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    Nervös saß Tolea in ihrem Palast im Raum-Zeit-Kontinuum vor ihrem Kontaktkelch. Ihr war längst klar, dass Diran sie durchschaut hatte, aber sie wusste auch, dass, würde es herauskommen, dies Konsequenzen für sie hätte. Immer wieder stellte sie sich Sytanias Bild vor, aber die Königstochter schien sie warten zu lassen. Für sie war Tolea nichts als eine Schachfigur auf dem Weg zur Macht, denn, wenn Dill stürbe, dann gäbe es nur noch die Mächtigen im Kontinuum, die Zeit und Raum beschützen könnten. Wenn dann auch noch Kairon aus dem Weg wäre, wäre sie mit Tolea allein und könnte ihr, da beide ihre Macht nach Sytanias Bedingungen vereint hatten, alles diktieren, was sie wollte. Der Hohe Rat dürfte für Tolea kein Problem sein, so hoffte Sytania. Mit Freuden hatte sie beobachtet, dass die Infektion mit schwarzer Macht bei ihrer quasi Verbündeten schnell vorangeschritten war. Irgendwann würde Tolea denken wie sie und dieser Zeitpunkt war nicht mehr fern. Dann würde sie auch das Element der Überraschung gegen den Rest des Hohen Rates benutzen und dann …

    Endlich sah Tolea Sytanias Gesicht im spiegelnden Material des Kontaktkelches, ein Zeichen, dass sie jetzt doch eine Verbindung aufbauen würde. „Was gibt es, Tolea?“, fragte Sytania. „Du wirkst heute sehr nervös.“ „Das bin ich auch.“, erwiderte Tolea, die, da sich Sytania im Kontaktkelch manifestiert hatte, auch verbal mit ihr kommunizieren konnte. „Diran hat es herausbekommen, Milady. Er weiß …“ „Was kümmert’s mich!“, keifte Sytania zurück. „Er ist nur ein Vendar. Ein Diener von dir. Was kann er schon ausrichten?“ „Ich denke, dass er eine Menge Verbindungen anzapfen kann. Seine Frau gehört zu den Rebellen unter Joran Ed Namach und die arbeiten für die Tindaraner. Wenn er …“ „Die Tindaraner!“, unterbrach Sytania sie mit schallendem Gelächter. „Deren Dimension ist doch dank deines Neffen auch von den Genesianern erobert worden. Die werden sicher noch viel zu irritiert sein, um irgendeine Aktion deines Dieners zu durchschauen. Diran ist auf sich allein gestellt. Er wird keine Hilfe bekommen können. Es ist alles nicht so schlimm wie du glaubst, verehrte Freundin und nun beruhige dich!“ „Es geht mir ja im Grunde auch nicht um die Informationen an sich.“, gestand Tolea. „Mein Diener hat meinen komatösen Bruder hinten im Shuttle. Wenn er ihn zu den Tindaranern bringt, dann …“

    Sytania wurde blass. Sie wusste wie gut die Tindaraner darin waren, eine Sache zu untersuchen, wenn man ihnen erst mal einen Beweis in die Hand gab. „Warum hast du es überhaupt dazu kommen lassen, Tolea?!“, fragte die Prinzessin streng. „Warum hast du ihn nicht selbst irgendwo hin teleportiert? Dann müsstest du jetzt nicht fürchten, dass alles herauskommt!“ „Ich war von dem Duell sehr müde und angestrengt, Milady.“, bat Tolea um Verzeihung. „Ich hätte es nicht mehr vermocht.“ „Ausreden, Ausreden, Ausreden.“, leierte Sytania herunter. „So etwas gibt es bei mir nicht, merke dir das!“

    Sie nahm Tolea einen Teil der schwarzen Macht, die sie ihr gegeben hatte. „Wie fühlt sich das an, he?!“, fragte sie. „Ja, so gehe ich mit Versagern um!“

    Tolea fühlte einen rasenden Kopfschmerz. Da sich die schwarze Macht bereits mit ihrer vereint hatte, fühlte sie das Gleiche, als würde ihr jemand langsam die eigenen Fähigkeiten entziehen. „Ich weiß, wie ich mich bei Euch sicher wieder Liebkind mache, Milady.“, stieß sie mit gepresster Stimme hervor. Sytania ließ ab und fragte: „So, wie denn?!“ „Es gibt einen weiteren ungeliebten Zeugen, Prinzessin. Das heißt, eigentlich ist es eine Zeugin. Mein Neffe hat ein weibliches Geistwesen erschaffen, das Shashanas Körper übernommen hat und das ihr auch die Fähigkeiten verliehen hat, mit deren Hilfe sie die Dimensionen erobert hat. Dieses Wesen könnte ich für Euch finden und töten. Dann müssten wir weniger fürchten, eines Tages entlarvt zu werden.“ „Also gut.“, sagte Sytania und gab ihr den Teil der Macht zurück, den sie ihr genommen hatte. „Aber wehe dir, wenn du versagst!“

    Langsam flog Kamurus durch das Universum der Föderation. Er hatte bemerkt, dass rund um ihn herum fast nur genesianische Schiffe und Stationen zu existieren schienen, zumindest wenn er den Transpondersignalen Glauben schenken durfte. Auch einige Sternenflottenbasen, an denen er vorbeigekommen war, bestätigten dieses Bild. Auch sie hatten genesianische Signale. „Hier hat sich einiges verändert, Kamurus.“, sagte er zu sich. „Du fliegst besser nicht zu schnell, um keine zu große Antriebsspur zu legen. Wenn du bei einem Viertel Impuls bleibst, ist dein Feld kaum vom Hintergrundbild zu unterscheiden. Es wird jetzt zwar etwas dauern, bis du auf Celsius ankommst, aber besser langsam und heil ankommen, als gar nicht oder von den Genesianern schrottreif geschossen. Moment, was ist denn das?“

    Er war auf eine merkwürdige Wolke in Herzform aufmerksam geworden, die sich ihm genähert hatte und jetzt mit ihm auf Parallelkurs flog. Er scannte sie genauer und stellte fest, dass sie ein Neuralmuster enthielt. „Sieh an.“, meinte er. „Du bist also eine Lebensform. Aber warum fliegst du neben mir her? Na ja. Vielleicht haben wir einfach nur den gleichen Weg.“

    Kamurus bemerkte, dass auch er von der Lebensform gescannt zu werden schien. „Aha, du willst also auch wissen, was ich für einer bin.“, schloss er. „Kein Problem. Du hast das gleiche Recht auf Wissen wie ich. Also mach ruhig. Was tue ich hier eigentlich? Ich bin ja noch nicht einmal sicher, ob du mich hören kannst. Ich könnte mit dir zu SITCHen versuchen, aber unter Umständen tut dir mein Sender durch die elektromagnetischen Wellen sogar weh. Du bist sicher extrem selten. Jedenfalls enthalten meine Datenbanken nichts über herzförmige Wolken, die durchs All fliegen.“

    Plötzlich registrierte Kamurus eine merkwürdige Front aus schwarzweißen Blitzen, die auf das Wesen und ihn zukam. Dann sah er, wie die Front das Wesen einzuhüllen und zu durchschneiden versuchte. Wie sehr wünschte er sich jetzt, dass Ginalla hier wäre. Sie hätte sicher gewusst, was jetzt zu tun war. Das selbstständig denkende Schiff verstand die Welt nicht mehr. Eigentlich war ihm beigebracht worden, jetzt auf die Hilfe seines biologischen Piloten zurückzugreifen. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Obwohl er keine Referenzdaten zu so einer Situation hatte, musste er das hier jetzt wohl allein entscheiden. Allerdings orientierte er sich dabei schon an Ginalla, die ja eine Bürgerin der Föderation war. Die Föderation würde jedes seltene Wesen erforschen wollen. Außerdem war das mit den schwarzweißen Blitzen merkwürdig. Schwarzweiße Blitze konnten nur dann entstehen, wenn ein guter Mächtiger seine Macht mit der eines bösen Mächtigen vereinte. Das würde der Gute sicher nur dann freiwillig tun, wenn er vom Bösen getäuscht oder auf irgendeine Art dazu gezwungen worden wäre. „Ich muss dem Wesen helfen!“, entschied Kamurus. „Ginalla hätte sicher nichts anderes getan. Vielleicht kann ich sogar dazu beitragen, dass dies alles hier aufgeklärt wird. Mir fällt nur eine böse Person ein, die die Frechheit besitzen würde, jemanden von den Guten so zu hintergehen, und zwar Sytania! Aber die darf auf keinen Fall gewinnen!“

    Entschlossen drehte er eine Schleife, um zwischen das Wesen und die Blitze zu kommen. Dann hob er seine Schilde und dehnte sie auf das Wesen aus. Danach feuerte er die Rosannium-Waffe ab: „Nehmt das, Sytania! Um denjenigen, den Ihr getäuscht habt, tut es mir leid, aber um Euch keines Falls!“ Eine zweite Salve folgte, mit der er die schon angeschlagene Front völlig zerstörte. „So, das war’s.“, stellte er fest. „Jetzt bist du in … Oh, nein!“

    Seine Sensoren hatten Kamurus eine Wahrheit offenbart, die er nicht für möglich gehalten hatte und nur schwerlich verkraften konnte. Die Wolke war zu einem unförmigen Ding zusammengeschrumpft. Sofort scannte er sie nach der Neuralsignatur, konnte diese aber nur sehr schwach wahrnehmen. „Was mache ich denn jetzt nur mit dir?“, fragte er. „Ich kann dich doch nicht so einfach sterben lassen. Anscheinend bist du ein körperloses Wesen und ihr könnt ja nur in hoch ionischen Atmosphären überleben. Vielleicht kann ich die Umweltkontrollen in meinem Frachtraum … Aber sicher und dann beame ich dich hinein und bringe dich zu Ginalla. Sie wird schon wissen, was wir mit dir anstellen. Jedenfalls kriegt Sytania dich nicht! Nicht, wenn ich es verhindern kann. Wenn ich doch nur mit dir kommunizieren könnte!“

    Kamurus’ modifizierte Umweltkontrollen liefen auf Hochtouren. Es schien ihm unendlich lang, bis die gewünschten Werte erreicht waren. „Endlich!“, atmete er auf. „So und jetzt hab keine Angst. Das ist nur mein Transporter.“ Mit diesen Worten beamte er das Wesen in seinen Frachtraum und riegelte diesen hermetisch ab. Die hoch ionische Atmosphäre sollte sich auf keinen Fall mit der Normalen mischen.

    Er hatte zwar das Wesen fürs Erste in Sicherheit gebracht, dennoch wollte er gern wissen, woher es kam und warum Sytania hinter ihm her war. Aber wie sollte Kamurus mit ihm kommunizieren? Auf SITCH würde es nicht reagieren können. Wenn, dann war allerhöchstens telepathische Kommunikation mit ihm möglich, aber dazu fehlten ihm die Mittel. Jedenfalls zur echten telepathischen Kommunikation. Dass er auf elektronischem Wege Gedankenbefehle empfangen konnte, was als so genannte unechte telepathische Kommunikation galt, war ihm klar, aber …

    „Der Neurokoppler!“, rief er aus. „Natürlich! Oh, Kamurus. Manchmal siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht! Was sind denn Gedanken? Gedanken sind neurale Energie und der Koppler kann sie auffangen und ich muss nur eine Tabelle von dem Wesen erstellen. Dann dürften wir uns verständigen können.“

    Er beamte den Neurokoppler, den Ginalla benutzt hatte und den sie ihm gelassen hatte, aus der Ablagemulde auf die Steuerkonsole. Nur verfluchte er die Tatsache, dass Ginalla immer nach dessen Benutzung den Stecker gezogen hatte. Ihre Hände würden jetzt sehr hilfreich sein, um ihn anzuschließen. Aber sie war ja nicht da. „Na schön.“, sagte Kamurus. „Dann muss ich jetzt eben ganz genau zielen.“ Damit erfasste er den Koppler erneut und beamte ihn so auf eine Konsole im Frachtraum, dass der Stecker genau in der Buchse landete. Die Signale, die er bald darauf erhielt, waren verheißungsvoll. „Es hat funktioniert!“, freute er sich und machte sich an das Erstellen der Reaktionstabelle.

    Wer bist du?, fragte ihn das Wesen bald telepathisch. „Mein Name ist Kamurus.“, gab der Avatar in altbekannter Weise zurück. „Ich bin ein selbstständig denkendes Raumschiff. Ich bringe dich zu meiner Pilotin. Gemeinsam werden wir beratschlagen.“ Dazu wird es nicht mehr kommen, Kamurus., erwiderte das Wesen traurig. Bis wir dort sind, werde ich tot sein. Ich sehe, dass du alles tust, um mir das Leben angenehm zu machen, aber es ist zu spät. Ich kann nur noch eines tun.

    Kamurus wurde mit einer Flut von Daten überschwemmt, die er nur schwerlich sortieren konnte. Dann beobachteten seine internen Sensoren, wie die Wolke weiter zusammenschnurrte, um sich schließlich zu einem Nichts aufzulösen. „Ruhe in Frieden, neue Freundin.“, sagte er. „Auch, wenn wir uns nur wenige Minuten kannten. Aber deine Informationen werde ich hüten wie meinen Hauptprozessor. Ich werde sie zu den richtigen Leuten tragen. Verlass dich auf mich!“

    Elektra hatte Tchey in Kissaras Bereitschaftsraum gebracht, den Mikel, ihr Einverständnis vorausgesetzt, kurzerhand zum Verhörzimmer umfunktioniert hatte. Dort saß er bereits an Kissaras Schreibtisch und hatte ein Pad vor sich, welches auf akustische Aufzeichnung geschaltet war. Dass Mikel nicht anders Notizen würde machen können, war Tchey bekannt. Schon seit unserer gemeinsamen Zeit auf der Akademie war sie mit Mikels und meiner Arbeitsweise vertraut gewesen. Wir hatten auch sonst, außer dass sie und ich Klassenkameradinnen gewesen waren, viel Zeit miteinander verbracht.

    Elektra war im Türrahmen stehen geblieben und hatte Tchey zu Mikel durch gewunken. Diese stellte sich aufrecht vor den blinden Agenten und sagte salutierend: „Sir, Allrounder Tchey Neran bittet um Erlaubnis, eine Aussage zu machen!“ „Erteilt!“, entgegnete Mikel. „Kommen Sie her, Allrounder!“ Dann drehte er sich Richtung Tür und sagte zu der dort immer noch stehenden Elektra: „Das wäre alles, Technical Assistant. Wegtreten!“ Elektra nickte und verließ den Raum, dessen Türen sich wieder langsam schlossen.

    Tchey hatte, wie Mikel unschwer bemerkt hatte, ihr Pfefferminzparfum aufgelegt. Das machte es ihm möglich zu registrieren, dass sie sich links neben ihn gesetzt hatte. „So, Tchey.“, meinte Mikel. „Und jetzt lass den Quatsch mit dem Salut und den Förmlichkeiten. Wir sind allein und …“ „Aber das Protokoll.“, entgegnete Tchey und sah prüfend zum Pad herüber. „Das Pad nimmt noch gar nicht auf.“, sagte Mikel. „Noch reden wir ganz privat. Außerdem wird es nur deine Antworten aufnehmen. Die Fragen stehen ja schon im Computer.“ „Und du hast sie auswendig gelernt.“, schloss Tchey. „Du hattest ja damals schon ein Mega-Gedächtnis.“ „Wenn man drauf angewiesen ist.“, sagte Mikel lächelnd.

    Er nahm eine letzte Einstellung am Pad vor und schob es in ihre Richtung. „Es nimmt auf, sobald du sprichst.“, informierte er sie knapp. Tchey nickte. Dann begann Mikel: „Fangen wir mit deinen Personalien an. Nenne bitte deinen vollständigen Rang und Namen.“ „Allrounder Tchey Neran.“, erwiderte Tchey und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Mikel noch auf etwas zu warten schien. „Hast du nicht einen Doppelnamen?“, fragte er. „Nicht mehr.“, sagte Tchey und verzog das Gesicht. „Lasse und ich sind geschieden seit ziemlich genau.“, sie sah auf die Uhr: „Zwei Wochen, drei Tagen, vier Stunden, achtzehn Minuten und zwölf Sekunden.“ Mikel pfiff durch die Zähne. „Wenn du das so genau nimmst, dann verschafft es dir wohl große Erleichterung.“, vermutete er. „Darauf kannst du wetten.“, sagte Tchey und gab einen von Erleichterung zeugenden Laut von sich. „OK.“, sagte Mikel. „Was ist dein Schlupfdatum?“ „2995.1206,0802.“, antwortete Tchey. „Alles klar.“, erwiderte Mikel. „Bevor du fragst, ich bin auf Skebbiger geschlüpft und wohne jetzt auf Terra, wo ich als Pilotin für die Rettung arbeite.“ „Wow.“, machte Mikel. „Aber doch nicht gleich so forsch.“ „Kennst mich doch.“, sagte Tchey. „Allerdings.“, gab der Agent zu. „Kommen wir aber nun zur Sache. Schildere mir den Tag, als du und Betsy gesehen habt, was auch immer ihr gesehen habt, bitte von Anfang an.“ „OK.“, sagte Tchey und lehnte sich zurück. „Also, ich war so richtig schön in Urlaubsstimmung und wollte mal einen gepflegten Urlaub in Zeitland verbringen. Da ist mir dann Betsy über den Weg gelaufen und ich hatte mich mit ihr für einen kleinen Shuttleflug unter Freundinnen verabredet. Vielleicht hat sie dir auch gesteckt, dass ihr Schiff hier ist.“ „Gegen Lycira und Betsy anzutreten hat dich wohl gereizt, was?“, erkannte Mikel. „Ja!“, gab Tchey zu und warf cool die Beine übereinander.

    Mikel hörte zu, aber es verging einige Zeit. Schließlich fragte er: „Und was geschah dann?“ „Dann.“, fuhr Tchey fort, „Dann habe ich mir ein Shuttle gemietet und wir haben uns getroffen, um ins Universum zu fliegen. Als wir dort waren, haben wir aber unser genesianisches blaues Wunder erlebt.“ „Werd’ mal deutlicher!“, forderte der Spionageoffizier. „Also gut.“, stöhnte Tchey, die nur ungern an die ersten Bilder nach unserer Ankunft erinnert wurde. „Da waren überall Genesianer. Was soll ich sagen. Alles voller Genesianer. Genesianer an allen Ecken und Enden. Zumindest laut den Transpondersignalen. Dann sind wir aber auch noch einem von ihren Schiffen begegnet und haben uns an Bord geschleust. Da haben wir dann vielleicht was gesehen! Aber die entscheidende Info darüber hat Betsy. Die kann Genesianisch und dir damit sicher viel mehr helfen als ich.“

    Eine Weile lang hatte Mikel überlegt. „Stopp, Tchey.“, sagte er. „Da komme ich nicht mehr mit. Warum wart ihr im genesianischen Gebiet?! Ich muss dir als einer ehemaligen Kameradin doch wohl nicht erklären, dass du mit einem zivilen Mietshuttle ohne Waffen nicht in das Gebiet eines kriegerischen Volkes fliegen solltest. Betsy und Lycira hätten dich bestimmt nicht so ohne Weiteres verteidigen können!“ „Wir waren nicht in ihrem Gebiet.“, entschuldigte sich Tchey. „Man könnte sagen, die Genesianer sind in unserem!“ „Wie meinst du das?!“, fragte Mikel jetzt schon etwas empört. „Anscheinend haben die vor einem halben Jahr das Gebiet der Föderation erobert. Ich weiß, das ist nicht die Zeitlinie, an die du dich erinnerst und an die sich alle erinnern inklusive meiner Person. Aber Betsy, Lycira und ich gehen davon aus, dass die Geschichte verändert worden ist. Das würde bestimmt auch Dills schlechten Gesundheitszustand erklären.“

    Der erste Offizier schluckte. Ihre letzte Äußerung hatte ihn bis ins Mark getroffen. Schließlich war Dill sein Nennvater. „Sorry.“, sagte Tchey, nachdem sie ihn angesehen hatte. „Bin wohl etwas heftig geworden.“ „Es ist nicht deine Schuld.“, entlastete Mikel sie. „Aber was für eine Information hat Betsy?“ „Frag sie selbst.“, antwortete Tchey. „Ich bin unheimlich schlecht im Auswendiglernen genesianischer Heldenlieder. Mehr kann ich dir nun wirklich nicht sagen.“ „Also gut.“, antwortete Mikel. „Du kannst gehen. Den Rest werde ich schon von Betsy erfahren.“ „Sehr liebenswürdig.“, erwiderte Tchey und stand auf. „Dann werde ich mal mein Schiff zurückbringen.“

    Wie von Mikel gewünscht hatte ich mein Quartier aufgesucht und mich dort eine Weile aufs Ohr gelegt, als die Sprechanlage mich aus dem Halbschlaf holte. „Wer ist dort?“, fragte ich. „Ich bin es.“, meldete sich eine mir wohl bekannte Stimme. „Einen Augenblick, Commander.“, sagte ich, denn ich hatte Kissara erkannt. Dann befahl ich in Richtung Rechner: „Computer, Tür entriegeln!“

    Die Türen glitten auseinander, aber ich vernahm keine Schritte, was für mich ungewöhnlich war. Der Boden meines Flures war mit den üblichen Teppichen ausgelegt, wie sie auf Sternenflottenschiffen Standard waren, aber dies hätte allenfalls eine Reduzierung des Schalls zur Folge gehabt, nicht aber seine vollständige Absorption.

    Ich warf irritiert den Kopf herum, als sich etwas Weiches zu mir auf das Bett gesellte und dann meinen Kopf in beide Hände nahm, um ihn an seine Brust zu drücken. Das weiche Fell der Person, die dies tat, erkannte ich sehr wohl. „Ma’am?“, fragte ich. „Wer sonst?“, gab sie zurück. „Oder kennen Sie noch einen thundarianischen Offizier an Bord dieses Schiffes.“ „Nein.“, sagte ich und versuchte, mich aus ihrem Griff zu befreien. „Was soll denn das, Betsy?“, fragte sie immer noch genau so ruhig. „Ich will Ihnen doch nur helfen.“ Dann spürte ich, wie sie tief Luft holte. „Bitte nicht schnurren, Commander.“, bat ich. „Wenn Sie schnurren, werde ich mich entspannen und dann lasse ich meinen Gefühlen freien Lauf.“ „Ach ja?“, bemerkte Kissara. „Ich wusste gar nicht, dass wir auf einem vulkanischen Schiff sind, wo man das nicht darf. Wann haben wir die Flagge denn gewechselt, Allrounder? Den Zeitpunkt muss ich wohl total verschlafen haben.“ Ich lachte. Dann aber wurde ich sofort wieder ernst. „Zu früheren Zeiten hätte ein Sternenflottencaptain sicher so etwas nicht gemacht, Ma’am.“, sagte ich. „Ich meine, derartige Vertraulichkeiten könnten …“ „Mein Gott!“, erwiderte Kissara und tat dabei extrem empört. „Sie sollten doch langsam wissen, dass ich einiges anders mache. Bei mir sind solche Vertraulichkeiten, wie Sie es nennen, nicht schlimm. Außerdem werden sie uns vieles erleichtern. Ich habe Agent Mikel versprochen, ihm den Weg für Ihr Verhör zu ebnen und ich weiß genau, dass sie sehr leicht traurig und aufgeregt werden, wenn Ihnen etwas gegen die moralische Hutschnur geht. So aufgelöst können Sie keine rechtsgültige Aussage machen. Jeder Anwalt würde dem armen Mikel Ihre Aussage in der Luft zerreißen. Also, was ist dagegen einzuwenden, wenn ich Ihnen etwas die Angst nehme, beziehungsweise, dass Sie diese bei mir ausleben können, bevor er Sie vernimmt? Eine Thundarianerin wie ich erreicht dies am besten durch Schnurren. Vertrauen Sie mir.“ Ihre letzten beiden Sätze waren bereits mit dem Schnurren verschmolzen, dass sie anstimmte.

    Ich hatte keine Chance, ihrem Konzert zu entkommen, das wusste ich jetzt. Da sie genau so gelenkig wie eine Katze war und auch genau solche Reflexe hatte, konnte ich mir denken, dass sie auf jede meiner Bewegungen entsprechend reagieren würde. Also ließ ich zu, dass mein Kopf in ihr Brustfell sank. Dabei zitierte mein Geist gegen meinen Willen das genesianische Lied, das die Sängerin auf dem Fest zum Besten gegeben hatte. Mit einer solchen Inbrunst hatte sie es vorgetragen, dass ich mir dachte, dass sie an seinen Wahrheitsgehalt wirklich und wahrhaftig glauben musste. Die armen Genesianer!, dachte ich. Irgendein Mächtiger benutzt sie als Spielball und sie merken es nicht. Aber den Namen des Mächtigen kann ich mir schon denken. Ich hasse Euch dafür, Sytania! Ich hasse Euch dafür, dass Euch noch nicht einmal der Glaube einer Spezies heilig ist!

    Tränen der Wut rannen über meine Wangen und fielen in Kissaras weiches Fell. „Bitte lassen Sie mich los, Commander.“, bat ich. „Ich will nicht, dass Sie durch mein ungehöriges Verhalten …“ „Wo haben Sie denn ungehöriges Verhalten gezeigt?“, fragte sie. „Ich habe.“, begann ich. „Ihre Uniform! Ihr Fell! Es tut mir leid! Es tut mir leid!“, stammelte ich weiter und begann zu zittern. „Sie sind doch eine intelligente junge Frau.“, begann sie. „Denken Sie nicht, dass ich gewusst habe, worauf ich mich einlasse, wenn ich Ihnen meine Brust zum Ausweinen anbiete?“, fragte sie. „Gegen schmutzige Uniformen hat irgendein Schlauberger mal den Reinigungsbetrieb des Replikators erfunden und gegen Tränen im Fell habe ich selbst etwas Praktisches.“

    Sie senkte ihren Kopf und ich hörte ein Geräusch, das ich nur noch von meinem Kater aus meiner Kindheit in Erinnerung hatte, nur war es bei ihr um ein Vielfaches lauter. „Machen Sie das wirklich mit der Zunge?“, fragte ich, denn ich konnte meinen eigenen Ohren nicht trauen. „Natürlich.“, sagte sie, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. „Auf Thundara ist diese Art der Körperpflege allgemein üblich. Aber wenn Sie Ihren Ohren nicht trauen, vielleicht trauen Sie dann Ihren Händen. Ich habe mittlerweile gelernt, dass Sie die Welt am besten begreifen, indem Sie sie begreifen. Also nur zu. Außerdem hat Loridana festgestellt, dass ich unter Salzmangel leide und ich hasse diese Salztabletten! Warum soll ich dann also nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, wo Sie mir doch gerade so viel schönes Salz geliefert haben.“ Wieder begann sie zu schnurren.

    Ich stand auf, nachdem sie mich jetzt doch losgelassen hatte. Dann ging ich um sie herum und betastete ihren Körper. Sie saß in gebeugter Haltung da. Ihr Kopf war nach vorn geneigt und ihre Schnurrhaare berührten ihre Brust. Außerdem spürte ich von Zeit zu Zeit ihre Zungenspitze, die durch ihr Brustfell kämmte. Dass sie zu so etwas in der Lage war, konnte ich mir denken, denn ich wusste, dass ihre Wirbelsäule flexibel war wie die einer terranischen Katze.

    Jetzt hatten die Widerhaken ihrer rauen Zunge auch noch meine Hand berührt. „Das kitzelt!“, rief ich aus und musste laut lachen. Sie richtete sich zufrieden auf. „Na also.“, meinte sie. „Dann habe ich ja doch noch erreicht, was ich erreichen wollte.“ „Was meinen Sie, Commander?“, fragte ich. „Ein guter Commander muss wissen, wann und wie er die Truppe oder auch einzelne Besatzungsmitglieder glücklich machen kann.“, erwiderte sie. Dann ging sie lächelnd. Warum ich ihre Schritte nicht gehört hatte, war mir mittlerweile auch klar. Sie musste ihre Schuhe vor meinem Quartier ausgezogen haben. Wenn sie das tat, konnte sie mit genau so sanften Sohlen gehen wie eine terranische Katze.

    Ich stand vom Bett auf und wollte in Richtung von Mikels letzter Position aufbrechen. „Computer.“, wendete ich mich an den Rechner unseres Schiffes. „Wo befindet sich Agent Mikel?“ „Agent Mikel ist in Commander Kissaras Bereitschaftsraum.“, erfolgte eine nüchterne Antwort.

    Ich ging in Richtung Tür, als ich von dort näher kommende Schritte vernahm. Die Schritte schienen nicht vorbeizugehen, sondern behielten ihre Richtung bei. Diesen forschen Schritt kannte ich und deshalb ließ ich den Rechner auch gleich die Tür öffnen und sie im offenen Zustand blockieren. „Komm rein, Tchey!“, rief ich der auf mich zukommenden Quelle der Schritte zu. „Woher wusstest du, dass ich es bin?“, fragte sie erstaunt und schob mich in den Raum zurück. „Ich höre gut.“, erklärte ich. „Konnte ich mir denken.“, grinste sie.

    Wir setzten uns auf mein Bett. „Ich wollte mich nur noch mal von dir verabschieden.“, erklärte Tchey ihre Anwesenheit. „Schließlich haben wir einiges zusammen erlebt.“ „Danke.“, sagte ich etwas abwesend. „Was is’ los?“, fragte sie plump, denn sie hatte diese Art von Abwesenheit bei mir immer dann beobachtet, wenn mir etwas gewaltig gegen den moralischen Strich ging. „Ich habe verbotene Gedanken.“, gestand ich. „Oh, gleich stürzt das Himmelsgewölbe ein.“, scherzte sie. „Die immer brave Betsy hat verbotene Gedanken. Ich denke, du solltest sie mal jemandem mitteilen, die damit umgehen kann.“ „Wen meinst du damit?“, fragte ich. „Einen psychologischen Berater haben wir hier nicht.“ „Ich dachte eigentlich an die äußerst versierte und daran gewöhnte Tchey.“ „Also gut.“, lenkte ich ein. „Die Genesianer tun mir leid, Tchey. Sie wurden einfach von irgendeinem Mächtigen für ihre oder seine kranken Spielchen missbraucht. Mir fällt nur eine ein, die ein Motiv hätte, so etwas zu tun. Nämlich Sytania. Wenn sie die Genesianer benutzt, um die Zeitlinie derart zu schädigen, dass Dill beim Versuch sie zu schützen stirbt, dann hat sie freie Hand und kann eventuell ihren Traum wahr machen, die Föderation einfach aus der Geschichte zu tilgen. Ich weiß, dass das nicht richtig ist, aber auch die Genesianer sind unsere Feinde. Als Sternenflottenoffizierin dürfte ich doch kein Mitleid für sie fühlen, oder?“

    Tchey stand auf und stellte sich vor mich hin. „Warum bekriegen die Genesianer die Föderation?“, fragte sie und ich kam mir vor, als stünde meine alte Völkerkundeprofessorin von der Akademie vor mir. „Weil sie finden, dass die Föderation ein ehrenhafter Gegner ist und es ihnen einen ruhmreichen Platz im Gore verspricht, sich mit ehrenhaften Kriegern zu messen.“ „Hassen sie uns dann?“, fragte Tchey weiter. „Nein.“, antwortete ich. „Siehst du?“, sagte sie. „Also darfst du auch Mitleid für sie empfinden. Für Sytania sind wir alle gleich. Für sie sind wir nur Schachfiguren, die sie hin und her schieben kann und benutzen kann, wann sie will, wenn wir uns nicht wehren. An deiner Stelle würde ich alles dazu beitragen, die Sache auch den Genesianern gegenüber zu beweisen, was ich kann. Oh, ich beneide dich! Wie gern würde ich dabei sein, wenn ihr Sytania in die Suppe spuckt.“ „Du hattest deine Chance, meine Liebe!“, grinste ich ihr zu. „Hey.“, sagte sie und piekte mir in den Bauch. „Unsere Gegnerin war nicht Sytania.“ „Ich weiß.“, sagte ich. „Aber nun entschuldige mich bitte. Ich muss zu Mikel.“ „Schon klar, Miss Diensteifer!“, grinste sie und wir verließen gemeinsam den Raum.

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