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Sedrin erwachte in der Rettungskapsel. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand. Außerdem war ihr schwindelig. Jeder Atemzug fiel ihr schwer und sie hatte ziemliche Schmerzen dabei. Aber auf all das hatten die Xylianer sie ja vorbereitet. Du wolltest es ja so, Sedrin., dachte sie. Also stell dich nicht so an!

Sie versuchte aufzustehen und schaute sich in der Kapsel um. Alles machte den Anschein, als wäre die Kapsel schon seit Tagen mit ihr durch das All getrieben. Auch die Energievorräte, deren Menge sie auf dem Display einer nahen Konsole ablesen konnte, waren weitgehend erschöpft. „Ihr habt ja wirklich an alles gedacht.“, flüsterte sie. Im gleichen Moment überkam sie ein erneuter Schwindelanfall. „Ich glaube, ich sollte mich besser wieder hinlegen.“, stellte sie halblaut fest.

An Bord der Canara war man der Rettungskapsel ansichtig geworden. „Offensichtlich treibt sie schon seit Tagen oder gar Wochen durch das All, Prätora.“, hatte Hera festgestellt, die Yanista das Auffinden der Kapsel gemeldet hatte. „Gibt es Biozeichen in der Kapsel, Hera?“, wollte die Clanführerin wissen. „Die gibt es, Prätora.“, erwiderte Hera und stellte die Sensorenbilder auf den Hauptschirm. „Stell die Bilder zu Ariadne herunter!“, befahl Yanista. „Sie wird sie besser interpretieren können als wir alle.“

„Das Kommunikationssystem der Kapsel scheint intakt zu sein.“, erklärte die junge Kriegerin, nachdem sie weitere Nachforschungen mit Hilfe des Computers angestellt hatte. „Dann ruf die Kapsel und stell zu mir durch!“, befahl Yanista. „Ach noch etwas: Sag dem Computer, er soll die Biozeichen zuordnen!“ Hera nickte und führte die Befehle ihrer Prätora aus.

Aufgrund ihrer Symptome hatte Sedrin das Piepen des Sprechgerätes erst extrem spät wahrgenommen. Von sensorischen Verzögerungen war von Seiten der Xylianer zwar keine Rede gewesen, aber bei jedem stellte sich ein Vakuum-Trauma wahrscheinlich etwas anders dar. Sedrin überlegte, wie sie sich melden sollte, denn eine förmliche Meldung, wie sie ihr bei der Sternenflotte beigebracht worden war, würde sie verraten, auch dann, wenn sie ihren falschen Namen verwenden würde. Zumindest würde das dafür sorgen, dass die Genesianer misstrauisch werden könnten. Alles musste also etwas unbeholfener klingen. Deshalb sagte sie: „Hi, ich bin Kirin. Gut, dass ihr endlich vorbeikommt. Mir geht’s beschissen. Ich war an Bord eines Passagiershuttles, als plötzlich die Hölle losbrach. Das war ein Systemversagen, was ihr euch nicht vorstellen könnt. Oh, Mutter Schicksal, diese Schmerzen. Ich denke, ich habe ein Vakuum-Trauma. Helft mir!“

Sie musste den Sendeknopf loslassen, denn im gleichen Moment überkam sie ein Hustenanfall, der wohl darin begründet lag, dass die vielen Sätze für ihre Lungen etwas viel gewesen waren. „Du scheinst wohl nicht ganz zu wissen, mit wem du sprichst, Demetanerin!“, sagte Yanista. „Dies ist ein genesianisches Schiff.“ „Um so besser.“, erwiderte Sedrin mit schwacher Stimme. „Außerdem ist es mir egal, wer mich rettet. Zu euch wollte ich auch eigentlich schon immer. Dieses ganze diplomatische Geschwafel der Föderation geht mir ziemlich auf den Senkel. Könnt ihr euch vorstellen, wie viele Lügen an einem Tag von Botschaftern und Politikern erzählt werden, nur weil man sich gegenseitig gefallen will?! Ich bin diese Schleimerei so leid! Eigentlich wollte ich schon immer lieber als genesianische Kriegerin leben. Der ehrenvolle Kampf gefällt mir doch besser. Ein Phaser lügt nicht. Oh, tut das weh. Ich wäre euch echt dankbar, wenn ihr mich bald holen könntet.“

Yanistas Handsprechgerät piepte. Am anderen Ende der Verbindung war Ariadne. „Prätora, die Biozeichen der Demetanerin in der Rettungskapsel sind nicht sehr stabil.“, sagte die Ärztin. „Veleta sollte sie ganz schnell hier auf die Krankenstation beamen, vorausgesetzt Ihr erwägt, dass wir sie retten werden.“ „Ja, das erwäge ich tatsächlich.“, sagte Yanista. Dann winkte sie Hera, die der Chefingenieurin Bescheid gab.

Sedrin fand sich bald darauf in einer weiteren Kapsel wieder, die sie an eine Druckkammer erinnerte. Gerade als sie per Sprechanlage auf sich aufmerksam machen wollte, wurde die Luke der Kapsel geöffnet und sie blickte in das Gesicht der Ärztin. „Sei gegrüßt.“, sagte sie. „Ich bin Ariadne Tochter von Mira vom Clan der Vetash!“ „Angenehm, Ariadne.“, sagte Sedrin. „Ich heiße Kirin.“ „Was tust du so weit weg von der Heimat, Kirin?“, fragte Ariadne. „Das weiß ich auch nicht.“, sagte Sedrin. „Ich weiß nur noch, dass ich in ein Passagiershuttle gestiegen bin und zu meinen Schwiegereltern nach New Demeta wollte. Dann gab es irgendwelche Probleme mit den Systemen. Ich verstehe davon nichts. Ich bin nur eine einfache Frau vom Lande. Ich kann mir nur denken, dass irgendein Vollidiot von Techniker vergessen hat, das Shuttle richtig zu warten.“ Sie hatte eine besondere Betonung auf den Vollidioten gelegt. So konnte sie sich in den Augen der Genesianerin hoffentlich noch mehr Punkte erschmeicheln. „Was erwartest du denn auch von der Leistung eines Mannes?“, fragte Ariadne. „Die sind doch viel zu dumm, um solche komplexen Aufgaben lösen zu können. Mich wundert, dass die überhaupt noch Männer in solchen Positionen beschäftigen.“ „Es war eine private Shuttlefirma.“, sagte Sedrin. „Was für die Sternenflotte ab sofort gilt, hat wohl im zivilen Flugverkehr noch eine Übergangsfrist, oder?“ „Das müsste ich meine Prätora fragen.“, tröstete Ariadne. „Aber die müsste es ja wissen und kann dir sicher auch diese Fragen beantworten. Stimmt es, dass du richtig zu uns überlaufen möchtest, Kirin? Ich meine, Hera hat da ein Gerücht verbreitet …“ „Ja, das stimmt, Ariadne.“, sagte Sedrin. „Wenn du wirklich eine genesianische Kriegerin werden willst, wirst du die gleiche Ausbildung durchlaufen müssen wie unsere Jungkriegerinnen.“, erklärte die Ärztin. „Im Augenblick übernimmt die Prätora den Unterricht selbst. Es hat da einige Meinungsverschiedenheiten mit Shira, der eigentlichen Ausbilderin gegeben. Die arbeitet jetzt im Maschinenraum unter Veleta und schrubbt Warpgondeln.“ Ariadne grinste, als sie das sagte, eine Tatsache, die Sedrin nicht verborgen blieb. „Du magst Shira nicht unbedingt.“, schloss die Demetanerin. „Nein.“, meinte Ariadne. „Sie wurde aus einem anderen Clan, den wir in einer Fehde besiegt haben, in den Unserigen aufgenommen. So etwas ist normalerweise nicht gut. Sie wird noch mal ein großes Unglück über uns bringen. Außerdem bezweifelt sie das Wunder von Sachometh. Sie sagt, es sei das Werk eines Mächtigen und wir seien alle dessen Marionetten. Stell dir das mal vor. Wie stehst du zu Sachometh?“ „Sacho was?“, tat Sedrin unwissend. „Weißt du nicht, was uns Genesianern für ein Wunder widerfahren ist?“, fragte Ariadne ungläubig. „Nein.“, meinte Sedrin und tat extrem genervt. „Ich sagte dir doch schon, dass ich eine einfache Frau vom Lande bin und von Tuten und Blasen keine Ahnung habe. Also erklär mal, wenn du unbedingt meine Meinung zu diesem Sacho-Dings haben willst. Ansonsten lass mich bitte schlafen.“ „Schlafen kannst du auch gleich.“, beruhigte Ariadne. „Dass sollst du sogar, damit du wieder vollständig gesund werden kannst. Du kannst auch in ein normales Biobett verlegt werden. Aber du wirst noch eine Weile auf der Krankenstation bleiben müssen. Ich werde der Prätora dein Ansinnen vortragen. Sie wird sich über Zuwachs sehr freuen, denke ich. Aber nun werde ich dir erst einmal erklären, was das Wunder von Sachometh ist. Es gab ganze sieben Mondfinsternisse in diesem Jahr, die in sieben aufeinander folgenden Nächten stattfanden. Dies ist laut unseren heiligen Schriften das Vorzeichen für noch etwas viel Wundervolleres. Du weißt vielleicht, dass laut unserer Schöpfungsgeschichte die Wächterin von Gore den Mann in die Welt gebracht und die Schöpfung damit außer Kontrolle gebracht hat. Dieses Verbrechen haben ihr die anderen Götter am Tage von Sachometh vergeben, der auf die sieben Mondfinsternisse folgt. An diesem Tage darf die Göttin in die Welt der Sterblichen zurückkehren und eine Sterbliche als ihr Werkzeug wählen, mit deren Hilfe sie uns eine große Eroberung verspricht. Genau das ist geschehen. Denke dir, sie hat niemanden Geringeres als die oberste Prätora erwählt, um in ihrem Körper uns die Eroberung des Universums der Föderation und Tindaras zu ermöglichen!“

Sedrin musste schlucken. Sie kannte Shashana und es schmerzte sie zu hören, wie eine gute Freundin von ihr offensichtlich durch ein fremdes Geistwesen besetzt Dinge getan hatte, die sie sonst als unehrenhaft angesehen hatte. Sedrin hatte die Bilder von der Schlacht ja gesehen und dachte sich, dass Shashana bestimmt nicht mit allem einverstanden gewesen war, was das Wesen sie tun lassen hatte, aber sie hatte sich wahrscheinlich nicht wehren können. Das musste für sie ja ein furchtbarer Zustand gewesen sein!

„Was ist, Kirin?“, fragte Ariadne unwissend. „Ich glaube, das alles war etwas viel.“, sagte Sedrin. „Ich muss mich wirklich ausruhen. Aber du hast Recht. Was euch da geschehen ist, das ist etwas wirklich Wundersames. Bitte hilf mir jetzt zu meiner neuen Schlafstätte.“ „Sicher.“, erwiderte Ariadne und nahm ihre Hand, um sie aus der Druckkammer zu einem Biobett in einem anderen Zimmer zu führen.

Unterhalb jeglicher genesianischer Sensoren war es Sharie gelungen, sich an die Erde heranzuschleichen. Hier hatte sie Tcheys Biozeichen lokalisiert und war in die Atmosphäre über Little Federation eingetreten. „Hoffentlich wird sie mit meinem Plan einverstanden sein.“, sagte sie zu sich. „Ziemlich verwegen ist er ja schon. Ich hoffe, sie hat ihren Schneid nicht verloren.“

Tchey war nach einer langen Schicht an Bord des Rettungsshuttles nach Hause zurückgekehrt und hatte sich auf ihre Terrasse gesetzt. Ihr echsenartiges Gesicht, das sich ziemlich in verkniffene Falten gelegt hatte, entspannte sich nur langsam, genau wie der Rest von ihr. „Uff!“, stöhnte sie. „Bin ich fertig! Ein Sexunfall mit einer Spezies mit acht Geschlechtern und eine Vorgesetzte, die vor Ort operieren will. Na ja. War vielleicht auch das Beste. Was ist denn das?!“

Ihr Blick war auf Sharies Landelichter gefallen, die ein riesiges S in die Luft zeichneten. Tchey wusste, dass dies das vereinbarte Erkennungszeichen zwischen ihr und ihrem Schiff war, aber sie hatte sich beim besten Willen nicht vorstellen können, dass sie wirklich einmal herkommen und es benutzen würde. Die Reptiloide beobachtete, wie ihr Schiff provokativ das Gemüsebeet der Huxleys ansteuerte, um dann mitten darauf zu landen. Sie wusste, dass dort im Moment nur die Zwiebeln für den nächsten Lauch in der Erde steckten, aber noch nicht ausgetrieben hatten. Aber trotzdem konnte Sharie dort nicht bleiben. Allerdings dachte sich Tchey auch, dass ihr Schiff sie damit nur zu sich locken wollte. „Das funktioniert nicht, Sharie.“, flüsterte sie. „Du kannst allein starten und dir einen weniger rechtlich fragwürdigen Landeplatz suchen. Ich weiß zwar auch nicht, wie ich den Huxleys erklären soll, wer ihre Pflanzen zerstört hat, aber … Na gut. Du hast gewonnen. Ich komme.“

Sie schlich in den Garten der Huxleys hinüber. Gott sei Dank trennten sie nur wenige Wohnblocks von diesem, seit sie aus dem gemeinsamen Haus mit Lasse ausgezogen war. „Lass mich rein.“, flapste sie in Richtung des Außenmikrofons ihres Schiffes. Bereitwillig öffnete Sharie die Luke und ließ sie einsteigen. Dann schloss Tchey den mitgebrachten Neurokoppler an den entsprechenden Port an. Sofort lud Sharie ihre Reaktionstabelle und ihr Avatar lächelte sie auffordernd an.

„Was tust du hier, Sharie?“, fragte Tchey, nachdem sie den ersten Schock verdaut hatte. „Ich bin hier, um dich abzuholen.“, sagte das Schiff. „Ich denke, dass wir zwei einen großen Teil dazu beitragen können, die Welt zu retten.“ „Wovon sprichst du?“, fragte Tchey, die von der ganzen Situation noch immer nicht sehr begeistert war. Was würde wohl geschehen, wenn Huxley das hier jetzt sehen würde? Ein Donnerwetter würde es geben, jawohl, ein ganz Gewaltiges!

„Du kannst mir nicht erzählen, dass du die letzten sechs Monate in einer Art Dornröschenschlaf verbracht hast, Tchey Neran!“, sagte Sharie und ihre Stimme klang dabei viel fester, als Tchey sie in Erinnerung hatte. „Selbst, wenn du temporal isoliert gewesen sein solltest, kannst du mir nicht erzählen, dass dich deine Neugier nicht zur Erforschung der dich umgebenden Situation gedrängt hat.“ „Du meinst wegen der Genesianer?“, fragte Tchey. „Genau.“, sagte das Schiff. „Ich weiß auch, wie es dazu kommen konnte. Kamurus hat mir alle Daten gegeben. Irgendwas scheint aber auch im Raum-Zeit-Kontinuum nicht zu stimmen. Aber wenn man die Daten, die ich von ihm bekommen habe, zugrunde legt, erklärt sich alles. Ich habe einen Plan, wie wir Tolea und Sytania wieder trennen können und auch Kairon das Selbstvertrauen zurückgeben können, das er verloren hat. Vielleicht …“ „Langsam, Sharie.“, sagte Tchey, der die ganzen Informationen ziemliche Kopfschmerzen bereiteten. „Kannst du’s mir nicht einfach zeigen?“ „Dann lehn dich zurück und genieße die Show.“, sagte Sharie und begann mit der Simulation.

Mit Kairon im Schlepptau hatte Learosh die Krankenstation betreten. „Sie sagen mir hier also allen Ernstes, Allrounder Betsys Schiff hat für mich ein Telepathiezentrum repliziert?“, fragte der ehemalige Mächtige. „Ja.“, nickte der taskonianische medizinische Assistent. „Ich konnte es zuerst auch nicht glauben, aber meine Vorgesetzte …“

Loridana hatte ihren Weg gekreuzt. „Die jetzt gleich weiter mit unserem Patienten über die Sache reden wird.“, sagte sie und nahm ihm Kairon ab. „Bereiten Sie schon mal alles für eine eventuelle Operation vor, Assistant!“, befahl Loridana und ging mit dem leicht verwirrten Kairon in ihr Sprechzimmer. Dort setzten sie sich auf zwei weiche bequeme Sessel. Danach rief Loridana die gerade erst angefertigte Krankenakte Kairons auf dem Monitor auf. „Ich nehme an, mein Assistent hat Sie bereits informiert.“, sagte Loridana. Kairon nickte. Dann sagte er: „Aber ich kann es nicht wirklich glauben.“ „Das tun Sie aber besser, Kairon.“, sagte Loridana und ließ den Computer ein Bild von der inneren Struktur des Telepathiezentrums anzeigen. „Dieses Zentrum ist die modifizierte Version eines Ersatzteils für Allrounder Betsys Schiff.“, sagte sie. „Lycira muss sich nicht nur Daten über Ihre Gewebestruktur, sondern auch über Telepathiezentren von Mächtigen im Allgemeinen geholt haben. Ich halte durchaus für möglich, dass Ihnen dieses Zentrum Ihre Kräfte zurückgeben könnte, Kairon. Auf der anderen Seite handelt es sich um ein biosynthetisches Implantat. Die Auswirkungen sind noch nicht erforscht.“ „Wie denn auch.“, sagte Kairon. „Ich bin der erste Q, dem so etwas eingesetzt werden soll. Verzeihen Sie.“ „Schon gut.“, sagte Loridana. „Ich weiß ja, dass Sie eigentlich nicht mehr als Q bezeichnet werden wollen, weil das auf allen Seiten zu viele schmerzhafte Erinnerungen weckt. Tolea und Sie …“ „Meine Schwester.“, sagte Kairon. „Da wären wir bei einem guten Thema, Scientist. Meiner Schwester muss Einhalt geboten werden. Sie muss endlich wieder erwachen und sehen, auf was sie sich eingelassen hat. Das kann nur geschehen, wenn ich ihr ein ebenbürtiger Gegner sein kann. Also operieren Sie mich schon!“

Sie zog einen Datenkristall aus der Schublade ihres Schreibtisches hervor, den sie in den Rechner schob und von dem sie eine Datei aufrief. „Lesen Sie sich das bitte gut durch, Kairon.“, sagte sie. „Sollte bei der Operation etwas schiefgehen, möchte ich, dass Sie aufgeklärt sind und dass …“ „Loridana!“, unterbrach er sie. „Ich werde Ihnen nicht an den Karren fahren, wenn hier etwas nicht richtig laufen sollte. Das hier ist ein Experiment und Experimente können auch mal falsch laufen. Ich hoffe zwar, dass das nicht geschieht, aber wie Sie schon sagten, dies hier wurde noch nie versucht. Aber in Anbetracht der Tatsachen bin ich gern Ihr Versuchskaninchen.“ Er unterschrieb mit seinem biologischen Fingerabdruck.

Die Sprechanlage piepte. Am anderen Ende war Learosh. „Scientist, es ist alles bereit.“, meldete er. „Ausgezeichnet, Assistant.“, sagte Loridana. „Kairon und ich kommen gleich her. Wir werden ihn sofort operieren.“ „In Ordnung.“, sagte die ruhige tiefe Stimme des Taskonianers.

Sie stand von ihrem Stuhl auf: „Kommen Sie, Kairon.“ „Müssen Sie den Commander informieren?“, fragte Kairon, während er neben ihr aus der Tür ging. „Damit die Hälfte der Brückenoffiziere vor meiner Krankenstation Schlange steht und alle paar Minuten nervös anfragt, wie weit ich bin?!“, fragte Loridana fast spöttisch zurück. „Nein, nein! Ich werde sie informieren, wenn die Operation vorbei ist. Störungen kann ich hierbei wirklich nicht gebrauchen.“ Sie wendete sich an den Rechner: „Computer, ich bin nicht zu sprechen, bis ich etwas anderes sage!“ „Entschuldigen Sie, Scientist.“, sagte Kairon. „Ich dachte nur, weil das auf Sternenflottenschiffen die allgemein übliche Vorgehensweise ist.“ „Aber bestimmt nicht bei so einem Experiment, Sie Laborratte.“, scherzte sie, als sie das Behandlungszimmer betraten. „Nur nicht nervös werden, Scientist.“, beruhigte Kairon. „Ich bin sicher, dass ich bei Ihnen in guten Händen bin.“ „Das gibt’s ja nicht.“, stöhnte Loridana auf. „Der Patient muss die Operateurin beruhigen. Aber jetzt ab auf den Tisch mit Ihnen, bevor meine Hände noch anfangen zu zittern!“ Kairon nickte und begab sich auf den Operationstisch.

„Ach du liebes bisschen!“, kommentierte Tchey die Dinge, die ihr Sharie soeben gezeigt hatte. „Na da ist ja gewaltig die Kacke am Dampfen.“ „Allerdings.“, bestätigte das Schiff. „Wir müssen Sytania und Tolea unbedingt wieder trennen und Tolea muss begreifen, dass sie ziemlichen Bockmist gebaut hat.“ „Das ist mir längst klar.“, lächelte die Reptiloide. „Aber wie lautet dein Plan, um genau das zu tun?“ „Pass auf.“, antwortete Sharie ruhig und sich ihrer sehr sicher, ein Umstand, den Tchey nicht von ihr kannte, allerdings sehr begrüßte.

Sie zeigte ihrer Pilotin die Simulation eines Duells zwischen Tolea und Kairon, bei dem Kairon eindeutig die Oberhand gewann. „Wie bitte willst du das erreichen, Sharie?“, fragte Tchey. „Wir haben doch beim ersten Mal gesehen, dass Sytania Tolea geholfen hat. Das wird sie wieder tun und Kairon wird den Kürzeren ziehen.“ „Wird er nicht!“, widersprach das Schiff. „Nicht, wenn das richtige Motiv dem Duell zugrunde liegt!“ „Das richtige Motiv?“, fragte Tchey verwirrt. „Ja, das richtige Motiv.“, wiederholte Sharie. „Denk mal nach, Tchey. Was könnte ich wohl meinen?“

Der Avatar machte ein entspanntes Gesicht und lehnte sich zurück, während Tchey versuchte, ihre kleinen grauen Zellen auf Trab zu bringen. Leider gelang es ihr nicht wirklich, was wohl auch damit zu tun hatte, dass sie eine Art Zugzwang verspürte, was ihre Situation anging. Schließlich standen sie mitten in einem Gemüsebeet, das ihnen nicht gehörte und Tchey war sicher, dass ihr Schiff diesen Platz nicht eher verlassen würde, bis sie alle Details des Plans kannte und sich damit einverstanden erklärt hatte. Per Neurokoppler konnte das Schiff jeden Gedanken seiner Pilotin nachvollziehen und wusste, dass sie im Moment noch gewaltig auf dem Holzweg war.

„Bitte hilf mir, Sharie.“, bat Tchey nach einer Weile angestrengtem Nachdenkens ohne Ergebnis. „Ich komm’ nich’ drauf.“ „Na schön.“, sagte das Schiff. „Aber ganz so leicht werde ich es dir nicht machen. Wie wäre es, wenn wir den Beiden ein Duell um die Wahrheit vorschlagen?“ „Ein Duell um die Wahrheit?“, fragte Tchey, aber fügte auch gleich hinzu: „Sag nichts mehr. Ich glaube, ich weiß jetzt, worauf du hinaus willst. Wenn wir zwei den Hohen Rat dazu kriegen, dass er Tolea der Zusammenarbeit mit Sytania beschuldigt und Kairon uns dabei hilft, dann wird sie beweisen wollen, dass es nicht so ist und sich mit einem weiteren Duell, dessen Regeln wir und der Hohe Rat festlegen, einverstanden erklären. Sie wird aber vergeblich auf Sytanias Hilfe hoffen, denn die will ja nicht, dass man ihr draufkommt. Dann wird Kairon sie besiegen können und damit ist bewiesen, dass ihr Sieg nur möglich war, weil Sytania ihr geholfen hatte. Das wird sie aber jetzt nicht tun, weil mein treues Schiff Erfasser bei Fuß steht und alles aufzeichnen wird.“ „Genau.“, sagte Sharie. „Sytania mag es gar nicht, wenn man ihr etwas beweisen kann. Deshalb wird sie sich raushalten. In der Hinsicht ist sie ein feiges Huhn.“ Sie machte das Geräusch einer aufgescheuchten Henne nach. „Tolea wird so wütend auf Sytania werden, weil sie ihr nicht geholfen hat, dass sie sie aufsuchen wird und sie zur Rede stellen wird. Dann wird sie aus lauter Wut die schwarze Macht, die Sytania ihr geschenkt hat, gegen sie einsetzen. Das hat eine Art Rückkopplung zur Folge, die sie wieder von der Macht befreien wird. Aber weil Tolea dann aufwacht und erkennen wird, was sie angerichtet hat, sollte jemand da sein, der sie auffängt.“, erklärte Sharie. „Mit jemand meinst du wohl wir zwei.“, sagte Tchey. „Sharie! So einen Plan hätte ich dir echt nicht zugetraut! OK. Dann zeig mir die Steuerkonsole! Wir starten ins Raum-Zeit-Kontinuum! Ich hoffe, dein interdimensionaler Antrieb ist gut in Form!“ „Genau so wollte ich dich hören, Tchey.“, grinste Sharie und führte ihre Befehle aus.

Tchey schaute auf das Beet, das langsam immer kleiner wurde, je weiter sie und ihr Schiff sich vom Boden entfernten. „Du hast mich ganz schön in Zugzwang gebracht.“, sagte sie. „Landest einfach in einem Beet, das uns nicht gehört und läufst Gefahr, mit deinen Antriebsfeldern gegrilltes Gemüse zu produzieren. Außerdem standen deine Landestützen auf vier Pflanzenzwiebeln, die jetzt sicher hinüber sind.“ „Ach das war so kugelig unter mir.“, sagte Sharie scherzend. „Und ich bin davon ausgegangen, es sei eine Start- und Landepiste mit Massageeinrichtung.“

„Legen Sie den Kopf bitte hierhin.“, sagte Learosh zu Kairon und zeigte auf eine bestimmte Stelle auf dem Operationstisch. Folgsam legte der Angesprochene den Kopf in den metallenen Halbmond, der sich am Kopfende des Tisches befand. „Ich werde jetzt ein Betäubungsfeld initiieren.“, erklärte der medizinische Assistent weiter. „Das betäubt nur Ihre Hirnhaut und den empfindungsfähigen Teil Ihres Schädels. Sie wissen vielleicht, dass das Gehirn selbst keinen Schmerz empfindet.“ „Ja.“, sagte Kairon. „Aber warum legen Sie mich nicht ganz in Narkose?“ „Weil wir auf Ihre Mitarbeit angewiesen sind.“, sagte Loridana, die damit beschäftigt war, die von Learosh vorgenommene Programmierung des chirurgischen Transporters zu überprüfen. „Meine Mitarbeit?“, fragte Kairon. „Wir müssen wissen, ob Sie während der Operation irgendwelche merkwürdigen Dinge fühlen, damit wir sie abbrechen können, bevor es für Sie lebensbedrohlich wird. Vergessen Sie bitte nicht, dass Sie jetzt sterblich sind, Kairon.“, sagte Loridana. „Noch bin ich sterblich, meine liebe Frau Doktor.“, sagte Kairon. „Aber ich bin zuversichtlich, dass dieses Experiment glücken wird. Also drücken Sie schon auf den Knopf, Learosh.“

Der medizinische Assistent sah seine Vorgesetzte an, die ihm billigend zunickte. Dann aktivierte er das Feld. „Sie können alles fühlen außer Schmerz.“, sagte er. „Alle anderen Signale dringen noch zu Ihrem Gehirn durch.“ „Schon gut.“, sagte Kairon.

„Betäubungsfeld ist in Funktion.“, meldete Learosh. „In Ordnung.“, sagte Loridana. „Initiiere Operationsprogramm.“

Wie Learosh es im Vorhinein programmiert hatte, beamte der chirurgische Transporter das Telepathiezentrum aus seinem Behälter in Kairons Gehirn an die Stelle, an der auch sein Altes gesessen hatte. Danach beamte er einige Nervenzellen und Teile von Blutgefäßen fort, was kleine Wunden an den zuständigen Nerven und Gefäßen entstehen ließ. Gleich darauf wurde der Stimulator aktiviert, der die wunden Gefäße und Nerven quasi mit den Anschlussstellen des Zentrums verschweißte.

„Gehen Sie zum neuralen Monitor, Learosh.“, sagte Loridana. „Beobachten Sie, ob und in welchem Umfang das Zentrum zu arbeiten beginnt.“ Der medizinische Assistent nickte und führte ihre Weisung aus. „Durchblutungsstatus ist nahe Normal, Madam.“, sagte er. „Eigentlich müsste es gleich anfangen zu …“

Kairon hatte einen Laut von sich gegeben, der Loridana sofort zu ihm eilen ließ. „Was ist?!“, fragte sie. „Was fühlen Sie?!“ „Das kann ich Ihnen nicht erklären.“, sagte Kairon und lächelte. „Irgendwie fühle ich alles. Ich glaube, es hat funktioniert!“ Loridana gab einen Laut der Erleichterung von sich. „Und ich dachte schon.“, sagte sie. Dann sah sie zum Monitor herüber. „Ich dachte schon, das da wäre eine Energiekaskade in Ihrem Nervensystem.“ „Wenn man es genau nimmt.“, sagte Kairon. „Dann habe ich gerade genau das erlebt. Das Zentrum hat eine unkontrollierte Stimulation erfahren, als es durchblutet wurde. Das ist, als würde ein Arm oder ein Bein nach dem Einschlafen wieder erweckt. Das muss ich Ihnen doch wohl nicht erklären.“

Er machte kurz ein konzentriertes Gesicht, um dann zufrieden festzustellen: „Aber jetzt habe ich es im Griff … Oh, mein Gott! Entschuldigen Sie mich!“ Er verschwand in einem weißen Blitz.

„Sieht aus, als währen wir erfolgreich gewesen.“, sagte Loridana. „Aber was meinte er mit: Oh, mein Gott?!“ „Das weiß ich auch nicht.“, antwortete der medizinische Assistent. „Aber ich denke, wir werden es noch früh genug erfahren. Jetzt sollten wir erst mal den Commander informieren.“ „Ganz Ihrer Ansicht.“, antwortete Loridana. „Kommen Sie. Wir gehen am Besten gleich selbst zu ihr.“

Kissara hatte mit Mikel, Kang und mir die neuesten Entwicklungen besprochen, als die Mediziner die Brücke betraten. „Ich hoffe, dass Sie Ihrem Schiff beibringen werden, dass sie das nächste Mal zumindest fragen soll, bevor sie einen Bruch der Sicherheit begeht, Allrounder!“, sagte Kissara eindringlich zu mir. „Sicher, Commander.“, versicherte ich. „Lycira ist nur sehr pragmatisch veranlagt und dachte daher wohl, dass es besser wäre, sofort etwas zu tun, ohne den Dienstweg einzuhalten.“ „Schon gut.“, sagte sie.

Die Türsprechanlage piepte und zeigte Kissara an, dass jemand vor der Tür zur Brücke wartete. „Herein!“, sagte sie. Dann sah sie überrascht in zwei lächelnde Gesichter. „Commander, es hat funktioniert!“, verkündete Loridana. „Was hat funktioniert, Scientist?“, fragte die Kommandantin ernst, die es gar nicht schätzte, dass jetzt auch noch Mitglieder ihrer Crew, die ja eigentlich die Vorschriften kennen mussten, ebendiese umgangen hatten. „Die Operation.“, fiel Learosh ein. „Welche Operation?“, fragte Mikel. „Haben Sie Kairon etwa schon operiert?“ „Ja.“, sagte Loridana. „Tut mir leid, dass wir Sie nicht vorher informiert haben, aber ich fand es besser, da dies hier auch hätte schiefgehen können.“ „Man beachte den Konjunktiv.“, äußerte ich. „Heißt das etwa, es hat tatsächlich geklappt?“, fragte Kang. „Wo ist Ihr Patient jetzt?“, fragte Mikel. „Wissen wir nicht.“, sagte Loridana. „Er sagte nur so was wie: Oh, mein Gott und war dann verschwunden. Sicher hat er über das neue Zentrum etwas wahrgenommen, was seine sofortige Einmischung nötig macht.“ „Wir werden sehen.“, sagte Kissara. „Aber über Ihren Verstoß gegen die Vorschriften müssen wir noch einmal reden, Loridana. Sie wissen doch, dass ich Ihnen nicht den Kopf abgerissen hätte, wenn Ihnen Kairon auf dem Operationstisch verstorben wäre oder so. Das ist ein Risiko, mit dem Ärzte leben müssen und wir sind ja auch noch Wissenschaftler, denen auch mal ein Experiment in die Hose gehen kann.“ „Danke, Commander.“, sagte Loridana. „Es wird sicher nicht mehr vorkommen.“ „Das hoffe ich.“, sagte die Kommandantin.

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