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Saron hatte die SITCH-Verbindung, die Nugura verlangt hatte, für seine Chefin geschaltet. Aber er hatte sich nach Eingabe des Rufzeichens aus der Leitung zurückgezogen, um nicht selbst mit der obersten Prätora sprechen zu müssen, was er auch nicht gedurft hätte, weil er als Mann ja nicht mit einer genesianischen Frau reden durfte. Für diese spezielle Situation gab es für männliche Sekretäre bei der Föderation ein entsprechendes Verhaltensprotokoll. Nugura selbst würde jetzt sehen müssen, ob Shashana den Ruf beantwortete.

Die Präsidentin war erfreut über den Umstand, doch am Ende das Gesicht der obersten Prätora auf ihrem Schirm zu sehen. „Warum überfallt Ihr unschuldige Zivilisten, oberste Prätora.“, fragte Nugura und versuchte, nicht all zu hasserfüllt zu klingen. Sie wollte sich als die Diplomatin geben, die sie schon immer gewesen war. „Weil auch die Föderation unehrenhaft gehandelt hat!“, entgegnete Shashana in einem im Gegensatz zu Nugura doch sehr erbosten Ton. „Wie soll ich das verstehen?“, fragte Nugura unverständig. „Eine Ihrer Forscherinnen, die wohl auch noch diplomatische Rechte hat, schlich sich in unsere Reihen und spottete unserem Glauben. Wie können Sie das zulassen, Nugura? Außerdem hat diese Frau behauptet, unsere Rituale aus reiner Gewinnsucht entweiht zu haben. Das würde sicher noch nicht einmal ein dreckiger Ferengi tun. Aber Sie und Ihre Föderation, Nugura, Sie sind das unehrenhafteste Pack, das mir je untergekommen ist!“

Sie ließ den Sendeknopf los, um Nugura die Gelegenheit zum Antworten zu geben. „Ich versichere Ihnen, Shashana, ich habe keine zivilen Forscher nach Genesia Prime entsandt und schon gar keine mit diplomatischen Rechten. Wie heißt die Frau, von der sie reden und woher kommt sie? Vielleicht klärt sich ja alles von allein.“ „Das glaube ich nicht!“, entgegnete Shashana mit Überzeugung. „Aber um unserer vorherigen politischen Beziehungen wegen werde ich Ihnen Ihre Fragen beantworten. Sie heißt Ginalla und kommt vom Planeten Celsius.“ „Ich versichere Ihnen, Shashana.“, sagte Nugura. „Es gibt unter meinen Diplomaten niemanden, die Ginalla heißt. Ich werde Ihnen die Liste aller Botschafterinnen und ihnen unterstehenden Diplomatinnen zukommen lassen. Dann werden Sie sehen, dass ich die Wahrheit gesprochen habe.“ „Eine Liste!“, lachte Shashana. „Jede Liste kann man fälschen. Ich denke, Ihr Saron ist darin sehr versiert.“ „Oberste Prätora.“, entgegnete Nugura. „Ich denke, es sollte in unserer beider Interesse liegen, dieses Missverständnis aufzuklären. Ich kann im Moment leider nicht mehr tun, als das, was ich Ihnen gerade vorgeschlagen habe. Bitte geben Sie mir ein bsschen Zeit. Dann haben Sie bald die Liste mit den Bildern und können sehen, dass es so jemanden unter meinen Diplomaten nicht gibt. Ich gebe zu, celsianische Diplomaten sind ein Widerspruch in sich, weil die Celsianer dafür ein zu lockeres Mundwerk haben. Aber es gibt immer wieder Ausnahmen. Die Liste wird aus den genannten Gründen also nicht sehr lang sein. Bitte schauen Sie sich alles zumindest an.“ „Na gut.“, erwiderte Shashana. „Aber wehe, ich finde einen Hinweis darauf, dass die Liste gefälscht ist.“ Sie beendete das Gespräch.

Nugura atmete auf. Jetzt hatte sie zumindest etwas Zeit gewonnen. Sie betätigte die Sprechanlage zu ihrem Vorzimmer: „Saron, suchen Sie alle weiblichen celsianischen Diplomaten heraus und machen Sie eine Liste mit Foto. Schicken Sie diese Liste an das Rufzeichen der obersten genesianischen Prätora.“ „Darf ich fragen, Sea Federana, was das Gespräch mit Shashana ergeben hat?“, fragte der Sekretär demetanisch verständig und mit der Absicht, seine Vorgesetzte zu trösten. Er hatte ihrer Stimme angemerkt, dass es wohl nicht so gut gelaufen war. Auch konnte er das aus dem Auftrag, den sie ihm gegeben hatte, herleiten. „Ich komme zu Ihnen.“, sagte Nugura, die sein Angebot, dass sie sich bei ihm sozusagen ausheulen durfte, gern annahm.

Sie verließ das eigene Büro durch eine Verbindungstür. Nun stand sie vor Sarons Arbeitsplatz. „Bitte setzen Sie sich doch, Madam President.“, sagte der Demetaner und rückte einen zweiten Stuhl neben dem Seinen zurecht. „Es ist so unheimlich merkwürdig, Saron.“, sagte Nugura. „Da scheint es jemanden zu geben, die sich als celsianische Diplomatin ausgegeben hat. Außerdem behauptet sie, Forscherin zu sein. Sie hat den genesianischen Glauben mit Füßen getreten, nach allem, was ich weiß. Sie hat …“

Er reichte ihr ein Taschentuch, denn er sah an ihrem Gesicht, dass sie kurz davor stand zu weinen. Eigentlich sollte einer Politikerin ihres Standes so etwas nicht passieren, aber der aufmerksame Sekretär hatte zwei gesunde Augen im Kopf, die ihm jetzt verrieten, dass es trotz aller Benimmregeln jetzt doch passieren würde. „Danke, Mr. Saron.“, sagte Nugura und schnäuzte sich kräftig. „Bitte lassen Sie hiervon aber die Presse nichts erfahren, ja? Es ist nur, weil der Frieden mit den Genesianern ohnehin immer brüchig ist und weil ich langsam nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. So vieles ist in meiner bisherigen Amtszeit falsch gelaufen, Mr. Saron. So vieles, an dem ich auch nicht ganz unschuldig war. Aber in diesem Fall…“

Sie konnte sich nicht mehr wehren. Ein Sturzbach von Tränen rann ihr Gesicht hinunter. Saron wischte eifrig mit Taschentüchern hinterher, konnte aber nicht wirklich etwas ausrichten. Sehen würde man es schon, dass sie geweint hatte.

„Sie sind Fatalist.“, stellte sie fest. „Könnte es sein, dass mich das Schicksal für meine Naivität, mit der ich an bestimmte Dinge herangegangen bin, jetzt bestrafen will?“ „Mit Verlaub, Madam President.“, antwortete Saron. „Ich bin kein Geistlicher. Es ist zwar richtig, dass ich, wie die meisten Demetaner, an das Schicksal glaube, dennoch kann ich Ihnen leider die Frage auch nicht beantworten, was es mit Ihnen im Sinn hat. Aber vielleicht kann ich etwas anderes tun.“

Er zog eine Schublade an seinem Schreibtisch auf und holte ein frisch repliziertes Päckchen mit feuchten Tüchern hervor. „Bitte halten Sie kurz still.“, bat er und wischte ihr die Spuren ihres Weinkrampfes vom Gesicht. „Gut, dass Sie aus religiösen Gründen kein Makeup tragen.“, sagte Saron. „Sonst hätte ich jetzt ein Problem.“ Nugura lächelte. „Na sehen Sie.“, meinte Saron. „Und selbst, Sea Federana, wenn morgen etwas über die weinende Nugura in der Presse stehen sollte, so denke ich, dass dies Sie nur von Ihrer ehrlichsten Seite zeigen würde und das ist ja beileibe nichts Schlimmes. Im Gegenteil, ich denke, es wird Ihre Chancen bei der Wählerschaft sogar noch erhöhen!“ In seinen letzten Satz hatte er besonders viel Überzeugung gelegt. „Oh, mein guter Mr. Saron.“, sagte Nugura erleichtert. „Sie verstehen es immer wieder, mich aufzuheitern.“

Sie räusperte sich. „Was macht der andere Auftrag, den ich Ihnen gegeben habe?“, fragte sie. „Schon erledigt.“, lächelte Saron und rief eine Liste auf dem Schirm seines Rechners auf. „Hier sind alle celsianischen weiblichen Diplomaten, die im Dienste der Föderation stehen. Aber eine Ginalla ist nicht darunter.“ „Woher wissen Sie das mit Ginalla?“, fragte Nugura verwundert. „Mit Verlaub, Madam President, ich hatte mich aufgeschaltet.“, gab Saron zu. „Ich weiß, das war ungehörig, aber ich dachte, ich müsse Ihnen irgendwie helfen und je mehr ich wüsste, desto besser könnte ich das. Deshalb habe ich …“ „Schon gut.“, fiel ihm Nugura ins Wort, die ihm nicht böse sein konnte. Für sie würde sein Fauxpas allenfalls die Stellung eines unbeabsichtigten Aufstoßens bei Tisch einnehmen. Es war nicht schön, aber passierte eben.

„Ich könnte versuchen herauszufinden, ob den Behörden auf Celsius etwas über eine Ginalla bekannt ist, die sich als Diplomatin ausgibt.“, schlug der clevere Sekretär nach einer Weile vor. „Tun Sie das.“, erlaubte Nugura. „Ich kann mir zwar nicht vorstellen, warum jemand das tun sollte, aber vielleicht wissen die Celsianer ja wirklich etwas. Aber zäumen wir das Pferd doch mal von einer ganz anderen Seite auf, Mr. Saron. Was ist, wenn einer unserer übrigen Feinde uns in einen Krieg mit den Genesianern hineinmanövrieren will.“ „An welchen Feind dachten Sie da genau, Madam President?“, fragte Saron. „Na zum Beispiel an Sytania.“, antwortete Nugura. „Das, Madam President,, gilt es zu beweisen.“, mahnte Saron sie zur Vorsicht. „Wenn wir Sytania beschuldigen, ohne Beweise zu haben, wird auch sie uns den Krieg erklären. Und, mit Verlaub, dazu hätte sie auch dann jedes Recht.“

Nugura überlegte. Ihr war aufgefallen, dass er Recht hatte, denn Sytania konnte mit einem einzigen Gedanken Welten vernichten. Nicht auszudenken, was sie mit der Föderation machen würde! Sicher würde ihnen dann auch keiner der Mächtigen helfen, die sonst auf ihrer Seite waren. Denn was Nugura dann täte, wäre eine ausgesprochene Dummheit. „Wenn ich Sie nicht hätte.“, sagte sie zu Saron. „Aber Ihr Vorschlag mit den celsianischen Behörden ist sehr gut. Tun Sie das und bringen Sie mir dann die Ergebnisse. Von ihnen wird mein weiteres Tun abhängen. Leider werden wir jetzt auch Kriegsschiffe in die Nähe der neutralen Zone beordern müssen, die das Gebiet der Föderation verteidigen. Die Genesianer können uns ja nicht einfach überrennen und ich habe auch eine Verpflichtung gegenüber der Zivilbevölkerung. Veranlassen Sie alles!“ Saron nickte.

Die Nachricht, dass sich die Föderation im Krieg befand, hatte auch ihre Alliierten, die Aldaner und die Tindaraner, erreicht. Zirell saß wie vom Donner gerührt in ihrem Bereitschaftsraum. „Krieg!“, entrüstete sie sich gegenüber Maron. „Wie konnte das passieren?!“ „Ich weiß es nicht, Sea Tindarana.“, versuchte der erste Offizier, seine Vorgesetzte zu beschwichtigen. „Wir hatten doch Shimar hinter Ginalla her geschickt, damit er auf sie aufpasst und gerade so etwas verhindert. Wo war er?“, erwiderte Zirell. „Das werde ich gleich herausfinden.“, entgegnete Maron. „IDUSA, mach mir eine Verbindung mit der IDUSA-Shuttleeinheit und gib mir Shimar!“ „Ich bin neugierig, was er zu seiner Verteidigung zu sagen hat.“, sagte Zirell.

Shimar und N’Cara waren mit IDUSA immer noch in Richtung des Notrufes unterwegs. Das Schiff steuerte sich selbst, denn Shimar war mit dem Versuch beschäftigt, Professor Tamin telepathisch zu erreichen. Er hoffte immer noch, N’Cara ihrem Vater übergeben zu können, denn er fand eigentlich nach wie vor, dass der Weltraum mit seinen ganzen Gefahren kein Ort für ein Mädchen ihres Alters war. Shimar hatte aber nicht das Gefühl, außer Reichweite zu sein, sondern er musste viel eher gegen eine mentale Mauer ankämpfen, die ihm Tamin in den Weg stellte. Er wollte nicht erreicht werden, das spürte Shimar. Aber wenn er ein verantwortungsvoller Vater war, konnte er doch nicht zulassen, dass seine Tochter sich solcher Gefahr aussetzte. Deshalb ließ er nicht locker, auch, wenn er inzwischen vor Anstrengung ein hoch rotes Gesicht bekommen hatte.

IDUSA musste einen sanften Stimulatorstoß über den Neurokoppler schicken, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Erst das brachte Shimar dazu, von Tamins Geist abzulassen. „Was gibt es?“, sagte Shimar völlig außer Atem. „Ich habe eine Verbindung für Sie.“, meldete der Schiffsavatar. „Ich muss Sie allerdings warnen. Es ist Agent Maron und laut dem Frequenzschema seiner Stimme ist er extrem gereizt, um nicht zu sagen stinksauer.“ „Gib her.“, sagte Shimar ruhig. „Den beruhige ich schon wieder.“ „Da bin ich nicht so sicher.“, entgegnete das Schiff und schaltete die Verbindung.

Vor Shimars geistigem Auge auf dem virtuellen Schirm erschien das extrem wütende Gesicht Marons. „Hatte ich mich nicht klar ausgedrückt?!“, schrie der demetanische erste Offizier seinen Untergebenen an. „Du solltest auf Ginalla aufpassen! Jetzt hat sie uns allen Vermutungen nach in einen Krieg manövriert. Die Föderation befindet sich im Krieg mit Genesia und sie vermuten, dass Sytania etwas damit zu tun hat! Wenn dies der Fall sein sollte, verlangt Nugura nach der Hilfe von uns und anderen telepathischen Verbündeten! Ich gebe zu, ich zähle mich wahrheitsgemäß nicht zu den Telepathen, aber ich arbeite für sie! Was hast du gemacht, als wir dich gebraucht hätten, damit du ihr ins Gewissen redest?!“ „Da war ich wohl gerade beim Stoßball.“, sagte Shimar. „Was!“, schrie Maron und verschluckte fast das Mikrofon. „Also, noch mal! Während du eine sonntägliche Sportveranstaltung samt Familienidylle genossen hast, schlittern wir durch die Unvorsichtigkeit einer Zivilistin in einen Krieg, den du eigentlich verhindern solltest! Hat IDUSA dich nicht gewarnt? Oder war dein Sprechgerät aus, so dass sie dich nicht erreichen konnte?! So kenne ich dich nicht! Du bist sonst immer so pflichtbewusst! Was isst mit dir los?!“

Marons Blick fiel auf N’Cara. „Wer ist das?!“, fragte er immer noch total außer sich.

Bevor Shimar allerdings antworten konnte, nahm IDUSA das Gespräch zurück und erklärte sachlich, wie es für sie als künstliche Intelligenz normal war: „Tut mir Leid, dass ich mich einmische, aber ich denke, ich kann den einzigen logischen Grund liefern, warum Shimar keine Ahnung von dem hatte, was geschehen ist.“ „Na dann.“, sagte Maron, der sich inzwischen wieder einigermaßen beruhigt hatte. Er wusste, wenn er sie anschreien würde, würde das nichts ändern und im Gegensatz zu Shimar würde ihr das auch nichts ausmachen können. Außerdem hatte er das unbestimmte Bauchgefühl, dass sie ihm gleich ein Argument liefern würde, das seine Wut ausbremsen konnte und nach dem er sich vielleicht sogar bei Shimar entschuldigen musste. Von 100 auf null in einer Sekunde war noch nie ohne Schleudertrauma ausgegangen.

„Ich stand in Kontakt mit der interdimensionalen Sensorenplattform.“, erklärte IDUSA. „Sie hat mir Daten geliefert, die mir nicht den geringsten Anlass dazu boten, Shimar vor irgendetwas zu warnen. Im Gegenteil. Laut den Daten, die ich bekommen habe, war Ginalla zwar auf dem Weg nach Genesia, hatte sich aber dort einem archäologischen Trupp angeschlossen. Ich vermute allerdings, dass die Plattform manipuliert wurde. Jedenfalls lässt die Logik keinen anderen Schluss zu.“

Maron sah Zirell an. „Das könnte durchaus sein.“, sagte die Tindaranerin. „Erinnere dich bitte, dass diese Ginalla sich schon einmal in ein tindaranisches System gehackt hatte, um ihr Ziel zu erreichen. Was ist, wenn sie ihrem Schiff so einen Befehl noch einmal gegeben hat, um Shimar und IDUSA abzuschütteln. Eine bewährte Taktik sollte man schließlich nicht ändern.“ „Ich denke, du hast Recht.“, sagte Maron. „Jenna sollte das überprüfen. Ich werde sie, als ermittelnder Agent, natürlich begleiten, aber …“ „Als erstes solltest du dich jetzt bei Shimar entschuldigen.“, sagte Zirell, nachdem sie seinen Vorschlag abgenickt hatte. „Sicher.“, entgegnete Maron und nahm das Mikrofon erneut in die Hand. Er holte einige Male tief Luft, bevor er die Sendetaste betätigte. „Es tut mir lLeid, Shimar.“, sagte er ruhig. „Nanu?“, wunderte sich der junge Patrouillenflieger. „Was hat IDUSA dir gesagt, dass einen solchen Sinneswandel bei dir hervorgerufen hat? Ich dachte schon, du lässt mich gleich strafexerzieren.“ „IDUSA geht davon aus, dass ihr beide manipuliert worden seit.“, erklärte Maron. „Sie sagt, sie vermutet, dass die Plattform mit falschen Daten gefüttert worden ist, um euch abzuschütteln. Ginalla hat sich schon einmal erfolgreich in ein tindaranisches System gehackt. Warum sollte sie etwas, das einmal funktioniert hat, kein zweites Mal versuchen? Ihr konntet also gar nicht wissen, was los war. Darum kümmern wir uns. Aber jetzt versucht bitte, dieses Problem irgendwie zu lösen und sie zu finden.“ „Sicher.“, sagte Shimar. „Übrigens, das ist N’Cara. Die hat man mir im wahrsten Sinne des Wortes aufs Auge gedrückt. Hier passieren eine Menge Dinge, Maron, die ich noch nicht einordnen kann.“ „Schon gut.“, sagte Maron. „Kein Problem.“ Er lächelte und drückte die 88-Taste.

Mit Problemen ganz anderer Art hatte Kamurus zu kämpfen. Traurig und verloren war er am Rand des genesianischen Sonnensystems entlanggedümpelt. Er hatte zwar einen Notruf abgesetzt, nachdem er sich endlich dazu entschließen konnte, befürchtete aber, dass die einzigen in Reichweite befindlichen Sprechgeräte genesianischer Herkunft waren. Wenn die Genesianer merkten, dass er noch da wäre, hätte es vielleicht sein können, dass sie ihn angreifen würden, weil er Ginalla eventuell eine Möglichkeit zur Flucht bieten könnte. Wenn er aber dafür sorgen könnte, dass die Genesianer dachten, sie hätten ihn zerstört, sähe das schon anders aus. Zu diesem Zweck musste er nur irgendwie einen perfekten Abguss von sich selbst schaffen.

Seine Sensoren stolperten buchstäblich über einen plötzlich in seinem Weg auftauchenden Einzelgänger, einen Planeten ohne Sonnensystem, der auch noch in Richtung einiger gasförmiger Ringe eines weit außerhalb des Sonnensystems liegenden Planeten unterwegs war. „Du kommst mir gerade recht.“, flüsterte Kamurus.

Er setzte Kurs in Richtung der Gasringe und pflügte in geringer Flughöhe über sie hinweg und hindurch. Dabei hatte er seine Hülle elektrisch so gepolt, dass sie viel von dem Gas ansaugte, das im Weltraum sofort gefrieren würde, wenn er sich nicht mehr bewegte. „Das war der erste Streich.“, stellte er fest und landete mitten auf dem Einzelgänger. Er schaltete alle Wärme erzeugenden Systeme aus. Jetzt würde das gefrorene Gas bald einen perfekten Eispanzer bilden. Dieser musste seinen Berechnungen nach um die 20 Meter dick werden, damit genesianische Sensoren ihn nicht durchdringen konnten. Außerdem mussten weitere drei Meter im Inneren oben, unten, rechts und links her, damit er, wenn er sich mit Hilfe seines Temperaturregelungssystems für die Außenhülle diesen Platz freigeschmolzen hatte, drei Meter steigen konnte, um unter sich ein interdimensionales Feld aufzubauen. So würde er außer Phase geraten und dann, weil er dann aus Energie bestand, jede feste Materie durchdringen können.

Ungeduldig wartete er ab, bis der Gefriervorgang abgeschlossen war. „Zu wenig.“, stellte er fest, nachdem er alles noch einmal gescannt hatte. „Der Panzer ist nur 10 Meter an jeder Seite dick. Wenn ich von innen jetzt die drei Meter an jeder Seite weg schmelze, um mich zu befreien und mir den Steigflug zu ermöglichen, sehen die Genesianer sofort, dass die Attrappe innen hohl ist und dabei dachte ich, ich hätte genug Gas gesammelt. War wahrscheinlich auch so. Nur ich habe die Hälfte unterwegs verloren. „

Er versuchte, mit den Transportersensoren ein weiteres Gasvorkommen zu erfassen, aber das klappte auch nicht, weil seine Sensoren zu empfindlich waren und die Eisschicht nicht mehr durchdringen konnten. Er konnte sich ja auch nicht freischießen und noch einmal zum Gassammeln los fliegen. Das würde ja ein Loch und später eine Nahtstelle bedeuten. Die Genesianer würden ihm dann auf jeden Fall draufkommen. Kamurus war verzweifelt. Jeder Anflug von Mut hatte ihn verlassen.

Tamin saß schweißnass in seinem Arbeitszimmer. Der mentale Kampf mit Shimar um seine Erreichbarkeit war auch an ihm nicht spurlos vorbei gegangen. Er hatte ihn sogar so angestrengt, dass es physische Auswirkungen gegeben hatte. Erschöpft sah er N’Ciba an, die ins Zimmer trat und ihm mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn wischte. „War es so schlimm?“, fragte sie mitfühlend. „Das kann man wohl sagen.“, entgegnete ihr sichtlich müder Ehemann. „Du kannst dir nicht vorstellen, was für einen Durchhaltewillen dieser junge Mann hat!“ „Oh, doch!“, antwortete N’Ciba voll Überzeugung. „Die Tindaraner benutzen meiner Information nach ihre Fähigkeiten auch im Kampf. Dass sie gut trainiert sein müssen, ist also logisch. Ich hatte dich gewarnt, dich dem allein zu stellen. Aber du wolltest ja nicht hören.“ Sie lächelte ihn an. „Das er mich doch nicht erreicht hat.“, sagte Tamin weiter. „Verdanke ich eigentlich seinem Schiff.“ „Seinem Schiff?“, echote N’Ciba unsicher. „Ja.“, erklärte Tamin. „Sie hat ihn sehr schnell von hier weggetragen. wäre das nicht der Fall gewesen, hätte ich sicher aufgeben müssen.“ „Dann können wir ja von Glück reden, dass sie, warum auch immer, ihn von dir fort gebracht hat. Sonst wäre der Plan unter Umständen noch gescheitert. Er darf nicht zu früh herausbekommen, was hier vorgeht. Auf keinen Fall zu früh. Das haben wir Brako, Nugura und Tolea versprochen.“ „Das haben wir, mein Liebling.“, versuchte Tamin, den Eifer seiner Frau zu bremsen. „Und es wird auch nichts geschehen, das den Plan gefährden könnte. Darauf kannst du dich verlassen. Übrigens, ich weiß, worauf sie reagiert hat. Wenn alles nach Plan verläuft, müsste sie auf den Notruf des celsianischen Schiffes reagiert haben.“ „Bestimmt war das auch so.“, vermutete N’Ciba und ging.

Ginalla saß in einer Art Werkstatt vor einer Konsole. Hier hatte sie eine Menge defekter Bohrsonden und anderer Gerätschaften vor sich liegen, die bei der Gewinnung von Kristallen von Nutzen waren. „Was machen diese ungehobelten Genesianer mit euch?“, wendete sich die Celsianerin scherzhaft an die Geräte. „Man könnte ja glatt das Gefühl kriegen, die behandeln euch mit Absicht wie Klump, damit ich ordentlich zu tun kriege und die Arbeit am Ende nicht schaffe, damit sie mir die Rationen kürzen können. Wenn das von Cyrade ausgeht, dann hat s’e sicher persönlich was gegen mich. Aber die alte Ginalla wird nicht zulassen, dass so etwas auf euren Rücken ausgetragen wird.“ Fast zärtlich nahm sie eine Sonde in die Hand und schloss sie an ihr Diagnosepad an.

Sie bemerkte eine Wärterin, die sich wohl auf ihrem stündlichen Streifengang befinden musste. „Hey!“, rief sie ihr zu. „Ich brauch’ mal jemanden zum Quatschen. Es geht um meine Arbeitsbedingungen hier.“ Die Wärterin drehte sich genervt um. Erst jetzt erkannte Ginalla, dass es sich um Athemes handelte. Gott sei Dank., dachte sie. Die kann wenigstens Englisch. Da muss ich nicht mit Händen und Füßen reden. „Was?!“, fragte die Genesianerin streng. Sie war es gewohnt, gegenüber den Gefangenen einen solchen Tonfall an den Tag zu legen. „Wenn es euch keine Umstände macht, dann hätte ich gern eine Assistentin.“, erklärte Ginalla, die sich vom Befehlston der Wärterin nicht hatte schrecken lassen. „Eine Assistentin willst du?!“, fragte Athemes und lachte schallend auf. „Ja.“, sagte Ginalla und machte ein lässiges Gesicht. „Ich krieg’ das nich’ allein hin hier. Is’ echt ziemlich viel, was eure Arbeiter kaputt machen. Ihr solltet sie echt besser einweisen. Außerdem kann mit kaputten Maschinen nichts gefördert werden und das mag Sytania sicher gar nicht.“

Athemes wurde blass. Die junge Wärterin war noch sehr idealisiert und hatte eine hohe Meinung vom Ehrgefühl der Genesianer. Sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass ihre Prätora unter Umständen für Sytania arbeiten würde. „Ja, ja.“, sagte Ginalla, um ihr noch weiter zuzusetzen. „Ich weiß Bescheid. Also, das ist ganz einfach für dich, aus der Nummer wieder raus zu kommen. Gib mir meine Assistentin und die liebe Ginalla vergisst ganz schnell wieder, was sie neulich gehört hat. Ansonsten is’ die Info ganz schnell bei Sytania, dass ihr ihr Kristalle vorenthaltet, nur um eine arme Gefangene zu quälen. Ich hab’ zwar keinen blassen Schimmer, wer diese Sytania ist, aber sie muss schon eine ganz schön mächtige Person sein, wenn du so’n Fracksausen vor ihr hast.“ „Schon gut.“, sagte Athemes. „Wen willst du?“ „Na das klingt ja schon ganz gut.“, lobte Ginalla. „Und weil heute dein Glückstag ist, will ich dir sogar antworten. Ich will Aruna!“ „Aruna?“, fragte Athemes ungläubig. „Die hat zwei linke Hände!“ „Die werde ich ihr schon abgewöhnen.“, sagte Ginalla zuversichtlich und ruhig. „Und lasst euch ja nicht einfallen, mir jemanden anders unterzujubeln, sonst … Ihr wisst schon.“

Sie machte eine Bewegung, als wolle sie in ihre Tasche fassen, um einen Kontaktkelch herauszuholen. Athemes schlotterten die Knie. Sie war eine junge und unerfahrene Wärterin und hatte wohl tatsächlich Angst, die Celsianerin hätte so etwas sogar vor den Sensoren der Eingangskontrolle verbergen können und es jetzt sogar in ihrer Sträflingskleidung versteckt. „Schon gut.“, stammelte Athemes. „Du kriegst sie.“ Sie winkte einer anderen Wärterin, die Aruna herüberführte. „Wie kannst du mich als Assistentin wollen?“, wollte die völlig verwirrte Aruna wissen. „Es ist wahr, ich habe zwei linke Hände und …“ „Ach, halt die Klappe.“, fuhr ihr Ginalla über den Mund. „Ich geb’ dir erst mal fne ganz leichte Aufgabe. Du kannst erst mal unseren Arbeitsplatz strukturieren. Sortier’ erst mal die Sonden in Software- und Hardwarefälle. Das kannst du ja wohl sehen. So. Und dann werden wir mal gucken, wie links veranlagt deine beiden Hände wirklich sind!“ Irritiert nickte Aruna und begann, die ihr von Ginalla aufgetragene Tätigkeit auszuführen.

Telzan hatte das ganze Geschehen durch den Kontaktkelch beobachtet. Er hatte die weiteren Pläne seiner Gebieterin zunächst in Gefahr gesehen, denn er glaubte, dass die Genesianerin oder die Celsianerin vielleicht verraten könnten, wer Sytania war und was ihr Motiv sei. Aber der Vendar konnte aufatmen. Ginalla schien nicht das Geringste über Sytania zu wissen. Sie schien für sie nur jemand zu sein, vor dem ihre momentanen Widersacher, die Wärterinnen im Gefängnis, große Angst zu haben schienen und das gereichte ihr im Augenblick zum Vorteil. Weitere Gedanken schien sie sich nicht zu machen und auch nie gemacht zu haben. Im Gegenteil! Sytania schien für Ginalla sogar positiv besetzt zu sein, was man vielleicht später sogar benutzen könnte.

Cirnach, Telzans Ehefrau, betrat das Zimmer. Sie sah das freudige Gesicht ihres Mannes und fragte: „Was erfreut dich so, mein fröhlicher Ehemann?“ „Das sollst du gleich erfahren, meine liebe Ehefrau.“, antwortete er und deutete auf das Sitzkissen neben dem Seinen. Cirnach setzte sich vertrauensvoll und er gab ihr eine Hand. Ihre Zweite führte er sanft auf den Fuß des Kontaktkelches. Vor Cirnachs geistigem Auge erschien das verschwommene Bild des genesianischen Gefängnisses. „Du musst dich darauf konzentrieren, Telshanach.“, flüsterte ihr Telzan zu. Dabei war er nach wie vor sehr aufgeregt. Er ahnte, sie würde, wenn sie alles sähe, sicher den gleichen Gedanken hegen wie er.

Cirnach folgte seiner Anweisung und das Bild wurde klarer. Sie sah Ginalla und Aruna, die sehr gut zusammenarbeiteten. „Was hat dich nun daran so erfreut?“, fragte sie verwundert. „Ich sehe nur zwei Gefangene, die gut zusammenarbeiten.“ „Warte.“, sagte Telzan ruhig und stellte sich den Sonnenlauf vor. Allerdings bewegte sich die Sonne in seinen Gedanken rückwärts. Für den Kontaktkelch kam dies einem Befehl zum Zurückspulen gleich. Jetzt konnte Cirnach sehen, was ihren Mann so erfreut hatte. „Sie ist so herrlich naiv!“, frohlockte die Vendar. „Ach, sie ist so herrlich naiv. Außerdem ist sie so auf ihren eigenen Vorteil bedacht, dass sie alle anderen Konsequenzen außer Acht lässt. Sie ist gar nicht wie alle anderen Offiziere der Föderation. Bei denen hätten sämtliche Alarmglocken geschellt, wenn …“ „Du vergisst, Telshanach.“, belehrte Telzan sie. „Dass Ginalla keine Offizierin ist. Sie ist eine Zivilistin mit wohl keiner so großen Schulbildung, die nur für den eigenen Spaß lebt. Ich bin überzeugt, es ist ihr total egal, wer unsere Gebieterin ist und was für ein Motiv sie hat. Ginalla will nur die eigene Position verbessern. Dafür benutzt sie die Angst vor Sytania. Aber das kann uns ja auch nur einen Vorteil bringen. Ginalla verbindet mit Sytania etwas Positives. Also wird sie später, wenn unsere Gebieterin ihren Plan ausführt, auch keine unangenehmen Fragen stellen und uns brav aus der Hand fressen.“

Cirnach zog ihre Hand vom Kelch und die andere aus der Seinen. Dann sprang sie auf und rief: „Du bist so klug, mein Ehemann! Wirst du unserer Gebieterin berichten, was du gerade gesehen hast?“ „Das werde ich!“, entgegnete Telzan. „Allerdings glaube ich, dass sie durch ihre Allmacht schon längst weiß, was wir auch wissen. Erwähne aber nichts gegenüber Cyrade, wenn du gleich wieder nach Chenesa fliegst. Schließlich darf sie ja nicht merken, dass wir sie auch nur benutzen.“ „Darauf kannst du dich verlassen.“, antwortete Cirnach und grinste teuflisch, bevor sie das Haus verließ, um zu ihrem Shuttle zu gehen.

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