Evain fuhr herum und drehte sich zum Computermikrofon. „Computer, jede SITCH-Aktivität der Vendar-Schiffe melden! Anzeige mit Koordinaten auf Display!“

Bald zeigte sich auf dem Bildschirm vor Evains Augen eine Karte der Planetensysteme, welche die Schiffe bereits durchquert hatten. „Junge, du hast Recht gehabt!“, rief die Generalin außer sich. „Hol den Allverstehenden Präsidenten. Ich muss das weitere Vorgehen mit ihm besprechen!“ „Zu Befehl, Commandara!“, erwiderte der Kadett zackig, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte aus der Tür.

Sedrin und ich hatten uns bei einem Plausch am Gartenzaun getroffen. Unter Nachbarn in Little Federation war dies ja durchaus üblich. „Was macht Ihr neuer Fall?“, lächelte ich ihr zu. „Eigentlich darf ich Ihnen ja gar nichts sagen, Allrounder.“, gab die demetanische Agentin zurück. „Aber in diesem Fall mache ich einmal eine Ausnahme, weil ich vielleicht Ihre Hilfe benötigen werde.“ „Meine Hilfe?“, echote ich unsicher. Sie öffnete das kleine Tor, welches die beiden Gärten trennte und kam zu mir. „Ja, Betsy, Ihre Hilfe.“

Sie nahm meine Hand, zog mich auf einen Sack Blumenerde, der in einer Ecke lag und setzte sich dann selbst neben mich. „Meinen Sie im Zusammenhang mit Mikors Vernehmung, Ma’am.“, fragte ich irritiert. „Nein.“, sagte sie mit fester Stimme. „Ich meine eher als Undercover.“ Ich glaubte, nicht richtig zu hören und fragte: „Aber, Agent, ich habe doch gar keine Spionageausbildung. Wie kommen Sie darauf, dass ich für so etwas qualifiziert sein könnte.“ „Sie irren, Allrounder.“, erwiderte Sedrin ruhig. „Sie bringen zwar nicht die Ausbildung einer Agentin mit, aber Sie haben eine Qualifikation, die in diesem Fall weitaus besser geeignet ist. Sie haben Herz. Ich werde Ihnen alles heute Nacht erläutern. Sie werden mich nämlich zum Kinderheim begleiten. Mikor vertraut Ihnen. Deshalb ist das wohl besser.“ „Was würde Ihr Partner dazu sagen?“, erkundigte ich mich. „Jones hat da gar nichts mehr zu melden.“, entgegnete sie zynisch. „Er hat den Chief-Agent gebeten, ihn von dem Fall zu entbinden. Tamara hat eingewilligt.“ Jetzt erinnerte mich ihre Stimmlage etwas an T’Pol von der ersten Enterprise. Das passierte immer dann, wenn Sedrin zynisch wurde. „Na, da muss Jones schon ’ne verdammt gute Begründung gehabt haben.“, grinste ich. „Die gab es auch.“, antwortete sie mit einem gemeinen Grinsen. „Die Fakten des Falles haben ihn psychisch überfordert. Ich habe ihm nahe gelegt, seinen Hut zu nehmen. Jetzt bin ich die alleinige und somit die leitende Ermittlerin in diesem Fall und kann einbeziehen, wen ich will.“ Ich nickte verständig. Dann sagte ich: „Also, dann bis heute Nacht.“ „Bis heute Nacht.“, wiederholte sie und ging.

Der Kadett und Ethius hatten Evains Kommandostand betreten und standen nun gemeinsam mit ihr vor dem Bildschirm, auf dem sich ihnen das rätselhafte Schauspiel bot. „Mein Untergebener meint, dass sie unter Umständen die Föderation warnen könnten.“, erklärte die Generalin. „Das darf auf keinen Fall passieren!“, antwortete Ethius. „Sie haben Recht, Allverstehender Präsident.“, stimmte Evain zu. Ihr Schuppenkleid wechselte die Farbe von weiß zu schwarz, ein Zeichen, dass sie langsam aber sicher sehr aggressiv wurde. „Nugura vertraut den Mächtigen, die hier versammelt sind und ihren Dienern. Wenn die es hinkriegen, ihr die Zukunft zu zeigen, dann wird sie …“, begann Ethius, aber Evain fiel ihm ins Wort: „Nichts von dem wird geschehen, Allverstehender Präsident. Auf meine Truppe und mich können Sie sich wie immer verlassen. Wir werden mit Jagdfliegern aufbrechen und sie stellen. Wenn sie ihr Ziel nicht erreichen, wird es auch keine Warnung geben. Die Piloten werden auch rosannium-fähige Torpedos an Bord ihrer Schiffe haben. Wenn sie die abfeuern, verhindern sie, dass die Mächtigen ihre Kräfte einsetzen können. Mit den drei Vendar werden wir schon fertig.“ Ethius rieb sich die Hände. „Guter Plan, Evain.“, lobte er.

Kassius hatte sich inzwischen an ein Terminal gesetzt. Hier hatte er den Kurs der Vendar-Schiffe extrapoliert. „Es sieht aus, als wollten sie zu den Weltraumwirbeln. Die führen sie dann ins Dunkle Imperium, eine hochdichte-Atmosphärendimension. Dort sind sie sehr empfindlich, weil sie der Schwerkraft sei Dank hier leichter abstürzen könnten. Wir sollten warten, bis sie dort sind und sie erst dann angreifen.“, erklärte er. Ethius und Evain sahen sich an und nickten. „Sehr guter Vorschlag, Soldat in Ausbildung.“, lobte Evain. „Zur Belohnung darfst du sie von meinem Platz aus weiter beobachten. Melde mir, wenn sie durch die Wirbel gegangen sind.“ Sie winkte ihn zu ihrem Stuhl und verließ diesen. „Ich selbst werde die Jäger in Bereitschaft versetzen.“, erklärte sie noch im Gehen. Der wird mal ein guter Stratege., dachte Evain. Könnte einmal mein Nachfolger werden, wenn er sich weiter so gut anstellt.

Auf Toleas und Dirans Schiff hatte die Tagphase begonnen. Der Vendar war in das Fütterungsritual vertieft und der Mishar flog das Veshel. Tolea selbst saß beobachtend neben dem abwesend dreinschauenden Vendar. Sie hatte das Display des Sprechgerätes im Auge, um gegebenenfalls selbst mit einem Staatsoberhaupt oder einem Stationskommandanten sprechen zu können. Telepathisch hatte sie nachgesehen, was Diran während des Rituals sah. Dass Energiefelder mit Bewusstsein mit den Vendar, in deren Sifa sie sich befanden, kommunizieren konnten, war weder der Mächtigen noch dem Vendar fremd gewesen, aber Tolea interessierte auch, wie nah Diran an der Wahrheit war, die sie ihm noch nicht sagen durfte.

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