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Zirell war inzwischen im Konferenzraum der tindaranischen Basis eingetroffen. Hier hatte Maron sie bereits erwartet. „Was ist geschehen, dass du mich so dringend sprechen musst?“, wollte die tindaranische Kommandantin von ihrem ersten Offizier wissen. „Während deiner Abwesenheit.“, begann Maron. „Hat es im Universum der Föderation ein großes Unglück gegeben. Ein Passagierschiff ist durch das Miray-System geleitet worden und dort auf eine Mine gelaufen. Der Pilot wollte nicht auf die Hilfe der drei dort stationierten Sternenflottenschiffe warten und hat auf eigene Faust versucht, das Gebiet zu durchfliegen. Hat natürlich nicht geklappt. Diese zivilen Schiffe verfügen nicht über ausreichende Sensoren geschweige denn Schilde. Es gab eine riesige Rettungsaktion.“

Zirell machte ein gelangweiltes Gesicht. „Ja, ja, schon OK.“, meinte sie. „Aber was geht uns das an? Die Föderation will keine Hilfe bei der Miray-Krise. Also, warum erzählst du mir das alles?“ „Die Föderation will keine politische Hilfe.“, korrigierte Maron. „Aber sie haben nichts davon gesagt, dass wir ihnen nicht mit Taten zur Seite stehen dürfen.“

Die Tindaranerin schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Um Himmels Willen, Maron. Die Föderation hat sich mit uns politisch zusammengeschlossen, weil wir die gleichen Gesetze haben wie sie, was die Einmischung in fremde Kulturen angeht. Nugura wird das nicht …“ „Keine Panik, Zirell.“, grinste Maron und holte Shimars Mail hervor. Zirell, die das private Rufzeichen des Patrouillenfliegers durchaus kannte, sagte nur: „Ach nein. Shimar. Hätte ich mir denken können, dass er damit was zu tun hat.“ Sie seufzte. „Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Aber zeig mal her.“

Zirell las sich genau den Inhalt der Mail durch und dachte über jedes einzelne Argument genau nach, das Shimar benutzt hatte. Dann erklärte sie: „Sag ihm, er hätte das OK. „Wenn das wirklich alles so stimmt, dann sind wir wahrscheinlich die Einzigen, die das Schlimmste noch verhindern können. Vielleicht sind die Prinzessinnen ja sogar zu einem Waffenstillstand für die Dauer des Ty-Nu-Lin-Ritus zu bewegen.“ „Das ist eine Sache, die Nugura besser mit ihnen vereinbaren sollte.“, meinte Maron. „Aber ich kann ihr diese Information gern zukommen lassen.“ „Tu das.“, erwiderte Zirell.

Shimar wartete in seinem Haus vor seinem Sprechgerät auf Marons Antwort. Nervös tippte er mit dem Finger auf die Verkleidung. Nun komm schon., dachte er. So schwer kann die Entscheidung doch nicht sein. Entweder ja oder nein.

„Piep!“ Das Signal hatte ihn aufgeschreckt. „Ich sollte was wegen der Lautstärke unternehmen.“, sagte er leise zu sich, bevor er antwortete: „Shimar hier.“ „Hier ist Maron.“, gab dieser sich zu erkennen. „Ich habe gute Nachrichten für dich. Du darfst an dem Ty-Nu-Lin-Ritus teilnehmen. Zirell und ich haben deine Argumente durchgesehen und sind der Meinung, dass dies die einzige Möglichkeit ist, wie der Bürgerkrieg zwischen den beiden Schwestern noch beendet werden kann. Du und diese Ginalla, ihr habt gleichwertige Schiffe und wenn du ein bisschen auf sie aufpasst, wird schon nichts passieren, das vielleicht hinterher alle Dimensionen in einen Krieg stürzen könnte, wie Techniker Scott vermutet. Das bedeutet, du musst dich sogar einmischen. Anders wird es keine Garantie für unsere Sicherheit geben.“ „Danke, Maron.“, sagte Shimar erleichtert. Er konnte sich auch denken, dass Ginalla viel zu sehr mit dem Feuer spielen könnte, wenn er nicht aufpasste. Schließlich war sie nur Zivilistin. Das militärische Wissen über Sytania hatte sie nicht und es war zu befürchten, dass diese den Umstand eventuell ausnutzen konnte. Shimar war durchaus bewusst, dass Sytania nicht von ihrem Ziel abgewichen war, das Universum der Föderation zu erobern. Eine kleine naive Zivilistin kam ihr da vielleicht gerade recht.

„Du musst es nur richtig anfangen.“, sagte Maron. „Sie wird ja glauben, dass du ihr Gegner bist und deshalb wird sie dir sicher nicht glauben, wenn du sie warnst. Also, pass auf, wie du vorgehst. Ansonsten hast du für diese Mission freie Hand. Aber noch etwas. Nimm bitte den nächsten Liner und komm zur Station. Wir zwei werden mit IDUSA zu Nugura fliegen und ihr den Vorschlag auch unterbreiten. Sie steht meines Wissens noch immer mit den Prinzessinnen in politischen Verhandlungen.“ „Aufpassen.“, meinte Shimar verächtlich. „Du hast wohl vergessen, mit wem du redest. Ich bin’s. Shimar. Ich passe immer auf. Aufpassen ist mein zweiter Vorname. Außerdem habe ich IDUSA. Sie wird auch aufpassen, dass nichts passiert und Ginalla sich nicht die Finger verbrennt. Sie wird noch nicht einmal merken, dass ich auf sie aufpasse.“ „Dein Wort in Mutter Schicksals Gehörgang.“, entgegnete Maron. „Ginalla mag zwar eine Zivilistin sein, aber sie ist nicht dumm. Also, pass …“

Shimar drückte die Break-Taste. „Ja, Maron. Ich passe auf.“, sagte er. „Ich komme auch sobald wie möglich her. Da ist noch etwas, das die Ausführung des Ritus von mir verlangt. Aber dann komme ich sofort her.“ Er beendete die Verbindung.

Saron hatte die Einladung formuliert und sie Nugura zur Einsicht auf den Schreibtisch gelegt. Dann hatte er sich wieder in seinem eigenen Büro seiner Arbeit gewidmet. Leise öffnete die Präsidentin die Tür. In der Hand hielt sie den Datenkristall. „Das ist ausgezeichnet, Mr. Saron.“, lobte sie. „Ich wusste, auf Sie kann ich mich verlassen. Nein, die Eine denkt, die Andere käme nicht und sie sei so diejenige, die mir Bedingungen diktieren könnte. Sehr schön, wie Sie die Schwestern gegeneinander ausgespielt haben.“ „Ich bin ein aufmerksamer Zuhörer, was Nachrichten angeht, Madam President.“, spielte Saron die eigene Leistung herunter. „Ich weiß, wie sehr sich die Schwestern hassen und das habe ich ausgenutzt. Übrigens, die Cheftechnikerin hat gemeldet, dass Ihre Jacht abflugbereit ist.“ „Dann packen Sie alles Wichtige fürs Protokollführen, Mr. Saron.“, lächelte Nugura. „Und dann auf nach Khitomer!“

Shimar stopfte den Kegel, den er von Ginalla bekommen hatte, in eine Tasche und verließ sein Haus. Immer noch herrschte eiskalter Winter auf Tindara, was es ihm nicht gerade erleichterte, zu Kibars Kneipe zu kommen. „Den Jeep lasse ich lieber zu Hause.“, beschloss er halblaut, als er das starke Schneetreiben sah, das sich über seinem Haus und der ganzen Stadt zusammenbraute. Zwar hatten die Jeeps im 30. Jahrhundert auch auf Tindara keine Reifen mehr, sondern nur noch Magnetfelder, diese wurden aber auch von Spulen erzeugt, die, wenn sie mit Flüssigkeit in Berührung kommen würden, sicherlich Schaden nehmen könnten. Gegen normales Spritzwasser waren sie durch ein ausgeklügeltes Klappensystem geschützt, aber der Wind drückte die Schneeflocken ja noch zusätzlich nach oben, was ein zusätzliches Risiko darstellte.

Mit dicker Jacke, dicken Stiefeln und der Tasche stapfte Shimar also los. Ginalla hatte gesagt, sie würde auf jeden Fall auf ihn warten. Hoffentlich hatte sie dieses Vorhaben noch nicht aufgegeben. Wenn Shimar ehrlich war, dann hatte es doch eine ganze Weile gedauert, bis er jetzt wieder etwas von sich hören lassen würde. Vielleicht war sie ja sogar schon weiter gezogen und hatte sich nach jemandem anders umgesehen. Aber dann müsste sie doch auch eigentlich den Kegel zurückgefordert haben, um ihn dem nächsten Herausforderer vor die Füße zu werfen. Es konnte also nicht sein, dass er doch noch aus der Nummer heraus kommen konnte. Aber wenn er ehrlich war, wollte er das auch nicht. Er hatte es nicht zugegeben, aber etwas an dieser Ginalla und der Mission bereitete auch Shimar Nervenkitzel.

Ginalla war an Bord ihres Schiffes, das noch immer in der tindaranischen Umlaufbahn schwebte, eingeschlafen. Kamurus hatte die Steuerkontrolle übernommen. Er beobachtete außerdem auf Ginallas Befehl die Kneipe ganz genau. Er sollte seiner Pilotin melden, wenn ein bestimmtes tindaranisches Biozeichen auftauchte.

Kamurus schickte einen sanften Stimulatorstoß auf Ginallas Neurokoppler. „Was ist?“, fragte die Celsianerin schlaftrunken. „Sieh selbst.“, erwiderte die künstliche Intelligenz und stellte ihr das Bild des sich langsam durch den Schneesturm auf die Kneipe zu bewegenden Shimar durch. Ginallas Augen begannen zu leuchten, als hätte man ihr gerade das Geschenk ihres Lebens gemacht. „Ich habe es dir doch immer gesagt!“, freute sie sich. „Er wird kommen! Ansonsten hätte er mir den Ty-Nu-Lin-Kegel doch schon längst zurückgeschickt!“ Sie stand auf. „Verlieren wir keine Zeit.“, sagte sie. „Beam’ mich runter!“

Das Schiff hatte bald ihrem Befehl Folge geleistet. Kamurus wusste genau, was sie meinte. Mit runter waren nämlich ganz bestimmte Koordinaten innerhalb der Kneipe gemeint. Kibar sah, wie sie sich genau an der gleichen Stelle materialisierte, an der sie es auch sonst getan hatte. Sonst, das waren die Abende, an denen sie vergeblich auf Shimar gewartet hatte.

„Hallo, Ginalla.“, begrüßte sie der Barmann gleichmütig. „Hey.“, entgegnete sie und klatschte mit ihrer Hand in seine. „Heute kommt er.“, grinste sie und rieb sich die Hände. „Da bin ich ganz sicher.“ „Was macht dich dieses Mal sicher?“, wollte Kibar wissen. „Mein Schiff hat’s mir geflüstert.“, gab sie zurück. „Er ist zumindest auf dem Weg.“ „Das bedeutet doch gar nichts.“, meinte Kibar. „Vielleicht will er ja auch nur einen trinken.“ „Glaube ich nicht.“, sagte Ginalla und zog ihr Sprechgerät. „Wollen wir wetten, dass er kommt, um mir zu sagen, dass er meine Herausforderung annimmt?“ „Na schön.“, sagte der Barmann. „Wenn du gewinnst, schmeiße ich die nächsten drei Runden aufs Haus. Gewinne ich, ist das deine Aufgabe.“ „OK.“, erwiderte Ginalla. „Hand drauf.“

Nachdem sich beide die Hände gegeben hatten, gab sie Kamurus’ Rufzeichen in ihr Sprechgerät ein. „Kamurus, scanne Shimar nach dem Ty-Nu-Lin-Kegel! Hat er ihn bei sich?“ Sie schaltete das Gerät auf Lautsprecher, damit Kibar die Antwort des Schiffes mithören konnte. „Er hat den Kegel bei sich.“, gab die nüchterne Rechnerstimme zurück. Ginalla grinste. „Das bedeutet noch gar nichts.“, meinte Kibar, der sich noch nicht geschlagen geben wollte. „Vielleicht will er dir den Kegel auch nur zurückgeben. Du weißt, er untersteht dem tindaranischen Militär. Wenn sein Commander nein gesagt hat, dann darf er nicht und dann musst du dir jemanden anders suchen.“

Shimar betrat die Kneipe. Er war froh zu sehen, dass er und Ginalla die einzigen Gäste waren, die sich zu diesem Zeitpunkt hier befanden. Bei dem, was er vorhatte, musste er befürchten, dass eventuell jemand verletzt werden könnte. Er hatte den Kegel mit seinem Erfasser gescannt und festgestellt, dass er aus einem sehr spröden Material bestand. Splitter könnten ziemlich weit fliegen und er wollte nicht riskieren, dass die Sache im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge ging.

„Da bist du ja, Soldat.“, grinste Ginalla ihm entgegen. „Das hat ja ziemlich lange gedauert. Ich hoffe, es ist gut ausgegangen. Wehe dir, wenn sich meine Warterei nicht gelohnt hat. Was ist nun? Hast du das OK?“

Shimar griff langsam in seine Tasche, zog die Hand aber gleich wieder zurück. „Pass auf, Ginalla.“, flüsterte er. „Pass gut auf.“

Ginalla beobachtete, wie er langsam den Kegel aus der Tasche zu ziehen schien. Allerdings ließ er ihn immer wieder zurück gleiten. Dabei beobachtete Shimar jede Regung im Gesicht seines Gegenüber. Er beobachtete, wie Ginalla immer aufgeregter wurde. Auch Kibar war dies nicht verborgen geblieben. Sie ist fast reif., teilte er Shimar telepathisch mit. Sehe ich auch., gab dieser zurück. An deiner Stelle würde ich jetzt etwas zurückgehen.

Kibar trat hinter die Theke und Shimar zog mit einer schnellen Bewegung den Kegel aus der Tasche, um ihn mit aller Kraft auf den Boden zu schmettern. Die Splitter flogen nach allen Seiten. Dann sagte er deutlich: „Ty-Nu-Lin!“

Ginalla flitzte von der einen Seite des Raumes, auf der sie gestanden hatte, auf Shimar zu und umarmte ihn fest. Shimar entging nicht, dass sie schweißnass war und am ganzen Körper zitterte. Die Aussicht, bald gegen ihn antreten zu können, musste sie sehr erregt haben. „Oh, wie hab ich mir das gewünscht, Soldat.“, flüsterte Ginalla mit heißen Lippen in sein rechtes Ohr. „Wie hab ich mir das gewünscht.“ „Ruhig.“, flüsterte Shimar zurück und führte sie aus den Scherben. „Wir sollten uns erst mal setzen.“

Er zog sie auf eine der Bänke an den Tischen. „Willst du etwas trinken?“, fragte er. „Immer doch.“, entgegnete Ginalla. „Die Drinks gehen ja heute auf deinen ehemaligen Lehrer.“

Kibar hatte inzwischen mit dem Transporter der Materierückgewinnung den Scherbenhaufen beseitigt. „Ich gebe mich geschlagen.“, gab er zu. „Also, was soll’s sein?“ „Wir nehmen natürlich vom Besten!“, erwiderte Ginalla. „Heute haben wir etwas zu feiern!“ Kibar nickte und verschwand hinter der Bar, um wenig später mit einer Art Kanne und zwei Gläsern, die allerdings eher Schüsseln ähnelten, zurückzukehren. Er goss beide Schüsseln voll und stellte sie vor Shimar und Ginalla ab. Die Kanne stellte er in die Mitte des Tisches.

Über den Rand ihrer Schüssel hinweg sah Ginalla Shimar mitleidig an. „War’s schwer?“, fragte sie mit zu einer Art Kussmund zusammengeführten Lippen, als wollte sie eine Wunde küssen. „Wovon redest du?“, fragte Shimar etwas verwirrt. „Na, das OK zu kriegen. So lange, wie das gedauert hat, könnte ich mir das zumindest gut vorstellen.“ „Du hast keine Ahnung.“, sagte Shimar und versuchte, ein gequältes Gesicht zu machen. Dann aber lächelte er ihr von jetzt auf gleich zu und meinte: „Hey, Quatsch, Quatsch, Quatsch! Ich musste nur den richtigen Zeitpunkt abwarten, bis …“ „Bis deine Vorgesetzten reif waren.“, grinste Ginalla und hob ihre Schüssel. „Auf das Tor zum Himmel.“, sagte sie und prostete Shimar mit dem warmen leicht nach Muskat schmeckenden Getränk zu. „Möge derjenige von uns es finden, dem die mirayanischen Götter hold sind. Übrigens, morgen stelle ich dich deiner Auftraggeberin vor. Ich hoffe, dieses Zeug hat keine Nachwirkungen.“ „Auf Tindaraner nicht.“, antwortete Shimar. „Wie das aber mit deiner Spezies ist, weiß ich nicht.“ „Werden wir ja sehen.“, meinte Ginalla und leerte ihre Schüssel in einem Zug. „Morgen ist ganz OK.“, sagte Shimar und sah auf die Uhr. „Heute habe ich nämlich noch etwas Dienstliches zu erledigen.“

Er stand auf und verließ die Kneipe. Sein Weg würde ihn jetzt zur Flugbereitschaft führen. Natürlich würde er demjenigen nicht sagen, dass er selbst vom Fach sei. Aber es war wohl alles ziemlich eilig.

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