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Zurück in der Gegenwart des Sommers 3035 hatten Sedrin und Cupernica nach einer erholsamen Nacht wieder den Raumflughafen aufgesucht. Jetzt standen sie vor der Abflughalle, wo sie Tila und Novus treffen würden. „Sind Sie nervös, Cupernica?“, scherzte Sedrin. „Sie wissen, dass ich keine Nervosität empfinden kann.“, entgegnete die Androidin. „Sicher.“, antwortete Sedrin. „So ernst habe ich es ja auch nicht gemeint. Ich bin nur auf die Reaktion Ihres Mannes gespannt, wenn er nach Hause kommt und Novus sieht.“ „Dem steht nichts im Wege.“, flüsterte Cupernica Sedrin konspirativ ins Ohr. „Ich habe arrangieren können, dass Data noch eine Weile länger bei Techniker Scott bleibt.“ „Um so besser.“, erwiderte die Agentin leise.

Tila und Novus waren mit dem gut klimatisierten roten Jeep des Institutes auf dem Weg zum gleichen Ort. „Gleich wirst du deine Mutter und Agent Sedrin sehen, Novus.“, versuchte Tila, auf der doch sehr stillen Fahrt ein Gespräch zu beginnen. „Das ist mir bekannt.“, erwiderte der Androidenjunge. „Entschuldige.“, sagte Tila mit etwas Verwirrung in der Stimme. „Aber ich hatte gehofft, bei dir eine Reaktion hervorrufen zu können. Du weißt, dass Professor Saren festgestellt hat, dass du das Emotionsprogramm deines Vaters geerbt hast.“ „Ich scheine es aber nicht wirklich kontrollieren zu können.“, rechtfertigte sich Novus. „Manchmal denke ich, es kommt wie es kommt. Manchmal empfinde ich etwas und manchmal nicht. Das ist wie bei euch auch.“ „Erstaunlich!“, rief Tila aus. „Das macht dich noch mehr zu einer Lebensform!“

Mit einem Lächeln auf ihrem Gesicht hielt sie den Jeep auf einem Parkplatz an und verließ ihn gemeinsam mit Novus, der seine Tasche geschultert hatte. „Wo werden der Agent und meine Mutter uns treffen, Tila?“, fragte Novus. „Ich denke, sie werden uns bereits in der Abflughalle erwarten. Komm!“, erwiderte die technische Betreuerin und fasste Novus’ Hand.

„Ich muss dich noch etwas fragen.“, setzte Novus an, als die Beiden die große Schwingtür ins Gebäude passierten. „Nur zu.“, lächelte Tila. „Warum lebe ich und meine Schwester ist gestorben? Ich meine, auch sie sollte von den Admirälen in eine Einrichtung gebracht werden wie die, in der ich auch für mein Leben unter Organischen vorbereitet wurde.“ „Ich könnte mir vorstellen.“, überlegte Tila. „Dass du überlebt hast, weil wir eher die Lebensform als das Künstliche in dir gesehen haben. Außerdem war das Ganze bei dir weniger abrupt und ein weniger starkes Gezerre. Ich kenne die Geschichte deiner Schwester sehr gut. Wir wollten bei dir ja die entsprechenden Fehler vermeiden, die zu ihrem Tod, zumindest Ayoras Meinung nach, geführt haben.“ „Bitte definiere das mit der Lebensform genauer.“, bat Novus. „OK.“, antwortete Tila und blieb stehen, um ihm besser ins Gesicht sehen zu können. „Wir haben dich als Lebensform gesehen, wie es die Rechtsprechung auch verlangt. Laut ihr seid ihr Androiden ja genau so Lebensformen wie wir. Dein Vater hatte daran ja den Löwenanteil. Knapp gesagt hat man Lal Ayoras Meinung nach auf eine reine Rechenmaschine reduzieren wollen und der Teil von ihr, der eine Lebensform war, kam zu kurz. Ayora denkt, dass dies zu den entsprechenden Konsequenzen geführt hat.“ „Und was denkst du, Tila?“, fragte Novus. „Ich denke das Gleiche.“, antwortete Tila und replizierte sich an einem öffentlichen Replikator einen Kaffee. Sie wusste, dass Novus sie dabei ertappt hatte, einfach nur Ayoras Meinung nachzuplappern. „Nun.“, stellte Novus fest. „Ich lebe. Das ist Fakt. Also müssen Ayora und du richtig gedacht haben.“ Tila lächelte.

Sedrin hatte Novus und seine Betreuerin gesehen und war auf die Beiden zugegangen. „Hi, Novus.“, begrüßte sie ihn. Dann sagte sie weitaus förmlicher zu der ihr fremden Frau, die sie nur anhand ihres Rangabzeichens identifizieren konnte: „Hallo, Techniker.“ Tila war eine aufgrund eines Unfalls früh pensionierte Sternenflotteningenieurin. Da sie wusste, dass zwei Sternenflottenoffizierinnen Novus abholen würden, von denen eine sogar Brückenoffizierin war, hatte sie es zur Feier des Tages angesteckt. Tila salutierte. „Haben Sie oder Scientist Cupernica noch Fragen, Agent?“, fragte sie. „Nein.“, erwiderte Sedrin. „Ich bin nur der Begleitservice und Scientist Cupernica hatte einen regen Briefwechsel mit ihrem Sohn. Aber trotzdem vielen Dank, Techniker.“ Sie wandte sich Novus zu: „Gehen wir. Wir müssen noch einchecken und deine Mutter wartet auch.“ Novus nickte und drehte sich noch einmal Tila zu: „Vielen Dank für alles, was ich lernen durfte und auf Wiedersehen.“ Dann gingen er und Sedrin in die andere Richtung davon.

Auf der tindaranischen Basis, die Commander Zirell unterstand, gingen Joran und Shimar einen Flur entlang. Die beiden Männer, die auch noch beste Freunde waren, hatten gerade eine Simulationskammer verlassen, in der sie eine gemeinsame Simulation besucht hatten. Der Vendar hatte dem Tindaraner jetzt mit stolzem Ausdruck in den Augen seine rechte Hand auf die Schulter gelegt. „Du machst große Fortschritte, Shimar El Tindara.“, stellte er fest. „Ich glaube, beim nächsten Mal können wir die Longe weglassen. Außerdem habe ich noch nie so viel ...“, er überlegte: „Nennen wir es bestimmte Verständigkeit für ein anderes Wesen bei jemandem gesehen. Du weißt schon, was du willst, aber würdest dem Pferd gegenüber nie ungerecht.“ „Bestimmte Verständigkeit.“, wiederholte Shimar. „Den Begriff muss ich mir merken. Vielleicht übernehmen sie ihn ja sogar ins normale Wörterbuch. Du solltest an die linguistische Abteilung der Föderation und an unsere schreiben.“ „Ich bezweifle, dass sie meinen Vorschlag ernst nehmen werden, Shimar.“, sagte Joran. „Dazu mache ich an anderer Stelle zu viele Fehler. Shannon O’Riley hat Recht. Ich ähnele wohl wirklich sehr dem Mann mit der Schlange im Bauch aus ihrem Buch.“ „Mit der Ausnahme, dass dein Mitbewohner, wenn du einen trägst, aus Energie besteht und in deinem Nacken sitzt.“, scherzte der tindaranische Patrouillenflieger und tippte sanft auf jene Erhebung in Jorans Nacken. „In der Tat.“, erwiderte dieser. „Bei mir sitzt im wahrsten Sinne des Wortes der Schalk im Nacken.“ Er lachte. „Eure Muttersprachen.“, verglich Shimar weiter. „Klingen ähnlich und sind auch von der Struktur ähnlich. Deshalb macht ihr wohl auch die gleichen Fehler, oder zumindest ähnliche. Aber der Typ aus Shannons Schmöker hat kein Fell.“

„Jungs!“ Eine weibliche Stimme hatte ihnen dies zugerufen. Mit seinem 40 % schärferen Gehör hatte Joran sie längst zugeordnet und wusste auch, woher sie kam. „Ich komme gleich zu dir, Telshanach!“, rief er der Stimme zu, deren Besitzerin er hinter einer Säule ausgemacht hatte. „Geh ruhig.“, sagte Shimar. „Sonst läst sie vor Ärger noch das Essen anbrennen und setzt es dir dann trotzdem vor. Hier müssen sich unsere Wege eh trennen.“ Der Vendar nickte und wechselte die Richtung.

Joran betrat Jennas und sein Quartier. Die Chefingenieurin der Station erwartete ihn bereits an der Tür. Schnell war sie aus ihrem Versteck dort hin gehuscht. „Warum hast du uns aufgelauert, Telshanach.“, fragte er sie zärtlich. „Weil ich wissen wollte, was du und Shimar immer noch für merkwürdige Überstunden macht.“, antwortete Jenna. „Du hast dich doch nicht etwa im Maschinenraum an unsere Simulation gehängt, Telshanach.“, meinte Joran und Jenna wurde das Gefühl nicht los, dass er sich ertappt fühlte. „Keine Angst.“, versicherte sie. „Eure Privatsphäre ist gewahrt. Aber mal ernsthaft. Was macht ihr da. Shannon streut die wildesten Gerüchte.“ „Ich gebe Shimar Unterricht.“, gab Joran zu. „So.“, antwortete Jenna. „Und was für eine Art von Unterricht ist das?“ „Reitunterricht.“, erwiderte der Vendar gleichmütig. „Reitunterricht?“, wunderte sich Jenna. „Ich dachte, unser Fliegerass würde sich außer mit den eigenen Beinen mit nichts fortbewegen wollen, das unter Warpgeschwindigkeit liegt. Was ist der Grund dafür?“ „Stehst du in Kontakt mit Allrounder Betsy?“, fragte Joran eindrücklich, bevor er ihr eine Antwort gab. „Ab und zu mailen wir.“, gab Jenna zu. „Aber keine Angst. Dein Geheimnis, falls es eines gibt, wird bei mir sicher sein.“ „Betsy El Taria ist der Grund, Telshanach.“, erwiderte er. „Shimar will sie eines Tages damit überraschen.“ „Wie süß!“, rief Jenna aus. „Ich hätte nicht gedacht, dass er in seinem geringen Alter so romantisch sein kann.“ „Ich denke, Telshanach, dass Shimar uns noch mit vielem überraschen wird.“, antwortete Joran.

Das Schrillen eines Alarms ließ Jenna und ihren Freund aufhorchen. Gleichzeitig erklang Marons Stimme aus dem Lautsprecher aller Sprechanlagen: „Alarm rot! Alle auf ihre Posten!“ Sofort schulterten beide ihre mobile Ausrüstung und verließen ihr Quartier.

Novus, Cupernica und Sedrin hatten das Einchecken hinter sich gebracht und setzten sich jetzt nebeneinander in warm gefärbte Sitze in einer Sitzreihe des Passagierabteils eines Liners, der sie wieder zurück nach Terra bringen sollte. Die Frauen hatten Novus in die Mitte genommen. „Wird mein Vater bereits wieder auf Terra sein, wenn wir ankommen?“, fragte Novus. „Soweit ich das verstanden habe.“, erwiderte Sedrin. „Wird er das noch nicht. Deine Mutter hat ihm schließlich irgendwie noch einige Tage mehr mit seinem besten Freund verschafft und die wird er sich nicht nehmen lassen. Dafür wird allein schon Techniker Scott sorgen.“ „Ah.“, machte Novus.

Das Shuttle startete. Die Sicherheitskraftfelder, zu deren Aktivierung alle per Display und Computerstimme aufgefordert worden waren, wurden wieder abgeschaltet. Sedrin ging zum öffentlichen Replikator und replizierte sich erst mal einen Kaffee. „Haben Sie nicht die Befürchtung, dass Sie raumkrank werden könnten, Agent?“, fragte Novus. „Ach was.“, antwortete die Demetanerin. „Wenn ich dieses Problem hätte, dann hätte ich auch keine Sternenflottenoffizierin werden können.“

Sie hatten das celsianische Sonnensystem verlassen und waren jetzt im offenen Weltraum. Das Shuttle ging auf Warp. Novus sah die ganze Zeit aus dem Fenster. Was er dort aber bald zu sehen bekam, wäre jemandem mit normalen Augen nicht aufgefallen. Aber Novus’ hoch auflösende Augen verrieten ihm durchaus, dass hier etwas nicht stimmte. „Wir werden seit 20 Minuten von einem interdimensionalen Phänomen verfolgt, das seinen Ursprung in der Zeit zu haben scheint.“, flüsterte er Sedrin zu. „Wenn ich mich korrekt erinnere, haben Zivilisten nicht unbedingt die Ausbildung, mit so etwas umzugehen. Die Piloten dieses Schiffes werden nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Da das Phänomen seinen Ursprung in der Zeit hat, gehe ich davon aus, dass es sich um die Manifestation einer Veränderung der Zeitlinie handelt. Wenn wir dieser ausgesetzt werden, wird sich niemand von uns mehr an die ursprüngliche Geschichte erinnern. Außerdem erkenne ich Frequenzen aus dem Neurobandbereich im Schema dieses Phänomens.“ „Was!“, flüsterte Sedrin alarmiert zurück. Ihr war durchaus klar, was Novus’ Fund bedeutete. Wenn eine feindliche Einwirkung auf ein ziviles Schiff zu befürchten war, dann waren anwesende Sternenflottenoffiziere berechtigt, ja sogar verpflichtet, dort das Kommando zu übernehmen, um Schaden von allen Zivilisten an Bord abzuhalten. Sedrin war die ranghöchste Offizierin an Bord dieses Schiffes, zumindest soweit sie sehen konnte. Von einem Commander der Sternenflotte, der noch über ihr gestanden hätte, war hier weit und breit nichts zu sehen. „Scientist.“, wendete sich die Agentin leise an Cupernica. „Sie wissen, was Sie zu tun haben. Novus, unterstütze deine Mutter. Ich gehe nach vorn.“ Novus und Cupernica nickten und Sedrin griff in ihre Handtasche, aus der sie ihren Dienstausweis hervorholte. Da hat meine Marotte, das Ding jedes Mal mitzunehmen, ja doch mal was Gutes. dachte sie, während sie sich auf den Weg zu der Tür machte, die das Cockpit von der Passagierkabine trennte.

Von jener Zuspitzung der Situation ahnten Kissara und Nugura nichts, die jetzt gemeinsam mit Saron Dills Thronsaal betraten. Der Herrscher stand sofort von seinem Thron auf, als er den dreien ansichtig wurde. Er gesellte sich zu ihnen und sie gelangten gemeinsam in den hinteren Teil des Saales, der mit Stuck an der Decke und mit in Gold gerahmten Bildern und Teppichen geschmückt war und keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass es sich um ein hochherrschaftliches Zimmer handelte. In der Mitte des Raumes stand der mit Gold und Silber besetzte Thron, der in diesem Fall auch gut die Funktion eines Raumteilers ausführte. In dem Teil des Raumes, in dem sie jetzt angekommen waren, stand ein runder Tisch mit vier schweren weichen großen verschnörkelten Sesseln, deren Polster mit feinsten Daunen gefüllt und mit zeitländischer Singraupenseide bezogen waren. Der Spinnfaden dieses sehr musikalischen Insekts, das durch Vergrößerung und Verkleinerung seines Brustkorbes und durch das Reiben seiner Beine daran tatsächlich eine Art Gesang produzierte, war höchst selten, weil seine Erzeuger auch höchst selten und damit sehr wertvoll und kostbar waren. Nur der König durfte die etwa handgroßen Raupen halten und züchten. Das war schon von Alters her so gewesen.

Alle setzten sich und Dill winkte einem Diener, der ein großes Tablett mit Gläsern, Kannen, Tellern und Schalen herein trug. Jeder Teil des Geschirrs hatte einen silbernen Rand mit Rankenmuster. „Stell die bestimmte Schale gleich vor Kissara hin, Nestor!“, befahl Dill. „Wie Majestät befehlen.“, sagte der Diener unterwürfig und leistete dem Befehl Folge. Dann verteilte er alles Andere auf dem Tisch und ging.

Kissara sah die Schüssel lange an. „Heben Sie die Haube ruhig auf, Commander.“, ermutigte Dill sie lächelnd. Kissara, die von Natur aus sehr neugierig war, tat dies und gab einen Laut des Erstaunens von sich, als sie den Inhalt sah. Vor ihr zeigten sich diverse zeitländische Salz- und Süßwasserfische, die in fast liebevoll zu nennender Art zubereitet waren. Sie machte ein fast verschämtes Gesicht, als sie schließlich fragte: „Wie komme ich zu dieser Ehre, Milord?“ „Nun, Commander.“, lächelte Dill. „Das dürfte doch für Sie wohl mehr als offensichtlich sein. Sie haben einen großen Teil dazu beigetragen, die Krise auf Miray zu lösen. Wäre Ihnen das nicht gelungen, dann hätten wir heute einen interdimensionalen Krieg.“ „Ich befürchte, Ihr ehrt die Falsche.“, schob Kissara das Lob von sich. „Eigentlich gebührt die Ehre zweien meiner Offiziere und einem tindaranischen Flieger, der zur Zeit nicht bei uns ist. Euer Nennsohn und Allrounder Betsy haben …“ „Ich weiß.“, unterbrach Dill sie ruhig. „Die Beiden haben Brakos List durchschaut und Shimar hat auch sein Übriges zu der Sache getan. Dennoch muss ich meinem verstorbenen Amtsbruder Brako meinen Glückwunsch zu dieser List aussprechen. Ich weiß nicht, ob ich auf so etwas gekommen wäre, wenn Mikel und Eldisa sich derart um den Thron gestritten hätten.“ „Ohne die Hilfe Toleas wäre dies Brako aber auch nicht möglich gewesen.“, fügte Nugura bei. „Sicher, verehrte Freundin.“, erwiderte Dill. „Und hätte sich Sytania nicht eingemischt, wäre alles nicht so schlimm gekommen. Aber wir haben die Situation ja gemeistert. Wenn Mikel, Shimar und Betsy nicht getan hätten, was sie getan haben und Sie nicht …“

Er gab plötzlich einen Laut von sich, als hätte er große Schmerzen und brach krampfend zusammen. Sofort sprang Kissara auf und nahm ihm den kurzen zeitländischen Säbel ab, den zeitländische Herrscher noch heute als Schmuck um die Hüfte gegürtet trugen. Sie befürchtete, dass er sich in dieser Situation daran schwer verletzen konnte. Sie war keiner der typischen Sternenflottenkommandanten, die sich nie die Finger schmutzig machen würden. Wenn es die Situation verlangte, konnte Kissara auch mal anpacken. „Die Zeit.“, stammelte Dill. „Die Zeit. Ihr Götter, helft …“

Er rutschte vom Stuhl und fiel in Kissaras Arme, die sogleich seinen Kopf mit ihren Händen schützte, während sie nicht verhindern konnte, dass er zu Boden fiel. Die Kommandantin wusste, wie ernst die Situation war. Phaser und Photonentorpedos beziehungsweise Hieb- und Stichwaffen konnten im Normalfall einem Mächtigen nichts anhaben. Aber wenn die Zeit, jene Dimension, mit der Dill verbunden war, durch was auch immer geschädigt wurde, musste er seine gesamte Kraft dafür aufbringen, sie zu schützen. Dies würde auch ihn verwundbar machen, ja, er konnte sogar daran sterben.

Ein Hauptmann der Wache, die im ganzen Raum verteilt war, schrie einen seiner Soldaten an: „Scher dich zu Dills Leibarzt und hole ihn!“ „Ja, Hauptmann!“, erwiderte der Soldat schmissig und marschierte davon. „Ich denke, meine Medizinerin ist schneller vor Ort.“, sagte Kissara, die bisher über den krampfenden Dill gebeugt gestanden hatte, richtete sich auf und zog ihr Sprechgerät, in das sie das Rufzeichen der Granger eingab. „Kang.“, begann sie. „Verbinden Sie mich mit Scientist Loridana! Ihr Rufzeichen wird von meinem Sprechgerät als außer Reichweite angezeigt. Ich muss das Gerät des Schiffes als Relais benutzen. Dann lokalisieren Sie sie und lassen sie von Elektra hierher beamen.“ „Aye, Ma’am.“, erwiderte der Klingone und führte ihre Befehle aus. Jetzt erwies sich doch tatsächlich als gut, dass Kang und Elektra an Bord des Schiffes zurückgeblieben waren.

Joran hatte die Brücke der Station betreten. Ihm war sofort aufgefallen, dass Zirell nicht hier war. „Wo ist Anführerin Zirell, Agent Maron?“, fragte der höchst alarmierte Vendar den auf seinem Platz sitzenden demetanischen ersten Offizier. „Sie verteidigt die Dimension mit den anderen Tindaranern auf mentale Weise.“, erklärte dieser. Joran wusste, was dies bedeutete. Die Tindaraner konnten ihre mentalen Kräfte zu einer Mauer um die gesamte Dimension herum vereinen, die sich dann in der interdimensionalen Schicht manifestierte. Die Sensoren der Station nahmen diese Mauer bereits wahr, was Joran Maron sofort auf den Schirm stellte, nachdem er seinen Arbeitsplatz an der Sensoren- und Kommunikationskonsole der Station aufgesucht hatte. Marons Antwort hatte dem intelligenten Vendar genügt, um auch den Aufenthaltsort der anderen beiden Tindaraner zu erahnen. Alle drei würden jetzt in ihren Quartieren sein. Dort wäre der ruhigste Ort, was die beste Konzentration ermöglichte.

„Joran, was ist das für ein merkwürdiges Ding, das sich in der interdimensionalen Schicht befindet und sich von außen der Mauer nähert?!“, fragte Maron nervös. Er hoffte inständig, dass der Vendar, der ja schon sehr viel mit allerlei Merkwürdigkeiten zu tun gehabt hatte, ihm hierauf eine Antwort geben konnte. „Ich weiß es nicht, Maron El Demeta.“, gab Joran zu. „Das Phänomen scheint keine Koordinaten zu haben. Es ist gleichzeitig überall und nirgends.“ „Das ist für Dinge, die sich in der interdimensionalen Schicht befinden, völlig normal.“, entgegnete Maron. „Bevor sie gegangen ist, hat Zirell noch gesagt, dass es sehr gefährlich ist. Sie spüre, dass ein Mächtiger, der feindliche Absichten hat, involviert ist. IDUSA, Phaser klar machen und auf das Phänomen feuern!“

Der Stationsrechner führte den Befehl zwar aus, Maron und Joran sahen aber bald, dass die Waffen keine Wirkung hatten. „Verdammt.“, sagte Maron. „Was tun wir jetzt nur. Das Ding hat die Mauer fast erreicht und könnte sie zum Einsturz bringen. Diesen Werten zur Folge gewinnt es immer mehr an Energie. Jetzt kann uns wohl nur noch der geniale Verstand deiner Freundin helfen.“

Sedrin war inzwischen vor der Tür zum Cockpit des Passagiershuttles angekommen. Hier wurde sie aber von einer Flugbegleiterin aufgehalten. „Für Passagiere ist der Aufenthalt in der Nähe des Cockpits verboten.“, zitierte die kleine zierliche Terranerin aus den Vorschriften der Fluggesellschaft. „Ich bin keine gewöhnliche Passagierin.“, sagte die demetanische Agentin ruhig und zeigte ihr ihren Dienstausweis. Dann fixierte sie die junge schwarzhaarige Frau mit strengem Blick und flüsterte ihr zu: „Sie werden jetzt arrangieren, dass ich ins Cockpit komme. Sonst sind wir alle am Ende.“ „Aber was gibt es denn, Agent?“, wollte sie wissen. „Dass muss Sie nicht wirklich interessieren!“, sagte Sedrin leise aber bestimmt. „Wenn Sie nichts wissen, kann Ihnen auch gegenüber den Passagieren keine unbedachte Äußerung herausrutschen und jetzt tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe, Lady! Das Letzte, was wir hier gebrauchen können, ist eine Massenpanik!“

Sie betätigte einen Türsensor, der nur auf die biologischen Fingerabdrücke des Personals geeicht war und schob Sedrin durch die sich öffnende Tür, die sich sofort wieder hinter der Demetanerin schloss. Jetzt sah sich Sedrin zwei Männern in typischen zivilen Fliegerjacken gegenüber. Sie blickte kurz an ihnen vorbei auf die Konsolen und sah, dass auch sie sahen, wovon Novus sie in Kenntnis gesetzt hatte. Die Sensoren des Schiffes hatten das Phänomen auch gesehen und es auf den Schirm projiziert. Sedrin sah aber auch, dass die Beiden offensichtlich versuchten, dem Phänomen auszuweichen oder es zu umfliegen. Da es sich aber durch seinen Ursprung bedingt überall und nirgends befand, war dies quasi unmöglich, außer sie würde die Piloten dazu bringen können, das Schiff in den Interdimensionalmodus zu bringen.

Sie stellte sich neben den Mann im Pilotensitz und hielt ihm ihren Dienstausweis unter die Nase, während sie sich vorstellte: „Ich bin Agent Sedrin Taleris-Huxley vom Sternenflottengeheimdienst. Ihnen dürfte bekannt sein, dass anwesende Sternenflottenoffiziere auf Zivilschiffen das Kommando übernehmen dürfen, wenn sich das Schiff in Gefahr durch feindliche Mächte befindet. Dies ist hier der Fall.“ „Aber was sollen wir denn jetzt tun, Agent?“, fragte der Pilot, ein älterer Mann mit schwarzem Schnauzbart, zurück. „Wir haben das Ding auch gesehen und versuchen die ganze Zeit auszuweichen. Aber das geht nicht und wir haben auch keine Waffen. Woher wissen Sie überhaupt, dass dies kein Naturereignis ist, sondern ein Feind …“ „Ich habe meine Quellen!“, unterbrach Sedrin ihn. „Aber ich weiß auch, wie wir das Baby hier raus kriegen, Mr. … Wie heißen Sie eigentlich?“ „Thomas Jackson.“, antwortete er. „OK, Mr. Jackson.“, sagte Sedrin ruhig. „Regel Nummer eins: „Wenn man weder kämpfen noch flüchten kann, muss man sich wegducken und still warten, bis alles vorbei ist. Genau das werden Sie jetzt mit unserem Schiff tun. Aktivieren Sie den Interdimensionsantrieb ohne Zielkoordinaten. Wir drehen ein paar hübsche Warteschleifen in der interdimensionalen Schicht, bis sich das Ding verzogen hat! Sie!“, wendete sich Sedrin jetzt an den Copiloten. „Sie nehmen sich das Mikrofon und machen eine kleine Ansage, um den Passagieren zu erklären, dass wir noch einmal in den Interdimensionsmodus gehen. Aber denken Sie sich ’ne schöne Geschichte aus. Sollten Sie auch nur mit einem Wort erwähnen, dass da draußen eine Gefahr ist, bringe ich Sie um! Das schwöre ich Ihnen! Das ist verdammt noch mal sehr wichtig!“ Sie machte ein sehr ernstes Gesicht.

Blass nahm der jüngere der beiden Männer das Mikrofon in die Hand und begann: „Ladies und Gentlemen, wir werden aufgrund eines technischen Tests noch einmal in den Interdimensionsmodus gehen. Bitte bleiben Sie auf Ihren Plätzen und behalten Sie Ruhe. Diese Belastungstests für den Antrieb sind reine Routine.“ Er hängte das Mikrofon ein und sah sie an. „Sie behalten Ihr Leben.“, lächelte Sedrin. „Ich hätte Sie ja auch nicht wirklich umgebracht. Ich musste Ihnen nur etwas Angst einjagen, damit Sie auf keinen Fall einen Fehler machen und verstehen, wie wichtig es ist, dass die Passagiere nichts davon erfahren.“ Dann wandte sie sich um: „Los, Jackson!“

Im Maschinenraum der Station hatte IDUSA Jenna und Shannon auch gezeigt, was sie den Brückenoffizieren im Kontrollraum zeigte. „Wenn Sie mich fragen, Jenna, dann sieht es für mich aus, als hätte das Phänomen seinen Scheitelpunkt irgendwo in der Vergangenheit und strahlt von dort aus.“, erklärte der tindaranische Avatar. „Da pflichte ich dir bei, IDUSA.“, erwiderte Jenna. „Aber das bedeutet auch, dass es tatsächlich die Manifestation einer Änderung der Zeitlinie sein könnte.“ „Und was heißt das für uns?“, fragte Shannon aus dem Hintergrund. Jenna machte ein gelangweiltes Gesicht. Ihr war längst klar, was das bedeutete und sie wusste auch, dass ihre Assistentin es eigentlich auch wusste und nur wieder so tat, als würde sie kein Wort verstehen. Dass Shannon sich für dümmer hielt als sie war, war allen auf der Basis hinreichend bekannt. „Na gut, Assistant.“, ließ sich Jenna dann doch breitschlagen, alles noch einmal zu erklären. „Wenn uns dieses Ding trifft, dann werden wir ein Teil der veränderten Zeitlinie und erinnern uns nicht mehr an die ursprüngliche Geschichte.“ „Und was ist daran schlimm?“, fragte Shannon. „Vielleicht ist die neue Zeitlinie ja viel besser.“ „Das wage ich zu bezweifeln!“, nahm IDUSA Jenna die Antwort ab. „Ich registriere Frequenzen aus dem Neurobandbereich, die auf die Einmischung eines oder einer Mächtigen hinweisen. Sie wissen beide, dass die Mächtigen normalerweise nicht zulassen würden, dass sich die Zeitlinie ändert. Unter den Mächtigen fällt mir nur eine Person ein, die dazu skrupellos genug wäre, diese Regel zum eigenen Vorteil zu brechen. Wir Anderen wären Sytania egal.“ „Kannst du das Neuralmuster eindeutig Sytania zuordnen, IDUSA?!“, fragte Jenna alarmiert. „Jein.“, gab der Stationsrechner zur Antwort. „Das Phänomen hat eine sehr hohe Eigenstrahlung, die meine Sensoren beeinträchtigt. Aber ich bin mir zu 80 % sicher.“ „Die 80 nehme ich.“, sagte Jenna und betätigte die Sprechanlage. Am anderen Ende der Verbindung meldete sich ein sichtlich nervöser werdender Maron: „Was gibt es, McKnight?“ „Ich habe neue Erkenntnisse, Sir.“, antwortete Jenna. „IDUSA sagt, das Phänomen sei die Manifestation einer Änderung der Zeitlinie. Zumindest bestätigen dies alle Sensorenbilder.“ „So weit waren wir hier oben auch schon, Techniker!“, sagte Maron energisch. „Das ist aber nicht alles, Agent.“, fügte Jenna hinzu. „Laut IDUSA ist Sytania zu 80 % in die Sache involviert. Wer für die anderen 20 % zuständig ist, kann sie nicht sagen wegen der Strahlung. Aber wenn das stimmt, dann haben wir es hier mit einer feindlichen Einwirkung zu tun.“

Ihre letzten Worte hatten Maron extrem erschreckt. „Nein.“, sagte er zu Joran. „Dass kann doch wohl nicht wahr sein.“ „Wie du siehst, ist es aber wahr, Maron El Demeta.“, antwortete der Vendar. „Ich hoffte eigentlich, dir wäre längst klar, dass meine ehemalige Gebieterin vor nichts zurückschrecken wird, um ihre Ziele durchzusetzen.“ „Ich weiß!“, sagte Maron unwirsch. „Hoffentlich findet deine Freundin bald eine Lösung.“

Hinten im Shuttle war alles soweit ruhig und Cupernica und Novus hatten fast nichts zu tun, als das Schiff in den Interdimensionsmodus ging. Die Passagiere hatten die Ansage über den Antriebstest tatsächlich geschluckt. Novus hatte sich zu einer Gruppe Kinder gesellt, die mit ihrem Betreuer wohl auf einer Art Klassenfahrt waren und lenkte sie mit allerlei Spielen ab, was Cupernica aus dem Augenwinkel beobachtete. Du hast wirklich einen hohen Grad an sozialer Kompetenz auf Celsius erreicht., gab sie ihrem Sohn in F-14-Code zu verstehen, während sie selbst einen alten Mann behandelte, der es wohl bei der ganzen Aufregung etwas mit dem Herzen bekommen hatte. „Ich gebe Ihnen jetzt eine kleine Spritze.“, sagte sie ruhig und harmlos. „Danach wird es Ihnen schnell besser gehen. Was hier passiert, ist nichts, vor dem man Angst haben muss. Diese Tests werden ab und zu auf Shuttleflügen durchgeführt. Das erfolgt stichprobenartig. Sie sehen also, dass alles in Ordnung ist.“ Während sie das sagte, steckte sie eine Patrone mit der entsprechenden Medizin auf einen Hypor, den sie dann über die rechte Ellenbeuge des Mannes hielt. Cupernica war durchaus bewusst, dass sie gelogen hatte, was für Androiden eigentlich unmöglich war, aber wie Data auch hatte sie gelernt, dass es manchmal von Vorteil sein konnte, nicht ganz so ehrlich zu sein. Die Wahrheit hätte für eine Massenpanik unter den Passagieren gesorgt und die Flugbegleiter wären damit sicher auch überfordert gewesen. Als Zivilisten hatten sie bestimmt auch keine Ahnung von Zeitlinien verändernden Phänomenen und dergleichen. Dies war ein Risiko, das sie auf keinen Fall eingehen durfte.

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