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Shimar fand sich in einer Gasse unweit des Palastes wieder. Er tat, als würde er nicht sonderlich auf das Äußere der Passanten achten, die mit ihm gemeinsam den Fußweg benutzten, aber in Wahrheit warf er eine Menge versteckter Blicke auf sie. Die tragen alle sehr ärmliche Kleidung., dachte er. Hestia scheint sie doch ganz schön auszunehmen. Das war unter Brako anders.

Er setzte den Neurokoppler, den er zunächst abgesetzt hatte, wieder auf, schloss ihn an das Sprechgerät an und lud die entsprechende Software im Sprechgerät, damit IDUSA auch jetzt seine Gedanken lesen konnte. Schau dir das an, IDUSA., dachte er. Wenn ich im Palast genau das Gegenteil vorfinde, kriegst du Instruktionen. Ich wette fast, dass Hestia selbst lebt wie die Made im Speck. Möglich., gab das Schiff zurück.

Shimar hatte diese Art der Kommunikation mit IDUSA nicht ohne Grund gewählt. Er wollte vermeiden, dass ihm jemand zuhören könnte. Niemand sollte auch nur im Geringsten erfahren, was hier vorging, denn der umsichtige Flieger wusste, wenn er sich laut abfällig über den Lebensstil von Hestia äußern würde, könnte er Zündstoff für eine Revolution liefern. Das war beileibe nicht sein Ziel und er wusste, dass dies auch unter Umständen die ganze gesellschaftliche Ordnung auf Miray in ein Chaos verwandeln könnte. Zu viel hatte er in seiner Ausbildung an Szenarien mitbekommen, in denen auch den tindaranischen Kadetten eindrucksvoll vor Augen geführt wurde, was geschah, wenn sie sich in fremde Kulturen derart einmischten. Die Szenarien hatten ihm teilweise richtig Angst gemacht. Einmal war es so schlimm gewesen, dass er den Klassenraum hatte verlassen müssen. Den Göttern sei Dank hatte aber Professor Inell, seine damalige Ausbilderin, ein Einsehen gehabt und lange Gespräche mit ihm darüber geführt, was in diesem Moment in ihm vorgegangen war. „Ich weiß, dass du dich gerade sehr schlecht fühlst.“, hatte die ältere Tindaranerin mit der großmütterlichen Stimme und den grauen Haaren, die kurz vor der Berentung stand, damals zu ihm gesagt. „Aber das zeigt mir auch, dass du das sehr ernst nimmst. Du wirst niemals leichtfertig handeln, Shimar, Sohn von Tanell und Suvar. Das sage ich dir jetzt schon voraus. So. Und nun komm bitte wieder mit in den Unterricht. Die Anderen warten. Rede doch heute Nachmittag mit Namell. Ihr versteht euch doch so gut.“

„Träumer!“ Jemand hatte ihm dies ins Ohr geflüstert und ihn, der sich an eine Mauer gelehnt hatte, in die Seite gepiekt. Shimar drehte sich um und sah in das kesse Gesicht Ginallas. „Also echt.“, meinte sie. „Ich dachte, ihr vom Militär steht auf Pünktlichkeit. Deine Prinzessin wartet! Du wirst sie doch nicht enttäuschen wollen. Komm jetzt. Mit der Wache habe ich schon gequatscht. Das läuft alles total geschmeidig. Wir können gleich so durchlatschen und jetz’ jib Jas!“

Sie wuselte voran in Richtung des Schlosstores und Shimar folgte ziemlich geplättet, wie ein kleiner Hund, den man gerade bei einer verbotenen Handlung erwischt hatte. „So kannst du aber nich’ vor Hestia hintreten.“, grinste Ginalla. „Mal’n Spritzer mehr Selbstvertrauen auf’e Pfanne, mein Bester. Sonst hält s’e dich noch für’n Waschlappen.“ „Sorry.“, meinte Shimar und änderte seine Körperhaltung. „Du hast mich nur ganz schön geplättet.“ „Was glaubst du, was du mich hast!“, schnodderte Ginalla zurück. „Als ich deine Akte gelesen hatte, habe ich auch gedacht: Alter Schalter, was is’ das für einer? Ich hab’ gemeint, da muss ich mich wohl warm anziehen. Du hast fne Latte von Verdiensten, die ist so lang wie der Weg von hier nach Celsius inklusive Interdimensionsreise. Aber du weißt ja, ich liebe Herausforderungen.“

Sie kamen vor dem Gemach der Prinzessin an. Alana winkte sie durch, denn sie hatte bereits von der Wache am Tor erfahren, dass sie auf dem Weg waren. Hestia musterte Shimar kurz. dann sagte sie zu Ginalla: „Melde meiner Schwester, dass ich mit der Wahl des Gegners vollauf zufrieden bin. Der Ty-Nu-Lin-Ritus kann also fortgesetzt werden.“ Die Celsianerin nickte und verließ den Raum. Im Flur gab sie per Sprechgerät Kamurus den Befehl, sie herauf zu beamen.

Shimar betrat das Gemach der Prinzessin. „Komm gleich mit.“, sagte Hestia wie selbstverständlich. „Ich pflege bei solchen Anlässen auf der Veranda zu speisen.“ „In Ordnung.“, sagte Shimar, obwohl er sehr misstrauisch war. Die Situation, die er in den Straßen von Miray Prime beziehungsweise Hestien gesehen hatte, ließ sein Gewissen aufflammen. Würde sie ihm Speisen und Getränke anbieten, so würde ihm sein Gewissen befehlen, diese abzulehnen, denn damit würde er das Ausbeuten der Bevölkerung noch unterstützen. Das konnte er auf keinen Fall. Aber andererseits würde er Hestia auch vergrätzen, wenn er offen ablehnen würde, was sie ihm gab. Dann würde, wie IDUSA es bereits prophezeit hatte, sie ziemlich beleidigt sein und ihn achtkantig vor die Tür setzen. Seine Suche nach dem Tor zum Himmel wäre damit zu Ende, bevor sie angefangen hätte. Dann könnte er nicht auf Ginalla achten und er könnte seine Befehle vergessen. Da er jetzt wusste, dass Sytania sich einmischen würde, musste er aufpassen und durfte nicht zulassen, dass Ginalla unter Umständen von Sytania geködert wurde. Sie war eine unschuldige Zivilistin, die das Abenteuer suchte. So jemanden würde Sytania liebend gern ausnutzen, um sich einen Brückenkopf im Universum der Föderation zu sichern. Der junge Patrouillenpilot wusste, das durfte auf keinen Fall geschehen!

Die Verbindung zwischen IDUSA und Shimars Sprechgerät bestand immer noch, was Shimar gar nicht registriert hatte. Dem Schiff aber war dies nicht entgangen. So wusste sie ganz genau, was Shimar dachte. „Warten Sie es ab, Shimar.“, flüsterte IDUSAs Avatar in den leeren Raum des Cockpits. „Ich helfe Ihnen bei Ihrem Dilemma.“ Sie richtete Transporterstrahl und Traktorstrahl auf den Tisch auf der Veranda aus.

Unwissend dessen hatte Shimar sich jetzt Hestia gegenüber an denselben Tisch gesetzt. Die Prinzessin winkte und ein Diener kam mit einem großen Tablett angelaufen. Er verteilte zwei Teller, Besteck und Gläser auf dem Tisch. Dann trug er Schüsseln mit Speisen und Kannen mit Getränken auf. Shimar hatte solches Geschirr und solche Speisen noch nie gesehen, ahnte aber, dass beides wohl sehr selten und damit sehr wertvoll und teuer sein musste. Ich werde nichts hiervon anrühren., dachte Shimar. Wenn sie mir deshalb kündigt, ist es mir egal. Ich krieg’ das einfach nicht hin. Mein Gewissen verbietet es. Ich darf die Ausbeutung des mirayanischen Volkes nicht unterstützen, noch ihr die Taschen auf dessen Kosten füllen.

Hestia warf ihm einen genießerischen Blick zu, während sie ein Krebstier aufbrach, um den Inhalt des Panzers genussvoll auszusaugen. „Müsst ihr Tindaraner etwa nicht essen?“, fragte sie dann provozierend. „Oder ist dir das hier nicht gut genug?“

Ersticken soll sie dran!, dachte Shimar. Dabei musste er sehr aufpassen, wie sehr er sich auf diesen Gedanken konzentrierte. Wenn sich Tindaraner etwas wünschten, konnte es aufgrund ihrer telekinetischen Fähigkeiten tatsächlich sein, dass es wahr wurde. Um seine Fähigkeiten zu benutzen musste Shimar ja nichts Anderes tun, als sich auf das, was er erreichen wollte, zu konzentrieren. Reiß dich zusammen, Junge., dachte er und versuchte, seine aufkommende Wut irgendwie wieder unter Kontrolle zu bringen. Übers Geschäft. Rede mit ihr übers Geschäft. Vielleicht vergisst sie dann, dass du nichts isst.

Er richtete sich in seinem Stuhl auf und begann: „Hoheit, ich werde Euch gern helfen, das Tor zum Himmel zu finden. Ich denke, dass ich dafür die richtigen Voraussetzungen mitbringe. Ich habe ein schnelles Schiff mit guten Waffen und vor allem guten Sensoren und einer schnellen Datenverarbeitung sowie einem reaktionsfreudigen Antrieb. Außerdem habe ich einige Kontakte.“ „Hast du die Voraussetzungen der Beauftragten meiner Schwester in Augenschein nehmen können, Tindaraner?“, fragte Hestia in einem ziemlichen Verhörton. Shimar nickte. „Ich muss zugeben.“, meinte er dann. „Dass Ginallas technische Voraussetzungen im Grunde gleich sind. Ich habe ihr Schiff gesehen und es ähnelt meinem sehr. Aber sie hat im Gegensatz zu mir keine militärische Ausbildung und damit bestimmtes Wissen über manchen Zusammenhang nicht. Sie ist nur eine Zivilistin, die das Abenteuer sucht.“

Hestia grinste ihn triumphierend an. „Soll das heißen, Ginalla ist leichtfertig?“, fragte sie mit fast kippender Stimme.

Ihre Frage ließ Shimar das Blut in den Adern gefrieren. Natürlich war sie leichtfertig. Natürlich würde sie alles tun, was Alegria ihr sagte und wenn es bedeuten würde, mit Sytania zusammenzuarbeiten. Er wusste, dass Ginalla keine Ahnung davon hatte, wer Sytania war. Für Ginalla war die Mission einfach nur ein riesiges Abenteuer. Über Brückenköpfe, feindliche Mächte und dergleichen machte sie sich keine Gedanken.

„Ich habe dir eine Frage gestellt!“, sagte Hestia energisch. „Ja.“, erwiderte Shimar. „Ja, sie ist leichtfertig.“ „Wie wundervoll!“, rief Hestia aus und sprang auf. „Dann wird ihr mit Sicherheit auch etwas passieren und daran ist dann meine habgierige Schwester schuld, wenn sie die Arme auf eine halsbrecherische Mission schickt! Das wird sie kompromittieren! Ja, das wird sie kompromittieren! Ach wie schön ist es doch, dass das Blut dieser Celsianerin an Alegrias Händen klebt und nicht an den Meinen. Das Volk wird Alegria dafür lynchen und zum Schluss aus dem Palast jagen. Dann gehört ihr Planet mir, auch wenn du das Tor für mich nicht gefunden haben solltest. Irgendjemand muss dort ja herrschen!“ „Mit Verlaub.“, unterbrach Shimar. „Euer Vater …“ „Mein Vater ist tot!!!“, schrie Hestia. „Der hat mir gar nichts mehr zu sagen. Ich werde den Ty-Nu-Lin-Ritus ausführen, wenn du unbedingt meinst, Tindaraner. Aber falls meine Schwester abweicht, werde ich auch dir befehlen, abzuweichen. Wir wollen ja nicht, dass sie noch gewinnt.“ „Nein.“, schauspielerte Shimar. „Das wollen wir nicht.“

Hestias Blick fiel auf Shimars fast leeren Teller, von dem jetzt immer wieder mundgerechte Stücke verschwanden. „Sieh an!!“, kreischte sie. „Du isst ja doch. Mir scheint, dass dir mein Säbelrasseln gegenüber meiner Schwester doch Appetit gemacht hat. Aber das dachte ich mir schon. Im Grunde seines Herzens ist eben jeder Soldat für den Krieg geboren. Ach, dieses ganze diplomatische Geschwätz. von wegen, sich nicht auf Seiten stellen oder sich einmischen und nur forschen. Wenn man den Krieger in euch herauskitzelt, dann kommt er auch. Also dann.“

Sie holte ein altes Buch hervor, auf dessen letzter Seite Shimar bereits Ginallas Unterschrift sehen konnte, die sie mit einer Art Pflanzenfarbe und ihrem Finger gezeichnet haben musste. „Dies ist das Buch von Ty-Nu-Lin.“, erklärte sie. Dann schob sie Shimar ein reich verziertes Tintenfass mit eben dieser Pflanzenfarbe hin. „Ließ dir genau durch, was auf dich zu kommen wird. Dann unterzeichnest du neben Ginalla. Das Buch wird dann wieder zu den Priestern gebracht, die es verwahren.“ Shimar nickte und begann zu lesen. Während dessen machte er sich Gedanken darüber, wer seinen Teller geleert und das Geschirr und Besteck bewegt hatte, so dass Hestia gedacht hatte, er würde essen. Tief hatte er in sich hineingespürt, um zu erfahren, ob ihm seine Fähigkeiten vielleicht unterbewusst einen Streich gespielt hatten. Aber das war nicht der Fall.

Hestia wurde ungeduldig. „Du musst den Inhalt nicht auswendig lernen.“, sagte sie. „Ich möchte nur nichts falsch machen.“, erwiderte Shimar. „Hast du einen Erfasser?“, wollte die Prinzessin wissen.

Shimar holte das Gerät aus der Tasche. „Scanne das Buch damit und füttere die Datenbank deines Schiffes. Sie wird dir schon sagen, wenn etwas nicht stimmt.“

Shimar folgte zum Schein ihrem Vorschlag. Dabei scannte er auch gleich seine nächste Umgebung, um dem seltsamen Geheimnis um das verschwundene Essen und die sich bewegenden Tassen, Teller und Bestecke auf die Spur zu kommen. IDUSA., dachte er. Schäm dich!

Er unterschrieb. „Recht so.“, grinste Hestia. Dann gab sie ihm einen Datenkristall. „Das sind Aufzeichnungen meines Vaters über das Tor zum Himmel.“, erklärte sie. „Glücklicherweise ist meine Schwester nicht in deren Besitz. Mein Vater hat lange mit jemandem gemeinsam daran geforscht.“ „Danke, Hoheit.“, sagte Shimar und gab vor, den Palast schnell verlassen zu müssen. „Ich fange besser gleich an.“, sagte er. „Wir wollen doch Eurer Schwester zuvorkommen.“ „Du darfst gehen.“, sagte Hestia.

IDUSA hatte Shimar an Bord gebeamt. Er zog den Neurokoppler aus seinem Sprechgerät und steckte ihn wieder in die Buchse an der Konsole. Das Schiff lud seine Reaktionstabelle und zeigte ihm, dass sie sich langsam aber sicher vom Planeten entfernten. Es tat Shimar sehr gut, einen immer größer werdenden Abstand zwischen sich und Hestien zu sehen. Der Telepath hatte den Hass gespürt, den Hestia ihrer Schwester entgegenbrachte. „Oh, ja, das machst du richtig.“, seufzte er. „Und wie richtig du das machst. Lass uns fn paar Runden ums Sonnensystem drehen. Ich brauch’ fn klaren Kopf.“ „Wie mir scheint, habe ich noch etwas richtig gemacht.“, erwiderte das Schiff selbstbewusst. „Das hast du.“, sagte Shimar. „Hör mal. Ich hatte ja keine Ahnung, was du für eine Künstlerin mit dem Transporter und dem Traktorstrahl bist.“ „Bedanken Sie sich bei Techniker Mc’Knight.“, sagte sie. „Sie hat meine Sensoren entsprechend verbessert und die Emitter auch. Prinzessin Hass-tia, oh, pardon, Hestia, ist nicht in der Lage, dies zu bemerken, weil sie kein Androide ist, der Sensorenaugen hat.“ „Was war das denn!“, empörte sich Shimar ob ihres Versprechers. „Entschuldigen Sie.“, bat IDUSA. „Kleine Fehlfunktion meines Sprachprozessors. Habe ich aber schon wieder korrigiert.“ „Wohl eher ein Versehen mit Absicht.“, lächelte Shimar. IDUSAs Avatar grinste.

Sie drehten ein paar Runden durch das Sonnensystem. Shimar fiel auf, dass IDUSA irgendetwas ziemlich seltsam vorkommen musste, so wie ihr Avatar ihn musterte. „Was hast du?“, fragte er. „Ich frage mich, was Ihnen Hestia für einen Datenkristall gegeben hat.“, antwortete IDUSA. „OK.“, sagte Shimar und holte den Kristall aus seiner Tasche, um ihn in ihr Laufwerk zu stecken: „Sieh’s dir an.“

IDUSA warf einen kurzen Blick auf den Inhalt des Kristalls um dann festzustellen: „Das weiß ich schon alles. Damit erzählt mir Hestia nichts Neues.“ Shimar stutzte. „Moment.“, erkundigte er sich verdutzt. „Woher weißt du das alles?“ „Agent Maron und Techniker Mc’Knight waren so freundlich.“, antwortete das Schiff. „Aber woher haben sie denn die Informationen?“, fragte Shimar, der langsam das Gefühl bekam, einen unlauteren Vorteil gegenüber Ginalla zu haben. „Diese Informationen stehen in der Sternenflottendatenbank.“, erklärte IDUSA. „Es ist also nicht verwerflich, wenn Sie sie besitzen. Wenn Ginalla eine so gute Hackerin ist, wie sie es anhand Ihrer Akte bewiesen hat, dann hat sie das auch schnell raus. Dazu muss sie noch nicht einmal einen Rechner anzapfen. Die Information bekommt sie frei Haus, wenn sie einfach die Datenbank ruft und da nach fragt. Interkulturelle Informationen über religiöse Rituale anderer Kulturen sind noch nicht einmal militärisch geschützt. Jeder Otto-Normalbürger kann und darf sie herunterladen. Außerdem habe ich hiermit eine Möglichkeit zum Vergleich und hätte Sie warnen können, falls Hestia versucht hätte, Sie mit falschen Informationen zu füttern.“ „Aber warum sollte unsere Auftraggeberin das tun?“, fragte Shimar. „Sie sollte doch nun wirklich Interesse daran haben, dass der Ty-Nu-Lin-Ritus korrekt ausgeführt wird. Sonst erkennt die Priesterschaft ihren Anspruch auf den Thron nicht an, auch wenn ich, ohne es zu wissen, Mittel angewendet haben sollte, die nach dem Ritus nicht erlaubt sind.“ „Ich bin ein Beschützerschiff.“, erklärte IDUSA. „Ich muss laut meiner Programmierung jeglichen Schaden von meiner Crew, beziehungsweise in diesem Fall meinem Piloten, abhalten.“ „Wovon redest du?“, fragte Shimar, dem nicht ganz klar war, auf was sie hinaus wollte. „Davon, dass ich vielleicht unwissend eine unerlaubte Handlung begangen habe, werde ich doch nicht verletzt oder sterbe womöglich.“ „Ihr Körper wird fürwahr unversehrt bleiben.“, bestätigte IDUSA. „Nur Ihre Seele könnte Schaden nehmen. Ein schlechtes Gewissen hat schon manches Trauma verursacht.“ „Du nimmst deine Rolle zu ernst.“, gab Shimar seine Meinung zum Ausdruck. „Ich kann meine Rolle nicht ernster nehmen, als es meine Programmierer und die Gesetze verlangen.“, rechtfertigte sich IDUSA. „Schon gut.“, sagte Shimar. „Lass uns über etwas Anderes reden. Bist du fertig mit dem Kristall?“ „Nein.“, sagte IDUSA. „Da ist nämlich noch eine Datei, die offensichtlich etwas mehr mit dem Tor zum Himmel zu tun hat. In dieser Datei gibt es einen Hinweis auf einen Lithianer, der gemeinsam mit König Brako die Existenz des Tores erforscht hat. Sein Name ist Tamin und er lebt auf dem lithianischen Heimatplaneten.“ „Dann nichts wie hin!“, sagte Shimar eifrig und gab ihr den Gedankenbefehl zum Verlassen der Umlaufbahn. „Was ist mit Ginalla?“, wollte das Schiff wissen, bevor sie seinen Befehl ausführte. „Die beobachtest du auch.“, sagte er. „Verstehe schon.“, sagte IDUSA. „Sie meinen, ich soll mal wieder mit meiner alten Freundin, der interdimensionären Sensorenplattform, Kontakt aufnehmen.“, verstand IDUSA. „Sie wissen, wir sind so.“ Sie ließ ihren Avatar eine sehr dichte Position zu Shimar einnehmen. „Ich weiß.“, sagte der junge Patrouillenflieger. „Zwischen euch passt kein Blatt Papier.“

Ich hatte alles gesehen! Alles hatte ich in meinem Traum letzte Nacht gesehen! Dass ich die Dinge gesehen hatte, die sich auf Hestien abgespielt hatten, schob ich auf die telepathische Verbindung zwischen Shimar und mir, die so lange andauern würde, wie es auch unsere Beziehung tat. Aber, dass ich die Dinge gesehen hatte, die auf der tindaranischen Basis vor seinem Abflug geschehen waren, konnte ich mir nicht erklären. Meines Wissens nach funktionierte die Schutzverbindung über die Dimensionsgrenzen hinaus nicht. Die Einzige, die so eine Verbindung aufgrund eines Zwischenfalles, der hier nicht näher zu erwähnen ist, aufbauen könnte, war Zirell, aber zu ihr hatte ich keine Beziehung.

Ich hatte den Autopiloten aktiviert, bevor ich mich zum Schlafen auf dem Sitz zusammengerollt hatte. Allerdings hatte ich – pflichtbewusst wie meistens – den Ohrhörer im Ohr gelassen, um auf Warnungen meines trotz Autopilot immer noch aktiven Hilfsprogramms sofort reagieren zu können. Die Lautstärke hatte ich auf 100 % gesetzt.

Ein weicher seidiger Flügel streifte mich an der linken Wange. „Guten Morgen.“, weckte mich eine tiefe warme weiche Stimme. „Hi, Korelem.“, sagte ich verschlafen. „Wie haben Sie geschlafen, Allrounder?“, fragte er. „Ganz gut.“, erwiderte ich, ohne meinen seltsamen Traum zu erwähnen. Ich dachte, einen Zivilisten dürfte ich damit nicht behelligen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ja noch keine Ahnung, wie sehr er in alles involviert war. „Hatten Sie keine merkwürdigen Träume?“, fragte Korelem. Ich schüttelte den Kopf. Mir war bewusst, dass ich ihn belog, aber hätte ich zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, was ich noch erfahren sollte, wäre meine Antwort sicher anders ausgefallen.

Er zog mich auf die Beine und dann torkelte ich – noch sehr verschlafen – neben ihm her. Er flog allerdings dabei in Höhe meiner Schulter und hatte meine Hand fest mit zweien seiner kräftigen Insektenfüße umklammert. „Widerstand ist zwecklos, he?“, frotzelte ich. „Ach Sie.“, frotzelte er zurück.

Wir kamen in der Achterkabine des Shuttles an, wo er mich zu einem Sitz führte. Dann replizierte er ein Tablett mit dem altbekannten Frühstück, das er von mir schon kannte. Allerdings befahl er dem Replikator, den Kaffee in den geschenkten Becher zu füllen. „Loridana hat Recht gehabt.“, schmatzte ich, während ich mir mein Käsebrötchen schmecken ließ. „Sie sind wirklich ein Charmeur.“ Er lachte und replizierte sich das übliche Insektenfrühstück.

„Um auf ein anderes Thema zu kommen.“, sagte er nach einer ganzen Zeit, in der wir frühstückend dagesessen hatten. „Mir fällt auf, dass Sie keinen Visor tragen und damit prima zurecht kommen. War das schon immer so?“ „Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben.“, erklärte ich. „Ich bin eine Pendlerin zwischen den Jahrhunderten und darf auch deshalb keine Implantate für einen Visor tragen.“ „Dann ist das richtig, was der medizinische Assistent gesagt hat.“, sagte Korelem fasziniert. „Stimmt schon. Als Gesichtspiercings könnten die nicht durchgehen.“ „Genau.“, lachte ich. „Außerdem bin ich allergisch. Ich darf noch nicht mal Ohrringe tragen.“ „OK.“, meinte er und ich glaubte aus seiner Stimme eine gewisse Scham zu hören. „Ist schon OK.“, sagte ich tröstend. „Wie Sie schon festgestellt haben, komme ich so auch prima klar. Das Hilfsprogramm habe ich übrigens schon seit meiner Zeit als Kadettin. Sie mussten sich damals was einfallen lassen, als Dill, der Herrscher der Zeit, sie über mein Ankommen informierte. Jannings und Cenda hatten beide einen Vorschlag für ein Programm eingereicht und Jannings’ Modell gefiel mir am Besten.“

Korelem drohte, sich an seinem Nektar zu verschlucken. „Was war das?“, fragte er ungläubig. „Ein terranischer Programmierer hat eine Celsianerin geschlagen, der technisches Verständnis in die Wiege gelegt wurde? Ich hätte es mir umgekehrt schon vorstellen können, aber …“ „Ich bin eben schräg.“, grinste ich. „Außerdem wusste ich nicht, wer welches Programm geschrieben hatte, als ich wählen sollte. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte kurz. Ich muss noch etwas leiser stellen.“ „Schon klar.“, scherzte er. „Ich hätte es auch nicht gern, wenn mich der Schiffscomputer anschreit.“

Alesia und Sedrin waren mit Kings Fortschritten sehr zufrieden. Sedrin war, wie erwähnt, ins Gebäude des Geheimdienstes zurückgekehrt und hatte sich mit Alesia besprochen. Dabei hatten die Agentinnen auch das Thema Scotty nicht außer Acht gelassen. „Wir müssen leider noch warten.“, hatte Sedrin erklärt. „Allrounder Betsy ist auf einer Außenmission. Wenn sie zurück ist, werden wir es noch einmal versuchen.“ „Was ist, wenn sie das doch nicht so wegsteckt?“, hatte Alesia gefragt. „Dann hätte Scott Recht und wir müssten uns eine andere Möglichkeit suchen, an die strategisch wichtigen Informationen zu kommen. Scott verweigert sich ja nicht aus Bosheit, sondern weil er in erster Linie Angst um Allrounder Betsys Verfassung hat, wenn sie erfahren würde, dass er ein Denkmuster von Staatsfeind Nummer eins in seinem Gehirn trägt. Wir müssen abwarten.“ „Wie du meinst.“, entgegnete Alesia. „Dafür habe ich glaube ich bessere Informationen für dich. King macht sich sehr gut. Er wächst in seine Rolle als Frachterpilot sehr gut hinein. Eigentlich bist du dafür zuständig, ihm die Praxis beizubringen, aber er bestand auf einer Flugstunde und die konnte nur ich ihm während deiner Abwesenheit geben.“ „Schon gut.“, sagte Sedrin verständig. „Je schneller alles voran geht, desto besser. Die Situation auf Miray spitzt sich zu. Die Prinzessinnen haben jetzt jeweils einen Piloten, der für sie nach dem Tor zum Himmel suchen soll. Außerdem hassen sie sich so sehr, dass sie meines Erachtens nicht zögern werden, sich gegenseitig dabei zu behindern. Wir müssen wissen, wie wir das lösen können. Je eher wir King schicken können, desto eher hat der Allrounder einen weiteren Teil des Puzzles. Es scheint nur Komplikationen bei einer anderen Sache zu geben. Ich stehe in Kontakt mit Tamara, die in Kontakt mit Korelem steht. Er hat ihr gesagt, dass Allrounder Betsy immer noch nicht von Shimar träumt, obwohl er ihr das Geschenk bereits überreicht hat und sie es unter seiner Aufsicht sogar benutzt.“ „Vielleicht lügt Korelem ja auch diesbezüglich.“, vermutete Alesia. „Vielleicht hat er Skrupel. Ich meine, er ist immerhin Zivilist.“ „Das glaube ich nicht!“, sagte Sedrin fest. „Korelem ist sehr zuverlässig. Er wird alles tun, was er soll. Außerdem, warum sollte er Skrupel haben, Allrounder Betsy zu ermöglichen, Shimars Fortschritte zu überwachen und ihm gegebenenfalls zur Seite zu stehen? Sie weiß nicht, was dahinter steckt. Korelem schon und er weiß, dass es harmlos ist, was er mit ihr tun soll. Der Allrounder besitzt die optimalen Voraussetzungen. Ihre Muttersprache ist dem Mirayanischen von der Struktur sehr ähnlich. Ihr könnte als Einziger auffallen, was Brako wirklich gemeint hat.“

Alesia überlegte kurz. Dann sagte sie: „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass auch Allrounder Betsy gegenüber Korelem lügen könnte?“, fragte sie. „Denkst du, das würde sie tun?“, fragte Sedrin erstaunt. „Beantworte du mir das.“, grinste Alesia. „Du kennst sie länger und besser als ich.“

Jetzt war es Sedrin, die nachdenklich wurde. „Du könntest Recht haben.“, sagte sie. „Ihr Verantwortungsbewusstsein ist sehr stark. Es könnte sein, dass sie ihn nicht damit behelligen wollen wird, weil sie denkt, dass er als Zivilist davon nichts verstünde. Wir müssen das anders regeln. Ich gehe mal SITCHen.“ Sie verließ den Raum, in dem Alesia zurückblieb, um auf sie zu warten.

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