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Auf der Krankenstation der Granger standen Loridana und Learosh vor einem Rätsel. „Laut seiner DNS handelt es sich bei unserem Patienten um Kairon.“, stellte der medizinische Assistent fest, nachdem er seinen Erfasser über dem fast leblosen Mann auf Biobett eins kreisen lassen hatte. „Aber Mächtige werden doch nicht krank, geschweige denn fallen ins Koma, oder, Ma’am?“ „Das ist nur möglich, wenn sie Rosannium oder der Kraft eines anderen Mächtigen ausgesetzt waren, Assistant!“, korrigierte Loridana, die seine Frage als fast etwas dümmlich empfand. Sie ging zu Recht davon aus, dass Learosh das eigentlich wissen musste.

Die Zeonide trat selbst an das Krankenbett heran und untersuchte Kairon. Dann schrak sie zusammen. „Um Himmels Willen, Learosh! Sein Telepathiezentrum ist tot und das tote Gewebe droht bereits, sein Gehirn zu vergiften! Wir werden es entfernen müssen, wenn wir ihn retten wollen, aber selbst dann ist nicht gesagt, dass er durchkommt. Aber versuchen müssen wir es. Stellen Sie den chirurgischen Transporter ein! Ich informiere den Commander!“ Ohne Widerspruch drehte sich Learosh der genannten Konsole zu. Er hatte zwar nicht ganz begriffen, was hier geschehen war, wusste aber, dass seine Vorgesetzte keinen Widerspruch und keine weiteren Fragen in dieser Angelegenheit dulden würde.

Lycira hatte mit Dirans Shuttle im Traktorstrahl an der Granger angedockt und ich war mit Diran jetzt auf dem Weg zu Mikel. Wie versprochen würde unser Vendar gegenüber ihm aussagen. „Was ich Agent Mikel sagen werde.“, begann Diran. „Ist sehr haarsträubend. Denkst du, er wird mir trotzdem glauben, Betsy El Taria?“ „Warum sollte er das nicht?!“, versuchte ich, ihn zu ermutigen. „Als guter Kriminalist muss er das, bis das Gegenteil deiner Aussage bewiesen ist. Aber was ist denn so schlimm, dass du so etwas befürchten musst?“

Er musste gesehen haben, dass wir bereits ziemlich nah an Mikels Quartier waren. Jedenfalls griff er plötzlich meine Hand und zog mich zurück. „Bitte bleib stehen.“, sagte er und ich spürte, dass er stark zitterte. Dies war mir ziemlich unheimlich. Von einem so starken Wesen wie ihm war ich das eigentlich nicht gewohnt. Aber ich wusste aus meiner eigenen Lebenserfahrung, dass auch ein körperlich sehr stark erscheinendes Wesen eine sensible Seele haben konnte. „Komm zur Wand!“, sagte ich alarmiert, denn ich befürchtete, dass wir sonst lang hinschlagen könnten, so wie er zitterte. An der Schiffswand konnten wir uns zumindest abstützen. „Es tut mir leid.“, entschuldigte er sich. „Das braucht es nicht.“, sagte ich und strich ihm über sein weiches Rückenfell, das mich in seiner Struktur an das eines Schäferhundes erinnerte. „Aber das muss ja etwas sehr Schlimmes sein, das du erlebt hast.“ „In der Tat.“, bestätigte Diran und begann fast zu weinen. „Ich bin so verzweifelt, Betsy El Taria! So verzweifelt! Meine arme Herrin! Wie konnte sie nur?! Oh, wie konnte sie nur!? Und Lord Kairon! Den hätte ich fast mit schwarzer Macht infiziert, wenn sein Telepathiezentrum nicht schon tot gewesen wäre! Sytania hat …!“

Er begann laut zu schluchzen und fiel vor mir auf die Knie. Ich setzte mich neben ihn, um zu gewährleisten, dass wir uns wieder auf einer Ebene befanden. Dann zog ich seinen Kopf auf meinen Schoß und begann, ihn einfach wortlos zu kraulen, als wäre er ein hilfebedürftiges Haustier. Eine andere Möglichkeit sah ich im Augenblick nicht. Sicher war mir bekannt, dass er einem Hund oder einer Katze an Intelligenz weit überlegen war, aber das war mir jetzt herzlich egal. Für mich zählte im Augenblick nur, dass er Angst hatte und die besiegte man am besten durch Zuwendung. Da war es egal, ob das Gegenüber nun zwei oder vier Beine hatte. Die rhythmischen Bewegungen meiner Hände begleitete ein ebensolches „Sch, sch, Sch.“, von meiner Stimme.

Eine Tür öffnete sich hinter uns und Mikel trat heraus. „Was ist denn hier los?“, fragte er irritiert. „Ich muss gerade deinen Kronzeugen etwas trösten.“, sagte ich. „Was musst du?“, fragte Mikel und wollte schon weitergehen, aber ich bekam einen seiner Füße zu fassen. „Wenn du nicht willst, dass ich dir ein Bein stelle, solltest du besser stehen bleiben.“, sagte ich mit zwar ruhiger aber trotzdem fester Stimme.

Mikel setzte sich zu uns auf den Boden. „Ich hoffe, du weißt, dass die Bedrohung eines Vorgesetzten ein Verbrechen darstellt.“, scherzte er. „Bring mich doch vors Kriegsgericht.“, scherzte ich zurück. „So etwas wollte ich nicht verursachen.“, sagte Diran peinlich berührt. „Keine Angst.“, tröstete Mikel. „Wir machen öfter solche Späße. Aber du hast mir doch sicher etwas zu sagen, Diran. Sonst wärst du ja nicht hier. Warum hast du Kairon auf unser Schiff gebeamt und warum wolltest du dich töten?“ „Ich möchte das lieber an einem anderen Ort besprechen, Agent Mikel.“, sagte Diran und versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien, um aufstehen zu können. Ich hatte verstanden und ließ ihn los. Dann stand ich selbst auf.

„Gehen wir in mein Quartier.“, sagte Mikel und deutete auf jene Tür, aus der er gerade gekommen war. „Betsy, dich werde ich zu der Angelegenheit auch noch einmal verhören müssen. Ich habe zwar auf der Brücke alles mitbekommen, aber die Form verlangt es. Ich rufe dich, wenn ich mit Diran fertig bin.“ „Ich weiß.“, erwiderte ich und drehte mich zum Gehen, während ich murmelte: „Formulare, Formulare von der Wiege bis zur Bare.“

Mikel führte den noch immer stark zitternden Diran in sein Wohnzimmer. Dann setzten sich die Männer auf die Couch und der blinde Agent zog ein Pad, welches er auf Aufnahme stellte und die Stimmkontrolle aktivierte. Jetzt nahm es nur dann auf, wenn eine direkte Einwirkung auf das Mikrofon stattfand. „Vernehmung von Diran Ed Sianach, Zentrale Allzeit 3035,2805.1530.“, begann Mikel. „Feststellung der Personalien. Du heißt weiterhin Diran Ed Sianach.“ „Richtig.“, bestätigte Diran. „Gut.“, sagte Mikel. „Das heißt, du bist immer noch verheiratet. Wann bist du geboren und wo? Falls du es nur in vendarischer Zeitrechnung ausdrücken kannst, ist das nicht schlimm. Der Computer kann das später umrechnen.“ Für diese Hilfe war Diran dem ersten Offizier sehr dankbar. Er war zu nervös, um die Umrechnung selbst vorzunehmen und befürchtete daher, falsche Angaben zu machen. Deshalb sagte er: „Ich wurde geboren im Jahre des Gottes Shamep im 60000. Reigen am dritten Tage des Jahres auf Vendar Prime.“ Dann sah er Mikel fragend an, was dieser irgendwie zu spüren schien. „Schon gut.“, sagte er. „Ich und der Computer wissen, dass jedes eurer Jahre einem eurer 50 Götter gewidmet ist und dass das wieder von vorn losgeht, wenn ihr durch seid. Damit können wir arbeiten. Aber kommen wir nun zum Wesentlichen. Was ist so Schlimmes geschehen, dass du dich töten wolltest und warum hast du Kairon auf unser Schiff gebeamt? Warum war er überhaupt bei dir? Ich denke, du dienst seiner Schwester Tolea.“ „Das stimmt, Mikel El Taria.“, erwiderte Diran. „Zumindest hat es gestimmt, bis …“ Er hielt inne und den Atem an, als würde er gleich etwas sagen müssen, das die Welt aus den Angeln heben könnte. Wenn man bedachte, was er sagen würde, dann stimmte das ja auch in gewisser Hinsicht. „Egal, was es ist.“, signalisierte Mikel, dass er ihm auf jeden Fall glauben würde. „Als guter Ermittler muss ich dir glauben, bis mir Fakten das Gegenteil beweisen oder mir jemand glaubhaft versichert, dass du lügst. Es kann aber auch dazu kommen, dass deine Aussage durch Fakten untermauert wird.“ „Meine Herrin hat ihre Macht mit der Sytanias vereint!“, stieß Diran schließlich doch hervor. „Sie hat dies getan, um ihren Neffen Clytus zu bestrafen, weil dieser mit der Zeitlinie gespielt hat. Ich weiß nicht viel, Mikel El Taria. Aber er hat gesagt, dass er aus Liebe gehandelt hat. Was Clytus genau damit meinte, weiß ich nicht. Tolea war so wütend, dass sie sich mit Kairon um das Recht duelliert hat, Clytus bestrafen zu dürfen. Sie haben sich nach imperianischer Sitte duelliert. Außerdem habe ich schwarzweiße Blitze gesehen. Tolea und Sytania haben Kairon natürlich besiegt. Sie waren zu zweit und er allein. Kairon hat sein Machtzentrum total überlastet. Deshalb liegt er jetzt im Koma. Sytania wollte, dass ich ihn als Zwischenwirt ebenfalls mit schwarzer Macht infiziere. Sie hat sich als Vulkanierin ausgegeben. Das habe ich ihr auch noch geglaubt, ich Narr. Aber ich war so verzweifelt, ich hätte alles getan, um ihm zu helfen. Aber glücklicherweise hat meine Sifa die Energie abgestoßen.“ „Hast du Beweise?“, fragte Mikel, für den das eben Gehörte schier unglaublich klang. „Den einzigen Beweis habt ihr zerstört.“, sagte Diran. „Aber ich kann verstehen, warum ihr das getan habt. Ihr dürft nicht riskieren, dass ein Gegenstand mit Sytanias Energie auf eurem Schiff verbleibt. Dann hätte sie es viel leichter, euch etwas anzuhaben.“ „Stimmt.“, sagte Mikel. „Aber wie gesagt, ich muss dir glauben, bis deine Aussage oder auch ihr genaues Gegenteil bewiesen ist. Sonst wäre ich ein schlechter Ermittler. Wie sah eigentlich die Strafe für Clytus aus und für was genau wurde er bestraft?“ „Das weiß ich nicht.“, sagte Diran. „Mehr habe ich nicht gesehen. Darf ich gehen? Ich verspreche auch, mich nicht mehr zu töten.“ „Sobald unser Ingenieur mit deinem Schiff fertig ist, ist das sicher möglich.“, sagte Mikel. „Wohin wirst du fliegen? Ich frage nur, falls ich noch einmal wegen deiner Aussage Kontakt mit dir aufnehmen müssen sollte.“ „Ich werde meine Frau in der tindaranischen Dimension aufsuchen.“, sagte Diran. „Dort werde ich zunächst bleiben.“ „OK.“, sagte Mikel. „Dann bringe ich dich zunächst in eines der Gästequartiere. Dort bekommst du dann Bescheid, wenn dein Schiff abflugbereit ist. Ich muss noch einige Leute mehr zu dem Thema vernehmen.“ „Also gut.“, sagte Diran. „Dann folge ich dir.“

Loridana hatte Kissara per Sprechanlage über die Diagnose informiert, die sie bei Kairon gestellt hatte. Die Kommandantin hielt es allerdings für besser, sich die Situation aus der Nähe anzusehen, weshalb sie wenig später die Krankenstation betrat. „Bericht, Loridana!“, forderte Kissara die an der Überwachungskonsole zu Biobett eins stehende Zeonide auf. „Sein Telepathiezentrum ist nicht mehr zu retten.“, erklärte Loridana knapp. „Es muss einer enormen Belastung ausgesetzt gewesen sein, die es zerstört hat. Wenn ich das tote Gewebe nicht entferne, wird sein gesamtes Gehirn mit Giftstoffen aus dem Zersetzungsprozess überflutet und dann stirbt er. Es gibt aber eine geringe Chance, ihn durchzubekommen, wenn wir die toten Gewebsreste entfernen. Allerdings wird er dann sterblich bleiben. Seine Fähigkeiten sind so oder so für immer verloren.“

Kissara setzte sich seufzend auf den Rand des Biobettes und strich Kairon mit der samtweichen Innenfläche ihrer rechten Hand über das Gesicht. „Wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, Loridana.“, wandte sie sich an die Schiffsärztin. „Dann hat er die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder, er stirbt sofort, oder in einigen Jahren und führt bis dahin ein in seinen Augen jämmerliches Leben als Sterblicher. Um Gottes Willen! was stinkt denn hier so?!“ „Das ist die Zersetzung.“, antwortete Learosh aus dem Hintergrund. „Sein Gewebe ist jetzt genau so verwundbar wie das eines jeden Sterblichen auch.“

Kissara drehte sich zu Kairons Ohr und flüsterte: „Sie haben uns da in eine ziemlich verzwickte Situation gebracht, mein Freund. Wir wollen nicht, dass Sie ein in Ihren Augen jämmerliches Leben als Sterblicher führen müssen, aber sterben werden Sie auch, wenn das tote Gewebe nicht entfernt wird. Wenn Sie uns doch nur sagen könnten …“

Learosh war an die Beiden herangetreten, was Kissaras scharfen Katzenohren nicht entgangen war, die sie wie ein Radar in alle Richtungen drehen konnte. Dadurch hatte sie jetzt auch gespürt, dass Learosh sehr angespannt vor dem Monitor stand und unentwegt auf eine bestimmte Kurve deutete. „Ma’am!“, rief er seiner Vorgesetzten zu. „Bitte kommen Sie her und schauen Sie sich das an.“

Loridana drehte sich zu ihm und starrte bald genau so fasziniert auf die Kurve wie ihr Assistent. „Sein Blutdruck ist angestiegen, als Commander Kissara das mit dem jämmerlichen Leben zu ihm gesagt hat. Das scheint eine Protestreaktion zu sein. So etwas hat es bei komatösen Patienten schon gegeben. Vielleicht erreicht sie ihn ja sogar trotz seines Komas. Die Frage ist nur, gegen was er protestiert.“, überlegte Loridana. „Will er das Leben als Sterblicher nicht, oder hat er was dagegen, dass wir es als jämmerlich bezeichnet haben?“ „Wie ich die Situation einschätze.“, meinte Learosh. „Hätten die alten Q das Leben der Sterblichen als jämmerlich empfunden. Aber Tolea und Kairon sind doch unsere Freunde. Das bringt mich auf die Theorie, dass er uns vielleicht dafür tadeln möchte, dass wir das Wort jämmerlich im Zusammenhang mit unserem Leben benutzt haben und dass er vielleicht lieber als Sterblicher lebt, als gar nicht.“ „Darüber können wir diskutieren, bis wir schwarz werden.“, erwiderte Loridana, die sorgenvoll die Zahlen auf dem Schirm beobachtete. „Aber die Zeit haben wir nicht, fürchte ich. Wenn ich nicht bald operiere, dann wird sein Gehirn zersetzt und dann ist er tot. Der einzige Trost, den mein Patient hat, ist der, dass er von dem Ganzen nichts mitbekommt, weil er bewusstlos ist. Wir müssen uns jetzt entscheiden. Uns läuft eindeutig die Zeit davon!“

„Anscheinend ist meine Stimme in der Lage, ihn trotz Koma zu erreichen.“, sagte Kissara. „Learosh, beobachten Sie bitte genau den Monitor und sagen Sie mir, wann genau sein Blutdruck ansteigt!“ Der medizinische Assistent stellte sich vor den genannten Schirm und starrte auf die Kurve von Kairons Blutdruck. „Bin bereit, Commander!“, sagte der Taskonianer zackig. „Gut.“, sagte Kissara. „Dann halten Sie jetzt mal die Augen offen.“

Sie beugte sich erneut zu Kairons Ohr herunter und flüsterte: „Wollen Sie uns sagen, Sie wollen das jämmerliche Leben als Sterblicher …“ Bevor sie aussprechen konnte, hatte Learosh sich blitzschnell umgedreht und sie an ihrem Nackenfell gefasst. „Bitte entschuldigen Sie meine Reaktion, Commander.“, sagte er. „Aber als Sie jämmerlich sagten, da ist …“ „Schon gut, Learosh.“, sagte Kissara. „Für eine Entscheidung in dieser Angelegenheit nehme ich ein bisschen Zwicken im Nacken schon in Kauf. Jetzt wissen wir, dass er das Wort jämmerlich in diesem Zusammenhang nicht mag. Anscheinend will er ein Leben als Sterblicher.“ „Dann geben wir es ihm doch.“, sagte Loridana erleichtert. „Learosh, zielen Sie mit dem chirurgischen Transporter auf die toten Areale und entfernen Sie diese!“ „Ja, Madam.“, sagte Learosh, setzte sich an die Konsole und begann mit der Operation. „Wenn wir hier durch sind.“, sagte Loridana. „Ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er irgendwann aus dem Koma aufwachen kann. Ich schließe nicht aus, dass er auf die gleichen Stimuli wie ein sterblicher Patient reagieren könnte.“ „Er ist jetzt ein sterblicher Patient, Loridana.“, sagte Kissara. „Und das wird ihm jemand beibringen müssen. Ich habe auch schon zwei meiner Offiziere in die engere Wahl genommen, was die Betreuung von ihm in der ersten Zeit als Sterblicher angeht. Er wird noch eine Weile hier auf der Granger bleiben.“ „An wen dachten Sie, Ma’am.“, fragte Loridana. „Allrounder Betsy und Agent Mikel werden sich bei seiner Betreuung abwechseln.“, sagte Kissara. „Mikel und Betsy?“, fragte Learosh. „Mit Verlaub, wie kommen Sie gerade auf die Beiden. Ich meine, es wäre doch viel besser, wenn einer von uns Medizinern …“ „Oh, nein.“, widersprach Kissara lächelnd. „Die Beiden haben eine Qualifikation, die keiner von Ihnen aufweist.“ „Verzeihen Sie.“, sagte Learosh. „Es liegt mir sicher fern, eine Entscheidung meiner kommandierenden Offizierin zu kritisieren, aber was für eine Qualifikation meinen Sie?“ „Das war eine Frage und keine Kritik, Learosh.“, meinte Kissara. „Und Fragen hat jeder Untergebene auch in früheren Zeiten seinem Captain stellen dürfen, ohne gleich vor dem Kriegsgericht zu landen. Ich werde Ihre Frage sogar beantworten. Betsy und Mikel haben eine Behinderung, mit der sie in unserer Gesellschaft zurechtkommen müssen, was ihnen hervorragend gelingt, wenn Sie meine Meinung hören wollen, Medical Assistant. Kairon könnte den Verlust seiner Fähigkeiten eventuell auch temporär als Behinderung empfinden. Von Gleichgesinnten lernt es sich immer noch am besten. Auf der Erde sagt man schließlich, dass geteiltes Leid halbes Leid sei.“ „Danke, Commander.“, sagte Learosh. Dann wendete er sich an Loridana: „Alle Areale sind entfernt, Ma’am.“ „OK.“, sagte die Ärztin und bereitete einen Hypor vor. „Ich werde ihm jetzt ein Medikament spritzen, das seinen Stoffwechsel beschleunigt, damit der Rest an Gift aus ihm herausgeschwemmt wird.“ „Tun Sie das, Loridana.“, sagte Kissara. Dann drehte sie sich zum Gehen: „Informieren Sie mich, wenn sich etwas ändert!“ „Aye, Commander!“, sagten Learosh und Loridana wie aus einem Mund, bevor sich die Tür zur Krankenstation hinter Kissara schloss.

Kamurus, Ginalla, Novus und Sedrin hatten die terranische Umlaufbahn erreicht. „Gott sei Dank, dass wir dieses Mal von genesianischen Patrouillen unbehelligt geblieben sind.“, merkte der Schiffsavatar an. „Hast du etwa Schiss, dass die sich gleich an unsere Fersen geheftet haben, nur weil wir ein bisschen hin und her fliegen?“, antwortete Ginalla flapsig. „In gewisser Weise hat er Recht, Ginalla.“, sprang Sedrin für Kamurus in die Bresche. „Es könnte schon möglich sein, dass den Genesianern auffällt, dass ein baugleiches Schiff plötzlich mehrere Missionen hat und das könnte sie irritieren. Aber anscheinend haben sie ja im Augenblick andere Probleme zu lösen.“ „Oder die sind einfach zu blöd, um das zu merken.“, tröstete Ginalla. „Du siehst also, es is’ alles in Butter, Kamurus.“ „Bisher ja.“, sagte das Schiff. „Aber wir haben ein neues Problem. Wie nehmen wir zu Commander Huxley und den Androiden Kontakt auf. Dein Ehemann, Sedrin, darf keinen SITCH beantworten und Novus’ Eltern würden auch auffallen, wenn sie das täten. Schließlich gelten sie als Maschinen und sind daher nicht selbstständig.“ „Dann wird wohl eine von uns dort hin beamen müssen.“, schlug Sedrin vor und stand auf. „Sind sie noch in unserem Wohnzimmer, Kamurus?“ Der Avatar nickte. „Also gut.“, sagte Sedrin. „Dann beame mich hin.“

Huxley staunte, als sich eine schimmernde Energiesäule vor seinen Augen in seine Frau verwandelte. „Schon zurück, Jinya?“, fragte er. „Ja.“, antwortete Sedrin leicht hektisch. „Aber wir haben keine Zeit für eine lange Begrüßung.“ „Wie lief es denn mit Tamara.“, fragte Jaden weiter. „Mit der ist es super gelaufen.“, erwiderte die Agentin. „Aus Gründen, die ich nicht genau kenne, scheint sie auf unserer Seite zu sein. Ich denke, sie hat auch kapiert, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Wo sind die Androiden?“

Jaden stand auf und führte sie in eine von vorn nicht gleich einzusehende Ecke des Wohnzimmers, auf die er die Sicht auch noch mit einigen Sesseln verstellt hatte. „Hätte ich dir nicht zugetraut.“, sagte Sedrin. Dann wendete sie sich an Cupernica und Data: „Kommen Sie mit. Ihr Sohn wartet auf Ginallas Schiff. Es ist keine Zeit für lange Erklärungen. Wir müssen hier weg sein, bevor die Genesianer misstrauisch werden könnten.“ „In Ordnung, Agent.“, sagte Cupernica und sie und Data standen aus der gebückten Position auf, in der sie sich hinter den Möbeln versteckt hatten. Sie stellten sich rechts und links neben Sedrin, die ihr Sprechgerät zog und Kamurus’ Rufzeichen eingab: „Kamurus, halt dich bereit, uns drei an Bord zu beamen.“ Dann wandte sie sich noch einmal an ihren Mann: „Es fällt mir schwer, dich in dieser Situation allein zu lassen, aber es muss sein.“ „is’ schon gut, Jinya Demetana.“, flapste Jaden. „Wenn ich mich an 'n paar Regeln halte, wird das schon gehen. Ich weiß schon. Nich’ allein vor die Tür und wenn, dann nur mit Hundehalsband, damit selbst die dümmste Genesianerin sieht, dass ich schon vergeben und somit kein Freiwild mehr bin. Keinen SITCH beantworten und so weiter. Ich bin selbst ausgebildeter Sternenflottenoffizier.“ „Dann weißt du ja Bescheid.“, atmete Sedrin auf. Dann sagte sie ins Mikrofon ihres Sprechgerätes: „Aktivieren, Kamurus!“

Wenige Sekunden später fand sie sich im Cockpit neben Ginalla wieder. Auch Cupernica und Data waren bei ihr. „Der Kleene is’ in der Achterkabine.“, flapste Ginalla den beiden Androiden zu. „Da würde ich an eurer Stelle auch hingehen. Der Agent und ich müssen noch was bequatschen.“ „Sicher.“, sagte Data und Cupernica nickte bestätigend. Dann durchschritten beide die Tür zur Achterkabine, die sich kurz darauf wieder hinter ihnen schloss.

„Wohin jetzt?“, fragte Ginalla flapsig. „Sie sagten was vom Sternbild Fische.“ „Davon weiche ich auch nicht ab.“, antwortete Sedrin. „Ich habe zwar keine Ahnung, was uns dort erwarten wird, aber ich denke, wir sollten Tamara vertrauen. Sie wird schon das Richtige tun.“ „Also dann, Kamurus!“, kommandierte Ginalla. „Du hast die Lady gehört.“ Kamurus’ Avatar nickte und sie verließen die terranische Umlaufbahn.

Tolea hatte erneut den Kontaktkelch zur Hand genommen, um Sytania zu kontaktieren. Viel zu lange hatte sie nichts von ihrer angeblichen Freundin gehört, was sie sehr nervös werden lassen hatte. Immer abhängiger von Sytanias Zuspruch und ihrer Anwesenheit war sie geworden, was auch eine Nebenwirkung der schwarzen Macht war. Als Sytania ihren Ruf aber nicht beantwortete, teleportierte sie sich sogleich in ihr Schloss im Dunklen Imperium. „Was für ein überraschender Besuch!“, lachte Sytania. „Was verschafft mir die Ehre?“ „Ich habe Euch aufgesucht, Milady, weil ich …“ „Warum nennst du mich noch weiterhin Milady?“, fragte Sytania. „Wir sind doch längst Freundinnen geworden. Du musst mich auch nicht mehr wie eine Königstochter ansprechen. Wir sollten uns längst duzen. Nenn mich also zukünftig Sytania.“ „Liebend gern.“, antwortete Tolea. „Schön.“, kreischte Sytania. „Darauf sollten wir anstoßen.“

Sie klatschte in die Hände und ein älterer Imperianer betrat das Gemach. „Bring uns vom besten Wein und zwei Krüge!“, befahl die Prinzessin. „Meine edle Freundin und ich haben etwas zu feiern.“ „Wie Hoheit wünschen.“, sagte der Alte, der offenkundig Sytanias Mundschenk war und ging.

Sytania und Tolea setzten sich an einen kleinen mit Gold beschlagenen Tisch, der in einer sonnigen Ecke des Zimmers stand. Als sich die Frauen gegenüber saßen, viel Sytania sofort auf, was ihre Freundin für ein verkniffenes Gesicht machte. „Was stört dich, Tolea?!“, wollte sie wissen. „Ich habe beunruhigende Dinge gesehen, als ich in die Zukunft geblickt habe, Sytania.“, entgegnete die Bewohnerin des Raum-Zeit-Kontinuums mit einer Stimmlage, als würde man ihr die Luft abdrücken. „Wovon redest du?“, fragte Sytania.

Tolea stand auf und holte den Kontaktkelch, den auch Sytania auf ihrem marmornen Schreibtisch stehen hatte, herüber. Dann legte sie eine Hand auf den Fuß und streckte die andere Sytania entgegen. „Bitte sieh es dir mit mir an.“, bat sie. „Wie du willst.“, erwiderte Sytania misslaunig. Langsam hatte sie von Toleas ängstlichem Getue, wie sie es empfand, genug.

„Das ist die Granger.“, stellte Sytania fest, nachdem sich vor ihrem und Toleas geistigem Auge jenes Bild geformt hatte, auf das Tolea sie aufmerksam machen wollte. „Verstehst du denn nicht?!“, sagte Tolea alarmiert. „Sie werden uns draufkommen, wenn wir nichts tun. Dieser Agent Mikel ist ein ziemlich gewitzter Schnüffler und Diran hat ihm gegenüber ausgesagt. Wenn der eins und eins zusammenzählt, wird er uns draufkommen und dann …“ „Da sieht man mal wieder, dass du vor lauter Angst nicht richtig hingeschaut hast.“, sagte Sytania und riss die geistige Kontrolle an sich. „Schau mal, was wirklich mit der Granger passieren wird.“ Erleichtert nahm Tolea zur Kenntnis, was sie jetzt durch den Kontaktkelch zu sehen bekam. „Du meinst, um die Granger wird sich schon jemand kümmern.“, sagte sie. „Genau.“, erwiderte Sytania. „Wir können uns beruhigt zurücklehnen und das Problem Granger den Sterblichen überlassen. Zumindest denen, die uns aus der Hand fressen. Die Föderation wird Kissara schon wieder einfangen und dann werden Mikel auch seine besten und akkuratesten Ermittlungsergebnisse nicht mehr helfen. Morgen hat die Föderation soweit ich weiß eine Parlamentssitzung, in der das Problem Granger auch diskutiert werden soll. Du solltest über Nacht bleiben und wir sollten dann mit unseren seherischen Fähigkeiten einmal Mäuschen spielen.“ „Also gut.“, sagte Tolea. „Dann machen wir es doch so. Aber ich fürchte, der hohe Rat wird aufmerksam, wenn ich als momentane alleinige Vorsitzende nicht erscheine, wenn heute Abend über die Situation gesprochen wird.“

Sytania machte ein wütendes Gesicht. „Wie unvorsichtig warst du?!“, fragte sie empört. „Wie viel wissen sie?!“ „Sie wissen gar nichts.“, versuchte Tolea, sie zu beruhigen. „Sie vermuten nur. Aber ich denke, ich kann sie …“ „Ver-mu-ten!!!“, schrie Sytania. „Vermuten reicht schon! Die anderen Mitglieder eures Rates sind nicht dumm und wenn irgendjemand bei dem Duell etwas gesehen haben sollte, dann …“ „Nur zwei Vendar.“, versuchte Tolea die aufgebrachte Prinzessin zu beruhigen. „Das genügt!“, unterbrach Sytania sie. „Die werden geredet haben und einige von deinen ehemaligen Kumpanen werden ihnen geglaubt haben. Aber du hast noch eine Chance, alles wieder gut zu machen. Wir werden sie gemeinsam in Felsen verwandeln. Wenn wir sie überraschen, können sie sich nicht wehren und von dir, das ist die größte Überraschung, werden sie das nicht denken.“ „Also gut.“, sagte Tolea. Im selben Augenblick fuhr ein schwarzweißer Blitz auf die Versammlung in der großen Halle des Kontinuums hernieder, wo man auf Tolea gewartet hatte. Augenblicklich waren alle zu Felsnasen erstarrt. Sytania hatte Recht behalten. Trotz der Warnung der Vendar hatte niemand damit gerechnet, dass sich Tolea wirklich auf Sytanias Seite geschlagen hatte.

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