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Mitten in der Nacht hatte Sedrin die Sprechanlage der Wohnung, die Scotty jetzt allein bewohnte, betätigt. Der verschlafene Chefingenieur a. D. hatte im schwachen Licht der für die Nachtphase typischen Notbeleuchtung nicht erkannt, woher der Ruf kam, denn er hatte das Display nur schwer ausmachen können. „Wer ist dort?“, fragte er knurrig. Scotty konnte es auf den Tod nicht leiden, wenn man ihn aus seinen schönsten Träumen weckte. „Hier ist Agent Sedrin.“, meldete sich die Demetanerin ruhig. „Bitte ziehen Sie sich an, Techniker. Ich komme gleich zu Ihnen. Wir müssen Terra verlassen. Hier sind Sie nicht mehr sicher. Chief-Agent Tamara und ihre Kollegin, Chief-Agent Zoômell, denken, dass Sie besser auf Tindara aufgehoben sind. Die Tindaraner haben ganz andere Möglichkeiten, jemanden in Ihrer Situation zu beschützen.“ „In meiner Situation?“, fragte Scotty nach. „Sie sind unser wichtigster Zeuge.“, erklärte Sedrin. „Sie sind der Einzige, der uns über die kommenden Angriffe Sytanias informieren kann. Bitte stellen Sie mir jetzt keine Fragen mehr. Ich erwarte Sie vor Ihrer Tür!“ Bei ihren letzten beiden Sätzen hatte sie eine leichte Strenge in ihre Stimme gelegt, um ihn zur Eile zu treiben. Sie wusste, dass sie nicht viel Zeit hatten.

Scotty warf seine Kleidung über und wankte immer noch sehr schlaftrunken zur Tür. Hier traf er auf die etwas hektisch dreinschauende Sedrin, die ihm sofort eine Tasche in die Hand drückte „Ihr Gepäck.“, erklärte sie. „Wir reisen als befreundete Touristen. In zwei Stunden geht der Liner nach Tindara. Also beeilen Sie sich bitte.“

Scotty setzte die Tasche ab und lüftete den Verschluss, um zumindest einen Blick zu erhaschen. „Dafür haben wir keine Zeit!“, drängte Sedrin. „Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt!“ „Sorry, Agent.“, entschuldigte sich Scotty. „Aber ich muss doch wohl wissen, was der Schotte unter’m Kofferdeckel hat, falls ich den Koffer identifizieren muss.“ „Es ist das durchschnittliche Gepäck eines Terraners zur Urlaubszeit.“, erklärte Sedrin. „Hauptsächlich Kleidung und Schuhe. Ach ja. Wundern Sie sich bitte nicht, wenn ich Sie beim Einchecken duze. Das müssen wir tun, um unsere Tarnung aufrecht zu erhalten. Also, lassen Sie den Techniker und ich den Agent hier und dann komm!“ „Na gut, Sedrin.“, sagte Scotty und folgte ihr vor das Gebäude. Hier stiegen sie in ein normales Taxi, dessen vulkanischer Fahrer keinen Verdacht hegte, denn das Gebäude war ja offiziell Eigentum der Sternenflottenakademie. Es war für ihn zwar etwas ungewöhnlich, jemanden hier mitten in der Nacht abzuholen, aber Sedrin sagte einfach, ohne mit der Wimper zu zucken oder rot zu werden: „Mein Freund ist hier Professor. Er hatte noch zu tun. Leider konnte er das nicht während seiner normalen Arbeitszeit erledigen, weil ihm noch einige Gespräche mit Kadetten dazwischen gekommen sind.“ „Ja, ja. Die Kadetten.“, bestätigte Scotty ihre Geschichte und versuchte leicht genervt zu klingen. „Aber jetzt geht es erst mal in den wohl verdienten Urlaub, den ich mit meiner besten Freundin verbringen werde. Ich bin im Moment Single und da bietet sich das ja an.“

Warum die Beiden dem Fahrer diese Legende auftischten, war Scotty, obwohl er kein ausgebildeter Agent war, auch längst klar. Falls jemand irgendwas an der Sache merkwürdig finden könnte und, warum auch immer, Ermittlungen beginnen würden, hätte man einen Zeugen, der die Legende, die der Geheimdienst sich für ihn und Sedrin überlegt hatte, bestätigen könnte. Der Vulkanier würde zwar lügen müssen, aber er wusste das ja nicht und deshalb war es für ihn die Wahrheit. „Eine gute Legende ist die halbe Tarnung.“, hatte Sedrins alte Professorin für Spionage an der Akademie ihren Kadetten immer eingebläut. Daran hatte sich die Demetanerin bis heute gehalten und Tamara und Zoômell sogar beim Ersinnen der Legende geholfen.

Das Taxi, ein ebenfalls elektrisch betriebener schwarzer Jeep, bog in die Straße zum Raumflughafen ein. Wie schnell sie in Washington waren, hatte Scotty nicht bemerkt. Er hatte sich mit seiner neuen Identität beschäftigt. Auch Sedrin hatte getan, als würde sie die Ihre auswendig lernen, um ihn nicht unnütz unter Druck zu setzen.

Wenige Minuten danach betrat er mit ihr das Gebäude des Raumflughafens. „Wir sollten uns aber mit du ansprechen, Scotty.“, zischte sie ihm zu. „Schließlich reisen wir als befreundete Touristen.“ „OK.“, flapste der Schotte. „Laut meiner neuen Identität nennst du mich also dann Montgomery Miller.“ Er bemerkte kleinlaut: „Wenigstens ist mir mein Vorname geblieben. „Montgomery ist ein ganz normaler männlicher Vorname im englischen Sprachgebrauch.“, erklärte Sedrin. „Genau wie Miller ein normaler Allerweltsname ist. Bei mir ist es ähnlich. Ich heiße auch noch immer Sedrin, weil jede dritte Frau auf Demeta so heißt. Aber ich bin verheiratet und mein Mann heißt Yaron. Wenn wir uns also im Urlaub verlieren, musst du nach Sedrin Yaron fragen.“ „Kapiert.“, sagte Scotty.

Beide stellten ihr Gepäck auf eine Platte vor einem Terminal in der Abflughalle und legten ihre Finger auf eine weitere. Dann erschien im Display eine Nummer, die Sedrin später in eine Konsole eingab, die eine Schwingtür aktivierte, die sie direkt zu ihrem Shuttle leitete. Sie gingen den bequemen Steg entlang und kamen an Bord, wo ein Flugbegleiter sie zu ihren Plätzen brachte.

Aruna und Ginalla hatten sich in ihrer Zelle wieder getroffen. „Warum wolltest du mich unbedingt als Assistentin?“, fragte die Genesianerin. „Weil ich das Gefühl habe, dir noch was zu schulden.“, knurrte Ginalla zurück, die schon wieder im Halbschlaf war. „Wieso?“, fragte Aruna irritiert. „Weil du mein Leben gerettet hast.“, entgegnete Ginalla. „Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich an dem verdammten elektrischen Schlag gestorben. Hätte eigentlich selbst drauf kommen müssen. Bin sicher die reinste Lachnummer für dich. Eine Celsianerin, die noch nicht mal hinter ein technisches Geheimnis kommt.“ „Ach was.“, meinte Aruna abfällig. „Das habe ich schon längst vergessen. Aber was ich dich noch fragen wollte, wie bist du auf die Sache mit Sytania gekommen?“ „Ganz einfach.“, grinste die Celsianerin. „Ich höre Nachrichten und weiß daher, dass die Föderation pro Logar ist. Warum sollten dann nicht ihre Feinde, die Genesianer, pro Sytania sein?“ „Ich glaube, die oberste Prätora hält auch nichts von Sytania.“, entgegnete Aruna. „Aber Prätora Cyrade scheint das anders zu sehen. Ich glaube, sie verehrt eine Göttin mit schwarzen Augen. Ich habe einmal einen merkwürdigen Anhänger an ihrem Hals gesehen.“ „Soll uns doch egal sein, wen die anbetet!“, raunzte Ginalla. „Wichtig ist, dass wir mit der Erwähnung des Namens Sytania anscheinend alles kriegen, was wir wollen. Alles andere ist mir Sch …“ „Schon klar.“, entgegnete Aruna, die anscheinend etwas mehr nachdachte als Ginalla. Im Gegensatz zu ihr war der jungen Genesianerin klar, dass hier etwas am Gange war, das nicht mit rechten Dingen zuging.

Mikel hatte mich in der Mangel. Für mich war dieser Umstand sehr unbequem. Es gab Zeiten, da hatte ich mich in Mikels Mangel sehr wohl gefühlt, aber jetzt war dies nicht der Fall. Immer und immer wieder wiederholte der erste Offizier gegenüber mir die gleichen Fragen. „Ich weiß es nicht!“, beteuerte ich zum ich weiß nicht wievielten Mal. „Ich kann dir nicht sagen, was oder wer mich mit Savarid-Strahlung infiziert haben könnte.“ „Eines steht fest.“, sagte Mikel. „Deine Infektion muss auf deinem Flug nach Alaris passiert sein. Vorher hattest du keine Savarid-Strahlung in deiner Hirnrinde. Ich habe mit Loridana gesprochen. Hat dir Korelem etwas gegeben, das du vorher nicht hattest oder hat er dich irgendwie mit einer Spritze oder anderem medizinischen Gerät behandelt?“ „Nein.“, sagte ich. „Ich weiß nur, dass ich einen alaranischen Freundschaftskelch von ihm bekommen habe. Er hat gesagt, wenn ich ihn zum Trinken meines Frühstückskaffees verwende, würde eine symbolische gedankliche Brücke …“ „Das könnte es sein.“, sagte Mikel. „Würdest du den Kelch bitte holen?“ Ich nickte. „Glaubst du wirklich, dass es etwas mit dem Kelch zu tun hat?“, fragte ich. „Ich meine, warum sollte Korelem so etwas tun? Er ist ein einfacher Zivilist. Wie sollte er Zugang zu so etwas erhalten?“ „Er ist kein einfacher Zivilist.“, widersprach Mikel. „Er scheint so etwas wie ein V-Mann zu sein. Jedenfalls hat er auf eurem Flug mit dem Chief-Agent der Sternenflotte geredet. Ein einfacher Zivilist hat ja wohl kaum Tamaras Rufzeichen.“ „Deine direkte Vorgesetzte?!“, entfuhr es mir. „Du meinst also, es war Absicht?!“ „Das denke ich!“, sagte Mikel mit Überzeugung, dem langsam alles klar wurde. „Ich habe das Gefühl, wir sind alle Teil eines Plans.“

Die Sprechanlage von Mikels Quartier, in dem wir uns befanden, piepte plötzlich. „Hier ist Agent Mikel.“, beantwortete selbiger den Ruf. „Mikel, ist Betsy noch bei Ihnen?!“, kam Kissaras hektische Stimme zurück. „Ja.“, sagte Mikel ruhig. „Kommen Sie zwei sofort zur Brücke!“, befahl sie. „Es ist etwas passiert, bei dem nur Sie helfen können!“

Mikel hängte das Mikrofon ein und wir stürzten auf den Flur zum nächsten Turbolift. „Wieso können nur wir helfen?“, fragte ich ihn verwundert. „Ich kann auch nur vermuten.“, vertröstete er mich. „Aber ich glaube, dass sich jemand nach Blind Man’s Land verirrt hat. Du und ich, Betsy, wir können im Notfall nach Gehör und Hosenboden navigieren. Aber verlang das mal von einem sehenden Piloten.“ „Oh, Mann.“, flüsterte ich.

Wir betraten die Brücke. „Da sind Sie ja!“, rief Kissara hektisch. „Mikel, Sie fliegen unser Schiff. Betsy, Kang wird Ihnen gleich wieder Ihren Posten übergeben. Er hat einen Frachterpiloten am SITCH, der nach Blind Man’s Land geraten ist. Um da wieder raus zu kommen, braucht er Ihre Hilfe. Mikel ist der Einzige, der außer Ihnen noch mit dem Hilfsmittelprogramm umgehen kann. Aber Sie werden gleich alle Hände voll damit zu tun haben, ihn zu uns zu sprechen.“ „OK, Mafam.“, sagte ich und tauschte mit unserem klingonischen Waffenoffizier den Platz. „Die Verbindung besteht noch immer, Allrounder.“, meldete Kang. „OK, Mr. Kang.“, sagte ich. „Gehen Sie wieder auf Ihren Posten.“ Der Waffenoffizier nickte und nahm wieder seinen Platz hinter dem Waffenpult ein.

Ich steckte meinen Ohrhörer ein und nahm das Mikrofon in die Hand. „Hier ist Allrounder Betsy.“, identifizierte ich mich. „Andrew King.“, kam es zurück. „Sehr angenehm. Bitte helfen Sie mir, Allrounder. Ich hatte einen Ausfall des Kursrechners. Als ich den wieder hoch gefahren hatte, war es schon zu spät. Da hing ich schon hier. Sämtliche Sensoren sind ausgefallen. Auf Sicht fliegen kann ich auch nicht, weil die verdammte Sonnenstrahlung so blendet. Verdammt, ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist!“

Ich drückte die Break-Taste: „Keine Panik, Mr. King. Ich kenne Ihre Situation. Wir beide machen das jetzt zusammen, OK?“ „Wieso kennen Sie meine Situation?“, entgegnete er. Ich beschloss, mit keinem Wort zu erwähnen, dass ich selbst nicht sehen konnte. Das hätte ihn nur noch panischer gemacht.

„Computer, wie weit sind wir von der Position des rufenden Shuttles entfernt?“, fragte ich mein Hilfsmittelprogramm. „33 Parsec.“, antwortete der Rechner. „Sendeleistung des Sprechgerätes auf diese Entfernung beschränken!“, befahl ich. „Was haben Sie vor, Betsy?“, fragte Kissara. „Ich werde ihn mit Hilfe der Reichweite zu uns holen.“, sagte ich. „Wenn die Verbindung schlechter wird, weiß er, dass er sich von uns entfernt. Aber ich muss ein kontinuierliches Signal erzeugen, an dem er sich orientieren kann.“ „Fang an zu singen.“, schlug Mikel vor. „Das müsste funktionieren.“, sagte ich. Dann nahm ich die Verbindung erneut auf. „Mr. King.“, sagte ich. „Ich werde Ihnen jetzt gleich etwas vorsingen. Wenn die Verbindung schlechter wird, wissen Sie, dass Sie sich von uns entfernen. Wird sie besser, kommen Sie uns näher. Ihre Geschwindigkeit müssen Sie an ihrem Hosenboden erfühlen. Konzentrieren Sie sich auf das Gefühl, das Sie dort verspüren. Der Antrieb macht Vibrationen. Wenn diese stärker werden, fliegen Sie schnell. Werden sie schwächer, sind Sie langsam unterwegs.“ „Oh, Gott!“, sagte King panisch. „Nicht so viele Informationen auf einmal. Worauf soll ich mich konzentrieren?“ „Auf Ihren Arsch, verdammt!!!“, schrie ich ihn an. „Und jetzt reißen Sie sich zusammen! Sie müssen schon etwas mitarbeiten! Für unseren Traktorstrahl sind Sie noch zu weit weg!“ „Ich versuche es.“, versprach King. „Also los.“, sagte ich und begann, einen von Shannon gelernten irischen Gassenhauer zu schmettern. Wenige Minuten danach tauchte tatsächlich ein ziviles Shuttle vor uns auf. „Das klappt ja tatsächlich.“, staunte Kissara, die unsere eigenwillige Aktion zwar merkwürdig gefunden, Mikel und mich aber dann doch unterstützt hatte. „Betsy, Sie können Ihre Stimme schonen. Er dürfte jetzt wieder sehen können, wohin er fliegt.“, sagte sie.

Ich beendete meinen Gesang und ließ die Sendetaste los. „Vielen Dank, Allrounder.“, antwortete er. „Jetzt weiß ich wieder, wo ich bin. Aber ich glaube, mein Schiff benötigt einige Reparaturen. Vielleicht kann sich Ihr Ingenieur darum kümmern.“ Ich drehte mich fragend in Kissaras Richtung. „OK.“, sagte sie. „Weisen Sie ihn nach Andockplatz drei. Der ist frei. Jannings wird sich dann um sein Shuttle kümmern und Sie sich um ihn. Es wäre gut, wenn Sie ihn dazu überreden könnten, zu Loridana auf die Krankenstation zu gehen und sich mal richtig untersuchen zu lassen. Vor allem sollten seine Augen untersucht werden. Wenn er die Filter nicht rechtzeitig vorgeschaltet hat, könnte es für ihn sehr üble Folgen gehabt haben.“ „Aye, Commander.“, sagte ich und führte ihre Befehle aus.

Scotty und Sedrin hatten auf dem gesamten Flug nach Tindara nicht viele Worte gewechselt. Der Terraner fragte sich, wie die Agentin ihn und sich, wenn sie beide als Zivilisten durchgingen, auf eine tindaranische Militärbasis bringen wollte. Er dachte sich zwar, dass sie hierfür eine Lösung finden würde, aber er mochte keine Überraschungen. Dazu kam noch, dass sich die Beiden jetzt in einem ganz normalen tindaranischen Hotel wiederfanden. Die Empfangsdame hatte ihnen zwei Zimmer zugewiesen, die aber mit einer Verbindungstür verbunden waren. An diese klopfte Scotty nun. „Sind Sie da, Sedrin?“, fragte er. Sie öffnete von innen und zischte: „Ich habe dir doch gesagt, dass wir uns duzen.“ „Entschuldige.“, sagte Scotty und folgte ihr, die ihn mit sich ins Zimmer und dann auf das Sofa zog. „Wie hast du vor, uns auf eine Militärbasis zu bringen?“, fragte Scotty. „Ich meine, die können doch wohl am besten auf mich aufpassen und wenn Zoômell und Tamara ihre Finger im Spiel haben, wird es bestimmt noch fne Geheimoperation geben.“ „Schlaues Kerlchen.“, lobte Sedrin. „Ich sage nur so viel. Morgen machen wir einen ganz speziellen Rundflug über eine Basis, den andere Touristen nicht bekommen. Wir werden uns zwar in der gleichen Schlange anstellen, aber dann gibt es eine Sonderbehandlung. Also, an deiner Stelle würde ich jetzt schlafen gehen. Morgen müssen wir früh raus. Gute Nacht.“ Sie zeigte auf die Tür.

Zirell hatte Maron, Joran und Jenna zu sich bestellt. Sie hatte wie angekündigt vor, die Chefingenieurin, ihren ersten Offizier und den erfahrenen Vendar-Piloten zu der Sensorenplattform zu schicken, die in Verdacht stand, manipuliert worden zu sein. Jenna würde sicher herausfinden können, wer das war und Maron würde als ermittelnder Agent diese Informationen sicher gut gebrauchen können. Joran sollte sie hinbringen und dann auf sie warten, um ihnen gegebenenfalls sogar Deckung vor Feinden geben zu können. In der gegenwärtigen Situation, so fand Zirell, musste man mit allem rechnen. Insgeheim hatte Jenna bereits einen Verdacht, den sie aber nicht gegenüber ihrem Commander und den Übrigen äußern wollte, bevor er nicht verifiziert war. „Ich hoffe, ihr findet den Hacker.“, drückte Zirell ihren Wunsch aus. „Einen Hackerangriff auf Eigentum der tindaranischen Regierung sieht die Zusammenkunft nicht gern. Falls eine feindliche Macht dahinter steckt, werden wir unter Umständen Krieg führen müssen.“ „Welche feindliche Macht hast du unter Verdacht, Anführerin Zirell.“, wollte Joran wissen, der sich zu diesem Thema auch eine Theorie zurechtgelegt hatte. „Da gebe es einige.“, sagte Zirell. „Nehmen wir zum Beispiel mal deine ehemaligen Kumpanen. Telzan und seine Leute hätten bestimmt ein Interesse daran, die Zusammenkunft in einen Krieg zu stürzen. Wenn wir beschäftigt wären mit unserer eigenen Verteidigung, könnten wir der Föderation nicht gegen die Genesianer helfen, wenn man uns darum bitten würde. Das würde uns beide sehr schwächen und die lachende Dritte wäre Sytania, die dann die Föderation leicht überfallen könnte. Bei uns würde sie das nicht wagen, weil wir das sofort erkennen würden. Aber bei der Föderation sähe das schon anders aus.“ „Schöne Verschwörungstheorie, Zirell, bei allem Respekt.“, entgegnete Jenna. „Aber ich bin überzeugt, die Wahrheit ist viel harmloser.“ Sie stutzte, denn sie befürchtete, schon zu viel verraten zu haben, was ihre Theorie anging. „Was meinst du, Jenn’?“, fragte Zirell neugierig. „Das kann ich dir jetzt noch nicht sagen, wenn ich noch keinen Beweis habe.“, sagte Jenna, die sich sehr ertappt fühlte. „Aber sobald ich etwas weiß, bist du die Erste, die diese Information bekommt.“ Zirell lächelte ihr zu und beobachtete, wie sie und die Männer ihren Bereitschaftsraum verließen.

Shimar, N’Cara und IDUSA waren weiter dem Notruf gefolgt, den das Schiff bereits schon vor Stunden gemeldet hatte. Da sich IDUSA nach wie vor selbst lenkte, hatten Shimar und N’Cara genug Zeit, um ein paar grundlegende Dinge zu klären. „Merkst du jetzt endlich, dass es keinen Zweck hat zu versuchen, meinen Vater zu erreichen?“, grinste ihm die Jugendliche zu. „Allerdings.“, gab Shimar zu. „Dein Vater hat trotz seines hohen Alters noch eine ganz schöne telepathische Kondition. Ich hatte schon gedacht, ich würde so einen alten Mann leichter zum Aufgeben kriegen.“ „Hey!“, feixte N’Cara und piekte ihm in die Seite. „Sei froh, dass er mich nicht fliegen muss, junge Dame.“, mischte sich IDUSA ein, die beide Reaktionstabellen geladen hatte. „Wenn du ihn noch einmal so erschreckst, könnten wir abstürzen.“ „Tschuldige.“, sagte N’Cara mit Schmollmund. „Na gut.“, entgegnete IDUSA schnippisch. „Es ist doch alles OK!“, sagte Shimar streng in Richtung des Avatars. „Sie kann auch zwei und zwei zusammenzählen und hätte das mit Sicherheit nicht getan, wenn sie gewusst hätte, dass ich dich fliege!“ „Wenn Sie das meinen, Shimar.“, entgegnete IDUSA. „Ja, das meine ich!“, sagte Shimar fest. „Danke.“, atmete N’Cara auf. „Ich hatte schon Sorge, sie würde mich aus der nächsten Luftschleuse schmeißen.“ „So etwas tut sie nicht.“, tröstete Shimar. „Aber ich entnehme deiner Äußerung, dass du ganz genau weißt, wie gefährlich das in so einem Fall gewesen wäre. Wenn ich sie geflogen hätte, hätte ich mich sehr erschrecken und sie übersteuern können. Dann wären wir sicher irgendwo abgestürzt. Es gibt hier viele Planetoiden.“ „Ich weiß.“, antwortete sie.

Einige Minuten verstrichen, in denen keiner von beiden etwas sagte. Schließlich versuchte Shimar, das Gespräch auf ein unverfänglicheres Thema zu lenken. „Wo sind eigentlich deine Zöpfe?“, wendete er sich an N’Cara. „Die habe ich abgeschnitten.“, gab sie zu. „Sie erinnerten mich zu sehr an die Situation in Sytanias Gefängnis.“ „Schade.“, sagte Shimar enttäuscht. „Ich fand, dass sie dir gut standen.“

IDUSA drehte sich plötzlich und schwenkte in eine Umlaufbahn um einen Einzelgänger ein. „Ich habe die Quelle des Notrufes lokalisiert.“, erklärte sie ihr Verhalten. „Der Notruf kommt eindeutig aus diesem Eisgebilde.“ Sie zeigte Shimar ein Raumschiff aus Eis, das ihre Sensoren wahrgenommen hatten. „Das Ding sieht aus wie Kamurus.“, flüsterte Shimar verwundert. „Kannst du den Kern scannen?“ „Selbstredend.“, sagte IDUSA selbstbewusst. Dann änderte sie die Anzeige. „Ich werd’ verrückt!“, rief Shimar aus. „Er ist da drin!“ „Kein Wunder, dass die Kopie so perfekt ist.“, meinte N’Cara, die alles ebenfalls gesehen hatte. „Was könnte Kamurus dazu bewogen haben, sich einzufrieren?“, fragte IDUSA. „So etwas ist auf die Dauer sehr feindlich für seine Systeme und es macht für mich irgendwie keinen richtigen Sinn.“ „Ich könnte mir nur vorstellen, dass er einen perfekten Abguss von sich schaffen will.“, vermutete Shimar. „Aber wir können uns hier die Köpfe heiß reden. Fragen wir ihn doch selbst. Kannst du verbinden, IDUSA?“ „Gewiss kann ich das.“, sang die freundliche Stimme des Avatars zurück.

Shimar sah jetzt die Sprechkonsole vor seinem geistigen Auge. „Sie können sprechen.“, signalisierte IDUSA, dass sie die Verbindung aufgebaut hatte. „Kamurus.“, begann Shimar. „Hier spricht Shimar. Wir haben deinen Notruf empfangen und möchten wissen, wie wir dir helfen können. Was ist dein Plan?“ Er stellte sich vor, wie er die Sendetaste des ihm in die Hand simulierten virtuellen Mikrofons los ließ. „Hilfe brauche ich tatsächlich.“, entgegnete Kamurus. „Ginalla ist so unvernünftig! Sie ist in die Gefangenschaft der Genesianer geraten, weil sie einfach den Mund nicht halten konnte. Ich möchte die Genesianer von mir ablenken. Dazu möchte ich einen perfekten Abguss von mir schaffen, den sie hoffentlich zerstören werden. Dann werden sie glauben, das wäre ich. Inzwischen wollte ich mich verstecken und auf eine günstige Gelegenheit warten, um Ginalla zu befreien. Aber irgendwie funktioniert das nicht.“ „Nicht alles am SITCH.“, unterbrach ihn Shimar freundlich. „Lass mich zu dir an Bord. Dann werde ich sehen, was ich tun kann.“ „OK.“, erklärte sich Kamurus einverstanden.

Shimar stand auf, schulterte seine Tasche mit der Ausrüstung und befahl IDUSA: „Beam’ mich in Kamurus’ Cockpit!“ „Wie Sie wollen.“, sagte IDUSA. „Aber an Ihrer Stelle würde ich gut aufpassen, dass Prinzessin Hestia nicht spitz kriegt, dass Sie ihrem Gegner helfen.“ „Das kann sie ruhig wissen.“, erwiderte Shimar. „Diese Situation hat nichts mehr mit dem Ty-Nu-Lin-Ritus, einer Schnitzeljagd oder mit ähnlichen Spielen zu tun. Sie ist ernst. Es geht für Ginalla wahrscheinlich um Leben oder Tod. Außerdem haben wir eindeutige Befehle.“ Die hoch gezogenen Mundwinkel des Avatars, die ihm anzeigten, dass IDUSA gescherzt hatte, konnte Shimar nicht mehr wahrnehmen, da er den Neurokoppler längst abgesetzt hatte. „Ich habe einen Witz gemacht.“, erklärte das Schiff. „Sorry, IDUSA.“, entschuldigte sich Shimar. „Das habe ich irgendwie nicht registriert. Ich denke, ich bin einfach zu angespannt. Pass gut auf N’Cara auf und lass dich nicht wieder von ihr manipulieren. Nicht, dass sie dich noch dazu bringt, sie nach Genesia Prime zu beamen. Dann haben wir nämlich ein echtes Problem.“ „Keine Sorge.“, sagte IDUSA und sperrte demonstrativ alle Laufwerke. „So, jetzt bin ich so sicher wie ein Panzerschrank und falls die Kleine mich über den Neurokoppler zu programmieren versucht, blockiere ich auch den.“ „OK.“, sagte Shimar. „Dann ist ja alles gut. Und jetzt aktivieren!“

Er fand sich in Kamurus’ Cockpit wieder. Hier sah er den Neurokoppler, den sonst Ginalla benutzte, in der Ablagemulde auf der Steuerkonsole liegen.

Shimar nahm das Gerät an sich und schloss es an den entsprechenden Port an. „OK.“, sagte er. „Ich bin hier, Kamurus. Wenn du die Tabelle noch hast, die du damals von mir erstellt hast, dann lade sie bitte.“

Gespannt harrte der junge Tindaraner der Dinge, die da nun kommen würden. Tatsächlich sah er bald in das Gesicht des backenbärtigen Schiffsavatars. Allerdings war dieser nicht mehr so fröhlich, wie ihn Shimar in Erinnerung hatte. Jetzt war sein Gesicht eher von tiefer Verzweiflung gezeichnet. Shimar konnte sich gut vorstellen, dass dieses Gefühl sogar bis zu einem gewissen Punkt echt sein konnte. Kamurus war Mitglied einer fremden Spezies, die aus selbstständig denkenden Raumschiffen bestand und über die so gut wie nichts bekannt war. Er war zwar eine künstliche Intelligenz in Shimars Augen, aber wer wusste schon, was man über seine Spezies noch entdecken würde. Ihn wie ein Wesen zu behandeln würde dem jungen tindaranischen Flieger ohnehin nicht schwer fallen, denn in der tindaranischen Rechtsprechung waren die künstlichen Intelligenzen den Wesen aus Fleisch und Blut ja gleichgestellt. Mit diesem Grundgedanken war Shimar aufgewachsen und danach erzogen worden.

„Alles wird gut.“, tröstete Shimar, nachdem er sich gesetzt hatte. „Jetzt zeig mir erst mal unsere nahe Umgebung und dann erzähl mir noch mal, was du genau vorhast.“

Der Avatar trat vor Shimars geistigem Auge einen Schritt zurück, um einem virtuellen Monitor Platz zu machen, auf dem Shimar den Eispanzer und auch den dahinter liegenden Weltraum sehen konnte. Dann sagte der immer noch sehr verzweifelte Kamurus: „Ich glaube kaum, dass Sie mir helfen können, Shimar. Sie können den Panzer ja auch nicht dicker machen, damit genesianische Sensoren ihn nicht durchdringen können.“ „Erst mal kannst du mich duzen, wie du es bei Ginalla auch machst.“, korrigierte Shimar. „Und zweitens hast du ja noch gar keine Ahnung, was ich alles kann.“ „Einverstanden.“, meinte Kamurus. „Ich dachte ja nur, weil für tindaranische Schiffe gilt, dass sie ihre Piloten siezen müssen, und …“ „Du bist kein tindaranisches Schiff.“, stellte Shimar fest.

„Zu meinem Plan.“, meinte Kamurus dann. „Ich will bezwecken, dass die Genesianer mein Abbild zerstören, weil ich sie glauben lassen will, dass das ich war. Dann wiegen sie sich in falscher Sicherheit und ich kann Ginalla befreien. Aber sie dürfen nicht wissen, dass der Kern hohl sein wird, wenn ich diese Hülle per Interdimensionsflug verlassen habe. Deshalb brauche ich einen dickeren Panzer um mich. Aber ich konnte nicht genug Gas sammeln, das um mich gefrieren kann. Hier raus fliegen kann ich auch nicht, denn ich kann nicht aufsteigen, ohne die Hülle zu durchstoßen. Ich habe einfach noch keinen Platz. Wenn ich zu viel weg schmelze, bricht alles zusammen und das war’s.“ „Wenn du nicht zum gefrorenen Gas kannst.“, sagte Shimar. „Dann muss es eben zu dir kommen.“

Er konzentrierte sich auf das Bild von aus den Gasringen heraus fallenden Schneeflocken. Allerdings hatte er das Bild kaum im Geiste fertig gestellt, als es bereits über Kamurus zu schneien begann. „Wow.“, gratulierte sich Shimar selbst. „Das hätte ich nicht gedacht. So leicht war das noch nie. Heute muss mein Glückstag sein. Da hat sich die Plackerei mit IDUSAs Trainingsprogramm ja gelohnt.“

N’Cara war mit IDUSA allein. Wie versprochen hatte sie keine Anstalten gemacht, das Schiff in irgendeiner Weise zu manipulieren. Aber IDUSA hatte bemerkt, dass ihr etwas auf der Seele liegen musste. Das nervöse Herumdrucksen des Mädchens war dem aufmerksamen Schiffsavatar nicht entgangen. „Was ist denn, N’Cara?“, fragte sie freundlich. „Sorgen Sie sich um Shimar?“ „Oh, Gott.“, meinte der Teenager abfällig. „Duz mich bloß. Sonst komme ich mir vor wie meine eigene Großmutter! Aber du hast Recht. Ich mache mir Sorgen um Shimar. Kannst du mir zeigen, was da unten vorgeht?“ „Sicher.“, sagte IDUSA. Dann zeigte sie ihr auf dem virtuellen Monitor, was ihre Sensoren wahrnahmen. „Für mich sieht es aus, als würde Shimar versuchen, es auf diesem Einzelgänger kräftig schneien zu lassen.“, sagte IDUSA, die sich nicht erklären konnte, wo der Schnee ohne Wolken und ein Sonnensystem plötzlich herkommen sollte. „Anscheinend versucht er es nicht nur.“, lächelte N’Cara, deren Gesichtszüge ihr langsam zu einem schmachtenden Blick entglitten, den sie dem Avatar zuwarf. „Sag Shimar, ich liebe ihn.“, interpretierte IDUSA dieses Geschehen. Dabei legte sie die Töne einer alten terranischen Melodie in ihren Satz. Das Lied, um das es ging, musste aus den 70er oder 60er Jahren des 20. Jahrhunderts stammen. Nur ging es im Original um eine Frau Namens Laura, der diese Botschaft zukommen sollte.

IDUSA ließ ihren Avatar ein mitfühlendes Gesicht machen und sie sich langsam zu der sitzenden N’Cara hinunterbeugen. „Ich glaube.“, begann sie. „Ich muss dir reinen Wein einschenken, was Shimar angeht. Er ist leider schon vergeben. Seine Freundin ist eine Sternenflottenoffizierin und außerdem ist er doppelt so alt wie du. Euch trennen 15 Jahre, N’Cara. 15 Jahre. Das ist noch einmal dein ganzes Leben. Ich glaube kaum, dass ihr eine gemeinsame Basis finden könntet.“ „Ich bin schon 16.“, verbesserte N’Cara traurig. „Entschuldige.“, bat IDUSA und ließ es sich für N’Cara so anfühlen, als würde ihr jemand durchs Haar streichen. „Ich wollte dich nicht verletzen. Aber ich wollte auch nicht, dass du dir falsche Hoffnungen machst.“

Sie replizierte einige Taschentücher und beamte sie N’Cara direkt vor die Nase. „Danke.“, schluchzte diese. „Gern geschehen.“, sagte IDUSA. „Ich muss zugeben, ich habe nicht viel Erfahrung im Trösten von Humanoiden mit Liebeskummer, aber ich hoffe, ich konnte dich vor Schlimmerem bewahren. Das mit Shimar und dir hätte schon deshalb keine Zukunft, weil du minderjährig bist. Shimar hätte dann eine Strafe zu erwarten und dass kannst du ja auch nicht wollen.“

N’Cara fuhr zusammen. „Eine Strafe?!“, fragte sie erschrocken. „Nein, das will ich nicht! Aber ich kann doch nichts für meine Gefühle.“ „Das weiß ich doch.“, sagte IDUSA. „Denk erst mal nicht weiter drüber nach. Das macht dich nur traurig. Ich glaube nämlich, ich könnte deine Hilfe gebrauchen.“

Die kleine Lithianerin sah, wie das Bild, das ihr das Schiff zeigte, immer unklarer wurde. „Der Eispanzer wird dicker.“, erklärte IDUSA. „Wenn wir nicht schleunigst etwas an meinen Sensoren verändern, kann ich Shimar bald nicht mehr erfassen und zurückbeamen.“ „Deine Geo-Sensoren.“, überlegte N’Cara. „Damit kannst du doch auch durch meterdicken Fels scannen. Wenn ich die mit deiner normalen Bildgebung verbinde, dürftest du wieder den vollen Durchblick haben.“ „Das könnte funktionieren.“, meinte IDUSA. „Der notwendige Wartungsschacht dürfte dir bekannt sein.“ „Also dann.“, sagte N’Cara und stand auf.

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