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Elektra stand in der technischen Kapsel der Granger vor einem Rätsel. Die übliche monatliche Diagnose aller mobilen Geräte aller Besatzungsmitglieder stand an. Auch ich hatte meinen Erfasser, mein Sprechgerät und meinen Phaser abgegeben. Mit dem Sprechgerät und dem Phaser war alles in Ordnung. Das Gerät, das der technischen Assistentin Sorgen machte, war mein Erfasser. Die Software hatte jeden Tastendruck aufgezeichnet, wie es üblich war, damit eventuelle Bedienfehler, die zu Fehlfunktionen geführt hatten, nachgewiesen werden konnten und eine Reparatur so schneller möglich war. Jetzt aber hatte sich etwas herausgestellt, was sich die Androidin nicht erklären konnte.

Sie beschloss, das Gerät zunächst zur Seite zu legen und es dann später Techniker Jannings zu zeigen. Natürlich war sie mit jedem Gerät quasi per du, konnte es also auch theoretisch allein überprüfen. Aber als Androidin war sie auch sehr vorschriftentreu und wusste, dass sie ungewöhnliche Fälle wie diesen ihrem Vorgesetzten zu melden hatte, bevor sie selbst etwas unternahm.

Jannings hatte Mikel und mich beim Frühstück beobachtet. Er war ausnahmsweise auch so früh in der Messe zugegen, bekam aber selbst keinen Bissen herunter. Aber unsere Unterhaltung, die bekam er sehr wohl mit.

Ich hatte mir ein Fischbrötchen repliziert, was Mikel am frühen Morgen sehr ungewöhnlich fand. Aber irgendwie war mir danach. Mit dem Brötchen und einer Tasse heißer Schokolade hatte ich mich wieder zu ihm an den Tisch gesetzt. „Du isst Fisch am frühen Morgen?“, sagte Mikel und ich vermutete, dass ihn dieser Gedanke ziemlich anekelte. Ich war zwar keine Empathin, aber seine Stimme sprach Bände. „Sorry, Mikel.“, sagte ich mit vollen Backen, nachdem ich genüsslich ins Brötchen gebissen hatte. „Das brauche ich jetzt.“

„Sie sind sicher, Allrounder, dass zwischen Ihnen und Korelem auf dem Flug nichts passiert ist?“, scherzte Jannings, der dazu gekommen war. „Wenn Sie es genau wissen wollen, Techniker.“, stieg ich auf seinen Spaß ein. „Wir haben uns vielleicht amüsiert! In allen Stellungen und …“

„Wie soll denn das gehen, Techniker?!“, verteidigte mich Mikel barsch. „Er ist ein Insekt und sie, wenn man es genau nimmt, ein Säugetier. Wie soll sie denn jetzt schw…“ „Gott, hör auf, Mikel!!!“, wies ich ihn zurecht. „Jannings und ich haben gescherzt. Du solltest mich langsam besser kennen.“

Es dauerte eine Weile, aber Mikel gelang es schließlich doch, sich zu beruhigen. „Tut mir Leid.“, sagte er. „Ich war nur so etwas von dir nicht gewohnt, Betsy. Du bist doch sonst immer eher schüchtern und deshalb glaubte ich, dich verteidigen zu müssen. Aber anscheinend habe ich euch beiden Unrecht getan. Bitte nehmen Sie meine Entschuldigung an, Mr. Jannings und du bitte auch, Betsy.“ „Entschuldigung akzeptiert, Sir.“, sagte Jannings zu Mikel und auch ich nickte bestätigend.

Die Sprechanlage piepte und setzte unserer Unterhaltung ein abruptes Ende. Da ich in der Nähe des Terminals saß, beantwortete ich den Ruf. „Ist mein Vorgesetzter bei Ihnen, Allrounder?“, hörte ich Elektras Stimme. „Ja, Technical Assistant.“, sagte ich. „Er ist hier.“ „Richten Sie ihm bitte aus.“, fuhr die Androidin in gewohnt höflicher Weise fort. „Dass ich ihn dringend sprechen muss. Es geht um eine funktionelle Anomalie eines Ihrer Geräte, das Sie uns zur Diagnose überantworteten.“

Elektras Sprache mochte für manchen sehr geschwollen klingen, aber das war für eine Androidin normal. Bei Commander Data hatte vieles am Anfang sicher nicht viel anders geklungen. Er hatte es zwar geschafft, das Problem irgendwann in den Griff zu bekommen, trotzdem schwang immer etwas Computersprache in seinen Sätzen mit, das mich an Meldungen des Schiffsrechners erinnerte.

„Funktionelle Anomalie.“, wiederholte Jannings, der ihren Satz wohl sehr amüsant gefunden haben musste. „Auch eine Art auszudrücken, dass das Ding einen Fehler hat. Aber ich werde mich schon darum kümmern.“ Er stand auf und verließ die Messe.

In der technischen Kapsel empfing ihn Elektra, die das fragliche Gerät bereits an einen Diagnoseport auf einem Reparaturtisch angeschlossen hatte. „Also, Assistant.“, begann er. „Was haben wir denn hier?“ Sein Blick streifte das Gerät. „Das ist Allrounder Betsys Erfasser.“, sagte er. „Korrekt, Sir.“, entgegnete sie. „Ich denke, dass wir das, was Sie gleich sehen werden, vielleicht sogar Agent Mikel melden müssen.“ „Langsam mit den jungen Pferden, Assistant.“, beruhigte Jannings. „Sir?“, wendete sich die Androidin fragend an ihren Vorgesetzten. Dieser warf ihr ebenfalls einen irritierten Blick zu, korrigierte sich aber gleich wieder. „Natürlich weiß ich, dass es in diesem Raum keine Pferde gibt und schon gar keine Fohlen, Assistant. Ich meinte, dass Sie mich erst einmal drauf schauen lassen sollten und wir dann gemeinsam entscheiden, ob der Agent davon was zu hören bekommt.“ „Ah.“, machte Elektra. „Und ich hatte schon befürchtet, Sie zu Scientist Loridana bringen zu müssen, weil Sie juvenile Exemplare der Gattung Hypo sähen, wo keine sind. Dies käme einer Halluzination gleich und dies wäre ein Grund, Sie in medizinische Behandlung zu geben.“

Jannings lachte laut auf und schlug sich auf die Schenkel. „Oh, nein, Elektra.“, sagte er. „Das ist wohl typisch für euch Androiden. Aber keine Sorge. In meinem Kopf ist alles in Ordnung. Das ist nur ein Sprichwort. Schlagen Sie in Ihrer Datenbank mal nach. Dann werden Sie es schon finden und auch die passende Definition dafür.“

Elektra folgte seiner Empfehlung. „Sie haben Recht, Sir.“, sagte sie. „Sehen Sie?“, sagte Jannings ruhig.

Sie trat vom Tisch zurück, um ihm einen freien Blick zu ermöglichen. Jetzt sah Jannings, was sie so irritiert hatte. „Komisch.“, wunderte er sich. „Laut ihren Gewohnheiten schläft Allrounder Betsy um null Uhr in der Nacht. Warum sollte sie aufstehen und sich selbst mit ihrem eigenen Erfasser scannen?“ „Wir sollten den Rechner des Shuttles fragen, ob es ungewöhnliche Aktivitäten zu dieser Zeit gegeben hat, die den Allrounder gezwungen haben könnten, wach zu bleiben.“, schlug Elektra vor. „Tun Sie das.“, antwortete ihr Vorgesetzter.

Sie ging zu einer anderen Konsole hinüber und nahm mit deren Hilfe Kontakt zum Rechner des von mir und Korelem benutzten Shuttles auf. „Zur fraglichen Zeit war der Allrounder aus dem System ausgeloggt und das Schiff flog auf Autopilot.“, interpretierte sie das Gesehene. „Laut ihren Biozeichen schlief sie auch.“ „Also.“, sagte Jannings. „Wenn der Allrounder nicht schlafgewandelt ist, kann sie sich nicht selbst mit dem Erfasser gescannt haben.“ „Dann gibt es nur noch eine Möglichkeit.“, sagte Elektra. „Was ist mit Korelem?“ „Der kann das nicht!“, sagte Jannings mit Überzeugung. „Er ist Zivilist. Er würde viel länger in den Menüs nach dem passenden Befehl suchen müssen und das würden wir hier sehen. Aber diese Bedienung fand sehr gezielt statt. Sogar einige Kurztasten wurden verwendet. Nein, das kann nicht Korelem gewesen sein. Aber Sie haben Recht. Das sollten wir wirklich dem Agent melden.“ „Ich gebe ihm Bescheid.“, sagte Elektra und war aus der Tür.

Pünktlich am nächsten Morgen meldete sich King wieder bei Dilaras Firma. Er wollte auf keinen Fall zu spät zu seiner Arbeit kommen. Ragidis, die demetanische Empfangsdame, lächelte ihm zu. „Guten Morgen, Mr. King.“, sagte sie. „Nennen Sie mich Andrew, Ragidis.“, bot er an. „Schließlich sind wir Kollegen.“ „Gut, Andrew.“, sagte Ragidis und gab ein internes Rufzeichen in das Sprechgerät vor sich ein. „Lita, der Neue ist hier.“, sagte sie. „In Ordnung!“, kam eine strenge Stimme zurück, die laut Kings Einschätzung einer älteren Frau gehören musste. „Behalte ihn dort, ich komme.“, sagte sie. King dachte sich, dass sie wohl dort in der Frachthalle ein strenges Regiment führen musste.

Ragidis zeigte auf die Sitzecke. „Setzen Sie sich doch einen Moment dort herüber, Andrew.“, sagte sie freundlich, als würde sie mit einem Besucher reden. Für sie war es gleich, ob sie mit einem Kollegen oder einem Besucher sprach. Ragidis’ Meinung nach hatte jeder eine freundliche Behandlung verdient.

Eine etwa 1,70 m große schlanke Bajoranerin betrat den Flur. Sie trug einen Overall und Sicherheitsschuhe. Zielstrebig ging sie auf den Sessel zu, auf dem King Platz genommen hatte. „Da bist du ja!“, sagte sie und King erkannte ihre Stimme vom Sprechgerät. „Komm mit!“, kommandierte sie. „Aber schnell! Ich muss dir noch alles zeigen und deine Zeit ist kostbar!“ Sie schnippte ungeduldig mit den Fingern. „Los, los!“ „OK, Miss Tora.“, sagte King und folgte. „Miss Tora!“, lachte sie und wollte sich schier ausschütten. „Ne, ne. Für alle im Frachtbereich bin ich nur Lita. Das gilt also auch für dich.“ „Dann bin ich für dich Andrew.“, sagte King. „Na geht doch.“, lächelte Lita. Dabei war dies für King ein überraschender Anblick. Er hatte nicht geglaubt, dass aus diesem griesgrämigen Gesicht auch ein Lächeln kommen konnte.

Sie führte ihn forschen Schrittes zu einer Tür, durch die sie in eine große Halle kamen. Hier saßen Männer hinter Konsolen und gaben Dinge ein, die für King böhmische Dörfer waren. In all dem Gewirr aus Nummern und Buchstaben würde er sich nie zurechtfinden!

Lita setzte King vor einer freien Konsole ab und stellte sich in die Mitte der Halle. „Jungs!“, rief sie ihnen zu. „Das ist Andrew, der Neue. Bevor ihr alle abfliegt, erwarte ich, dass ihr ihm zeigt, wie das hier funktioniert. Tymoron, am Besten, das machst du!“ Sie zeigte auf einen jungen Demetaner, der klar an ihrem Gesicht sehen konnte, dass sie keine Widerrede duldete.

King hatte hinter der Konsole Platz genommen und hatte den Bildschirm betrachtet. Der junge Demetaner nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben King, um im gleichen Moment mit ihm auf den Schirm zu schauen. „Gib bitte erst mal deinen Namen ein.“, forderte er King freundlich auf. „Nachnamen zuerst und ohne Leerschritt und Großschreibung.“ King tat, was sein Gegenüber verlangt hatte. Nach der Eingabe begann ein Kästchen, das neben der Konsole stand, zu leuchten. „Leg deinen Finger in die Mulde.“, sagte Tymoron. Auch das tat King.

Auf dem Bildschirm öffnete sich ein weiteres Fenster. Jetzt konnte King ein Menü sehen, das sich vor ihm abrollte. Hierin konnte er seine Flugstrecke, die Informationen über seine Fracht und den Funktionsbericht eines Shuttles ablesen, wenn er die entsprechenden Punkte anklickte. „Die Nummer in der Titelzeile ist deine Zuweisung.“, erklärte der etwa 30-jährige Demetaner. „Wenn du zum Flugfeld gehst, musst du ja schließlich wissen, welches dein Shuttle ist. Es ist ratsam, alle Punkte durchzulesen. Wenn du angeSITCHt wirst, und sie fragen dich, was du geladen hast, musst du ja schließlich antworten können. Sie könnten dein Schiff zwar auch scannen, aber wenn du falsche oder keine Angaben machst, könntest du dich verdächtig machen, eine Straftat zu begehen oder zu begünstigen. Manche Spezies mögen keine Schmuggler.“ Er grinste. „Außerdem solltest du wissen, wohin es geht und ob dein Schiff in Ordnung ist.“ „Womit fange ich am Besten an?“, fragte King, in dem das Gefühl erwacht war, dass auf ihn eine Menge Lesestoff zukommen könnte. „Ich schlage vor, du fängst mit der Flugstrecke an.“, sagte Tymoron. „Das geht am schnellsten. Es sind schließlich nur zwei Worte.“

King klickte das entsprechende Feld an und sah eine kleine zweispaltige Tabelle, unter der ein Ausschnitt einer Sternenkarte zu sehen war. In der Tabelle stand unter Start Terra und unter Ziel Demeta. „Ich fliege in deine Heimat.“, stellte King fest. „Genau.“, sagte Tymoron. „Das Problem ist nur, dass du durch das Miray-System musst, wegen der hyperaktiven Sonne. Aber da sollen drei Sternenflottenschiffe sein, die Babysitter spielen. Die lotsen dich schon durch das Kriegsgebiet. Pass nur auf, dass du nicht nach Blind Man’s Land gerätst.“

King sah ihn fragend an. „Wohin soll ich nicht geraten?“, fragte er. „Entschuldige.“, sagte Tymoron. „Unter uns alten Hasen ist der Fleck bekannt wie ein bunter Hund. Es ist eine Stelle im Miray-System, an der Fliegen per Sensoren wegen starker Strahlung nicht möglich ist. Die spielen einfach verrückt. Du musst dort also die Sensoren deines Schiffes offline schalten. Aber auf Sicht fliegen kannst du auch nicht, weil du so starke Filter vor den Fenstern benutzen musst, dass kein Lichtstrahl hineingelassen wird.“ „Und wie navigiere ich dort?“, wollte King wissen. „Indem du dort gar nicht erst hin fliegst.“, sagte Tymoron genervt. „Kannst du nicht zuhören?!“ „Es gibt zwar eine alte Pilotenlegende, der nach man auch nach Hosenboden navigieren kann, aber ich würde das nicht ausprobieren.“, fügte er noch hinzu. „Du hast Recht.“, bestätigte King. „Ich verlasse mich beim Fliegen auch lieber auf meine Augen.“

Über die Frachtinformationen war King beim technischen Bericht angelangt. Er hatte den Teil über seine Fracht nur überflogen und sich gemerkt, dass er medizinisches Gerät transportierte. Mehr benötigte er laut Tymoron auch nicht. Alles andere würde auf einem Datenkristall stehen, den ihm Lita am Shuttle noch aushändigen würde und auf den, wenn er mit dem Durchlesen fertig war, alle wichtigen Daten geladen würden.

„Alle Zeilen sind grün.“, stellte King fest. „Um so besser.“, sagte Tymoron. „Grün heißt, das genannte System funktioniert. Rot heißt, es funktioniert nicht und gelb heißt, es wird gerade gewartet. Wenn du alles durchgelesen hast, drück bitte noch einmal die Entertaste.“ King tat dies und sah eine Aufforderung aufflackern, der nach er jetzt zum Flugfeld gehen konnte. Auch die Nummer seines Schiffes wurde noch einmal kurz eingeblendet, bevor der Bildschirm wieder leer erschien. „Komm mit.“, sagte Tymoron und führte ihn durch ein Tor aus der Halle in einen Hof, in dem viele Shuttles standen. Hier sah King auch Lita wieder, die vor einer Art großem Schlüsselbrett stand, auf dem Schaltschlüssel auf Zapfen steckten. Über dem jeweiligen Schlüssel war auf einem Display die Shuttlenummer zu sehen.

Sie übergab King und Tymoron ihre Schaltschlüssel und der Demetaner brachte den terranischen Neuankömmling noch zu seinem Schiff. „Der Schaltschlüssel enthält alle Daten, die du dir gerade durchgelesen hast.“, erklärte Tymoron. „Wenn du ihn benutzt, weiß sie, was geladen ist und wohin es geht. Wenn du eine Pause machst oder irgendwo landest, musst du den Schlüssel mitnehmen. Es ist wegen deiner Flugzeiten und deiner Gesundheit. Außerdem kann dann besser nachgewiesen werden, was genau war, wenn etwas passieren sollte.“ „OK.“, sagte King. „Muss ich noch etwas beachten, bevor ich starte?“ „Melde dich besser bei Ragidis.“, sagte Tymoron. „Ich habe das ein Mal vergessen und dann haben mir Dilara und Lita mit vereinten Kräften den Kopf gewaschen. War nicht sehr angenehm.“ Er machte ein leidendes Gesicht. „Das sollte ich mir wirklich ersparen.“, sagte King und stieg ins Shuttle, um sofort Ragidis’ Rufzeichen ins Sprechgerät einzugeben.

Ginalla und die Genesianerinnen waren in einer riesigen Halle angekommen. In gewisser Weise erinnerte die Halle an die, in der bei den Klingonen der Hohe Rat tagte. Aber natürlich gab es gewisse Unterschiede. Krieger lieben solche Protzbauten., dachte Ginalla und war froh, dass die Genesianer keine Telepathen waren.

Sie folgte den Kriegerinnen durch den großen Torbogen in die Halle, deren Dach eine große Kuppel bildete. Direkt unter dieser Kuppel befand sich ein Podest mit einem schwarzen Holztisch, der mit Symbolen aus der alten genesianischen Schrift verziert war. Die Bilder zeigten die genesianische Schöpfungsgeschichte. Vor dem Tisch stand eine Bank, die gerade breit genug war, dass jemand darauf sitzen konnte. Auf dem Platz in der Mitte saß Shashana. Sie hatte schwarzes offenes langes Haar und war in ein traditionelles genesianisches Gewand, ein langes schwarzes Wollkleid, gehüllt. Sie trug keinen Brustpanzer, denn sie war jetzt ja nicht unterwegs. Außerdem musste sie als oberste Prätora ja auch nicht mehr in den Kampf ziehen. Der Brustpanzer war also das Gewand einer aktiven Kriegerin.

Ehrfürchtig gingen Ataura und Cyrade auf sie zu. Sie legten ihre Waffen nieder, was bei den Genesianern einer höher gestellten Person gegenüber auch Respekt zeigte. Dann begann Cyrade: „Oberste Prätora, dies ist Ginalla aus der Föderation. Sie ist eine zivile Forscherin und möchte gern an der Initiationsfeier meiner Tochter Ataura teilnehmen. Ich weiß, eine Außenstehende hat das noch nie gedurft, aber …“ „Schweig!“, befahl Shashana. Dann wendete sie sich an Ginalla: „Tritt vor, Fremde!“

Die Celsianerin ging langsam auf den Platz Shashanas zu. „So.“, sagte die Genesianerin, während sie ihr Gegenüber musterte. „Du willst also an einer genesianischen Initiationsfeier teilnehmen.“, sagte Shashana. „Ja.“, erwiderte Ginalla flapsig. „Ich denke, ich kriege das hin. Ich mag zwar schmächtig aussehen, aber das täuscht. Ich halte mehr aus, als man denkt.“ „Große Worte.“, sagte Cyrade. „Das sind nicht nur Worte.“, rechtfertigte sich Ginalla. „Und das werde ich Euch beweisen, oberste Prätora, wenn Ihr mich lasst.“

Es folgte eine Weile für Ginalla unerträglicher Stille, bevor die Genesianerinnen laut lachten. „Schneid hast du.“, sagte Shashana schließlich und klopfte ihr auf die Schulter. „Also gut. Du darfst an der Feier teilnehmen. Hast du ein Schiff?“ „Ja.“, sagte die Celsianerin. „Um so besser.“, sagte Cyrade. „Dann muss ich nicht noch ein Maul auf meinem Schiff stopfen. Beame auf dein Schiff und warte, bis ich mit meinem in die Umlaufbahn komme. Dann fliegen wir von dort aus zu der kleinen Welt, die meinem Clan gehört.“ „OK.“, sagte Ginalla. Dann zog sie ihr Sprechgerät: „Kamurus, hol’ mich!“

Das Schiff führte ihren Befehl aus. „Wie ist es gelaufen?“, fragte er, nachdem er sie wieder heil an Bord hatte. „Super!“, sagte Ginalla. „Wir dürfen! Gleich kommt ein genesianisches Schiff und dem wirst du folgen. Die Feier wird nämlich nicht auf Genesia Prime stattfinden.“ „OK.“, sagte Kamurus. „Aber bitte denke daran, was ich dir gesagt habe. Ich habe keine Lust, dich irgendwann tot vorzufinden, weil du deine Zunge nicht im Griff hattest.“ „Keine Angst.“, sagte Ginalla. „Da passiert schon nichts.“ „Hoffentlich behältst du Recht.“, sagte Kamurus und verhehlte seinen Argwohn nicht, bevor er sich hinter Cyrades Schiff einreihte, das inzwischen aufgestiegen war.

Maron hatte sich in seinem Quartier mit den versprochenen Recherchen über die Aktivität der genesianischen Sonne beschäftigt. Allerdings wurde ihm dies nicht in einer Art von der Sternenflottendatenbank dargereicht, die er verstanden hätte, sondern war doch recht wissenschaftlich gehalten. Maron sah nur auf endlose Zahlenkolonnen und Diagramme, die ihm so gut wie nichts sagten. Es gab aber eine Person auf der Basis, die ihm hier wohl helfen konnte. Da er bereits seinen Neurokoppler trug, wusste IDUSA schon längst, was er von ihr wollte. „Techniker Mc’Knight ist in ihrem Quartier, Agent.“, sagte sie. „Danke, IDUSA.“, gab Maron zurück. Er war es gewohnt, mit dem Computer einer Station oder eines Schiffes per Tasten oder verbal zu kommunizieren. Die reine Gedankenkommunikation machte ihm noch immer Schwierigkeiten.

Der Demetaner ging aus seinem eigenen Quartier auf den Flur und dann nur zwei Türen weiter in Richtung dessen von Joran und Jenna an Shannons Wohnraum vorbei, die Mc’Knights direkte Nachbarin war. Er hoffte sehr, dass sie ihm weiterhelfen konnte. Ansonsten würde er jetzt sehr auf dem Schlauch stehen.

Der Agent betätigte die Türsprechanlage, was zur Folge hatte, dass ihm Jenna mit leiser Stimme antwortete. „Was gibt es denn, Sir.“, flüsterte sie ins Mikrofon. „Ich benötige Ihre Expertise, Techniker.“, sagte Maron. „Komme.“, sagte Jenna nur kurz und beendete die Verbindung.

Maron wartete höflich ab, bis die brünette hoch gewachsene Terranerin ihm die Tür geöffnet hatte, bevor er ihr, die auf leisen Sohlen voran ging, folgte. „Warum sind Sie so leise, Jenna?“, fragte Maron. „Joran und Ishan machen ein Experiment.“, erklärte sie. „Obwohl Joran kein echtes Feld trägt und dies seinem Körper nur durch das Medikament vorgespielt wird, möchte er herausfinden, ob das Fütterungsritual trotzdem funktioniert. Die Mediziner der Sternenflotte und der Tindaraner sind sich uneins. Die von der Föderation sagen, es könnte funktionieren und die Tindaraner meinen nein, weil nichts da ist, was gefüttert wird. Unter uns, meine Assistentin unterhält einen Wettpool.“ „Illegales Glücksspiel auf Zirells Station.“, sagte Maron grinsend. „Sie wissen, Mc’Knight, dass ich das melden muss. Ihre Assistentin werde ich auch gleich verhaften. Aber wenn Sie schon so munter beim Auspacken sind, Jenna, dann sagen Sie mir doch gleich einmal, worum gewettet wird.“ „Es geht nur um Simulationskammerzeit, Sir.“, beruhigte Jenna. „Nichts Existenzielles.“ „Aha.“, sagte Maron. „Wie wäre es, wenn ich mich auch gleich daran beteilige.“ „Aber Sir.“, meinte Jenna und versuchte zu tun, als habe sie sich furchtbar erschrocken. „Wäre das nicht … Wie nennt man das noch? Unlautere Vorteilsnahme im Amt?“ Beide lachten. Die gesamte letzte Unterhaltung war nämlich nicht ganz ernst gemeint.

Jenna führte den Spionageoffizier zum Sofa im Wohnzimmer. „Bitte setzen Sie sich, Agent.“, sagte sie. „Mir fällt auf, dass Sie kein kaputtes Gerät bei sich haben. Also, wobei brauchen Sie mich?“ „Das wird eine längere Geschichte, Techniker.“, sagte Maron. „Aber die würde ich Ihnen gern bei mir erzählen. Vielleicht wäre das besser. Dann stören wir Joran und Ishan auch nicht.“ „Also gut.“, sagte Jenna, schnappte ihren Neurokoppler, der auf dem Tisch lag und folgte ihrem Vorgesetzten.

Wenige Schritte trennten die Beiden von ihrem Ziel. In Marons Wohnzimmer angekommen schlossen Maron und Jenna die Neurokoppler sofort an die Konsole an. Jenna staunte nicht schlecht über das, was sie auf dem virtuellen Bildschirm sah, nachdem IDUSA auch ihre Reaktionstabelle geladen hatte. „Was hat die genesianische Sonne getan, Agent, dass Sie hinter ihr her sind?“, scherzte Jenna. „Hat sie zu sehr geleuchtet und das zur Sperrstunde?“ „Um ehrlich zu sein, Jenna.“, entgegnete Maron. „Sie ist verdächtig, hyperaktiv zu sein. Allerdings kann es auch sein, dass sie in diesem Verbrechen nicht die Täterin, sondern das Opfer ist, wenn sie dessen fälschlich beschuldigt wird.“ Auch der Demetaner lächelte.

Jenna ließ einige Blicke über den Monitor schweifen. „Dann fragte sie: „Hat sie schon etwas dazu gesagt?“ „Jein.“, erwiderte Maron. „Ich kann mit ihren Aussagen nichts anfangen. Liegt vielleicht daran, dass wir nicht die gleiche Sprache sprechen. Aber jetzt habe ich ja eine Spezialistin hier.“ „Schuster, bleib bei deinem Leisten.“, lächelte Jenna. „Ihr Spezialgebiet ist nun einmal die Spionage und meines die Physik. Zeigen Sie mal her.“

Sie ließ IDUSA Marons Tabelle löschen, während ihr eigener Blick zwischen den auf dem Bildschirm aufgereihten Diagrammen, bei denen es sich um Bilder von Sonden handelte, welche die genesianische Sonne ständig beobachteten, hin und her wanderte. Jenna dachte, dass dies für Maron eher langweilig sein könnte.

Bald danach setzte sie den Koppler ab und drehte sich mit zufriedenem Gesicht zu Maron. „Ich glaube, ich habe gesehen, was ich sehen musste, um Ihnen helfen zu können, Sir.“, sagte sie zuversichtlich. „Die Sonne hat eine völlig normale Aktivität. Sie ist nicht aktiver als sonst auch. Weiß der Himmel, woher Sie die Informationen haben, aber mit der Sonne ist alles OK.“ „Die Informationen hat man Shimar auf der lithianischen Heimatwelt gegeben.“, sagte Maron. „Um ehrlich zu sein, Sir.“, sagte Jenna. „Ich glaube, da will jemand Shimar hinhalten.“ „Das Gefühl habe ich langsam auch.“, sagte der demetanische Spion. „Nur leider fehlen mir bisher die Beweise.“ „Die kriegen Sie schon.“, sagte Jenna. „Hoffen wir, dass ich sie nicht erst dann bekomme, wenn es zu spät ist.“, sagte Maron und machte ein Gesicht, als würde er ein großes Unheil kommen sehen. „Wovon sprechen Sie, Agent.“, fragte Jenna, die zwar keine ausgebildete Psychologin war, aber aufgrund ihrer hohen Intelligenz schon oft in vielen Situationen erfolgreich ausgeholfen hatte. Shannon hatte sich dann gefragt, ob Major Carter wohl auch dieses Talent gehabt hatte. Maron verneinte dies innerlich, denn er hatte, als er einmal das Buch gelesen hatte, um zu wissen, wovon Shannon ständig redete, festgestellt, dass es zwischen Jenna und Samantha einen gravierenden Unterschied gab. Jenna hatte Freunde und lebte sogar in einer Beziehung. Sie musste auch Shannons flache Witze und ihre einfache Struktur tolerieren, denn sonst hätte sie schon längst bei Zirell und ihm einen Antrag auf Zuweisung einer anderen Assistentin gestellt. Aufgrund dieser Fakten war der Kriminalist sicher, Jenna der Fähigkeit zur sozialen Interaktion überführen zu können.

„Sir?“ Sie hatte gemerkt, dass er gedanklich abschweifte und ihn sanft angestoßen. „Entschuldigung, Mc’Knight.“, sagte Maron. „Wo waren wir?“ „Wir hatten gerade festgestellt, dass Shimar verladen wird.“, sagte Jenna. „Ach ja.“, sagte Maron und machte wieder dieses Gesicht. „Was ist los?“, fragte Jenna und schaute ihn fast schmeichelnd an. „Die beiden Prinzessinnen streiten seit ihrer Kindheit.“, sagte Maron fast verzweifelt. „Sie streiten so sehr, dass man glauben könnte, sie wollten sich zerfleischen. Alle Bemühungen, die Sache diplomatisch zu lösen, sind in die Hose gegangen. Durch Techniker Montgomery Scott wissen wir todsicher, dass sich Sytania auch irgendwann einmischen wird. Deshalb sollte Shimar auf diese Zivilistin, die für Alegria arbeitet, aufpassen, damit die Sytania nicht eventuell auf den Leim geht. Aber jetzt ist Shimar von ihr getrennt und sie ist im genesianischen Sonnensystem. Was ist, wenn …?“ „Sytanias Einmischung mit der Sonne wäre nachweisbar, Agent.“, beruhigte ihn Jenna. „Was immer auch passiert, ich glaube nicht, dass Sytania eine Sonne benutzen wird, um sich einzumischen. Nein. Ich denke, das wird sie klüger anstellen. Ich weiß zwar auch nicht wie, aber …“ Er atmete auf. „Wenn Sie das sagen, Jenna.“, sagte er.

Sie stand auf. „Ich sollte jetzt gehen.“, sagte sie. „Sie interessiert der Ausgang des Experimentes, nicht wahr?“, grinste Maron der im Gehen begriffenen Jenna hinterher. „Dagegen kann ich nichts machen. Ich bin eine Frau und wir sind wie Katzen.“, grinste sie und verschwand durch die Tür.

Alesia und Sedrin hatten sich in ihrem Besprechungszimmer getroffen. „King ist unterwegs.“, informierte Alesia ihre Kollegin. „Gut.“, sagte Sedrin, die in diesem Fall die Leitung der Mission inne hatte. „Wann wird er voraussichtlich auf die Granger treffen?“ „In zwei Tagen, wenn alles gut geht.“, erwiderte Alesia. „OK.“, sagte Sedrin. „Dann haben wir zwei Tage, um …“

Ein Alarm ließ beide aufschrecken. Im Display der Sprechanlage sahen sie das Rufzeichen von Scottys Wohnung samt Unterrufzeichen des gemeinsamen Schlafzimmers von ihm und King. „Was ist los, Scotty.“, beantwortete Sedrin die Anlage. „Schnell.“, stammelte Scotty am anderen Ende. „Ich, uff ...“

Die Agentin hörte nur noch etwas, das sich für sie anhörte, als sei Scotty gerade samt Mikrofon in Ohnmacht gefallen. „Irgendwas stimmt da nicht!“, sagte sie fest und winkte Alesia, die ihr schnellen Schrittes folgte. Im Flur schnappte Sedrin noch ihre Tasche, in der sich ihre gesamte Ausrüstung befand. Dann flitzten sie und Alesia hinüber.

Nachdem sie mit Hilfe eines Notfallcodes die Tür geöffnet hatten, sahen sie das Problem. Bewusstlos hing Scotty über seinem Schreibtisch. Im Ohr hatte er einen Ohrhörer und vor sich ein Pad, auf das er der Stellung seiner rechten Hand nach gerade zeichnete.

Sedrin zog den Ohrhörer aus Scottys Ohr und steckte ihn in ihr eigenes, um herauszufinden, was Scotty hörte. „Das ist das Gespräch, das wir als Stimulus benutzen!“, sagte sie alarmiert. „Wie ist er da bloß dran gekommen?“ „Unsere Aufzeichnung kann es nicht sein.“, erklärte Alesia. „Die ist sicher verwahrt. Aber er ist ausgebildeter Ingenieur. Vielleicht hat er einen Weg gefunden, über eine Sprechverbindung nach außen das Sprechgerät von Allrounder Betsy anzuzapfen und sich selbst eine Version des Gespräches besorgt.“ „Von wegen Privatgespräch.“, zischte Sedrin, denn ihr schwante langsam, wie Scotty es angestellt haben konnte. Am Vortag hatte er die Agentinnen gebeten, ihm ein angebliches Gespräch mit Freunden auf Celsius zu ermöglichen. Sie sollten ihm aber nur die Amtsfrequenz freischalten. Den Rest würde er allein erledigen. Da es sich um ein privates Gespräch handelte, waren weder Sedrin noch Alesia während dessen anwesend gewesen.

Die Demetanerin zog ihren Erfasser und scannte den zitternden und krampfenden Scotty. „Sein Blutdruck ist erheblich zu hoch.“, sagte sie, nachdem sie sicherheitshalber das Interpretationsprogramm zugeschaltet hatte. „Kein Wunder.“, sagte Alesia. „Sieh dir seine Augen an. Die sind weit aufgerissen. Ich wette, er hat Angst bis Oberkante Unterlippe.“ „Kann ich mir gut vorstellen.“, antwortete Sedrin. „Was glaubst du, warum ich immer einen Arzt dabei haben will, wenn wir mit der Aufzeichnung experimentieren.“ „Schon klar.“, antwortete die junge Platonierin. „Aber was machen wir jetzt mit ihm?“

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