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Der Morgen war über dem Lager angebrochen, das sich Shimar aufgebaut hatte. Beim ersten Sonnenstrahl war er aufgestanden und hatte mit dem Training für seinen Körper und seinen Geist begonnen. Dabei hatte er das Gefühl, dass sein Geist seinem Körper trotz Medizin einiges im Voraus war. Er hatte sich bereits sehr früh kleine mentale Kunststücke mit Kieselsteinen zugetraut, aber erst gestern hatte er einen ganzen Spaziergang um das Lager geschafft. Aber am weitesten war sein Unterbewusstsein gewesen, hatte er festgestellt, da er unsere gemeinsamen Träume sehr gut kontrollieren konnte. Die Scans mit dem eigenen Erfasser hatten ihm gesagt, dass sein Gehirn wohl nicht dauerhaft geschädigt sein würde. Nur vor den eigenen Kochkünsten graute es ihm jeden Morgen aufs Neue. Zwar hatte er sich aus Feldsteinen eine Art Herd gebaut, in den er seinen Phaser steckte, um die Steine damit zu erhitzen, aber die Zusammensetzung der gesammelten und erjagten Lebensmittel machte ihm immer noch Schwierigkeiten. Aber, der Hunger trieb es rein. Shimar fragte sich, ob sich dieser Umstand noch einmal ändern würde. Auch eine Art Diary hatte er sich angelegt. Allerdings blies der Wind in der Nacht seine Einträge sofort weg, da er sie mit einem Stein in den Sand malte. Aber das war auch ganz gut so. Der Wind und die Nacht waren also im Grunde seine Verbündeten, denn was er am anderen Morgen nicht mehr lesen konnte, war definitiv Vergangenheit und somit auch kein Ballast mehr, den er mit sich in seiner Seele herumschleppen würde. Er konnte sich jetzt ganz darauf konzentrieren, nach vorn zu sehen.

Kipana trug mich hinter dem Signal meines Erfassers her. Ich hatte das Gerät so eingestellt, dass es mir mittels eines sich in der Geschwindigkeit verändernden Signals anzeigte, ob ich mich Shimar näherte oder nicht. Zwar hatte ich ihn auf durchschnittliche tindaranische Lebenszeichen einstellen müssen, weil es technisch keine andere Möglichkeit gab, aber Shimar würde ja der einzige Tindaraner sein, den ich finden würde. Mehr waren meines Wissens nicht in dieser Dimension. Wir folgten also im Schritt dem Signal, das ich über meinen Ohrhörer wahrnahm. Da es schneller wurde, wusste ich bald, dass wir auf dem richtigen Weg waren. Ich hatte den Erfasser außerdem programmiert, mir bei 10 m Annäherung eine verbale Warnung zukommen zu lassen, die ich auch bald zu hören bekam. Vorsichtig nahm ich die Zügel auf und Kipana hielt an. Ich klopfte sie und stieg dann ab. Die Zügel verknotete ich mit dem Riemen am Sattel, den Argus für alle Fälle dort befestigt hatte. Er erleichterte mir das Aufsteigen, da ich meine Hände in ihm gut verankern konnte. Das war wohl für Kipana und mich das Beste. Aber auch jetzt war der Riemen praktisch, weil ich mit seiner Hilfe verhinderte, dass Kipana, wenn sie den Kopf senken sollte, die Zügel über die Ohren rutschen könnten. So konnten sie auch für sie nicht zur Stolperfalle werden.

Ich führte Kipana zu einem nahen Baum und sagte fest: „Warte!“ Als ausgebildetes Schlachtross kannte sie dieses Kommando gut. Deshalb blieb sie stehen und senkte entspannt den Kopf. Ich streichelte sie und drehte mich dann in Richtung des Erfassersignals. Die Intervalle zwischen den Pieptönen waren jetzt kaum noch wahrzunehmen, was mich schließen ließ, dass ich Shimar schon sehr nah sein musste. „Bist du hier, Srinadar?“, fragte ich auf Tindaranisch.

Das Nächste, was ich bemerkte, war eine Hand, die mich zog und dann einen nassen Kuss. „Aber sicher doch.“, sagte eine bekannte Stimme. „Oder glaubst du deinem Erfasser etwa nicht, Kleines?“ „Oh, doch.“, sagte ich überglücklich.

Er drehte sich fort und setzte sich. „OH, das war wohl schon etwas zu viel.“, stöhnte er. „Geht es dir schlecht?“, fragte ich. „Das kann man wohl sagen.“, sagte er. „Wie sonst sollte man sich wohl fühlen, wenn man vermutlich einen Wirbel beim Transport gestreift hat.“ „Du hast dich durch die Wirbel gebeamt?!“, fragte ich entsetzt. „Ich hatte keine Wahl, Kleines.“, sagte er. „Sytania hat … Ach, hätte ich doch nur IDUSA gehabt. Dann hätte ich es ihr gezeigt. Weißt du vielleicht, wo sie ist? Ich meine, Zirell hätte …“ „Sie ist eingesperrt in einen Kometen.“, klärte ich ihn auf. „Kissara und ich haben sie gesehen und sie zunächst mit Lycira in Sicherheit gebracht. Aber wir konnten sie nicht befreien. Der Komet absorbiert Waffenenergie und zwischen der Hülle und ihrer Hülle ist quasi kein Platz.“ „Den Rest kann ich mir denken.“, sagte Shimar und versuchte, auf die Beine zu kommen. „Lass das!“, kommandierte ich und zog ihn wieder hinunter. „Du bist total unkoordiniert und wir würden es so nie zu Logar schaffen. Aber vielleicht kriegen wir dich auf die Dickmaus.“

Kaum hatte ich ausgesprochen, da hörte ich das vorsichtige Setzen von Hufen hinter mir. Kipana musste sich aus irgendeinem Grund entschlossen haben, den Platz, den ich ihr zugewiesen hatte, zu verlassen und zu mir zu kommen. Wahrscheinlich hatte sie das Gefühl, gebraucht zu werden. Ihr sensibles Gehör konnte ihr aber auch verraten haben, dass soeben ihr Spitzname gefallen war.

Sie ging mit gesenktem Kopf auf Shimar zu. An ihrer intensiven Atmung bemerkte ich bald, dass sie an ihm schnupperte. Dann stellte sie die Hufe gespreizt hin und machte mit dem gesamten Körper eine leichte Abwärtsbewegung. Ich wusste, dass zu ihrer Ausbildung auch gehört hatte, sich abzulegen, damit man einen kranken Soldaten auf ihren Rücken befördern konnte. Allerdings trug sie dann ein Geschirr, auf dem man diesen festschnallen konnte. Aber dass sie dies auch mit dem Geruch nach verletztem Tindaraner verband, erstaunte mich dann doch. „Feine Dickmaus!“, bestärkte ich sie in ihrer Handlung, was dazu führte, dass sie sich ganz ablegte. Dann wandte ich mich an Shimar: „Dreh dich zum Sattel und versuche, dein Bein drüber zu legen. Dann fasst du in den Riemen am Sattelhorn und ziehst dich rüber, was das Zeug hält. Ich helfe dir.“ „Denkst du, dass sie mit meinem Gewicht noch aufstehen kann?“, fragte Shimar sorgenvoll. „Da lacht die drüber, du halbe Portion!“, zischte ich. „Die trägt sonst Ritter, die mit Rüstung mehr wiegen als wir beide zusammen und jetzt vorwärts!“ „Aye-Aye, Ma’am.“, scherzte er und machte sich daran. Ich löste die Zügel vom Riemen, denn sonst hätten sie Kipana arg im Maul gerissen, wenn sich Shimar hochgezogen hätte. „Zieh, zieh, zieh, zieh!“, motivierte ich ihn, während ich von hinten nachschob. „Gib alles!“ „Stopp!“, sagte Shimar schließlich. „Sonst hast du mich gleich drüber geschoben.“ Das war ein sicheres Zeichen, dass es geklappt hatte. „So weit, so gut.“, sagte ich erleichtert. „Und jetzt halt dich fest. Sie wird zuerst vorn aufstehen. Konzentriere dich darauf, sie immer dort zu entlasten, wo sie das tut. Aber pass auf, wie weit du dein Gewicht verlagerst. Sonst müssen wir wieder von vorn anfangen.“ „OK.“, sagte Shimar und atmete tief durch.

Ich ging vor zu Kipanas Kopf, machte mich vor ihr groß und streckte meinen rechten Arm horizontal aus. Dann sagte ich: „Auf, Kipana!“ und hob die Hand. Sie folgte vorsichtig meinem Kommando. „Was sagt man dazu.“, sagte Shimar. „Ich sitze immer noch hier oben. Aber du solltest auch nicht laufen müssen. Sonst sind wir viel zu langsam.“

Sein Tonfall hatte sich geändert. Ein Umstand, der mir sagte, dass er sich auf etwas zu konzentrieren schien. Außerdem war er hinter den Sattel gerutscht, in dem ich mich nach einer Schwebeeinlage wieder fand. „Das war unfair.“, protestierte ich lachend. „Das wollte ich auch nicht. Wieso …“ „Ein Teil von dir muss es gewollt haben.“, sagte er und schlang seine Arme um mich, um dann zu grinsen: „Ich wäre dann so weit.“ Ich wusste, dass es sinnlos war zu widersprechen. Dazu wusste ich viel zu genau, dass er Recht hatte. Ich steckte also meine Füße in die Steigbügel, entknotete die Zügel und nahm sie in die Hände. Dann schnalzte ich Kipana zu: „Na komm!“, worauf sie sich gleich in Schritt setzte.

Verärgert saß Sytania mit Telzan vor dem Kontaktkelch. „Ich hatte Euch gewarnt, Gebieterin.“, sagte der Vendar. „Ja, das hast du.“, gab die Prinzessin zu. „Warum muss ich nur so eitel sein und warum müssen diese Offiziere das so genau wissen. Vor allem dieses Tindaranerliebchen! Das war garantiert ihre Idee!“ „Mit Verlaub, Herrin.“, begann Telzan. „Sie ist eine Frau wie Ihr, aber lange nicht so eitel. Aber sie kann sich denken, wie eitle Frauen sich verhalten. Sie weiß, dass Ihr es nicht ertragt, wenn …“ „Ich weiß, ich weiß!“, empörte sich Sytania. „Aber wir haben jetzt ein viel dringenderes Problem. Shimar und Betsy dürfen nie den Ort erreichen, an dem die Quellenwesen ihnen die Prüfung abnehmen werden. Sonst ist alles aus! Ich habe in die Zukunft gesehen.“ „Dann erlaubt mir und meinen Leuten bitte, dieses Problem für Euch zu lösen, Milady.“, schlug der Vendar vor. „Shimar wird mit einer mentalen Einmischung Eurerseits rechnen, aber mit dem, was ich vorhabe, mit dem nicht. Ihr dürft uns gern zusehen. Ich erbitte von Eurem Stallburschen nur 10 Rösser für mich und neun meiner Männer. Mehr verlange ich nicht.“ „Die Bitte sei dir gewährt.“, sagte Sytania und schickte nach dem Burschen.

Clytus hatte auf der Krankenstation der Basis 281 Alpha die Augen aufgeschlagen. Die erste, die er sah, war Nidell, die den Rest seiner Verwandlung am Monitor überwacht hatte und ihn jetzt von den medizinischen Geräten abkoppelte. „Wo bin ich?“, fragte der Junge. „Du befindest dich auf der Krankenstation der Basis 281 Alpha.“, sagte Nidell vollständig, denn sie ging wohl davon aus, dass die Verwandlung Clytus’ Gedächtnis etwas zugesetzt hatte.

„Möchtest du einen Spiegel?“, fragte die medizinische Assistentin fürsorglich und hielt ihm den genannten Gegenstand vor. Clytus war erleichtert, wieder sein eigenes Gesicht im Spiegel zu sehen. „Du bist Nidell.“, stellte er fest. „Ja.“, bestätigte die junge zierlich gebaute Tindaranerin. „Erinnerst du dich an noch mehr?“ Clytus nickte. „Ich erinnere mich an alles. Ihr müsst keine Angst haben, dass …“

Ihn und die junge Telepathin, die ihre Fühler auch aus Gründen der gesundheitlichen Überwachung nach seinem Geist ausgestreckt hatte, überkam ein Gefühl, als würde eine Welle der Energie durch sie strömen. „Oh, Nidell!“, rief Clytus aus. „Ich glaube, meine Kräfte sind auch wieder da. Vielleicht können wir …“ „Langsam.“, bremste Nidell beschwörend seinen Tatendrang. „Du bist ja noch nicht mal ganz gesund. Ich bin sicher, dass du durch die Verwandlung noch sehr geschwächt bist. Du solltest dich ausruhen. Die Lösung für die Zeitlinie hat sicher noch Zeit.“ „Nein, wir haben keine Zeit!“, rief Clytus. „Ich kann Shimar und Betsy sehen! Sytania wird … Oh, Gott!“

Er fiel nach hinten und wurde blass. Nidell erkannte, dass sein Kreislauf mit der Situation wohl immer noch nicht ganz zurechtkam. Sofort winkte sie Ishan. Der Androide kam herüber und schaute seinen Patienten kurz an, bevor er sagte: „OK, Nidell. Wir geben ihm 10 ml Kreislaufstimulanz. Er mag zwar ein Mächtiger sein, aber das bedeutet nur, dass ihm unsere Waffen nichts anhaben können. Wenn er sich bezüglich seiner Kräfte überfordert, kann das auch ins Auge gehen und er ist ja erst seit einigen Minuten wieder er selbst.“ „Schon verstanden.“, sagte Nidell und zog das Medikament auf, um es Clytus zu injizieren.

Lycira hatte mit Kissara an Bord gerade die interdimensionale Schicht verlassen. Denkst du, dass Betsy Shimar wirklich finden wird, Kissara?, fragte Lycira. Ich denke schon., gab Kissara auf gleichem Wege zurück, nachdem sie ihre Hände in die Mulden gelegt hatte. Wenn Shimar nicht mehr leben würde, dann hätte sie es sicher mitbekommen und es uns bestimmt gesagt. Wie könnte so eine Prüfung aussehen, Kissara?, wollte das Schiff wissen. Das weiß ich nicht., erwiderte Kissara. Aber Betsy weiß es. Sie war einmal auf der Electronica stationiert, als Time und seine Leute eine solche Prüfung ablegen mussten. Sie wird es sicher erkennen. Aber ich habe mir sagen lassen, dass die Quellenwesen nie offensichtlich zeigen, wann eine Prüfung eine Prüfung ist. Das wird die Sache wohl etwas erschweren. Also, wenn ich ein Quellenwesen wäre., erwiderte Lycira. Dann würde ich auch nicht offensichtlich machen, dass ich jemandem, besonders einem in Anpassung an andere Kulturen und Diplomatie geschulten Sternenflottenoffizier, gerade im Begriff bin, eine Prüfung abzunehmen. Warum nicht?, fragte Kissara. Weil ihr mir garantiert dann ein Theater vorspielen würdet.

Kissara musste schlucken. Im Prinzip hatte dieses Raumschiff gerade die Wahrheit gesagt. Natürlich würden sich Sternenflottenoffiziere alle Mühe geben, die Prüfung, wenn sie wüssten, es wäre eine, in der Art zu bestehen, wie sie dachten, dass die Quellenwesen es hören wollten. Bitte entschuldige, Kissara., meinte Lycira. Aber du wolltest meine ehrliche Meinung. Das ist richtig., bestätigte die thundarianische Kommandantin. Aber wenn wir überrascht werden, dann zeigt sich viel eher unsere wahre Natur. Du meintest es ja sicher auch nicht vorwurfsvoll.

Joran und IDUSA hatten den erneuten Anflug meines Schiffes auf die Station bemerkt und meldeten es Zirell. „Sind beide an Bord, Joran?“, erkundigte sich die Tindaranerin, die inzwischen durch Ishan und Nidell auch über die Vorgänge auf der Krankenstation informiert worden war. „IDUSA sieht nur ein Biozeichen, Anführerin.“, meldete Joran. „Es ist thundarianisch.“ „Kannst du mich mit Commander Kissara verbinden?“, fragte Zirell. „In der Tat.“, entgegnete der Vendar und gab IDUSA die entsprechenden Gedankenbefehle, während Zirell ihren Neurokoppler aufsetzte und wartete, bis IDUSA ihre Reaktionstabelle geladen hatte. Dann sah sie Kissaras Bild auf dem virtuellen Schirm vor ihrem geistigen Auge. „Hallo, Zirell.“, sagte mein Commander. „Ich bin zurück. Allrounder Betsy sucht nach Shimar. Wir haben die Quellenwesen dazu gebracht, zu erlauben, dass sie mit ihm gemeinsam eine Prüfung ablegt, die etwas mit der einzig möglichen Lösung zu tun hat. Logar wollte uns helfen, aber die Quellenwesen hätten es nicht erlaubt, wenn ich nicht diesen Vorschlag gemacht hätte. Ach, ich docke besser erst mal und dann treffen wir uns in deinem Raum und bereden alles. Wie geht es übrigens Clytus?“ „Uff!“, stöhnte Zirell. „Nicht alles auf einmal, Kissara. Aber ich kann dir schon mal verraten, dass du bezüglich Clytus ganz schön was verpasst hast. Aber wie du schon selbst sagtest, das regeln wir später. Joran wird dich gleich einweisen. Ich werde dich erwarten und freue mich schon!“ „OK.“, sagte Kissara und beendete die Verbindung. Joran, der das Gespräch mitbekommen hatte, instruierte IDUSA entsprechend bezüglich der Positionslichter.

Shimar und ich waren jetzt schon seit einigen Stunden unterwegs. Ich war froh, dass die Wirkung des Giftes, das uns Maron mitgegeben hatte, offensichtlich längst nachgelassen hatte, denn sonst hätte mich Shimar ja nicht telekinetisch in den Sattel befördern können. Aber ich hatte ja schließlich mehr als fünf Stunden gebraucht, um ihn zu finden. Jetzt lag sein Kopf auf meiner Schulter und ich sang leise vor mich hin, was Kipana und uns gleichermaßen zu entspannen schien. Aber bei Shimar musste es auch noch eine andere Wirkung haben, denn plötzlich richtete er sich auf und sagte: „Halt sie bitte an, Kleines.“ Alarmiert nahm ich die Zügel auf und sagte an Kipana gewandt: „Steh, Dicke!“ Sie stoppte weich. „Was hast du?!“, fragte ich in Schimars Richtung. „Ist etwas nicht in Ordnung?“ „Im Gegenteil.“, lächelte er, der einige Male seinen Kopf gedreht hatte. „Ich sehe wieder klar und mein Schwindel ist auch weg. Oh, Kleines, deine Frequenzen.“ Ich wusste genau, was er meinte. Auf diese Weise hatten wir ihn schon mal geheilt. „Und ich dachte schon!“, atmete ich auf und löste mich aus meiner leicht verkrampften Haltung, die ich aus Schreck angenommen hatte. Dann schnalzte ich Kipana zu, die sich wieder in Bewegung setzte.

Telzan und seine Leute hatten sich hinter einigen Bäumen in einem nahen Wald versteckt. Sie wussten genau, dass wir diesen durchqueren mussten, um zu Logars Schloss zu kommen. „Durch diese hohle Gasse werden sie kommen.“, flüsterte der Anführer über sein Sprechgerät seinen Leuten zu. „Es führt kein anderer Weg zu Logar.“

Wir ahnten von dem Hinterhalt nichts. „Sag mal.“, sagte Shimar. „Du hast doch so eine Prüfung schon mal mitgemacht. Wie sieht sie aus?“ „Kann ich nicht sagen.“, antwortete ich. „Ich weiß nur, dass die Quellenwesen sie je nach Situation anders stricken. Aber …“

Kipana wurde plötzlich unruhig und fragte durch eine entsprechende Bewegung an, ob sie galoppieren durfte. Ich kannte dieses Verhalten nur von ihr, wenn etwas nicht stimmte. Deshalb vertraute ich ihr und ließ die Zügel locker, was sie korrekt als ein Ja interpretierte. „Zieh dich an mich heran.“, flüsterte ich Shimar zu. „Halt dich fest und versuche, ihren Bewegungen mit mir zusammen zu folgen.“ Inzwischen hatte ich auch mitbekommen, dass wir verfolgt wurden. Aber sie waren nicht nur hinter uns, sie waren quasi überall. „Wir sind eingekesselt, Kleines!“, gab mir Shimar zu verstehen, der sich umgesehen hatte. „Also gut.“, sagte ich. „Planänderung! Auf der Flucht verunfallt! Pass auf! Wenn ich es sage, lässt du mich los und lässt dich fallen. Roll dich ab, aber verrate mir vorher, ob es in diesem Wald viele Boden brütende Vögel und Kaninchenbauten gibt.“ „Ja.“, sagte Shimar. „Die gibt es. Aber was soll uns das nützen?“ „Vertrau mir einfach, OK?“, sagte ich etwas unwirsch, denn ich wollte auf keinen Fall zu viel von unserem Plan verraten. Die Vendar hätten ja alles mithören können, so nah, wie sie waren. Ich bezweifelte, dass die Geräusche der klirrenden Rüstungen und donnernden Hufe unsere Unterhaltung lange verschleiern würden.

Er ließ mich plötzlich los, ein Zeichen, dass er wohl mit dem Plan einverstanden war. Darauf beugte ich mich zu Kipanas rechtem Ohr vor und flüsterte: „Häschen, hüpf!“ Dann warf ich die Zügel unordentlich über ihren Hals. Es sollte ja aussehen, als hätte sie sich vor einem auffliegenden Vogel oder einem aufspringenden Kaninchen erschrocken und uns abgeworfen. Ich wusste, nach unserem Sturz würde sie heim laufen. Jetzt aber vollführte sie Bocksprünge, von denen wir uns abschütteln ließen und uns nach dem Abfangen ins Gras duckten und uns tot stellten.

„Sie sind weg, Kleines.“, flüsterte mir Shimar nach einer Weile zu. „Und, kannst du mir vielleicht mal verraten, was das war?“ „Ich habe Kipana mit Argus zusammen ein deutsches Kommando beigebracht.“, sagte ich. „Die Vendar verstehen das nicht. Sie werden glauben, sie hätte sich erschrocken. Nur Argus und Iranach werden es richtig interpretieren können. Sie wissen, dass Kipana eigentlich keine Angst vor Kaninchen oder Vögeln hat.“ „Wow!“, machte Shimar, stand auf und wischte sich den Dreck von der Uniform, wonach er auch mir dabei half. „Stell dir mal vor, diese Uhurah hätte irgendeinem Wesen was auf Suaheli beigebracht. Die hätten ihre Feinde sicher so auch prima verarschen können.“ Ich grinste.

Er nahm meine Hand und führte mich einige Schritte geradeaus. „Dort vorn ist eine Lichtung.“, begründete er. „Dort werden wir erst einmal bleiben. Es wird dunkel und du bist sicher auch müde. Wenn die Vendar ihrer Herrin ausgerichtet haben, dass wir einen Unfall hatten, wird Sytania uns nicht mehr weiter verfolgen, weil es ihr bequem ist. Außerdem sehe selbst ich die Hand vor Augen nicht im Dunkeln.“ „OK.“, gähnte ich, denn ich spürte jetzt auch, dass ich sehr müde war.

Telzan war zurückgekehrt. Sytania hatte ihn bereits im Schlosshof erwartet. „Nun?“, fragte sie den über beide Ohren grinsenden Vendar. „Sie sind nicht mehr am Leben.“, sagte Telzan. „Ihr Ross hat sie abgeworfen aus vollem Galopp und sie werden sich das Genick gebrochen haben. Stellt Euch das vor. Die ach so unerschrockene Kipana, das Lieblingsross Eures Vaters, hat sich vor einem auffliegenden Vogel erschrocken!“ Sytania glaubte ihm. Natürlich hätte sie mit Hilfe ihrer seherischen Fähigkeiten nachsehen können, aber sie gefiel sich selbst dazu viel zu sehr in der Rolle der Siegerin. Nachzusehen empfand sie daher eher als lästig. Dass sie das aber besser getan hätte, stand auf einem anderen Blatt.

Zirell hatte auch Nidell mit Clytus zu sich in ihren Bereitschaftsraum geholt. Ishan hatte sein OK gegeben, denn unter medizinischer Aufsicht war es durchaus zu vertreten, den Jungen aufstehen zu lassen. „Was Kissara wohl sagen wird.“, sagte Clytus neugierig. „Das werden wir gleich sehen.“, sagte Zirell, die bereits Kissaras Anwesenheit erspürt und IDUSA den Befehl zum Öffnen der Tür gegeben hatte.

„Clytus!“, staunte Kissara, als sie ihm ansichtig wurde. „Du bist ja wieder gesund.“ „Wie man’s nimmt.“, antwortete Zirell. „Er ist noch nicht ganz wieder auf dem Damm. Ich wollte dir nur zeigen, wie weit er geheilt ist.“ „Ich kann euch über alles informieren!“, rief Clytus eifrig. „Das ist ja sehr gut.“, sagte Kissara. „Aber mehr solltest du fürs erste auch nicht tun, junger Mann. Sonst erleidest du noch einen Rückfall. OK?“ „OK, Commander.“, sagte Clytus. „Dann nehme ich ihn jetzt erst mal wieder mit.“, sagte Nidell und nahm ihren Patienten bei der Hand, um mit ihm den Raum zu verlassen.

„Anscheinend hat der Plan geklappt, Sytania bei ihrer Eitelkeit zu packen.“, stellte Kissara fest. „Aber du musst mir genau erzählen, wie es dazu gekommen ist.“ „Oh, sicher.“, sagte Zirell und lehnte sich auf ihrem Sitzkissen zurück.

Argus hatte die völlig verschwitzte Kipana am Tor abgeholt. Zur gleichen Zeit hatten auch Iranachs Spione in den Reihen von Sytanias Vendar ihrer Anführerin gemeldet, was angeblich geschehen war. Iranach hatte es Logar weitergemeldet. „Ungeheuerlich!“, sagte der König. „So ein Unglück. Dabei hätte ich nie gedacht, dass Kipana …“ „Das ist sicher genau das, was wir alle denken sollen, Gebieter.“, sagte Iranach, die Argus und mich des Öfteren mit Kipana beobachtet hatte. Immer, wenn ich es einrichten konnte, ins Dunkle Imperium zu kommen, hatten wir Trainingsstunden eingelegt. „Und das werde ich Euch jetzt beweisen, wenn Ihr schon nicht mittels Eurer Fähigkeiten den Beweis selbst antreten wollt! Argus, wenn du es aussprechen kannst, dann sag es!“

„Häschen, hüpf!“, rief Argus Kipana zu, die sogleich mit Bocksprüngen begann, die selbst den besten Reiter aus dem Sattel gehoben hätten. „Wie klug!“, lächelte Logar. „Meine Tochter wird sicher darauf hereinfallen. Sie ist zu bequem, um nachzusehen. Ich aber nicht, Iranach. Du hast mich überzeugt!“ Damit begann er, sich auf Shimar und mich zu konzentrieren. „Ja, sie leben.“, bestätigte er. „Und sie werden die Prüfung bald ablegen können. Meine Tochter wird ganz schön überrascht sein.“ „In der Tat.“, lachte Iranach und folgte ihrem König ins Schloss. Argus kümmerte sich um Kipana, die er durch ein einfaches: „Ruhig, steh.“, wieder zum Halten gebracht hatte.

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