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Mikel und ich waren durch das Tor ins Schloss gegangen. An den Wachen kamen wir ohne Federlesen vorbei. Immerhin war Mikel Dills Nennsohn und ich war dessen gute Freundin. In der großen Eingangshalle erwartete uns bereits Eldisa. „Hallo, Bruder.“, begrüßte sie Mikel und umarmte ihn. Dann gab sie mir durchaus förmlicher die Hand. „Hallo, Allrounder Betsy.“, sagte sie. „Ich grüße Euch, Hoheit.“, erwiderte ich. „Ihr habt in der SITCH-Mail, die Ihr mir geschickt habt, erwähnt, dass Ihr Hilfe braucht und nur ich Euch helfen kann. Nun, hier bin ich.“

Die Prinzessin zog mich zu einer Seitentür, durch die wir in einen abgelegenen Teil des Schlossparks kamen. Hier erwartete uns der Stallbursche mit zwei Pferden. Lucinda, die Logar Eldisa geschenkt hatte und Merlin, einem gutmütigen nervenstarken kleinen stämmigen Rappen, dessen Mutter eine von Dills Stuten und dessen Vater wohl der Hengst eines Bauern gewesen sein musste, jedenfalls, wenn man nach Merlins Statur ging. Dill hatte den armen Merlin bei Zeiten kastrieren lassen, damit der Seitensprung seiner Lieblingsstute auf keinen Fall weitere Kreise ziehen würde. Sein Fell war so weich, dass ihm der Stallbursche den Spitznamen Wollschaf verpasst hatte.

Wir ritten also los und bald waren wir durch die Wälder zu einem kleinen versteckten Bach gekommen, den Eldisa zu ihrem Lieblingsplatz erkoren hatte. Hier stiegen wir ab und ließen die Pferde aus unseren hohlen Händen trinken, was ich Eldisa angeraten hatte, damit sie sich keine eventuellen Kälte bedingten Krankheiten holten. Obwohl es Sommer war, schien mir das Wasser noch sehr kalt. „Hast du einen weichen Nasenspiegel.“, flüsterte ich Merlin zu. Er grunzte wohlig und leckte mir den Rest Wasser von den Fingern. „Er ist eins vierundsechzig pure Weichheit und so lieb!“, lächelte Eldisa. „Ich kann gar nicht verstehen, warum er keine Fohlen zeugen soll.“ „Euer Vater sorgt sich um die vornehme Herkunft seiner Pferde.“, scherzte ich. „Ach so.“, lachte Eldisa.

Ich führte Merlin zu einem Baum und band ihn an, wonach ich Eldisa auch Lucinda abnahm. Dann setzten wir uns ans Ufer des Baches. „Was ist nun Euer Problem, Hoheit.“, fragte ich. „Ich habe das Thema Liebesdinge nicht umsonst erwähnt, Allrounder.“, entgegnete die Königstochter. „Es ging also gar nicht um die Pferde.“, schlussfolgerte ich. „Nein.“, sagte Eldisa. „Obwohl ich dem Stallburschen mit Absicht befohlen habe, gerade Merlin für Sie zu satteln, um im weitesten Sinne einen Anfang für dieses Thema zu haben. Also, seine Mutter hat offensichtlich nicht nein gesagt, als sein Vater was von ihr wollte, obwohl er nicht von ihrem Stande, also nur ein Ackergaul, war. Aber …“ „Pferden ist das egal.“, lachte ich. „Die pfeifen auf Adel oder nicht. Ihr habt Euch doch nicht etwa in einen Sterblichen …“ „Nein.“, beruhigte mich Eldisa. „Aber es geht eher um das Neinsagen. Seit einiger Zeit steigt mir ein Junge aus dem Raum-Zeit-Kontinuum hinterher, aber ich will nichts von ihm.“ „Na da habt Ihr ja auch noch alle Zeit der Welt.“, erwiderte ich. „Ihr seid ja gerade erst 13 Jahre alt.“ „Das ist es nicht nur.“, sagte Eldisa. „Clytus nervt! Er rafft einfach nicht, dass ich nichts von ihm will. Sagen Sie, Allrounder, sind Jungs so doof, oder tun sie nur so?“ Ich musste schallend lachen und auch die Pferde fielen mit lautem Wiehern in mein Gelächter ein. So einen Ausspruch hatten wir wohl alle drei Eldisa nicht zugetraut. Von einer Prinzessin war man auch im Allgemeinen diplomatischere Töne gewohnt. Aber sie war eben auch ein 13-jähriges Mädchen. Jetzt musste auch Eldisa lachen.

Ich räusperte mich. „Also.“, begann ich. „Manchmal brauchen Jungs es sehr deutlich, Hoheit. Was habt Ihr denn bisher versucht, um ihn loszuwerden, wenn Ihr nichts von ihm wollt?“ „Ich habe ihm all seine Geschenke zurückgeschickt.“, entgegnete Eldisa. „Außerdem habe ich ihn nie empfangen, wenn er zu mir wollte.“ „Mindestens einmal solltet Ihr ihn aber empfangen.“, riet ich. „Und sei es nur, um ihm zu sagen, dass er bei Euch keine Chance hat.“ „Also gut.“, sagte Eldisa erleichtert und stand auf. „Vielen Dank, Allrounder. Aber da ist noch eine Frage, die mir auf den Nägeln brennt. Es geht um Sie. Ich möchte Sie aber nicht kompromittieren.“ „Nur raus damit, Hoheit.“, ermutigte ich sie. „So schlimm kann es ja nicht sein. Jedenfalls erinnere ich mich nicht, etwas Schlimmes getan zu haben.“ „Sie sind mit Techniker Scott verheiratet.“, begann Eldisa. „Aber Sie lieben auch Shimar. Es wäre doch sicher gut, wenn Sie mit beiden zusammen sein könnten. Warum geht das nicht?“ „Ihr seid erst 13 Jahre alt.“, setzte ich an. „In Eurer romantischen Vorstellungswelt besiegt die Liebe alles. Aber in der Welt der Erwachsenen gibt es moralische Konventionen, die das verbieten würden. Zumindest in der Föderation. Bei den Genesianern wäre das anders. DA dürfte ich so viele Männer haben, wie ich wollte. Die Männer dürften aber nur mir treu sein. Ich hätte dort sogar das Recht, einen untreuen Ehemann mit den eigenen Händen zu töten. Das würde die Rechtsprechung sogar verlangen.“ Eldisa schauderte. „Dann doch lieber die Moral der Föderation. Ich möchte nicht morden müssen wegen eines Seitensprungs.“

Mir war aufgefallen, dass die Pferde unruhig geworden waren. „Ich gehe mal nachsehen.“, sagte ich. „Nicht nötig.“, erwiderte Eldisa, die längst telepathisch gespürt hatte, was hier los war. Bald darauf gab es einen Wush und ein weißer Blitz zerriss die Luft. Dann stand Clytus vor uns. „Kümmern Sie sich bitte um die Pferde, Allrounder.“, sagte Eldisa selbstbewusst. „Ich mache den Rest!“ „Wie Ihr wünscht, Hoheit.“, sagte ich und ging in Richtung der Stelle, an der ich die Pferde angebunden hatte, um eine Krauloffensive zu starten, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte.

Eldisa trat mit aufrechter Haltung und ernstem Gesicht vor Clytus hin. „Lass mich in Ruhe!“, sagte sie laut und deutlich und selbst ein Tauber hätte gehört, dass es ihr ernst war. „Aber warum denn, Eldisa?“, fragte Clytus, der nicht viel älter war als sie. „Warum?!“, erwiderte Eldisa empört. „Weil ich dich nicht liebe! Ich habe dich nie geliebt und ich will tot umfallen, sollte ich dies je tun! Du bist ein nerviges lästiges Anhängsel und mehr nicht! Sogar die Jagdhunde meines Vaters erfreuen mich mehr, wenn sie hinter mir her wuseln und nun zisch ab!“ „Wir werden ja sehen.“, sagte Clytus kleinlaut und war in einem weiteren weißen Blitz verschwunden.

Schmatzend, leckend, kauend und sabbernd standen die Pferde vor mir, als Eldisa mit stolz geschwellter Brust zu mir zurückkehrte. Tatsächlich hatte ich die Beiden beruhigen können, obwohl ihnen Clytus’ Auftauchen ziemliche Angst gemacht haben musste. Dass Tiere Telepathie spüren könnten, sagte man ihnen im Allgemeinen nach. Eldisa und Dill waren sie gewohnt. Aber Clytus kannten sie nicht. Ihre Angst war also durchaus verständlich. „Dem habe ich es gegeben, Allrounder, was?“, sagte Eldisa. „Der ist mit eingezogenem Schwanz ab durch die Mitte. Danke für Ihren Rat. Jetzt weiß ich, wie ich mich unerwünschten Verehrern gegenüber verhalten muss.“ „Gern geschehen.“, entgegnete ich. Dann machte ich die Pferde los, wir saßen auf und ritten zurück. Hätte ich allerdings geahnt, was das alles noch für Konsequenzen haben würde, dann hätte ich mir den Rat an Eldisa noch einmal überlegt und ihr sicher ein vorsichtigeres Vorgehen nahe gelegt.

Sedrin stand vor ihrem Kleiderschrank im Haus der Huxleys. Auf dem mit einer weißen Tagesdecke überzogenen Bett lag ein bunt geblümter Koffer, der offen stand. Darin hatte sie schon allerlei Nützliches verstaut. Nur ein Oberteil fehlte noch. Dieses würde sie sich jetzt aus den Sachen suchen, die sich unaufhörlich auf Bügeln, die an einem Rondell hingen, das vom Hausrechner gesteuert wurde, drehten. „Computer, Stopp!“, befahl sie in Richtung des Mikrofons und nahm nach Ausführung des Befehls das Kleidungsstück vom Bügel, das ihr am nächsten war. Es handelte sich um eine gelbe Bluse mit Stickereien. Diese legte sie zusammen und dann in den Koffer zu dem bunt und fröhlich gefärbten Rock und den braunen Sandalen. Über das Netzwerk hatte sie sich den Wetterbericht für die Region von Celsius, in der das kybernetische Forschungsinstitut lag, geben lassen, wusste also genau, was sie einpacken musste. Obwohl Cupernica und sie nur eine Nacht bleiben würden, wollte Sedrin auf keinen Fall einen ungepflegten Eindruck hinterlassen. Sie hatte nur so selten Zivilkleidung eingepackt, dass ihr dies extrem ungewohnt vorkam.

„Jinya?“ Jemand hatte durch die geschlossene Schlafzimmertür gefragt. Sedrin drehte sich um und betätigte von innen den Türsensor. „Komm rein, Jaden.“, sagte sie freundlich zu dem vor der Tür stehenden Terraner. „Ich tue hier drin nichts, was du nicht schon einmal gesehen haben solltest.“ „Demetanischer Scherzkeks.“, lachte der mit seiner breiten Statur an einen Cowboy erinnernde Amerikaner, der an ihr vorbei blickte und dann fürsorglich meinte: „Ein Nachthemd fehlt noch.“ „Wie gut, dass du mich erinnerst, Jineron.“, lächelte Sedrin und packte sogleich eines ein. „Wäre ja höchst peinlich, wenn Cupernica mir eins borgen müsste.“ „Wenn du deine Uniform packst, denkst du doch auch an die für die Nacht.“, stellte Huxley fest. „Das stimmt schon.“, gab Sedrin zu. „Nur, ich habe bisher so selten meine Zivilkleidung benutzt, dass …“ „Dann sollten wir öfter in den Urlaub fahren.“, schlug Jaden vor.

Er sah ihr genauer ins Gesicht. „Du bist ja total aufgeregt, Jinya Demetana.“ „Ich weiß.“, sagte Sedrin mit leicht nervösem Unterton. „Fühl mal.“ Sie legte sich seine rechte Hand aufs Knie, nachdem sich beide neben den Koffer auf das Bett gesetzt hatten. „Ui!“, machte Huxley. „Man könnte ja glatt meinen, es sei unser Kind, was Cupernica und du dort abholen. Jetzt atme mal tief durch oder trink einen Whisky.“ „Wenn ich das tue, Jineron Terraneron, dann gibt es einen durchschlagenden Erfolg und Cupernica kann Novus allein holen, während ich die Toilette des Raumflughafens blockiere.“, erwiderte Sedrin grinsend. „Na also.“, meinte Huxley zufrieden. „Du lachst ja schon wieder. Aber warum bist du denn so nervös?“ „Frag mich was Leichteres.“, antwortete Sedrin, die sich das merkwürdige Bauchgefühl, das sie hatte, selbst nicht erklären konnte. „Jedenfalls hat meine Nervosität nichts mit Novus zu tun.“ „Womit dann?“, bohrte Huxley nach.

Ein Hupsignal rettete sie, bevor sie antworten konnte. „Sie wartet.“, sagte Sedrin deutlich und langsam, was ihrem Ehemann klar machte, dass sie jetzt gehen würde, egal, ob die Frage nun abschließend geklärt war oder nicht. „Du kommst ja wieder.“, sagte Jaden. „Als ich zuerst sah, dass du deine Sachen packst, hatte ich richtige Angst bekommen.“ „Wenn ich dich wirklich hätte verlassen wollen.“, setzte Sedrin aufstehend an. „Dann hätte ich dir vorher gehörig den Marsch geblasen und es erst dann wahr gemacht. Du kennst mich ja.“ „Oh, ja.“, sagte Jaden und gab ihr mit seinem großen amerikanischen Mund einen dicken Kuss zum Abschied. Sie lächelte ihn an und ging.

Vor dem Haus erwartete Cupernica sie bereits in ihrem und Datas gemeinsamen Jeep. Die Androidin stieg aus und half ihrer demetanischen Mitfahrerin, deren Koffer neben dem Ihren vorschriftgemäß im Kofferraum des roten Jeeps zu verstauen. „Wir wollen ja keinen Ärger während einer Verkehrskontrolle riskieren, nicht wahr, Agent?“, meinte Cupernica. Dabei versuchte sie, ihre Stimme extrem ironisch klingen zu lassen. „Sicher nicht.“, antwortete Sedrin.

Die Frauen gingen nach Schließen der Kofferraumklappe um den Jeep herum und Cupernica setzte sich wieder auf den Fahrersitz, während Sedrin auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Dann ging es los. „Wir werden uns nicht sehr beeilen müssen.“, stellte die Androidin fest, nachdem sie ihr Gegenüber etwas länger durch die Peripherie ihrer Augen beobachtet hatte. Als multi-tasking-fähiges Wesen konnte sie dabei durchaus noch sicher am Straßenverkehr teilnehmen. „Warum glauben Sie, dass ich denke, dass wir uns beeilen müssen, Cupernica?“, fragte Sedrin. „Ihren medizinischen Werten nach sind Sie extrem nervös und hektisch, Agent.“, antwortete Cupernica. „Ich ging davon aus, dass Ihre Nervosität das eventuelle Verpassen des Liners zur Ursache haben könnte.“ „Nein.“, versicherte Sedrin. „Aber was genau mit mir los ist, weiß ich selber nicht.“

Cupernica machte Anstalten, den Jeep am rechten Fahrbahnrand abzustellen. „Bitte fahren Sie weiter, Scientist.“, bat Sedrin. „Es wird schon nicht so schlimm sein.“ „Genau das möchte ich verifizieren.“, erwiderte Cupernica und stellte den Antrieb des Jeeps ab. „Wenn wir einen interstellaren Flug hinter uns bringen, möchte ich sicher gehen, dass mir meine Begleiterin nicht unterwegs kollabiert.“ „Sind meine Werte denn so schlimm?“, fragte Sedrin, während sie sich zur offenen Beifahrertür drehte. „Wenn mich Ihre Werte nicht alarmieren würden, dann würde ich Sie jetzt nicht untersuchen.“, antwortete Cupernica in ihrer für eine Androidin typischen Gleichmut. „Sitzen Sie bitte ganz still.“ Sie musterte ihre Patientin von Kopf bis Fuß, um dann festzustellen: „Es wird, denke ich, gehen, ohne dass ich Ihnen ein Beruhigungsmittel verpassen muss.“ Dann stieg sie wieder in den Jeep und sie fuhren weiter.

Tila hatte Novus inzwischen eine SITCH-Mail von Cupernica gezeigt. „Findest du es ungewöhnlich, dass dein Vater nicht mitkommt, um dich abzuholen, Novus.“, fragte die technische Betreuerin. „Durchaus nicht.“, antwortete der Androide. „Wenn mein Vater mit Techniker Scott unterwegs ist, dann kann er mich logischerweise nicht abholen. Aber Agent Sedrin Taleris-Huxley halte ich ebenfalls für kompetent genug dazu. Zumal aus dieser Mail eindeutig hervorgeht, dass meine Mutter meinen Vater später mit meiner Anwesenheit überraschen möchte. Würde mein Vater dabei sein, wäre es ja keine Überraschung mehr. Soweit ich verstanden habe, ist der Sinn einer Überraschung der, dass der Überraschte nicht weiß, dass er überrascht wird. Ist meine Annahme korrekt?“ „Das ist sie.“, lächelte Tila.

Die Celsianerin sah sich im Zimmer um. „Hast du schon gepackt?“, fragte sie. Novus nickte. „Das dachte ich mir. Du willst doch sicher auch schnell nach Hause.“ „Ich habe gelernt.“, entgegnete Novus, dass es keinen Einfluss auf die Geschwindigkeit hat, mit der die Zeit vergeht, ob ich nun meinen Koffer schon heute oder erst, wie Sie sagen würden, auf den letzten Drücker, packe. Die verbleibende Zeit, bis wir zum Raumflughafen abfahren werden, beträgt immer noch 12 Stunden, 30 Minuten und jetzt noch 15 Sekunden.“ „Oh.“, meinte Tila und sah ihn irritiert an. Was er jetzt gezeigt hatte, war jenes androidentypische Verhalten, das manche Leute extrem irritieren könnte. In der Prüfung war dies nicht passiert! Hier hatte Novus doch alles richtig gemacht! Der einzige Grund, der Tila einfiel, aus dem so etwas passieren konnte, war, dass jetzt etwas mit Novus nicht stimmte. „Bist du OK?“, fragte Tila mit einer Mischung aus Verwirrtheit und Schreck. „Ich funktioniere innerhalb normaler Parameter.“, antwortete Novus, was Tila noch mehr verwirrte. „Bleib hier sitzen!“, sagte sie mit bestimmtem Ton. „Ich hole …“ „Reingefallen!“, rief Novus aus, sprang vom Bett, auf dem er und Tila gesessen hatten, auf und schlang seine Arme um sie, um sie am Gehen zu hindern. Der Blick der jungen Celsianerin wandelte sich von Verwirrtheit über Erstaunen zu Stolz. „Das kannst du auch?!“, fragte sie erfreut und begann zu lächeln. „Wie du siehst.“, antwortete Novus und half ihr wieder auf ihren Platz zurück. „Aber dass ich dich hereingelegt habe, hat einen Anlass. Laut dem terranischen Kalender ist in der Gegend, in der ich leben werde, heute der erste April. Ein Brauch besagt, dass man sich gegenseitig hereinlegt, wenn dieser Tag gekommen ist. Ich glaube sogar, ich muss jetzt noch sagen: April, April!“ „Uff.“, machte Tila. „Und ich dachte schon, jetzt fängt bei dir genau das Gleiche an wie bei deiner Schwester Lal.“ „Du hättest leicht darauf kommen können, dass dies nicht sein kann.“, erinnerte er sie. „Die Symptome, die ich vorgespielt habe und die, denen Lal zum Opfer gefallen ist, waren komplett unterschiedlich. Du musst also nicht mit meinem baldigen Tod rechnen.“ „Allerdings war das was komplett anderes.“, gab Tila zu. „Aber wenn das deine Art von Humor ist, dann ist der schwärzer als meine Füße!“ Novus vermied es, darauf noch etwas zu sagen. Er ahnte, dass er seine arme Betreuerin ziemlich durcheinander gebracht hatte. „Ich hole dich morgen früh um neun Uhr ab.“, sagte Tila im Gehen. „OK.“, erwiderte Novus.

Vier weitere Nächte hatten die Genesianerinnen Mondfinsternisse beobachtet. Allerdings hatte der Großteil von ihnen nicht viel davon mitbekommen. Das lag vor allem an den großen Mengen hochprozentiger Getränke, welche die Kriegerinnen während der jetzt schon vier Tage andauernden Feierlichkeiten zu sich genommen hatten. Die Gerüchte über Sachometh hatten schnell die Runde gemacht und so hatte sich jede Station und jede Welt an der Feier beteiligt. Minerva war schlagartig im Respekt der Anderen aufgestiegen, weil sie alles zuerst gesehen hatte.

Der Annäherungsalarm des Computers wurde von Yanistas weinseligen Ohren nur nebenbei registriert. Allerdings gab es gleich darauf einen weißen Blitz und alle waren auf einen Schlag wieder nüchtern. Jedenfalls nüchtern genug, um des großen waffenstarrenden genesianischen Schlachtkreuzers ansichtig zu werden, der sich ihrer Station näherte. „Welches Schiff ist das?“, wollte Yanista wissen. „Shira, sieh nach!“

Die Angesprochene ging zur Konsole und gab einige Befehle ein, nach deren Ausführung allen das Rufzeichen des Schiffes und sein Name auf dem großen Schirm gezeigt wurden. „Es ist die Rapach.“, stellte Yanista fest. „Shashanas Schiff?“, fragte Minerva. „Warum sollte sie ihren Schlachtkreuzer vorbereiten lassen und was ist da mit uns passiert?“ „Fragen wir sie doch.“, erwiderte Yanista. „Shira, ruf sie!“

Nachdem Shira die SITCH-Verbindung hergestellt hatte, sahen alle das Gesicht der obersten Prätora auf dem Schirm. Allerdings war sie von einem merkwürdigen Lichtschein umgeben. „Meine Kriegerinnen.“, wendete sich Shashana für ihre sonstigen Begriffe doch sehr pathetisch an alle. „Die Zeit von Sachometh ist gekommen. Die anderen Götter haben mir endlich vergeben und ich durfte ein Werkzeug wählen, mit dessen Hilfe ich auch euch alle an meiner Freude teilhaben lassen will. Ihr seht Shashanas Körper vor euch. Aber ich bin nicht sie. Ich bin die Wächterin von Gore. Zum Beweis habe ich euch alle von den Nachwirkungen eurer Feier verschont. Schließlich brauche ich euch, wenn wir noch heute gegen das Universum der Föderation und das der Tindaraner ins Feld ziehen. Präpariert eure Schiffe und folgt mir!“ Zum Beweis ließ die Fremde einen Kometen in der Flugbahn des Schiffes durch reine Willenskraft explodieren. „Ihr habt sie gehört!“, befahl die sichtlich nach Fassung angesichts des gerade Gesehenen ringende Yanista. „Präpariert das Schiff und dann los!“

Shira war skeptisch. Zu viel hatte sie in ihrem Leben schon gesehen, um einfach so zu glauben, dass es sich bei diesem Wesen, das vom Körper ihrer obersten Prätora Besitz ergriffen hatte, wirklich um die oberste Göttin handelte, der die anderen Götter einfach so vergeben hatten. Sie war nie jemand gewesen, die jene Geschichten, die in den alten Schriften standen, immer wörtlich genommen hatte und sie war auch der Ansicht, dass man sie nicht wörtlich zu nehmen hatte, sondern dass sie viel eher als Sinnbilder zu verstehen waren. Würde man sie wörtlich nehmen, so liefe man Gefahr, irgendeinem Mächtigen, der feindliche Absichten hatte und diesen Umstand jetzt ausnutzte, anheim zu fallen. Genau davon ging Shira jetzt aus. Warum sonst hatte diese Göttin unbedingt mit Nachdruck beweisen wollen, dass sie eine war. Eine Göttin hätte doch so eine alberne Show wie das mit der Kometenexplosion sicher nicht nötig. Aber diesem Wesen musste ja das Wasser bis zum Hals stehen, wenn es sich unbedingt der Loyalität der Genesianerinnen versichern musste. Mehr war die Fremde für Shira auch nicht. Sie war nur ein feindlicher Geist, der den Körper der armen obersten Prätora auf eine unehrenhafte Weise besetzt hielt und der sie alle ins Unglück führen wollte. Sie hatten zwar schnelle und waffenstarrende Schiffe, aber mit zwei Gegnern gleichzeitig, von denen einer sogar eine schier undurchdringliche geistige Mauer um seine Dimension bauen konnte, konnten sie nicht fertig werden. Sytania fiel ihr ein! Sie hätte ein Motiv, sowohl die Tindaraner, als auch die Föderation aus dem Weg räumen zu wollen. Aber Sytania war ohne Ehre und ihre eigene Prätora stand kurz davor, von ihr eingewickelt zu werden. Die oberste Prätora hatte sie schon in ihrem unehrenhaften Griff. Aber Shira würde sie jetzt befreien und dann hätte dieser Spuk ein Ende!

Sie ging zur Waffenkonsole der Station und befahl: „Computer, Rosannium-Waffe laden und auf die Rapach zielen. Feuern wenn bereit!“ „Alle Befehle, die diese Waffe betreffen, können nur mit Genehmigung der Prätora ausgeführt werden.“, kam es nüchtern zurück. „Na gut.“, sagte Shira ruhig. „Dann werde ich sie eben überzeugen.“

Sie ging den Anderen hinterher, fing Yanista und ihre Tochter aber kurz vor der Schleuse ab. „Prätora, wartet!“, rief sie ihrer Clanführerin zu. „Was wir im Begriff sind zu tun, ist nicht rechtens und schon gar nicht ehrenvoll!“ „Was meinst du, Shira?“, fragte Yanista kurz aber machte keine Anstalten stehen zu bleiben. „Ich meine, dass die arme Shashana offensichtlich von einem feindlichen mächtigen Wesen besessen ist, das uns alle in unser Verderben führt, wenn wir ihr folgen. Wir können nicht gegen zwei Gegner gleichzeitig bestehen! Bitte, Prätora, bitte denkt nach! Ihr könnt nicht so naiv sein und Sytania in die Falle gehen wollen!“ „Sytania!!!“, lachte Yanista schallend auf. „Dass sie hieran unschuldig ist, hast du doch selbst bewiesen.“ „Aber Sie könnte ein Geistwesen geschaffen haben, das diesen feigen Akt für sie erledigt. Dessen Signatur würden wir nicht kennen und die Computer der Stationen und Schiffe auch nicht. Bitte, Prätora. Wenn sie eine echte Göttin wäre, dann müsste sie das doch nicht so krampfhaft beweisen. Niemand hat sie aufgefordert und so eine Explosion schafft man auch mit einem anständigen Photonentorpedo. Bitte, Yanista, hört mir zu!“ Sie hatte ihre Clanführerin mit Absicht mit Namen und nicht als Prätora angesprochen, da sie hoffte, dass dies sie zumindest kurz dazu bringen würde, sich umzudrehen. Aber Yanista ging stur ihren Weg zur Brücke des Schiffes, auf dem sie inzwischen angekommen waren, weiter. „Ich habe einen Befehl im Computer der Station in Wartestellung.“, redete Shira weiter auf Yanista ein. „Eure Stimmgenehmigung genügt und wir sind für immer durch die Rosannium-Waffe von diesem unehrenhaften Wesen befreit, das Shashana in seine Gewalt gebracht hat.“

Endlich wurde Yanista doch hellhörig. Allerdings schreckte sie der Gedanke sehr, dass Shira alles vorbereitet hatte, um das in ihren Augen göttliche Wunder zu sabotieren. „Was hast du da vorbereitet?!“, schrie sie ihre Untergebene an. „Du hast doch das Wunder von Sachometh gesehen!“ „Warum hast du Angst, Mutter?“, mischte sich jetzt auch Minerva ein. „Wenn sie eine wirkliche Göttin ist, dann kann sie doch auch durch die Rosannium-Waffe nicht getötet werden. Also können wir sie doch ruhig abfeuern.“ „Das werden wir nicht tun!“, befahl Yanista. „Und diese Ketzerin wird auch nicht weiter deinen Geist vergiften, mein armes Kind. Ab heute werde ich dich selbst unterrichten. Nur wenn wir fest im Glauben stehen, können wir diese Herausforderung bestehen. Und du, Shira, du wirst jetzt auf die Station zurückgehen und dem Computer sagen, dass der Befehl gelöscht wird. Anderenfalls werde ich dich die Warpgondeln schrubben lassen bis an dein Lebensende!“ „Ja, Prätora.“, erwiderte Shira kleinlaut und ging. Vorher flüsterte sie Minerva jedoch noch zu: „Beobachte gut, Kind. Beobachte gut.“

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