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Kang und Kissara saßen in Kissaras Bereitschaftsraum über einigen Sternenkarten, auf denen das Miray-System in all seinen Fassetten dargestellt wurde. Es gab eine wissenschaftliche Karte mit sämtlichen Riesen- und Zwergsternen in der Nähe, Raumriffen und vielen anderen Details, eine Kriegskarte mit Demarkationslinien und dergleichen, eine Frachtflugkarte mit den drei wichtigsten Routen usw.

Die Blicke der Thundarianerin und des Klingonen gingen ständig zwischen diesen Karten hin und her, ohne dass es auch nur den geringsten Hinweis darauf gab, warum Nugura kein viertes Schiff geschickt hatte, das die vierte Himmelsrichtung abdeckte, oder auch darauf, warum die Aufgabe drei Forscher übernehmen sollten, die in einer echten Kampfsituation einem Verband aus Kriegsschiffen hoffnungslos unterlegen waren. Kissara fand, dass Nugura sich nicht unbedingt auf diplomatische Immunität oder dergleichen verlassen sollte. Sie hatte wie gesagt den Streit und das Verhalten der Prinzessinnen lange genug studiert, um zu wissen, dass sie, wenn sie sich nur gegenseitig stark genug provoziert hätten, auf alles schießen würden, was einen Fuß ins Miray-System setzen würde.

Kissara wandte sich von der Konsole ab und dem Replikator zu. „Wir sollten erst mal etwas trinken, Mr. Kang.“, sagte sie und replizierte ihrem Gast ein Glas Blutwein und für sich eines mit Mikrid, einem auf Geflügelfont basierenden Getränk, das mit allerlei Gewürzen angereichert war und geruchlich an die arabische Küche erinnerte. Auf Thundara hatte es ungefähr den Stellenwert wie bei uns ein wohlschmeckender Tee zur Entspannung. Kissara hatte mich einmal auf meine Bitte an ihrem Glas riechen lassen, aber ich hatte mich damals nicht recht an diesen für Terraner doch sehr befremdlichen Geschmack getraut.

Langsam aber bestimmt schob Kang sein Glas weg. „Tut mir leid, Commander, aber ich werde im Dienst keinen Alkohol trinken. Schließlich muss ich als Ihr Stratege und Waffenoffizier einen klaren Kopf behalten, wenn wir dieses Problem besprechen.“ „Es ist ein Glas, Kang.“, lächelte Kissara. „Außerdem ist es Synthehol. Da kann gar nichts …“

Unwillkürlich begann sie plötzlich zu schnurren und ihr Grinsen wurde immer breiter, denn sie hatte bemerkt, dass Kang wohl mit dem Inhalt ihres Glases liebäugelte. Den Grund hierfür konnte sie sich denken. Das Getränk basierte schließlich auf Fleischbrühe. Fleisch erinnerte wohl jeden Klingonen an die Jagd und so war es nicht weit hergeholt. Mit einem weiteren Schnurren schob sie Kang ihr Glas zu und replizierte sich selbst das Gleiche noch einmal. An Ihrem Verhalten fand der Klingone nichts Ungewöhnliches. Er wusste schon lange, dass seine Vorgesetzte schnurren konnte.

Kang nahm einen großen Schluck aus dem Glas und leckte sich den Mund. „Ihnen scheint es wohl zu schmecken.“, stellte Kissara zufrieden fest. Kang gab nur einen wohligen Seufzer von sich. Dann sagte er: „Und es beflügelt den Geist!“, sprang auf und zeigte mit seinem großen haarigen Zeigefinger der rechten Hand auf die Frachtkarte. „Ich denke, es gibt nur eine Erklärung dafür. Nugura hat Kenntnisse, die sie uns verheimlichen muss, damit irgendein Plan funktionieren kann, den sie wahrscheinlich noch zu Brakos Lebzeiten mit ihm geschmiedet hat. Vielleicht hat die Präsidentin auch nähere Kenntnisse über sein Testament, das ja immer noch im Dunkeln liegt. Niemand weiß wo es ist und es ist nur bekannt, dass die Prinzessinnen ihren Streit ums Erbe nach dem Ty-Nu-Lin-Ritus lösen sollen. Mehr ist nicht bekannt, wie Sie wissen, Commander. Wir sollten also das Spiel mitmachen, bis wir etwas Genaueres wissen.“

Kissara strahlte ihn an: „Aber natürlich, Warrior! Schließlich hat Nugura zu Lebzeiten von Brako Verhandlungen mit den Miray geführt. Das ursprüngliche Ziel war ja, den Planeten in die Föderation zu holen. Mit dem plötzlichen Tod des Königs hatte ja niemand gerechnet. Jetzt droht das Staatsgefüge zwar auseinander zu brechen, aber trotzdem kann es sein, dass Nugura eingeweiht ist und es einen Plan gibt und den sollten wir mit ausführen.“

Sie drehte sich der Sprechanlage zu und gab das Rufzeichen meines Arbeitsplatzes ein. „Betsy, wie weit noch bis ins Miray-System?“ Ich konsultierte mein Hilfsprogramm und antwortete: „Bei Warp vier noch sechs Stunden, Commander.“ „Erhöhen Sie auf Warp sieben!“, befahl sie und ich führte ihren Befehl bereitwillig aus. Ich hatte so eine Ahnung, dass etwas im Busch war.

Jenna und Joran saßen in ihrem Quartier und Jenna war immer noch mit dem Schema beschäftigt. Es ließ sie sogar während ihrer Freizeit nicht ruhen. Joran stand von seinem Sessel auf und trat hinter seine Freundin, um ihr seine weichen pelzigen Hände auf die Schultern zu legen. „Bitte hör doch für heute auf, Telshanach.“, bat er. „Es ist spät und deine Augen fallen dir ja schon zu.“ „Nur noch dieser eine Versuch, Telshan.“, flüsterte Jenna zurück.

Erneut ließ sie IDUSA eine Verbindung mit dem Archiv schalten. Aber auch dieses Mal kam eine negative Antwort. „Der Sternenflottencomputer kann das verdammte Schema einfach nicht zuordnen.“, seufzte Jenna. „Dabei war ich mir so sicher, dass es so etwas in der Vergangenheit sicher schon mal gegeben hat.“

Joran löste seine Hände von ihr und begann, etwas vor ihr auf den Tisch zu zeichnen. „Wenn du ein Signal aus der Vergangenheit suchst, Telshanach.“, begann er. Dann solltest du auch eine entsprechende Trägeramplitude zu Grunde legen. Damals arbeiteten sie noch mit Funk, das ist erheblich langsamer weil es auf tieferen Frequenzen operierte als SITCH. Eine Trägerwelle sah damals ungefähr so aus. Wenn du das …“ „Warte!“, rief Jenna, holte ihren Erfasser und fotografierte Jorans Bewegungen ab. Dann befahl sie über die Sprechverbindung mit dem Sternenflottenarchiv: „Computer, Trägeramplitude aus dem Signal filtern und durch das eingehende Datenmaterial ersetzen. Neue Suche starten.“ Sie hatte ihren Erfasser an die Konsole angeschlossen und überspielte nun das Bild. Die Meldung des Computers klang wie Musik in ihren Ohren: „Übereinstimmung gefunden.“ Den daraufhin auf dem Schirm erschienenen Bericht zog sie auf einen Datenkristall und umarmte Joran stürmisch bevor sie sagte: „Wir gehen auf der Stelle zu Maron!“

Jenna und Joran verließen im Laufschritt ihr Quartier und machten sich in Richtung dessen des ersten Offiziers auf. Joran hatte ein extrem gutes Gedächtnis für Gewohnheiten und wusste so genau, dass Maron wohl gerade noch auf sein würde. Wenn sie allerdings später kämen, würde er sich vielleicht schon bettfertig gemacht haben. Aber die Frage hiernach würde ein einfaches Gespräch an der Sprechanlage beantworten.

Sie waren angekommen. Immer noch fand Jenna es höchst merkwürdig, dass es keinen Hinweis auf Allrounder Tchey Nerans Erfahrungen mit Sharie in der Datenbank der Sternenflotte gab, aber sie dachte sich, dass Maron vielleicht auch das beantworten könnte.

Joran betätigte die Sprechanlage. Es dauerte eine Weile, bis er Antwort bekam. Im Display konnte der Vendar ein müdes demetanisches Gesicht erkennen. „Was ist denn heute noch?“, fragte ein schläfriger Maron, der entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten an diesem Abend früher ins Bett gegangen sein musste und wohl gerade wieder aufgestanden war. „Jenna Mc’Knight und ich haben herausgefunden, von was für einer Art Schiff das Signal kam, das den Hackerangriff gestartet hat.“, erklärte Joran. „Ihr habt was?!“

Der demetanische Agent schob seine Hand durch die sich öffnende Tür, nachdem er IDUSA per Touchscreen bedeutet hatte, diese zu öffnen. Dann zog er Jenna, deren Ärmel er greifen konnte, mit sich hindurch. Joran folgte ziemlich verdattert. „Ich wusste, Sie werden das rauskriegen, Mc’Knight.“, sagte der Spionageoffizier erleichtert. „Das war nicht mein Verdienst.“, schob Jenna die Lorbeeren von sich. „Eigentlich war es Joran.“

Ohne sie weiter zu befragen sah Maron Joran erwartungsvoll an. Dieser aber schwieg. „Willst du mir nicht etwas erklären?“, hakte Maron schließlich nach. „Ich habe gar nichts getan, Vertreter meiner Anführerin.“, tat Joran bescheiden.

Wieder ließ Maron einige Sekunden verstreichen, ohne sich weiter in das Gespräch einzumischen oder es zu steuern. Wahrscheinlich dachte er, dass die Situation irgendwann für sein Gegenüber so unerträglich gespannt werden würde, dass derjenige sich von selbst erleichtern wollte. In seinen Verhören hatte er damit schon oft Erfolg gehabt.

Ab und zu warf der Agent einen kurzen Blick auf sein Handsprechgerät. „Je später der Abend …“, murmelte er vor sich hin. „Du musst dich nicht schämen.“, flüsterte Jenna Joran auf Vendarisch, das sie lernte, ins Ohr. „Ich schäme mich nicht, Telshanach.“, kam es in Englisch zurück. Joran hatte seine Muttersprache schon so lange nicht mehr gesprochen, dass es ihm bereits in Fleisch und Blut übergegangen war, entweder Tindaranisch oder Englisch mit seinen Gesprächspartnern zu sprechen. Auch wenn dies kleine Fehler beinhaltete. Im gleichen Moment bemerkte er dies aber und sagte: „Ich weiß, dass du mir helfen wolltest, Telshanach, aber jetzt habe ich dir das wohl gründlich verschweint.“ „Du meinst versaut.“, meinte Maron zur Korrektur. „Ich wollte es vornehm ausdrücken.“, redete sich Joran heraus. „Das finde ich ja sehr löblich, aber das Problem ist, dass dich niemand verstanden hätte, der dich nicht kennt.“, erwiderte Maron. „Aber ich kenne dich und weiß, dass du das nur machst, wenn du verlegen bist und verlegen bist du hauptsächlich dann, wenn dir etwas gelungen ist, was man eigentlich jemandem anders zugetraut hätte. Also, was ist da zwischen euch passiert, he?“ „Es war nur so, Maron El Demeta, dass ich angeregt hatte, es mal mit einer anderen Trägeramplitude zu versuchen, weil du und meine Telshanach zur Verifizierung nach einem Signal aus der Vergangenheit gesucht habt. Als wir das dann gemacht hatten, sind wir fündig geworden.“ Er piekte Jenna sanft in die Seite: „Dein Stichwort, Telshanach.“

Sie schob ihm ihr Arbeitspad hin, nachdem sie es aus der Tasche geholt und den alten Bericht der Voyager aufgerufen hatte. Maron überflog das Material kurz und meinte dann: „Daher weht also der Wind. Das Signal könnte also wirklich von so einem Schiff gekommen sein.“ „Anscheinend ja, Sir.“, sagte Jenna etwas unsicher.

Maron setzte sich auf das Sofa und deutete auf Jenna und den Platz neben sich. „Setzen Sie sich, Mc’Knight.“, sagte er dann leise und fast väterlich zur Bestätigung seines Befehls. Ohne Argwohn tat Jenna, was er gesagt hatte. Dann drehte sich der Demetaner zu seiner terranischen Untergebenen um, legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte: „Was irritiert Sie, Mc’Knight?“ „Die Scientiffica hat doch auch Erfahrungen mit solchen Schiffen, Agent. Warum kann ich darüber nichts im Archiv finden? Die haben schon mit SITCH operiert. Also, warum …“ „Edvins musste ihre Berichte damals geheim halten.“, erklärte Maron. „Sie durfte ihre Position und ihre Mission niemandem verraten. Die Gründe seien heute dahingestellt.“ „Verstehe.“, meinte Jenna.

Joran begann sich am Kopf zu kratzen. dann setzte er an: „Meinst du, Maron El Demeta, dass das Schiff das wusste, als es den Rechner knackte? Glaubst du, dass es ahnte, wie schwierig es sein würde, ihm draufzukommen?“ „Entweder das Schiff oder sein Pilot oder beide.“, bestätigte der Demetaner die Theorie des Vendar. „Das halte ich durchaus für möglich. Aber warum wollten die Shimars Dienstakte?“

Wieder vergingen einige Minuten, in denen der Spionageoffizier überlegend den Kopf in die Hände legte. „Ich glaube, das werden die weiteren Ermittlungen zeigen müssen, Sir.“, sagte Jenna. „Ich glaube außerdem, dass wir heute nicht mehr sonderlich weit kommen. Es ist spät und wir brauchen alle unseren Schlaf.“ Sie nahm Joran bei der Hand: „Komm, Telshan. Lassen wir den armen Maron jetzt in aller Ruhe schlafen, ja? Sonst ist er morgen unausstehlich und einen unausstehlichen Vorgesetzten wünscht sich, glaube ich, niemand.“ Maron räusperte sich. „Das habe ich sehr wohl gehört, Mc’Knight.“, grinste er. „Du wirst Recht haben, Telshanach.“, sagte Joran zärtlich und stand auf, um mit ihr zu gehen.

Shimar stand vor dem ausgeschalteten stationären Sprechgerät in seinem Haus und übte eine Art Rede, mit der er versuchen wollte, Zirell von der Notwendigkeit der Mission zu überzeugen. Immer wieder spielten sich in seinem Kopf die Szenen zwischen Ginalla und ihm und die zwischen Scotty und ihm ab. Er wusste nicht, woher dieser Terraner die Gewissheit nahm, mit der er die Sache mit Sytania vorgetragen hatte. Aber dafür musste es einen Grund geben. Einen, den er noch nicht kannte, aber den es noch galt herauszufinden. Aber jetzt galt es auch erst mal, Zirell zu überzeugen.

Zwei kurze schrille Pieptöne vom Hausrechner ließen ihn innehalten und sich zu dessen Display drehen. Hier las Shimar, dass das Frachttransportsystem gerade etwas für ihn registriert hatte.

Er ging in den Keller, wo sich eine kleine Transporterstation befand, die mit dem Frachtkoordinationssystem verbunden war. Er gab nach Aufforderung eine Clearence in die Konsole ein. Dann materialisierte sich eine der üblichen Frachtkapseln vor ihm.

Er nahm sie in die Hand. Schwer war sie nicht. Ihrem Gewicht nach konnte sie höchstens einen oder zwei Datenkristalle oder sonst etwas Kleines beinhalten. „IDUSA.“, wendete er sich in üblicher Weise an den Rechner. „Wer ist der Absender?“ „Ginalla und Kamurus.“, las die Computerstimme die Kennung vor. „Na gut.“, meinte Shimar. „Schauen wir mal.“

Er schob den Deckel der Kapsel zurück. Sein Blick fiel auf einen merkwürdigen zerbrechlich wirkenden Gegenstand. „Was soll ich denn damit?“, fragte er sich halblaut, denn er konnte diesen merkwürdigen Kegel beim besten Willen nicht einordnen.

Er sah noch einmal in die Kapsel und fand einen Datenkristall, den er sofort in das eilig herbeigeholte Pad legte. Das grinsende Gesicht Ginallas erschien auf dessen Display. „Hi.“, begann ihre Stimme. „Das Ding, das ich dir geschickt habe, ist der Ty-Nu-Lin-Kegel. Wenn du das OK von deinem Commander hast, kommst du in Kibars Kneipe. Hier werde ich auf dich warten. Du schmeißt mir das Ding vor die Füße und sagst: Ty-Nu-Lin. Dabei wird es zerbrechen, aber das ist gewollt. Es zeigt, dass du die Herausforderung angenommen hast. Dann, nur dann, informiere ich dich über den Rest. Enttäuschf mich nicht, Soldat. Enttäuschf mich nicht.“ Die Nachricht endete.

Kissara hatte die Brücke betreten. Noch bevor sie sich auf ihren Kommandosessel gesetzt hatte, befahl sie: „Betsy, verbinden Sie mich sofort mit Präsidentin Nugura. Ich möchte endlich wissen, was hier gespielt wird.“ Ich drehte mich irritiert nach ihr um. „Ich wusste gar nicht, dass hier überhaupt etwas gespielt wird, Commander.“, gab ich unwissend zurück. Sie wollte etwas sagen, nahm sich dann aber selbst zurück und meinte nur: „Ach, Sie waren ja nicht dabei. Also gut. Hören Sie zu.“

Sie berichtete detailliert von ihrem Gespräch mit Nugura und von der nachfolgenden Unterredung mit Kang. „Der Warrior und ich denken, dass Nugura Kenntnisse hat, die sie uns bis jetzt verschwiegen hat. Wenn diese Mission allerdings gelingen soll, sind wir auf jede Information angewiesen.“ „Verstehe.“, erwiderte ich und gab Nuguras Rufzeichen ein.

Während ich auf den Aufbau der Verbindung wartete, dachte ich auch über unsere Situation nach. Drei Forscher wurden in ein Kriegsgebiet entsannt, um für Frachterpiloten Babysitter zu spielen. Außerdem war eine Himmelsrichtung, aus der auch Schiffe kommen konnten, nicht abgedeckt. Welches Ziel verfolgte das Oberkommando mit einer solchen Strategie? Hatte Kang Recht? Verfügte die Präsidentin über brisante Informationen in Sachen Miray, die sie uns nicht geben konnte oder wollte?

Saron, Nuguras Sekretär, beantwortete den Ruf. „Büro der Präsidentin der Föderation der vereinten Planeten, Sekretär Saron.“, meldete er sich freundlich. „Hier ist Allrounder Betsy von der USS Granger.“, gab ich mich und das Schiff vorschriftsmäßig zu erkennen. „Commander Kissara würde gern mit Präsidentin Nugura sprechen.“ „Einen Augenblick bitte, Allrounder.“, sagte Saron und legte mich kurz in die Warteschleife. Wenig später hörte ich die Stimme der Präsidentin. „Hier ist Präsidentin Nugura. Sie können mich jetzt zu Ihrem Commander durchstellen, obwohl ich mich frage, was es da noch zu besprechen gibt.“ „Ich verbinde, Madam President.“, sagte ich, schaltete das Sprechgerät per Menü auf interne Kommunikation um und gab Kissaras Rufzeichen ein, um dann selbst per 88-Taste aus der Leitung zu verschwinden.

„Was gibt es, Kissara?“, fragte Nugura etwas genervt. „Hatte ich mich nicht eindeutig genug ausgedrückt?“ „Meines Erachtens nicht, Madam President.“, gab Kissara zurück. „Ich kommandiere nur einen Forscher und Sie schicken mich in ein potentielles Kriegsgebiet. Ich denke, wenn wir uns schon nicht mit Waffen gut genug schützen können, dann sollten wir zumindest damit im Vorteil sein, was ein friedliches Forschungsschiff am Besten aufnehmen kann, durch Informationen. Also, Nugura, was wissen Sie über Brakos Testament?“

Nugura wurde blass. „Das habe ich nicht herausgefunden.“, setzte Kissara ihr weiter zu. „Da können Sie sich bei meinem Waffenoffizier bedanken. Ich habe mit Warrior Kang über die Sache sprechen müssen. In erster Linie bin ich meiner Crew und deren Schutz verpflichtet. Wenn wir schon ein Selbstmordkommando ausführen, dann möchte ich auch wissen warum.“ „Ich kann Ihnen nicht viel sagen, Kissara.“, gab die Präsidentin zurück. „Dafür habe ich selbst noch zu wenig Informationen. König Brako hat sein Testament in Alt-Miray verfasst. Der Universalübersetzer hat damit so seine Schwierigkeiten. Es wird noch etwas dauern, bis ich selbst alles weiß. Aber bis dahin kann ich Ihnen nur sagen, dass Brako mich gebeten hat, dafür zu sorgen, dass sein letzter Wille ausgeführt wird. Das letzte Gespräch vor seinem Tod fand auf Space Force One statt. Es gibt eine Aufzeichnung. Ich lasse sie Ihnen zukommen. Sie sind übrigens nicht die Erste, die anfragt. Time und Cinia haben die Aufzeichnung auch schon.“ Sie beendete das Gespräch.

Nugura hatte sich in ihr Büro zurückgezogen und befasste sich mit einem Datenkristall, den ihr Saron auf den Schreibtisch gelegt hatte. Mit dem Inhalt ihres Bildschirms konnte sie aber nicht wirklich etwas anfangen. Sie zog den Kristall aus dem Laufwerk und öffnete die Zwischentür zu Sarons Arbeitsraum. „Hatte ich Ihnen nicht gesagt, Sie sollten das Dokument durch den Universalübersetzer schicken?“, sagte sie ernst. „Doch, Madam President, das haben Sie.“, gab Saron kleinlaut zurück. „Und ich habe das auch getan. Er hat sich nur mit dem Miray-Wort für Himmel extrem schwer getan. Er schlägt zwei Begriffe vor, die den atmosphärischen Himmel oder auch den religiösen Himmel beschreiben könnten. Aus dem Zusammenhang ist mir nicht klar gewesen, welcher Begriff gemeint ist. Ich habe ihm gesagt, er soll beide mit einem Schrägstrich verwenden. Ich verstehe nicht, warum ich jeden Tag mit der Übersetzung von vorn anfangen muss.“ „Führen Sie es mal vor.“, sagte Nugura verständig und setzte sich neben ihn auf einen Stuhl.

Saron schob den Datenkristall ins Laufwerk seiner Arbeitskonsole und sprach ins Computermikrofon: „Computer, das auf dem Datenkristall in Laufwerk A befindliche Dokument von Alt-Miray ins Englische übersetzen.“ Es gab ein kurzes Signal und der Rechner begann mit der Ausführung des Befehls. Allerdings stockte dies nach einer Weile und er meldete: „Es wurden mehrere Begriffe für das Wort Selatme gefunden. Bitte definieren Sie, welcher verwendet werden soll, oder definieren Sie den Begriff neu.“ „Hier haben Sie dann wohl die Sache mit dem Schrägstrich gemacht, Saron, was?“, fragte Nugura. Saron nickte. „Dann machen Sie es jetzt genau so.“, erwiderte Nugura. „Wir wollen das Ergebnis ja nicht verfälschen.“ Saron gab in das Feld für Neudefinitionen „sky/heaven“ ein und klickte den Menüpunkt zum Fortfahren an. Ohne weitere Zwischenfälle konnte das Dokument weiter übersetzt werden. „Das habe ich gestern genau so gemacht.“, erklärte Saron. „Und heute ist die Übersetzung einfach nicht mehr da.“, fügte Nugura hinzu. „So ist es, Madam President.“, bestätigte Saron. „Ich schlage vor, wir holen die Techniker.“, meinte Nugura dann. „Ich schätze, irgendwas stimmt mit dem Computer nicht. Sie haben mir ja jetzt bewiesen, dass es nicht Ihre Schuld war.“

Wenige Minuten später betrat ein etwas untersetzter Celsianer mit schwarzem Schnurrbart, ebensolchen Haaren und lässiger Kleidung das Büro. Unter seinem Arm hatte er eine Arbeitstasche. „Ich bin Sendor.“, stellte er sich flapsig bei Saron vor. „Ich komme von den Netzwerkern. Nun mal raus mit der Sprache. Sie haben doch nicht schon wieder Kaffee über Ihre Konsole gekippt.“ Saron musste schmunzeln. Er kannte den Humor der Celsianer nur zu gut. „Ja nun.“, sagte Sendor und spielte nervös mit dem Verschluss seiner Tasche. „Ich hab meine Zeit auch nicht gestohlen.“ „Die Sache ist die.“, begann Saron. „Immer, wenn ich ein bestimmtes Dokument durch den Übersetzer schicke, ist es am nächsten Tag nicht mehr übersetzt.“ „Komisch.“, brummte Sendor. „Aber wir schauen mal. Stücken S’e ma’n Rutsch.“

Er schob Saron samt Arbeitsstuhl zur Seite und stellte sich vor die Konsole. Saron verstand nicht wirklich, was der Netzwerker nach erneuter Anmeldung mit seinem eigenen Passwort und dem Aufrufen der technischen Menüs tat, aber er vertraute ihm. „Wurde vor Kurzem ein Programm installiert?“, fragte Sendor plötzlich mit leicht alarmierter Stimme. „Ja.“, antwortete Saron. „Als ich das Testament des Miray-Königs übersetzen sollte, hat es eine Meldung gegeben, die besagt hat, dass ein Spezialprogramm installiert werden müsste, damit der Rechner das Dokument lesen könnte.“ „Oh, ha.“, meinte Sendor. „Und da haben Sie prompt ja gesagt. Ich sage Ihnen was, Junge. Es gibt zwei Dinge im Leben, bei denen man mit einem Ja mächtig ins Klo greifen kann. Beim Computer und beim Heiraten. Die Meldung war ’ne verdammte Falle! Es hätte kein Spezialprogramm gebraucht. Unser Betriebssystem hätte sich auch so prima mit dem Dokument arrangiert. Jetzt ha’m wir uns ’n hübsches kleines Virus eingefangen. Ich führ’s Ihnen mal vor. Stellen wir einfach mal die Zeit auf 00:15 Uhr. So. Seh’n S’e, weg ist die Datei. Das Einzige, was ich im Moment machen kann ist, dafür zu sorgen, dass es für Ihre Konsole niemals 00:00 Uhr wird. Dafür muss ich sie von der Netzzeit entkoppeln und ein Programm schreiben, das sie jedes Mal um 23:59 Uhr auf 01:00 Uhr springen lässt. Dann müssen Sie Daten und Uhrzeiten halt manuell eingeben, bis wir einen Killer für das Virus geschrieben haben.“ Nugura, die alles mitbekommen hatte, nickte zustimmend. „Dann behandeln Sie meinen Rechner aber besser gleich mit.“, sagte sie dann. „Der war nämlich in Kontakt mit dem Datenkristall.“ „Hätte ich eh gemacht.“, flapste Sendor zurück und begann seine Arbeit.

Ein weinroter Jeep, der wie eine durchschnittliche Familienkutsche aussah, fuhr gerade am Ortsausgangsschild von Little Federation vorbei. Am Steuer saß eine mit der Uniform eines Star Fleet Agent bekleidete Demetanerin. Auf der offenen Landstraße beschleunigte sie den Jeep auf die zugelassene Geschwindigkeit. Sie wusste, weit würde sie nicht mehr fahren müssen. Nur was dann auf sie zukommen würde, wusste sie noch nicht. Würde alles so laufen, wie es Chief-Agent Tamara und sie geplant hatten, oder würde etwas Unvorhergesehenes ihre Pläne durchkreuzen?

Sie bog auf einen sehr unwegsamen Feldweg ab, nachdem sie den Antrieb des Jeeps entsprechend umgeschaltet hatte. Am Ende des Weges stand ein freistehendes Haus. Auf der Wiese vor diesem brachte sie das Fahrzeug zum Stehen und stieg aus, um auf die vordere Tür zuzugehen. Im Display der Türsprechanlage, das etwa mit den heutigen Klingelschildern zu vergleichen ist, las sie: „Andrew King“.

Sie betätigte die Anlage drei mal und lehnte sich dann abwartend an die Wand. Kurz darauf kam ein etwa 1,90 m messender hagerer und durchschnittlich gekleideter Mann aus der Tür. Sie bemerkte ihn zunächst nicht, denn sie war mit einer Art Checkliste beschäftigt, die sie in einem Pad in ihrer Hand hatte und immer wieder durchlas.

„Agent?“ Der Fremde hatte sie angesprochen. „Nicht so laut.“, zischte sie und deutete auf die Tür. Er verstand und bat sie hinein. Beide setzten sich auf das blaue Sofa im Wohnzimmer. Sie musterte ihn, als wolle sie etwas überprüfen. Dann legte sie das Pad endlich aus der Hand und stellte sich vor: „Ich bin Agent Sedrin Taleris-Huxley. Es ist so weit. Ab heute beginnt Ihre Ausbildung. Ich bin gekommen, um Sie nach Washington zu überstellen, wo Sie zunächst in einer Einrichtung der Sternenflottenakademie fit gemacht werden. Ich werde die meiste Zeit bei Ihnen sein. Ich kümmere mich auch um die Feinheiten, Benehmen und so weiter. Bitte begleiten Sie mich jetzt, Mr. King. Wir haben keine Zeit!“ In ihre letzten beiden Sätze hatte sie viel Nachdruck gelegt.

Der Mann ließ nur erleichtert die Luft hörbar aus seinen Lungen entweichen, bevor er aufstand, um ihr zu folgen. Beim Jeep angekommen öffnete sie mit einer Fernsteuerung die Türen zur Fahrerseite und zum Fond und deutete nach hinten. „Schon gut.“, lächelte der Fremde und machte es sich auf der Rückbank bequem. Sie stieg vorn ein und beorderte noch im Einsteigen den Bordcomputer: „Verdunkeln.“ Aus den Seitenfenstern der Rückfront des Jeeps fuhren schwarze Scheiben empor, die sich vor die eigentlichen Scheiben schoben. Dann startete sie den Antrieb. Bald waren sie auf dem Freeway nach Washington unterwegs. „Es wird schwierig werden, mich in eine Klasse zu integrieren.“, wendete sich der Fremde an sie. „Ach I wo.“, sagte sie. „Das ist nur für die offiziellen Behörden, falls jemand fragt. Wir werden weiterhin Ihre Papiere fälschen müssen. Aber das sollten Sie ja mittlerweile gewohnt sein, Hoheit.“ „Sicher.“, erwiderte er kleinlaut. „Aber langsam wird mir die Geschichte etwas heiß.“

Sie stoppte den Jeep auf dem Standstreifen, stieg aus und öffnete die hintere Tür, um im nächsten Moment mit ernstem Gesicht seine Schultern zu fassen und zu sagen: „Ihr könnt jetzt nicht mehr abspringen. Dafür ist es zu spät. Euer Vater stand nicht umsonst mit Euch noch so lange in Kontakt, wie Ihr Exil auf der Erde beantragt hattet. Damals hattet Ihr versprochen, alles zu tun, um zu verhindern, dass es auf Miray zu einem Bürgerkrieg kommt und dass überhaupt irgendwelche Gefahren von Euren Schwestern ausgehen könnten. Ihr sagtet uns damals, Eure Schwestern könnten die ganze bekannte Galaxis in einen Krieg miteinander und gegeneinander versetzen. So hassten sie sich. Wenn eine jemanden gefunden habe, der für sie arbeite, dann würde die Andere nicht zögern, dessen Intimfeind …“ Der Mann nickte verständig. „Ich frage mich nur, ob ich das alles auch auf die Reihe kriege, Agentin Taleris-Huxley.“ Sedrin hatte, um seine Antwort, die er ihr in Miray gegeben hatte, zu verstehen, den Universalübersetzer ihres Pads bemühen müssen. Dabei war ihr aufgefallen, dass die Sprache wohl dem Deutschen sehr ähnlich sein musste, zumindest, wenn man sich die Struktur mancher Worte ansah.

Ihre Irritation war aber nur von kurzer Dauer, denn im nächsten Augenblick sagte sie mit dem Brustton der Überzeugung: „Glaubt mir, wenn ich mit Euch fertig bin, habt Ihr es auf der Reihe.“ Dann stieg sie wieder vorn in den Jeep und es ging weiter. Sie vergaß allerdings nicht zu erwähnen: „Als gebürtige Demetanerin möchte ich aber weiterhin als Agent Sedrin von ihnen angesprochen werden.“ King atmete auf. Er wusste, sie hatte seinen kleinen Hinweis verstanden.

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