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Von der baldigen Begegnung mit den Genesianern ahnten wir nichts. Mikel hatte sich mit Jannings verabredet und ich war meinen normalen Geschäften nachgegangen, zu denen seit geraumer Zeit auch gehörte, dass ich mich um Kairon kümmerte. Ich fragte mich, ob Picard nicht auch Geordi zu der Betreuung eines gewissen Q hätte einsetzen können, als dieser temporär als Mensch hatte leben müssen. Aber die Situation war nicht mit der Unserigen zu vergleichen. Kairon war unser Freund und würde es auch immer bleiben, weshalb wir ihm jede Hilfe angedeihen lassen würden, die wir könnten. Da ich von meinem Betreuungsbefehl schon wusste, seitdem er auf dem Schiff war, hatte ich genug Zeit gehabt, mir manches zurechtzulegen, um ihm die angenehmsten Dinge über das Leben als Sterblicher beizubringen. Schließlich wollte ich nicht verantworten, dass er irgendwann in einer Depression endete. Es lag jetzt wohl in Mikels und meiner Verantwortung, was Kairon aus seinem Leben machen würde.

An diesem Morgen schritt ich wie immer den Gang zur Offiziersmesse entlang, als mich eine bekannte Stimme von hinten ansprach. „Allrounder, bitte warten Sie.“ Ich drehte mich um und bemerkte sichere aber eigentlich doch sehr fremde Schritte, die auf mich zukamen. „Kairon, Sie laufen sehr gut.“, scherzte ich. „Warum sollte ich das nicht.“, sagte er und ich bekam den Eindruck, dass er meinen Spaß nicht ganz verstanden hatte.

Er stellte sich neben mich und griff nach meiner Hand. „Bitte sagen Sie mir doch, warum ich nicht gut laufen sollte.“, bat seine tiefe freundliche Stimme. „Das war als Scherz gemeint, Kairon.“, sagte ich. „Ich wollte damit ausdrücken …“ „Ach so.“, fiel er mir ins Wort. „Sie haben etwas übertrieben, was? Sie meinten, dass wir ja eigentlich nur die ganze Zeit teleportieren und unsere Beine nicht benutzen würden. Na gut, dann sollte ich wohl erst mal wie ein Kleinkind mit dem Krabbeln beginnen, wenn es Sie glücklicher macht.“ „Na, na.“, lachte ich. „Wir wollen doch wohl keinen Schritt rückwärts tun!“ „Na gut.“, meinte Kairon. „Aber mich würde interessieren, wie Sie darauf gekommen sind, dass ich meine Beine so gut voreinander setzen kann.“ „Das habe ich an Ihrem Gangbild gehört.“, sagte ich. „Es gibt viele Dinge, die ich höre und für die ich deshalb keinen Sehenden brauche. Sie werden auch noch feststellen, dass man auch ohne Ihre Fähigkeiten ein erfreutes Leben haben kann und dass es andere Möglichkeiten gibt, Dinge zu tun oder zu erfahren, die vielleicht auch ganz reizvoll sein können.“

Kaum hatte ich ausgesprochen, da griff er meine Hand fester. „Was ist los?“, fragte ich alarmiert aber bereit, das eventuelle Problem sofort für ihn zu lösen, wenn es mir denn möglich wäre. „Ich fühle mich auf einmal so schwach, Allrounder.“, sagte Kairon. „Ich glaube, es wird besser sein, wir gehen auf die Krankenstation zurück. Loridana hätte mich wohl doch noch nicht rauslassen dürfen.“ „Die Medizin, die Sie jetzt benötigen, gibt es da drin.“, sagte ich lächelnd und deutete auf die Tür zur Messe. Ich war sicher, dass er nur Hunger hatte, denn ich hatte ihn heimlich mit meinem Erfasser gescannt, den ich in meiner Tasche hatte. Dies war Kairon allerdings verborgen geblieben. „Sind Sie sicher?“, fragte er irritiert. „Ich meine, immerhin ist dies die Offiziersmesse und keine Apotheke.“ „Vertrauen Sie Ihrer Betreuerin, Kairon.“, sagte ich. „Ich lebe schon seit 37 Jahren als Sterbliche. Ich weiß, was Ihr Körper jetzt benötigt.“ „Also schön.“, sagte er und folgte mir in die Messe.

Entgegen aller Protokolle führte ich ihn zum Tisch der Brückenoffiziere. Kissara und Kang waren nicht mehr da und sicher schon längst an ihren Arbeitsplätzen. Die Einzigen, die abgeschieden in einer Ecke hinter einem Raumteiler noch bei uns saßen, waren Mikel und Jannings. Der Agent hatte das Verhör des Ingenieurs wohl mit Absicht hierher verlagert.

„Das ist eigentlich Kangs Platz.“, sagte ich und deutete auf einen Stuhl neben mir. „Aber ich denke, er wird es Ihnen angesichts der besonderen Umstände nicht übel nehmen, wenn Sie sich darauf setzen. Ich hoffe, Sie wissen …“

Ein Geräusch zeigte mir, dass er den Stuhl zurückgeschoben hatte. „Fühlen Sie mal.“, ermutigte er mich und ich stellte tastend fest, dass er sich gesetzt hatte. „Wow!“, machte ich. „Sie sind ein Naturtalent!“ Dabei grinste ich ihn an. „Genau.“, sagte er lachend. „Ich bin der beste Sitzer diesseits dieser Schiffswände.“ Ich musste laut lachen, nahm mich aber sofort wieder zusammen. „Der Replikator kennt Ihre Stimmfrequenzen noch nicht.“, sagte ich ernst. „Jannings wird das ändern, sobald Sie sicher sind, was Sie gern essen und trinken. Ich meine, bisher brauchten Sie das nicht, aber jetzt ist es eine Notwendigkeit. Damit Sie keinen Reinfall erleben, werden wir zuerst darüber sprechen und dann werde ich für Sie bestellen.“ „OK.“, sagte Kairon und ich hörte einen Hauch von Nachdenklichkeit in seiner Stimme. „Wo ist das Problem?“, fragte ich. „Da Essen für mich noch nie wirklich notwendig, sondern ein Luxus war, wie Sie schon richtig erkannt haben, habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, was ich mag und was ich nicht mag. Verstehen Sie, vorher konnte ich alles, was mir nicht gefallen hat, so verändern, dass es mir gefiel. Aber jetzt muss ich vorher sicher sein.“, erklärte er. „Also gut.“, sagte ich. „Dann machen wir das anders.“ Damit replizierte ich mein eigenes Frühstück aus einem Brötchen mit Honig und einer Tasse celsianischem Zimttee, den ich ihm unter die Nase hielt. „Ich möchte, dass Sie den Geruch einsaugen und den Eindruck in Ihrem Kopf behalten. Dann möchte ich, dass Sie mir schildern, was für ein Gefühl das bei Ihnen auslöst.“, instruierte ich ihn. „Einverstanden.“, sagte Kairon und holte tief Luft durch die Nase. „Es ist ein angenehmes Gefühl.“, sagte er. „Bleiben Sie bei dem Gefühl.“, ermutigte ich ihn. „Dann können Sie entscheiden, ob Sie das auch haben möchten. Beobachten Sie Ihren Körper. Stellen Sie fest, ob Sie Appetit darauf entwickeln.“ „Ich glaube, das tue ich.“, sagte Kairon. „Das Verlangen nach dem Getränk wird immer größer.“ „OK.“, lächelte ich und replizierte ihm das Gleiche. „Einflößen müssen Sie es mir nicht.“, sagte er. „Alles andere ist mir geläufig. Aber bevor wir das mit Ihrem Brötchen genau so machen, denke ich, dass es da auch noch eine andere Methode gibt. Was mit Duft klappt, müsste ja eigentlich auch mit optischen Eindrücken gehen. Können Sie den Replikator auf graphischen Modus umstellen, damit ich mir die Bilder im Menü ansehen kann?“ „Sicher.“, sagte ich. „Ich habe ganz vergessen, dass Sie sehen können.“ „Schon vergeben.“, lachte Kairon. „Aber essen und trinken hat doch sehr viel mit riechen und schmecken zu tun. Ihr Ansatz war daher gar nicht so falsch. Nur kann ich mir ja nicht das gesamte Sortiment bestellen, nur um die Hälfte danach wieder zurückgehen zu lassen.“ „Stimmt.“, lächelte ich und gab dem Replikator die entsprechenden Befehle.

Der Bewohner des Raum-Zeit-Kontinuums legte seine Hand auf die Tastatur des Replikators und begann, den Cursor von Bild zu Bild zu bewegen. Dabei verweilte er jeweils einige Minuten bei jedem von ihnen. „Entschuldigen Sie.“, sagte er. „Ich möchte mich ja beeilen, aber …“ „Lassen Sie sich Zeit.“, beruhigte ich. „Schließlich soll Ihnen Ihr Frühstück ja auch schmecken. Wir lernen von Geburt an zu entscheiden, was wir mögen und was nicht. Da Sie das aber eigentlich nie mussten, weil Sie sich ja alles nach Ihrer Nase hatten verändern können, ist so eine Entscheidung sicher zunächst schwer. Aber das wird schon schneller gehen, je länger Ihre Sinne das üben können. Sicher wird es auch Rückschläge geben, aber daraus lernen Sie dann um so mehr.“ „Verstehe.“, sagte er konzentriert.

Am Summen des Replikators hörte ich bald, dass er sich entschieden haben musste. „Ich möchte, dass Sie nach dem Frühstück einen kleinen Aufsatz über Ihre Eindrücke verfassen und ihn mir vorlesen.“, sagte ich. „Das wird Sie trainieren, sich damit auseinanderzusetzen, was Sie gefühlt haben und wird Ihnen auch beim Lernen helfen.“ „OK.“, sagte Kairon, der sich wohl langsam mit meiner Methode, ihm das Leben als Sterblicher im wahrsten Sinne des Wortes schmackhaft machen zu wollen, arrangiert hatte. „Essen ist eine sehr sinnliche Erfahrung.“, referierte ich. „Ich möchte, dass Sie mit Ihren Sinnen in Kontakt kommen und merken, was sie Ihnen für Freuden bringen können.“ „Verstehe, mein kleiner Allrounder Positiv.“, lächelte Kairon und biss voller Erwartung in sein Mettwurstbrötchen.

„Ich könnte dem Computer sagen, er soll Ihnen Kangs Niesanfall von letzter Woche einspielen, sobald Sie Ihr Quartier betreten, Agent!“, dröhnte es plötzlich aus der abgeschiedenen Ecke, in der Mikel die Vernehmung von Techniker Jannings durchführte. Die tiefe Stimme, die das gesagt hatte, war mir durchaus bekannt. Jetzt erinnerte Jannings mich noch mehr an O’Brien.

Neugierig schlich ich näher und wurde Zeugin, wie sich Jannings gleich darauf für seinen Ausbruch entschuldigte: „Es tut mir leid, Sir.“ „Schon gut, Techniker.“, sagte Mikel. „Manchmal bin ich echt begriffsstutzig. Sie sagen also, man kann den Computer dazu bringen, auf jede Aktion eine auch total unsinnige Reaktion zu zeigen?“ „Genau.“, sagte der Ingenieur. „Mit Sicherheit hat meine Kollegin auf der Niagara das so gemacht. Ich denke, sie hat dem Rechner gesagt, er soll, wenn die Energiekreisläufe des Waffenpultes durchbrennen, die Mail mit den Daten an die Adresse des Allrounders schicken. Außerdem schätze ich, dass ihr Programm auch mit Commander Cinias Stimmabdruck verknüpft war. Sobald sie den Namen der Strategin und das Wort Feuer in einem Satz gebracht hat, wird es ausgelöst haben.“ „Wie schade, dass wir sie nicht fragen dürfen, ohne ihre Sicherheit zu gefährden.“, sagte Mikel. „Weiß Ihre Freundin da keinen Weg?“, fragte Jannings. „Nein.“, sagte Mikel. „Dann werden Sie wohl mit den Indizien leben müssen.“, sagte Jannings. „Ich denke, dass es nicht nur eine Theorie, sondern die Wahrheit ist.“, sagte Mikel. „Cenda hat in der Mail ein volles Geständnis abgelegt. Mich haben nur noch die Details interessiert.“ „Konnte Kissara Ihnen mittlerweile mit den visuellen Inhalten der Mail helfen?“, erkundigte sich Jannings. „Sie hatte bisher keine Zeit.“, erwiderte der Agent. „Aber wenn Sie wollen, können Sie uns ja auch behilflich sein.“ „Ich fühle mich geehrt, Sir.“, sagte Jannings und stand auf.

Dass er Mikel, Kairon und mir auch gleich noch bei einer anderen Sache helfen musste, ahnte Jannings wohl noch nicht. Jedenfalls hatten er und Mikel gerade in Führhaltung den Weg zum Ausgang angetreten, als Kairon einen ohrenbetäubenden Schrei von sich gab. „Was ist passiert?!“, fragte ich hektisch, die ich das Geschehen nicht wirklich einzuordnen vermochte. „Ich bin ein Dummkopf!“, sagte ein auf dem Boden vor mir kauernder Kairon. „Oh, ich bin ein solcher Dummkopf! Ich habe mich verhalten, als ob ich noch teleportieren könnte. Das heißt, ich habe die Augen geschlossen und bin wohl so aufgestanden. Dann habe ich wohl einen falschen Schritt gemacht und bin mit dem Kopf vor die Wand geknallt. Jetzt tut er weh!“

Jannings sprang hinzu und sah sich das Problem an. Dann wendete er sich an mich: „Es ist alles in Ordnung, Ma’am. Ihr Schützling hat lediglich eine Beule. Die vergeht mit etwas Eis.“ Er replizierte mir einen frischen Eisbeutel. „Zeigen Sie ihm, wie man das Ding benutzt.“, schlug er vor und gab ihn mir. „Danke, Techniker.“, sagte ich und legte Kairon den Beutel auf die Beule. „Gern geschehen, Allrounder.“, sagte Jannings. „Ich dachte nur, dass es besser sei, wenn ich Ihnen in dieser Situation meine Augen leihe. Bei dem Schrei müssen Sie ja sonst was gedacht haben.“ „Schon gut.“, winkte ich ab. „Es tut mir leid.“, entschuldigte sich Kairon. „Ich wollte Sie nicht ängstigen. Es war für mich nur das allererste Mal, dass ich Schmerz erfahren habe. Das ist wirklich nicht sehr schön. Aber den Aufsatz kriegen Sie von mir. Wenn ich darf, würde ich die Erfahrung gern mit einfließen lassen.“ „Sicher.“, sagte ich.

„Was war das denn?“, flüsterte mir Mikel zu, der das Ganze auch beobachtet hatte. „Du lässt ihn wie einen Schuljungen Aufsätze schreiben über …“ „Ich bin ein Schuljunge!“, sagte Kairon. „Ich muss lernen, wie man als Sterblicher lebt und Sie und der Allrounder sind meine Lehrer. Wenn ich darüber schreibe, setze ich mich mit meinen Gefühlen auseinander. Das wird mir sehr dabei helfen!“ „Also gut.“, sagte Mikel, für den meine Methoden vielleicht etwas merkwürdig anmuten mussten. In seinen Augen hatte ein Q es wahrscheinlich nicht nötig, Aufsätze über seine Situation als Sterblicher zu verfassen. Aber Kairon war ja kein Mächtiger mehr. „Wir kommen jetzt klar.“, sagte ich. „OK.“, sagte Mikel und wendete sich an Jannings: „Gehen wir, Techniker.“

Sedrin hatte ihr Training abgeschlossen, wie die Xylianer und Cupernica eindeutig festgestellt hatten. „Bald werden Sie in Ihre Rettungskapsel gebracht.“, sagte D/4. „Allerdings müssen wir Sie dafür betäuben und werden Ihnen einige Wunden zufügen müssen, damit die Legende vom Unfall glaubwürdig ist.“ „Schon gut, D/4.“, sagte die Agentin. „Gegenüber den Genesianern dürfen wir uns keine Fehler erlauben.“ „Das ist korrekt.“, antwortete die Sonde. „Aber eigentlich nicht nur den Genesianern gegenüber. Unser viel stärkeres Augenmerk dürfte Sytania gelten.“ „Ich bin sicher, Sytania ist nicht die Drahtzieherin des Ganzen.“, sagte Sedrin. „Ich vergleiche das immer gern mit einem Zug, der gerade in die falsche Richtung fährt. Aber der eigentliche Lokomotivführer ist nicht Sytania, sondern jemand anders, den wir noch nicht kennen. Aber ich beabsichtige, den Namen desjenigen herauszubekommen. Sytania hat den Zug lediglich gekapert und ihn aufs falsche Gleis gelenkt. Aber jetzt ist es an uns Passagieren, den eigentlichen Lokomotivführer wieder in sein Amt zu versetzen und wenn es durch Meutern geschehen muss.“

Sie warf den Kopf zurück: „Oh, D/4, entschuldigen Sie bitte. Ich bin sicher, Sie wissen gar nicht, wovon ich die ganze Zeit rede.“ „Oh, doch.“, widersprach die Sonde. „Und ich denke, dass Sie einen sehr anschaulichen Vergleich gefunden haben. Das System hat Daten über so alte Verkehrsmittel wie Züge. Ich habe angefragt, während Sie es mir erklärten.“ „Sie wissen sich ja gut zu helfen.“, sagte die Agentin erleichtert. „Bestätigt.“, sagte die Sonde.

D/4 nahm ein Pad aus ihrer Kleidung und legte es Sedrin, in deren Quartier man sich getroffen hatte, vor. „Dies sind die Ergebnisse Ihres Trainings.“, sagte sie. „Z/9 ist sicher, dass Sie Ihre Aufgabe mit der größten Effizienz ausführen werden.“ „Aus dem Munde von einem von Ihnen ist das sicher ein großes Lob.“, sagte Sedrin und legte sich auf ihr Bett. „Ich denke, es wird besser sein, wenn ich liege, während Sie mir die Spritze verabreichen, D/4.“, sagte sie. „Das ist korrekt.“, antwortete die künstliche Lebensform. „Sonst könnte Ihre Sicherheit gefährdet sein.“ „Dachte ich mir.“, bemerkte Sedrin. „Ich hätte da aber noch eine Frage. Woher wussten Sie, dass da etwas nicht stimmt und wer hat Kontakt mit wem aufgenommen? Sie mit Tamara, oder Tamara mit Ihnen?“ „Wir haben das merkwürdige Verhalten der Genesianer beobachtet.“, antwortete die Sonde. „Dann haben wir versucht, Ihre Regierung zu warnen. Nugura hat die Warnung aber ignoriert. Nur Tamara hat uns angehört.“ „Verstehe.“, antwortete Sedrin.

Sie wandte sich um: „Hier bitte, meine Schokoladenseite.“ „Bevor ich Ihnen die Spritze gebe, muss ich Sie noch über etwas aufklären.“, sagte D/4. „Sie werden irgendwann in der Rettungskapsel aufwachen, sich aber sehr benommen fühlen. Das Medikament, welches wir Ihnen geben, simuliert einen Zustand wie nach einem Vakuum-Trauma. Sie werden das Gefühl haben, Ihre Lungen seien überbläht, Ihnen wird schwindelig sein und Sie werden sich nicht orientieren können. Aber es wird dann nicht mehr sehr lange dauern, bis die Genesianer Sie finden werden. Ein Beobachtungsmodul hat eines ihrer Schiffe ganz in unserer Nähe geortet.“ „Sehr tröstlich.“, sagte Sedrin. „Aber werden die Genesianer das Medikament nicht nachweisen können?“ „Ihr Körper wird es abgebaut haben, wenn die Genesianer Sie gefunden haben. Nur die Symptome werden noch anhalten.“, berichtete die Sonde. „Alles auf den Punkt berechnet.“, stellte die Agentin fest. „Effizient wie immer. Das ist aber das Einzige, das Sie mit den Borg gemeinsam haben und jetzt sollten wir Ihre Berechnungen nicht noch durch eine Verzögerung meinerseits durcheinander bringen. Stechen Sie schon zu.“ „Keine Sorge.“, tröstete D/4. „Ihre Neugier ist ein uns bekannter Faktor. Sie ist in unsere Berechnungen mit eingeflossen.“ „Na dann ist ja gut.“, sagte Sedrin.

„Möchten Sie, dass ich bis drei zähle?“, fragte die Sonde rücksichtsvoll, als sie mit dem Hypor in Sedrins Richtung zielte. „Das ist nicht nötig.“, antwortete die Demetanerin. „Ich halte das schon aus.“ „Also gut.“, sagte D/4 und ließ den Hypor seine Ladung in Sedrins Gesäßmuskel beamen. Sie beobachtete noch, wie die Agentin die Augen schloss, um danach an Z/9 zu übermitteln: „Die Bioeinheit Sedrin Taleris-Huxley hat das Bewusstsein verloren. Ich beame sie jetzt in die Rettungskapsel. Sie besitzt alle notwendigen Daten.“ „Verstanden.“, gab der Xylianer zurück. D/4 gab über ihre Onlineverbindung einige Befehle ins System des Schiffes ein. Dann wurde Sedrin von ihrem Bett gebeamt.

Nach einer erneuten Nachtschicht hatten sich Scotty, Clytus und Shimar zum Schlafen niedergelegt. Der Tindaraner hatte sich gewundert, warum die Kopfschmerzen, die ihn bisher gequält hatten, plötzlich nachgelassen hatten. Er beugte sich vor und musste sich im gleichen Augenblick ziemlich heftig die Nase säubern, was ihm einen lauten Fluch in seiner Muttersprache entlockte, der Scotty, der noch nicht wirklich geschlafen hatte, wieder in den Wachzustand zurückholte. „Und ich dachte, ich wäre der König des Schimpfens.“, sagte er lachend. „Wie Eure Majestät sehen, bin ich ein scharfer Anwärter auf das Amt des Kronprinzen.“, näselte Shimar, denn der Inhalt seiner Nase, der immerfort auf den Boden tropfte, behinderte ihn ziemlich beim Sprechen. „Aber statt hier Sprüche zu klopfen, solltest du mir lieber helfen.“

Irritiert sah Scotty zunächst ihn und dann die Sturzbäche von Eiter an, die aus seiner Nase rannen. Rasch holte er einige der Lumpen, die in der Ecke der Zelle lagen und drückte sie seinem Freund in die Hand. „Hier.“, sagte er. „Rotz dich aus.“

Clytus war die ganze Sache auch zu Ohren gekommen. Aus dem Augenwinkel hatte der Junge gesehen, was geschehen war. „Wird Shimar sterben?“, fragte er sorgenvoll. „Weiß ich nich’.“, flapste Scotty. „Ich bin Ingenieur, kein Arzt.“ „Du könntest ihn wenigstens etwas zu trösten versuchen.“, tadelte Shimar, der inzwischen zehn Tücher verbraucht hatte und endlich wieder eine freie Nase zu haben schien. Das Elfte, in das er den Rest entlassen hatte, sah er plötzlich verwirrt an. „Was ist denn das?“ „Zeig mal her.“, flapste Scotty und nahm ihm das Tuch ab. „Was ist denn da?“, fragte Clytus neugierig und versuchte, einen Blick zu erhaschen, was Shimar aber etwas unsanft verhinderte, indem er ihn am Schlafittchen zurückzog. „Glaub mir, das willst du nicht wirklich sehen.“, sagte er.

Lange hatte sich Scotty mit den Resten des Gegenstandes beschäftigt, der aus Shimars Nase zum Vorschein gekommen war. „Hör mal, du Ass.“, flapste er. „Ich weiß zwar, dass ihr Tindaraner viel zuwege bringt, zu dem unsereiner nicht in der Lage ist. Aber seit wann, entschuldige bitte, Clytus, seit wann rotzt ihr Metall?!“ „Was?“, fragte Shimar und sah sich ebenfalls an, was seine Schnupfnase ausgespuckt hatte. „Ich glaube, das sind die Reste von deinem Implantat.“, sagte Scotty. „Aber wie …“, setzte Shimar an. „Eiter is’ 'n hoch aggressives Zeug.“, schnodderte Scotty. „Der frisst alles kaputt.“ „Du meinst also, die Entzündung hatte doch noch was Gutes?“, fragte Shimar, der über das Nachlassen der Kopfschmerzen und des Drucks in seiner Stirnhöhle sehr erleichtert war. „Ich schätze, die haben dir das Ding unter fragwürdigen hygienischen Umständen eingesetzt.“, vermutete Scotty. „Das hat zu einem Abszess geführt und dann hat der Eiter den Rest besorgt. Durch die harte körperliche Arbeit ist der wohl geplatzt und …“

Shimar gab einen Laut von sich und hielt sich erneut den Kopf. „Was ist?!“, fragte Clytus hektisch. „Ich habe das Gefühl, ganz Genesia Prime telepathisch wahrzunehmen.“, sagte Shimar mit einem sehr angestrengten Blick. „Ich will mich abschotten, aber ich krieg das nicht hin! Helft mir!“ „Wieso passiert das?!“, fragte Clytus panisch. „Kennst du das Gefühl, wenn dir ein Körperteil einschläft?“, fragte Scotty. Clytus nickte. „Das Gleiche passiert wohl gerade mit seinem telepathischen Zentrum. Was bei einem Arm oder einem Bein ein harmloses Kribbeln ist, ist hier wohl eine unkontrollierte Wahrnehmung. Wir sind die Einzigen, die ihm das erleichtern können, bis sein Zentrum wieder auf seine Kommandos reagiert. Energie ist extrem faul. Sie sucht sich immer den kürzesten Weg. Los, Junge, gib mir die Flosse!“

Noch immer unwissend, was Scotty von ihm wollen könnte, tat Clytus, was der Terraner soeben von ihm verlangt hatte. Dann griff Scotty nach Shimars linker Hand und forderte Clytus auf, das Gleiche zu tun. „Schnapp dir seine Rechte! Jetzt sind wir drei ein geschlossener Kreis.“, sagte Scotty. „Wenn die Naturgesetze noch annähernd stimmen, dann müsste er im Moment nur uns drei wahrnehmen können. Was für elektrische Energie in diesem Universum gilt, gilt sicher auch für telepathische Energie, die ja in gewisser Weise elektrische Energie ist. Meine Kollegin Jenna McKnight hat da einen interessanten Ansatz. Energie ist Energie, ist Energie, ist Energie.“

Shimar holte plötzlich tief Luft und entspannte sich. „Puh, danke, Leute.“, sagte er völlig erledigt. „Jetzt habe ich die Kontrolle wieder. Scotty, auf so was kann auch nur ein Ingenieur kommen. Piloten sind dafür zu doof.“ „Danke für die Blumen.“, grinste Scotty. „Mit dem Spruch wolltest du dich wohl für neulich revanchieren, wie?“ Shimar grinste breit.

„Die Genesianer dürfen aber nicht merken, dass du deine Fähigkeiten wieder hast.“, meinte Clytus mit ängstlicher Stimme. „Sonst setzen sie dir wieder so was ein.“ „Das werden sie nicht, wenn ich brav tue, als würde die Sonde noch in mir sein.“, sagte Shimar. „Das heißt also, du teleportierst dich hier nich’ raus.“, sagte Scotty. „Oh, nein.“, sagte Shimar. „Und ich werde euch auch erklären warum. Wenn ich mich hier heraus teleportieren würde, würden die Genesianer anfangen, nach mir zu suchen. Unschuldige könnten in ihr Visier geraten. Aber sie suchen sicher nicht nach einem Toten. Jetzt weiß ich, was Amidalas Informationen mit den Cobali sollten. Sie hat uns eine Möglichkeit aufgezeigt.“ „He?“, machte Scotty. „Ganz einfach.“, sagte Shimar. „Ich werde meinen Tod vortäuschen. Ich werde meinen Körper verlassen und erst dann wieder in ihn zurückkehren, wenn er auf dem Schiff eines Cobali auf dem Operationstisch liegt. Dann werden sie …“ „Aber wenn sie dich dann schon zu einem ihrer Kinder …“, setzte Scotty an. „Das tun sie dann nicht mehr, wenn sie sehen, dass ich noch Reflexe habe.“, sagte Shimar. „Die Cobali bergen die Toten anderer Völker, um sich fortzupflanzen. Sie morden aber zu diesem Zweck nicht. So kann ich sicher Hilfe holen.“

„Bevor du dich hier verziehst.“, meinte Scotty. „Könntest du vielleicht noch was machen. Ich meine, der Kleine behauptet immer noch, er sei ein Q. Vielleicht könntest du rauskriegen, ob er die Wahrheit sagt, jetzt, wo du deine Fähigkeiten wieder hast. Außerdem müssen wir genau planen, wie und wann du die Sache durchziehen kannst. Lass mich mal nachdenken. Also, wir arbeiten in der Nacht. Das heißt, wir schlafen acht Stunden und haben zwei für Essen und andere Erledigungen. Sind insgesamt 18 Stunden mit acht Stunden Arbeit und allem. Der genesianische Tag hat 32 Stunden. Das heißt, du hast ganze 14, um es zu versuchen. Das sollte doch zu schaffen sein.“ „Kommt darauf an.“, sagte Shimar. „Mein Körper braucht mich und wird mich sicher nicht so einfach kampflos hergeben. Das heißt, es wird sicher einige Fehlversuche geben. Vielleicht benötige ich auch mehr als einen Tag. Aber das andere können wir versuchen. Aber dazu muss ich ausgeruht sein. Falls er die Wahrheit sagt, wird es auch für mich sehr heftig werden. Außerdem schaffe ich in meinem momentanen erschöpften Zustand die Verbindung nicht. Wir werden wohl bis morgen warten müssen.“ „Morgen ist OK.“, freute sich Clytus. „Dann kann ich endlich beweisen, dass ich die Wahrheit gesagt habe.“ „Du müsstest mir aber uneingeschränkt vertrauen.“, sagte Shimar. „Egal, was ich auch immer aus deinem Gehirn hole, du darfst dich nicht wehren.“ „Tue ich nicht!“, versicherte der Junge. „Darauf kannst du dich verlassen.“ „Also gut.“, sagte Shimar. „Dann bereite dich schon mal seelisch auf morgen vor.“ „Das bin ich schon.“, sagte Clytus. „Das bin ich schon, seit ich hier bin und weiß, dass du hier bist. Ich meine diese Technik, die ihr Reise in die Seele nennt, die kann ja einiges zutage fördern.“ „Freu dich nicht zu sehr.“, sagte Shimar. „Wenn auch nur annähernd stimmt, was du behauptest, dann wird das für dich morgen auch nicht sehr angenehm.“ „Das macht nichts.“, sagte Clytus. „Was kann ich da machen?“, erklärte sich Scotty zur Hilfe bereit. „Du könntest dich hinter ihn setzen und ihn körperlich stützen.“, sagte Shimar. „Das wird es uns beiden sehr erleichtern.“ „Abgemacht.“, lächelte der Schotte und gab seinen beiden Zellengenossen die Hand drauf.

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