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Im toten Winkel der Sensoren hatten Tchey und Sharie Zirells Station erreicht. „Ich finde es erstaunlich, wie du auf so etwas kommen konntest, Sharie.“, lobte die Reptiloide. „Jetzt wird mir auch klar, warum die Genesianer dich nicht bemerkt haben, als du nach Terra kamst.“ „Warum sollte ich nicht darauf kommen können?“, entgegnete das Schiff. „Schließlich hast du mir all diese Verhaltensweisen beigebracht.“ „Ich?“, fragte Tchey lang gezogen. „Ich soll dir so etwas Fieses beigebracht haben? Ich, die anständige und brave Tchey?“ „Ausgebufft trifft es wohl eher.“, grinste Sharie. „Du und Tom Paris habt echt ’ne Menge mehr gemeinsam, als du zugeben willst.“

Sie hatten einen Platz erreicht, von dem aus Sharie gut die Station scannen konnte, ohne selbst von der IDUSA-Einheit wahrgenommen werden zu können. „Was machen die gerade, Sharie?“, wollte Tchey wissen, nachdem ihr Schiff den Antrieb ausgeschaltet hatte. „Anscheinend sind wohl gerade alle in der Offiziersmesse am Frühstücken.“, erwiderte Sharie und zeigte Tchey ihre Sensorenbilder. „Na dann werden wir sie mal überraschen.“, sagte Tchey, legte den Neurokoppler ab und stand vom Sitz auf: „Beam’ mich hin!“

Sharie ließ ein Lämpchen in der Nähe des Auswurffaches des Replikators aufleuchten. „Bevor du gehst.“, erklang ihre Stimme aus dem Bordlautsprecher. „Solltest du das hier mitnehmen.“

Tchey drehte sich zum Fach und entnahm diesem einen Datenkristall. „Was ist da drauf?“, fragte sie. „Der Kristall enthält die Daten, die mir Kamurus gegeben hat und auch das, was wir bezüglich Kairon, Tolea und Sytania erlebt haben.“, antwortete Sharie. „Ich glaube, Agent Maron wird sich über diese Art von Schützenhilfe sehr freuen.“ „Hoffentlich nimmt er mich ernster als Ginalla!“, meinte Tchey. „Davon gehe ich aus.“, sagte Sharie. „Schließlich bist du eine ehemalige Sternenflottenoffizierin. Wenn er schon so einen Dünkel hat, dann werden wir dem auch Genüge tun und jetzt halt dich bitte bereit. Gilt dein Befehl eigentlich immer noch, dass ich abzischen soll, sobald ich dich abgesetzt habe?“ „Aber sicher.“, flapste Tchey. „Also gut.“, sagte Sharie und beamte sie mitten in die Messe.

Tcheys Blick suchte kurz die Tischreihen ab, bevor sie sich forschen Schrittes genau auf den Tisch, an dem Zirell, Maron und Joran saßen, zu bewegte. Genau hinter Marons Stuhl blieb sie stehen und tippte ihm mit ihrer schuppigen Hand auf die rechte Schulter. „Guten Morgen, Agent.“, flapste sie ihm zu. Maron, der fast seinen Kaffee vor Schreck fallen lassen hatte, gab nur ein leises: „Huch.“, von sich. Zu mehr war er vor Schreck nicht in der Lage. Erst als er sich umgedreht hatte, sah er in das Gesicht der ihm offensichtlich fremden Frau. „Wer bitte sind Sie und wie kommen Sie hier herein, ohne dass IDUSA Sie bemerkt hat?“, fragte er dann schließlich doch, nachdem er seine Stimme wieder unter seine Kontrolle gebracht hatte. „Mein Name ist Tchey Neran.“, stellte sich Tchey vor. „Genauer Allrounder Tchey Neran. Ich habe einmal für die Sternenflotte gearbeitet, fliege jetzt aber das zivile Rettungsshuttle, das auf der Erde stationiert ist. Aber keine Angst, das habe ich nicht missbraucht, um hierher zu kommen. Hergekommen bin ich mit meinem eigenen Schiff, das aber Befehl hatte, hier so schnell wie möglich abzuhauen, sobald es mich abgesetzt hatte. Geben Sie sich also keine Mühe. So schnell werden Sie mich nicht los.“ „Schön, Allrounder!“, meinte Maron förmlich. „Also, was wollen Sie? Jetzt, wo Sie sich vorgestellt haben, kann ich mir schon so einiges denken. Sie sind ja für Ihre Eskapaden im gesamten bekannten Universum berühmt und berüchtigt.“ „Ich würde gern Ihnen gegenüber eine Aussage machen, Agent.“, sagte Tchey. „Ich kann nämlich beweisen, dass Tolea mit Sytania zusammengearbeitet hat.“

„Sie ist schon die Dritte, die das sagt, Maron.“, mischte sich jetzt auch Zirell ins Gespräch. „Du hättest Ginallas Aussage wirklich mehr Beachtung schenken sollen.“ „Nur weil mehrere Leute es behaupten, wird es nicht automatisch zur Wahrheit, Zirell.“, sagte der Agent.

„Aber nur weil Sie es ignorieren, wird es auch nicht zu einer Lüge, Sir.“, meinte Jenna von hinten, die an einem Tisch an der Rückwand des Raumes saß. „McKnight!“, rief Maron aus und drehte sich dabei so schnell nach ihr um, dass sogar Joran sich erschreckte und sein Käsebrötchen mit lautem Platsch auf seine Uniformhose fallen ließ, was er mit einem lauten: „Kelbesh!“, kommentierte. „Igitt!“, rief Tchey flapsig aus, die sich der wahren Bedeutung dieses Wortes durchaus bewusst war. „Und so was isst du?! Aber gut, dass ich das jetzt weiß. Ich hatte es für Käse gehalten!“ „Hey!“, flapste Shannon jetzt aus der gleichen Ecke, in der auch Jenna mit ihr saß, weil die Beiden noch etwas Technisches zu besprechen hatten, das nicht bis nach dem Frühstück warten konnte. „Sprüche sind mein Job hier! Da kommt einfach ’ne Fremde und macht mir mein Revier streitig! Unverschämtheit!“ „Na dann los!“, ermunterte Zirell sie. „Dann lass dir was einfallen, Shannon, damit du mit ihr wieder gleichziehen kannst!“

Maron hatte sich jetzt einigermaßen beruhigt und auch eingesehen, dass Jenna mit ihrer Äußerung von vorhin Recht gehabt hatte. Er hatte sich ja wirklich gegenüber Ginalla inkorrekt verhalten. Dafür, eine Zeugin so zu behandeln, hätten ihm seine Professoren auf der Akademie die Ohren lang gezogen. „Was sind das für Beweise, von denen Sie gesprochen haben, Tchey?“, wendete er sich schließlich doch an die Fremde, die ihm erwartungsvoll den Datenkristall hinhielt. „Schauen Sie sich das hier ruhig alle an.“, sagte Tchey. „Ich bin sicher, dann wird Ihnen einiges klarer.“

Der Demetaner nahm ihr den Kristall ab und legte ihn in das Laufwerk einer nahen Konsole. Dann befahl er IDUSA, alle Tabellen zu laden und die Datei abzuspielen. Staunend sahen sich alle den Inhalt an.

„Das deckt sich in gewisser Hinsicht mit Ginallas Aussage.“, gab Maron verschämt zu. „Aber die anderen Gegebenheiten machen erst ihre Aussage stimmig. Mutter Schicksal sei Dank ist es Ihnen aber wohl auch gelungen, Sytania und Tolea wieder zu trennen, oder? Ich habe nur noch nicht verstanden, wie Sie das angestellt haben.“

Jenna trat hinzu. Die hoch intelligente Halbschottin hatte natürlich längst verstanden, dass sie gebraucht wurde und hatte auch schon eine Idee, wie sie Agent Maron das mit der energetischen Rückkopplung erklären würde. „Was passiert, wenn zwei Kontakte falsch überbrückt werden, Agent?“, fragte die Chefingenieurin. „Dann gibt es einen Kurzschluss, McKnight.“, sagte Maron. „Genau.“, sagte Jenna. „Genau so müssen Sie sich das hier auch vorstellen. Tolea hat durch das Nutzen der schwarzen Macht gegen Sytania selbst, die Sytania ihr ja gegeben hatte, in ihrem Gehirn einen Kurzschluss verursacht, der sie wieder von ihr getrennt hat.“ „Ach so.“, sagte Shannon. „Dass Sytanias Plan in die Hose gegangen ist, dürfte der alten Hexe also schlagartig klar geworden sein. Energieschlagartig!“ „Ich denke, jetzt sind wir beide quitt, Technical Assistant.“, sagte Tchey und gab Shannon die Hand. Auch alle anderen Umstehenden klatschten Beifall.

„Sie werden sicher zu diesem Beweismittel noch einiges zu sagen haben, Allrounder.“, sagte Maron. „Ich halte es daher für gut, wenn Sie zunächst im Gästequartier untergebracht werden. Verlassen Sie nicht die Station, bis ich Sie vernommen … Ach, das geht ja nicht.“ „Oh, ich kann Sharie zurückrufen.“, meinte Tchey. „Das liegt ganz daran, wann Sie belieben, mit mir Urlaub auf den Verhörinseln zu machen, Agent. Aber bis dahin bin ich mit einem Gästequartier zufrieden.“

Maron sah zu Zirell hinüber, die ihm zunickte. „Joran, zeig ihr den Weg!“, befahl er dann in Richtung des neben ihm sitzenden Vendar. Dieser stand auf und fragte höflich an Tchey gewandt: „Tchey Neran, würdest du mir bitte folgen?“ „Sicher.“, flapste die Angesprochene zurück und war mit ihm durch die Tür verschwunden.

Shimar hatte Scotty und Clytus signalisiert, dass er seine Ausruhphase für beendet erklären konnte. „Wie willst du uns überwachen, Scotty?“, fragte Clytus, dem angesichts dessen, was auf ihn zukommen würde, etwas mulmig wurde. „Ich meine, die Erfasser nehmen uns die Genesianerinnen ja jedes Mal weg.“ „Oh, das is’ kein Problem.“, flapste der Schotte. „Ich habe zwei angewachsene Erfasser.“ „Die will ich sehen.“, staunte Clytus und sah zu, wie ihm der breit grinsende Scotty seine Hände hinhielt. Irritiert warf der Junge den Kopf zurück. „Das sind die einzigen Erfasser, die wir brauchen.“, sagte Scotty. „Mit meinen Händen kann ich bei euch zweien prima den Puls an der Halsschlagader fühlen. Wenn der zu hoch geht, weiß ich, dass etwas nicht stimmt und ziehe eure Hände auseinander. Würde ich an den Handgelenken fühlen, würde ich wie eine Art Überbrückungskabel funktionieren und Shimar würde keine Verbindung zustande kriegen.“

„Das könnte durchaus passieren, bei der Technik, die ich anwenden werde.“, sagte Shimar, der bereits dabei war, seine telepathischen Fähigkeiten temporär bewusst auf das Level eines Berührungstelepathen zu drosseln.

„Ich werde jetzt meinen rechten Zeigefinger auf deinen Hals legen, Clytus.“, erklärte Scotty. „Wenn ich beurteilen will, wie dein Puls normal geht, dann brauche ich ja ein Referenzmuster. Wenn du so weit bist, mache ich das Gleiche bei dir mit links, Shimar.“ „Du kannst ruhig schon.“, sagte Shimar einladend. „Ich habe mich vorbereitet und ab jetzt hat das, was ich noch tun muss, keine körperlichen Konsequenzen mehr.“ „Also gut.“, sagte Scotty und tat, was er gerade vorgehabt hatte.

Wenige Sekunden darauf sah Scotty beide triumphierend an. „Jetzt weiß ich Bescheid.“, sagte er. „Ich glaube, wir können anfangen. Ihr seid bei mir in guten Händen, Kumpels.“ „Na dann!“, sagte Shimar und griff nach Clytus’ Händen. „Soll ich wieder zählen?“, fragte er. „Das wäre ganz gut.“, sagte der Junge, der ja genau wusste, was gleich passieren würde und dem es angesichts dessen etwas schummerig wurde. „OK.“, sagte der Tindaraner und zählte: „Eins, zwei, drei.“, bevor er die Verbindung initiierte. Zeig es mir, Clytus!, insistierte Shimars Geist. Führe mich zur Wahrheit! Zeig mir, ob du wirklich Clytus aus dem Kontinuum bist! Zeig mir, was dich zu dem gemacht hat, der du heute bist!

Scotty sah, wie beide die Augen schlossen. Sofort waren seine Hände an ihren Hälsen und seine Ohren in Richtung ihrer Lungen gewandt. „Jetzt sei auf der Hut, Scotty!“, schärfte er sich selbst im leisen aber bestimmten Flüsterton ein. „Ein Fehler kann dich für den Tod von zwei Wesen verantwortlich machen, also pass gefälligst auf sie auf!“

Zufrieden saß Clytus im Raum-Zeit-Kontinuum vor einem Kontaktkelch und sah sich die Geschicke im Universum der Tindaraner und der Föderation an. Über die geänderte Vergangenheit bis in die Gegenwart hatte er alles beobachtet und war zu dem Schluss gekommen, Eldisa ein Geschenk gemacht zu haben, zu dem sie nicht nein sagen konnte und das sie ihm auch nicht einfach so zurückgeben konnte. Er hatte es nämlich so eingerichtet, dass nur er die Veränderungen rückgängig machen konnte, wenn er denn wollte. Siehst du., wendete er sich telepathisch an Eldisa. Jetzt habe ich dir ein Geschenk gemacht, das du dir für deine Freundin Betsy schon immer gewünscht hast. Bin ich nicht romantisch? Ich habe dabei weder an dich noch an mich gedacht. Jetzt musst du mich doch total süß finden.

„Neffe!!!“ Die weibliche wütende ältere Stimme, die ihm dies entgegen geschrieen hatte, ließ Clytus glauben, dass ihm das Blut in den Adern gefriere. Dann tauchte in einem weißen Blitz Tolea vor ihm auf. Sie machte ein strenges Gesicht! „Was hast du dir da erlaubt?!“, tadelte sie ihn. „Mit der Zeitlinie der Sterblichen herumzuspielen, nur aus eigensüchtigen Motiven! Was hast du dir dabei gedacht?!!! Nein, du hast wahrscheinlich gar nicht gedacht!!! Aber diese Flausen werden dir noch vergehen!!! Ich werde dich bestrafen!!!!“ Clytus wurde Angst und Bange. Er hatte sehr gute Vorstellungen davon, wie seine Strafe aussehen konnte. Seine Tante war dafür bekannt, dass sie sehr hart sein konnte. Bei der Verwandlung in eine Amöbe würde sie es nicht belassen. Aber was sie mit ihm tatsächlich machen würde, davon machte selbst Clytus sich keine Vorstellung. Er wusste nur, wäre er ein Sterblicher, der das gleiche Verbrechen verübt hätte, dann würde sie weitaus freundlicher mit ihm umgehen. Aber bei ihresgleichen setzte Tolea viel härtere Maßstäbe an.

„Halt, Schwester!“, hörte Clytus plötzlich die Stimme seines Vaters, von der er sich Erlösung erhoffte. Dann tauchte auch Kairon vor ihm auf. „Ihn zu strafen ist einzig und allein meine Sache. Du bist nur seine Tante. Ich bin sein Vater und, nachdem seine Mutter mir das Sorgerecht gegeben hat, sein Erziehungsberechtigter.“ „Du!!“, lachte Tolea und man konnte gut ein schon fast wahnsinniges Blitzen in ihren Augen sehen. „Du bist viel zu lasch mit ihm! Das sieht man ja! Bei mir hätte sich dieser Lausejunge solche Streiche nicht getraut. Dafür hätte ich schon gesorgt! Aber gut, erkläre deinem Vater und mir, warum du die armen Sterblichen missbraucht und Dill fast getötet hast, Clytus!“ „Ich, ich, ich.“, stammelte Clytus. „Ich habe aus Liebe gehandelt.“ „Aus Liebe?“, fragte Kairon. „Erkläre mir das.“

In den Wäldern in der Nähe war Diran mit Tchian, einem seiner Novizen, mit dem Kampftraining beschäftigt. Aber der Vendar-Junge mit dem weißen kurzen Jugendfell konnte sich einfach nicht konzentrieren und Diran hatte ihm bereits zum zwölften Mal eine Taktik erklären müssen. „Was ist nur los mit dir, Tchian?“, fragte der Ausbilder, der im Allgemeinen als sehr geduldig galt. „Vergib mir, Ausbilder, aber ich kann mich nicht konzentrieren, weil das ängstliche Wehklagen unseres jungen Gebieters Clytus an mein Ohr dringt. Ich bin sicher, etwas stimmt nicht. Bitte, Ausbilder, lass uns nachsehen.“ „Das sind interne Angelegenheiten unserer Gebieter.“, verneinte Diran. „Es steht uns sicher nicht zu, uns hier einzumischen, außer wir werden dazugerufen.“ „Aber ich will doch gar nicht, dass wir uns einmischen.“, erklärte Tchian spitzfindig. „Ich will doch nur, dass wir nachsehen.“

Diran überlegte. Er wusste, dass das Training mit Tchian so keinen Sinn hatte. Er würde sich nicht darauf konzentrieren können, solange er Angst um Clytus hatte. Auch dem Ausbilder, der Toleas direkter Vertrauter war, leuchtete längst ein, dass hier etwas im Gange war. Dafür kannte er seine Herrin gut genug. Also sagte er: „Ist gut. Wir werden hingehen und uns das Geschehen ansehen. Aber danach musst du mir versprechen, dass wir mit dem Training fortfahren können.“ „Ich verspreche es, Ausbilder.“, lächelte Tchian und hob sogar feierlich die Hand zum Schwur.

Sie verließen den Wald und durchquerten einen kleinen Fluss, der sie von dem Platz, an dem Clytus, Tolea und Kairon sich aufhielten, getrennt hatte. „Du lässt mich reden!“, schärfte Diran seinem Schüler ein. Tchian nickte. Aufmerksam beobachtete er, wie sich Diran auf den Weg zu Tolea machte und sie unterwürfig ansah. „Vergebt mir, Gebieterin.“, sagte er leise und fast sorgenvoll. „Mein Novize und ich kamen gerade vorbei und wurden Zeugen dieses Tumultes hier. Dürften wir erfahren, was der Grund dafür ist?“

Toleas Blick wurde weich und freundlich, als sie Diran ansah. „Das darfst du von mir aus, mein treuer Diran.“, sagte sie. „Ich bin kurz davor, meinen Neffen zu strafen, weil er die Sterblichen zum Erreichen seiner Ziele missbraucht hat. Er hat ihre Zeitlinie verändert. Dann hat er sich auch noch erdreistet, meinen Kontaktkelch zu stehlen, um sein Werk zu betrachten. Findest du nicht auch, dass er eine Strafe verdient hat?“ „Dieses Urteil steht mir nicht zu, Gebieterin.“, erwiderte Diran. „Obwohl ich auch sterblich bin und sicher mit den Missbrauchten fühle. Aber ich kann bei Weitem nicht das Verständnis für solche Situationen aufbringen, das Ihr in Eurer Allwissenheit habt. Also bitte ich Euch um Vergebung dafür, dass ich hierzu keine Meinung äußere.“ „Du wählst deine Worte wohl, Vendar.“, lobte Kairon. „Deshalb werden du und dein Novize auch in die Entscheidung, wer Clytus bestrafen darf, eingebunden werden. Ruf den Jungen her, dann muss ich nicht alles zweimal erklären!“ Diran nickte und winkte Tchian, der sofort angelaufen kam. „Welche Rolle sollen die Vendar übernehmen, Bruder?“, fragte Tolea fast lästernd. „Sie sollen eine Art Schiedsrichter sein und sie werden die Arena bauen, in der wir uns um das Recht duellieren werden, Clytus zu bestrafen.“, antwortete Kairon. „Faszinierend.“, spottete Tolea. „Bin mal gespannt, wie das aussehen wird.“

Kairon wendete sich an Diran: „Nimm deine Waffe und brenne mit ihr ein Quadrat aus Linien in den Sand. Dann ziehst du in der Mitte des Quadrates eine weitere Querlinie. Den Platz dazu kannst du selbst wählen.“ „Wie Ihr wünscht, Gebieter.“, erwiderte Diran, ging einige Meter weg, zog seine Waffe, richtete sie gegen den Boden, stellte sie auf Dauerfeuer und drückte ab. Seine Schritte zählend ging er zunächst einfach geradeaus, um dann abrupt nach links abzubiegen. Dies wiederholte er so lange, bis die schwarzen Linien im Sand das gewünschte Quadrat bildeten. Dann stellte er sich in die Mitte einer der Linien, um von dort aus das gleiche Spiel quer über das Quadrat zu wiederholen. Jetzt hatten sich zwei gleiche Hälften gebildet.

Kairon kam herüber und sah sich alles an. „Sehr gut.“, lobte er. „Jetzt sag deinem Novizen, er soll zwei Äste suchen. Einen Kurzen und einen Langen. Tolea und ich werden um die rechte Hälfte des Quadrates losen. Wir wollen ja nicht, dass hier irgendwas mit ungerechten Mitteln zugeht.“ Diran nickte und erteilte Tchian den entsprechenden Auftrag. Ihn störte an dieser Sache etwas ganz gewaltig! Der intelligente Vendar-Krieger, der auch schon Sytania gedient hatte, wusste genau, dass die Art von Duell, auf die sich Kairon und Tolea geeinigt haben mussten, ein Duell der geistigen Kräfte nach imperianischer Sitte war. Aber warum sollten sie sich nach imperianischer Sitte duellieren? Langsam wurde das, was Diran vorher eher unbewusst wahrgenommen hatte, zur Gewissheit. immer mehr hatte er das Gefühl, dass Sytania hier im Hintergrund die Fäden zog. Aber wie sollte das von Statten gehen? Seine Gebieterin würde sich doch nie auf eine Zusammenarbeit mit ihr einlassen, oder etwa doch? Wut konnte zu den gefährlichsten Dingen verleiten. Das wusste der Vendar. Er hoffte so sehr, dass sein Bauchgefühl ihn getäuscht hatte. Er hoffte es so sehr! Sein Novize sollte in diese ungeheuerliche Vermutung aber nicht eingeweiht werden. Es könnte sein gesamtes Weltbild durcheinander bringen. Diran würde damit allein klar kommen müssen und weiter Beweise sammeln müssen. Aber dazu hatte er ja jetzt auch Gelegenheit, denn beim Herumgehen war er fast über einen stattlichen Stein gestolpert, den er jetzt aufhob. Er hatte ein solches Gewicht, dass fünf durchschnittliche Humanoide notwendig gewesen wären, um ihn zu heben. Aber das stellte für Diran kein Problem dar. Er platzierte den Stein auf der Linie in der Mitte des Quadrates. Er hoffte, sich mit dieser Aktion derart bei den beiden Mächtigen einschmeicheln zu können, dass sie ihn für geeignet genug hielten, noch mehr über das große Geheimnis zu erfahren.

Tolea kam hinzu und sah sich alles an. „Sehr gut mitgedacht, Diran.“, lobte sie und strich ihm über das Haar. Als sie ihn berührte, erschauerte Diran instinktiv und wich zurück. Wieder hatte sein Unterbewusstsein ihm den Eindruck vermittelt, er würde Sytania wahrnehmen. Schnell versuchte er, diesen Eindruck zu überspielen. Er befürchtete nämlich, dass seine Schmeicheltaktik nicht aufgehen würde, wenn er zu früh verraten würde, dass er etwas spürte, das normalerweise nicht sein konnte und nicht sein durfte. „Was ist?“, fragte Tolea Anteil nehmend. „Du schreckst doch sonst nicht vor meiner Hand zurück.“ „Vergebt mir, Gebieterin, aber ich bin angesichts des Duells etwas nervös. Ich hoffe aber, dass Ihr den Sieg davontragt.“, log Diran. Er hoffte, dass Tchian nicht mehr lange mit den Ästen auf sich warten lassen würde. Es konnte doch nicht so schwer sein, zwei verschieden lange Äste in einem bewaldeten Gebiet zu finden.

Endlich war der Junge am Horizont zu sehen. Wie zwei Trophäen trug er stolz zwei starke verschieden lange Äste vor sich her. „Was hat so lange gedauert?“, fragte Diran. „Ich wollte die besten Äste finden, Ausbilder.“, antwortete Tchian. „Es sollten nicht irgendwelche morschen Dinger sein.“ „Dein Verhalten ehrt dich, Vendar-Novize.“, sagte Kairon. „Und nun entscheide, wer zuerst einen Ast ziehen darf. Meine Schwester oder ich. Halte die Äste so, dass wir nicht sehen können, welcher der Kurze und welcher der Lange ist.“

Tchian schob die Äste in seiner Hand so hin, dass jeweils eines ihrer Enden mit dem anderen auf gleicher Höhe war. Dann hielt er den Mächtigen diese Seite der Äste hin. Die ungleiche Seite zeigte in seine Richtung. „Lady Tolea, Ihr seid als Erste dran.“, sagte er mit klopfendem Herzen. Tolea griff nach einem der Äste und zog ihn heraus. Tchian gab Kairon den anderen. „Damit dürfte ja wohl klar sein, dass ich die rechte Hälfte bekomme!“, sagte Tolea und hielt den längeren Ast in die Höhe. „Diran, stelle dich an den einen Scheitelpunkt, an dem die Querlinie sich mit den Grenzen des Quadrates trifft und du, Tchian, dich an den anderen.“, instruierte Kairon die beiden Vendar. Diese nickten und führten seinen Befehl aus. „Achtet gut auf den Fels.“, sagte Tolea und nahm, genau wie ihr Bruder auch, ihre Position ein. „Sollte es einer von Euch schaffen, den Felsen per Gedankenkontrolle in das Gebiet des anderen zu schieben, erklären wir ihn oder sie zum Sieger oder zur Siegerin.“, erklärte Diran und zählte auf Vendarisch bis drei.

Ängstlich sah Tchian die Gesichter der vor Konzentration und Anstrengung wie versteinert wirkenden Mächtigen. „Diese Situation macht mir Angst, Ausbilder.“, flüsterte er Diran zu. „Mir ist das auch nicht geheuer.“, gab Diran ähnlich leise zurück. „Aber wir müssen erfahren, was hier vorgeht und deshalb müssen wir wohl mitmachen. Beobachte gut, mein Schüler und vor allem höre auf deine Instinkte.“ „Die sagen mir, oh, ich mag es gar nicht aussprechen.“, erwiderte Tchian voller Furcht. „Sie sagen dir, dass Sytania hier involviert ist.“, brachte Diran seinen Satz zu Ende. „Aber wir müssen wissen, was genau sie damit zu tun hat, bevor wir weitere Schritte einleiten.“

„Da sieht man mal, wie weit es mit deiner Vaterliebe hin ist.“, lästerte Tolea über den Stein hinweg, der sich immer weiter in Richtung von Kairons Hälfte schob. „Ich dachte, um deinen Sohn meiner strengen Hand zu entziehen, würdest du dich etwas mehr anstrengen!“ „Du hast ja gar keine Ahnung, Schwester!“, erwiderte Kairon. „Ich mache mich ja erst warm!“ Tatsächlich gelang es ihm, den Stein auf die Linie zurückzuschieben. „Was sagst du jetzt?!“ „Pah!“, machte Tolea. „Das hast du ja nur geschafft, weil ich so großzügig war, dir eine Chance zu geben!“ „Das kannst du gegenüber Sterblichen behaupten!“, sagte Kairon mit Überzeugung. „Aber selbst die würden mit einem Erfasser feststellen, dass deine Konzentration nicht gewollt abgenommen hat. Auch eine Art auszudrücken, dass man bald nicht mehr kann, weil man sich am Anfang total übernommen hat. Was glaubst du, warum ich dich erst mal so weit herankommen lassen habe! Die Sterblichen haben ein interessantes Bild! Du kennst doch sicher auch die Geschichte vom Fuchs und den Trauben!“ „Interessant!“, meinte Tolea. „Aber du kennst doch dann hoffentlich auch das Sprichwort der Sterblichen, dass Hochmut vor dem Fall kommt!“

Stunden hatte jenes Duell jetzt schon gedauert und Tchian hatte im Geheimen seinen Erfasser gezogen. Damit hatte er festgestellt, dass sich bereits beide Mächtigen ziemlich verausgabt hatten. „Sie werden doch nicht etwa bis zum Tode kämpfen, Ausbilder.“, wendete er sich sorgenvoll an Diran. „Nur die Ruhe, mein Schüler.“, beruhigte dieser ihn. „Dazu ist jedem das eigene Leben viel zu lieb.“ „Hoffen wir das.“, erwiderte Tchian mit zitternder Stimme.

Plötzlich gab es einen seltsamen schwarzweißen Blitz und der Stein landete auf Kairons Seite des Quadrates. Der Blitz hatte auch den Erfasser derart in Mitleidenschaft gezogen, dass der entstandene Kurzschluss Tchian die Hand versengt hätte, wenn ihm sein Ausbilder das Gerät nicht in letzter Sekunde aus der Hand geschlagen hätte. „Was war das?“, fragte Tchian erschrocken. „Das weiß ich auch nicht genau.“, entgegnete Diran. „Aber zeig mir erst mal deine Hand. Hast du Schmerzen?“ Tchian verneinte und streckte seine Hand aus. Diran betrachtete sie lange und sagte dann: „Ist nur das Fell. Spätestens, wenn du heiratest, ist alles wieder gut.“ Er sah zu Boden auf die Trümmer des Erfassers: „Das Gerät kann niemand mehr gebrauchen.“ „Dabei würde es alles beweisen.“, sagte Tchian traurig. „Ich glaubte, ich hätte einen schwarzweißen Blitz gesehen.“

Tolea kam stolz auf sie zu. „Alles, was du gesehen hast, war mein Sieg, Vendar-Novize. Also darf ich auch meinen Neffen nach meinem Willen bestrafen. So war es vereinbart.“ Sie sah auf die andere Seite zu ihrem ohnmächtigen Bruder herüber. „Von ihm werde ich wohl keinen Einspruch zu erwarten haben. Diran, schaff ihn mir aus den Augen.“ „Wohin soll ich Euren Bruder Bringen, Gebieterin?“, fragte Diran. „Ist mir gleich.“, sagte Tolea. „Ich habe jetzt erst mal Wichtigeres zu tun! Komm her, Clytus!“

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