- Schriftgröße +

 

    Jenna und Joran saßen in ihrem gemeinsamen Quartier und unterhielten sich über das normale Tagesgeschäft. „Wie war dein Tag heute, Telshanach?“, wollte Joran Anteil nehmend von seiner Freundin wissen. „Ach.“, begann Jenna mit einem Lächeln. „Es ist nichts Besonderes vorgefallen. IDUSAs Systeme haben die Tatsache, dass wir die Station bewegen mussten, sehr gut weggesteckt.“ „Bei der betreuenden Ingenieurin ist das ja auch kein Wunder.“, schmeichelte Joran. „Schmusekater.“, lächelte Jenna. „Ich sage nur die Wahrheit, Telshanach.“, erwiderte Joran. „Es gibt nur Gerüchten zu Folge eine Person auf dieser Basis, die das Ganze nicht so gut weggesteckt hat.“ „Und wer soll das sein?“, erkundigte sich Jenna. „Ich spreche von Maron El Demeta, Telshanach.“, entgegnete der Vendar. „Er scheint das Ganze nicht so richtig verstanden zu haben und es könnte sein, dass er noch einmal mit dir über die Sache reden will, damit er Anführerin Zirell nichts vorstammeln muss. Wie du weißt, ist er sehr pflichtbewusst.“ „Ach du meine Güte!“, lachte Jenna und schlug die Hände auf die Schenkel. „Er denkt doch nicht etwa, dass sie ihm den Kopf abreißt, weil er anordnen musste, dass die Station ihren Platz verlassen musste. Ich kenne Zirell gut genug, Telshan, um beurteilen zu können, dass sie das nicht tun wird. Er muss also keine Angst haben, dass sie ihm das Amt ihres ersten Offiziers entzieht. Und falls er meine Hilfe beim Erklären benötigt, gebe ich sie ihm gern. Schließlich ist das alles ja auf meinem Mist gewachsen, was das Bewegen der Basis angeht.“ „Was meiner Meinung nach ein sehr schöner und auch sehr schlauer Mist ist, Telshanach.“, sagte Joran und schlug dabei die Augen schmeichelnd nieder. „Du unverbesserlicher Verbalschmuser du.“, flüsterte Jenna in sein rechtes Ohr und küsste seine Wange, während er sie fest umarmte.

    Die Sprechanlage schob leider dem weiteren Austausch von Zärtlichkeiten einen Riegel vor. „Ich werde antworten.“, sagte Jenna, nachdem sie sich langsam aber bestimmt aus Jorans Griff befreit hatte. „Ich sitze gerade besser.“ Tatsächlich saß sie näher am Mikrofon, welches sie sofort in die Hand nahm: „Hier McKnight!“ „Hier ist Agent Maron, Techniker.“, entgegnete die Stimme am anderen Ende. „Sind Sie in der Lage, mir einige Fragen zu beantworten?“ „Das hoffe ich doch!“, erwiderte Jenna aufmunternd. „Wenn es Sie nicht stört, dass Joran anwesend ist, Sir, dann können Sie ruhig hereinkommen und mir Ihre Fragen stellen.“

    Eine Antwort seinerseits erfolgte nicht mehr. Jenna sah im Display sehr wohl, dass er die Verbindung beendet hatte. Jetzt hörte sie die Tür, die den Hauptflur der Station von dem Flur ihres Quartiers trennte, leise zur Seite gleiten. Dann Schritte und eine Stimme: „Techniker?“ „Na, ich werde ihm mal besser entgegengehen.“, lächelte Jenna. „Am Ende verläuft er sich noch. Joran nickte ihr nur grinsend zu.

    Die hoch intelligente Halbschottin verließ das Wohnzimmer und bog auf den Flur ab, wo sie ihres Vorgesetzten ansichtig wurde. „Eine Eskorte hätte ich jetzt nicht erwartet, McKnight.“, scherzte der erste Offizier. „Bei mir muss man eben immer mit dem Unerwarteten rechnen, Sir.“, scherzte sie zurück und zog ihn mit sich ins Wohnzimmer.

    „Einen grünen Teppich haben wir für dich leider nicht finden können, Maron El Demeta.“, grinste Joran. „Was soll ich denn auch damit anfangen, Joran?“, fragte Maron verwundert. „Na ja.“, erklärte der Vendar. „Wir hätten ihn ausrollen können, wenn so eine hohe Persönlichkeit zu Besuch kommt.“ „Ach du meinst einen roten Teppich.“, korrigierte Jenna. „Tut mir leid, Telshanach.“, entschuldigte sich Joran. „Da habe ich wohl wieder etwas verwechselt. Aber warum ist der Teppich ausgerechnet rot? Was ist an der Farbe rot besonders? Zu blau hast du mir einmal eine sehr einleuchtende Theorie geliefert, Telshanach. Aber es gibt doch viel mehr rote Dinge in der Natur, mit denen man auch in früheren Zeiten einen Teppich hätte färben können. Rot ist doch nichts Seltenes.“

    Jenna überlegte. „Leider bin ich da auch mit meinem Latein am Ende, Joran. Ich kann mir auch rein rational keinen Grund vorstellen, aus dem rot etwas Besonderes sein soll. Aber wir sollten uns einem anderen Thema widmen. Warum sind Sie hier, Agent?“ „Sie müssen mir mal wieder etwas erklären, Techniker.“, gab Maron zu. „Und was?“, fragte Jenna mit freundlicher fast tröstender Stimme. Die Ängste des ersten Offiziers waren der Ingenieurin nicht unbekannt. „Wie haben Sie das Ding aufgehalten, damit wir entkommen konnten, McKnight? Sie wissen schon, welches ich meine.“ „Das zeige ich Ihnen am besten plastisch in der Simulationskammer, Agent.“, entgegnete Jenna. „Ich habe mir schon gedacht, dass Sie danach fragen werden und etwas vorbereitet. Joran, bitte komm auch mit. Ich werde auch deine Hilfe brauchen.“ „Na dann los, McKnight!“, freute sich Maron. Ihre extravaganten Erklärungen und die Experimente, die sie dazu benutzte, hatten ihm insgeheim immer sehr viel Spaß bereitet. Auch Joran nickte und dann verließen alle drei das Quartier.

    Auf dem Weg in die Simulationskammer interessierte Maron vor allem der Umstand, dass seine Untergebene gerade gesagt hatte, dass sie bereits etwas vorbereitet hätte. „Sagen Sie, Jenna.“, begann er. „Woher wussten Sie, dass ich Ihnen diese Frage stellen würde?“ „Das war nicht schwer zu erkennen, Sir.“, antwortete McKnight. „Spätestens seit der Sache mit dem aldanischen Modell in der Miray-Krise weiß ich, dass Sie sich gern von einer Sache ein ganz eigenes und vor allem detailreiches Bild machen wollen, gerade wenn es darum geht, Zirell zu berichten.“

    Sie kamen vor der Kammer an und Jenna drehte sich in Richtung des Computermikrofons: „IDUSA, hier ist Jenna. Lade Programm Jenna 12!“ Es erfolgte ein kurzes Signal und dann die Antwort des Rechners: „Das Programm ist geladen. Sie können eintreten.“

    Die Türen der Kammer glitten auseinander und gaben den Blick auf jene bekannten Sitze frei, in die sich alle drei setzten und in deren Kopfmulden sie ihre Köpfe platzierten. Da IDUSA ihre Tabellen bereits geladen hatte, sahen sie bald eine Winterlandschaft vor sich. „Hier geht es lang, Gentlemen.“, lächelte Jenna und ging voraus.

    Sie fanden sich vor einem großen Berg wieder, an dessen einer Seite es einen nicht besonders steilen Hang gab. Hier stand, dem Hang zugewandt, ein Schlitten auf dem Gipfel, auf dem Maron sein Ebenbild erblickte. Der Demetaner sah zunächst irritiert hin. „Ich kann mir vorstellen, Agent, dass sie dieser Umstand etwas verwirren muss. Aber ich fand es besser, wenn Sie alles am eigenen Leib erfahren, aber gleichzeitig derjenige sind, der die Situation kontrollieren kann.“ „Großzügig von Ihnen, McKnight.“, lächelte der erste Offizier, den der Umstand doch sehr amüsierte, denn er erinnerte ihn an einen alten Bericht von der Enterprise, auf der etwas Ähnliches geschehen war. Dort hatte sich auch jemand Besatzungsmitglieder in merkwürdigen Situationen simulieren lassen, was bei denen aber nicht so gut angekommen war.

    Maron sah sein Gegenüber genauer an. Er empfand den Demetaner auf dem Schlitten eher als eine Karikatur von sich, aber das machte ihm nichts. Sicher würde Jenna einen Grund für diese überzogene Darstellung haben. „Ist er dialogfähig?“, fragte Maron und zeigte auf den Demetaner. „Probieren Sie es doch aus, Agent.“, antwortete Jenna. „Demetanisch oder Englisch?“, fragte Maron. „Das liegt ganz bei Ihnen.“, lächelte Jenna und gab Joran ein Zeichen, worauf dieser hinter dem Schneeberg verschwand.

    Maron musste nicht lange überlegen. Damit Jenna auch verstehen würde, was er seiner Simulation sagte, würde er ihn besser auf Englisch ansprechen. „Ist dir klar, wer ich bin?“, fragte Maron. „Aber sicher.“, antwortete der simulierte Maron und der reale Agent war zunächst etwas erschrocken, seine eigene Stimme zu hören. Dann aber wischte er diesen Umstand schnell beiseite. „Kannst du mir sagen, was hier gleich passieren wird?“, wendete er sich an die Simulation. „Sicher kann ich das.“, erwiderte der simulierte Maron. „Ich werde gleich mit diesem Schlitten versuchen müssen, vor einer Lawine wegzurodeln. Wenn du kein Selbstmörder bist, wirst du wohl versuchen, mich zu retten, nehme ich an.“

    Joran war zurückgekehrt und hatte zwei Arme voller Schneebälle mitgebracht, die er jetzt ablud. „Stell dir das nicht so einfach vor, Agent Maron.“, warnte der Vendar seinen Freund und Vorgesetzten, denn er hatte bereits das Gefühl, dass Jenna einige Tücken in das Programm eingebaut haben musste. Sonst wäre es ja wohl kaum eines der üblichen Jenna-Experimente gewesen.

    Jenna zog ihr Sprechgerät. Dann drehte sie sich zu Joran und sagte, während sie auf den Maron auf dem Schlitten zeigte: „Joran, geh hin und gib ihm einen kräftigen Schups.“ „Wie du wünschst, Telshanach.“, sagte Joran, winkelte seine Arme an, so dass seine Muskeln zur Geltung kamen, streckte die Handflächen vor und machte sich auf den Weg zu dem wartenden Maron, dem er dann einen kräftigen Schwung gab.

    Jenna gab einige Befehle in ihr Sprechgerät ein, worauf dieses eine Lawine auslöste. „Die Lawine ist genau hinter ihm, McKnight!“, sagte Maron mit Schrecken in der Stimme. „Sie wird ihn überrollen!“ „Dann retten Sie ihn, Sir!“, motivierte Jenna ihren Vorgesetzten. „Aber wie soll ich denn …?“

    Marons Blick fiel auf die Schneebälle. „Ach so.“, sagte er. „Sie meinen, ich soll der Lawine etwas in den Weg schmeißen, damit sie langsamer wird.“ Jenna nickte.

    Maron sah einen der riesigen Bälle an, die Joran gerollt hatte. „Das schaffe ich aber nicht allein.“, sagte er zu dem auffordernd schauenden Vendar. „Hilf mir, starker Mann!“

    Zufrieden sah Jenna zu, wie sie einen Ball nach dem anderen gemeinsam vor die Lawine warfen, was sie tatsächlich verlangsamte, bis der simulierte Maron unten im Tal angekommen war. „Danke, Maron.“, lächelte er. „Gern geschehen, Maron.“, lächelte der reale Agent zurück.

    Die Simulation endete. „Haben Sie jetzt alles verstanden, Sir?“, fragte Jenna fürsorglich. „Ich denke ja, Techniker.“, antwortete Maron. „Sie werden dem Phänomen da draußen auch etwas entgegen geworfen haben. Nur haben Sie dafür wahrscheinlich IDUSAs Transporter benutzt. Nur, Energie kann man nur mit Energie bekämpfen. Wo hatten Sie die so schnell her?“ „Man nimmt das, was man hat.“, sagte Jenna. „Die Trümmer der mentalen Mauer.“, sagte Maron. „Genau wie wir Schnee benutzt haben, um Schnee zu stoppen.“ „Sicher.“, lobte Jenna und klopfte Maron auf die Schulter. „Natürlich hatte ich für unser Experiment die Größe der Bälle und die Stärke der Lawine genau berechnet.“ „Das lässt sich denken, McKnight.“, entgegnete Maron zufrieden. Er hatte es nicht nur selbst verstanden, sondern sah sich jetzt auch mit einer guten Grundlage für eine Erklärung gegenüber Zirell ausgestattet.

    Sedrin hatte im eigenen Wohnzimmer gewartet, während Cupernica, die auf ihren Ruf hin sofort ins Haus der Huxleys gekommen war, ihn im Schlafzimmer behandelte. Die Androidin hatte ihm eine Beruhigungsspritze geben wollen. So fertig hatten die Ereignisse um Carusos Tod ihn gemacht. Obwohl der Kater das Haustier des eigenen Ehemannes und auch ihrer Selbst war, hatte Cupernica aber ihre Sachlichkeit behalten. Sie besaß keinen Emotionschip. Aber sie dachte sich, dass Huxley wohl nicht allein wegen des Katers so fertig war. „Gibt es etwas, das Sie mir sagen wollen, Commander?“, fragte sie. Sie kannte den Zustand, in dem sich Huxley jetzt befand, sehr gut. In ihrer gemeinsamen Dienstzeit auf der Eclypse hatte sie dies immer dann gesehen, wenn Huxley an etwas erinnert worden war, das er am liebsten hätte vergessen wollen. „Ich muss Ihnen etwas geben, Scientist.“, sagte Huxley. „Außerdem möchte ich Sie von der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber meiner Frau entbinden. Wie ich das sehe, werden Sie mich gleich schlafen schicken und dann kann ich ja nicht aussagen. Eine Aussage unter Medikamenten hätte auch rechtlich keine Gültigkeit. Sedrin müsste mit meiner Vernehmung warten, bis ich die Medikamente abgebaut habe. Aber die Zeit haben wir nicht. Oh, Gott, Cupernica, wenn Sie wüssten, was ich weiß.“

    Cupernica ließ die Spritze noch einmal sinken und setzte sich zu ihrem Patienten auf die Bettkante. Dass Huxley bekannt war, dass die Geschichte verändert wurde, hielt die Androidin für unwahrscheinlich. Aber unter Umständen hatte er etwas erlebt, das mehr Licht in die Sache bringen konnte. „Was wollen Sie mir geben, Commander?“, fragte sie. „Haben Sie Ihr Haftmodul bei sich, Scientist?“, fragte Huxley. „Im Augenblick leider nicht, aber ich kann es holen, wenn sie wollen.“, antwortete sie. „Bitte tun Sie das.“, bat Huxley. „Dann wird Ihnen einiges klarer werden.“ „Ich bin gleich wieder da.“, sagte Cupernica sachlich und stand auf, um aus der Tür zu gehen.

    Das Verlassen des Schlafzimmers war von Sedrin nicht unbemerkt geblieben. „Wo wollen Sie hin, Cupernica?“, fragte die Agentin, die den eiligen Schritt ihrer ehemaligen Untergebenen durchaus bemerkt hatte. „Ich hole nur mein Haftmodul, Agent.“, erwiderte Cupernica. „Was wollen Sie mit Ihrem Haftmodul?“, fragte Sedrin. „Ihr Mann hat mir gesagt, dass er mir etwas geben möchte.“, erklärte die Androidin. „Zu diesem Zweck wird es wohl notwendig sein. Außerdem hat er mich gegenüber Ihnen von der ärztlichen Schweigepflicht in seinen Belangen entbunden. Ich werde wahrscheinlich an seiner Statt eine Aussage machen müssen.“

    Sedrin verstand die Welt nicht mehr. Was konnte da passiert sein. Sie hatte sich auch denken können, dass nicht allein Carusos Tod für die Krise ihres Mannes verantwortlich war. Jenes Verhalten, das er an den Tag gelegt hatte, kannte sie aus den gleichen Situationen wie die Medizinerin. Schließlich war sie Jahre lang Huxleys erste Offizierin gewesen und konnte sein Verhalten deshalb entsprechend einordnen. Sie kam zu dem Schluss, dass sie wohl nichts erfahren würde, wenn sie Cupernica weiter aufhalten würde, sondern dass es besser wäre, sie machen zu lassen. Deshalb sagte sie nur: „Ist schon OK, Scientist. Ich würde nur gern nach meinem Mann sehen, wenn es möglich ist.“ „Sicher.“, erwiderte Cupernica. „Vom medizinischen Standpunkt aus wäre es ohnehin besser, wenn jemand bei ihm bliebe.“ „In Ordnung.“, sagte Sedrin. „Dann übernehme ich die Wache, bis Sie zurück sind.“ Cupernica nickte und verließ das Haus.

    Sedrin schlich leise ins Schlafzimmer und setzte sich zu Huxley. „Sind Sie schon wieder zurück, Scientist?“, fragte der Terraner, der sich mit dem Kopf zur Wand gedreht hatte. „Nein, ist sie nicht.“, erwiderte Sedrin.

    Huxley drehte sich um. „Du bist es, Jinya.“, sagte er. „Ja, ich bin’s.“, bestätigte Sedrin. „Was in Mutter Schicksals Namen ist dir passiert, das dich so in Angst gemacht hat? Ich halte Carusos Tod nicht für die primäre Ursache deiner Angst. Also, was ist passiert?!“ „Das kann ich dir nicht sagen, Jinya.“, erwiderte Jaden. „Jedenfalls sollte ich das dann mit einem Beweis untermauern können, damit du mir glaubst. Den kann ich aber nur mit Hilfe von Cupernica …“

    Sie griff seine Schultern und zerrte ihn vom Kissen hoch. „Jetzt hör mir mal zu, Jaden H. Huxley. Eigentlich dürfte ich dich gar nicht vernehmen, weil du ein Angehöriger bist. Aber ich bin die einzige Agentin, die dir, was auch immer du erlebt hast, glauben wird und die es vor allem richtig einordnen kann. Ich weiß, dass die Zeitlinie, an die du dich erinnerst, nicht die Korrekte ist. Aber du bist der einzige Mensch, der mir helfen kann, mich in der neuen Geschichte zurechtzufinden und herauszufinden, was richtig und was falsch gelaufen ist. Also, wenn du irgendwas weißt, dann raus damit!“

    Cupernica hatte das Zimmer betreten und legte das Haftmodul vor Huxley auf den Nachttisch. „Gut.“, sagte der Sternenflottenoffizier. „Nehmen Sie es und schließen Sie sich damit an meinen Hausrechner an. Der wird Ihnen Daten überspielen, sobald er die Verbindung mit Ihnen registriert. Das haben wir Tressa zu verdanken. Sie hat ein entsprechendes kleines Virus geschrieben. Sie werden Daten erhalten, die Ihnen das kalte Grausen einjagen werden, aber es geht nicht anders.“

    „Jaden, rede mit mir!“, verlangte Sedrin energisch. „Worin warst du verwickelt und wieso Tressa? Was hat sie damit zu tun?“ „Vor einem halben Jahr.“, begann Huxley. „Da hat die Regierung mir das Kommando über die Jericho gegeben.“ „Die Jericho ist ein Kriegsschiff!“, erschrak Sedrin. „Soll das heißen, wir haben den ersten Schlag gegen die Genesianer geführt?“ „Nein.“, sagte Huxley. „Aber sie brauchten alles, was zur Verteidigung taugte. Es war ihnen auch egal, dass das Führungsschiff der Flotte von einem Mann kommandiert wurde. Auf die Protokolle haben sie keine Rücksicht mehr genommen. Es wurden eine Menge Crews zusammengewürfelt. Anscheinend wusste der Vizepräsident nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Es war nämlich dieses Mal alles anders als bei jedem anderen genesianischen Angriff. Aber das wirst du selbst sehen, wenn Cupernica mit dem Herunterladen der Daten fertig ist.“

    Wie auf Stichwort löste sich Cupernica von der Konsole des Huxleyschen Hausrechners. „Haben Sie alles, Scientist?“, fragte Sedrin. „Allerdings.“, sagte die Androidin ernst. „Ich würde es Ihnen gern zeigen, Agent. Aber dazu sollten wir an einen anderen Ort gehen. Ich möchte nicht verantworten, dass die Genesianer misstrauisch werden könnten. Ich brauche einen Rechner, um es Ihnen zeigen zu können, aber wir dürfen leider nicht den benutzen, der vor unserer Nase steht. Die Genesianer könnten Verdacht schöpfen.“ „Nun mal langsam, Scientist.“, beruhigte Sedrin. „Soweit ich das verstanden habe, stehen wir noch nicht auf ihrer Liste.“ „Das könnte sich aber schnell ändern.“, entgegnete die Androidin. „Wenn wir uns weiterhin verdächtig verhalten. Die Genesianer dürfen nicht erfahren, dass wir uns an eine andere Zeitlinie erinnern, sonst landen wir in einem ihrer Gefangenenlager und das können wir ja wohl am wenigsten gebrauchen, wenn wir die Historie retten wollen.“ „Schon klar.“, zischte Sedrin ihr zu. „Also dann. Lassen Sie uns zu Ihnen gehen.“

    Cupernica nickte und legte Huxley noch ein medizinisches Gerät an, bevor sie ihm endlich die Beruhigungsspritze gab. „Dieser Monitor ist mit meinem F-14-Empfänger direkt gekoppelt.“, sagte sie zur Erklärung. „Ich kann Sie damit überwachen, auch wenn ich nicht mit Ihnen in einem Haus bin. Bitte schlafen Sie jetzt, Commander. Ihre Frau und ich werden den Rest erledigen.“ Huxley gab einen erleichterten Seufzer von sich und schloss die Augen, während Sedrin und Cupernica das Zimmer und das Haus verließen.

    Rastlos war Diran mit seinem Schiff durch alle bekannten und auch unbekannten Dimensionen geflogen. Von einer zur anderen und wieder zurück. Hinten im Veshel hatte er Kairon an eine Lebenserhaltung angeschlossen, die er mit dem Bordrechner gekoppelt hatte. Ihm war klar, dass der Bruder seiner Gebieterin in ernsten Schwierigkeiten steckte. Tun konnte er nicht wirklich etwas, zumal er sich das Verhalten der soeben Genannten nicht erklären konnte. Tolea war sonst immer so freundlich gewesen! Was war jetzt nur mit ihr los? Warum ließ sie zu, dass ihr eigener Neffe wohl eine so schwere Strafe bekommen würde, dass niemand sehen sollte, was es eigentlich für eine war? Warum hatte Tolea alles in ein schwarzweißes Licht getaucht und warum hatte sie regelrecht danach gegiert, ihn zu bestrafen, als sei es etwas, das ihr Vergnügen bereitet hatte?

    Immer und immer wieder hatte Diran die Bilder vom Duell und von der Strafe vor sich. Er musste sich eingestehen, dass er von letzterer nichts gesehen hatte, aber das schwarzweiße Licht ließ ihn nicht ruhen. Wo kam das Schwarz her?

    Der Gedanke an diese Frage füllte seinen Geist so sehr aus, dass er die Steuerkontrolle über sein Schiff zu verlieren drohte. Nur das Signal des Alarms verhinderte, dass er – inzwischen im Universum der Föderation angekommen – auf einen Meteoriten stürzte. „Ist ja gut.“, flüsterte Diran, während er sein Schiff mit einer großen ruhigen Steuerbewegung abfing und es stabilisierte. „Du hast ja Recht. Ich sollte mich jetzt wirklich um dich kümmern und nicht immer nur meinen trübsinnigen Gedanken nachhängen. Wir beide haben schließlich auch noch einen Passagier. Mishar, zeig mir das Biozeichenmonitoring der mobilen Lebenserhaltung!“ Nach einem kurzen Signal führte der Schiffsrechner seinen Befehl zwar aus, Diran konnte aber mit den Werten nicht wirklich etwas anfangen. „Interpretationsprogramm zuschalten!“, befahl er. „Akustische Meldung!“ Diran wollte seinen Blick jetzt voll und ganz auf das Fliegen des Schiffes konzentrieren. Da konnte er im Augenblick keinen Bildschirm ablesen. „Die momentanen Biozeichen deuten auf ein Koma hin.“, begann der Rechner. „Mögliche Ursache?“, fragte Diran weiter ab. „Überlastung des telepatischen Zentrums des Patienten.“, gab der Mishar zurück. „Welche Behandlungsmethoden stehen zur Auswahl?“, fragte Diran. „Stimulation durch medizinische Geräte, die Implantation eines biosynthetischen Ersatzes, natürliche Stimulation durch geistige Energie eines anderen Telepathen oder durch in der Sifa eines Vendar gespeicherte Energie.“, gab der Rechner zurück. „Hast du ein Glück, dass ich einer bin.“, sagte Diran, dessen Stimmung sich sehr aufgehellt hatte. „Jetzt müssen wir nur noch einen Telepathen finden, der bereit ist, mir eine Messerspitze seiner Energie zu geben, damit ich sie durch das Fütterungsritual vermehren kann. Halte nach Schiffen mit telepathischen Lebensformen Ausschau und wenn möglich, verbinde mich mit ihnen.“ „Befehl wird ausgeführt.“, sagte der Rechner.

    Fürs Erste mit sich zufrieden lehnte sich Diran zurück. Er wusste zwar nicht, wie lange es dauern würde, bis er so einem Schiff begegnete, aber im Föderationsuniversum gab es viele telepathische Völker. Außer den Vulkaniern, so dachte er sich, würden sich bestimmt einige bereit erklären. Seit Jorans Rebellion gegen Sytania hatten viele Telepathen ja auch gute Erfahrungen mit Vendar gemacht und wenn er ihnen sagte, wer er war und wen er hinten im Shuttle hatte, dann würde sich bestimmt jemand finden, der dazu bereit wäre. Nur das Verhalten seiner Gebieterin und das merkwürdige Erlebnis mit dem schwarzweißen Licht ließen ihm keine Ruhe. Er würde versuchen müssen, die Ursache hierfür zu finden.

    Die positive Lösung des Problems mit Kairon hatte Diran Mut gemacht. Er stand vom Pilotensitz auf und griff in seine Tasche, aus der er den Kontaktkelch hervorholte. Dann drehte er sich noch einmal zum Computermikrofon: „Mishar, übernimm die Steuerkontrolle! Halte Kurs, Höhe und Geschwindigkeit! Informiere mich über ankommende SITCH-Gespräche oder über sich nähernde Schiffe! Benutze das Rufzeichen meines Handsprechgerätes!“ „Ihre Befehle werden ausgeführt.“, erwiderte die freundliche männliche Rechnerstimme nüchtern.

    Diran ging durch die Tür, die das Cockpit mit der Achterkabine verband. Dann setzte er sich neben den still auf dem Rücken liegenden Kairon auf die Bank. Den Kontaktkelch stellte er auf einer Ecke der Konsole für die Lebenserhaltung ab, an die er den Bewohner des Raum-Zeit-Kontinuums angeschlossen hatte. Diesen Platz hatte der Vendar nicht unabsichtlich gewählt und auch die Tatsache, dass er überhaupt hier und nicht im Cockpit Kontakt mit seiner Gebieterin aufnehmen wollte, gehörte zu dem Plan, den er gefasst hatte. Tolea sollte ruhig sehen, was sie angerichtet hatte!

    Der Vendar legte beide Hände auf den Fuß des Kelches und konzentrierte sich auf das Bild seiner Herrin. Er wusste, dass es eine Weile dauern könnte, bis Tolea ihm antwortete. In letzter Zeit hatte er immer öfter beobachtet, dass sie sehr arrogant gegenüber den anderen Mitgliedern des Hohen Rates aufgetreten war. Dieses Verhalten hätte er allenfalls von Sytania erwartet!

    Diran erschrak selbst über das, was ihm da gerade durch den Kopf gegangen war. Aber wenn er herausbekommen wollte, was hier passiert war, dann würde er auch unbequeme Wahrheiten akzeptieren müssen. Aber andererseits fragte er sich, warum Tolea sich plötzlich charakterlich so verändern sollte. Sie hatte doch immer zu den Guten gehört! Was sollte sie bewogen haben, wie Sytania, die sie eigentlich zutiefst verabscheute, zu werden.

    Diran beschloss, seine Theorie zu verifizieren, bevor er seine Herrin mit ihr konfrontieren würde. „Mishar, welche Ursachen können plötzliche charakterliche Veränderungen bei einem Mächtigen haben und welche Ursache können schwarzweiße Blitze bei der Ausübung ihrer Macht haben? Suche in allen verfügbaren Datenbanken!“ „Schließt Ihr Befehl auch den Aufbau von SITCH-Verbindungen zur Konsultierung externer Datenbanken ein?“, fragte der Rechner. „Ja.“, antwortete Diran. „Bitte warten.“, kam es zurück.

    Diran hoffte, dass dieses Warten nicht länger dauern würde als das Warten auf Toleas Antwort. Sollte sie ihm vor dem Rechner antworten, würde er noch eine Menge Zeit schinden müssen. Er wusste, dass der Rechner, wenn er alle als Datenbanken in seinem Speicher ausgewiesenen Rufzeichen einbeziehen würde, wohl noch eine Weile brauchen würde, aber das war ihm egal. Wichtig war nur, dass durch seine vielleicht etwas merkwürdig anmutende Anfrage die richtigen Leute aufmerksam wurden. Noch durfte er nicht zu offensichtlich vorgehen, denn die Theorie, die er hatte, war zu ungeheuerlich und er konnte im Augenblick nur schwer berechnen, was Tolea mit ihm machen würde, wenn er sie ihr ohne Beweise präsentieren würde.

    Diran sah nicht vom Kontaktkelch auf. Er hörte nur dem stetigen Piepen des akustischen Monitoring der Lebenserhaltung zu, das ihm sagte, dass Kairon wohl in einem den Umständen entsprechend guten Zustand sein musste. Jedenfalls schrillte kein Alarm und das sagte ihm, dass in nächster Zeit keine Komplikationen zu erwarten waren.

    Ein Signal vom Handsprechgerät ließ ihn aufhorchen. „Ja, Mishar.“, meldete er sich. „Es wurde eine Übereinstimmung mit dem von Ihnen genannten Phänomen gefunden.“, meldete der Rechner. „Wo?!“, fragte Diran in freudiger Erwartung. „Tindaranische militärische Datenbank.“, erwiderte der Schiffscomputer. „Vorlesen!“, befahl Diran. „Existenz von schwarzweißen Blitzen.“, begann der Mishar. „Opfer der Infektion: Shimar, stationiert auf Basis 281 Alpha. Unfreiwillige Infektion durch Vereinigung der eigenen Fähigkeiten mit denen von Sytania, erreicht durch Täuschung. Beobachtung von charakterlichen Veränderungen durch Kameraden und kommandierenden Offizier. Lösung, Nutzen der schwarzen Macht gegen ihre Urheberin. Detaillierter Bericht ist abrufbar.“

    Diran wollte sich gerade den Bericht geben lassen, als Toleas Bild vor seinem geistigen Auge erschien. Was gibt es, Diran?, fragte sie genervt. Diran dachte seine Antwort nicht nur, sondern formulierte sie auch laut. Seine Wut war zu groß, als dass er sich hätte zusammennehmen können, um sie nur zu denken. „Was habt Ihr Euch dabei gedacht, Gebieterin, Eure Macht mit der Sytanias zu vereinen!“, konfrontierte er Tolea. „Ihr solltet doch eigentlich am besten wissen, was das für Konsequenzen haben kann!“ Wie kommst du darauf, dass ich das getan haben könnte?, fragte sie telepathisch zurück und Diran konnte eine große Trauer und Enttäuschung heraushören, wusste aber, dass dies ebenso gut gespielt sein konnte und vielleicht nur dazu diente, ihn von dieser Spur abzubringen. Vielleicht hoffte sie ob ihrer traurigen Antwort auf sein Mitleid. Dies aber wollte Diran auf keinen Fall zu- und in seinen Bemühungen genau so wenig nachlassen. Er musste sicher werden, was mit ihr los war. Es durfte einfach nicht nur eine Theorie bleiben, die ihm Nacht für Nacht den Schlaf rauben würde. Die Wahrheit würde im ersten Moment sicher wehtun, aber besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. „Ich habe die schwarzweißen Blitze gesehen, Gebieterin.“, nagelte er sie weiter fest. „Ihr könnt nicht leugnen! Warum habt Ihr das getan? Ich glaube nicht, dass Sytania Euch getäuscht hat wie den armen Shimar damals und da sind wir schon bei meiner Quelle. Das steht in der Datenbank der Tindaraner, ja sogar des tindaranischen Militärs. Wenn die davon erfahren, dann …!“ Überlege was du tust, Diran!, schrie ihr Geist ihn an, aber im gleichen Moment mäßigte sie sich wieder: Tut mir leid, ich wollte dich nicht bedrohen und das mit der Vereinigung der Macht stimmt auch, aber ich bin diejenige, die alles unter Kontrolle hat. Ich wollte Sytania damit eine Lehre erteilen.

    Diran war skeptisch. Er wusste nicht, ob er ihr das glauben sollte. Sicher hatte Shimar auch das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben, aber das war sicher nicht so. Er beschloss, zunächst zu tun, als würde er ihr glauben. In Wahrheit aber würde er weiter nach Beweisen suchen und nach einer Möglichkeit, die in der Datenbank genannte Lösung zu gegebener Zeit auch bei ihr anzuwenden.

Du musst login (registrieren) um ein Review abzugeben.
Creative Commons License
Science/Fantasy-Ecke Website von Kamil Günay steht unter einer Creative Commons Namensnennung-Keine kommerzielle Nutzung-Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz.