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Korelem und ich hatten das alaranische Sonnensystem erreicht. „Bald sind Sie zu Hause, Korelem.“, erklärte ich. „Das sehe ich.“, sagte er. „Ich frage mich nur eines: Wie werden Sie das mit der Einweisung machen? Sie können doch keine Positionslichter sehen.“ „Ich nicht.“, erwiderte ich. „Aber der Computer.“ „Ich bin neugierig, das zu sehen.“, sagte Korelem.

„Die SITCH-Reichweite der alaranischen Anflugkontrolle ist erreicht.“, hörten wir beide die Computerstimme des Shuttlerechners. „OK.“, sagte ich. „Passen Sie auf, Korelem, jetzt wird es spannend.“

Ich nahm das Mikrofon, bestätigte das Rufzeichen per Entertaste und sagte: „Alaris Anflugkontrolle, hier spricht Allrounder Betsy an Bord von USS Granger Shuttle drei. Erbitte Zuweisung einer Schleuse zur Überbringung eines Passagiers.“ „OK, Allrounder.“, gab eine freundliche Männerstimme zurück. „Folgen Sie den Positionslichtern.“ Er drückte die 88-Taste.

Ich bemerkte, dass Korelem das Herz in die Hose zu rutschen schien. „Keine Angst.“, sagte ich. „Das wird schon schiefgehen.“ „Hoffentlich nicht.“, meinte er. „Ich wünschte, ich könnte dieses Ding fliegen. Dann könnte ich Ihnen jetzt zumindest helfen. Warum haben Sie denen nicht gesagt, dass Sie die Lichter nicht sehen können. Die hätten Sie doch sicher auch runter sprechen können.“ „Weil ich das nicht brauche.“, antwortete ich zuversichtlich. „Und, wenn Sie mich jetzt machen lassen, werden Sie auch gleich sehen, wie es geht!“ Bei meinen letzten Sätzen war ich etwas energischer geworden. „Schon gut.“, beschwichtigte er. „Ich frage nicht länger.“ Er lehnte sich zurück.

Ich drehte mich zum Rechner und sagte: „Computer, Positionslichter suchen und interpretieren.“ „USS Granger Shuttle drei, gehen Sie auf Kurs 20, Vertikale 31,2, Höhenvektor 300.“, übersetzte die Rechnerstimme. „Genannte Anweisungen ausführen!“, befahl ich. Der Computer gab ein kurzes Signal von sich und führte meinen Befehl aus. „Höhenvektor mit 200 m pro Sekunde senken. Kurs beibehalten.“, übersetzte der Rechner weiter. „Alle weiteren Anweisungen ausführen!“, befahl ich. Ich wusste, der Computer würde uns landen müssen. Ich war nämlich vollauf damit beschäftigt, das ängstliche Bündel Insekt neben mir zu trösten. „Woher kann er das?“, fragte Korelem. „Es gibt ein eindeutiges Alphabet für Positionslichtsignale.“, erklärte ich. „Auf die ist mein Hilfsprogramm eingestellt. Bei der Zuverlässigkeit der heutigen Sensoren ist das alles kein Problem.“ Korelem atmete auf.

Wir hatten wohlbehalten an der Schleuse gedockt, was uns Korelem aufgrund der Fakten zuerst nicht zugetraut hatte. Dann aber war er doch froh, den Boden des alaranischen Raumflughafens unter seinen Füßen zu spüren. „Wie ich schon gesagt hatte.“, sagte er. „Sie sind ein faszinierendes kleines Ding. Ich habe zum Abschied noch etwas für Sie.“ Er machte eine dramatische Pause. „Was ist es?“, wollte ich wissen, die ich mich nicht mehr all zu lange auf Alaris aufhalten wollte. Ich wusste, man würde mich auch bald wieder auf der Granger benötigen und mich sicher schon vermissen. „Es ist eine Information.“, sagte Korelem. „Sie wissen, Betsy, ich bin Heraldiker. In meiner Eigenschaft als solcher habe ich herausgefunden, dass die beiden Prinzessinnen noch einen Bruder haben, der zwar älter als die Frauen ist, aber bei Zeiten abgedankt hat. Er hat also mit der mirayanischen Thronfolge nichts mehr zu tun. Seine Spur verliert sich auf Terra, Ihrem Heimatplaneten. Gerüchten nach soll er dort in eine Stadt Namens Little Federation gezogen sein. Aber wie gesagt , das sind nur Gerüchte.“ „Warum erzählen Sie mir das, Korelem?“, erkundigte ich mich. „Das werden Sie schon noch feststellen.“, sagte er geheimnisvoll. „Denken Sie bitte daran, auch weiterhin unseren Freundschaftskelch zu benutzen.“, sagte er und erhob sich in die Lüfte.

„Ich werde zum Abschied noch etwas mit Ihnen tun, das keine geheime Bedeutung hat.“, sagte er noch. Dann rieb er mir einen seiner weichen seidigen Flügel quer durch das Gesicht. Unwillkürlich musste ich grinsen. „Ich wusste, Sie mögen das.“, lächelte er und drehte ab, um im Gebäude zu verschwinden. Ich wusste, das hatte er nur getan, um mir eine Freude zu machen.

Ich blieb verwundert an der Luke des Shuttles zurück. Was sollte ich mit der Information über den verschwundenen Prinzen anfangen? Warum hatte er mir sie nur gegeben? Ob ich sie dem Geheimdienst weiter geben sollte, oder sie besser für mich behielte, war nicht so ohne Weiteres zu ersehen gewesen. Ich beschloss, zunächst zur Granger zurückzufliegen. Irgendwann würde sicher ein Schuh draus. Aber die vielen Fragen würden mich nicht in Ruhe lassen, das wusste ich. Warum zum Beispiel sollte ich auf jeden Fall den Kelch weiter benutzen? Warum hatte Korelem so darauf bestanden? Wir kannten uns doch noch gar nicht so lange. Allerhöchstens zwei Wochen. Wenn er immer so schnell Freundschaften schloss, musste sein privater Terminkalender ja übervoll sein.

Ich stieg ins Shuttle und wies den Computer an, mich mit der Anflugkontrolle zu verbinden. Dann meldete ich mich ordnungsgemäß ab und startete. Ich würde in jedem Fall mit Mikel darüber reden, wenn ich wieder auf der Granger war. Allerdings würde ich ihn zunächst nicht in seiner Eigenschaft als ersten Offizier, sondern als meinen Schulfreund aufsuchen, mit dem ich sogar einmal eine längere Beziehung geführt hatte. Außerdem vertraute ich auf mein Glück oder besser auf die Tatsache, dass es immer irgendwie eine Lösung für jedes Geheimnis gegeben hatte. Sicher würde es in diesem Fall nicht viel anders sein.

Wie IDUSA es gesagt hatte, hatte sie Shimar direkt in den Vorgarten gebeamt. Der tindaranische Patrouillenflieger fand sich auf einer Wiese wieder, auf der Obstbäume standen. Links und rechts von der Wiese waren Blumenbeete und quer vor der Wiese verlief ein Fußweg. In der Ferne konnte Shimar ein Haus erkennen. Er konnte sich sehr gut vorstellen, dass dieses Grundstück sehr groß sein musste. Es würde ziemlich lange dauern, bis er zu Fuß auf jemanden treffen würde. Außerdem befürchtete er, sich in dem parkähnlichen Gewirr aus Beeten, Rasenflächen, Wegen und Bäumen zu verirren.

Shimar nahm sein Sprechgerät: „IDUSA, kannst du Tamins Biozeichen ausmachen oder irgendeines zumindest in meiner Nähe?“, fragte er. „In Ihrer Nähe befindet sich ein Biozeichen.“, sagte IDUSA. „Ist es Tamin?“, wollte Shimar wissen. „Nein.“, sagte das Schiff. „Ist es überhaupt humanoid.“, fragte Shimar. „Nicht wirklich.“, sagte das Schiff.

Im gleichen Moment wurde Shimar eines Tieres ansichtig, das wie ein terranisches Meerschweinchen aussah, allerdings die Größe eines durchschnittlichen Shetlandponys hatte. Quiekend rannte es auf Shimar zu. Sein Quieken erinnerte aber aufgrund der großen Stimmtaschen und des großen Resonanzkörpers eher an den höchsten Ton einer tiefen Flöte. Vor Shimar blieb es stehen und drückte seinen großen Kopf an dessen Körper. „Hey, du Schmusebacke.“, sagte Shimar freundlich und strich ihm mit der Hand über das weiche Fell. „Du Weiches!“, rief er aus. „Du würdest Betsy auch gefallen.“

Das Tier drehte sich um und rannte zu einem Gebüsch, aus dem es ein großes ovales Ding hervorholte, das aus einem festen Stoff bestand, den die Nagezähne nicht durchdringen konnten. In dem Ding waren Rasseln. Zwischen der Außenhaut und den Rasseln war ein fester aber gleichzeitig sehr weicher Schaumstoff.

Das Wesen dribbelte den seltsamen Gegenstand mit der Schnauze in Shimars Richtung und schaute ihn auffordernd an. „Deutlicher ging’s ja wohl nicht.“, lächelte Shimar und versuchte, den Gegenstand aufzuheben. „Sorry.“, meinte er, als dies nicht gelang. „Habe wohl heute Morgen schlecht gefrühstückt.“

Er blickte sich um und sah etwas auf der anderen Seite des Rasens, das ihn an ein terranisches Fußballtor erinnerte. Dies kannte er allerdings nur aus meinen Beschreibungen. Shimar stellte sich zwischen die Pfosten und rief seinem vierbeinigen Spielkameraden zu: „Na komm! Rollfs her!“ Dabei klatschte er in die Hände.

Shimar beobachtete, wie das Tier zunächst rückwärts ging, um sich dann mit hoher Geschwindigkeit dem Gegenstand zu nähern und ihn mit einem heftigen Stoß seiner Nase in Bewegung zu setzen. Es rannte hinterher und stupste ihn einmal in die eine und dann in die andere Richtung. „Du kommst also von links.“, zischte Shimar, als ihm klar zu sein schien, von wo der Ball käme. Dass er sich da aber gründlich getäuscht hatte, sollte er bald merken, und zwar spätestens, als er diesen von rechts einrollen sah. Leider geriet seine Drehung zur Lachnummer, denn er stolperte über einen Stein und fiel auf sein tindaranisches Hinterteil. Der Ball rollte an ihm vorbei ins Netz. „Eins zu null für dich.“, gab Shimar zu, stand auf und hielt sich die Hand vor den Steiß. „Eines weiß ich sicher. Ich bin ein verdammt mieser Torwart.“, flüsterte er mit schmerzverzerrtem Gesicht.

„Hie-hie-hie!“, lästerte eine Mädchenstimme hinter einem Gebüsch. „Da fällt er auf den Steiß und ruft: Ach was’n Scheiß! Schon echt schöne Scheiße, wenn man hinten keine Augen hat, he? Jean-Luc, hier her! Du sollst doch nicht immer alle Anfänger herausfordern!“

Das Tier folgte Schwanz wedelnd ihrer Anweisung und Shimar folgte ihm, denn er wollte jetzt ganz genau wissen, wer ihn da verspottet hatte. Bald standen beide vor einer lithianischen Jugendlichen, deren graublaues Augenpaar Shimar frech anblitzte. „Hey, Militärfliegerass!“, grinste sie. Shimar stutzte. Diese Anrede kam ihm bekannt vor. Es gab nur eine Person, die jetzt in diesem Alter sein konnte, die ihn so genannt hatte. Aber an diesem Mädchen fehlte etwas Entscheidendes. „Hätte nicht gedacht, dass ich dich mal wiedersehe. Was machst du hier?“, fragte sie. Shimar war extrem irritiert. Wieso sprach dieses fremde Mädchen von Wiedersehen?

Eine Frau erschien in der Tür des Hauses, auf das sie jetzt schon näher zu gekommen waren. „N’Cara, komm zum Nachmittagstee!“, sagte sie freundlich aber bestimmt. „Du kannst mit Jean-Luc nachher weiter trainieren!“ „Ich komme gleich, Mutter!“, gab sie zurück. „Muss nur noch was klären! Übrigens, wir haben Besuch!“

Shimar stand stocksteif da. Hatte die Frau mit den dunklen Haaren, der schlanken Figur und einer geschätzten Größe von ca. 170 cm, das Mädchen gerade N’Cara genannt? Aber nein, es konnte einfach nicht N’Cara sein. Dafür fehlte ihr ein entscheidendes Detail. Ihre Zöpfe. Wo waren ihre Zöpfe? Gut, von der Stimme konnte es durchaus N’Cara sein. Die kesse Art des Teenagers hatte Shimar noch gut in Erinnerung. Aber so waren die meisten Jugendlichen, die er kannte. Außerdem, warum sollten nicht mehrere Jugendliche auf der lithianischen Heimatwelt so heißen. N’Cara war dort bestimmt ein Allerweltsname.

„Na das ging ja verdammt schnell mit dem Vergessen bei dir, Militärfliegerass.“, schnippte N’Cara ihm zu. Immer noch konnte sich Shimar nicht vorstellen, dass sie es war. „Hey.“, quietschte sie und piekte ihn in den Bauch. „Weißt du nicht mehr, wie wir Sytania fertig gemacht haben?“ Wieder überlegte Shimar. Dass sie dieses Wissen hatte, konnte bedeuten, dass sie es wirklich war. Aber andererseits, wo waren ihre Zöpfe?

Wieder erschien die Frau im Eingang. „Wen hast du denn da, N’Cara?“, fragte sie. „Das ist Shimar, Mutter.“, gab sie zurück. „Aber er hat gerade eine kleine Gedächtnislücke und erkennt mich nicht.“

Die erwachsene Lithianerin kam von der Terrasse, auf der sie sich befunden hatte, hinüber. Sie musterte Shimar genau und machte danach ein Gesicht, als müsse sie sich unbedingt bei jemandem entschuldigen. Dann sagte sie: „Sie sind also dieser Shimar. Nein wirklich, Sie entsprechen der Beschreibung meiner Tochter bis aufs Haar. Ich hatte nicht gedacht, dass es Sie wirklich gibt. Als meine Tochter genau so plötzlich wieder aufgetaucht war, wie sie verschwunden war, hat sie erzählt, dass sie mit einem Soldaten einer fremden Streitmacht gemeinsam im Gefängnis gesessen hätte. Der Soldat hätte Shimar geheißen und hätte ihr eine Methode gezeigt, mit der sie und alle anderen Gefangenen Sytania in den Ruin getrieben hätten. N’Caras Therapeut hat gemeint, Sie wären ein Schutzmechanismus ihrer Seele gewesen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich Soldaten einer fremden Streitmacht, die ausgebildet sind, einfach Sytania gefangen geben. N’Cara hat darauf bestanden, dass Sie keine Fantasie sind. Er wollte sie deswegen schon einweisen.“ „Dann richten Sie dem Counselor aus, dass ich verdammt wirklich bin, Ms. … Ähm …“ „N’Ciba.“, sagte die Lithianerin. „Nennen Sie mich N’Ciba. Jemanden, der meiner Tochter das Leben rettet, kann ich ja wohl schlecht außen vor lassen. Sie gehören ja schon fast zur Familie, Shimar. Ich darf Sie doch Shimar nennen?“ „Auf seinem Planeten duzt man sich eh, Mutter.“, erklärte N’Cara. „Dann ist ja gut.“, lächelte N’Ciba. „Wir sollten jetzt aber gehen. Der Tee wird kalt und du hasst kalten Apfelstrudel, N’Cara.“ „OK.“, flapste die Jugendliche und drehte sich nach hinten. Sie schaute sich eine Weile um und entdeckte ihr Haustier, das neben Shimar, der es streichelte, graste. „Jean-Luc, komm!“, rief sie. Das wollige Etwas setzte sich in Bewegung und Shimar folgte auch.

Unterwegs überlegte der junge Tindaraner, was er denn falsch gemacht haben könnte, denn Jean-Luc hatte sich zwar am Rücken von ihm streicheln lassen, allerdings nur mit den Fingerspitzen. Immer, wenn Shimar den Kontakt vertiefen wollte, war das Tier fast ängstlich zurückgewichen. Mit dieser Reaktion seines Gegenüber hatte er nicht gerechnet. Zuerst schien es doch, als sei es der Beginn einer wunderbaren Freundschaft gewesen. Was war in diesem Spiel nur passiert, das das arme Tier derart aus der Fassung gebracht hatte, dass Shimar fast den Eindruck gewann, es würde sich für etwas schämen.

Auf der Terrasse angekommen legte sich das Tier auf einen zugewiesenen Platz mit Stroh und Shimar setzte sich zu der lithianischen Familie an den Tisch. Er war allerdings mit N’Ciba, N’Cara und einem etwa 5-jährigen Jungen allein. „Pflanz dich ans Kopfende.“, sagte N’Cara frech. „Da sitzt sonst mein Dad, aber der wird gucken wie’n Shuttle, wenn da plötzlich alles voll Shimar ist. Der hat mir nämlich nicht geglaubt, was dich angeht.“ Shimar nickte und tat mit einem Grinsen, was N’Cara ihm vorgeschlagen hatte.

Jetzt wuselte der kleine Junge, der Shimar vorher aufmerksam beäugt hatte, auf ihn zu. „Bist du der Onkel, der meine große Schwester gerettet hat?“, fragte er. „Ich denke ja.“, antwortete Shimar. „Dann will ich dich knuddeln!“, quietschte der Kleine und kletterte auf Shimars Schoß. Shimar senkte den Kopf und drückte das Gesicht des Kindes an seins. „Danke.“, flüsterte der Kleine. „Ich hab meine Schwester nämlich ganz doll lieb. Ich könnte platzen, so lieb hab ich die und meine Schwester weiß auch, dass ich sie ganz doll lieb hab. Dich hab ich auch ganz doll lieb.“ „Du kennst mich doch noch gar nicht, du Schatz.“, erwiderte Shimar. „Aber N’Cara kennt dich.“, widersprach das Kind. „Und die findet dich echt klasse. Du, ich glaub, die mag dich.“ Shimar musste grinsen.

„Jetzt ist es aber genug, Tamin.“, sagte N’Ciba und hob den Kleinen von Shimars Schoß. „Onkel Shimar möchte Kaffee trinken und seinen Kuchen essen. Mummy hilft dir auch gleich dabei.“ „Nein!“, krähte Tamin Junior. „Onkel Shimar soll helfen!“ Du hast bei meinem Bruder einen Stein im Brett., gab N’Cara Shimar telepathisch zu verstehen. glaube ich auch., gab dieser auf gleichem Weg zurück.

Jetzt betrat auch der erwachsene Tamin den Ort des Geschehens. „Wer ist das?“, fragte er verwirrt und deutete auf Shimar, der gerade seinen kleinen Sohn fütterte. „Darf ich vorstellen.“, sagte N’Cara. „Dad, Shimar. Shimar, mein Dad, der berühmte Ethno-Historiker Tamin.“ „Du übertreibst mal wieder maßlos, Süße.“, sagte Tamin. „So berühmt bin ich nun auch nicht. „Doch, Dad.“, quietschte Klein-Tamin dazwischen. „Du bist sogar so berühmt, dass neulich ein richtiger König hier war. Der hat ganz viel mit dir geredet. Das war der Onkel Brako. Aber jetzt ist er nicht mehr da.“

Shimar überlegte. Die Anwesenheit eines echten Königs musste für das Kleinkind sehr faszinierend gewesen sein. Deshalb war es damit auch gleich herausgeplatzt. Sonst kannten Kinder seines Alters Könige ja nur aus Märchen.

„Könnte ich nach dem Kaffee mit Ihnen reden?“, wendete sich Shimar an Mr. Tamin. „Aber sicher.“, sagte dieser. „Am Besten ist, wir gehen gleich danach in mein Arbeitszimmer. Ich kann mir schon denken, warum Sie hier sind.“

Shimar stutzte. Alle schienen Bescheid zu wissen. Sogar am SITCH hatte man ihm keine weiteren Fragen gestellt und ihn sofort eingewiesen. Das empfand er als höchst merkwürdig. Aber es würde sich schon irgendwie klären.

Shimar war schon eher mit seinem Kaffee und Kuchen fertig und widmete sich wieder Jean-Luc. Der zeigte immer noch das gleiche Verhalten. „Hey, ist ja gut, Dicker.“, flüsterte ihm Shimar freundlich zu. „Ich tue dir doch nichts.“ „Puste ihm ins Gesicht.“, riet N’Cara. Shimar sah fragend in ihre Richtung. „Wenn du ihm ins Gesicht pustest, zeigst du ihm, dass er immer noch zu deiner Gruppe von Zweien gehört, weil du ihn quasi mit deinem Geruch einsprühst. Er mag es nicht, wenn er das Gefühl hat, dass er jemanden verletzt hat. Masatis riechen, wenn jemand Schmerzen hat und, wenn es ein Freund ist, mögen sie das gar nicht.“ „OK.“, sagte Shimar, holte tief Luft, spitzte den Mund und pustete Jean-Luc ins Gesicht. Dieser streckte Nase und Zunge in den Luftstrom. Dann stand er auf und begann, erst langsam und dann immer schneller mit dem Schwanz zu wedeln. „Wenn du das noch schneller machst, hebst du gleich ab.“, sagte Shimar scherzend. „Vertrau mir, ich bin Pilot. Ich verstehe da was von.“

Jean-Luc gab plötzlich ein lautes Quieken von sich und raste mindestens fünf mal ums Haus. „Freualarm!“, schrie Klein-Tamin und es schien allen, als würde er sich genau so freuen. Problematisch an der Angelegenheit war nur, dass Jean-Luc mit seinem Schwanz jetzt auch noch den niedrigen Gartentisch, an dem alle gesessen hatten, abräumte. „So schnell geht das mit dem Abräumen, wenn sich unser Haustier freut.“, lächelte N’Ciba, der klar war, dass Jean-Luc ja nicht wissen konnte, was er angerichtet hatte. „N’Cara, du solltest ihn noch besser auslasten.“, sagte Tamin zu seiner Tochter. „Jetzt, vor dem Spiel am Sonntag, sollte er noch etwas runter kommen.“ „Du hast sicher Recht, Dad.“, erwiderte das Mädchen. „Wir sollten dann gehen, Shimar.“, wendete der Vater sich danach an diesen.

Die Männer gingen in das Arbeitszimmer des Wissenschaftlers und N’Cara machte ein zwitscherndes Geräusch mit ihrem Mund, auf das hin Jean-Luc ihr sofort folgte. Für „seine N’Cara“ würde er alles tun. Das war auch der Grund, aus dem er und das Mädchen ein so gutes Team bei der speziellen Art von Schnauzball waren, die beide gemeinsam spielten und von der Tamin geredet hatte. N’Cara und Jean-Luc standen sogar kurz davor, den lithianischen Weltmeistertitel zu verteidigen. Am Sonntag war das große Finale in Stoßball, wie die Sportart offiziell hieß. Natürlich waren es mal wieder die Demetaner, die das Talent der Masatis dafür entdeckt hatten. Für die gelehrigen Nagetiere mit dem ausgeprägten Spieltrieb war das eine sehr gute Beschäftigung.

N’Cara hatte auf die Uhr und dann zur Straße geschaut. Hier erwartete sie ihren demetanischen Trainer, der bald darauf mit seinem Jeep die Straße herauf gefahren kam. „Hallo, Iron.“, begrüßte sie ihn. „Hi, N’Cara.“, gab er zurück und streichelte auch Jean-Luc. „Er hat einen neuen Freund.“, grinste N’Cara. „So.“, meinte der Demetaner mittleren Alters, als sie gemeinsam zur Wiese gingen. N’Cara ließ Jean-Luc an einer Linie stehen bleiben. Dafür reichte ein Handzeichen. „Er ist heute sehr aufmerksam.“, stellte Iron fest und lächelte N’Cara durch sein rundes Mondgesicht zu. „Du scheinst prima umgesetzt zu haben, was ich dir neulich gesagt habe.“ „Danke.“, sagte N’Cara. „Und jetzt lass uns bitte anfangen.“ „OK.“, lächelte der etwas untersetzte rothaarige Demetaner.

Für Shimar stellte sich die Situation weitaus langweiliger dar. Er sah im Arbeitszimmer des Geschichtsforschers nichts als lange Wände voller alter Schriftrollen und ab und zu mal einen Datenkristall in seiner Hülle. In der Mitte des Raumes stand ein großer Schreibtisch. Daran befanden sich zwei große weiche Sessel, die mit schwarzem Stoff bezogen waren und so gut zum ebenfalls dunklen Holz des Tisches passten. „Setzen wir uns.“, schlug Tamin vor. Shimar nickte und setzte sich auf den rechten der beiden Sessel. Von hier aus konnte er einen Blick auf die Wand des Raumes werfen, die gegenüber der Tür lag. Diese zierte eine in Gold eingerahmte Urkunde, die Tamin sogar als Professor der Ethno-Historie auswies. Shimar war schwer beeindruckt.

Tamin holte etwas aus einer der großen Schubladen an seinem Schreibtisch, die große schwere Schlösser hatten. Diese waren allerdings nur Optik und dienten als Kulisse. Dahinter verbarg sich ein modernes Sicherheitssystem mit den üblichen Sensoren. Er breitete eine Art lederne Schriftrolle vor Shimar aus. Allerdings war sie nicht wirklich gerollt, sondern bestand aus einer kompliziert gefalteten Anordnung dreieckiger postkartengroßer brauner Stücke, die mit weißem Garn aneinander genäht waren. Die Schrift hierauf konnte Shimar beim besten Willen nicht entziffern. Sie erinnerte ihn aber an die Schrift im Buch von Ty-Nu-Lin, die er bei Hestia gesehen hatte. „Dein Gedanke ist gar nicht so schlecht.“, lobte der ebenfalls telepathische Wissenschaftler seinen staunenden Besucher. „Das ist tatsächlich Alt-Miray. Dieses Fundstück enthält die Sage vom Tor zum Himmel. In der Sage wird ein Ort Namens Ginissa erwähnt. Aus dem Alt-Miray übersetzt bedeutet es Ursprung. Die Vendar in der tindaranischen Dimension verwenden ein ähnliches Wort. Es heißt: Chenesa. Ein weiteres Lehnwort aus dieser Sprachreihe könnte Genesia sein. Das hat mich darauf gebracht, dass der Ort, an dem sich das Tor zum Himmel befindet, in der Nähe von Genesia Prime sein könnte. Was es ist, geht aus der Sage leider nicht hervor. Es kann alles Mögliche sein. Kann dein Schiff interdimensionale Pforten aufspüren?“

Shimar war dieses Referat sehr langweilig vorgekommen. Deshalb hatte er auch nur auf die letzte Frage geachtet. „Was? Ja, das kann sie.“, sagte er dann Aufmerksamkeit vortäuschend. „Um so besser.“, sagte der Professor. „Es gibt aber noch ein Indiz für meine Theorie.“

Er fuhr einen Rechner hoch. Jetzt wurde die Sache für Shimar schon interessanter. Wenig später sah dieser eine moderne Sternenkarte des Miray-Systems. „Ich dachte mir schon, dass ich mit dem Pergament jemanden wie dich nicht hinter dem Ofen vorlocken kann.“, lächelte Tamin und gab eine Jahreszahl in eine Suchmaske ein. Das Bild veränderte sich. „So sah das Miray-System vor 500000 Jahren aus.“, erklärte er. „Stellen wir jetzt mal einen Höhlen-Miray auf die Südhalbkugel des Planeten Miray Prime. Hier wurde nämlich das erste humanoide Leben mirayanischen Ursprungs gefunden.“

Mit Spannung verfolgte Shimar jede Veränderung am Bildschirm. Er sah ein eigentümliches Steinzeitwesen, das in ein Tierfell gehüllt war und in die Sterne blickte. „Verlängern wir seinen Blick zum fernsten Lichtpunkt.“, sagte Tamin und gab dem Programm die entsprechenden Befehle. „Was sehen wir dann?“

Der Blickwinkel veränderte sich und zum Vorschein kam eine weitere Sternenkarte. Tamin gab ein neues Datum in die Suchmaske ein. Es war genau das Aktuelle. „Das ist das genesianische Sonnensystem.“, staunte Shimar. „Genau das ist es.“, sagte Tamin.

Shimar stand auf und wollte gehen. „Ich denke, ich habe verstanden.“, sagte er. „Bleib doch noch einige Tage.“, hielt Tamin ihn zurück. „N’Cara würde sich sicher freuen, wenn du noch zum diesjährigen Stoßballfinale bleiben könntest. Eingeladen wärst du selbstverständlich von uns. Wer meiner Tochter das Leben rettet, soll schließlich nicht leer ausgehen. Die genesianische Sonne soll auch im Moment sehr aktiv sein. Dein armes Schiff würde vor Sensorenechos nicht mehr wissen, wo ihr der Prozessor steht.“ Zum Beweis zeigte er Shimar einen Wetterbericht. „Also gut.“, sagte Shimar. „Nur, übernachten werde ich auf meinem Schiff. Ich will Ihrer Frau nicht zur Last fallen, Professor.“ „Das tust du nicht.“, sagte Tamin. „Außerdem kannst du mich auch ruhig mit du ansprechen. Ich duze dich doch auch.“ „Das haben Sie doch nur gemacht, um meiner Kultur Genüge zu tun.“, stellte Shimar fest. „Nichts Anderes wollte ich auch.“ „Dann lass uns einfach sagen, dass wir uns aus tiefer Freundschaft duzen.“, schlug Tamin vor. „Schließlich hast du meine Tochter gerettet. Vor die Hunde wäre sie gegangen ohne dich! Das bin ich dir wenigstens schuldig. Ach, hol doch dein Schiff her. Sie kann auf unserer Wiese landen. Dann muss sie nicht ihre Antriebsenergie für das Halten der Umlaufbahn verplempern.“ „OK.“, erwiderte Shimar. „Ich sage ihr Bescheid.“

„Damit würde ich an deiner Stelle noch kurz warten.“, sagte Tamin und holte eine Flasche mit grüner Flüssigkeit aus dem Schrank. Damit goss er zwei Gläser voll und reichte Shimar eines. Dieser zog misstrauisch seinen Erfasser. „Keine Sorge.“, lachte Tamin. „Das ist weder Alkohol noch Gift. Es wird aus dem Saft der Netzfrucht gewonnen und schmeckt ähnlich wie terranischer Waldmeister. Wenn ich hier arbeite, kann ich mir auch keinen benebelten Kopf leisten.“ „Na dann!“, sagte Shimar und die beiden Männer prosteten sich zu.

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