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Clytus hatte sich weinend auf den Bauch gelegt und seine Ohren mit seinen Händen bedeckt. „Das habe ich nie gewollt!“, schluchzte er. „So viele Tote, das habe ich nicht gewollt. Ich wollte doch nur erreichen, dass Eldisa mich liebt. Sag mal, Yetron, gibt es wirklich keine Fluchtmöglichkeit?“ „Nein.“, erwiderte der Demetaner mit einer Schonungslosigkeit in der Stimme, die selbst Scotty das Blut in den Adern gefrieren ließ. „Ich kannte einen Betazoiden, der sich irgendwie den Zyklus der Selbstdiagnose des überwachenden Sensorengitters gemerkt hatte. Aber was er nicht wusste war, dass, wenn diese nicht aktiv sind, automatisch Transporterscrambler greifen. Er hatte es geschafft, mit jemandem telepathischen Kontakt aufzunehmen, der ihn mit einem Schiff abholen sollte. Beim Beamversuch ergoss er sich dann in Stückchen über …“

Clytus setzte sich ruckartig auf. „Ich muss mich übergeben!“ Yetron hielt ihm eine aus in der Ecke liegenden Lumpen geknotete Tüte vor das Gesicht. Dann wandte er sich an Scotty: „Angefasst, Mr. Scott! Sich ohne Mageninhalt zu übergeben wird ihn umhauen, so geschwächt wie er ist.“ Schnell setzte sich Scotty hinter Clytus, um ihn zu stützen, während der Bedauernswerte eine große Menge Magensäure in die provisorische Tüte entließ, die Yetron danach in die Materierückgewinnung warf. „Mussten Sie dass denn auch so drastisch erzählen, Agent?!“, empörte sich Scotty. „Ja, das musste ich.“, erwiderte Yetron. „Ich musste verhindern, dass jemand von euch den gleichen Denkfehler macht wie dieser bedauernswerte Narr. Übrigens möchte mich eine Ausbilderin der Genesianer zu einem gut erzogenen Ehemannanwärter machen, wenn ich Amidala neulich richtig verstanden habe. Wenn du nicht mehr behauptest, ein Mächtiger zu sein, Clytus, dann halten sie dich auch nicht mehr für geisteskrank und du kommst vielleicht mit mir gemeinsam hier raus.“ „Danke für das Angebot, Yetron.“, sagte Clytus. „Aber ich werde nicht verleugnen, was ich bin.“ „Du Dummkopf!“, schrie Scotty. „Er macht dir das Angebot deines Lebens und du …!“

Die Tür wurde entsichert und eine Wärterin betrat in Begleitung einer weiteren schwarzhaarigen großen Kriegerin die Zelle. Die Fremde stellte sich gleich vor Yetron hin und sagte: „Ich bin Turia, deine Ausbilderin. Komm mit, Demetaner!“ Ihr Blick fiel auf Clytus. Sie musterte ihn, als sei er ein Stück Vieh. „Der nicht.“, klärte die Wärterin Turia auf. „Der ist verrückt. Hält sich für einen Mächtigen. Ist vielleicht erblich.“ Angewidert nahm Turia darauf Abstand. Dann verließ sie die Zelle mit Yetron, der sie schweigend und im Abstand von zehn Schritten hinter ihr, wie es sich bei den Genesianern für einen Mann gehörte, begleitete.

Scotty und Clytus blieben allein zurück. „Du hättest wirklich hier raus kommen können.“, meinte Scotty. „Als Ehemann einer Genesianerin hättest du vielleicht …“ „Gar nichts hätte ich!“, rief Clytus. „Die hätten mich genau so behandelt wie hier auch. Nur mit dem Unterschied, dass ich keine Kristalle mehr abbauen müsste. Statt dessen würde mich die Genesianerin, die ich wahrscheinlich noch nicht einmal lieben würde, immer dann in ihr Bett zerren, wenn es ihr danach gelüsten würde. Das will ich nicht! Ich würde mich jedes Mal fühlen, als würde ich Eldisa betrügen. Ich will nur sie! Ich will keine Genesianerin!“ „Du heilige Warpgondel.“, rief Scotty aus. „Du scheinst dich ja wirklich komplett in diese Rolle hineingesteigert zu haben. Aber dass Eldisa, wenn du wirklich über Eldisa von Zeitland sprichst, kein Interesse an einem genesianischen Jungen hat, is’ kein Wunder. Du bist nur ein Sterblicher und sie ist eine Mächtige. Das kann nix werden! Kapier das doch endlich! Du machst dir das Leben doch nur selbst unnötig schwer.“ „Aber ich bin auch einer.“, entgegnete Clytus, der immer verzweifelter zu werden schien. „Meine Tante Tolea hat mich nur bestraft. Sie hat sich mit meinem Vater um das Recht dazu duelliert und gewonnen. Danach wurde ich bewusstlos. Dann wachte ich auf irgendeinem Planeten auf und war das hier.“ Er sah verschämt an sich herunter.

Scotty schichtete einige Ballen Stroh an einer Wand schräg auf. „Was wird das, wenn es fertig ist?“, fragte Clytus. „Wenn du 'n Mächtiger bist, wie du behauptest, dann kannst du mir das doch sicher beweisen.“, antwortete der Ingenieur, der mit seiner Aktion etwas Bestimmtes bezweckte. „Schweb mir doch unter der Decke der Zelle mal was vor. Der alte Scotty ist sogar so frei und baut dir 'ne Startrampe.“

Clytus sah sich Scottys Bauwerk an. Der ehemalige Sternenflottenmaschinist hatte es mit Absicht recht instabil gebaut, da er eigentlich hoffte, dass Clytus nicht tun würde, was er aber jetzt tat. Scotty hatte gehofft, dass der Anblick der instabilen Rampe ihn so ängstigen würde, dass er noch einmal nachdenken und sich bewusst machen würde, dass er doch nicht unverwundbar war. Clytus aber kletterte auf die Rampe und sprang in die Luft, um im nächsten Moment krachend auf den Boden zu fallen und reglos liegen zu bleiben. Scotty sah, dass aus der Nase und dem Mund des Jungen Blut lief. „Oh, Gott!“, schrie er verzweifelt. „Was hab’ ich unsensibler Klotz nur wieder angestellt! Psychologie war noch nie mein stärkstes Fach. Yetron hatte sicher Recht. Wir hätten ganz anders vorgehen müssen!“ Er beugte sich über Clytus. „Es tut mir leid, mein Kleiner! Es tut mir leid! Das wollte ich nun wirklich nich’!“

Die Zellentür wurde entsichert und herein trat Amidala. Über die ganze Aufregung hatte Scotty nicht bemerkt, dass es Nacht geworden war. „Ich erlaube dir zu sprechen!“, sagte die ältere Wärterin. „Was ist hier geschehen, Scotty?“ „Ich habe ihn umgebracht!“, erwiderte Scotty verzweifelt, ein Zustand, den der sonst so raubeinige Schotte eigentlich nicht von sich kannte.

Amidala zog einen Erfasser und scannte Clytus. „Das hast du nicht.“, beruhigte sie ihn und heftete einen Transportverstärker an die Sträflingskleidung des Jungen, wonach sie einen Befehl in ihr Sprechgerät eingab. Scotty beobachtete, wie Clytus fortgebeamt wurde.

Die Wärterin zog Scotty zu einem Strohballen und setzte sich mit ihm darauf. „Was ist geschehen?“, fragte sie erneut. „Er behauptet immer noch, dass er ein Mächtiger wäre.“, erklärte Scotty. „Yetron hat gemeint, dass wir zunächst tun sollten, als glaubten wir seine Fantasie. Er meinte, es wäre vielleicht gut, weil wir dann die Wahrheit über die Eroberung der Föderation durch euch herausfinden könnten. Aber ich bin denkbar schlecht in so was. Psychologie und diese ganzen Geisteswissenschaften waren noch nie mein Ding. Ich bin der geborene Handwerker. Ich hab’ 'ne total instabile Startrampe gebaut und ihn provoziert, dass er mir beweisen soll, dass er ein Mächtiger is’, indem er mir was vorschwebt. Aber sogar …“ er überlegte und flüsterte: „Verzeih mir, Betsy.“, bevor er in normaler Lautstärke fort fuhr: „Sogar 'n Blinder hätte gesehen, dass man sich alle Knochen bricht, wenn man da drauf steigt. Dieses arme verzweifelte Kind ist aber trotzdem draufgeklettert. Dann is’ er gesprungen und das Ergebnis hast du ja jetzt gesehen. Wo hast du ihn hingebracht, Amidala?“ „Auf unsere Krankenstation.“, tröstete die Wärterin. „Dort wird man ihn gesund machen können. Du hast mit einem Recht. Sein Zustand ist kritisch. Aber ich denke, dass er durchkommen wird.“ „Hoffentlich.“, entgegnete Scotty. „Ich denke nämlich, dass 'ne dicke Entschuldigung fällig werden könnte.“

Die Genesianerin stand auf und wandte sich zum Gehen um. „Warte bitte noch kurz.“, rief ihr Scotty hinterher. „Könntest du arrangieren, dass ich ihn besuchen kann?“ „Das ist leider nicht gestattet.“, erwiderte Amidala. „Aber ich werde dir in der nächsten Nacht berichten, wie sein Gesundheitszustand ist.“ Damit ging sie und die Tür schloss sich wieder. An den ihm inzwischen sehr gut bekannten Geräuschen hörte Scotty, dass sich auch sämtliche Sicherheitsvorkehrungen wie Kraftfelder und dergleichen reaktiviert haben mussten. Jetzt war er wieder mit sich und seiner Schuld allein. Allerdings konnte er jetzt gut nachvollziehen, wie es Clytus während Yetrons Geschichte gegangen sein musste. Auch Scotty hatte gesehen, dass der Kleine immer trauriger geworden war und er dachte sich, dass diese Schuldgefühle durchaus echt gewesen sein könnten. Aber andererseits konnte er sich auch nicht wirklich vorstellen, dass Clytus die Wahrheit gesprochen hatte. Die Mächtigen würden doch nie so etwas machen. Wenn Sterbliche schon Angst davor hatten, mit der Zeitlinie herumzuspielen, dann würden die Mächtigen das doch erst recht nicht tun! Die predigten doch immer was von Vorsicht. Also, warum sollten sie? andererseits hatte er auch schon gehört, dass die, welche die größten Moralpredigten hielten, oft die heftigsten Sünder waren. Und was waren das für Geschichten über Eldisa von Zeitland? Sollte er das wirklich glauben? Er wusste, diese Fragen würde er nicht lösen können. Um entsprechend mit Clytus umzugehen war er nicht sensibel genug. Er wünschte, Yetron wäre noch da, um den gemeinsamen Plan zu Ende zu führen. Aber den hatten sie ja gerade abgeholt.

Telzan hatte im Dunklen Imperium alles beobachtet. Der Kontaktkelch hatte ihm die Situation zwischen Sytania und Diran gezeigt und der Vendar war mit deren Ausgang sehr zufrieden gewesen. Jetzt erwartete er seine Herrin mit offenen Armen, die sogleich in einem schwarzen Blitz vor ihm erschien. Er übergab ihr das Zepter und meinte dann: „Ihr wart großartig, Gebieterin! Obwohl es einige Situationen gab, in denen ich Sorge hatte, dass Diran Euch vielleicht hätte draufkommen können. „Von welchen Situationen sprichst du?“, wollte Sytania wissen. „Zum Beispiel davon.“, erklärte Telzan. „Dass Ihr Eure Kräfte benutzt habt, um vor Dirans Schiff aufzutauchen. Wenn er die Umgebung genau gescannt hätte, dann hätte er das sehen können.“ „Hätte!“, kreischte Sytania. „Hat er aber nicht. Dafür war er viel zu verzweifelt. Ich weiß, was ich tue, mein guter Telzan. Mach dir keine Sorgen.“

Sie setzte sich neben Telzan hin und legte ebenfalls eine Hand auf den Kontaktkelch, während sie die andere ihrem Untergebenen gab. „Lass uns mal nachsehen, was Diran jetzt tut.“, sagte sie und konzentrierte sich auf das Bild von Dirans Schiff. Alsbald erschien dieses vor seinem und Sytanias geistigem Auge. „Er scheint zu schlafen, Milady.“, stellte Telzan fest. „Das tut er.“, erwiderte Sytania. „Er schläft den Schlaf des Gerechten. Er ahnt ja nicht, was er in Kürze tun wird.“ Sie lachte diabolisch.

Mikel und ich hatten uns auf dem Weg zur Offiziersmesse getroffen. Ich konnte ihm anmerken, dass er in der vergangenen Nacht kaum geschlafen haben musste. Irgendetwas hatte ihn beunruhigt und das, was ich ihm zu sagen hätte, würde seine Laune nicht gerade heben. Da war ja immer noch die Nachricht von Malargo. „Hi, Mikel.“, sagte ich unverfänglich. Er gab nur einen merkwürdigen Laut von sich und ging weiter. Ich beschleunigte leicht meinen Schritt und faste seine Hand, als ich mit ihm auf gleicher Höhe war. „Was ist los?“, fragte ich, denn ich wollte diese Situation so schnell wie möglich geklärt haben. Mikel und ich waren seit unserer Schulzeit Freunde gewesen und hatten sogar einmal eine Beziehung geführt. Meiner Ansicht nach sollte kein noch so heftiges Vorkommnis uns auseinander bringen können. Zumal dann nicht, wenn ein einfaches Gespräch dies aus der Welt schaffen könnte.

Endlich drehte er sich um. „Es ist wegen der Sache mit Kissaras Befehl neulich.“, erklärte er sich. „Die Freiheitsberaubung und deine Vollbremsung mit dem Schiff, bei der Kang und ich uns hingesetzt haben. Hätte nicht gedacht, dass du bei so was einfach so mitmachst.“ „Du hättest dir doch wohl denken können.“, erwiderte ich. „Dass sich Kissara von niemandem eine falsche Zeitlinie aufdrücken lässt und nicht so leicht aufgibt. Ich dachte, du würdest sie inzwischen genau so gut kennen wie ich. Sie ist einer terranischen Katze sehr ähnlich. Davon verstehe ich was. Ich hatte selbst mal eine. Die sind sehr beharrlich und manchmal kommt das kämpferische Raubtier in ihnen durch. Du kannst mir ruhig vertrauen.“ „Dann entschuldige, Katzenhalterin.“, lächelte Mikel. „Ich kann nichts dafür. Ich hatte in meiner Kindheit nur einen Hund.“ Dabei grinste er. Ich grinste zurück und wir betraten wieder einhellig die Messe, um gemeinsam zu frühstücken.

„Hier sind wir.“, gab uns Kissara zu verstehen, als Mikel und ich uns dem bekannten Tisch der Brückenoffiziere näherten, an dem sie uns bereits gemeinsam mit Kang erwartete. Mikel setzte sich zu ihrer Rechten und ich begab mich ebenfalls auf meinen gewohnten Platz. Im gleichen Moment bemerkte ich, dass bereits ein Tablett vor mir stand. Darauf fanden sich eine Tasse mit heißer Schokolade und ein Brötchen mit Käse und Geflügelwurst. „Wem habe ich denn das zu verdanken?“, fragte ich lächelnd. „Mir.“, meldete sich Kang zu Wort. „Ich dachte, es könnte vielleicht während der Nachtschicht etwas vorgefallen sein, weshalb Sie Nervennahrung benötigen könnten. Außerdem weiß ich, dass Geflügelwurst fast das einzige Fleisch ist, das Sie essen.“ „Ich glaube, unser Klingone will sich bei dir einschmeicheln.“, grinste Mikel. „Ich schätze, das ist seine Art, mit der Situation umzugehen, auf die ich dich auch gerade angesprochen habe.“

Mir schoss durch den Kopf, dass er Recht haben könnte. Eigentlich waren die Klingonen nicht gerade als Freunde der Schmeicheltaktik bekannt. Sie mochten meines Wissens eher die direkte Konfrontation. Aber vielleicht war es auch, weil Kissara in der Nähe war, die mindestens drei Ränge über Kang stand und ihm eine gefährliche Strafe hätte aufbrummen können. Auf einem Forschungsschiff des 30. Jahrhunderts der Sternenflotte bildete der Waffenoffizier den niedrigsten Rang der Brückenoffiziere, da Waffengewalt als das allerletzte und eigentlich vermeidbarste Mittel galt. Nur wenn das Schiff direkt angegriffen wurde, änderte sich dies. Dann war ja der Stratege derjenige, der am meisten vom Kriegshandwerk verstand und dadurch befugt war, automatisch das Kommando zu übernehmen.

Ich begann mit der Hälfte des Brötchens, auf der sich der Käse befand. Mir war bekannt, dass die Klingonen keine Telepathen waren, also verstand ich zunächst nicht, wie Kang darauf gekommen sein könnte, dass mir etwas bevorstand, bei dem ich tatsächlich gut genährte Nerven gebrauchen konnte. Aber warum sollten nicht auch Klingonen ein Bauchgefühl besitzen. Als primitiver Revolverheld war mir Kang ohnehin nicht bekannt. Er konnte auch eine sehr verständige Seite zeigen.

„Haben Sie von Dill gehört, Mikel?“, fragte Kissara, die ihre Frage eigentlich ganz unverfänglich gemeint hatte. Sie wusste ja nicht, was ich wusste. Aber ich würde wohl bald mit der Sprache herausrücken müssen. „Nein.“, antwortete Mikel. „Aber ich habe etwas gehört, Commander.“, sagte ich und stand auf, um näher zu Mikel zu gehen. Schließlich musste das ja nicht der ganze Raum mitbekommen. „Was wissen Sie, Betsy.“, flüsterte mir Kissara ins Ohr, deren scharfem Katzenblick nicht entgangen war, dass mein Gesicht wohl ziemlich blass geworden sein musste. Sie zog mich auf den eigenen Stuhl und stand selbst auf, um mir die Möglichkeit zu geben, Mikel die Nachricht ins Ohr zu flüstern. Langsam näherte ich mich seinem Ohr mit meinem Mund. Dabei schnürte sich mir alles zusammen. „Dill ist tot, Mikel.“, flüsterte ich.

Er zuckte zusammen und stand blitzschnell vom Stuhl auf, um im nächsten Moment aber laut schluchzend vor uns hinzufallen. Kissara warf Kang nur einen unmissverständlichen Blick zu, worauf der starke Klingone dem im Vergleich zu ihm doch sehr schmächtigen Terraner wieder zurück auf den Stuhl half. Irritiert sah ich Kissara an. „Sie trifft keine Schuld!“, versicherte sie. „Sie haben die Nachricht ja nur überbracht.“ „Ich weiß, Commander.“, erwiderte ich und bemerkte, dass mir Mikels momentane Verfassung fast das Herz zerriss. Ich hatte ihn nur sehr selten so erlebt.

Bestürzt machte ich Kissaras Platz wieder frei. Sie setzte sich und legte Mikel ihre Hand auf die Schulter. „Sie sind mit Ihrer Trauer nicht allein, Agent!“, versicherte sie ihm. „Ich werde Allrounder Betsy noch zu der Nachricht befragen und dann werden wir ja herausbekommen, was genau geschehen ist.“ „Sie soll mich mit Malargo verbinden.“, schluchzte Mikel. „Ich muss einfach wissen, was Dill passiert ist.“ „Sie wissen, Agent, dass Sie in einem Fall, in dem es um Angehörige geht, nicht ermitteln dürfen.“, erinnerte Kissara ihn an die Gesetzgebung der Föderation. „Außerdem arbeiten Sie ja doch wohl gerade an einem ganz anderen Fall. Wir müssen die Sache mit den Genesianern klären. Vergessen Sie das nicht, Agent.“ „Ich weiß, Kissara.“, erwiderte Mikel. „Aber er war mein Vater!“

Kissara stand auf und zog an Mikels Hand, was für ihn ein genau so unmissverständliches Zeichen war, wie der Blick, den sie Kang zugeworfen hatte, für ihn. Auch Mikel stand auf und folgte ihr. Ich wusste, dass ihr Ziel wohl Kissaras Bereitschaftsraum sein würde, wo sie ihn in aller Ruhe auf die gleiche Art trösten würde, wie sie es des Öfteren bei mir getan hatte.

Kang hatte den Raum verlassen, um zur Brücke zu gehen und seinen Dienst aufzunehmen. Für einen kurzen Moment war ich allein am Tisch. Das änderte sich aber sofort, als Jannings zu mir kam. „Entschuldigen Sie, Allrounder.“, begann der Chefingenieur. „Eigentlich ist es nicht meine Art, sich einfach so an den Tisch der Brückenoffiziere zu schleichen, aber Kang ist zum Dienst und wir beide verstehen uns zu gut, als dass Sie mir das übel nehmen würden. Ich habe unseren Agent ja noch nie so aufgelöst gesehen. Was haben Sie ihm gesagt?“

Ich überlegte, ob ich ihm das wirklich sagen sollte. Einerseits galt als Verhaltenskodex für Kommunikationsoffiziere, dass eine persönliche Nachricht auch persönlich bleiben musste. Aber auf der anderen Seite handelte es sich hier um eine Tatsache, die sowieso bald alle erfahren würden, weil es im Endeffekt ja uns alle anging. Also sagte ich: „Dill ist tot, Techniker.“ Dann bemerkte ich, wie er ziemlich irritiert zurückwich. „Können Sie das wiederholen?“, fragte er mit zitternder Stimme. „Ja, Mr. Jannings.“, sagte ich. „Dill ist tot. Ich habe die Nachricht von seinem Leibarzt Malargo persönlich erhalten. Es besteht also kein Zweifel und die Verbindung war auch klar. Ich kann also nichts falsch verstanden haben.“ „Aber wie kann denn …?“ fragte Jannings. „Ich dachte, die Mächtigen sind unsterblich.“ „Stöcke und Steine brechen ihnen nicht die Beine, Techniker.“, erwiderte ich lakonisch, denn ich dachte mir, dass Jannings doch eigentlich wie wir alle auf der Akademie genug über Dill und alle anderen Mächtigen gelernt haben musste. Außerdem musste ich unseren Maschinisten ja nur zum logischen Denken bewegen. „Sie meinen, ein anderer Mächtiger hat …“ „Genau.“, bestätigte ich. „Ich schätze, es war derselbe, der auch für die Sache mit der Änderung der Zeitlinie verantwortlich ist. Wenn Dill aus dem Weg wäre, dann wäre seine Bahn frei.“

„Oh, Gott!“, rief Jannings. „Glauben Sie, Sytania steckt dahinter?“ „Mikel und ich glauben, dass sie nur eine Mittäterin ist. Der Haupttäter ist jemand, den wir alle noch nicht kennen. Die Genesianer waren nur Marionetten. Sie wurden nur benutzt.“, erklärte ich. „Wie schrecklich!“, erwiderte Jannings. „Und für die restliche Sternenflotte ist das alles ganz normal. Deshalb wohl auch der Befehl von Kissara an Elektra und mich, dass wir das Transpondersignal umschreiben sollten. Damit wollte sie wohl ein Zeichen setzen.“ „Allerdings.“, bestätigte ich und sah auf die Uhr. „Lassen Sie uns heute Nachmittag weiterreden, Techniker.“, schlug ich vor. „Ich muss jetzt leider zum Dienst.“ „OK.“, nickte er blass. Seine Gesichtsfarbe konnte ich regelrecht hören, da ich längst einen Zusammenhang zwischen einer bestimmten Art zu betonen und der Farbe des Gesichtes meines Gegenüber festgestellt hatte, nachdem mich einmal jemand entsprechend aufgeklärt hatte.

Jannings und ich verließen gemeinsam die Messe, wonach sich unsere Wege aber trennten, da ich zur Brücke und er zum Maschinenraum unterwegs war. Ich wusste, dass ich Mikel an seinem Arbeitsplatz noch nicht erwarten konnte, da er sich wohl noch in einem intensiven Gespräch mit Kissara befinden musste. Sie war als neugierig und sehr gründlich bekannt und würde ihn auch genau so gründlich trösten. Darin war sie sehr gut, was wohl auch in ihrer katzenähnlichen Natur lag. So waren die Thundarianer eben.

Kang erwartete mich bereits, als ich die Brücke betrat. „Was ist mit Agent Mikel?“, fragte der Klingone, der die Sache mit der Nachricht noch ungefähr mitbekommen hatte. Ich dachte mir, dass es jetzt wohl besser sein würde, wenn ich es auch ihm sagen würde. Wie ich Kissara kannte, würde sie ohnehin zu diesem Thema eine Konferenz einberufen, in der beispielsweise auch Loridana und Learosh ihr Urteil abgeben sollten. Theoretisch wäre Eldisa jetzt an der Reihe, den zeitländischen Thron zu besteigen, aber sie war noch viel zu jung und ihr Machtzentrum noch gar nicht ausgereift, was unsere Ärztin wohl auch bestätigen würde. Einem Angriff Sytanias hätte sie nichts entgegenzusetzen.

Ich setzte mich auf meinen Platz und legte meine Hände auf die Steuerkontrollen, was den Computer veranlasste, den Autopiloten zu deaktivieren, da er meinen biologischen Fingerabdruck erkannt hatte. Dann drehte ich mein Gesicht mit ernstem Blick in Kangs Richtung und sagte: „Dill ist tot, Warrior.“ „Wie konnte das passieren?“, fragte Kang fassungslos, was für ihn, einen sonst so unerschütterlichen klingonischen Krieger, sicher kein angenehmer Zustand war. „Ich schätze, dass sein Machtzentrum einfach nicht mehr zu retten war.“, antwortete ich. „Details hat mir Malargo leider nicht genannt. Das wäre auch zu lang geworden für eine kurze Nachricht.“ „Die Vendar konnten also auch nichts mehr tun?“, fragte Kang. „Nein.“, erwiderte ich. „Anscheinend war es zu spät.“ „Das bedeutet, offiziell hat Eldisa jetzt die Macht in Zeitland.“, mutmaßte unser Stratege. „Prinzipiell schon.“, antwortete ich. „Aber sie ist noch viel zu jung. Ihr Gehirn und somit auch ihr Machtzentrum sind nicht ausgereift und wir wissen, Mr. Kang, dass Sytania diese Situation eventuell ausnutzen könnte.“ „Aber Lady Messalina ist doch Eldisas Interimsregentin.“, erwiderte Kang, dessen Absicht es offensichtlich war, mich zu trösten. Aber ich wusste zu viel über die Zustände in Zeitland, um auf diesen Trost hereinzufallen und mich einfach damit zufrieden zu geben. „Das stimmt.“, sagte ich, betonte aber so, dass Kang merken musste, dass meiner Bestätigung ein von ihm so wenig geliebter Aber-Satz folgen würde. Welcher Mechanismus wiederum hinter diesem Problem stand, wusste ich auch. Für Kang war ich ein kleines zartes Pflänzchen, das seines Schutzes bedurfte und das niemand und nichts knicken durfte. Wenn es ihm also nicht gelang, mich zu trösten, dann musste er sich wie ein kompletter Versager fühlen und das Gefühl mochten Klingonen gar nicht. Deshalb hatte er auch etwas gegen Aber-Sätze in diesem Zusammenhang. Aber ich war diejenige, die über die Zusammenhänge mit den Mächtigen bedingt durch Mikel einiges wusste, zumindest, was die Mächtigen Zeitlands und des Dunklen Imperiums anging. Außerdem wusste ich, dass Kang die Wahrheit schätzte, weil er sie und Personen, die sie offen aussprachen, als ehrenhaft empfand. Würde ich nicht sagen, was ich wusste, wäre ich bei ihm sicher unten durch. Also sagte ich: „Nur der Thronfolger oder die Thronfolgerin direkt kann mit der Zeit durch die Zeremonie der vendarischen Priesterinnen verbunden werden. Messalina könnte ihrer Adoptivtochter zwar beistehen, aber schlussendlich …“

Kang schlug mit der Faust auf den Rand des Waffenpultes und gab einen Fluch auf Klingonisch von sich, von dem ich nur das erste Wort verstand. Im selben Moment betrat Kissara gemeinsam mit Mikel die Brücke. Auch meinen beiden Vorgesetzten war dieses Wort nicht unbekannt. Es stimmte schon, was man im Allgemeinen über das Erlernen von Fremdsprachen sagte. Als Erstes lernte man die Schimpfwörter. „Aber Mr. Kang.“, sagte Kissara und tat dabei extrem empört. „So ein hartes Wort für so eine weiche Masse?“ Ich bekam einen Lachanfall und Mikel auch. Anscheinend hatte keiner von uns Beiden mit ihrer Reaktion gerechnet. Kang aber schaute nur peinlich berührt. „Jetzt schauen Sie doch nicht so betreten, Warrior.“, tröstete Kissara. „Wenn einem mal das böse Sch-Wort herausrutscht, wenn die Vorgesetzten die Brücke betreten, geht schließlich nicht gleich die Welt unter. Mikel und mir werden schon nicht gleich die Ohren abfallen. Mikel, soweit ich das sehe, sind Ihre zumindest noch an ihrem rechtmäßigen Fleck. Fühlen Sie doch mal, ob meine noch dran sind.“ Sie beugte sich zu ihm herunter und Mikel folgte ihrer Aufforderung. Dann nickte er. Ich musste grinsen. „Captains und erste Offiziere haben bestimmt auch schon in früheren Zeiten weitaus schlimmere Dinge zu hören bekommen.“, fuhr sie fort. „Soll ich die Datenbank konsultieren?“, fragte ich scherzend. „Mich würde interessieren, welchen Suchbegriff du eingeben würdest.“, lachte Mikel, dem es schon wieder sehr viel besser ging. Zum Trösten hatte Kissara eindeutig Talent. „Über welches Wort reden wir denn gerade?“, witzelte ich. „Das bringst du nicht wirklich, oder?“, fragte Mikel mich auf Deutsch. „Oh, doch.“, antwortete ich. „Aber das machen wir besser nach Dienstschluss, wenn wir zwei allein sind.“ „Geh’n wir zu dir oder zu mir?“, flapste Mikel. „Wir können ja drum knobeln.“, erwiderte ich lächelnd.

Kissara lehnte sich leise schnurrend in ihrem Kommandosessel zurück. Sie wusste, dass wir diese Zeit zum Scherzen genießen sollten, solange sie andauerte. Sie ahnte, dass dies wohl nicht mehr so lang sein würde. Die politischen Fakten waren ihr ja auch bekannt. Bald würden wir die Präsidentin auf der Regierungsbasis absetzen und sie würde versuchen müssen, uns den Rücken freizuhalten. Wenn Kissara aber Eldisas Andeutung glaubte, dann würde sie dies nicht schaffen. Was sonst hätte die angehende Mächtige, die ja auch seherische Fähigkeiten hatte, meinen können, als sie davon sprach, dass wir bald die eigenen Leute gegen uns haben könnten.

Mein Hilfsmittelprogramm meldete mir, dass wir uns der Regierungsbasis näherten. „Geben Sie Nugura über die Sprechanlage Bescheid!“, befahl Kissara. „Ich werde sie persönlich abholen und zum Transporterraum bringen. Informieren Sie auch Elektra. Ich werde Nugura selbst über Dills Tod unterrichten. Mikel, Sie haben die Brücke!“ Damit stand sie auf und ging.

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