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Ich biss mir auf die Finger. Kalt war es in dieser typisch nordamerikanischen Herbstnacht. Sedrin hatte es gut. Sie saß in ihrem gut geheizten Jeep.

„Piep“, machte die Wanze. Das hatte Sedrin vorher eingestellt, damit ich wusste, wann es Mitternacht war. Die Wanze konnte automatisch alle volle Stunde piepen. Auch ich hatte mir überlegt, wie ich diesen Piepeffekt nutzen könnte. Mikor hatte ja gesagt, dass die Kerzen alle zwei Stunden die Farbe wechselten. Das war nur dadurch zu erklären, dass die Eine ausgebrannt war und die Andere angezündet wurde. Ich würde mich im passenden Moment hilfreich geben.

„Achtung, Betsy.“, informierte mich Sedrin. „Zielperson hat Friedhof in östlicher Richtung betreten und kommt jetzt näher. Bezieht Position am Grab.“ Ich nickte kurz, um ihr zu zeigen, dass ich verstanden hatte. „Für die Kontaktaufnahme haben Sie freie Hand. Wiederhole, freie Hand.“, fügte Sedrin noch hinzu.

Langsam wurde ich richtig aufgeregt. Auf keinen Fall sollte meine erste Mission als „Agentin mit Herz“ schiefgehen.

„Piep“ Das bedeutete Mitternacht. Die Fremde war also äußerst pünktlich. Ich beobachtete, wie sie etwas aus ihrer Tasche holte. Es war ein Beutel mit Kerzen und einem Gerät zum Feueranzünden, das auf Basis eines Stromstoßes funktionierte, wie Sedrin, die durch die Wanze und meine Position bedingt alles sah, die Situation beschrieb.

Sechs Pieptöne später bemerkte ich, wie sie etwas zu suchen schien. Die vergangenen Stunden hatte die kleine zierliche Reptiloide nur genutzt, um alte nihillanische Gebete zu sprechen. Sie schien sich auch mit den Kindern im Grab quasi unterhalten zu haben. Oft hatte sie zwischendurch geweint. Die Nihillaner mussten also einmal eine Religion gehabt haben.

Jetzt schien sie, zumindest sagte mir das meine Logik, nach einer schwarzen Kerze zu suchen. Ich wusste nicht viel über Farben, aber mir war aufgefallen, dass die kleinen Kerzen, die in den Tongefäßen auf den Stufen des Grabes standen, immer dunkler wurden. Erst weiß, dann rot, dann braun und dann konnte jetzt ja nur noch schwarz folgen.

Vorsichtig schlich ich also näher und holte eine Kerze aus einer Schachtel im Beutel. Dabei wandte ich einen Trick an, um auch wirklich die Richtige zu finden. Ohne große Worte setzte ich sie in das letzte Gefäß, welches sich auf der obersten Stufe neben der Büste und den Statuetten befand. Erst jetzt hatte die Fremde mich bemerkt. „Danke.“, sagte sie. „Gern geschehen.“, erwiderte ich und hockte mich neben sie. Wieder sprach sie ein altes Gebet und zündete die Kerze an.

Als sie erneut bitterlich zu weinen begann, gab ich ihr ein Taschentuch und strich ihr über das tränennasse Gesicht. Dann zog ich sie zur nahen Bank. „Setzen wir uns.“, schlug ich vor. Die kleine zierliche Gestalt setzte sich rechts neben mich. „Ich bin Eludeh.“, stellte sie sich vor. „Betsy.“, erwiderte ich. „OK.“, sagte Eludeh. „Haben Sie auch jemanden verloren, Betsy?“ „Ja.“, überlegte ich. Mir war in den Sinn gekommen, dass heute vor drei Monaten ja der jährliche Todestag meines Großvaters gewesen war. Zwar lag er nicht in Little Federation, aber, er würde mir diese kleine Lüge sicher nachsehen, wenn es darum ging, etwas sehr Unmoralisches zu beweisen.

„Sehr gut.“, hörte ich Sedrins Stimme. „Weiter so.“ „Bei mir waren es meine Kinder! Oh, meine armen kleinen Kinder!“, rief Eludeh verzweifelt. Ich schlang meine Arme um sie. Sie fühlte sich so klein und zart an. Sicher hatte sie lange nichts mehr oder nur unzureichend gegessen. Ihre Tränen rannen über meine Kleidung, aber das machte mir nichts. Ich streichelte sie. „Was ist Ihren Kindern denn passiert?“, fragte ich mitleidig. „Ich habe sie vergiftet.“, schluchzte sie verzweifelt zurück. „Oh, ich habe erst sie und dann meinen Mann vergiftet. Wenn jemand vergiftet wird, kann man mit dessen Organen ja nichts mehr anfangen. Ich wollte vermeiden, dass der Staat meine Familie in die Finger kriegt und sie nach dem Tod ausschlachtet. Mein Mann war im Widerstand. Er hat das Gift besorgt. Haben Sie eine Ahnung, was geschieht, wenn jemand beim Beten oder Trauern auf Nihilla erwischt wird?“ Ich schüttelte den Kopf. „Sie stecken einen in ein Umerziehungslager. Dort bekommt man dann einen Texikutor eingesetzt“

Ich kramte meine dürftigen Lateinkenntnisse hervor. Ich wusste, dass dieses Wort eine Zusammensetzung aus den Worten: „Theos“, Griechisch für Gott, und „Exekutor“, Lateinisch für Henker, sein musste. Deshalb fragte ich: „Einen Gotteshenker?“ „Diese verdammten Dinger lesen die Gedanken von einem. Wenn man es nur wagt, sich die Frage zu stellen, ob es über den Nihillanern noch etwas Größeres gibt, versetzt es einem Schmerzen, die man seinem ärgsten Feind nicht gönnt. So wollen sie allen Glauben ausmerzen. Man soll nur noch an die Wissenschaft und ihre Errungenschaften glauben. Für Götter ist bei uns kein Platz mehr. Leider bleibt dabei auch die Moral auf der Strecke. Es dürfen nur Gesunde miteinander schlafen um Kinder zu zeugen. Das wird sogar kontrolliert. Andernfalls wird man sofort getötet, weil man sich eines Verbrechens an der Volksgesundheit schuldig gemacht hat. Das nennen sie Evolution. Nur das Starke darf überleben. Jemand, der durch einen Unfall oder eine Krankheit behindert wird, wird auch gleich getötet.“, berichtete sie.

Es wurde hell. „Ich muss fort!“, rief Eludeh fast panisch, befreite sich aus meinem Griff und war verschwunden. Ich hatte nur noch etwas gehört, das mich an das Programmieren eines Sprechgerätes erinnerte.

Mir stockte der Atem. Wie widerwärtig! So einen Staat wollte Nugura in die Föderation lassen?! In unsere freie demokratische Föderation!? Ich war Deutsche. Ich hatte mit dem Begriff „Volksgesundheit“ schon vorher genau das verbunden, was sie mir gerade geschildert hatte. Meiner Ansicht nach unterschied sich das, was ich gerade gehört hatte, nicht wirklich sehr von Hitlers Rassenwahn. Manchmal verfluchte ich mein Talent, durch pure Anwesenheit und freundliche Ausstrahlung die Leute zum Sprechen bringen zu können.

Sedrin fand mich in einem Gebüsch nahe der Bank wieder. Hier kauerte ich am Boden und war damit beschäftigt, den Inhalt meines Magens wieder von mir zu geben. Sie half mir auf. „Ist ja schon gut, Allrounder.“, tröstete sie. „Gar nichts ist gut, Agent.“, erwiderte ich. „Ich hoffe, Sie haben alles gehört.“ „Das habe ich.“, erwiderte sie, während sie mich mehr zum Jeep stützte als führte. „Mein Sprechgerät hat alles aufgezeichnet. Heute Mittag kriegen Sie die Datei. Ich nehme doch an, Ihre außereheliche Beziehung mit dem tindaranischen Piloten läuft noch.“ Jetzt begriff ich. Das hatte sie bereits auf dem Dachboden anzudeuten versucht. Ich sollte alles den Tindaranern in die Hände spielen. Dumm war Sedrin ja nicht. Sie wusste, dass die Sache bei ihren eigenen Vorgesetzten vom Föderationsgeheimdienst sofort unter den Teppich gekehrt werden würde, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Maron und der Rest seiner tindaranischen Agentenkollegen aber würden mir für die Infos die Füße küssen. Shimar würde sie ihnen sicher gern weitergeben, wenn ich eine kleine private SITCH-Mail an ihn schicken würde.

Jenna und Joran hatten sich von IDUSA an vorher ausgemachten Koordinaten absetzen lassen. Der Planet Mineria war dicht bewaldet. Das Klima erinnerte an einen Dschungel. Zirell selbst hatte Hannibal, das Staatsoberhaupt, telepathisch über die Ankunft des Außenteams informiert.

Sie brauchten nicht sehr lange zu warten. Joran, der eine 40 % höhere Sehschärfe besaß, konnte bald in der Ferne eine zwergenartige Gestalt in einem weiten Gewand ausmachen, die sich ihnen näherte. Auf sein Zeichen gingen Jenna und er in die Hocke, damit der Zwerg ihnen in die Augen sehen konnte. „Seid gegrüßt.“, begann der Zwerg feierlich. Seine Stimme war etwas quäkend und hell. Aber das lag wahrscheinlich an seiner geringen Größe. „Ich bin Hannibal, Regierungsoberhaupt der Minerianer und oberster Priester unserer Gottheiten.“ „Angenehm.“, entgegnete Jenna. „Das ist Joran Ed Namach und ich bin Techniker ehrenhalber Jenna Mc’Knight.“, stellte Jenna beide vor. „Was ist das für ein Ritual, an dem wir teilnehmen sollen?“, fragte Joran ungeduldig. Jenna knuffte ihn in die Seite. „Nicht so ungeduldig.“, zischte sie. „Ich gehe außerdem davon aus, dass uns Hannibal diese Information nicht so einfach geben wird. Wenn wir wüssten, dass es das Ritual ist, könnten wir eine Maske aufsetzen, indem wir uns besondere Mühe geben. Ich denke, er will verhindern, dass wir uns verstellen.“ „Genau so ist es.“, kicherte Hannibal. „Du kennst dich doch mit Diensten an Mächtigen und Göttern aus, Vendar. Von daher denke ich, dass du schon erkennen wirst, wann das Ritual beginnt und deine Freundin ist dafür auch klug genug. Wer mir so auf die Schliche kommen kann, muss das sein. Jetzt aber bitte ich euch, mir zum Tempel zu folgen. Hier wollen wir nichts weiter tun, als gemeinsam zu essen.“ „Na gut .“, erwiderte Joran. „Aber darf ich dich wenigstens tragen, damit ich nicht aus Versehen auf dich trete?“ „Aber du kennst doch den Weg nicht.“, erklärte Hannibal. „Du darfst mich gern dirigieren.“, antwortete Joran. Der Zwerg nickte und Joran setzte ihn auf seine Schulter.

„Wie um alles in der Welt haben Sie das mit den Kerzen gemacht?“, fragte Sedrin erstaunt. „Sie können doch nicht sehen, welches die schwarze Kerze ist.“ „Nein.“, gab ich zurück. „Aber ich kann zählen und die Gewichte von Schachteln ertasten.“ „Erklären Sie mir das.“, brachte Sedrin ihre Verwirrung zum Ausdruck. „Ganz einfach.“, begann ich. „Es musste vier Arten von Kerzen geben. Also gab es auch vier Schachteln. In dreien davon musste eine fehlen. Sie waren also leichter als die Letzte. Diesen Umstand habe ich genutzt.“ Sie pfiff durch die Zähne.

„Bitte fahr los, Jinyia.“ Die ernste Stimme, die Sedrin dies von der Rückbank ihres Jeeps zugeflüstert hatte, kannten wir beide. „Jaden!“, rief die Demetanerin. „Was machst du hier? Und, warum bist du so ernst? Ist etwas passiert?“ „Das kann man wohl sagen.“, antwortete der Amerikaner und fuhr fort: „Dein Expartner ist auf dem Weg nach Nihilla. Mrs. Jones hatte mich gebeten, ihr beim Beladen des Jeeps zu helfen. Sie hat gesagt, es sei nur eine Urlaubsreise, aber ihr 5-jähriger Sohn hat sich verplappert. Er hat gesagt, sein Daddy müsse denen dort ganz wichtige Informationen geben.“

Sedrin fluchte sehr undamenhaft, als sie den Jeep in Bewegung setzte. „Dieser verdammte Verräter!“, rief sie. „Auf Nihilla haben sie Interdimensionstransporter. Wenn er die Informationen über das Grab weitergibt, werden sie es einfach wieder zu sich beamen und die arme Eludeh wird verzweifeln!“ „Wer zur Hölle ist Eludeh.“, fragte Huxley. Sie nahm von seiner Frage keine Notiz. „Betsy, Sie müssen heute Nacht noch einmal da raus. Verständigen Sie Ihre Freunde. Eludeh muss aufgefangen werden, bevor sie sich noch etwas antut.“

Elvis Jones war inzwischen auf Nihilla eingetroffen. Frei nach dem Motto: „Frechheit siegt“ hatte er sich zum Büro des Präsidenten aufgemacht und sich wie ein Aal durch die Reihen der Leibwächter geschlängelt. Jetzt stand er wahrhaftig vor Ethius. „Was soll der Auftritt?“, schäumte der Präsident. „Ganz einfach, Allverstehender Präsident.“, antwortete Jones mit einem dreckigen Grinsen. „Ich will Neubürger auf Nihilla werden. Als Gegenleistung habe ich etwas anzubieten, das Sie sicher interessieren wird. Ihnen ist doch neulich ein Flüchtling mit zwei Leichen abhanden gekommen, nicht wahr?“ Er machte eine genießerische Pause und leckte sich die Lippen. Dann fuhr er fort: „Der gute Elvis weiß, wo sie sind.“ „Reden Sie.“, erwiderte Ethius und schloss die Bürotür.

Hannibal, Jenna und Joran waren im Tempel angekommen. Hier standen sie vor einem gedeckten Tischchen, von dem man allenfalls im Sitzen auf dem Boden essen könnte. „Verzeiht.“, entschuldigte Hannibal dies, nachdem Joran ihn abgesetzt hatte. „Unsere Stühle wären wohl etwas klein. Wir bekommen selten Besuch in eurer Größe.“ „Macht nichts.“, lächelte Jenna. „Ich finde es so eh viel praktischer.“ Sie setzte sich auf den Boden. „Halt.“, versuchte Hannibal ihre Aufmerksamkeit wiederzuerlangen. „Es ist bei uns üblich, dass wir uns bei den Spendern der Speisen quasi entschuldigen, dass wir das Tier töten mussten, dessen Fleisch wir essen werden und auch bei den Pflanzen werden wir uns entschuldigen, dass wir sie töten beziehungsweise ihre Kinder, denn die Kerne im Obst werden sicher nicht vorher aussortiert.“ „Verstehe.“, sagte Joran. „Aus den Kernen, die der Pflanzensahmen sind, würden ja neue Pflanzen entstehen.“ „Es ist üblich.“, setzte Hannibal fort, dass die Gäste das übernehmen. Ich sage selbstverständlich vor. Also, wer von euch tut es?“ Jenna hob die Hand. „Dann, Techniker ehrenhalber Jenna Mc’Knight, bist du heute Abend meine Vorbeterin.“, erklärte der Zwerg. „Oh.“, entgegnete Jenna. „Nenn mich einfach nur Jenna.“

Auf Hannibals Zeichen kam jemand mit einem ausgestopften Tierkopf in den Raum. Dieser wurde vor Jenna hingestellt. „Du streichst ihm über sein Fell und sprichst dabei diese Worte: „Verzeih bitte, dass wir dich getötet haben, um uns selbst zu ernähren. Als Wiedergutmachung werden wir deine Seele ein Stück ins Jenseits begleiten und dafür Sorge tragen, dass du dort einen guten Platz erhältst.“ Ohne Argwohn, sogar mit einem liebevollen Blick, strich Jenna mit beiden Händen über das Fell und sprach: „„Verzeih bitte, dass wir dich getötet haben, um uns selbst zu ernähren. Als Wiedergutmachung werden wir deine Seele ein Stück ins Jenseits begleiten und dafür Sorge tragen, dass du dort einen guten Platz erhältst.“ Ähnliches spielte sich bei den Pflanzen und Früchten ab. Dann hob eine Sängerin zu einem schnellen Lied an, nach dem alle einen anstrengenden Hüpftanz vollführten, bei dem über eine gedachte Linie gesprungen wurde. Jenna tanzte neben Hannibal allen voran. Erst, als alle zu erschöpft waren, um weiter zu tanzen, verkündete Hannibal: „Ihre Seelen sind gut im Jenseits angekommen. Lasst uns nun speisen.“

Sedrin hatte Wort gehalten und mir noch am gleichen Tag die Datei geschickt. Ich hatte sie sofort an Shimars Rufzeichen gesendet.

Shimar schlief allerdings tief und fest, als IDUSA ihn aufmerksam machte. „Eine Nachricht von Ihrer Freundin.“, erklärte der Stationsrechner. „Lass hören.“, murmelte der immer noch sehr schlaftrunkene Patrouillenflieger.

Shimar strahlte, als er mein Gesicht auf dem Schirm sah. „Hallo, Shimar.“, begann die Nachricht. „Leite diese Nachricht und vor allem ihre Anlage an Agent Maron weiter. Es ist echt wichtig. Es wird ihm bestimmt sehr helfen.“ „IDUSA.“, ging Shimar dazwischen. Er ahnte, wenn ich das verlangte, konnte das nichts Gutes bedeuten. „Nachricht und Anlage an Agent Marons Rufzeichen weiterleiten!“

Joran hatte es nicht gewagt, Jenna anzusehen. Er war extrem ergriffen von der Tatsache, dass er gesehen hatte, wie sie über ihren Schatten gesprungen war. Nach dem Essen hatte Hannibal sie mit den Worten: „Seid gewiss, dass ihr alles zu unserer Zufriedenheit gelöst habt.“, nach Hause geschickt. „Ich werde Commander Zirell persönlich sagen, dass ihr das Ritual sehr gut abgeleistet habt. Unsere Götter waren mit euch sehr zufrieden. Deshalb werden wir nihillanische Flüchtlinge aufnehmen, denn ihr habt bewiesen, dass ihr andere Religionen toleriert wie wir.“, hatte er noch hinzugefügt.

Jetzt saßen sie in IDUSAs Cockpit und Joran vergrub seinen Blick in den Instrumenten. Shannon hatte unrecht. Seine Telshanach war nicht wie Major Carter. Die blonde Irin hatte ihm die Passage aus ihrem Unterhaltungsschmöker vorgelesen, in der Carter einmal einen Wolf, der eine Gottheit symbolisierte, nach dem Aufenthaltsort ihrer Freunde fragen sollte und dies sehr lächerlich fand. Jenna war nicht so. Nein! Sie war nicht nur den Regeln der Physik verhaftet, sondern konnte auch ganz naturnah. Oh, wie hatte er sie bewundert. Wie hatte er sie für die Art, mit der Religion der Minerianer umzugehen, bewundert. Dieses Wesen durfte er seine Freundin nennen! Sie, die es ermöglicht hatte, dass bald viele Geschundene mehr in den Armen der Tindaraner Schutz finden würden.

Jenna fand sein Verhalten reichlich übertrieben. Allerdings reagierte er nicht auf Ansprache und wenn, dann sah er sie nicht an. Jetzt reichte es ihr! Jetzt reichte es ihr wirklich! Sie nahm ihren Neurokoppler und gab per Gedankenbefehl über ihre von IDUSA geladene Reaktionstabelle ein: IDUSA, Antrieb aus und System sperren. Wartungscode: Jenna, J, 5, 8, 7, 2. Wenn sie den Antrieb gesperrt hatte, das wusste sie, würden sie keinen Parsec mehr weit kommen, bevor sie die Sperrung nicht aufgehoben hatte. Als Cheftechnikerin hatte sie die Berechtigung dafür. Zwar durfte sie ein System eigentlich nur dann sperren, wenn es funktionsgestört war, aber in diesem Fall heiligte der Zweck die Mittel.

Endlich drehte sich Joran zu ihr. „Kannst du mir mal verraten, warum du dich benimmst, als hätte ich eine Blendgranate im Gesicht, die losgeht, sobald du mich ansiehst!“, schrie sie ihn an. „Tut mir leid, Telshanach.“, entschuldigte er sich. „Ich habe es nur nicht gewagt, dich anzusehen, weil ich an dir gezweifelt hatte.“ „Gezweifelt?“, fragte Jenna, nachdem sie sich wieder etwas beruhigt hatte. „Ja, Telshanach, ich habe an dir gezweifelt. Daran ist deine Assistentin schuld.“ „Shannon.“, zischte Jenna. „Was hat sie wieder angestellt?“ „Sie hat gesagt, dass unsere Mission in die Hose gehen würde, weil du, wie Major Carter auch, zu wissenschaftlich wärst, um …“ Weitersprechen konnte er nicht, denn sie übersäte ihn mit einem Schwall Küsse. „Merke dir eins.“, flüsterte sie. „Ich bin nicht Samantha Carter. Mag sein, dass sie nicht so tolerant war, aber du hast dich ja schließlich in mich verliebt und nicht in sie. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass Zirell sie mit dir auf Mission geschickt hat, sondern mich. Hast du das verstanden?“ Joran nickte und versuchte tatsächlich, sie anzusehen. „Na geht doch.“, lächelte Jenna und gab den Antrieb wieder frei, damit sie nach Hause fliegen konnten.

In Logars Palast schritt eine etwa 40-jährige Vendar den Gang zum Thronsaal entlang. Sie hatte fuchsfarbenes Fell und war mit ca. 2,20 m Größe für eine Frau ihres Volkes recht groß. Vor der Tür zum Thronsaal erwarteten sie bereits Logars zwei geflügelte Löwen, die, wie die Einhörner auch, pandimensionale Existenzen waren. Als sie die Vendar, die ein langes schwarzes Kleid und schwarze Stiefel trug, erblickten, begannen beide zu schnurren und legten sich vor ihr hin. Sie wussten genau, wer sie war. Besonders die Kätzin hatte eine sehr gute Beziehung zu ihr. Der Kater war, wie bei Löwen im Allgemeinen üblich, eher Einzelgänger und für Streicheleinheiten nicht immer zu haben.

Die Vendar, die übrigens Logars Vertraute namens Iranach war, liebte dieses Schnurren. Es klang im Prinzip ähnlich wie bei Hauskatzen, nur war es um ein Vielfaches lauter.

Die Löwin hob erst ihren Schwanz vor Freude und dann ihren gesamten massigen Körper, um zu Iranach zu schleichen und sich mit einem lauten Schnurrer vor ihr auf den Rücken zu werfen. Dann streckte sie alle Viere von sich und präsentierte der mild lächelnden Vendar ihren Bauch zum Kraulen. „Ja, meine kleine Meeshach.“, sagte Iranach. „Ich kraule dich ja gleich.“ Sie hockte sich vor die wartende Löwin und begann, ihren Bauch zu streicheln und zu kraulen. Dabei bemerkte sie, dass die Kätzin zugenommen haben musste. Aber da war noch etwas. Etwas schien ihr Kraulen von drinnen zu beantworten. „Du siehst Mutterfreuden entgegen, Meeshach, nicht wahr?“, flüsterte Iranach.

Den Begriff: „Meeshach“ konnte man übrigens frei mit Schmusekatze übersetzen.

Iranach., hörte selbige bald Logars Stimme in ihrem Geist. Komm bitte her. Ich muss dringend mit dir sprechen.

Iranach stand auf und verabschiedete sich mit einem letzten kräftigen Krauler von ihrer Löwenfreundin. „Ich muss gehen.“, flüsterte sie. „Seine Majestät braucht mich dringend.“

Sie öffnete die schwere Tür zum Thronsaal. Hier wartete Logar bereits an einem Tischchen in der Ecke auf sie. Er bedeutete ihr, zu seiner Rechten Platz zu nehmen. Dann sagte er: „Ich habe durch den Kontaktkelch gesehen. Er hat mir die Zukunft offenbart. Es wird schreckliches Unheil auf uns zukommen und du kannst einen Teil davon verhindern.“ Iranach sah den König fragend an. „Was meint Ihr damit?“, fragte sie. „Es sind drei Veshels mit drei Vendar und drei Mächtigen auf dem Weg hier her. Wir müssen etwas gemeinsam besprechen. Auch du wirst dabei sein, genau wie die Vendar-Begleiter meiner Gevattern.“

Iranach wusste auch, dass nicht alle Mächtigen wirklich auf familiärer Ebene miteinander verwandt sind. Ihr war klar, dass diese Verwandtschaft eher in der Art zu sehen war, wie die Seekuh mit dem Elefanten verwandt ist. Also eher eine Artverwandtschaft.

Die Vendar beobachtete, wie sich das Gesicht ihres Herren in sorgenvolle Falten legte. „Ist es so schlimm, mein Gebieter?“, fragte sie mit mitleidiger Stimme, die für ihr Alter noch sehr hell war. „Ach, Iranach.“, seufzte Logar. „Wenn du wüsstest.“ „Was kann ich tun, Majestät, um Euch aufzuheitern?“, fragte sie. „Nimm dein Veshel und flieg ihnen entgegen.“, erwiderte Logar. „Wenn ich dich in ihrer Nähe weiß, geht es mir viel besser.“ Sie nickte und stand auf, um zu gehen. Dabei vergas sie nicht zu erwähnen, dass Logars geflügelte Löwin schwanger war. Diese Information zauberte tatsächlich ein Lächeln auf das bis dahin traurige Gesicht des Herrschers.

Maron hatte sich die Datei, die meiner Nachricht beilag, angesehen. Was er hier sehen musste, empörte ihn. „Nugura muss komplett den Verstand verloren haben.“, schlussfolgerte der Demetaner. „Wenn es heutzutage ausreicht, warpfähig zu sein, um ein Ticket in die Föderation zu lösen, dann gute Nacht. Bald bestehen wir nur noch aus Raumpiraten, Diktaturen usw. Dann gute Nacht!“ Er wendete sich zum Computermikrofon: „IDUSA, wo ist Shimar?“

Nach dem Andocken hatte Jenna die technische Kapsel verlassen. Jetzt standen sich Shannon und Joran gegenüber. „Du weißt, was ich von dir will.“, begann der Vendar. „Ne, weiß ich nich’.“, entgegnete die blonde Irin. „Dann überleg mal.“, antwortete Joran.

Geraume Zeit verging, ohne dass beide etwas sagten. Dann meinte Shannon: „Du willst wohl, dass ich mich entschuldige, was?“ „In der Tat.“, bestätigte Joran. „Na schön.“, stieß Shannon zwischen leicht zusammengebissenen Zähnen hervor. „Sorry, Grizzly. Habe Jenn’ wohl falsch eingeschätzt. Aber, sie hat dich wohl nicht ganz aussprechen lassen, als du ihr gesagt hast, was ich gesagt habe. Ich meinte nämlich, sie sei eine gute Mischung aus Samantha Carter und Daniel Jackson. Käme nur drauf an, welcher Teil gerade die Oberhand hätte.“ Joran grinste: „Na gut, lassen wir das noch mal durchgehen. Hast noch mal die Kurve gekriegt. Aber, wenn das noch einmal vorkommt, lässt meine Telshanach dich sicher IDUSAs Warpgondeln mit der Zahnbürste schrubben.“ Dann ging er grinsend.

Von IDUSA hatte Maron die Information bekommen, dass sich Shimar im Aufenthaltsraum befand. Hier hin war er jetzt auch unterwegs. Allerdings ging er nicht sofort zu dem Tisch, an welchem er den jungen Patrouillenpiloten erspäht hatte, sondern bog zunächst zu einem öffentlichen Replikator ab. Von dort kam er dann mit einem (entschuldigt bitte) Rieseneimer voll mit einer bunten Flüssigkeit zurück, den er vor Shimar abstellte.

Shimar betrachtete das große Glas und meinte dann: „Bist du verrückt! Ich muss gleich auf Patrouille und wenn ich mir vorher anständig einen zwitschere, ist meine Lizenz schneller futsch, als du futsch sagen kannst!“ „Reg dich gefälligst ab.“, meinte Maron lässig, als er sich Shimar gegenüber setzte. „Das ist nur der Misch-Frucht-Shake, auf den du so stehst. Zumindest meint das Allrounder Betsy. Man wird doch wohl mal einem Untergebenen einen ausgeben dürfen. Erst war mir nicht klar, was ich mit deinen Liebesgrüßen von Terra soll. Aber dann habe ich die Anlage gesehen. Deine Freundin ist ein Goldstück. Lasst euch ja nicht einfallen, miteinander Schluss zu machen. Zumindest so lange nicht, bis das hier vorbei ist. Das wäre extrem schädlich für den Informationsfluss.“, grinste Maron. „Wenn das so ist.“, erwiderte Shimar und zog einen großen Schluck durch den Strohhalm. „Dann entschuldige, dass ich dich für verrückt gehalten habe. Ich dachte nur, es wäre Alkohol.“ „Schon OK.“, meinte Maron. „Aber du solltest wissen, dass ich so etwas als verantwortungsvoller Vorgesetzter nie tun würde.“

Pflichtgemäß hatte Kassius Evain das Passieren der Wirbel gemeldet. „Haben unsere Truppen schon Sichtkontakt zu den Vendar-Schiffen?“, fragte die Generalin. „Nein, Commandara.“, antwortete der Kadett. „Laut ihrem letzten SITCH ist noch kein Sensorkontakt zustande gekommen, aber ich denke, das lässt nicht mehr lange auf sich warten. Wir wissen, wohin sie wollen und dort haben sich unsere Schiffe postiert.“ Er rief ein Schema auf. „Hier können Sie es sehen.“ Evain warf einen Blick auf den Bildschirm. „Ausgezeichnet!“, lobte sie. „Wer hat diese Positionierung ausgearbeitet?“ Kassius setzte einen Blick auf, der eine gewisse Bescheidenheit durchblicken ließ. „Mit Verlaub, Commandara, das war ich.“ Evain staunte.

„Ich finde es besser, wenn wir zuerst die rosannium-fähigen Torpedos einsetzen.“, schlug er nach einer Weile des Beobachtens vor. „Dann können die Mächtigen nichts machen und die Vendar sind mit der, nennen wir es Krankenpflege, abgelenkt.“ „Einverstanden.“, entgegnete Evain mit einem gemeinen Lachen. „Du hast jetzt schon mein Strategieverständnis.“, schmeichelte sie. „Ich bin überzeugt, am Ende deiner Ausbildung wirst du mich darin noch überragen.“

Fröhlich war Maron mit den neuen Ergebnissen zu Zirell gegangen. Diese hatte sich die Datei auch angesehen. Nachdem die Tindaranerin IDUSA bedeutet hatte, den Bildschirm zu löschen, schlug sie die Hände über dem Kopf zusammen. „Wie kann deine ehemalige Oberbefehlshaberin so etwas zulassen?“, fragte sie außer sich. „Ich kann mir das nur so erklären, Zirell.“, begann Maron, der ziemlich kämpfen musste, um seine Wut über das Gesehene im Zaum zu halten, dass die Föderation im Laufe der Zeit sehr verwöhnt worden ist, was Kandidaten angeht. Alle, die in den letzten Jahrhunderten hinzugekommen sind, waren warpfähig und moralisch in Ordnung. Deshalb kontrollieren wir das wohl heute nicht mehr und setzen voraus, dass jemand, der warpfähig ist, auch moralisch einwandfrei ist.“ Zirell sträubten sich die Haare. „Was hat denn das Eine mit dem Anderen zu tun?“, wollte sie wissen. „Gar nichts.“, antwortete Maron. „Das ist es ja gerade. Und ich halte dies alles nicht für die falschen Behauptungen von einigen Unzufriedenen, sondern für die Wahrheit. Die Verzweiflung dieser Frau war echt. Aber ich denke auch, dass die Nihillaner sicher nicht untätig geblieben sind. Wir sollten Shimar besser in die Föderationsdimension schicken. Ich habe wieder Schmerzen im rechten großen Zeh, den ich mir als Junge mal gebrochen hatte.“ Zirell wusste, dass dies ein untrügliches Zeichen für Probleme war. Maron hatte dies des Öfteren beklagt, wenn es Schwierigkeiten gegeben hatte. In 80 % der Fälle entsprach es der Wahrheit.

„Reden wir von etwas Erfreulicherem.“, versuchte sie ihren zerknirschten ersten Offizier aufzuheitern. „Hannibal hat mir telepathisch mitgeteilt, dass Jenna und Joran die Prüfung bestanden haben. Die Minerianer werden also Flüchtlinge aufnehmen. Das wäre sicher auch gut für diese Zeugin. Sie ist ja endlich jemand, den du dir immer gewünscht hast. Jemand, der den Mund aufmacht. So jemandem sollten wir einen besonderen Schutz gewähren.“

Diran hatte erneut das Fütterungsritual hinter sich gebracht. Zwar hatte er im Prinzip nichts Neues erfahren, war aber um eine Erfahrung reicher geworden. Sein Unterbewusstsein musste Toleas Information verarbeitet haben. Er hatte gesehen, dass ein Zipfel des Schlosses aus der Nebelwand hervorschaute. „So ist das also.“, hatte er zu sich gesagt. „Je mehr ich weiß, desto größer ist die Chance, dass ich ihn irgendwann aus dem Käfig befreien kann.“

Plötzlich wurde er durch ein Alarmsignal aufgeschreckt. Der Mishar meldete den Abschuss mehrerer rosannium-fähiger Torpedos. Tolea brach neben ihm zusammen. Jetzt durfte er keine Zeit verlieren. Er legte die bewusstlose Mächtige über seine Schulter, ging mit ihr in die Achterkabine und legte sie dort auf den zwei nebeneinander liegenden Sitzen ab. Dann zog er sein Sprechgerät, rief damit den Computer und befahl: „Mishar, Achterkabine nach meinem Verlassen hermetisch abriegeln und Atmosphäre reinigen!“ „Befehl wird ausgeführt.“, antwortete eine nüchterne männliche Computerstimme.

Diran eilte zurück ins Cockpit. Was war hier geschehen. Wo kamen diese verdammten Torpedos plötzlich her?

Diran befahl zunächst dem Mishar eine Sprechverbindung mit den beiden anderen Veshels. Crimach und Tabran bestätigten zu seiner Erleichterung, dass auch sie die Mächtigen in Sicherheit gebracht hatten.

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