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„Die Dicke des Eispanzers ist auf das Notwendige angewachsen!“, freute sich Kamurus. „Jetzt kann ich mir genug Platz frei schmelzen, um manövrieren zu können.“ „Dann stelle ich den Schnee jetzt ab.“, scherzte Shimar und ließ das Bild in seinem Kopf verschwinden. Alsbald versiegte auch der Fall der Flocken. „Fang du schon mal an zu schmelzen, während ich uns etwas Bewegung verschaffe.“, sagte Shimar. „Gut.“, erwiderte Kamurus und zeigte ihm die Steuerkonsole.

„Deine Bugspule ist festgefroren.“, stellte der junge Pilot nach einem Blick aus dem Fenster fest. „Aber das macht nichts. Ich gebe deiner E-Trimmung jetzt den Befehl zum deaktivieren. Dann kann ich die Spulen über die Menüs einzeln schalten. Der Rest deines Impulsantriebes liegt ja noch frei. Damit kann ich dich einige Zentimeter vom Boden lösen, damit du nicht ganz festfrierst. Du kommst zwar dann in Schräglage, aber damit komme ich klar. Du schickst dann einzelne Energiestöße mit voller Leistung durch die festgefrorene Spule. Damit dürftest du dein Temperaturregelungssystem dabei unterstützen können, sie frei zu schmelzen.“ „Ich vertraue dir.“, sagte Kamurus. „Obwohl deine Methoden etwas seltsam anmuten.“ Zum Beweis führte er Shimars Befehle prompt aus.

N’Cara war wieder in den Frachtraum des Schiffes gegangen, von dem aus sie schon einmal ihren Weg in den Wartungsschacht j22 gefunden hatte. Mit den Worten: „Das wirst du brauchen.“, hatte IDUSA ihr ein Sprechgerät und ein Verbindungsmodul repliziert. Das Modul würde sie brauchen, um die benötigte Leitung der Geo-Sensoren umzulegen. Mit dem Sprechgerät würde sie Kontakt zu IDUSA halten.

Das lithianische Mädchen sah den entsicherten Schacht vor sich und öffnete ihn, um sogleich hineinzuklettern. Jetzt offenbarten sich ihr lange Straßen von silbrig glänzenden Modulen, die alle aneinander gereiht waren und wie Legosteine miteinander verbunden wurden. Jedes der Module hatte einen kleinen Würfel auf der dem Inneren des Wartungsschachtes zugewandten Seite, der, wenn man ihn drehte, die Verbindung des Moduls zu seinem linken und rechten Nachbarn löste und es ermöglichte, es heraus zu nehmen. Kabel in den Schiffswänden wurden hierbei also überflüssig.

N’Cara fragte sich, welche der vielen Leitungen wohl die für ihre Aktion benötigten sein könnten. Aber sie vermutete, dass IDUSA die Einzige war, die ihr diese Frage beantworten konnte. Sie gab das Rufzeichen des Schiffes in ihr Sprechgerät ein. „Was gibt es, N’Cara?“, fragte IDUSA. „Ich benötige deine Hilfe.“, sagte das Mädchen ruhig. „Du musst mir sagen, ob ich die richtige Leitung zu fassen habe.“ „Und wie meinst du, dass ich dir dabei helfen kann?“, entgegnete das Schiff. „Ich werde jetzt gleich willkürlich ein Modul lösen.“, erklärte N’Cara. „Dann werde ich es auf und ab bewegen. Das dürfte ein Massesignal bei dir verursachen. Damit kannst du mir doch bestimmt sagen, an welcher Leitung ich bin.“ „Sicher.“, sagte IDUSA, die von N’Caras physikalischen Kenntnissen sehr beeindruckt war.

Die Kleine entfernte die Sicherung eines von ihr willkürlich ausgesuchten Moduls, wie sie es angekündigt hatte. Dann bewegte sie es auf und ab. „Volltreffer!“, sagte IDUSA motivierend. „Das ist schon mal die Leitung für meine Geo-Sensoren. Jetzt musst du nur noch die für meine übrigen Sensoren finden und die Leitungen verbinden. Nimm am Besten das Modul, welches du gerade in der Hand hast, schon einmal heraus. Dann hast du schon einen Anhaltspunkt.“ Dankbar nahm N’Cara ihren Vorschlag an. Sie hatte zwar vor Shimar mit ihren technischen Kenntnissen geprahlt und sich schon fast zur ausgebildeten Ingenieurin aufgeschwungen, jetzt aber merkte sie, dass zwischen den Kenntnissen einer Schülerin, die einige Physikstunden hatte und denen einer Schiffstechnikerin ein gravierender Unterschied bestand. Sie hatte jetzt sehr große Angst, etwas falsch zu machen. Sie dachte, dass sie IDUSA damit vielleicht auch sehr stark beschädigen könnte, wenn ihr ein Fehler unterliefe.

„Nur Mut.“, motivierte sie die Stimme des Schiffsavatars im Ohrhörer. „Ich habe Angst, dich zu beschädigen.“, antwortete N’Cara kleinlaut. „Ach was.“, tat IDUSA ihren Einwand ab. „Die wirklich gefährlichen Leitungen liegen ganz woanders. Du wirst meine Sensoren schon nicht aus versehen mit der Warpleitung koppeln. Die dafür notwendigen Schächte sind am ganz anderen Ende von mir.“ „Na gut.“, sagte N’Cara und löste ein weiteres Modul, um mit ihm genau so zu verfahren, wie mit seinem Vorgänger eine Leitung darunter. „Richtig.“, lobte IDUSA. „Und jetzt setzt du einfach das Verbindungsmodul dazwischen.“ N’Cara holte das Verlangte aus der Tasche und setzte es ein. „Ah, es werde Licht!“, stellte IDUSA fest. „Vielen Dank, meine kleine Ingenieurin. Das hast du sehr gut gemacht. Bitte komm jetzt wieder ins Cockpit. Dich interessiert doch ganz bestimmt, was Shimar so treibt.“

N’Cara nickte freudestrahlend und kletterte aus der Wartungsluke. Dann verschloss sie diese wieder mit der dazugehörigen Bodenplatte, die IDUSA wieder sicherte. N’Caras Selbstvertrauen war um einiges gewachsen. Ihre kleine Ingenieurin hatte das Schiff sie genannt. Anscheinend vertraute IDUSA ihr, wenn man so wollte, bereits mit ihrem Leben. Sie wusste recht gut, dass das Schiff dies nicht nur gesagt hatte, um sie wegen der Sache mit dem Liebeskummer zu trösten, sondern, dass IDUSA es auch tatsächlich ernst gemeint hatte.

Shimar hatte seine Hände auf die Konsole gelegt, an der sich auch die Ports für die Neurokoppler befanden. „Warum tust du das?“, wollte Kamurus wissen. „Weil ich nicht nur mit den Augen herausbekommen kann, ob sich deine Bugspule schon aus dem Eis gelöst hat. Dazu muss ich dich auch spüren.“, antwortete Shimar. „Da du keine Steuerkonsole wie ein Sternenflottenschiff hast, die Vibrationen überträgt, muss ich wohl improvisieren. Aber ich merke gerade, dass meine taktile Sensibilität nicht wirklich sehr groß ist. Kein Wunder, ich verlasse mich im Alltag zu sehr auf meine Augen. Da sind meine Hände in der Hinsicht nicht sehr geschult.“ „Denkst du trotzdem, dass du es hinkriegst?“, fragte Kamurus verunsichert. „Ich werde mein Bestes geben.“, versicherte Shimar. „Ich hoffe, dass es ausreicht. Wenn ich dich zu früh hochziehe, reiße ich dir unter Umständen die Bugspule ab.“ „Ich weiß.“, sagte das Schiff. „Dennoch bewundere ich deine Flexibilität. Ich wette, jeder andere Pilot hätte versucht, mich durch den Befehl zum Rückwärtsfliegen dazu zu bringen, die Leistung meiner Heckspule derart zu erhöhen, dass genau das passiert wäre. Das hätte mich schwer beschädigt.“ „Allerdings.“, stöhnte Shimar. „Manche denken halt nicht von zwölf bis Mittag. Aber so einer bin ich nicht. Gewalt ist keine Lösung. Mit Geduld und Spucke erreicht man viel mehr. Wenn ich doch nur ein besseres Tastempfinden hätte. Sehen kann ich nämlich nicht wirklich, ob sich deine Bugspule schon gelöst hat.“

Ich war bereits schon am Nachmittag ins Bett gegangen, weil ich die zweite Hälfte der Nachtschicht auf der Brücke übernehmen würde. Deshalb wollte ich etwas vorschlafen. Es war mittlerweile für mich normal geworden, von Shimar zu träumen. Ich träumte schon seit vielen Nächten nichts Anderes mehr. Aber sonst hatte ich immer das Gefühl, dass ich nur seinen Bericht las, oder nur das mitbekam, was er mental verarbeitete. Alles, was ich bis Dato mitbekommen hatte, war Vergangenheit. Aber jetzt war ich live dabei. Ich wünschte mir so sehr, dass ich ihm sagen konnte, dass er doch seine Gedanken durch mein taktiles Zentrum leiten sollte. Aber derart aktiv konnte ich in meine Träume nicht eingreifen. Wie bereits gesagt, war ich in so etwas voll schlecht, ja sogar schlechter als schlecht. Ich erinnerte mich an eine Begebenheit in meiner Schulzeit, bei der wir einen buddhistischen Tempel besucht hatten. Die Mönche hatten versucht, mit uns zu meditieren. Aber bei mir war nichts passiert. Mikel, der mir danach von seiner Erfahrung berichtete, hatte gesagt, dass es für ihn wie ein guter Schlaf gewesen war, aus dem er langsam aufwachte. Bei mir war gar nichts passiert! Aber Mikel hatte für das Mentale eben ein Talent und ich nicht. Aber ausgerechnet ich musste mich in einen Telepathen verlieben. Es würde an Shimar sein, die Kontrolle über diesen Traum zu übernehmen und alles selbst zu machen. Ich würde mich nicht wehren. Er brauchte mich und meine sensiblen Fühler ja jetzt.

„Kleines!“ Shimar hatte die zwischen uns in meinen Träumen durch die Savarid-Strahlung entstandene Verbindung bemerkt. „Jetzt weiß ich, was ich machen muss!“, sagte er zu Kamurus, dessen Avatar ihn fragend ansah. „Wovon sprichst du?“, wollte er wissen. „Check mal genau das Signal, das du von mir bekommst.“, sagte der junge Flieger ruhig. „Dann wird dir auffallen, dass es von einem Anderen leicht überlagert wird. Das ist meine Freundin. Sie kann sehr intensiv fühlen, weil sie nicht sehen kann. Ich werde diese Verbindung jetzt nutzen. Sei also bitte nicht zu irritiert.“

Er leitete alles, was er mit seinen Händen an Vibration erspürte, durch mein Tastzentrum. Das Signal, das zurückkam, sagte ihm genug. „Gleich haben wir es, Kamurus.“, flüsterte er dem Schiff zu. „Gleich bist du frei.“

Die Vibrationen brachen abrupt ab und es erfolgte ein kleines Klicken, welches von einer leichten Kippbewegung gefolgt wurde, nach dem Kamurus die E-Trimmung wieder aktivierte, um, wie es in der fliegerischen Fachsprache heißt, in Lage zu kommen. Dies bezeichnet das erneute Einnehmen einer geraden Position aus einer Schräglage. „Fein!“, lobte Shimar. „Genau das hätte ich dir auch als Nächstes befohlen. Aber du denkst ja sehr gut mit.“ Er strich mit den Fingern über die leeren Ports, wodurch er ein Massesignal erzeugte. „IDUSA mag das.“, erklärte er gegenüber dem leicht verwirrten Kamurus sein Verhalten. „Nicht nur deine IDUSA.“, sagte das Schiff.

N’Cara war ins Cockpit zurückgekehrt. „Warum hast du nicht einfach den Prozessor, der die Geo-Sensoren regelt, mit deinem Hauptprozessor zusammengeschaltet?“, fragte sie, während sie den Neurokoppler aufsetzte. „Weil er solche komplexen Systeme wie den Transporter oder den Biozeichenmonitor nicht managen kann. Er ist dafür zu langsam. Deshalb war es besser, die Leitung, die meine Geo-Sensoren mit diesem Prozessor verbindet, auf den Hauptprozessor zu legen. Aber deine Frage war durchaus berechtigt und zeigt mir, wie viel du wirklich von Technik verstehst.“, erklärte IDUSA. „Schmeichlerin.“, lächelte N’Cara.

Shimar hatte festgestellt, dass sich Kamurus nun fast den erwünschten Platz frei geschmolzen hatte. „Gib mir die genauen Sensorenwerte!“, befahl er ruhig. „Wie du willst.“, sagte Kamurus und zeigte ihm eine Tabelle mit den Werten, die genau die Entfernung zwischen Kamurus’ Außenhülle und der Wand der Eisskulptur wiedergab. Die beim Schmelzen entstandene Flüssigkeit war durch die starke Hitzeentwicklung jedes Mal sofort verdampft. „OK.“, sagte Shimar, nachdem er die Tabelle sehr genau studiert hatte. „Du hast es fast geschafft. Rechts, links, vorn und hinten würde die Entfernung schon mal fast stimmen, wenn man zu Grunde legt, dass du nach oben hin bereits fünf Meter neunzig frei geschmolzen hast. Wenn wir auf drei Meter aufsteigen, musst du nur noch zehn Zentimeter nachholen, bevor wir überall die erforderlichen drei Meter haben. Also komm.“ Er zog Kamurus vorsichtig bis auf drei Meter in die Höhe. Das Schiff bemerkte, dass es danach in der Mitte der Skulptur stehen blieb, ohne auch nur einen Hauch einer Vorwärtstendenz zu zeigen. „Wie machst du das?“, fragte Kamurus, der über die eigenen betriebstechnischen Fähigkeiten, die Shimar aus ihm herauskitzelte, selbst erstaunt war und dessen Befehle er eher unbewusst ausgeführt hatte. „Schau mal genau hin, was du bis jetzt gemacht hast.“, erklärte Shimar.

Kamurus lud ein spezielles Programm, mit dem er seine eigenen Funktionen analysieren konnte. „Du hast meine E-Trimmung deaktiviert und hast alle Spulen auf das gleiche Energielevel geschaltet.“, stellte er fest. „Genau.“, sagte Shimar. „Aber ich muss noch etwas anderes tun. Lass mich in die Software für den Interdimensionsantrieb.“ „Wozu?“, fragte Kamurus, dem es angesichts von Shimars Idee etwas mulmig wurde. „Ich muss dein Feld so weit einengen, dass es nur noch dich umfasst. Der Hersteller von tindaranischen Schiffen gibt eine Toleranz von drei Metern und mehr. Aber das ist in unserem Fall zu viel. Du könntest etwas von dem Eis mitnehmen und in deinem Abbild würde dann ein Loch entstehen. Dann würden die Genesianer erst recht Verdacht schöpfen.“ „Aber ich bin kein tindaranisches Schiff.“, argumentierte Kamurus. „Vielleicht sind meine Toleranzen ja geringer.“ „Genau das will ich sehen.“, entgegnete Shimar. „Hast du so was schon mal gemacht?“, fragte der Schiffsavatar ängstlich und zog die Stirn kraus. „Ich meine, was ist, wenn ich durch irgendeinen Umstand aus der Balance komme, während sich das Feld aufbaut. Dann kommt vielleicht ein Teil von mir nicht mit und die Scherkräfte erledigen meine Hülle und somit uns beide.“ „Ich gebe zu, dass ich das erst einmal gemacht habe.“, gestand Shimar. „Aber das war auch erfolgreich. Du siehst also, ich kann das. Ich kriege dich schon gehalten. Mach dir keine Sorgen. Du hast doch gesagt, du würdest mir vertrauen. Also beweise es mir. Du willst doch immer noch Ginalla befreien, oder?“ „Sicher.“, sagte Kamurus. „Ich bin nicht so ein Egoist wie Alice. OK. Sie hat damals mit dem Leben bezahlt, weil sie sich nicht selbst steuern konnte. Wenn Sharie nicht wäre, hätten wir das Autopilotprogramm nicht, das uns allen einen selbstständigen Flug ermöglicht. Ich hätte also auch weiterfliegen können und Ginalla ihrem Schicksal überlassen können. Aber das kommt für mich nicht in Frage, egal wie unvernünftig sie ist. Aber allein lassen kann ich sie nicht. Die Genesianer werden sie töten, wenn ich nichts unternehme. Aber ich habe sehr große Angst vor deiner Methode. Wenn das schiefgeht, dann ...“ „Ich verstehe dich.“, tröstete Shimar. „Wenn man mir von heute auf morgen sagen würde, auf hochhackigen Schuhen einen Hindernislauf zu absolvieren, hätte ich sicher auch Bedenken. Aber wenn mich jemand an die Hand nähme, der mich gut festhält, wäre das sicher nicht so schlimm. Ich kann dich auch mit derjenigen verbinden, mit der ich das schon mal gemacht habe.“

Per Gedankenbefehl gab Shimar IDUSAs Rufzeichen in Kamurus’ Sprechgerät ein. „Ginalla hat mir verboten, mit deinem Schiff zu reden.“, sagte Kamurus erschrocken. „Warum?“, grinste Shimar. „Glaubt sie, IDUSA könnte dich mit einem Virus infizieren?“ „Anscheinend ja.“, vermutete Kamurus, dem selbst nicht ganz klar war, warum seine Pilotin dies nicht zulassen wollte. In seinen Augen hätten sie noch viel von Shimar und IDUSA lernen können und es wäre sicher nie zu der Situation gekommen, in der sie jetzt waren. Shimar und sein Schiff hätten sie über die Risiken einer Begegnung mit den Genesianern aufklären können.

„Mein Sender kommt bestimmt nicht durch den Eispanzer.“, zierte sich Kamurus noch immer, die Verbindung zuzulassen. „Das weißt du doch gar nicht.“, sagte Shimar. „Deine Systemprotokolle sagen mir, dass du einen Sender mit sehr hoher Leistung hast. Warum probierst du es nicht wenigstens aus? Ich versichere dir, IDUSA beißt nicht. Sie wird dich auch nicht mit einem Virus infizieren. So unanständige Dinge macht sie nicht. Dafür ist sie zu gut erzogen. Ihr seid ja auch nicht unsere Feinde. Die Suche nach dem Tor zum Himmel ist ein religiöses Ritual und das weiß sie auch. Sie wird dir zwar Daten überspielen müssen, aber das ist auf Garantie kein Virus. Ich werde Euer Gespräch monitoren. Wenn IDUSA mich im Hintergrund sieht, traut sie sich das bestimmt nicht, dich zu gefährden.“ „Na gut.“, sagte Kamurus und initiierte die Verbindung.

Shimar sah jetzt die beiden Avatare vor seinem geistigen Auge, die sich gegenüber standen. „Wer bist du?“, fragte IDUSA. „Ich heiße Kamurus.“, antwortete derselbe. „Aha.“, meinte IDUSA schnippisch. „Du bist also der, dem wir den Hackerangriff auf den Hauptrechner der tindaranischen Streitkräfte zu verdanken haben.“ „Keine Spitzen, IDUSA!“, ermahnte Shimar sie, der sich über eine spezielle von Kamurus erstellte Schaltung ebenfalls am Gespräch beteiligen konnte. „Bitte verzeihen Sie, Shimar.“, entschuldigte sich IDUSA. „Schon gut.“, sagte Shimar. „Aber ich hoffe, das kommt nicht noch einmal vor. Kamurus benötigt nämlich unsere Hilfe. Feindliche Stimmung wäre da eher kontraproduktiv.“

IDUSA wurde hellhörig. „Was ist denn passiert?“, fragte sie und warf Kamurus einen tröstenden Blick zu. „Meine Pilotin ist eine nicht sehr hoch gebildete celsianische Zivilistin.“, erklärte Kamurus. „Sie hat sich im Ton vergriffen und jetzt ist sie Gefangene der Genesianer. Aber nicht nur das. Aufgrund irgendeines Umstandes, den ich nicht kenne, hat sie die Genesianer in einen Krieg mit der Föderation manövriert. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie es dazu gekommen ist. Gut, es gibt eine Aufzeichnung eines Gespräches zwischen Prätora Cyrade und Ginalla. Aber in diesem hat sie nie etwas gesagt, das einen Krieg zwischen der Föderation und den Genesianern auslösen könnte. Sie hat vielleicht nur dafür gesorgt, dass sie einen persönlichen Groll gegen uns beide hegen, aber sie hat sich in keiner Weise politisch geäußert, etwa, dass sie für die gesamte Föderation spräche oder so. Ich kann dir die Aufzeichnung überspielen, wenn du willst. Mal sehen, was du davon hältst. Eins kann ich dir sagen. Politik geht Ginalla dort vorbei, wo garantiert nie die Sonne scheint. Also wird sie sich auch nie politisch äußern.“ „OK.“, sagte IDUSA. „Du zeigst mir deins, ich zeige dir meins. Dafür zeige ich dir, wie klasse Shimar darin ist, mich auf einem gerade noch ausreichend großen Interdimensionsfeld zu balancieren.“ „Einverstanden.“, sagte Kamurus. „So helfen wir uns gegenseitig. Wer weiß, wo zu es gut ist.“

Die Schiffe nahmen den Austausch der Daten vor und Shimar staunte nicht schlecht, als ihm Kamurus schließlich doch die gewünschte Datei öffnete. „Na siehst du.“, sagte er. „IDUSA hat dich also überzeugt.“ „Das hat sie.“, sagte Kamurus. „Sie ist sehr überzeugend, deine IDUSA. Wenn ich nicht mit Sharie zusammen wäre, dann würde ich glatt …“ „Sekunde.“, grinste Shimar. „Du hast eine Beziehung mit einem anderen Raumschiff?“ „Genau.“, sagte Kamurus.

Er hatte nur nebenbei registriert, dass Shimar die Maße des Interdimensionsfeldes verkleinert hatte. Aber es machte ihm nichts aus. Er hatte durch IDUSAs Daten noch mehr Zutrauen zu Shimar gefasst und dachte nun, dass er es schon gebacken kriegen würde.

„Na dann.“, sagte Shimar, nachdem er die Daten abgespeichert und Kamurus interdimensionale Koordinaten außerhalb der Eisskulptur eingegeben hatte, die beide wieder in der Umlaufbahn des Planeten materialisieren würden. Zögernd baute das Schiff das Interdimensionsfeld auf. „Trau dich!“, motivierte Shimar Kamurus leise und beschwörend. „Ich hab dich. Keine Angst.“

Sie hatten den Interdimensionssprung hinter sich und betrachteten die Skulptur jetzt von oben. „Es ist perfekt.“, stellte Kamurus fest. „Finde ich auch.“, sagte Shimar. „Du warst sehr tapfer. Danke für dein Vertrauen. So, jetzt bringe ich dich in ein Versteck und da wartest du, bis ich dir Bescheid sage. Die Genesianer dürfen dich ja schließlich nicht sehen. Verbinde mich bitte noch einmal mit IDUSA. Sie muss uns folgen und das muss ich ihr sagen.“ „OK.“, sagte Kamurus.

„Bist du eifersüchtig?“, wollte N’Cara wissen, als sie die Szene um Shimar und Kamurus eine Weile beobachtet hatte. „Eifersucht ist eine Empfindung, N’Cara.“, korrigierte IDUSA. „Ich bin nicht in der Lage, Gefühle zu empfinden. Ich finde allerdings, dass Shimar korrekt gehandelt hat. Wir haben eindeutige Befehle, was Ginalla angeht. Wir sollen darauf achten, dass sie sich beim Spiel mit dem Feuer nicht die Finger verbrennt.“ „Schon klar.“, grinste N’Cara. „Das schließt Rettungsaktionen ein. Aber ich habe für diese Frau nicht viel übrig. Wenn sie wirklich den Krieg verursacht hat, dann mag ich sie nicht. Außerdem ist sie ja ohnehin unsere Gegnerin.“ „Du machst es dir recht einfach, junge Dame.“, tadelte das Schiff. „Aber zwischen einer Gegnerin in einem sportlichen Wettkampf und einer Feindin gibt es einen Unterschied. Shimar musste sich laut dem Buch von Ty-Nu-Lin dazu verpflichten, fair zu handeln. Das bedeutet, wenn sie in eine lebensgefährliche Situation gerät, aus der sie nicht allein wieder heraus kommt, ist es ihm geboten, ihr zu helfen. Anders herum gilt das Gleiche. Vor allem dann, wenn es um Leben und Tod geht. Und das ist jetzt ja wohl der Fall. Angesichts der momentanen Situation gehe ich davon aus, dass die Genesianer sie nicht unbedingt am Leben lassen werden. Sie werden nach einer Möglichkeit suchen, sie bei der nächst besten Gelegenheit zu töten.“

N’Cara lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Allerdings hatte das weniger mit IDUSAs Gardinenpredigt zu tun als mit dem Umstand, dass sie glaubte, Sytania oder einen ihrer Schergen telepathisch wahrzunehmen. „Was ist los?“, fragte IDUSA Anteil nehmend. „Ich glaube, Sytania ist im Anmarsch.“, sagte N’Cara mit zitternder Stimme. „Ich hatte das gleiche Gefühl, als Shimar und ich in ihrem Gefängnis waren.“ „Lass mich mal nachsehen.“, sagte IDUSA. „Warte.“, meinte das Mädchen. „Ich glaube, ich sollte zunächst deine Sensoren wieder ummodeln. Dann siehst du auch wieder klarer. Deine Geo-Sensoren sind ja jetzt nicht mehr notwendig.“ „Gut.“, meinte IDUSA und leuchtete ihr den Weg zum Wartungsschacht aus.

Shimar war mit Kamurus auf dem Weg zu einem Mond, dessen Pole dem Schiff guten Schutz vor genesianischen Sensoren bieten würden. Er hatte IDUSA gesagt, dass sie ihnen folgen sollte, aber da immer noch das Sensorenproblem bestand, hatte sie dies noch nicht tun können. „Weißt du, was ich merkwürdig finde?“, fragte Shimar, der sich die Aufzeichnung, die Kamurus IDUSA überspielt hatte, selbst noch einmal angesehen hatte. „Ich verstehe nicht, wie die oberste Prätora darauf kommt, dass Ginalla gesagt haben soll, sie spräche für die gesamte Föderation, wenn ihr Politik am … du weißt schon.“ „Ich weiß.“, antwortete das Schiff. „Aber euer erster Offizier, der deine Quelle ist, was diese Information angeht, kann ja auch nur davon ausgehen, was ihm gesagt wurde. Vielleicht wurden wir ja alle getäuscht. Alle inklusive der obersten Prätora.“ „Könnte sein.“, überlegte Shimar laut. „Jedenfalls würde nur so ein Schuh draus. Die Aufzeichnung besagt ja auch, dass deine Ginalla den Satz mit der Föderation nie gesagt hat. Ich gehe davon aus, dass Prätora Unehrenhaft ihr eigenes Süppchen kocht und dass sie Shashana benutzen will. Deshalb hat sie wahrscheinlich gelogen, dass sich die Balken biegen. Ginallas verbaler Ausrutscher mit den drogensüchtigen Scharlatanen kam ihr da sicher gerade recht. Den hat sie dann nur noch etwas aufgebauscht und fertig war der Grund für den Krieg.“ „Was glaubst du, Shimar, könnte Cyrades Motiv sein?“, fragte Kamurus. „Sytania zu helfen.“, antwortete der Patrouillenpilot. „Wenn die Föderation in einen internen Krieg in ihrer Dimension verwickelt wäre, würde sie nicht mehr darauf reagieren können, was von außen kommt. Sie wäre zu abgelenkt und Sytania könnte in aller Seelenruhe irgendeinen Randplaneten überfallen und sich dort heimlich still und leise einen Brückenkopf errichten.“ „Das wäre ja furchtbar!“, entgegnete Kamurus und ließ seinen Avatar sich schütteln. „Ich weiß nicht wirklich viel über diese Sytania, aber sie soll eine ganz linke Bazille sein.“ „Darauf kannst du wetten!“, sagte Shimar mit Überzeugung.

Sie hatten die Position erreicht. Shimar deaktivierte Kamurus’ Antrieb und ließ ihn den Ankerstrahl setzen. „So.“, sagte er. „Hier bleibst du und wartest, bis wir dir Bescheid geben. Sobald IDUSA hier ist, wird sie mich an Bord holen. Dann werde ich versuchen, Ginalla zu dir zurück zu bringen.“ „Wie willst du das anstellen?“, fragte Kamurus verwirrt. „Du bist männlichen Geschlechts. Du wirst bei den Genesianern kein Gehör finden.“ „Ich nicht.“, sagte Shimar und grinste listig. „Aber ich bin in weiblicher Begleitung. Sie werden sie anhören.“ „Das Mädchen?“, fragte Kamurus. Shimar nickte. „Aber sie ist erst 16.“, meinte Kamurus. „Bei den Genesianern ist man mit 16 schon eine vollständige Kriegerin.“, erklärte Shimar. „IDUSA und ich werden N’Cara selbstverständlich helfen, wenn es nötig sein würde. Sie wird einen Knopf im Ohr haben.“ „Dann bin ich beruhigt.“, sagte Kamurus, der auch unter seinesgleichen als sehr fürsorglich bekannt war.

IDUSA hatte, nachdem N’Cara ihre Sensoren wieder umgepolt hatte, die Gegend gescannt. Ihr war ein kleines Schiff aufgefallen, das auf einer Waldlichtung landete. In der Nähe des Landeplatzes stand Prätora Cyrade. Sie und ihre Tochter Ataura schienen auf etwas oder jemanden zu warten. „Hast du das Gefühl immer noch?“, fragte IDUSA und ließ das Gesicht ihres Avatars weich schauen. „Und wie!“, sagte die kleine Telepathin. „Was ist das eigentlich für ein Schiff? Hast du das größer?“

IDUSA vergrößerte den Inhalt des virtuellen Schirmes. „Ein Veshel!“, rief N’Cara aus. „Kein Wunder, dass es mir so schlecht geht. Kannst du rauskriegen, wem es gehört?“ „Tut mir Leid.“, sagte IDUSA. „Es sendet kein Transpondersignal. Ich schätze aus gutem Grund. Wahrscheinlich will sein Pilot nicht, dass man es und ihn identifizieren kann.“ „Aber was soll die Genesianerin dabei?“, fragte N’Cara. „Ich weiß es nicht.“, sagte IDUSA. „Aber die Vermutung liegt nahe, dass es hierbei um kriminelle Geschäfte geht. Ohne Transpondersignal zu fliegen ist die Praxis von Schmugglern und Raumpiraten. Das könnte allerdings auch bedeuten, dass die gute Cyrade Dreck am Stecken hat. Um das zu beweisen, würde ich gern alles aufzeichnen, wenn du nichts dagegen hast.“ „Natürlich habe ich nichts dagegen. Kannst du das auch noch, wenn wir Shimar folgen?“, sagte N’Cara. „Sicher.“, erwiderte das Schiff. „Dann zeichne was das Zeug hält!“, grinste die kleine Lithianerin.

Zwischen den Bäumen glitt das Veshel Richtung Grund. Mit Spannung beobachteten Cyrade und ihre Tochter das Geschehen. Es schien fast, als würden sie das Aussteigen der teuflisch grinsenden Vendar-Frau, die das Schiff flog, geradezu herbeisehnen. Endlich erloschen Landelichter und Antriebsgeräusch und die Luke öffnete sich. Langsam und fast ehrfürchtig setzten sich die beiden Genesianerinnen in Bewegung, um zu der Vendar zu gelangen, die vor ihrem Schiff stehen geblieben war. „Seid gegrüßt, Cyrade und Ataura El Chenesa.“, sagte Cirnach feierlich. „Auch wir grüßen dich, Cirnach, Vertraute unserer Göttin Sytania.“, entgegnete Cyrade. „Wir haben auch die Opfergaben bei uns!“, drängte sich Ataura ungestüm dazwischen. „Eile mit Weile, Kind.“, sagte Cirnach. „Ich hatte nichts anderes erwartet. Ihr opfert ja auch immer pünktlich. Meine Gebieterin und mich würde aber ein ganz anderes Faktum interessieren. Was ist mit der Celsianerin? Ist sie noch immer eure Gefangene?“ „Warum hat deine Gebieterin ein so großes Interesse an dieser Celsianerin?“, fragte Cyrade. „Ich meine, eine Göttin müsste sich doch nicht mit Einzelschicksalen abgeben.“ „Sytania hat ihre Gründe!“, erwiderte Cirnach streng. „Du wirst doch die Gründe einer Göttin nicht infrage stellen!“ „Natürlich nicht.“, sagte Cyrade und sah die Vendar beschwichtigend an. „Also.“, entgegnete Cirnach. „Vielleicht können wir dich und deine Gebieterin mit den Opfergaben wieder gnädig stimmen.“, schlug Ataura vor und drehte sich zum Gehen. „Na schön.“, meinte Cirnach mürrisch. „Zeigt her!“

Sie gingen einen ausgetretenen Trampelpfad entlang, der sie zu einem geparkten Jeep führte. Cyrade öffnete dessen Kofferraum. Cirnachs Blick fiel auf Unmengen von Kristallen. Sie nahm einen heraus und hielt ihn lange mit beiden Händen umschlossen. Ihr konzentrierter Blick verriet den Genesianerinnen, dass sie wohl prüfte, ob die Kristalle den Ansprüchen ihrer Gebieterin genügen würden.

Cirnach ließ den Kristall in den Kofferraum zurücksinken und lächelte. „Sehr gut.“, sagte sie dann. „Diese Kristalle werden die göttliche Macht meiner Gebieterin sehr verstärken. Sie sind besser als alles, was ihr mir bisher mitgegeben habt. Ihr müsst effizientere Sonden haben, die sie aufspüren können, habe ich Recht?“ „In gewisser Weise.“, sagte Cyrade. „Die Celsianerin hat unsere Sonden verbessert.“ „Dann hoffe ich, dass sie noch lange eure Gefangene bleibt.“, grinste Cirnach dreckig. Dann gab sie einige Befehle auf Vendarisch in ihr Sprechgerät ein, worauf der Computer ihres Schiffes die Kristalle in dessen Laderaum beamte. „Ich sollte meine Gebieterin nicht warten lassen.“, sagte Cirnach und wandte sich wieder dem Trampelpfad zu. „Wie du wünschst.“, sagte Cyrade. „Richte der großen Göttin Sytania aber unsere untertänigsten Grüße aus. Grüße von ihren treusten Dienerinnen.“ Die Vendar nickte und verschwand zwischen den Bäumen in Richtung ihres Schiffes.

„Speichelleckerin! Gangsterbraut! Kriminelles Subjekt!“, schimpfte N’Cara. „Sprichst du über Cyrade oder Ataura?“, wollte IDUSA wissen. „Von mir aus über beide.“, zischte N’Cara. „Und du kannst eigentlich Cirnach gleich auch noch mit dazu rechnen. Die macht es ja bei Sytania sicher nicht anders.“ „Bestätigt.“, entgegnete IDUSA.

Kamurus kam in Sichtweite. „Cool!“, sagte N’Cara mit strahlendem Blick. „Der sieht ja echt genau so aus wie das Schiff aus Eis!“ „Logisch.“, erklärte IDUSA. „Das Eis ist ein Abguss von ihm.“ „Ich weiß auch, dass das logisch ist.“, sagte die kleine Lithianerin. „Trotzdem ist es cool. Freu dich doch mal!“ „Ich habe dir gerade erklärt.“, begann IDUSA. „Dass ich zu emotionalen Reaktionen nicht fähig bin.“ „Schon gut.“, sagte N’Cara. „Dann solltest du dir vielleicht mal einen entsprechenden Chip anschaffen.“ „Das wir fühlen.“, sagte IDUSA. „Ist in unserer Programmierung nicht vorgesehen. Es wäre möglich, dass meine Systeme sogar Schaden nehmen könnten.“ „Schon gut.“, sagte N’Cara. „War ja auch mehr als Spaß gemeint.“

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