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    Ich hatte mich zu Mikel aufgemacht, nachdem ich Tchey an einer Weggabelung verabschiedet hatte. Mir war klar, dass mein Freund und Vorgesetzter mich bereits erwarten würde. Aber mir schnürte sich die Kehle bei dem Gedanken daran zusammen, was ich ihm zu sagen hätte.

    Der Knopf für die Türsprechanlage war schnell gefunden. Allerdings hatte ich gehofft, es würde etwas länger dauern, bis ich ihn gefunden hätte. Ich ahnte, dass Mikel durch die Situation mit Dill vielleicht sehr belastet war und in mich große Hoffnungen setzen würde, dass ich ihm den Grund dafür auf einem Silbertablett liefern würde. Tchey hatte den Mund diesbezüglich sicher sehr voll genommen und meine Aussage vor ihm entsprechend angepriesen, damit sie nicht selbst so in die Pflicht geriet. Das kannte ich von ihr. Das war wieder so eine Sache, in der sie Thomas Eugene Paris sehr ähnlich war. Auch er hatte, zumindest meiner Interpretation seiner Persönlichkeit nach, nie viel von Autoritäten gehalten und somit sicher auch nicht viel von Geheimdiensten oder Polizeibehörden. Für ihn waren Regeln nur eine Herausforderung, eine neue Möglichkeit zu suchen, um sie zu brechen oder zu umgehen. Mir hatte so etwas immer sauer aufgestoßen, weil ich immer wieder darüber nachgedacht hatte, welchen Sinn eine Regel haben könnte. Wenn mir selbst keiner einfiel, hatte ich gefragt und wenn ich die Antwort dann hatte, erst danach entschieden, wie ich diese Regel finden sollte. Oft hatten mir die Antworten aber derart eingeleuchtet, dass ich 90 % der Regeln akzeptierte. Shimar hatte mich daraufhin als Zu-Ende-Denkerin bezeichnet, da ich in seinen Augen versuchte, eine Sache in all ihren Konsequenzen zu überschauen.

    „Ja.“, beantwortete Mikel die Sprechanlage knapp. „Sir, Allrounder Betsy Scott bittet um Erlaubnis, den Verhörraum zwecks einer Aussage betreten zu dürfen!“, sagte ich so fest ich konnte, was fast unmöglich war, da sich mir wie erwähnt alles innerlich zusammenschnürte.

    Statt einer Antwort gingen die Türen auf und Mikel zog mich hinein. „Komm her und hör auf mit dem förmlichen Scheiß!“, sagte er. „Ich kenne dich. Du beharrst immer dann auf den Vorschriften, wenn die Kacke Meter hoch am Dampfen ist. Tchey hat mir schon gesagt, dass du irgendeine Info haben sollst, die das Ganze in ein völlig anderes Licht setzt.“ „Das stimmt.“, stammelte ich. „OH, Mikel, die armen Genesianer! Oh, Gott! Sie werden benutzt!“

    Da Mikel meine inzwischen schweißnasse Hand immer noch hielt, spürte er bald, dass mir die Knie weich wurden. „Oh, Backe!“, rief er aus. „Na, dich setzen wir erst mal auf die Couch und dann beruhigst du dich. Eine Aussage in diesem Zustand würde vor Gericht nicht gelten.“ „Schon klar.“, sagte ich und ließ mich in das Polster des Sofas fallen. „Die würden denken, ich bin total eingeschüchtert und die Gegenseite könnte das dann als Argument benutzen. Aber ich muss es dir sagen.“ „Das kannst du ja auch.“, tröstete Mikel und schob mir ein Glas heiße Schokolade hin, das er soeben repliziert hatte: „Für deine Nerven.“ Dann nahm er neben mir Platz und strich mir mit beiden Händen über den Rücken. Das tat sehr gut in meiner momentanen Verfassung.

    Ich nahm einen hektischen Schluck aus dem bauchigen weißen Glas, bei dem ich mir fast die Zunge verbrannte. „Hey, langsam.“, korrigierte mich Mikel. „Wir haben Zeit. Deine Aussage läuft uns nicht weg.“ „Genau um Zeit geht es.“, antwortete ich traurig. „Sicher weißt du, wie es Dill geht. Entschuldige!“ „Schon gut.“, sagte Mikel. „Ich weiß, dass er im Sterben liegt und dass wahrscheinlich noch nicht einmal mehr die Vendar etwas für ihn tun können. Was mich aber interessiert, sind die Umstände, wie es dazu gekommen ist.“ „Dein Nennvater hat versucht, die Zeitlinie zu schützen.“, sagte ich. „So ist es dazu gekommen.“ „Aber wovor?“, fragte Mikel. „Was wisst ihr? Was haben Tchey und du in unserem Universum gesehen?“

    Mir wurde bewusst, dass ich bereits mitten in meiner Aussage war. Dass Mikel den Teil mit den Personalien bei mir übersprungen hatte, war für mich nicht ungewöhnlich. Schließlich kannte er sie. „Oh, Mikel, es war schrecklich!“, setzte ich an. „Die Genesianer wissen ja gar nicht …“ „Was habt ihr gesehen!“, wiederholte Mikel seine Frage mit mehr Nachdruck. „Du solltest wirklich am Anfang beginnen. Zu der Stelle mit den Genesianern kommen wir sicher noch früh genug.“ „OK.“, sagte ich. „Wir waren gerade im Universum angekommen, da hat sich Tchey über eventuelle falsche Transpondersignale beschwert. Sie meinte, dass unter Umständen der Empfänger ihres Schiffes nicht in Ordnung sei. Darauf hin habe ich selbst Lycira das Ganze checken lassen und sie hat es bestätigt.“ „Was waren das für Signale, Betsy?“, fragte Mikel nach. „Genesianische Transpondersignale.“, erwiderte ich. „Obwohl wir noch gar nicht in der neutralen Zone waren.“ „Du willst mir hier also allen Ernstes sagen, dass sich im Gebiet der Föderation Transponderbojen der Genesianer befinden?“, fasste Mikel zusammen. „Das will ich dir nicht nur sagen, das ist so.“, entgegnete ich. „So etwas kann ja nur dann passieren, wenn die Genesianer das Gebiet der Föderation erobert haben. Aber das haben sie meines Wissens nicht getan.“, sagte Mikel. „Doch, Mikel!“, sagte ich mit Überzeugung in der Stimme. „Offensichtlich haben sie das. Und zwar vor einem halben Jahr. Lycira hat an einer der Bojen eine Messung durchgeführt. Sie hat festgestellt, dass die Boje schon mindestens ein halbes Jahr an der Stelle im Weltraum sein muss. Gott, Mikel. Die Zeitlinie, wie wir sie kennen, existiert nicht mehr.“ Erneut begann ich zu zittern. „Und was war daran jetzt so schrecklich, dass dir selbst unsere Feinde, die Genesianer, leid tun?“, fragte Mikel, der schon längst bemerkt hatte, dass ich um die Wahrheit herumschlich wie eine Katze um den heißen Brei. „Tchey und ich haben uns dann mit einem Trick auf das genesianische Schiff geschleust. Da feierten sie gerade das Wunder von Sachometh. Ich glaube, die nutzen im Moment jede Gelegenheit, um das zu tun. Aber sie ahnen ja nicht … Oh, Mikel. Sie tun mir so leid!“ „Warte mal.“, sagte Mikel. „Bevor wir zu dem Grund kommen, aus dem sie dir so leid tun, was heißt Sachometh? Du kannst doch Genesianisch.“ „Sachometh heißt Pechmond.“, übersetzte ich. „Pechmond.“, überlegte Mikel halblaut. „Ein pechschwarzer Mond also. Wann erscheint ein Mond schwarz? Hm. Er kann ja nur dann schwarz erscheinen, wenn er dunkel ist und das ist er ja nur bei einer Mondfinsternis. Was war weiter? Was war daran so wunderbar?“ „Du weißt, Mikel.“, erklärte ich weiter. „Dass die Genesianer, wie die Klingonen auch, ihre Siege in Schlachten gern besingen. So ein Lied habe ich dort gehört. Oh, Mikel. Ich konnte jede Zeile übersetzen und das war der Grund, aus dem sie mir so leid tun.“ „Kannst du den Text immer noch?!“, fragte Mikel, der sich wohl langsam schon etwas denken konnte und deshalb sehr alarmiert war. Stereotyp zitierte ich: „Der Mond ward finster in der Nächte sieben. Am nächsten Tage, so steht es geschrieben, da wurde so sich man noch in Jahren erzählt, die oberste Prätora von der Wächterin von Gore beseelt. Sie hat zum Beweise der göttlichen Macht, 'nen Stern im Weltall zum Bersten gebracht. Drauf folgten ihr alle mit Freud’ in die Schlacht. Die Feinde egal welcher Zahl mäht’ sie nieder. Mit blitzenden Augen ist dieses getan. Viel’ Salven von Blitzen regneten hernieder, auf alles und jedes, das in den Weg ihr kam. Drauf flogen wir weiter in and’re Gestade, wo mächtige Wesen sich finden daheim. Doch konnten und das ist nun für sie wirklich schade, sie uns auch nicht wirklich ein Gegner sein. Denn denkt euch, auch jenes gut geschützte Reich, besiegte die Prätora mit einem Fingerstreich.“

    „Ach du Scheiße!“, entfuhr es Mikel. „Das könnte bedeuten, die sind von Sytania eventuell als Marionette benutzt worden und wissen es noch nicht einmal. Wenn die so weiter machen, erobern sie für sie alles und jedes! Von wegen, Wächterin von Gore! Aber wieso konnte Sytania in Shashana eindringen und sie benutzen? Die hat doch diese genetische Anomalie.“ „Wenn sie ihre Medikamente genommen hat, sind ihre zellaren Peptide genau so hoch wie unsere auch.“, klärte ich ihn auf. „Oh, nein!“, sagte Mikel. „Hätte sie die doch bloß vergessen! Mir ist nur rätselhaft, warum keiner der anderen etwas gemerkt hat. Die Genesianer kennen doch Sytania!“ „Was ist, wenn wir auf der völlig falschen Spur sind?“, fragte ich. „Was ist, wenn Sytania nicht die Drahtzieherin ist. Vielleicht gibt es irgendwo einen feindlichen Mächtigen, den wir noch gar nicht kennen. Ich bezweifle nicht, dass sie nicht auf den Zug aufgesprungen ist und ihren eigenen Vorteil in dem Ganzen gesucht hat. Aber die Hauptschuldige ist sie wohl nicht. Dass hätten sämtliche Sensoren gemeldet.“ „Du könntest Recht haben.“, sagte Mikel, der sich angesichts der Tatsachen nur schwer beruhigen konnte. „Wir sollten damit auf jeden Fall zu Kissara gehen.“ „OK.“, erklärte ich mich einverstanden und trank meine Schokolade aus. „Dann komm.“, sagte Mikel ruhig, nahm mich bei der Hand und dann verließen wir den Raum.

    Ginalla hatte sich vor ihr Sprechgerät gesetzt und wartete jetzt auf Kamurus’ Ruf. Sie hatte ihr Schiff eigentlich schon längst erwartet und fragte sich nun, was in aller Welt so lange dauerte. Von der geheimen Begegnung, die er gehabt hatte, wusste sie ja nichts. Was sie aber genau wusste, war, dass sie sich etwas überlegen musste, falls sie genesianischen Grenzpatrouillen begegnen sollten.

    Endlich piepte das Sprechgerät und Ginalla las im Display Kamurus’ Rufzeichen ab. „Na endlich.“, beschwerte sie sich. „Jetzt verrat’ mir doch bitte mal, was so lange gedauert hat.“ „Ich musste noch jemanden retten.“, sagte Kamurus zu seiner Entschuldigung. „Aber das ist mir dann leider doch nicht gelungen. Diejenige hat mir aber interessante Informationen geben können. Die ganze Sache ist …“

    Ginalla ging mittels einer Break-Schaltung dazwischen. „Nicht alles am SITCH, Kamurus.“, ermahnte sie ihn. „Durch ein langes Gespräch machen wir uns nur verdächtig. Beam’ mich an Bord und dann erzähl’ mir alles. Ach übrigens: Wir haben noch eine äußerst wichtige Fracht. Beam’ die bitte in deinen Frachtraum.“ „Sofort, Ginalla.“, sagte Kamurus, nachdem er über die Kamera des Sprechgerätes ihren Fingerzeig auf die Kiste mitbekommen hatte.

    Ginalla fand sich bald darauf im Cockpit wieder. Die Kiste, die vorher noch neben ihr gestanden hatte, war dort nicht mehr. Die junge Celsianerin nahm den Neurokoppler aus der Ablagemulde und war überrascht, dass er angeschlossen war. Trotzdem setzte sie ihn auf, was das Schiff sofort veranlasste, ihre Reaktionstabelle zu laden. „Keine Angst, Ginalla.“, nahm Kamurus ihren Einwand vorweg. „Shimar war dieses Mal nicht bei mir. Dass ich den Koppler angeschlossen habe, hat einen anderen Grund, aber den wollte ich dir …“ „Halt, Kamurus!“, ging sie energisch dazwischen. „Das musst du mir erklären. Du hast gerade gesagt, du hättest den Koppler angeschlossen. Wie willst du das denn gemacht haben?“ „Mit meinem Transporter.“, erwiderte der Schiffsavatar.

    Der jungen Celsianerin war der Mund vor Staunen offen geblieben. „Sag das noch mal.“, meinte sie ungläubig. „Oder besser, beweise es mir. Ich kann mir nich’ vorstellen, dass so was geht.“ Sie zog den Stecker aus der Buchse, ließ den Neurokoppler aber auf ihrem Kopf. So würde sie sofort mitbekommen, wenn sich etwas täte, vorausgesetzt, Kamurus ließ ihre Tabelle im Speicher. „Jetzt pass auf, Ginalla.“, gab er ihr über den Bordlautsprecher zu verstehen und erfasste das Anschlussmodul mit seinen hoch auflösenden Transportersensoren, um es sogleich in der richtigen Position wieder in die Buchse zu beamen. „Das kann doch nich’ wahr sein!“, staunte Ginalla. „Wo hast du das denn gelernt?“ „Das habe ich aus der Not heraus selbst ausprobiert.“, sagte Kamurus und Ginalla konnte im Gesicht des Avatars den Ausdruck von Stolz erkennen. „He?“, fragte Ginalla in ihrer gewohnt flapsigen Art.

    Kamurus beschloss, ihr keine langen Reden zu halten, sondern ihr alles sofort zu beweisen. Er öffnete die Tür, die das Cockpit mit der Achterkabine verband und dann dort auch die Tür zum Frachtraum. „Bitte geh in den Frachtraum, Ginalla.“, bat er. „Dort wirst du etwas feststellen.“ „Du kannst einen ganz schön neugierig machen.“, entgegnete die junge Celsianerin, legte den Neurokoppler ab, zückte ihr Handsprechgerät, stand vom Pilotensitz auf und machte sich auf den Weg durch die offenen Türen. Sie war etwas erstaunt, als Kamurus die Tür zum Frachtraum hinter ihr schloss und die Atmosphäre wie bei einem leichten Herbststurm per Umweltkontrolle in Bewegung setzte. Ginalla ahnte, dass dies ein weiterer Hinweis von ihm sein würde und sog die Luft tief ein. „Frische Wäsche.“, flüsterte sie. „Warum riecht Kamurus’ Frachtraum nach frischer Wäsche?“

    Sie sah sich um, konnte aber weit und breit keine frische Wäsche erkennen. Die einzige Erklärung, die sie jetzt noch hatte, war die, dass Kamurus die Atmosphäre seines Frachtraums aus irgendeinem Grund hoch ionisiert haben musste. Aber warum hätte er das tun sollen?

    Sie gab Kamurus’ Rufzeichen in ihr Handsprechgerät ein. „Ich habe mitgekriegt, dass es hier nach frischer Wäsche riecht, Kamurus.“, sagte sie. „Du kannst mich hier wieder rauslassen. Allerdings wirst du mir das hier erklären müssen.“ „Sicher.“, antwortete der Schiffsavatar und dann öffneten sich die Türen erneut. „Ich wollte dich nur auf einen Wissensstand bringen, von dem aus wir mit einfachen Erklärungen gut weiterkommen. Sonst hättest du mir die folgende Geschichte sicher nicht geglaubt.“

    Ginalla war an ihren Platz zurückgekehrt und hatte den Neurokoppler wieder aufgesetzt. „OK.“, sagte sie. „Ich habe kapiert, dass du deine Atmosphäre hoch ionisch machen musstest. Aber warum denn?“ „Wie ich dir am SITCH schon gesagt habe.“, begann Kamurus. „Ich musste jemanden retten. Bei derjenigen handelte es sich um ein Geistwesen, das die Schöpfung von Clytus, dem Sohn von Lady Miranda, einer zeitländischen Adeligen und Kairon, ist, beziehungsweise war. Sie ist tot.“ „Mist.“, sagte Ginalla und setzte einen mitleidigen Blick auf. „Dann waren ja deine ganzen Bemühungen umsonst.“ „Nicht ganz.“, erwiderte Kamurus. „Ich konnte zwar sie selbst nicht retten, aber die hoch ionische Atmosphäre, der ich sie ausgesetzt hatte, machte möglich, dass sie lang genug überleben konnte, um mir alle Informationen über die merkwürdigen Vorgänge, die vor einem halben Jahr auf Genesia Prime stattgefunden haben, zu liefern. Clytus hatte keine bösen Absichten, als er sie schuf. Sie sollte nur …“ „Oh, Backe!“, rief Ginalla aus. „Du lebst total gefährlich mit diesen Infos! Lass uns die ganze Schose auf einen Datenkristall ziehen. Den werde ich gut verstecken und in deinem Betriebssystem sollten wir die Daten auch gut verstecken. Zumindest gut genug, dass die Genesianer nicht so ohne weiteres drankommen. Falls sie uns habhaft werden, oder zumindest nur einem von uns, kann der andere die Infos immer noch zu gegebener Zeit an die richtigen Adressen weitergeben. Aber noch mal was anderes: Wer hat das Geistwesen auf dem Gewissen? Hast du was gesehen?“ „Das habe ich.“, bejahte das Schiff. „Nur frage ich mich, ob du es glauben würdest, wenn ich dir sagte, was ich gesehen habe.“ „Natürlich glaube ich dir.“, versicherte Ginalla. „Du bist mein Schiff und ich vertraue dir bei jedem Flug mein Leben an. Wieso zweifelst du daran, ob ich dir vertraue?“ „Weil das, was ich gesehen habe, sicher nicht in dein politisches Weltbild passt.“, erklärte Kamurus. „Ach.“, lachte Ginalla. „Du denkst wohl immer noch, dass ich dieselbe Ginalla bin, die du auf der gottverlassenen Raumstation damals kennen gelernt hast. Die Ginalla, die alles in schwarz und weiß einteilt und dazwischen nichts zulässt. Aber nein, die bin ich nicht mehr. Die Ginalla ist tot! Die wurde von einem gewissen Tindaraner um die Ecke gebracht, wofür ich ihm sehr dankbar bin.“ „Ich auch.“, atmete Kamurus auf. „Du würdest mir also glauben, egal was ich dir jetzt sagen muss?“ „Da kannst du deinen Warpkern oder besser gleich alle deine Systeme drauf verwetten!“, sagte Ginalla überzeugt. „Also gut.“, sagte Kamurus und fuhr fort: „Tolea hat sie getötet zusammen mit Sytania.“

    Ginalla wurde blass. Hätte sie nicht schon gesessen, wäre sie sicher ohnmächtig geworden. „Sag das noch mal.“, stammelte sie betroffen. „Tolea und Sytania? Wie kann das sein? Tolea ist doch eigentlich eine von den Guten!“ „Die Reaktion habe ich erwartet.“, stöhnte Kamurus. „Gut, dass wir nicht gewettet haben. Ich hätte meine Systeme auf einen Schlag …“ „Nein!“, unterbrach ihn Ginalla. „Du missverstehst mich. Ich glaube dir, was du gesagt hast. Ich bin nur so geschockt! Was ist da bloß passiert, dass Sytania Tolea zu einer Zusammenarbeit bewegen konnte?! Am liebsten würde ich sie fragen, aber ich schätze, das würde ich nicht überleben. Sytania würde mir die Info vielleicht sogar geben, aber gleich darauf würde sie mich töten. Sie hasst Mitwisser. Nein, Kamurus. Darüber sollten wir uns mit jemandem beraten, der sich damit auskennt, geheime Sachen herauszukriegen. Wir fliegen zur Erde, liefern unsere Fracht ab und suchen dann nach der Granger. Da gibt es einen versierten Geheimdienstoffizier, mit dem ich gern einmal Urlaub auf den Verhörinseln machen würde. Ich habe nämlich auch noch 'ne heiße Info.“ „Gut.“, sagte Kamurus und schlug den Kurs ein. „Übrigens, Kamurus.“, fügte Ginalla bei. „Wenn wir einer genesianischen Patrouille begegnen, lässt du mich reden und benutzt den Bordlautsprecher. Du musst wie ein normales Frachtschiff wirken. Niemand darf wissen, wer du bist. Bei mir ist es ähnlich. Wir müssen aber auch dein Transpondersignal …“

    Vor Ginallas geistigem Auge erschien eine Gruppe Zahlen und ein fremder Schiffsname. „Gefällt es dir so?“, grinste Kamurus’ Avatar. „Oh, ja!“, sagte Ginalla und klopfte sich vor Wonne auf die Schenkel. „Ich liebe Schiffe, die mitdenken. Aber wie konntest du das jetzt so schnell aus dem Hut zaubern?“ „Ich hatte mir schon so was gedacht, als ich dein Outfit sah.“, erklärte Kamurus. „Aber ich verstehe nicht, wen wir da schmuggeln. Laut meinen Sensoren ist Data in der Kiste. Warum schmuggeln wir ihn zur Erde?“

    Ginalla atmete tief ein und aus. „Ich muss dir was erzählen, das dir nicht gefallen wird.“, setzte sie an. „So schlimm?“, fragte Kamurus mitleidig und ließ es sich für Ginalla anfühlen, als würde er ihr über den Kopf streicheln. „Schlimm für künstliche Intelligenzen wie dich.“, erwiderte die Celsianerin. „Ihr geltet bei den Genesianern nichts mehr als Maschinen, die auf Befehl handeln und keine Eigenständigkeit haben. Die Genesianer haben vor einem halben Jahr dieses Universum erobert, aber mir kann kein Schwein erzählen, dass die Sache mit rechten Dingen zugegangen is’. Da war definitiv was faul. Das hab’ ich drei Meilen gegen den Wind gerochen. So kämpfen die Genesianer nich’. Nich’ mit Augenzwinkern und Blitzen und so. Das können die eigentlich auch nich’. Hier stimmt was nich’. Und weil hier was nich’ stimmt, muss irgendjemand die Sache aufklären und das werden wohl wir sein. Ich hab’ ganz fies das Gefühl, dass ich noch jemandem was schulde. Also, Kamurus, leg mal 'n Zahn zu! Je eher wir auf der Erde ankommen, desto schneller können wir die Granger suchen.“ „OK.“, sagte Kamurus und ging auf Warp acht.

    Auf der Brücke der Station saß Joran allein an seinem Arbeitsplatz. Er war gewissenhaft und immer pünktlich da, soweit man es bisher sagen konnte. Nur Maron, der gemeinsam mit ihm Dienst hatte, ließ offensichtlich auf sich warten. Zirell hatte eine Entschuldigung. Ishan hatte ihr zunächst verkürzte Schichten verordnet, da sie sich immer noch nicht ganz von der Zertrümmerung der mentalen Mauer erholt hatte. Der Vendar hatte geschlossen, dass dies für Zirell und die anderen beiden Tindaraner sehr schmerzhaft gewesen sein musste und teilte daher die Meinung des androiden Arztes. Nur Maron würde sich eine gute Entschuldigung überlegen müssen.

    Nervös beobachtete Joran das Zahlenspiel auf der virtuellen Konsole, die IDUSA ihm über den Neurokoppler zeigte. „IDUSA, lokalisiere Agent Maron!“, befahl er schließlich, denn die Zeit rückte unaufhaltsam weiter vor und Joran bekam langsam das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmen könnte. „Agent Maron ist …“, setzte der Stationsrechner an, aber in dem Moment betrat der Vermisste bereits die Brücke. Er machte einen extrem hektischen aber gleichzeitig genervten Eindruck. Dann setzte sich Maron auf seinen Platz, ohne Joran zu begrüßen, oder ihn gar eines Blickes zu würdigen und murmelte: „Nie wieder Tindaranisch. Nie wieder Tindaranisch.“

    Joran drehte sich langsam zu Maron um. Dabei bemerkte er mit seiner scharfen Nase, dass ein merkwürdiger Geruch von Schokolade und Duschgehl den Raum durchzog, wenn immer der Demetaner sich bewegte. Er wollte ihn ansprechen, aber Maron war voll und ganz mit dem Anschließen seines Neurokopplers beschäftigt.

    „Sie sind nicht allein, Agent.“, informierte der Avatar des Stationsrechners ihn, nachdem sie seine Tabelle geladen hatte. „Was?“, fragte Maron, der ob ihrer Reaktion etwas erstaunt war. „Joran ist auch hier.“, fuhr IDUSA fort. „Ich dachte, Sie könnten ihm zumindest etwas Höflichkeit entgegenbringen.“ Erst jetzt sah Maron seinen langjährigen Kameraden. „Oh, tut mir leid.“, entschuldigte er sich. „Guten Morgen, Joran.“ „Ist schon gut, Agent Maron.“, witzelte der 2,30 m messende Vendar. „Ich bin so klein, dass man mich leicht übersieht.“ Maron lachte.

    Die Stunde, die Ishan Zirell an Freizeit vor dem Beginn ihrer Schicht zugebilligt hatte, war verstrichen und die tindaranische Kommandantin betrat pünktlich ihren Arbeitsraum. „Bericht!“, forderte sie in alt bekannter Manier. „Wie habe ich diese tapfere kleine Stimme vermisst, Anführerin Zirell!“, sagte Joran mit Stolz in der Stimme und stand auf, um sie zu ihrem Platz zu geleiten. Schleimer., dachte Maron. Er hatte aufgrund eines Vorfalles an diesem Morgen extrem schlechte Laune.

    „So, da sind wir.“, sagte Joran, nachdem Zirell und er vor ihrem Kommandosessel angekommen waren. Dann nahm der Vendar, der mit beiden Armen so stark war wie fünf durchschnittliche menschliche Männer, die zierliche Tindaranerin mit einer Hand hoch und setzte sie sanft im Sessel ab. „Ach, Joran.“, säuselte Zirell. „Du bist so gut zu mir. Wenn du mir jetzt noch ein Kissen, ein Buch, eine Kerze und eine heiße Schokolade bringst, bin ich voll und ganz zufrieden.“ Bei ihrem letzten Satz hatte sie gegrinst.

    Maron hatte bei dem Wort Schokolade das Gesicht verzogen, was Zirell aus dem Augenwinkel beobachtet hatte. „Hast du ein Problem mit Schokolade?“, fragte sie. „Das wäre höchst seltsam und sähe dir gar nicht ähnlich.“ „Seit heute Morgen ja, Zirell.“, gab der demetanische Spionageoffizier zu und verzog das Gesicht noch mehr. „Das muss ja eine furchtbare Begebenheit gewesen sein. Willst du darüber sprechen?“, meinte Zirell mitfühlend. „Damit sich alle über mich kaputtlachen?“, fragte der erste Offizier. „Natürlich nicht.“, beruhigte ihn Zirell, die bereits Ansätze einer Erklärung in seinen Gedanken sehen konnte. „Wir werden es alle beide mit Fassung tragen.“ „Also gut.“, sagte Maron und begann: „Du hast mir doch einmal gesagt, ich solle deine Muttersprache lernen, Zirell.“ „Ich hatte es dir angeraten.“, verbesserte sie. „Das war kein Befehl.“ „Dann hast du es mir eben angeraten.“, lenkte Maron ein. „Jedenfalls bin ich deinem Ratschlag gefolgt. Ich habe mich auch immer von IDUSA abhören lassen. Ich muss zugeben, das ist gar nicht so einfach, euer Vogelgezwitscher mit seinem vielen Gurren und Zirpen. Vor allem müssen Betonung und Tonhöhe stimmen, sonst sagt man am Ende was ganz anderes, als das, was man sagen will. Ich dachte eigentlich, ich wäre schon so weit, dass ich IDUSA zumindest die richtigen Befehle für die Schalldusche geben könnte und habe ihr auf Englisch gesagt, dass sie die gleich folgenden tindaranischen Befehle einfach ausführen soll, ohne mich zu hinterfragen oder gar einen Fehler zu korrigieren. Mit den Konsequenzen würde ich schon fertig.“ „Ganz schön mutig!“, lobte Zirell. „Dann habe ich ihr die Befehle gegeben und mich dabei wirklich konzentriert! Das kannst du mir glauben. Aber meine Stimme muss ein Eigenleben entwickelt haben. Jedenfalls hat sie verstanden, dass sie die Schalldusche auf das Ausstoßen von Schokolade programmieren und mich dann mit kalter Luft kühlen soll. Dabei wollte ich nur eine heiße Dusche und mein Lieblingsduschgehl.“ „Oh, Schande!“, rief Zirell aus und lachte. „Flüssige Schokolade und kalte Luft. Ich kann mir denken, was dabei herausgekommen ist.“ „So lustig fand ich das nicht.“, beschwerte sich Maron. „Es war nämlich nicht gerade einfach, sich aus dem Schokoladenpanzer zu pulen. Danach habe ich noch mal geduscht, um wieder sauber zu werden. Aber den Geruch werde ich nicht mehr los.“

    Joran kämpfte mit einem Lachkrampf. Dabei sah es aber so aus, als hätte der Krampf die besseren Truppen und die bessere Taktik. Das Bild, das diesen Umstand wohl am besten beschreiben konnte, war eines von sich gegenüberliegenden Stellungen zweier Armeen. Die Eine bestand aus Ebenbildern von Joran, die alle die gleiche violette Uniform der tindaranischen Streitkräfte trugen, für die Joran ja arbeitete. Die Andere bestand aus Clowns, die statt Phasern Konfettikanonen hatten. Dann brach die Schlacht los, aber für jeden Clown, den die Jorans erschossen, kamen zehn neue aufs Schlachtfeld und nebelten ihre Feinde derart ein, dass diese aufgeben mussten, da sie nicht mehr sehen konnten, wohin sie feuern sollten. Die reale Auswirkung dieses Bildes war ein in einen seiner berühmten donnernden Lachanfälle ausbrechender Joran. „Bei allen Göttern!“, prustete Joran. „Sag mir, wie viel von der Schokolade ist in deinem Magen gelandet, Agent Maron?“ „Gar nichts.“, sagte Maron mit halb zusammengebissenen Zähnen. „Ich bitte dich. Ich esse doch nichts, das ich sonst wo am Körper hatte. Aber dich trifft keine Schuld.“, wendete sich Maron an den Avatar des Stationsrechners. „Den Fehler habe ich gemacht. Ich habe mich wohl überschätzt.“ „Die Grenze zwischen Mut und Dummheit ist manchmal fließend, Maron.“, tröstete Zirell. „Vielleicht sollten wir einfach noch eine Weile mit dem Unterricht fortfahren.“, fügte IDUSA bei.

    Ein Signal zerriss die nachdenkliche Stille, die nach Marons Geständnis eingetreten war. „Wir werden gerufen.“, erklärte IDUSA. „Stell es auf alle Neurokoppler, IDUSA!“, erwiderte Zirell. Der Avatar nickte und ihr Bild wich dem einer älteren rothaarigen Tindaranerin von mittlerer Statur und etwa 1,60 m Größe. „Ich bin Branell. Ich bin eine der betreuenden Ingenieurinnen der militärischen Datenbank.“, stellte sie sich mit ihrer schon älter wirkenden Stimme vor. „Das neben mir ist Sanell, meine Assistentin. Eigentlich hat die IDUSA-Einheit ihr gemeldet, was ich jetzt dir melden muss, Zirell. Jemand von unseren vendarischen Freunden scheint sich für das zu interessieren, was damals mit Shimar geschehen ist. Jedenfalls gehen meine Assistentin und ich davon aus, dass es sich bei dem Rufzeichen, das die Daten abgerufen hat, um eines der Vendar handelt. Ich leite es dir weiter. Vielleicht erkennst du es.“

    Auf dem virtuellen Schirm wurde ein Rufzeichen sichtbar. „Das ist Dirans Rufzeichen.“, erkannte Zirell. „Warum sollte er sich für welche Sache auch immer interessieren? Und, Shimar hat schon viel erlebt. Auf was genau spielen deine Assistentin und du an, Branell?“ „Offensichtlich auf Shimars Infektion mit schwarzer Macht, Zirell.“, erwiderte die ältere Tindaranerin. „Sanell und ich würden gern zu dem Thema aussagen. Wir werden zu dir auf deine Station kommen. Hast du eine Geheimdienstoffizierin bei dir, die uns vernehmen könnte?“ „Nein.“, sagte Zirell. „Aber ich habe einen ziemlich versierten Geheimdienstoffizier.“ „Bist du verrückt, einen Mann in einer hohen Position zu beschäftigen?!“, empörte sich Branell. „Wenn die Genesianer das herausbekommen!“

    Zirell sah irritiert durch den Raum. Dann befahl sie in Richtung des Avatars: „IDUSA, Stummschaltung.“, und drehte sich allen zu: „Was meint sie mit den Genesianern? Was geht die an, wen ich in welcher Position beschäftige? Joran, lass IDUSA ein paar Sonden schicken. Kriegen wir raus, was in der veränderten Zeitlinie los ist! Da Jenna uns ja davor bewahrt hat, müssen wir jetzt eben etwas spionieren. Wie hat sie das eigentlich angestellt, Maron? Konntest du das inzwischen rauskriegen?“ „Sie hat Schnee benutzt, um Schnee zu stoppen.“, benutzte Maron ein Bild aus der Simulation. „Was meinst du?“, fragte Zirell. „Sie hat die Reste eurer mentalen Mauer dem Phänomen in den Weg gebeamt. So konnte sie es zwar nicht zerstören, aber verlangsamen, bis Joran die Station im interdimensionalen Modus hatte.“ „Typisch Jenna.“, lächelte Zirell. „Ich wusste, sie würde einen Weg finden. Joran, starte die Sonden, sobald sie bereit sind.“ „Wie du wünschst, Anführerin Zirell.“, nickte der Vendar und gab IDUSA die entsprechenden Befehle ein.

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