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Evain hatte ihrem Präsidenten die erneute Niederlage gebeichtet. Ethius, der sonst eigentlich nach außen den wissenschaftlichen Rationellen gab, war auf einmal gar nicht mehr so beherrscht. „Wie konnte das passieren?!!!“, brüllte er. „Dieser Tindaraner … Er … Ich meine, wer traut sich schon, in ein sich aufbauendes Warpfeld zu fliegen?“, stammelte Evain. „Anscheinend dieser verdammte Tindaraner.“, antwortete Ethius entrüstet. „Aber bald ist Schluss mit Vendar und Tindaranern, die uns an der Nase herumführen können. Wenn Nugura unterschrieben hat, steht uns das gesamte Wissen der Föderation zur Verfügung. Also auch das über die Schwachstellen ihrer Verbündeten.“ „Sie versetzen mich doch wohl nicht wirklich zu den Müllfliegern, Allverstehender Präsident?“, sah Evain ihre Felle bereits davonschwimmen. Ethius zog die Stirn kraus. „Nein, noch nicht.“, sagte er dann. „Den Tindaraner hatte ja noch nicht mal ich auf der Rechnung. Es war also nicht Ihre Schuld. Aber beim nächsten Mal …“ „Ich versichere, Allverstehender Präsident, begann Evain. „Ein nächstes Mal wird es nicht geben.“ Sie verließ niedergeschlagen das Büro.

Wir waren bei den letzten Koordinaten, die uns IDUSA gegeben hatte, aus dem Interdimensionsmodus gegangen. „Wer war diese Häuptlingstochter Haariges Gebiss aus dem Stamme der Xanthippen, Kleines?“, wollte Shimar von mir wissen. „Oh.“, antwortete ich. „Das war Agent Sedrin Taleris-Huxley. Sie war die erste Offizierin an Bord der Eclypse.“ „Erste Offizierin.“, murmelte Shimar. „Wenn der Commander mal nicht konnte, hatte die Besatzung sicher nicht viel zu lachen. Die hat ja nicht nur Haare auf den Zähnen, bei ihr wachsen ja sogar noch Haare auf den Haaren, die auf den Zähnen sind. Dabei dachte ich immer, die Demetaner seien so nett und freundlich.“ „Nicht gegenüber ihren Feinden“, korrigierte ich sein Wissen. „Sedrin hat dich nur so getriezt, weil wir Eludeh vor den Nihillanern, also, Feinden, retten mussten. Sie wollte nur, dass du anständig mithilfst. Denen lässt sie nämlich nichts durchgehen. Auch Sytania hatte ihre helle Freude an Sedrin.“ Bei meinem letzten Satz grinste ich verschmitzt.

IDUSAs Avatar räusperte sich. „Ich sehe Eludehs Schiff.“, sagte sie. „Ruf sie.“, erwiderte ich.

„Da seit ihr ja endlich, ihr lahmen Enten.“, begrüßte uns Eludeh mit einem Lächeln. „Sie haben Nerven.“, antwortete ich. „Die habe ich allerdings.“, gab sie zurück. „Ich muss gegenüber dem tindaranischen Geheimdienst aussagen. Lässt sich da was machen?“ „Sicher.“, sagte ich. „Wenn Sie uns folgen, können wir das arrangieren.“ „In Ordnung.“, sagte sie und flog einen Bogen um uns, um sich hinter IDUSA einzureihen.

Die Vendar hatten die Weltraumwirbel hinter sich gebracht. Man war übereingekommen, erst nach ihrem Passieren den Interdimensionsantrieb zu nutzen. Das brachte ihnen auch noch die Gelegenheit, sich über SITCH noch einmal auszutauschen. „Ich werde Dill wieder nach Zeitland begleiten.“, meinte Crimach. „Und ich werde Shiranach abholen und sie dann zum Jahreswendfest mitbringen, wenn die Wächterin es erlaubt.“, erklärte Tabran. „Ist mir recht.“, sagte Diran dazu. „Treffen wir uns danach einfach im Universum der Tindaraner bei New-Vendar-Prime.“ Er beendete das Gespräch und befahl dem Mishar, nach Durchquerung der Wirbel den Interdimensionsantrieb zu aktivieren. Allerdings hatte er Zielkoordinaten eingegeben, die weit weg von New-Vendar-Prime waren. Genauer so weit weg, dass er selbst mit der maximalen Warpgeschwindigkeit seines Veshel mindestens eine Woche bis dort hin brauchen würde. Diese Zeit würde er aber gut nutzen. Er hatte schon lange angezweifelt, dass sein Energiefeld ein künstliches war. Es fühlte sich nicht so an und seine Sifa hätte ein künstliches Feld sicherlich erkannt. Auch die Theorie seiner Gebieterin glaubte er nicht. Vielleicht hatte sie diese nur aufgestellt, um ihn zu schützen. Vielleicht war es besser, wenn er gar nicht wüsste, wo sein Feld herkam. Vielleicht hatten die Nihillaner die Föderation auch betrogen und es war tatsächlich ein echtes Feld. Ein Feld, das irgendwo eingefangen wurde und eigentlich die unsterbliche Seele eines Wesens enthielt. Vielleicht war diese jetzt in ihm gefangen und versuchte, ihm dies deutlich zu machen. Vielleicht, vielleicht, vielleicht.

Diran waren das zu viele Vielleicht. Er beschloss, der Sache beim Fütterungsritual dieses Mal auf den Grund zu gehen. Sonst hatte er immer abgewartet, bis der Mann sich am Gitter gezeigt hatte. Jetzt würde er ihn gezielt suchen, sobald er den Käfig sah. Wenn es ein Programm war, konnte es auf so eine spontane Änderung sicher nicht reagieren und es würden Dinge geschehen, die Diran zeigen würden, dass es eine Art Fehlermeldung gab. Ein lebendes Wesen jedoch könnte spontan reagieren.

„Mishar, Steuerkontrolle übernehmen!“, befahl Diran dem Schiffsrechner. „Kurs, Höhe und Geschwindigkeit halten!“ Dann vertiefte er sich ins Fütterungsritual.

Tatsächlich sah Diran bald die karge Ebene, auf der der Käfig stand. Ein scharfer kalter Wind pfiff ihm um die Nase und auch durch die Gitterstäbe, durch welche Diran jetzt immer und immer wieder in den Käfig schaute, als würde er gezielt nach etwas suchen. Tatsächlich erblickte er bald den Gefangenen. „Diran.“, begrüßte dieser ihn mit einem Lächeln. „Ich hatte schon gehofft, dass du eines Tages die Initiative zu unserer Kommunikation ergreifen würdest.“ „Vergib mir.“, bat Diran. „Aber ich muss etwas erfahren. Bist du die Seele eines nihillanischen Toten?“ „Nicht so schnell.“, lächelte der Mann im Käfig. Das erfährst du noch früh genug. Aber, wenn du so neugierig bist, dann geh zur Käfigtür und schau dir Schloss und Schlüssel an. Dann wirst du sehen, ob du auf dem richtigen Weg bist.“

Diran folgte dem Vorschlag und stellte fest, dass eine weitere Ecke des Schlosses unter dem Nebel zum Vorschein gekommen war. Das Schlüsselloch konnte er zwar immer noch nicht sehen, aber ihm war jetzt eines klar. Je näher er dem Geheimnis kam, desto weiter schnurrte die Nebelwand zusammen. Toleas Satz hallte in seinem Kopf nach. Irgendwann wirst du ihn befreien können.

Noch einmal drehte sich Diran zu dem Mann um und fragte: „Wer bist du?“ „Wer ich bin?“, entgegnete dieser lächelnd. „Ich bin Ethius’ Albtraum.“

Die Umgebung löste sich auf. Diran versuchte mit aller Willenskraft, im Zustand des Fütterungsrituals zu verbleiben, aber seine Konzentrationsfähigkeit reichte nicht mehr aus. Schließlich musste er aufgeben. „Na gut.“, sagte er zu sich. „Morgen ist auch noch ein Tag. Du hast noch eine ganze Woche, wenn nicht so gar noch mehr. Irgendwann findest du es heraus. Lenk dich jetzt erst mal ab.“ Er setzte sich auf und befahl dem Computer: „Mishar, Steuerkontrolle übergeben!“

Mit leuchtenden Augen sah Shiranach zu, wie Tabrans Schiff landete. So schnell sie ihre alten Beine tragen konnten, lief sie ihm entgegen. Beide umarmten und küssten sich leidenschaftlich. „Oh, Tabran.“, begann Shiranach erleichtert. „Ist jetzt wieder alles in Ordnung? Habt ihr einen Weg gefunden?“ „Leider muss ich dich enttäuschen, meine Shiranach.“, sagte Tabran langsam und strich ihr dabei tröstend über den Kopf. „Wir haben keinen Weg gefunden, die Föderation angemessen zu warnen. Logar will Nugura von sich träumen lassen. Aber ich glaube, damit erreicht er genau das Gegenteil. Tolea aus dem Raum-Zeit-Kontinuum kennt die Sterblichen aus der Föderation und sie hat versucht, ihn davon abzubringen. Aber leider war sie damit nicht erfolgreich.“

Die kluge Vendar erkannte ebenfalls das Problem und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Oh nein.“, erschrak sie. „Er wird die Föderation erst recht ins Verderben treiben. Was können wir denn nur tun?“ „Wir können gar nichts tun, meine Shiranach.“, erwiderte Tabran. „Aber Diran hat vorgeschlagen, dass wir uns zunächst bei der Jahreswendfeier auf New-Vendar-Prime zerstreuen sollten. Ich habe bereits mit der Wächterin gesprochen. Sie ermöglicht uns eine Passage in die tindaranische Dimension.“ „Dann werde ich mal besser gleich packen.“, antwortete Shiranach.

Sianach hatte Maron und Nidell mit ihrem eigenen Veshel abgeholt. Sie waren auf dem Weg nach Tindara. Hier wollte Maron ein Flüchtlingslager besuchen. Einer der Flüchtlinge hatte signalisiert, dass er eventuell doch reden würde, aber nur dann, wenn er wüsste, dass es definitiv jemand geschafft hatte, dem langen Arm des nihillanischen Militärs zu entkommen. Maron hatte vor, ihm gegenüber zu erwähnen, dass er für eben diesen Umstand gesorgt hatte.

Sie schwenkten in die Umlaufbahn. Für Sianach war es nicht schlimm, Taxipilotin zu spielen. Auf diese Weise konnte sie auch gleich etwas loswerden. „Ich möchte gern die gesamte Besatzung der tindaranischen Station zu unserem Jahreswendfest einladen.“, sagte die Vendar-Führerin feierlich. „Von mir aus gern.“, erwiderte Maron. „Ich muss nur wissen, was Zirell dazu meint. Aber, sie wird nichts dagegen haben, denke ich.“ Er winkte Nidell und die junge medizinische Assistentin folgte ihm auf die Transporterplattform. Dann beamte Sianach sie herunter.

Am Tor des Lagers wurden Maron und Nidell bereits von Meddar, einem der Flüchtlingsbetreuer, erwartet. Der tindaranische Mittdreißiger mit schwarzem kurzem Haar führte sie an unzähligen Wohneinheiten vorbei. Diese waren in ähnlicher Bauweise errichtet, wie es auch die Häuser der Tindaraner waren. Es gab ein großzügig eingerichtetes Wohnzimmer, Schlafzimmer für Kinder und Eltern, eine Küche mit Replikator und ein Bad. Die Flüchtlinge sollten nicht das Gefühl haben, schlechter leben zu müssen, als die, in deren Obhut sie waren.

„Alle hier haben wahnsinnige Angst.“, flüsterte die etwas schüchterne junge Telepathin ihrem demetanischen Begleiter zu. „Was hast du erwartet?“, entgegnete Maron gereizt. „Das hier ist ein Flüchtlingslager und kein Urlaubscamp!“ Er schien seinen Fehler allerdings gleich selbst einzusehen und entschuldigte sich sofort. „Ich wollte damit ja nur verhindern, dass du einen Fehler machst.“, rechtfertigte sich Nidell. „Lass das mal meine Sorge sein.“, antwortete Maron. „Ich weiß schon, wie man mit verängstigten Opfern umgehen muss. Nichts Anderes sind die Flüchtlinge ja. Sie sind Opfer ihres eigenen Staates.“ Nidell schaute skeptisch. Sie schien schon die Vorboten jenes Ereignisses in Marons Geist zu sehen, das noch schwerwiegende Folgen haben sollte.

Sie erreichten ein Bürogebäude. Hier führte sie Meddar in eine Sitzgruppe. „Ich hole jetzt Marcellus.“, sagte er. Nidell setzte einen mahnenden Blick auf, als der Tindaraner gegangen war. „Bitte pass auf, was du tust, Maron.“, flüsterte sie. Der Demetaner winkte nur mit einem fast arroganten Blick ab.

Bald kam der Betreuer mit einem alten Mann zurück, der sich nur noch mit Hilfe einer magnetgestützten Gehhilfe auf den Beinen halten konnte. Er hatte bereits menschliche Gestalt. Das konnte Maron sehen. Er war sehr gebrechlich und hatte schlohweißes Haar.

Meddar half seinem nihillanischen Schutzbefohlenen auf einen Stuhl und schaltete die Gehhilfe zunächst ab. Dann setzte er sich selbst dazu. „Er möchte, dass ich dabei bleibe.“, erklärte er dieses. Maron nickte.

Maron zog ein Pad und begann: „OK, Marcellus. Ich bin Agent Maron vom tindaranischen Geheimdienst. Das ist Medical Assistant Nidell. Sie wird aufpassen, dass ich Sie gesundheitlich nicht überfordere und sie wird Sie auch noch untersuchen, damit wir erfahren, ob Ihnen in Ihrer Heimat körperliches Leid zugefügt wurde. Wenn Sie mit unseren Maßnahmen nicht einverstanden sind, haben Sie jederzeit das Recht, nein zu sagen. Wir brechen die entsprechende Maßnahme dann sofort ab. Haben Sie das verstanden?“ Der Alte nickte. „Gut.“, sagte Maron und rief ein Formular auf dem Pad auf. „Kommen wir zu Ihren Personalien. Nennen Sie bitte Ihren vollen Namen, Ihr Geburts- … Pardon Schlupfdatum und den Ort ihres Schlupfes.“ „Ich bin Marcellus, Ehemann der Livia. Nach der neuen Zeitrechnung bin ich am mittleren Tag des dritten Frühlingsmonats im Jahre 30 in der Stadt Sadria geschlüpft.“ Maron notierte dies eilig. „Mehr sage ich aber nur, wenn Sie mir versprechen können, dass Eludeh in Sicherheit ist. Sie ist meine über alles geliebte einzige Tochter.“ „Eludeh ist in Sicherheit.“, schwindelte Maron.

Nidell telepathierte Meddar etwas in ihrer gemeinsamen Muttersprache zu. Der Betreuer legte seine rechte Hand auf Marcellus’ Rücken. „Also gut.“, sagte Marcellus. „Bitte lassen Sie sich von mir berühren, dann zeige ich Ihnen alles.“ Maron nickte und der Alte legte ihm seine knochigen Hände auf beide Schultern. Jetzt sah der Demetaner, wie sehr Marcellus und seine Familie aufgrund ihres Glaubens unter Repressalien zu leiden hatten. Nirgendwo konnten sie sich mehr sicher fühlen. Bei Nacht und Nebel wurden sogar Hausdurchsuchungen durchgeführt. Jede heilige Figur oder jedes Götterbild wurden zerstört. Die Familie musste wie verhaftete Gangster mit gespreizten Beinen an der Wand stehen und dabei zusehen, wie Polizisten lästernd und spottend ihren Hausrat zertraten. Aber das war noch lange nicht alles. Sie wurden gefesselt, als so genannte Rückständler bezeichnet und ihnen wurde mit Umerziehungslagern gedroht, wenn sie ihrem Glauben nicht abschworen und hier vor allen erklärten, dass er Unsinn sei und sie nur noch die Erklärungen der hohen Wissenschaft zuließen. Als er sich einmal geweigert hatte, hatten zwei Agenten seiner Frau die Kleider vom Leib gerissen und gedroht, sie zu vergewaltigen, sollte er sich nicht einverstanden erklären. Angeblich war jedes Mittel recht, um den Rückständigen Hirngespinsten ein Ende zu machen.

Plötzlich wich der Alte zurück und begann, bitterlich zu weinen. In seine Tränen mischte sich aber auch Wut. „Sie haben mich belogen!“, schrie er. „Sie wissen nicht, wo Eludeh ist! Sie sind nicht besser, als unsere Behörden! Ich sage nichts mehr! Gar nichts mehr!“

Jetzt ging alles ganz schnell. Meddar zog den völlig fertigen alten Mann mit sich aus dem Zimmer und versuchte noch auf dem Weg, ihn irgendwie zu trösten, während Nidell ihr Sprechgerät nahm, um Sianach zu bedeuten, dass sie die Beiden schnellstens raufbeamen sollte.

Den ganzen Flug über hatte Nidell Maron nicht angesehen. Die zierliche Telepathin war sehr enttäuscht von ihm. „Komm schon, Nidell.“, versuchte Maron, ein Gespräch zu beginnen. „Was habe ich denn falsch gemacht, dass du mich nicht …“ „Was du falsch gemacht hast?!“, fragte die kleine Tindaranerin wütend. „Du hast alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann. Ich habe dich gewarnt. Du hättest ihn nicht belügen dürfen!“ „Was ist denn da unten passiert?“, fragte Sianach. Bevor Nidell oder Maron allerdings antworten konnten, musste sie einen Ruf von der Station beantworten. „Hier ist Zirell!“, meldete sich die energische Stimme der Kommandantin im Sprechgerät des Vendar-Schiffes. „Flieg bitte nicht zur Andockbucht, Sianach, sondern beame Maron direkt in mein Büro. Ich habe ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Bei mir ist Zoômell. Nidell kannst du von mir aus an der Bucht rauslassen. Sie hat mit dem allen ja nichts zu tun. Aber, Sianach, Maron gehört mir!“ „Habe verstanden, Anführerin Zirell.“, erwiderte die junge Vendar. Dann flüsterte sie Nidell zu: „Ich glaube, bei euch gibt’s gleich gegrillten Agenten.“

Maron wurde tatsächlich bereits von Zirell und Zoômell erwartet. Die Frauen nahmen ihn in die Mitte und Zoômell zeigte ihm eine Anzeige auf einem Pad. Hier konnte Maron Meddars Aussage gut lesen.

Zirell stand auf, näherte sich ihm mit erhobenem Zeigefinger und fragte: „Was hast du zu diesem Vorwurf zu sagen?“ „Es war eine notwendige Lüge, Zirell.“, verteidigte sich Maron. „Notwendige Lügen sind vielleicht Bluffs gegenüber Tätern, um an Informationen zu gelangen.“, erklärte Zoômell, die sich ihm jetzt ebenso streng genähert hatte. „Aber ein Opfer zu belügen, ein Opfer, Maron, das eh schon genug Angst hat, das würde selbst einem Anfänger nicht einfallen.“ „Ich denke.“, fügte Zirell noch hinzu. „Du bist überarbeitet und brauchst dringend mal Urlaub. Sianach hat uns zum vendarischen Jahreswendfest eingeladen und danach gehst du in Urlaub. Ja, in den Urlaub nach Demeta!“ „Zirell, ich …“, versuchte Maron, sich zu verteidigen. Zirell aber schaute nur streng und sagte: „Das ist ein Befehl! Wegtreten!“

Wie ein begossener Pudel verließ Maron das Büro und zog sich in sein Quartier zurück. Hier wollte er mit seiner Schmach allein sein. „IDUSA, ich bin nicht erreichbar!“, schnippte er dem Stationsrechner zu.

Nugura konnte sich erinnern, dass sie ins Bett gegangen war. Deshalb verstand sie auch nicht, warum sie sich plötzlich im Dunklen Imperium fand. Wohin immer die Politikerin auch versuchte zu entkommen, es war unmöglich. Schließlich blieb sie auf einem Hügel stehen. Was immer hier auch gleich passieren möge, von hier aus hatte sie die beste Aussicht.

Bald hörte sie Hufgetrappel und Schellengeläut. Auch das Geräusch typischer Klappern, wie sie im Mittelalter von so genannten Aussätzigen benutzt wurden, drang an ihr Ohr. Noch konnte sie nicht sehen, was da auf sie zu kam. Trotzdem beschlich das Staatsoberhaupt der Föderation eine schreckliche Angst. Sie traute sich nicht, sich zu bewegen.

Alsbald gab es einen weißen Blitz und Nugura konnte jetzt alles genauer sehen. Logar ritt einem Zug Nihillaner, die alle zu Fuß unterwegs waren, auf Kipana voran. Dicht an Nugura vorbei ging es. So dicht, dass die Präsidentin die ausgemergelten und verängstigten Gestalten gut sehen konnte. „Sehen Sie, was uns unsere Oberen angetan haben.“, klagten die Gestalten. Einer hielt den Stumpf seiner abgeschlagenen rechten Hand genau in ihre Richtung und sagte: „Meine andere Hand sieht nicht viel anders aus. Das haben sie getan, weil ich gebetet habe.“ Eine Frau hielt ihr kleines Kind auf dem Arm, dem man die Zunge herausgeschnitten hatte. „Das haben sie getan, weil mein armes Kind es gewagt hat, zu fragen, ob es einen Gott gibt.“

Nugura fiel vor Logar nieder. Ihr waren diese grausamen Bilder zu viel geworden. „Ich bitte Euch, Majestät, hört auf, mir dies zu zeigen!“, flehte sie. „Das werde ich erst dann tun, wenn Sie das schändliche Tun der nihillanischen Obrigkeit begreifen und auch begreifen, dass der Föderation die gleiche Art der Beschneidung ihrer Freiheit droht, wenn die Nihillaner eingebürgert werden. Bis dahin, Sehen Sie ruhig noch einmal hin.“ Logar setzte sein Pferd in Bewegung und alle geschundenen Nihillaner folgten. Noch einmal ging es im Schritttempo an Nugura vorbei. „Aufhören!!!“, schrie Nugura. „Bitte, bitte, aufhören!!!“

Das Nächste, was die Präsidentin spürte, war ein fester Griff um ihre Schulter und dass jemand sie schüttelte. „Madam President, wachen Sie auf! Aufwachen!“ Nugura schlug die Augen auf und blickte in das Gesicht ihres aldanischen Leibarztes und Sarons, ihres treuen demetanischen Sekretärs. „Oh, Saron.“, sagte Nugura erleichtert. „Ich hatte einen furchtbaren Albtraum. Deshalb habe ich heute wohl auch verschlafen.“

Sie gab dem Demetaner ein Zeichen, auf welches dieser den aldanischen Mediziner fortschickte. Dann sagte sie: „Saron, Sie bleiben. Ich möchte Ihnen berichten, wovon ich geträumt habe.“ „Soll ich mitschreiben, Madam President?“, fragte der Demetaner und zog ein Pad. „Wäre gut.“, erwiderte Nugura. „Dann habe ich zumindest etwas gegen Logar in der Hand. Ach, Saron, Sie kennen mich doch zu gut.“

Detailgenau berichtete sie jetzt ihren Traum. Saron war fassungslos. „Unfassbar!“, rief der Sekretär aus. „Warum will Logar Sie so ängstigen, Madam President.“ Er überlegte eine Weile und sagte dann: „Moment, ich glaube, ich weiß warum. Unsere neuen baldigen Mitbürger wollen doch erreichen, dass niemand mehr krank wird oder sterben muss. Das können die nihillanischen Wissenschaftler aber nur, wenn Gene von Mächtigen in die normale DNS eines Wesens eingekreuzt werden. Kein Wunder, dass die Mächtigen es nicht gut finden, wenn die Nihillaner zum Wohl aller Gott spielen.“ „Sie spielen nicht, Mr. Saron.“, korrigierte sie ihn. „Wollen Sie damit sagen, sie seien …?“, fragte Saron irritiert. „Nein, mein Lieber.“, entgegnete Nugura. „Götter oder höhere Mächte gibt es nicht. Sie sind nur eine faule Ausrede für die, die sich weigern, sich für den Fortschritt anzustrengen oder die altmodische moralische Bedenken haben. Denken Sie nur, Mr. Saron. Bisher konnten wir nur dann reagieren, wenn jemand schon krank war und den Tod konnten wir nach wie vor nicht überwinden. Gut, wir hatten zwar gute Medizin. Aber der Vorschlag der Nihillaner würde den Beruf des Arztes und den des Totengräbers quasi unnötig machen. Stellen Sie sich vor, alle würden immer gesund sein und ewig leben. Ein riesiger Traum wird wahr und das in meiner Amtszeit.“

Saron speicherte die Datei mit seinen Notizen sorgfältig ab. Dann wechselte er das Fenster. „Sie haben in einer Stunde eine Sitzung mit dem nihillanischen Gesandten.“, machte er seine Chefin aufmerksam. „Denken Sie, dass Sie dem gewachsen sind?“ „Es wird schon gehen, Mr. Saron.“, erwiderte Nugura und schickte ihn fort, um sich in Ruhe sitzungsfein machen zu können.

IDUSA und Eludehs Shuttle zogen nebeneinander ihre Bahn. Shimar hatte sie nicht aus den Augen gelassen. „Sie fliegt ziemlich gut für eine Zivilistin, nicht wahr, Kleines.“, fragte er mich nach einer Weile, in der wir nur geschwiegen hatten. Mir war all das, was sie in Little Federation gesagt hatte, wieder durch den Kopf gegangen. All diese haarsträubenden Dinge! All das, warum ich, wenn ich Nugura gewesen wäre, diese Nihillaner niemals in die Föderation gelassen hätte. Was konnte der Grund sein, aus dem sie es trotzdem tat? Die mussten uns ja schon die Unsterblichkeit oder so was versprochen haben. Wissenschaft und Fortschritt waren ja OK. Aber bitte in moralischen Grenzen. Die waren meiner Meinung nach bei den Nihillanern total auf der Strecke geblieben. Aber das war ja auch kein Wunder. Ich musste an einen Ausspruch Tabrans denken, den mir Shimar einmal gemailt hatte, nachdem er ihn von ihm selbst gehört hatte: „Die Moral ist die Tochter des Glaubens und nicht der Wissenschaft, denn diese ist selbst wie ein neugieriges Kind.“ Damals hatte ich nicht wirklich verstanden, was der Vendar damit meinen könnte. Aber heute passte dieser Spruch exakt zu unserer Situation.

„Woran denkst du, Kleines?“, fragte Shimar. Ich musste lächeln, denn ich empfand die Frage für einen Telepathen ziemlich witzig. „Du weißt, ich würde niemals ohne deine Erlaubnis …“, erklärte er, aber ich unterbrach ihn: „Ich weiß. Aber ich habe gerade nur an einen Spruch von Tabran gedacht. Ich meine, er steht in Kontakt mit der Wächterin. Könnte es sein, dass er uns schon vor der Zukunft warnen wollte, weil sie ihn gewarnt hat?“ „Möglich ist alles.“, entgegnete Shimar.

Wir hatten die Basis erreicht und Shimar hatte mich gebeten, uns anzumelden, weil er auch noch ein Auge auf Eludeh halten wollte.

Joran beantwortete meinen Ruf. „Hier ist Joran Ed Namach an Bord von Tindaranerbasis 281 Alpha.“, meldete er sich korrekt, nachdem er mein Gesicht im Display erkannt hatte. Ich fand sein Stolperenglisch zwar irgendwie süß, aber das ging bestimmt nicht jedem so. Deshalb hatte ich ihm angeboten, ihm einige Floskeln aus dem Englisch für Kommunikationsoffiziere der Sternenflotte beizubringen. Mit Feuereifer hatte er sich alles notiert (Rechtschreibfehler inklusive), aber das war ja für seine eigene Kladde nicht so schlimm. Hauptsache, er konnte es lesen. Und solange er es mündlich richtig wiedergab, war ja dagegen nichts einzuwenden.

„Bitte gib mir Agent Maron.“, sagte ich. „Tut mir leid, Allrounder Betsy, Agent Maron ist nicht erreichbar.“, antwortete er. „Das kann nicht sein.“, drängte ich. „Laut IDUSA ist er auf der Station und erfreut sich bester Gesundheit.“ „Unter uns.“, erwiderte Joran. „Er ist etwas in seiner Agentenehre getroffen. Zirell hat ihn ziemlich abgestraft und die tindaranische Geheimdienstchefin hat sie dabei sogar noch trefflich unterstützet.“ Wieder war er in jenes leicht mittelalterlich anmutende Englisch abgeglitten, das ich bereits von ihm kannte und das mich stark an das Englisch des schwarzen Außerirdischen aus Shannons Unterhaltungsschmöker erinnerte. Wenn man bedachte, wem Joran gedient hatte, war dies allerdings kein Wunder.

„Wir haben jemanden, die ihn bestimmt aufheitern kann.“, sagte ich selbstbewusst. „Sie heißt Eludeh und möchte gern aussagen. Also, versuch Maron irgendwie zu kriegen. Sonst geht ihm das noch durch die Lappen!“ „Ich glaube, bei der Strafaktion ging es auch um jemanden, die Eludeh heißt.“, antwortete der Vendar. „Na um so besser.“, entgegnete ich. „Also, du besorgst mir jetzt Maron und wir halten Eludeh warm, kapisch?“ „Kapisch, Allrounder Betsy.“, erwiderte Joran und beendete das Gespräch.

Joran wusste nicht genau, wie er jetzt vorgehen sollte. Er wusste, wenn ein Terminal auf nicht erreichbar geschaltet war, konnte IDUSA keinen Ruf dorthin auslösen. Er würde selbst zum Quartier des Agent gehen müssen und, wenn es nötig war, ihn so lange nerven, bis Maron endlich antworten würde. Dann würde Joran uns wieder rufen und quasi per Rückaufbau die Verbindung initiieren.

Er verließ also die Kontrollzentrale der Basis, nicht ohne sich vorher pflichtgemäß bei IDUSA abzumelden und stieg in einen Turbolift, der ihn in die Wohnkapsel brachte. Hier schlug er den Weg zu Marons Quartier ein.

Joran wusste, dass er auch über die Türsprechanlage, die ja ebenfalls mit dem rauminternen Terminal verbunden war, nichts erreichen konnte. Aber es gab ja noch das gute alte Handsprechgerät. Wenn Maron seinen Kommunikator nicht ausgeschaltet hatte, das wusste er, hatte er über diesen noch eine Chance. Er schaltete also sein Gerät auf Rufwiederholung und gab auf dessen Anfrage Marons Rufzeichen ein. Jetzt würde sein Transceaver Maron solange nerven, bis dieser endlich antworten würde.

Maron saß im Inneren seines Quartiers und versuchte krampfhaft, das Piepen seines Sprechgerätes zu ignorieren. Er war im Flur am Garderobenspiegel vorbeigekommen. Dort hatte er sein eigenes Spiegelbild ziemlich heftig auf Demetanisch angeschrieen, denn es war ihm durchaus bewusst, was er angestellt hatte. Geknickt saß er jetzt auf seinem Sofa und dachte nach. Wie konnte mir nur so etwas passieren., dachte er. Jetzt habe ich das Vertrauen der Flüchtlinge vollends verspielt. Tolles Eigentor, Maron, wirklich! Ach, verdammtes Sprechgerät!

Maron hob das Gerät vom Schreibtisch auf. Im Display erkannte er Jorans Rufzeichen. Statt zu antworten aber drückte er nur die 88-Taste und stellte das Gerät wieder hin. Er hatte jetzt wirklich keine Lust auf Gespräche. Wenn jemand was von ihm wollte, musste derjenige warten, bis sich sein Frust wieder gelegt hatte. Er würde jetzt ohnehin nur alle anschreien.

In seinem Versteck in einer Nische hatte Joran zunächst geduldig abgewartet. Warum wollte Maron nicht mit ihm sprechen? Was hatte er denn mit seinem Frust zu tun? Er fand, dass sich sein Vorgesetzter lieber an die Tatsache erinnern sollte, dass er ihm schon einmal aus einer sehr frustrierenden Situation geholfen hatte. Maron hatte das damals sehr genossen. Ähnlich wäre es ihm jetzt bestimmt auch gegangen. Er hätte sich ja nur auf seine Hilfe einlassen müssen.

Zehn weitere Minuten vergingen, ohne dass etwas passierte. Joran konnte im Display seines Sprechgerätes gut sehen, dass Maron ihn immer wieder weggedrückt hatte. „Na schön.“, flüsterte der Vendar. „Manchmal muss man dich anscheinend zu deinem Glück zwingen.“

Er wusste, jetzt konnten ihm eigentlich nur noch die Technikerinnen helfen. Sie hatten ein Werkzeug, mit dem im Notfall blockierte Türstromkreise leicht überwunden werden konnten. Aber Jenna wollte er damit nicht belästigen. Die Weste seiner Telshanach sollte rein bleiben. Immerhin wäre dies ja eine Art Einbruch. Shannon würde sicher auch leichter zu überzeugen sein. „IDUSA!“, wendete er sich über das Flurmikrofon an den Stationsrechner. „Wo ist Shannon O’Riley?“

Shannon saß mit Nidell in einem der Aufenthaltsräume. Die medizinische und die technische Assistentin hatten sich angefreundet. Nidell berichtete ihrer Freundin haarklein, was sie im Flüchtlingslager erlebt hatte. „Na supi!!!“, sagte die blonde Irin ironisch. „Da hat sich unser Superspion wohl echt in die Nesseln gesetzt. Glaub’ kaum, dass sich noch einer trauen wird, bei ihm auszusagen.“ „Glaube ich auch nicht.“, antwortete die zierliche Tindaranerin, bevor sie in Tränen ausbrach: „Oh, Shannon, kannst du dir vorstellen, was diese Leute Schreckliches erlebt haben müssen? Und dann kommt noch einer und lügt sie an. Das Schlimmste ist, so einen Staat, der diese schlimmen Dinge zulässt, will die Präsidentin der Föderation aufnehmen. Wie kann denn so etwas sein?“ „Na ja.“, flapste Shannon, nachdem sie für ihre Verhältnisse wirklich lange nachgedacht hatte. „Manche Leute, insbesondere Politiker, sind manchmal dumm wie’n Eimer und würden selbst dann nichts dazu lernen, wenn man es ihnen telepathisch direkt ins Gehirn tackern würde.“ Nidell musste grinsen.

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