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Ginalla war auf dem Weg zu Zirells Bereitschaftsraum, den sich der Agent mal wieder zum Zweck des Verhörs ausgeliehen hatte. Obwohl IDUSA ihr den Weg ausleuchtete, fand die junge Celsianerin immer wieder Gelegenheiten für den einen oder anderen Abstecher. Einer dieser Abstecher führte sie nun sehr nahe an Jennas und Jorans Quartier vorbei, aus dem gerade Jenna ihren Weg kreuzte, mit der sie fast zusammenstieß. „Hoppla.“, lächelte die Terranerin ob dieses Umstandes und machte eine Ausweichbewegung. Erst jetzt erkannte sie, mit wem sie da zusammengestoßen war. „Hallo, Ginalla.“, war ihre weitere Reaktion. „Hey, Jenn’.“, antwortete die Angesprochene gewohnt flapsig. Seit der Hochzeit auf Camp Khitomer hatten sich die Beiden nicht mehr gesehen, hatten aber festgestellt, dass es sich sehr gut gemeinsam fachsimpeln ließ.

„Wohin des Weges?“, fragte Jenna lächelnd, nachdem sie sich neben Ginalla auf dem Korridor eingeordnet hatte. „Ich muss zu eurem Spion.“, flapste Ginalla. „Wir zwei haben ein Date für einen Urlaub auf den Verhörinseln. Du verstehst?“ „Ziemlich gut.“, lachte Jenna.

Die Celsianerin blieb stehen. „Das, was ich ihm sagen muss.“, begann sie jetzt schon ernster. „Könnte allerdings bei ihm auf Unglauben stoßen.“ „Warum?“, fragte Jenna freundlich. „Weil ich ihm von Dingen erzählen muss, die so paradox sind, dass er sie nicht glauben kann. Sie würden sein Weltbild total verdrehen. Das Problem ist, dass ich keine Beweise habe. Wenn ich die hätte, wäre es sicher einfacher.“ „Was ist denn das für eine Sache, die Marons Welt aus den Angeln heben soll?“, fragte Jenna mitfühlend. „Kannst du dir vorstellen, dass Tolea mit Sytania zusammenarbeitet?“, gab ihr Ginalla eine Kostprobe ihres Wissens. „Was?!“, sagte Jenna alarmiert. „Ja.“, sagte Ginalla. „Das Geistwesen, dem Kamurus begegnet is’, hat ihm gesagt, es sei eine Schöpfung von Clytus, der mit ihrer Hilfe die Zeitlinie verändert hat. Aber bei der Schöpfung hätte auch Sytania mitgeholfen. Sie hätte es zwar so eingerichtet, dass Clytus das nicht gemerkt hat, aber trotzdem. Dann hat Sytania Tolea angeboten, ihr bei Clytus’ Bestrafung zu helfen und das auch getan. Dadurch hat das Geistwesen den Kontakt zu seinem Schöpfer verloren und is’ jetzt total verwirrt gewesen. Aber dann haben Sytania und Tolea es gemeinsam getötet, um eine unliebsame Zeugin aus dem Weg zu räumen. Es konnte meinem Schiff gerade noch diese Informationen geben, bevor es starb.“

Jenna überlegte. Was ihr Ginalla da gerade gesagt hatte, klang für sich genommen sehr widersprüchlich und Maron würde, wenn man den zweifelhaften Ruf bedachte, den Ginalla hatte, ohne Beweise sicher kein Sterbenswörtchen davon glauben. „Wie lange ist der Kontakt zwischen deinem Schiff und dem Geistwesen her?“, fragte die versierte Ingenieurin. „Zu lange, wenn du das meinst.“, antwortete Ginalla resignierend, denn sie konnte sich denken, worauf Jenna hinaus wollte. „Neurale Energie zerfällt innerhalb von 24 Stunden.“ „Verdammt.“, fluchte die hoch intelligente Halbschottin leise. „Ich denke, wenn du Maron überzeugen willst, brauchst du wirklich starke Argumente. Zumal das, was du hier erzählst, für ihn unmöglich klingen wird und er mit Sicherheit einen perfiden Plan deinerseits dahinter vermuten wird. Er ist so erzogen, dass eine Zusammenarbeit zwischen Tolea und Sytania nie stattfinden wird, weil Tolea gut und Sytania böse ist. Aber Wut kann auch den besten Charakter zu bösen Taten verleiten. Sie kann extrem irrational machen. Sytania hat seherische Fähigkeiten. Ich könnte mir vorstellen, dass sie die ganze Situation um Clytus beobachtet und nur auf den richtigen Moment zum Eingreifen gewartet hat.“ „Du meinst, auf den Moment, in dem Tolea wütend genug auf Clytus war?“, fragte Ginalla, die jetzt immer mehr das Gefühl bekam, dass die Begegnung mit Jenna ein riesiger Glücksfall war. Ihre Freundin schien mit ihr gerade einen Schlachtplan zu schmieden, mit dem sie Maron das Erlebte gut plausibel machen konnte, ohne seine moralischen Grundfesten zu erschüttern. „Du weißt, wie sehr wir Sterblichen Tolea am Herzen liegen.“, referierte Jenna weiter. „Das bedeutet, wenn jemand mit unserer Zeitlinie spielt und Tolea sieht das, dann könnte sie schon sehr wütend werden. Um diesen Zustand herzustellen, muss es Clytus zunächst gelingen, die Zeitlinie zu verändern. Das bedeutet, dass sie ihm dabei helfen würde. Das wäre schon mal ihr erstes Motiv zum Eingreifen, weil Clytus allein gegen Dill nicht ankäme. Wenn Tolea dann aufgrund ihrer Beobachtungen wütend genug auf Clytus ist, muss sie ja nur noch ihre Hilfe anbieten, von der sie sicher ist, dass Tolea sie in ihrer grenzenlosen Wut auch annehmen wird. Sicher wird sie es so eingefädelt haben, dass nur sie und Tolea gemeinsam die Strafe wieder rückgängig machen können. Ihr Motiv könnte sein, doch noch irgendwie in den Besitz der Zeit zu gelangen. Wenn Dill bei dem Versuch, die Zeit zu verteidigen, stirbt, der Rest des Raum-Zeit-Kontinuums von Toleas Verhalten überrascht wird und somit nicht weiß, wie sie damit umgehen sollen und sie und Sytania irgendwas mit ihnen machen, das sie auch außer Gefecht setzt, ist die Zeit schutzlos. Eldisa ist viel zu jung. Ihr Machtzentrum ist noch nicht ausgereift. Sie könnte einem Angriff durch Sytania nichts entgegensetzen. Warum das Ganze allerdings gerade unsere beiden Universen betroffen hat, kann ich mir auch nicht vorstellen.“ „Das Geistwesen sagte, sein Schöpfer hätte aus Liebe gehandelt.“, sagte Ginalla. „Liebe?“, fragte Jenna. „Was soll das denn für eine Art von Liebe sein, die uns so in Schwierigkeiten bringt?“ „Die Schwierigkeiten waren von Clytus sicher nich’ geplant!“, sagte Ginalla mit Sicherheit in der Stimme. „Die fingen ja erst an, als sich Sytania eingemischt hat, die ihr eigenes Süppchen kocht.“ „Oh, ja.“, bestätigte Jenna.

Sie zog etwas hinter ihrem Rücken hervor. Ginalla erkannte einen Sack mit den Modulen, die sie aus IDUSAs Systemen entfernt hatte. „Die hast du an Bord des Schiffes vergessen.“, flüsterte die terranische Technikerin. „Sie beweisen zumindest, dass du IDUSA repariert hast. Das wird Maron hoffentlich davon überzeugen, dass du auf unserer Seite bist. Dann wird er dir hoffentlich auch gnädiger gegenüberstehen, was deine Glaubwürdigkeit angeht. Ich muss jetzt leider weiter. Viel Spaß.“ „Danke Jenn’.“, grinste Ginalla und sah zu, wie ihre Freundin hinter einer Ecke verschwand.

Ihr eigener Weg führte die Celsianerin jetzt in die Nische zu Zirells Bereitschaftsraum, in der auch IDUSAs Leuchtspur endete. „Danke, IDUSA.“, lächelte sie ins auf dem Flur in eine Wand eingelassene Mikrofon. „Jetzt komme ich klar.“ Dann betätigte sie die Sprechanlage. „Maron hier.“, erfolgte eine sachliche Antwort von drinnen. „Ich bin’s.“, sagte sie flapsig. „Ihre Zeugin Ginalla.“ „Kommen Sie rein!“, beorderte Maron sie.

Die Celsianerin beobachtete die Türen beim Auseinandergleiten und betrat dann den Raum. „Sie sind etwas spät dran.“, stellte Maron fest, als er ihr einen Stuhl anbot. „Sorry.“, flapste sie zurück. „Hatte noch 'n Plausch mit Jenn’. Die hat mir übrigens ziemlich stichhaltige Argumente geliefert, mein Bester, die Sie fast zwingen werden, mir zu glauben.“ „Ganz ruhig.“, beschwichtigte Maron sie. „Wieso schließen Sie von vorn herein aus, dass ich Ihnen glaube?“ „Weil ich genau weiß, dass mein Ruf nich’ der Beste is’.“, flapste Ginalla. „Ich bin Sternenflottenoffizier.“, verteidigte sich Maron, der sich unter ihrem verbalen Trommelfeuer sehr unwohl fühlte. „Ich bin ausgebildet, mich nicht von Vorurteilen beherrschen zu lassen, wenn ich eine Vernehmung führe.“ „Dann würden Sie mir also glatt glauben, wenn ich Ihnen sagte, dass Tolea mit Sytania zusammengearbeitet hat und es bis heute noch tut?“, fragte Ginalla.

Maron schluckte. Was sie ihm da gerade gesagt hatte, war ein ganz schöner Schlag in die Magengegend. „Nein!“, sagte er schließlich, als er sich auf die alten Ideale besonnen hatte, die man ihm schon seit frühester Kindheit vermittelt hatte. „Gut und böse können niemals Freunde werden! Das geht nicht! Ich weiß nicht, was Sie für einen Plan verfolgen, Ginalla, aber diese abstrusen Hirngespinste nehme ich Ihnen nicht ab! Haben Sie Beweise?“

Grinsend holte Ginalla den Sack hervor, um ihn auf dem Schreibtisch auszukippen. „Wenn Sie die Seriennummern der Module vergleichen, werden Sie feststellen, dass sie einmal in Ihr Schiff gehört haben. Das sollte beweisen, dass ich sie repariert habe. Also bin ich doch wohl auf Ihrer Seite und würde Sie nich’ belügen. Die Ginalla, die lügt und betrügt, um ihr Ziel zu erreichen, die bin ich nich’ mehr.“, sagte sie. „Mag sein, dass Sie IDUSA repariert haben, um sich bei uns einzuschmeicheln!“, sagte Maron streng. „Aber ich widerstehe Ihren Verführungskünsten.“ „Wenn Sie so von mir denken!“, sagte Ginalla und drehte sich um. „Dann habe ich Ihnen nichts mehr zu sagen. Soll mir doch scheißegal sein, wo Sie Ihre Ermittlungsergebnisse herbekommen.“

Damit verließ sie wutentbrannt den Raum in Richtung Andockrampen. Hier traf sie auf Shannon, an der sie aber einfach vorbeiging. „Hey, Ginalla!“, begrüßte die blonde Irin sie. „Wo wollen Sie denn hin?“ „Zu meinem Schiff!“, sagte Ginalla. „Anscheinend wird man ja hier nicht mehr benötigt und für voll genommen schon gar nich’.“ „Hey, was is 'n los?“, fragte Shannon betont flapsig. „Einer Schwester in der Denk- und Redeweise kannst du dich ruhig anvertrauen.“ „Na schön.“, sagte die Celsianerin. „Dann hör mal zu, Schwester. Ich wünsche mir den Tag herbei, an dem diese Sternenflottenoffiziere von ihrem hohen Ross abgeworfen werden.“ Dann zog sie ihr Sprechgerät: „Kamurus, mach 'ne Selbstdiagnose und dann hol mich an Bord. Wir hauen ab! Ich will denen hier nich’ länger zur Last fallen!“

Shannon beobachtete, wie Ginalla von ihrem Schiff an Bord gebeamt wurde. Die Reaktion der Celsianerin gab der blonden Irin Rätsel auf. Erst war sie so überzeugt davon gewesen, den Beweis an sich in ihrem nicht vorhandenen Hut zu haben und jetzt?

Jenna betrat den Maschinenraum. Gerade konnte die Terranerin das schnelle Abdockmanöver von Kamurus noch aus dem Augenwinkel beobachten. „Sie ist schon weg, Shannon?“, fragte die hoch intelligente Halbschottin erstaunt. „Ja, das is’ sie.“, meinte Shannon. „Die war vielleicht geladen! Oh, Backe! Noch nich’ mal mir wollte sie sagen, was los war. Stellen Sie sich das vor, Jenn’! Noch nich’ mal mir! Wo wir doch so viele Gemeinsamkeiten haben!“ „Die haben Sie allerdings.“, lachte Jenna. „Man bedenke allein Ihre gemeinsame Redeweise.“ „Sehr witzig.“, brummelte Shannon. „Oh, nein.“, schmeichelte Jenna. „Da möchte ich Ihnen gar keine Konkurrenz machen. Das Witzeln wird nach wie vor Ihr Job bleiben.“ „Na dann is’ ja gut.“, atmete Shannon auf.

„Da muss bei der Vernehmung ja einiges in die Binsen gegangen sein.“, überlegte Jenna halblaut. „Ach, die Vernehmung is’ schuld.“, sagte Shannon erstaunt. „Jetzt weiß ich, was Ginalla mit der Sache mit dem hohen Ross meinte. Maron wird sich ordentlich daneben benommen haben.“ „Oh, mein Gott!“, rief Jenna aus, die sich denken konnte, dass ihre Argumente, die sie Ginalla geliefert hatte, kein Gehör bei dem Demetaner gefunden hatten. „Dann muss ich wohl versuchen zu retten, was noch zu retten ist. denn nur so wird ein Schuh draus. Übernehmen Sie hier, Assistant!“ Damit sprintete Jenna aus der Tür. Verwirrt sah Shannon ihr nach. „Was sie damit wohl wieder meint.“, wunderte sie sich.

Ginalla und Kamurus hatten die tindaranische Basis hinter sich gelassen. Die Celsianerin hatte den Anblick, den ihr Kamurus’ virtueller Bildschirm bot, sehr genossen. Sie fand es sehr wohltuend zu sehen, wie die Basis kleiner und kleiner wurde, um schließlich ganz zu verschwinden. „Darf ich wissen, warum du auf einmal so ein gespaltenes Verhältnis zu Commander Zirells Basis hast?!“, fragte der Schiffsavatar energisch und sah sie fast tadelnd an. „Da will man denen schon mal die Wahrheit auf dem Silbertablett servieren und sie wollen sie nich’!“, zischte Ginalla. „Aber ich kann mir jemanden denken, der bestimmt interessierter an ihr ist. Suchen wir nach der Granger!“ „Dazu müssen wir ins Universum der Föderation zurück.“, erklärte Kamurus. „Von mir aus.“, stöhnte Ginalla. „Sobald wir aus diesem Sonnensystem raus sind, gehst du auf Interdimensionsflug. Ich hoffe nur, dass mir Agent Mikel mehr glaubt als Agent Maron und sich nich’ von seinen Vorurteilen leiten lässt. Von wegen, ich bin Sternenflottenoffizier und so.“ „Du musst aber zugeben.“, brach das Schiff für Maron eine Lanze. „Dass deine Aussage wirklich sehr absurd klingt. Wer die Umstände nicht kennt, der könnte glatt in Versuchung kommen, dir nicht zu glauben. Aber da ich glücklicherweise der Erste war, der davon erfahren hat, glaube ich dir. Wenn ich das nicht würde, würde ich mir ja selbst widersprechen.“ „Schon klar.“, erwiderte Ginalla grinsend.

Sytania und Telzan hatten Ginalla durch den Kontaktkelch genau beobachtet. Sie mussten ja sicher gehen, dass sie ihren Plan nicht gefährden konnte. „Diese verdammte kleine Celsianerin.“, sagte Sytania. „Wer hätte gedacht, dass sie einmal ihre gerechte Ader entdeckt und unbedingt dem Guten zum Sieg verhelfen will?“ „Dabei ist sie aber bisher nicht sehr erfolgreich, Milady.“, bemerkte Telzan. „Da hast du Recht.“, sagte Sytania, der ihr Diener anmerkte, dass sie mit der Situation nicht ganz zufrieden war. „Was ist Euch.“, fragte der Vendar mit schmeichelndem Gesicht. „Kann ich die Wolken über Eurer Laune irgendwie vertreiben?“ „Vielleicht schon.“, vertraute sich Sytania ihm an. „Ginalla hat gesagt, sie will die Granger finden. Dieser verdammte Agent Mikel wird ihr glauben. Er weiß viel zu viel über die Zusammenhänge, die zu dieser Ausgangssituation geführt haben, um das nicht zu tun. Wir müssen verhindern, dass sie ihm gegenüber eine Aussage machen kann.“ „Dann schickt meine Männer und mich hinter ihr her.“, bot Telzan an. „Wir werden sie schon zur Strecke bringen.“ „Nein!“, sagte Sytania fest. „Das wäre viel zu verdächtig und die Tindaraner würden eins und eins zusammenzählen, wenn ihr plötzlich in ihrer Dimension auftaucht. Das mache ich lieber selbst. Ich werde es aussehen lassen, als sei sie einem schwarzen Loch zum Opfer gefallen.“ „Sehr gute Idee, Milady.“, schmeichelte Telzan.

Sianach und ihr Mann waren auf dem Weg zu Zirells Basis. Genau hatte Diran seiner Frau noch einmal geschildert, was er während des Duells und auch danach gesehen hatte. Er hatte ihr gegenüber seine gesamte Aussage zum Besten gegeben, falls es dazu kommen sollte, dass die Beiden getrennt oder einer getötet würde. Er wollte sicher gehen, dass die Aussage Agent Maron in jedem Fall erreichen würde. Tchiach hatten sie bei Freunden gelassen. Sianach hatte die Umstände als zu gefährlich für sie erachtet.

„Was du hier aussagst, ist sehr ungeheuerlich.“, warnte Sianach Diran vor Marons Reaktion. „In der Tat.“, bestätigte der Vendar. „Aber es ist die reine Wahrheit.“ „Das glaube ich.“, sagte Sianach. „Aber es wäre wirklich besser, wenn wir Beweise für das alles hätten.“ „Der einzige Beweis war auf einem Datenkristall in einem Erfasser, wie du weißt.“, erklärte Diran. „Aber der ist zerstört worden.“ „Kelbesh!“, fluchte Sianach gut hörbar. Unter Vendar galt ihr Verhalten keinesfalls als undamenhaft. Wer dieses Volk und seine Gepflogenheiten kannte, der wusste, dass sie sehr direkt waren und es eher als unflätig galt, sich im falschen Moment zurückzuhalten. Mit so einem Verhalten machte man sich nämlich nur verdächtig. Jedes Kind lernte schon sehr früh, diese falsche Scham abzulegen. So nahm auch Diran das Verhalten seiner Frau nicht übel und unterstützte es sogar, indem er ihr zulächelte.

„Ginalla, wir haben den Rand des tindaranischen Sonnensystems passiert.“, meldete Kamurus. „OK.“, erwiderte Ginalla erleichtert. „Dann geh auf interdimensional …“

Ein Ruck war durch das gesamte Schiff gegangen. Ein Ruck, der Ginalla mit dem Kopf auf die Konsole knallen ließ. „Was sollte das?!“, empörte sie sich. „Ich kann nichts dafür.“, entschuldigte sich Kamurus. „Etwas hat meinen Antrieb berührt und jetzt kann ich mich nicht mehr von der Stelle rühren. Ich habe sogar den Eindruck, dass wir rückwärts gezogen werden.“ Er zeigte ihr Sensorenbilder, die seine Vermutung auch bestätigten. Hinter ihnen sah Ginalla bald ein Phänomen, das sie an ein schwarzes Loch erinnerte. „Wir müssen hier raus, Kamurus!“, sagte sie bestimmt und gab ihm den Gedankenbefehl zum Starten des Antriebs. „Ich kann nicht.“, sagte Kamurus verzweifelt. „Ich habe eine Selbstdiagnose durchgeführt, der nach mein Antrieb völlig in Ordnung ist, aber ich kann ihn einfach nicht starten. Es fühlt sich an, als würde mich jemand von außen daran hindern und mich lähmen.“ „Von außen.“, überlegte Ginalla. „Na gut. Zeig mir das Energieschema von diesem Ding, mit dem wir zusammengestoßen sind.“

Er legte ihr ein Bild auf den virtuellen Schirm. „Hm, hübsche Wellenlinie.“, sagte Ginalla. „Aber so kann ich damit leider nichts anfangen. Zieh Vergleiche mit Neuralmustern von Mächtigen heran. Ich habe 'ne ganz fiese Theorie.“ „Die hatte ich auch schon.“, sagte Kamurus und zeigte ihr eine Tabelle, in der er rechts das fremde Muster und links das von Sytania einordnete. „Schöne Scheiße!“, fluchte Ginalla. „Die sind identisch! Aber dann wundert mich gar nix. Sytania is’ 'ne Mächtige. Die braucht nur zu wollen, dass du deinen Antrieb nich’ starten kannst und es passiert! Los, ziel’ mit deiner Rosannium-Waffe auf das Ding und schieß!“ „Dann müsste ich ja praktisch meinen Phaser unter mich klappen.“, sagte Kamurus. „Und dann in umgekehrter Richtung zielen. Aber das geht wegen meiner Bauweise schon mal gar nicht. Aber gerade du, Ginalla, dürftest wissen, dass ich dann auch eine energetische Rückkopplung in meinen Systemen auslösen würde, die uns beide töten könnte, selbst, wenn es mir möglich wäre, auf den eigenen Antrieb zu feuern.“ „Du hast ja Recht.“, antwortete die technisch versierte Celsianerin beschwichtigend. „Was machen wir denn jetzt nur?“ „Ich könnte höchstens einen Notruf absetzen.“, schlug Kamurus vor. „Ich weiß, dass den auch alle anderen Schiffe um uns herum hören können, weil alle Rufzeichen in Reichweite angesprochen werden, also auch eventuell genesianische. Aber das müssen wir riskieren. Oder willst du von Sytanias schwarzem Loch zerquetscht werden.“ „Ne.“, sagte Ginalla. „Darauf hab’ ich definitiv keinen Bock. Das soll nämlich nich’ sehr angenehm sein, hörte ich und wenn du einen Notruf absetzt, dann hören uns vielleicht auch die Tindaraner und überlegen sich noch mal, warum dieser Maron mich so barsch abgefertigt hat. Also, machen wir es so.“

Diran und Sianach waren durch den Mishar ihres Schiffes auf Ginallas und Kamurus’ Situation aufmerksam gemacht worden. Da sich die Vendar bereits in Reichweite von Kamurus’ Sprechgerät befanden, wurde auch ihr Rufzeichen angesprochen. „Mir kann keiner erzählen, dass plötzlich irgendwo ein schwarzes Loch auftaucht, wo vorher nie eines gewesen ist!“, sagte Sianach mit Überzeugung und setzte Kurs in Richtung des Notrufes. „Mir auch nicht.“, bestätigte Diran. „Aber wir beide kennen eine Mächtige, die wohl gern hätte, dass alle Welt das glaubt.“ „In der Tat, mein Ehemann.“, sagte Sianach. „Aber den Gefallen werden zumindest wir Sytania El Imperia nicht tun! Da wird sie schon früher aufstehen müssen. Ich bin sicher, diese Frau hat irgendwas gesehen, das sie entlarven könnte. Sonst würde Sytania das unschuldige Universum nicht für ihre Mordpläne benutzen. Mishar, verbinde mich mit der Quelle des Notrufes.“

Nach einem kurzen Signal sah Sianach das Gesicht Ginallas auf dem Schirm. „Ginalla El Celsius.“, begann sie. „Ich bin Sianach Ed Diran. Mein Mann und ich sind auf deinen Notruf aufmerksam geworden und wollen versuchen, dir und deinem Schiff zu helfen.“ „Heißen Dank und kalte Schnauze, meine Süßen.“, flapste Ginalla zurück. Trotz ihrer Situation hatte sie ihren Humor nicht verloren. „Aber was wollt ihr denn machen? Kamurus und ich werden wohl bald von Sytanias Phänomen zerquetscht und dann hat sich das was mit den Infos, die wir haben und die eigentlich total dringend zur USS Granger müssen.“ „Warte ab.“, vertröstete Sianach sie.

Sie hatten die Stelle erreicht, an der sich Kamurus und Ginalla befanden. „Mit dem Traktorstrahl können wir sie nicht aus dem schwarzen Loch ziehen.“, sagte Sianach, nachdem sie sich die Situation angesehen hatte. „Dafür stecken sie schon zu tief drin. Wir müssten Kamurus’ Antrieb irgendwie von Sytanias Energie befreien. Aber das können wir nicht, weil wir dann seinen Antrieb zerstören würden. Rosannium selbst zerstört keine Materie. Aber der Phaser oder der Torpedo, der es transportieren würde, täte das schon.“ „Du hast Recht.“, überlegte Diran. „Aber ich glaube, ich habe schon eine Idee. Du musst deinem Schiffsrechner nur sagen, er soll die Schildgeneratoren und den Generator für die Rosannium-Waffe kurz vom Energienetz nehmen. Sonst bekomme ich gleich eine gewischt.“ Damit stand er auf und ging nach hinten in Richtung Versorgungsschächte. Sianach tat, worum ihr Mann sie soeben gebeten hatte. Sie hatte zwar keine Ahnung, was er vor hatte, aber sie vertraute ihm, auch wenn er im Punkte Technik bisher in den meisten Fällen zwei linke Hände bewiesen hatte. Aber warum sollte er nicht auch einmal Glück haben?

Diran entfernte eine Verkleidung und steckte einige Module um, was zur Folge hatte, dass er den Generator für die Rosannium-Waffe mit den Emittern für die Feldenergie der Schilde parallel schaltete. Dann kam er zu Sianach zurück. „Lass den Mishar eine Analyse der neuen Leitungen vornehmen, bevor wir sie in Betrieb nehmen.“, sagte er stolz. „Also gut.“, sagte Sianach, die zwar doch in etwa geahnt hatte, was er tun würde, allerdings gleichzeitig genau wusste, dass so etwas noch nie probiert worden war. „Mishar, neue Verbindungen aufspüren und auf ihre Funktionsfähigkeit überprüfen!“, befahl sie. „Es wurde eine Verbindung zwischen den Schildemittern und dem Generator für die Rosannium-Waffe hergestellt.“, erwiderte der Rechner. „Die Verbindung ist zu 100 % intakt und funktionsfähig. Es handelt sich um eine Parallelschaltung.“ „Bedeutet das, wenn wir jetzt die Schilde aktivieren, wird Rosannium der normalen Energie beigemischt?“, fragte Sianach stolz. „In der Tat!“, antwortete Diran. „Was für eine ausgezeichnete Idee!“, lächelte die junge Vendar. „Darauf wäre ich nicht gekommen.“ „Danke für dein Lob, Telshanach.“, sagte Diran. „Aber wir sollten jetzt mal langsam dafür sorgen, dass Ginalla und ihr Schiff auch davon profitieren. Kannst du das Schiff in einem Energiephänomen halten?“ „Sicher!“, antwortete Sianach zuversichtlich. „Schaffst du das auch noch, wenn wir unter einem Antriebsfeld durchtauchen müssen?“ „Vergiss nicht, mit wem du redest!“, erwiderte Sianach selbstbewusst. „Außerdem stimmt das nicht. Kamurus’ Antrieb gibt gerade keinen Pieps von sich.“ „Dann bring uns unter Ginallas Schiff.“, sagte Diran. „Ich werde unsere Schilde aktivieren, sobald wir genau unter ihm sind.“ „Wie du wünschst.“, sagte Sianach und setzte den entsprechenden Kurs.

„Ginalla, ich registriere das Vendar-Schiff.“, sagte Kamurus und zeigte ihr die Bilder seiner Sensoren. „Was haben die vor?!“, sagte Ginalla und schluckte. Ihr steckte immer noch das Manöver der Xylianer in den Knochen und jetzt schickte sich dieses Schiff an, genau das Gleiche zu tun. „Spinnen die?!“, wollte sie wissen. „Sich genau unter deinen Antrieb zu setzen und das auch noch in einem schwarzen Loch! Ich habe mir zwar gedacht, dass die Vendar mutige Krieger sind, aber ich habe sie nich’ für Selbstmörder gehalten.“ „Ich bin überzeugt, das sind sie auch nicht.“, sagte Kamurus, der die Zusammensetzung der Energie, aus der die nun durch Diran manuell aktivierten Schilde bestand, genau analysiert hatte. „Sie müssen den Generator für die Rosannium-Waffe an Bord ihres Schiffes irgendwie mit den Schildemittern verbunden haben.“ „Willst du damit sagen, ihre Schilde strahlen jetzt Rosannium aus?“, fragte Ginalla. „Genau das.“, sagte Kamurus erleichtert, der gerade bemerkt hatte, dass sowohl das Phänomen, als auch das Energiefeld in seinem Antrieb dabei waren, sich aufzulösen.

„Wir haben Sytanias Energie vollständig vernichtet!“, meldete Diran, der das Ganze mit dem Erfasser des Schiffes beobachtet hatte. „Das sehe ich.“, antwortete Sianach. „Mishar, Verbindung mit dem celsianischen Schiff herstellen!“

Der Rechner hatte ihren Befehl kaum ausgeführt, als Ginalla sie schier mit einer Dankesrede überschwemmte. „Ich kann mich zwar im Augenblick nich’ ganz erinnern, wer du bist.“, begann sie. „Aber was du da gemacht hast, das is’ auf 'ner Skala von eins bis Doppel-Wow mindestens ein Dreifach-Wow! Will sagen, das sprengt alle Rahmen. Dein Edelmut übersteigt alle Grenzen. Ich wünschte, ich könnte mich irgendwie erkenntlich zeigen, aber jetzt muss ich schon weiter. Ich bin auf der Suche nach der Granger. Wisst ihr, wo ich die finden kann?“

„Gib mir bitte das Mikrofon.“, bat Diran, der den letzten Kurs unseres Schiffes noch genau in seinem vendarischen Gedächtnis gespeichert hatte. Wortlos folgte Sianach seiner Bitte. „Die Granger befindet sich im Universum der Föderation, Ginalla El Celsius.“, sagte Diran. „Puh.“, stöhnte Ginalla. „Das is’ verdammt groß. Hast du das nich’ etwas genauer?“ „Zuletzt flog sie in Richtung Qualor-System.“, sagte Diran. „Aber das muss nichts heißen. Kissara El Thundara ist vogelfrei. Sie wird sogar die eigenen Leute täuschen müssen.“ „Kapiere schon.“, sagte Ginalla. „Rechts antäuschen, links vorbeigehen. Also werden Kamurus und ich wohl allein suchen müssen.“ „Von der interdimensionalen Schicht aus dürfte das ein Leichtes sein.“, gab ihr Diran einen Tipp. „Vielen Dank, mein Freund und Kupferstecher.“, grinste Ginalla. „Du weißt, wie man eine Frau glücklich macht.“ Damit beendete sie die Verbindung.

„Ich kenne da eine gewisse tindaranische interdimensionale Sensorenplattform, die mir noch einen Gefallen schuldet.“, scherzte Kamurus. „Soll ich sie mal fragen, ob sie die Granger gesehen hat?“ „Tu, was du nich’ lassen kannst.“, grinste Ginalla. „Aber mach kein Geheimnis draus. Die Tindaraner dürfen ruhig wissen, dass du gefragt hast. Ich will diesem eingebildeten Affen Maron ein für alle Mal zeigen, dass Ginalla von Celsius mit sich nich’ so umspringen lässt.“ „Wie du willst.“, sagte Kamurus und leitete alles in die Wege. Tatsächlich konnte er wenige Sekunden später Ginalla das Ergebnis seiner Recherchen mitteilen. „Ich habe die Granger gefunden.“, sagte er. „Aber ich sollte dich in Sicherheit bringen, bevor ich allein dort hin fliege und gegenüber Agent Mikel aussage. Falls er mir nicht glaubt, kann ich dich immer noch dazu holen, egal ob über SITCH oder auch physisch.“ „SITCH?“, fragte Ginalla verwirrt. „Willst du damit sagen, wir werden uns trennen?“ „Allerdings.“, sagte das Schiff. „Mir ist wohler, wenn ich dich in Sicherheit weiß. Dann muss ich auch keine Energie für die Lebenserhaltung aufbringen und kann im Notfall alles in die Verteidigung stecken. Außerdem kannst du, falls mir etwas zustößt, immer noch aussagen und anders herum. wenn wir zusammen bleiben, könnte uns Sytania viel leichter auch gemeinsam töten. Ich bringe dich zu meinen Freunden. Einer von ihnen wird schon auf dich aufpassen.“ „Spinnst du?!“, sagte Ginalla. „Deine Dimension is’ für mich voll unwirtlich.“ „Genau deshalb wird man dich dort auch nicht vermuten und dort auch niemals nach dir suchen.“, sagte Kamurus. „Aber im Cockpit eines meiner Freunde kannst du genau so überleben wie in meinem auch. Ich werde dich Sharie anvertrauen.“ „Ach ja.“, meinte Ginalla. „Deine Süße. Na gut.“ „Ich wusste, dass man mit dir reden kann.“, sagte Kamurus und brachte sich und Ginalla zunächst per Interdimensionsantrieb ins Universum der Föderation zurück, um von dort aus eine Partikelfontäne aufzusuchen, die ihn in seine Heimat führen würde.

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