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Mit einer merkwürdigen Vorahnung stapfte Shimar durch den Schnee. Er kannte die tindaranischen Winter natürlich, aber dieser Winter sollte für ihn etwas ganz Besonderes werden. Das spürte der Telepath schon jetzt. Oft hatten ihn ja seine Fähigkeiten nicht enttäuscht, aber er dachte bei sich, dass es vielleicht nur eine Art seiner Seele sei, sich gegen die inzwischen während seines Heimaturlaubes aufgekommene Langeweile zu wehren.

Er blieb stehen und atmete aus, bevor er konzentriert auf eine sich in der Ferne befindende Tür zu sehen begann. Eine solche Fokussierung hatte ihm bereits des Öfteren geholfen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

So sehr Shimar es auch versuchte, das merkwürdige Gefühl wollte einfach nicht weichen! Auch einen Grund dafür vermochte er telepathisch nicht zu finden, obwohl er seine seherischen Fühler bis ans Limit ausstreckte.

Die Tür, die er sich als Konzentrationspunkt ausgesucht hatte, gehörte zu einer Bar, die in seinem Heimatdorf dafür bekannt war, schräge Vögel aus jeder Ecke des tindaranischen Universums anzuziehen. Shimar hatte sich in Mitten der schillernden Gestalten oft nie sehr wohl gefühlt. Er hatte mir gegenüber aber des Öfteren gescherzt, dass ich diese Kneipe wohl zu meinem Zuhause erklären könnte. „Na komm schon!“, motivierte er sich hinzugehen. „Jetzt aber auf! Schlimmer kann’s ja nicht werden.“

Er betrat den Gastraum. Hier reihten sich eine Vielzahl runder Tische aneinander, die in u-förmiger Weise aufgestellt waren. Um diese weißen Tischchen schmiegten sich mit rotem Stoff bezogene Bänke, die sich jeweils zur Raummitte hin öffneten, um einen Eintritt in den jeweiligen Kreis zu ermöglichen. An der dem Ausgang gegenüberliegenden Wand befand sich die Theke mit einem der auch auf den Tischen befindlichen Tischreplikatoren. Der Barmann, ein dickbäuchiger Tindaraner mit schwarzen kurzen Haaren, war eigentlich mehr als Helfer bei deren Bedienung oder als Zuhörer gefragt. Shimar musste lächeln, denn er kannte diesen Mann gut. Es war noch nicht sehr lange her gewesen, da hatte er ihm in der Schule ziemlich die Leviten lesen müssen, denn er war, bevor er hier anfing, Shimars Lehrer gewesen. Shimar war nicht immer der eifrige Schüler gewesen, als den ihn seine Fluglehrer bei den tindaranischen Streitkräften kennen lernen sollten. Im Punkto Streiche war er bei seinen Klassenkameraden immer vorn dabei gewesen.

Der alte Tindaraner lächelte Shimar durch den Raum zu, während sich dieser entschlossen der Theke näherte. „Lange nicht gesehen, Junge, was?“, hörte Shimar bald die tiefe und etwas krächzende Stimme seines alten Lehrers. „Das stimmt, Kibar.“, gab der junge Patrouillenpilot unumwunden zu. „Aber die Terraner haben ein interessantes Sprichwort. Sie sagen, man sehe sich immer zwei mal im Leben.“ Bei dem Wort Terraner musste er bis über beide Ohren grinsen. „Dann stimmt es also doch.“, feixte Kibar. „Was stimmt?“, fragte Shimar breit, während er versuchte, seine Mundwinkel wieder unter Kontrolle zu bringen. „Tu nicht so.“, zog Kibar die Schlinge enger. „Es gibt ein Gerücht, nach dem so eine Sternenflottistin dir ganz gehörig dein Herz gemopst und deinen Kopf verdreht hat. Wie war der Name doch gleich? Petty, Betty, Hetty …“ „Betsy, verdammt noch mal!“, schrie der sichtlich Ertappte durch den ganzen Raum. „Sie heißt Betsy!“ Shimar hasste es, wenn man sich nur halbherzig informierte. Wenn schon Gerüchte, dann aber bitteschön auch richtig! Gleichzeitig musste er stutzen. Auf dieselbe Weise hatte Kibar ihn schon damals dazu gebracht, seine Streiche schlussendlich doch zuzugeben. „Du hast mich mal wieder.“, resignierte er. „Na.“, lachte Kibar. „Deine Sternenflottenoffizierin muss ja echt toll sein.“ „Oh, ja.“, bestätigte Shimar. „Das ist sie.“ Er ließ sich auf einen der schwarzen Barhocker sinken.

Ginalla war im Anmarsch! Die Aussteigerin hatte sich aus ihrer celsianischen Heimat aufgemacht, um, wie sie selbst sagte, den Weltraum unsicher zu machen. Von einem kleinen Schiff im Orbit hatte sie sich auf die tindaranische Oberfläche gebeamt. Jetzt führte sie ihr Weg in die gleiche Kneipe. Immer wieder spielte Ginalla mit ihren langen schwarzen Haaren, die sie lässig über ihre Schultern geworfen hatte. „Heute passiert es.“, flüsterte sie in freudiger Erwartung. „Heute finde ich den richtigen Kontrahenten.“

Sie fasste in eine Tasche ihres langen Mantels, der wie ihr Kleid auch aus einem kompliziert durch Knoten verknüpften Gewebe aus Schnüren bestand, das aber keine unerwünschten Blicke oder das Eindringen von Kälte zuließ. Ihre kleine aber dennoch kräftige Hand förderte ein Sprechgerät zu Tage. Ginalla gab ein Rufzeichen ein. Bald meldete sich eine verhältnismäßig warme Männerstimme im Lautsprecher. „Was gibt es, Ginalla?“, fragte die Stimme. „Instruktionen gibt es, Kamurus.“, erwiderte Ginalla. „Halte die Umlaufbahn. Ich werde dir Bescheid geben, wenn ich etwas Neues weiß.“ „Wie du wünschst.“, gab die Stimme zurück.

Ginalla steckte das Gerät wieder ein und betrat die Kneipe. Dabei machten die Stiefel der etwa 1,70 m messenden Celsianerin auf dem Fliesenboden kaum ein Geräusch. Das kam daher, weil ihre Sohlen aus einem Material bestanden, das extrem widerstandsfähigem Kork ähnelte. Der Rest der Stiefel bestand aus weißem zum blauen Kleid und Mantel passendem Flechtwerk, das, wie alles andere auch, aus festen Schnüren bestand.

Ginalla kümmerte sich nicht um die anderen Gäste, die sich jetzt langsam – es war Abend geworden – in der Bar eingefunden hatten. Zielstrebig bewegte sie sich auf Shimar zu, als hätte sie ihn schon vorher irgendwie ausmachen können.

Sie stellte sich vor ihn, als wollte sie, dass er sie von oben bis unten mustern konnte. Das Gleiche tat sie nämlich auch bei ihm. Ihr war seine lockere Zivilkleidung aufgefallen, die er verhältnismäßig lässig und so weit es das Wetter zuließ aufgeknöpft trug. „Keine Uniform?“, fragte sie mit fast enttäuschtem Tonfall. „Moment mal.“, entgegnete Shimar und stand auf. „Kennen wir uns?“ Er sah Ginalla ihre flapsige Art aufgrund ihrer celsianischen Herkunft zwar nach, dennoch hatte er ein merkwürdiges Gefühl bei der Tatsache, wie salopp sie mit ihm umging.

Ginallas Augen scannten den Raum, als würde sie nach etwas Bestimmtem suchen. Dann sagte sie: „Tschuldigung. Also, ich bin Ginalla und du bist Shimar, richtig?“ Shimars Verwirrung wurde immer größer. Woher hatte sie all diese Informationen? Eine Frau, die er nicht kannte, kannte ihn dafür anscheinend um so besser. Was war hier los?

Auf einem Planeten im Miray-System stiegen zwei junge Frauen einem großen Tross voran einen Hügel hinauf. Beide waren von schlanker Statur, groß und dunkelhaarig und trugen lange wallende schwarze Kleider. Ihre Köpfe wurden von zwei silbernen Krönchen geziert, die beide als Prinzessinnen auswiesen. Außerdem trugen sie schwarze Schnabelschuhe. Alegria, die Ältere, hielt ständig Abstand zu ihrer jüngeren Schwester Hestia, als wollte sie deutlich machen, dass sie auf keinen Fall mit ihr den gleichen Weg oder auch nur irgendetwas teilen wollte. Die Schwestern waren sich nämlich seit jeher spinnefeind. Nur der Tod des gemeinsamen Vaters, König Brako von Miray Prime, zwang sie, von Amtswegen gemeinsam an der Beerdigung Teil zu nehmen. Wie automatisiert ließen beide die rituellen Handlungen geschehen. Sie waren mit etwas ganz Anderem beschäftigt. Sie beschäftigte nur ihr Erbe. Dieser Umstand hatte schon die Gemahlin König Brakos, Königin Diomira, ins Grab gebracht. Im Volk erzählte man sich, Diomira sei an gebrochenem Herzen gestorben, weil sie es nicht ertragen habe, wie ihre Töchter miteinander umgingen.

Wie es auf Miray üblich war, hatte ein Diener das Testament des Königs am Tag der Beisetzung bereits verlesen und darin hatte gestanden, dass die Prinzessin die neue Herrscherin werden soll, die das Tor zum Himmel fände oder finden lasse. Die Suche sollte nach dem Ty-Nu-Lin-Ritus verlaufen. Gern hatten sich die Schwestern damit einverstanden erklärt. Allerdings hatte jede im Stillen nach dem Tor gegiert, ohne zu wissen, worum es sich dabei handeln sollte. Der Ty-Nu-Lin-Ritus besagte, dass eine der Schwestern jemanden finden musste, der diese Suche für sie übernehmen würde. Derjenige musste sich dann einen Gegner suchen. Alegrias Wahl war auf Ginalla gefallen, die gerade auf dem Planeten war und der die Prinzessin eine große Belohnung versprochen hatte. Als Weltraumvagabundin kam Ginalla dieser Umstand gerade recht.

Auf der Granger hatte die Nachtschicht begonnen. Ich saß auf meinem Platz auf der Brücke und sah dem Schiff beim Dahingleiten zu. Mehr konnte ich nicht tun. Zwar war es meine Aufgabe, die Granger zu fliegen, aber der Weltraum war ruhig und es gab keine Anomalien, denen wir ausweichen hätten müssen. Schiffe, die wir aus gefährlichen Situationen retten mussten, waren auch weit und breit keine in Sicht.

Ich aktivierte den Autopiloten und widmete mich einer SITCH-Mail, die ich von Data bekommen hatte. Er hatte mir aber nur die akustische Version geschickt, die er dem Computer diktiert hatte. Da diese auch eine Aufzeichnung seiner Stimme enthielt, fand er das wohl authentischer. Natürlich hätte mir der Computer die schriftliche Form auch vorlesen können, aber so war es für mich völlig OK. Ich amüsierte mich nur über den Umstand, dass Data jede Mail förmlich mit den Worten: „Sehr geehrter Allrounder“, begann, obwohl wir uns schon so lange kannten und gute Nachbarn waren. Aber das musste ich einem Androiden wohl nachsehen. Merkwürdig an der Sache war auch, dass mich Data in diesem Und-Täglich-Grüßt-Der-Nachbar-Ritual ständig über das Wachstum seiner Orchideen auf die Kommastelle genau informierte. Dabei war das Gärtnern eigentlich nie mein Thema gewesen. Data aber tat das nur, weil Kipana, die ich sehr mochte, damals – zumindest seiner Meinung nach – einen entscheidenden Teil dazu beigetragen hatte.

Kang, der sich mit mir die Schicht teilte und am Waffenpult, seinem Arbeitsplatz, saß, hatte mein grinsendes Gesicht durchaus gesehen. „Worüber amüsieren Sie sich, Ma'am?“, fragte der Klingone, der einen Rang unter mir stand. Ich zog den Ohrstöpsel aus der Konsole und befahl dem Computer, die Mail von Anfang an abzuspielen. „Sehr geehrter Allrounder.“, begann Datas Stimme. „Es würde mich freuen, könnte ich Freude empfinden, Ihnen mitteilen zu können, dass meine Orchideen seit gestern einen Wachstumsfortschritt von 0,339 cm gemacht haben. Ich führe dies auf die gesunde Zusammensetzung von Kipanas Hinterlassenschaft zurück. Bitte richten Sie ihr dies aus, wenn Sie sie das nächste Mal sehen. Könnte ich Stolz empfinden, so wäre ich sicher stolz auf sie. Bitte sagen Sie ihr auch, dass sie jederzeit willkommen ist, um den erfolgreichen Düngevorgang zu wiederholen. Eine erfolgreiche Methode sollte man weiter nutzen. Bitte beantworten Sie mir doch noch die Frage, wer Mr. Hupatz ist. In Ihrer letzten Antwort erwähnten Sie, dass andere Lebensformen Kipanas Tun nicht erfreut hätte, weil ihre Hinterlassenschaft stinke wie Hupatz. Ich habe aus Ihrem Tonfall entnommen, dass Sie Mr. Hupatz wohl auch nicht sehr mögen, wenn er so stinkt. Deshalb sollte ich wohl von einem Kennenlernen absehen. Gruß von Ihrem Nachbarn und Freund Data.“

Kang stand auf und klopfte sich auf die Schenkel vor Lachen. Dann aber stutzte er. „Ich frage mich allerdings das Gleiche wie Mr. Data. Wer ist Hupatz?“ „Oops!“, rief ich aus, die ich erst jetzt gemerkt hatte, dass mir da wohl ein deutsches Wort in eine englische Mail gerutscht war. „Hupatz ist keine Person, Warrior.“, erklärte ich. „In meiner Heimat sagt man nur: Das stinkt wie Hupatz, wenn etwas besonders streng riecht. Was Hupatz eigentlich ist, weiß ich auch nicht. Aber das sagt man halt so.“ Der Klingone nickte verständig. „Da habe ich wieder was gelernt.“ Er sah mich stolz an.

Zirell und Maron hatten sich in einem Turbolift auf der tindaranischen Station getroffen. „Wo wir schon mal zusammen zur Arbeit fahren, Zirell.“, begann der vollschlanke Demetaner. „Kann ich dich ja auch gleich über die Ergebnisse meiner Ermittlungen informieren, was den merkwürdigen Hackerangriff auf den Hauptrechner der tindaranischen Streitkräfte angeht.“ Die zierliche Tindaranerin, die mit dem Gesicht zur Konsole gestanden hatte, drehte sich um und antwortete: „Ich bin gespannt.“

Sie waren auf Ebene eins angekommen, auf der sich die Kommandozentrale befand. Nebeneinander stiegen sie aus dem Lift und gingen den kurzen Gang entlang, der sie bald zum Kontrollraum führte. Hier setzten sie sich an ihre Arbeitskonsolen und Zirell ließ sich von Joran, der die Nachtschicht geführt hatte, einen kurzen Abriss geben, der aber mit dem Satz: „Keine besonderen Vorkommnisse, Anführerin Zirell.“, abgefertigt war. Zirell winkte dem Vendar zum Gehen. Befehlsgemäß verließ Joran den Raum.

„Jetzt sind wir unter uns.“, wandte sich die Tindaranerin an ihren demetanischen ersten Offizier, nachdem die IDUSA-Einheit der Station die Tür hinter Joran verschlossen hatte. „Das ist auch besser so.“, atmete Maron auf. „Obwohl ich mir wünschte, Joran könnte zu diesem Geschehen etwas sagen.“ „Spann mich nicht länger so auf die Folter!“, drängte Zirell. „Was ist denn los?“ „Ich weiß noch nicht viel, Zirell.“, erwiderte Maron in beschwichtigendem Ton. „Aber was ich weiß, lässt mich dich fragen, ob du Mc’Knight entbehren kannst. Sie sollte sich das Ganze vor Ort ansehen. Außerdem sollte sie mir bei den Vernehmungen der Techniker assistieren. Mit ihrer Hilfe werde ich sicher herauskriegen, was hier passiert ist.“ „Natürlich kannst du Jenna mitnehmen.“, sagte Zirell, der immer noch nicht klar war, womit ihr erster Offizier so hinter dem Berg hielt. „Was sollte deine Andeutung mit Joran?“, bohrte sie nach. „OK, pass auf.“, begann Maron und machte eine erneute Denkpause. „Die Signatur des Signals, das benutzt wurde, entspricht keinem bekannten Muster. Es scheint extradimensionären Ursprungs zu sein. Ich dachte nur, weil Joran während seines Dienstes bei Sytania so viel herumgekommen ist …“ „Glaubst du, Sytania würde sich so eines primitiven Mittels wie eines Hackerangriffes bedienen?“, unterbrach seine Vorgesetzte ihn. „Um von sich als der Schuldigen abzulenken, halte ich dies durchaus für möglich.“, verteidigte sich der demetanische Agent. Die Tindaranerin grinste nur abfällig: „Du weißt doch, dass so etwas für Sytania viel zu langwierig wäre. Das würde sie nie tun. Sie will den schnellen Erfolg und nicht lange warten müssen.“ „Das weiß ich, Zirell.“, argumentierte Maron. „Aber das ist ihr auch schon oft zum Verhängnis geworden. Vielleicht hat sie ja daraus gelernt.“ „Aber das passt so überhaupt nicht in ihr psychologisches Profil.“, widersprach Zirell.

Plötzlich lud IDUSA beide Reaktionstabellen in den Simulator im Raum und begann: „Sie zwei können sich hier weiter und weiter die Köpfe über ungelegte Eier, wie man auf Terra sagt, heiß reden. Ohne empirische Daten wird dabei nichts herauskommen. Ich schlage vor, dass zunächst weiter ermittelt wird und Sie, Agent Maron, tatsächlich auf die Hilfe von Techniker Mc’Knight und Joran zurückgreifen. Anderenfalls wird Ihre Diskussion nie zu einem Ende kommen und das wäre, wenn man Ihre Aufgabe, das Führen dieser Basis, betrachtete, sicher nicht sehr effizient.“ Zirell überlegte eine Weile und lenkte dann ein: „Du hast Recht, IDUSA. Also, Maron, du solltest tatsächlich Joran vernehmen und dann sollten Jenna, er und du mit IDUSA nach Tindara fliegen und die Truppen in der technischen Garnison vernehmen. Jenna und Joran sollten aber bei jeder Vernehmung, die du führst, anwesend sein. Sonst entgeht euch möglicherweise noch der entscheidende Hinweis. Ich werde Shannon Bescheid geben. Sie soll das Shuttle warten.“

Der Einwand des Stationsrechners hatte Zirell nicht wirklich gestört. Da die tindaranische Rechtsprechung künstliche Lebensformen den natürlichen gleich setzte und Zirell mit diesem Grundgedanken aufgewachsen war, hatte sie dies sogar sehr begrüßt. Auch die Reaktion ihres ersten Offiziers hatte sie überrascht. Sie war davon ausgegangen, dass Maron nach den Ingenieurinnen geschrien hätte, um IDUSA zurechtstutzen zu lassen. Aber das war zu ihrer positiven Überraschung ausgeblieben. „Du machst Fortschritte.“, lächelte sie ihm noch zu, bevor er den Raum in Richtung der technischen Kapsel verließ. Auf dem Weg würde er, wenn dieser wach sei, bei Joran vorbei schauen.

Alegria und Hestia hatten sich im Park des väterlichen Schlosses getroffen. Hier würden sie nun, wie es der Ty-Nu-Lin-Ritus verlangte, über das Erreichte miteinander sprechen. „Nun, wie sieht es aus, Schwester?“, fragte Hestia. „Hat deine Pilotin schon einen würdigen Gegner für sich gefunden?“ Alegria stellte sich mit erhobenem Kopf und stolzer Brust vor ihrer Schwester auf und sagte: „Merke dir, Hestia, Ginalla ist auf einem guten Weg. Sie hat ein sehr gutes Schiff. Sie wird das Tor schon finden, egal, wer gegen sie antreten wird.“ „Sei dir nicht so sicher!“, rief Hestia voller Empörung. „Soviel ich weiß, liebt deine Ginalla Herausforderungen. Sie wird sich schon einen Gegner suchen, der meiner würdig und ihr wirklich ein Gegner ist.“ „Wir werden sehen.“, gab Alegria zurück. „Jedenfalls werde ich nicht mehr mit dir unter einem Dach geschweige denn auf einem Planeten wohnen, solange das hier dauert. Wenn Ginalla zurückkehrt, wird sie mich und meinen Hofstaat nach Miray zwei bringen in unser Sommerschloss, welches ich gerade zu meinem eigenen Palast erklärt habe. Für dich, Schwester, ist es eine verbotene Zone!“ Damit drehte sie sich fort und ging.

Shimar war die ganze Sache etwas unheimlich geworden. Ihm waren die Celsianer eigentlich nicht als Telepathen bekannt. Dennoch schien diese Celsianerin irgendwelche Quellen zu haben, die ihm verborgen blieben. Seine Versuche, etwas in ihrem Geist zu lesen, was ihm helfen konnte, waren fehlgeschlagen. Er kriegte einfach keine Verbindung zustande. „Geht nich’, he?“, grinste Ginalla auf die bekannt flapsige celsianische Art, denn ihr war dank eines ausgeprägten logischen Denkvermögens sehr wohl bekannt, was er versuchte. „Ja ja. Man kann eben keine Verbindung zu einem Empfänger kriegen, der offline ist. Wenn der zellare Peptidsenker nur nicht wär’.“ Sie zog demonstrativ einen Hypor aus ihrer Tasche. „Ganz schön hinterlistig, Ms. Ginalla.“, gab Shimar zu. „Aber woher wissen Sie dann, wer ich bin?“ Shimar war durchaus klar, dass man sich in der Sternenflotte und in der Föderation im Allgemeinen siezte, was auf Tindara nicht üblich war, weshalb es für ihn eine ungewohnte Situation darstellte. „Wow.“, machte Ginalla und stand von dem Stuhl auf, auf den sie sich gesetzt hatte. „Langsam, Shimar. Wir sind auf deinem Planeten, also werde ich mich deinen Sitten anpassen. Duzen wir uns doch einfach und eine Miss bin ich schon gar nicht. So nennt man höchstens eine Lady, aber ich bin keine.“ Zur Demonstration leerte sie ihr Glas in einem Zug und warf es hinter sich an die Wand. Dann stieß sie laut auf und meinte, sich den Mund leckend: „Geiles Gebräu.“ „Ich sehe schon.“, entgegnete Shimar, der durch ihr Benehmen ganz schön ins Schwimmen gekommen war. „Wir werden eine Menge Spaß haben bei dem, wozu du mich auch immer brauchst.“ „Das is’n Wort.“, antwortete Ginalla und klatschte ihm mit ihrer linken Hand auf die rechte Schulter. „Wozu ich dich brauche, klären wir aber woanders.“, sagte sie dann und zog ihr Sprechgerät: „Kamurus, zwei zum Beamen, aber zack-zack!“

Sie fanden sich an Bord eines seltsamen Schiffes wieder. Zumindest empfand dies Shimar so. Aber irgendwie war ihm die Bauweise solcher Schiffe auch aus vorherigen Berichten bekannt. Wenn er sich nur genauer erinnern könnte!

Ginalla zog einen Neurokoppler aus ihrer Tasche und einen zweiten aus einem Fach unter der Steuereinheit. Dann schloss sie beide Geräte an und gab Shimar eines mit den Worten: „Schön aufsetzen.“ Vertrauensvoll folgte der Tindaraner ihrer Anweisung. Bald bemerkte er, dass das Schiff ihn zu untersuchen schien, um eine Reaktionstabelle von ihm zu erstellen. Wenige Sekunden später erschien vor seinem geistigen Auge das Bild eines verwegen dreinschauenden älteren Mannes mit Backenbart. Irgendwie hatte dieser Kerl Ähnlichkeit mit einem Raumpiraten. „Hi.“, lächelte Shimar ihm zu. „Hi.“, gab er zurück. „Ich bin Kamurus.“ „Shimar. Angenehm.“, gab Shimar nun sichtlich verwirrt zurück. Er hatte längst erkannt, dass die Simulation wohl eine Bedienhilfe für diesen Schiffsrechner sein musste, ähnlich wie es bei tindaranischer Technologie der Fall war. „Du bist keine IDUSA-Einheit.“, stellte er fest. „Nein, bin ich nicht.“, antwortete die Simulation. „Ich stamme aus einer Dimension, deren Zugänge aus Partikelfontänen bestehen. Ginalla hat mich aufgelesen, als ich vor einer Station auftauchte, auf der sie gerade zufällig war. Aber ich glaube, den Rest sollte sie Ihnen lieber selbst erzählen.“ Er löschte Shimars Tabelle.

Ginalla hatte alles mitbekommen. „Er ist sehr kontaktfreudig.“, grinste sie. „Das hat man gemerkt.“, antwortete Shimar. „Er kommt also wirklich aus dieser Dimension, in der es eine ganze Rasse von selbstständig denkenden Raumschiffen gibt?“, versicherte sich der junge Patrouillenflieger bei seinem Gegenüber. „Hat er dir doch gerade selbst erklärt.“, schnippte Ginalla zurück. „Er kommt aus der gleichen Dimension wie Alice oder Sharie. Die Namen sollten dir aus dem Geschichtsunterricht etwas sagen.“

Shimar fiel jetzt alles wieder ein. Mit Alice verband die Sternenflotte keine so guten Erinnerungen, Aber Sharie hatte damals von der Scientiffica deren Autopilotprogramm erhalten, damit sich die Schiffe gegen die Widersacherin der Scientiffica-Crew wehren konnten, die vorhatte, die Dimension zu erobern, um sich die Technologie der Schiffe zu eigen zu machen.

„Jetzt weiß ich Bescheid.“, erklärte Shimar mit ordentlich Überzeugung in der Stimme. „Aber was soll ich dabei?“

Ginalla drehte sich Richtung Konsole: „Kamurus, zeig’s ihm!“ Wie befohlen lud das Schiff Shimars Tabelle erneut und zeigte ihm ein Bild, das Shimar an ein mittelalterliches Königsschloss erinnerte. „Wo ist das, Kamurus?“, fragte Shimar den Schiffsrechner. „Das Schloss steht auf Miray Prime.“, antwortete dieser wahrheitsgemäß. „Die Miray haben ein Feudalsystem, trotzdem sind sie warpfähig.“ „Nun ja.“, erwiderte Shimar, nachdem Kamurus eine Pause gemacht hatte. „Das Eine schließt das Andere ja nicht aus. Man muss nicht demokratisch regiert werden, um technologisch fortschrittlich zu sein.“ „Korrekt.“, antwortete Kamurus. „Aber was ist jetzt eigentlich los?“, drängte Shimar weiter. Kamurus wollte weiter berichten, aber Ginalla winkte ab: „Lass mich!“

Sie nahm den Neurokoppler ab und drehte sich jetzt zu Shimar. „Also.“, begann die Celsianerin, nachdem sie sich zurückgelehnt hatte. „König Brako hat das Zeitliche gesegnet. Er hat zwei total streitsüchtige Töchter. Die würden sich glaube ich sogar noch um die Luft zum Atmen streiten, wenn davon nicht für beide genug da wäre. Die streiten sich um alles und nichts. Sogar um jedes Staubkorn. Kannst du mir folgen?“ „Kann ich.“, antwortete Shimar zuversichtlich. „Aber wie passen du und ich da rein?“ „Kamurus und ich waren zufällig auf Miray, als es ums Erbe ging. Die Miray haben einen alten Ritus. Er heißt Ty-Nu-Lin-Ritus. Zwei, die sich streiten, beauftragen wieder zwei, die, wie in diesem Fall, nach dem Objekt der Begierde suchen. Allerdings muss der Erstbeauftragte sich seinen Gegner selbst suchen und dann klären, ob die zweite Streitpartei mit der Wahl einverstanden ist. Ich arbeite für Alegria, die ältere Prinzessin. Du würdest dann für ihre jüngere Schwester Hestia arbeiten. Wir müssen das Tor zum Himmel finden. Der König wollte, dass die Prinzessin den Thron erhält, die es zuerst findet oder finden lässt. Der Ritus verlangt außerdem, dass wir uns jeden Tag grob über das Erreichte austauschen müssen.“ „Das kann ich nicht selbst entscheiden.“, meinte Shimar. „Ich muss darüber zuerst mit meinem Commander reden. Wenn sie nein sagt, darf ich es nicht.“ „Wie du meinst, Soldat.“, grinste Ginalla. „Obwohl ich mir sehr wünschen würde, dass sie ja sagt. Dich als Herausforderer zu haben, verschafft mir nämlich einen ziemlichen Kick.“ Sie leckte sich lasziv die Lippen. Dann sagte sie zu Kamurus: „Beame ihn auf die Oberfläche zurück. Er hat noch was zu erledigen.“

Commander Kissara saß in ihrem Bereitschaftsraum, als ich Präsidentin Nugura zu ihr durchstellte. „Was gibt es, Madam President?“, fragte die Thundarianerin unsere gemeinsame Oberbefehlshaberin. „Die Miray-Krise.“, kam die Präsidentin der Föderation ohne Umschweife zur Sache. „Ich bedaure König Brakos Tod. Er hat seine Töchter zumindest noch halbwegs im Zaum gehalten, aber jetzt, nach seinem Tod, sind die Prinzessinnen wie von Sinnen. Alegria hat sich auf Miray zwei im Sommerschloss ihres Vaters eingerichtet und einen eigenen Staat ausgerufen. Das wäre ja nicht so schlimm, wenn sie nicht im gleichen Atemzug ihrer Schwester Hestia den Krieg erklärt hätte. Kissara, Sie wissen, dass eine der wichtigsten Frachtruten der Föderation durch das Miray-System führt. Ihre Aufgabe wird es sein, die Frachter zu eskortieren. Mit einem großen Föderationsschiff an ihrer Seite fühlen sich die Piloten, denke ich, viel sicherer. Wir werden alle diplomatischen Kanäle nutzen, um diese Krise so schnell wie möglich beizulegen. Keine der Prinzessinnen wird es wagen, die Granger angreifen zu lassen, denn dann würde sie einen Krieg mit der Föderation riskieren. Ihr Befehl, Kissara, lautet also, gemeinsam mit der Electronica und der Niagara am Rand des Miray-Systems Position zu beziehen und dort auf die Frachter zu warten. Sprechen Sie sich mit Time und Cinia ab, wer wann wen begleitet. Viel Glück, Commander.“ Sie drückte die 88-Taste und ihr Gesicht verschwand von Kissaras Sichtschirm.

Shannon hatte IDUSA gewartet und stand nun an deren Einstiegsluke, wo sie Jenna, Joran und Maron erwartete. Die drei wollten mit dem Schiff nach Tindara aufbrechen, um dort noch einmal die Soldaten in der technischen Garnison zu vernehmen. Vielleicht war Maron bei seiner ersten Vernehmung ja etwas entgangen, worauf ihn Jenna oder Joran noch hinweisen konnten.

Shannon grinste, als sich die Tür zur Kapsel öffnete und die drei erwähnten Personen eintraten. „Na, Jenn’.“, flapste sie ihrer Vorgesetzten zu. „Der tindaranische Geheimdienst glaubt wohl, Sie könnten einen Namen für einen Angreifer aus ihrem genialen Hut zaubern und Maron dann präsentieren. Ich glaube kaum, dass die CIA in meinem Schmöker mal auf diese Art von Hilfe durch Major Carter zurückgegriffen hat.“ „Dann sollten Sie das Buch noch einmal intensiver lesen.“, konterte Jenna, die zwar keinen Schimmer von dessen Inhalt hatte, allerdings genau wusste, wie sie ihre Assistentin plätten konnte. Natürlich wusste sie, dass Shannon nur einen Witz gemacht hatte, aber das hatte sie ja auch getan.

Maron und Joran waren bereits in IDUSAs Cockpit gestiegen. „Beeile dich bitte, Telshanach!“, rief Joran Jenna zu. „Ich möchte nicht, dass man zu lange auf uns warten muss.“ „Ich komme schon.“, summte Jenna zurück und folgte den Männern. „Du weißt doch, Grizzly.“, flapste Shannon noch hinterher. „Wir Frauen brauchen immer etwas länger, bis die Frisur sitzt.“ Joran grinste ihr breit zu, während sich die Einstiegsluke schloss. Er wusste genau, dass seine Freundin auf so etwas nie großen Wert legte.

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