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Shimar war zuerst erwacht. Er sah, dass wir uns in einer Art Scheune befinden mussten, denn rechts und links von uns waren Heuballen und unter uns war alles voll Stroh. Außerdem roch es nach Bauernhof. Das Nächste, dem er ansichtig wurde, waren die Nasen von zwei großen zotteligen Hunden, die sich über uns beugten und unsere Gesichter abzulecken versuchten. „Na, meine Süßen.“, flüsterte er den Hunden zu. „Ihr solltet wohl auf uns aufpassen, was?“

Einer der Hunde, ein älterer schwarzer stämmig gebauter Rüde mit bereits grauem Bart, setzte sich genau vor ihm hin und schaute ihn freundlich an. Die weitaus jüngere Hündin, ein schlankes großes Tier mit weißem Fell und ebenfalls freundlichem Wesen, tapste zu mir und leckte mich wach. „Hi, Maus.“, sagte ich verschlafen. Dann wandte ich mich an Shimar: „Wo sind wir?“ „Ich weiß es nicht, Kleines.“, gab er zu. „Aber ich glaube, wir sind auf einem Bauernhof.“ „So weit war ich auch schon.“, erwiderte ich, nachdem ich eine Nase voll frischer Landluft genommen hatte. „Aber wie kommen wir hier her?“

Er setzte sich auf. „Lass es uns herausfinden!“, schlug er vor. „Wo ein Bauernhof ist, der offensichtlich noch bewirtschaftet wird, gibt es bestimmt auch einen Bauern. Wenn wir den und seine Familie finden, dann erfahren wir bestimmt mehr. Ich bin sicher, der hat was damit zu tun. Wir werden ja nicht von allein hierher geflogen sein.“ „Wo du gerade vom Fliegen redest.“, erwiderte ich. „Wir müssen unbedingt IDUSA befreien.“ „Das habe ich schon versucht.“, sagte er resignierend. „Aber du weißt ja, dass ich meine Fähigkeiten nicht interdimensional nutzen kann.“

Ich stand auf und sagte mit Überzeugung: „Benutz mich!“ „Kleines!“, entgegnete er peinlich berührt. „Nicht was du jetzt denkst.“, korrigierte ich. „Ich meinte, du sollst den Gedankenbefehl durch mein Gehirn leiten. Es ist mit Savarid-Strahlung infiziert und …“ „Aber sicher.“, sagte er. „Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Aber du wirst eine Menge aushalten müssen.“ „Das geht schon.“, versicherte ich. „Hauptsache dein Schiff kommt frei!“

Dass wir nicht nur von den Hunden belauscht worden waren, wurde uns plötzlich klar, als hinter einem Heuballen drei Gestalten hervorhuschten. Es handelte sich um einen Mann von ca. 1,80 m Größe mit roten Haaren und einer von harter Arbeit an der frischen Luft gegerbten rotbraunen Haut. Sein Körper war sehr muskulös. Außerdem eine Frau mit schwarzen langen Haaren von ca. 1,60 m Größe, die sehr schlank war. Begleitet wurden die Beiden von einem etwa 8-jährigen Mädchen mit rotbraunen Zöpfen. „Na, wie ich sehen kann, seid ihr wach.“, stellte der Mann fest und rief: „Lina, Vasco!“ Dann pfiff er, worauf die beiden Hunde sofort in seine Richtung wetzten. Er strich beiden über den Kopf und sagte: „Sitz und bleib!“ Bereitwillig folgten sie seiner Aufforderung in der Ecke der Scheune, in die er sie dirigiert hatte.

Er kam wieder zu uns und seiner Familie herüber. „Na, sieh an, sieh an.“, sagte er. „Dass ihr zwei keine Imperianer seid, wussten wir, seid dem Moment, als wir euch gefunden hatten. Aber jetzt wissen wir auch, dass ihr aus Astra jenseits der Wirbel kommt. Ach übrigens, ich bin Isenhard, das ist meine Frau Hulda und das unser Töchterchen Dietlinde.“ „Angenehm.“, sagte Shimar. „Ich heiße Shimar und das ist Betsy. Wir kommen tatsächlich …“

Weiter kam er nicht, denn das helle Stimmchen der Kleinen quietschte dazwischen: „Wer is’ IDUSA und was für ’n Schiff? Bist du Fischer, Shimar?“

Mein Freund setzte einen hilflosen Blick auf und nahm telepathischen Kontakt zu mir auf: Hilf mir, Sternenflottenoffizierin! Nanu., gab ich über unsere Verbindung zurück. Wir werden auf solche Situationen mit Seminaren vorbereitet. Macht ihr das beim tindaranischen Militär nicht? Eigentlich ja., gab Shimar zu. Aber ich war ein böser Junge und habe mich immer um diese Kurse gedrückt, weil ich dachte, ich käme nie in so eine Situation, jemandem aus einer primitiven Kultur … Tja., machte ich. Die Rache ist mein, spricht das Schicksal. Aber, Srinadar, weil ich dich so liebe, werde ich dir aus der Patsche helfen. Bitte tu das., erwiderte er. Ich will auch alles nachholen! Ich will sogar zur Abendschule gehen, wenn du … OK, OK., lächelte ich und sagte: „Weißt du, Dietlinde, wir in Astra haben Schiffe, die auf Kissen aus Licht über den Sternenhimmel fahren wie Boote über den Fluss und IDUSA ist ein dienstbarer Geist, der Shimar hilft, das Schiff zu lenken. Aber jetzt ist IDUSA mit dem Schiff von Sytanias Schergen in einen Stern gesperrt worden, aus dem sie nicht mehr herauskommt. Shimar und ich wollen sie befreien.“ „Arme IDUSA.“, schluchzte Dietlinde. „Sie hat sicher Angst so allein in dem Stern. Kann ich euch helfen, sie zu befreien? Bitte, bitte, bitte.“

Jetzt musste auch ich schlucken, zumal Hulda und Isenhard jetzt auch entsprechende Andeutungen machten. „Wir würden gern alles tun, um Sytania nicht mit ihrem Plan durchkommen zu lassen.“, sagte Hulda und Isenhard pflichtete bei: „Wie Recht du hast, Frau! Die alte Hexe muss in ihre Schranken gewiesen werden!“

Shimar zog mich in eine andere Ecke der Scheune. „Hör mal.“, flüsterte er. „Ich weiß, dass wir die Energie der drei gut gebrauchen könnten. Wenn sie liebevoll an IDUSA denken, könnte ich sie abzapfen und benutzen. Aber die Kleine, sie weiß doch noch gar nicht, was sie tut. Wenn sie Angst kriegt …“ „Wir könnten sie zwischen ihre Mutter und mich setzen.“, schlug ich vor. „Falls sie Angst bekommt, kann sie ihre Hände aus dem Kreis lösen und Hulda und ich stecken unsere zusammen. So wäre der Kreis nicht lang genug unterbrochen, dass du abbrechen müsstest. Ich denke, dass Hulda und ich eher merken, wenn mit ihr was nicht stimmt als Isenhard oder du, zumal du dich ja auf ganz andere Dinge konzentrieren musst.“ „Na gut.“, sagte Shimar und wendete sich an Isenhard: „Wir werden es versuchen!“ „Also dann.“, erwiderte der Bauer und drehte sich Richtung Scheunentor. „Wir sollten dazu aber ins Haus gehen. Dort in unserer Küche ist Platz genug und wir haben genug Sitzmöbel. Dass in Astra einige Wesen leben, die ähnliche Fähigkeiten wie unsere Mächtigen haben, ist für mich nicht neu. Sie sind bei euch zwar etwas schwächer, aber immer hin.“ Shimar staunte. Diese Bauern schienen doch intelligenter zu sein, als er zunächst vermutet hatte.

Auf Shimars Anraten hin hatte Isenhard die Hunde in den Hof geschickt. Tiere waren dafür bekannt, Telepathie zu spüren und er vermutete, es könnte sie überfordern, was wir tun würden. In der Bauernküche setzten wir uns also im Kreis in der von mir vorgeschlagenen Sitzordnung auf einige Stühle. Dann beschrieb Shimar allen das Aussehen des Schiffsavatars. „Ihr müsst ja ein Bild im Kopf haben.“, sagte er. „Und jetzt nehmen wir uns alle an den Händen und dann denkt bitte ganz lieb an IDUSA, so als wäre sie euer liebstes Wesen. Den Rest mache ich. Dietlinde-Maus, Falls du Angst hast, ziehst du einfach deine Hände aus denen von Betsy und deiner Mama und dann fassen sich die Beiden an.“ Alle nickten und taten, worum Shimar sie gebeten hatte. Dann zählte er bis drei und wir alle begannen, uns mit positiven Gedanken auf IDUSA zu konzentrieren. Alsbald durchzog uns alle ein merkwürdiger sich immer weiter verstärkender Strom von Energie. „Es kribbelt so.“, sagte Hulda. „Ist das richtig, Shimar?“ „Oh, ja, das ist es!“, entgegnete Shimar zuversichtlich. „Ihr macht das toll! Wenn ich sage, stellt ihr euch alle eine steinerne Kugel vor, die wie ein Ballon zerplatzt.“ „Ist alles in Ordnung, Süße?!“, flüsterte ich Dietlinde zu, die meine Hand fest umklammert hielt. „Aber ja, Betsy!“, erwiderte sie lächelnd. „Das macht Spaß! Außerdem will ich der armen IDUSA ja helfen!“ „Das ist mein Mädchen!“, sagte Isenhard stolz. Dann wendete er sich an Shimar: „Es ist sicher gleich so weit.“ „Du hast Recht.“, entgegnete dieser. „Du bist ein Naturtalent!“ Dann verstärkte er die eigene Konzentration noch einmal und sagte: „Und jetzt!“

Wir alle stellten uns die platzende Steinkugel vor. Im gleichen Moment durchzuckte uns ein weißer Blitz und das Kribbeln nahm nie gekannte Ausmaße an, bevor es schlagartig abebbte. „Das war toll!“, quietschte Dietlinde und sprang auf. „Das will ich gleich noch mal machen! Es hat so schön gekitzelt!“ „Ich fürchte, das schaffe ich nicht.“, sagte Shimar und gab den Erschöpften. „Aber morgen.“, sagte das Kind. „Morgen schaffst du das doch bestimmt.“ Sie sah ihn mit einem bettelnden Blick an. Dabei fiel ihr Blick auch auf seine Tasche, aus der ein leises Geräusch drang. „Bei dir piept’s!“, quietschte sie. „Was?“, fragte Shimar. „Dein Sprechgerät.“, flüsterte ich ihm zu. Ich hatte das Geräusch nämlich auch gehört. „Ich geh’ mal eben raus.“, sagte er, dem inzwischen doch wieder einige Verhaltensregeln im Zusammentreffen mit vergleichsweise primitiven Kulturen eingefallen waren. Dann stand er auf und verließ das Haus. Ich würde ihm irgendwann unter einem Vorwand folgen.

„Ich würde meinen Arsch verwetten, dass es funktioniert hat, Betsy!“, wendete sich Isenhard an mich. Dass in solch mittelalterlichen Kulturen ein derber Ton herrschte, war mir bekannt. „Dann kannst du dich sicher glücklich schätzen.“, sagte ich. „Denn du kannst ihn sicher behalten.“ Dann stand ich auf und sagte: „Ich gehe mal nach ihm sehen.“

Shimar saß mit seinem Sprechgerät und dem Ohrhörer in einem nahen Gebüsch, als ich mich näherte. „Ich danke Ihnen, Shimar.“, berichtete IDUSA ihm. „Ich weiß zwar nicht, wie Sie es angestellt haben, aber ich bin frei. Außerdem bin ich zu Ihnen und dem Allrounder unterwegs. Man weiß ja nie, wozu Sie mich noch brauchen.“ „OK.“, sagte Shimar. „Aber bleib in einer hohen Umlaufbahn, wenn du uns gefunden hast. Lass dir ja nicht einfallen, auf der Kuhweide zu landen!“ „Sie kennen mich doch.“, entgegnete das Schiff und beendete die Verbindung.

„Hat es funktioniert?“, fragte ich. Shimar, der mein Kommen nicht registriert hatte, schrak kurz zusammen. „Oh, ja.“, sagte er. „Das hat es und wie es das hat. IDUSA kommt her, aber sie wird in einer hohen Umlaufbahn bleiben, von der aus sie keiner sieht.“ „Ach, sieh an.“, lachte ich. „Du weißt ja doch noch so einiges. Aber ich bin froh, dass es geklappt hat. Isenhard wollte nämlich seinen Hintern drauf verwetten.“ „Dann kann er sich freuen.“, antwortete Shimar. „Den kann er nämlich behalten. Ohne sitzt es sich ja auch so schlecht.“ Ich grinste und sagte: „Aber ich muss dich in einem berichtigen. Isenhard und Hulda haben anscheinend keine Kühe, sondern Schafe und zwei Ackergäule.“ „Sei nicht so kleinlich.“, sagte Shimar. „Die würden sich schließlich auch erschrecken, wenn IDUSA …“

„Alles in Ordnung bei euch?“, quietschte uns plötzlich eine helle Stimme entgegen. „Ja, Mäuschen.“, sagte ich. „Dann könnt ihr ja zu uns ins Haus kommen.“, sagte Dietlinde. „Mutter und Vater wollen die Befreiung von IDUSA mit euch feiern.“ „Da sagen wir nicht nein.“, sagte Shimar und nahm mich bei der Hand.

Voller Wut hatte Sytania von dem Geschehen um uns Kenntnis genommen. „Wie konnte ich das übersehen?!“, empörte sie sich. „Aber so schnell werde ich mich nicht geschlagen geben. Ich werde Shimar und Betsy etwas demoralisieren und dazu werde ich die Bauern benutzen, denen ich empfindliches Leid zufügen werde. Dann werden Betsy und Shimar nicht mehr bei ihnen bleiben wollen, weil das, was ihnen geschehen wird, nur geschehen ist, weil sie anwesend waren und ich hinter ihnen her bin. Diese Botschaft werde ich sehr deutlich hinterlassen. Als Offiziere von Streitmächten, die niemals Zivilisten gefährden würden, werden sie sofort abfliegen wollen und dann hatte sich das was mit der Prüfung. Auf diese Weise werden sie in den Augen der Quellenwesen versagt haben und es wird keine Lösung geben. Dann bleibt alles wie es ist!“ „Und was wollt Ihr mit den Bauern machen?“, fragte Telzan schadenfroh. „Ich werde sie vernichten.“, antwortete Sytania. „Und zwar auf eine nie da gewesene grausame Art. Shimar und Betsy werden sich wünschen, nie auf ihren Hof gekommen zu sein!“ Sie lachte hexenartig auf.

Shimar und ich hatten uns jetzt schon während mehrerer Tage bei Isenhard und Hulda nützlich gemacht. Von Urlaub auf dem Bauernhof hielten wir beide in der Hinsicht nichts. Wir dachten, dass wir zumindest etwas für Kost und Unterkunft tun könnten. Shimar half Isenhard bei der Feldarbeit und mit den Schafen. Ich half Hulda beim Verarbeiten der Wolle, also beim Stricken und Spinnen. Normalerweise hätte ich jedem etwas über die so genannte klassische Rollenverteilung erzählt, wären wir im Föderationsuniversum gewesen. Aber in dieser Kultur war es halt anders und als Sternenflottenoffizierin musste ich mich daran halten. Schließlich hatte ich meinen Eid auf die Oberste Direktive geschworen. Meine persönliche Meinung musste jetzt eben zurückstehen. Mich hatte nur gewundert, dass Isenhard jeden Abend so gut von Shimars Arbeit auch mit den Pferden sprach. Er hatte ihm nie etwas beibringen müssen. Alles wäre wie von selbst gegangen. Ich konnte das beim besten Willen nicht einordnen, vertraute aber darauf, dass er es mir schon bei Gelegenheit zeigen oder erklären würde.

Während der Handarbeit sang ich vor mich hin, was ich meistens tat. Dabei hatte ich begonnen, ein Lied zu komponieren, dessen Text ich auf die Melodie eines alten deutschen Seemannsliedes gründete. Das Lied sollte davon handeln, wie mutig Isenhard und seine Familie beim Befreien von IDUSA mitgeholfen hatten. Da ich auf Deutsch sang, verstand Hulda mich nicht und fragte daher: „Was singst du da?“ „Ach.“, sagte ich. „Es ist bei Weitem noch nicht fertig. Es geht darum, wie mutig doch einfache Bauern sein können. In den normalen Minneliedern geht es immer um Ritter und Könige, aber hier …“ „Auch, wenn ich es nicht verstehe.“, sagte Hulda und ließ die Stricknadeln auf den Tisch fallen. „Darf ich trotzdem hören, wie weit du bist?“ „Also gut.“, sagte ich, räusperte mich, legte ebenfalls die Nadeln weg und stand auf. Dann ging ich in die Mitte des Raumes und begann: „Einst kamen zwei Fremde von sehr weit her und an einer Bürde da trugen sie schwer. Sie sollten von Mächt’gen geprüfet sein, doch mussten IDUSA auch sie befrei’n. Ihr Schicksal rührte ein’s Bauern Herz. Gemeinsam zu lindern des Geistes Schmerz, so fragten die Bauern kann’s möglich sein, dass wir euch Hilfe lassen angedeih’n. Die Fremden willigten freudig ein, denn dies mussten Bauern mit Traute sein. Isenhard, Hulda und klein Dietlind’, die hatten Traute, die hatten Traute! Isenhard, Hulda und klein Dietlind’, die dann auch erfolgreich gewesen sind.“ „Ich habe kein Wort verstanden, außer unseren Namen.“, gab Hulda zu. „Aber an deiner Mimik habe ich erkannt, dass es wohl um unser gemeinsames Schicksal geht. Du kannst ja auch noch keine zweite Strophe komponieren, weil du noch keinen Inhalt hast. Aber ich kann dir etwas erzählen.“

Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und begann: „Wir sind Leibeigene von Lord Gayetan und seiner Gemahlin, Lady Ramina. Sytania hat beide mit einem Fluch belegt. Sie müssen jede Nacht ein Fest veranstalten, auf das sie nur ein einziges sterbliches Paar einladen. Dann tanzt Gayetan mit der Frau und Ramina mit dem Mann. Am nächsten Morgen sind alle, die bisher an dem Fest teilgenommen haben, zu Kristallen erstarrt. Unsere Lehnsherren bedauern dies sehr. Aber es geht nur, wenn man sich beim Tanzen in die Augen sieht, was ja zwangsläufig passiert.“ „Interessant.“, überlegte ich und dachte bei mir, dass dies eventuell mit der Prüfung zusammenhängen könnte. Gayetan und Ramina waren sicher nur niedere Adelige und konnten sich vielleicht gegen Sytania nicht wehren, vorausgesetzt, sie hatte wirklich etwas damit zu tun und alles war nicht nur ein Prüfungsaufbau der Quellenwesen. Allerdings machte mich irgendwas total sicher, dass dies unsere Prüfung sein würde. Ich würde mit Shimar darüber reden müssen. Ich glaubte, dass es irgendwie darum gehen könnte, das Unmögliche zu wagen.

Dazu, mit Shimar über die Sache zu reden, sollte ich aber so schnell nicht kommen, denn ein Tumult draußen versetzte alle in helle Aufregung. Eine Art Feuerwalze bewegte sich aus Richtung des Waldes auf den Hof zu. Alle Maßnahmen mit Löschwasser, die Shimar und Isenhard versuchten, halfen nichts. Der Tindaraner war in einer Zwickmühle. In Isenhards Beisein sich mit Sytania geistig zu duellieren würde vielleicht zu viele Fragen aufwerfen. Aber sie damit durchkommen lassen konnte er auch nicht. Was sollte er nur tun?

IDUSA war im Anflug. Mit ihren Sensoren hatte sie die wie aus dem Nichts entstandene Feuerwalze verfolgt und wusste genau, wie der Hase lief. Sie landete auf der Wiese, öffnete ihren Frachtraum und aktivierte den Bordlautsprecher. Dann ließ sie einige Laute hören, auf die hin die Tiere in den Frachtraum liefen, weil sie wohl neugierig geworden waren. Auch die Bauern hatten das Treiben beobachtet und waren hinzugekommen. „Ich bin IDUSA.“, stellte sie sich bei Isenhard, Hulda und Dietlinde vor. „Ich kann euch retten, aber ihr müsst zu mir kommen.“ „Also gut.“, sagte Isenhard und schob seine Familie ebenfalls in IDUSAs Frachtraum, bevor er selbst nachkam. Meine Definition von IDUSA ihm gegenüber musste dafür gesorgt haben, dass er ihr vertraute.

Ich hatte mich zu Shimar gesellt, der mit mir das Geschehen beobachtete. „Du hattest ihr doch einen eindeutigen Befehl erteilt.“, flüsterte ich ihm zu. „Ja, das hatte ich.“, sagte er. „Aber du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass sie den gerade missachtet.“

IDUSA erhob die Schilde und dann sich selbst in die Luft, um dann mit der Rosannium-Waffe eine volle Ladung auf die Feuerwalze zu schießen, die sich darauf gleich auflöste. Dann landete sie wieder und ließ alle raus. Da habt ihr’s, Sytania!, dachte ich.

Isenhard kam auf uns zu. „Shimar, Betsy, ich bin eurem Geist IDUSA sehr dankbar.“, sagte er. „Mein Hof ist zwar etwas angesengt, aber immerhin hat sie meine Familie und die Tiere gerettet, von denen wir leben. Um den Rest werden wir uns schon allein kümmern. Ich habe hilfsbereite Nachbarn.“ „Schon gut.“, sagte Shimar. „Aber Betsy und ich helfen auch gern, wo wir können.“

Ich stellte mich neben ihn und suchte nach seinem rechten Ohr. „Ich muss mit dir reden.“, flüsterte ich hinein. „OK.“, sagte er und zog mich mit sich fort.

Telzan hatte die geschwächte Sytania in ihrem Gemach auf ihr Bett gelegt. Danach hatte er nach einer Kammerzofe geschickt, welche die Prinzessin entkleidet und ihr ihre Nachtkleidung angelegt hatte. Nachdem die Zofe wieder gegangen war, kehrte Telzan zurück. Er hielt bei Sytania Wache, bis diese die Augen aufschlug. „Was ist hier geschehen, Telzan?“, wollte die imperianische Königstochter wissen. „Ihr wart bewusstlos.“, erklärte der Vendar. „Ihr hättet die telepathische Verbindung zu Eurer Schöpfung unterbrechen sollen.“ „Ich wollte alles genau sehen.“, sagte Sytania. „Mit Verlaub, Herrin.“, entgegnete Telzan und machte ein beschwichtigendes Gesicht. „Exakt das war Euer Fehler. Wenn Ihr die Verbindung getrennt hättet, dann hätte Euch das tindaranische Schiff keinen Schaden zufügen können.“ „Ja, dieses Schiff!“, rief Sytania wütend. „Dieses verdammte Schiff! Wieso haben die Bauern und ihre Tiere ihr vertraut?!“ „Ich denke, dass Allrounder Betsy einen Weg gefunden hat, es ihnen entsprechend zu verkaufen, damit sie keine Angst hatten.“, vermutete Telzan. „Dieses verdammte Tindaranerliebchen!!!“, schrie Sytania außer sich. „Sie hat mit ihrer ekelhaft einfühlsamen Art mir schon öfter das Leben versaut! Wenn ich nicht so geschwächt wäre …“ Sie sank in die Kissen.

Telzan griff zu einer Karaffe und goss etwas von deren Inhalt in ein Glas, welches er Sytania hinhielt. „Ich brauche jetzt keinen Wein, Telzan!“, sagte diese unwirsch. „Was ich brauche, ist ein Plan, wie wir verhindern können, dass …“ „Vielleicht, Herrin.“, begann Telzan. „Vielleicht müssen wir gar nichts verhindern. Shimar und Betsy könnten immer noch ganz von allein durch die Prüfung der Quellenwesen rasseln. Außerdem werdet Ihr Euch bis dahin sicher erholt haben und was sie tun müssten, würden sie sich sowieso nicht trauen. Es ist gegen all ihre Prinzipien. Schlaft jetzt am besten, Herrin. Es ist gesünder für Euch. Ihr habt mich gut in der Benutzung des Kontaktkelchs unterwiesen. Ich werde das Geschehen für Euch weiter beobachten.“ „Also gut.“, sagte Sytania mit schwacher Stimme und schlief ein.

Wie hilfsbereit Isenhards Nachbarn waren, hatten Shimar und ich bald zu sehen bekommen. Alles hatten sie selbst in die Hand genommen und so blieb für uns nichts zu tun, als zuzusehen. Allerdings zogen Hulda und ich es vor, mit dem Stricken fort zu fahren, damit sie und Isenhard zumindest schnell wieder etwas hatten, das sie auf dem Dorfmarkt verkaufen konnten, denn da einige ihrer Felder dem Feuer zum Opfer gefallen waren, mussten sie Futter für die Schafe und die Pferde hinzukaufen. Dazu brauchten sie Geld und das konnten sie nur durch den Verkauf ihrer Erzeugnisse verdienen. Also kästen, backten und strickten wir Frauen, was wir konnten, während sich die Männer dem Wiederaufbau des Hofes widmeten. Alle außer Shimar, der sich, da die Imperianer fanden, dass sie genug Arbeiter waren, in die Scheune zum Nachdenken zurückgezogen hatte. Meine Information hatte in ihm ebenfalls den Verdacht geweckt, es könnte sich um unsere Prüfung handeln und er wollte planen, wie wir sie wohl bestehen könnten.

Er hatte allerdings nicht auf den kleinen Schatten geachtet, der sich ihm leise genähert hatte. Erst, als ein kleines Stimmchen ihn mit: „Hi, Shimar.“, begrüßte, wurde er auf Dietlinde aufmerksam, die grinsend vor ihm auf einem Heuballen saß. „Hey, Spätzchen.“, begrüßte er sie. „Was machst du denn hier?“ „Ich habe zuerst mit den Hunden gespielt und jetzt wollte ich dich fragen, ob du mit mir spielen kannst.“, antwortete die Kleine. „Und was machst du da? Ich meine, du schaust so angestrengt.“ „Oh.“, sagte Shimar und lockerte seine Gesichtsmuskeln. „Ist mir gar nicht aufgefallen. Aber wenn du es wissen willst, ich brüte was aus. Aber im Moment geht es irgendwie nicht recht voran.“ „Oooooch.“, machte Dietlinde und strich ihm mitleidig über den Rücken. „Steh mal auf! Dann guck’ ich, was da falsch ist!“, schlug sie vor. „Das macht Vater bei den Schafen auch immer, wenn …“

Shimar brach in lautes Gelächter aus. Dann schlang er seine weit ausgebreiteten Arme um Dietlinde und zog sie an sich. „Wie süß bist du denn?!“, prustete Shimar so laut, dass Hulda und ich es durch die offene Haus- und Scheunentür bis in die Küche hören konnten. „Nein.“, erklärte er dann mit dem Lachkrampf kämpfend. „Ich glaube, da haben wir uns missverstanden. Wenn man was ausbrütet, bedeutet das auch, dass man versucht, einen Plan zu entwickeln. Sieh mal, Betsy und ich müssen wahrscheinlich eine Prüfung ablegen. Wir wissen jetzt, wie die wahrscheinlich aussieht, aber wir wissen nicht, wie wir es anstellen sollen, Gayetan und seine Frau aus Sytanias Bann zu befreien.“ „Wegen Betsy wollte ich dich sowieso noch etwas fragen.“, sagte Dietlinde. „Ich habe mich nicht getraut, sie das selbst zu fragen. Ich wollte sie nicht beleidigen.“ „Was ist es denn?“, wollte der Tindaraner wissen, der ihren Kopf jetzt an seiner Schulter platziert hatte. „Wieso drehen sich Betsys Augen immer weg? Ich meine, ab und zu dreht sie den Kopf zu dir, wenn sie mit dir redet oder mit einem von uns, aber ihre Augen machen immer so.“ Sie führte Shimar eine Imitation meiner Augenbewegungen vor. „Das ist ganz einfach.“, erklärte Shimar. „Betsys Augen machen das, weil sie keine Kontrolle über die Muskeln hat, die ihre Augen bewegen. Das wiederum kommt, weil sie nicht sehen kann, wo sie hinschaut. Deshalb ist ein Augenkontakt mit ihr nicht möglich …“

Er saß einen Moment lang still da. Dietlinde begann bereits, sich Sorgen zu machen, als er sie plötzlich wiederum an sich drückte und ihr einen dicken Kuss auf die Wange gab, um gleich darauf erfreut zu rufen: „OH, Süße, du süßestes aller Kinder! Das ist es! Gayetan wird zu ihr keinen Augenkontakt herstellen können und mich kann man nicht in etwas verwandeln, das ich im Grunde schon längst bin! Schnell, Maus, hol mir Betsy her. Ich muss mit ihr sofort darüber reden!“

Dass mich Dietlinde nicht zu holen brauchte, war bald offensichtlich, denn durch die lauten Geräusche aus der Scheune bedingt stand bald der ganze Hof Schlange vor dem Geheimkabinett. Hulda hatte mich an der Hand und schob mich jetzt an allen vorbei in die Scheune zu Shimar und ihrer Tochter. „Er muss mal mit dir reden.“, quietschte mir das Mädchen entgegen. „Ja, das muss ich.“, bestätigte Shimar. „Aber ich glaube, es wäre besser, wenn der Rest ginge. Was wir zu bereden haben, sind teilweise astranische Geheimnisse. Hulda, bitte nimm auch deine Tochter mit.“ Die Bäuerin nickte und nahm Dietlinde bei der Hand. „Warum darf ich nicht zuhören?“, fragte sie etwas maulig. „Weil das, was Betsy und Shimar bereden, ja sogar für uns erwachsene Imperianer zu schwer sein wird.“, erklärte Hulda. „Wie soll dann erst ein Kind das verstehen?“ „Na gut.“, sagte Dietlinde, zog einen Flunsch und schlappte hinter ihrer Mutter her. Sie tat mir leid, aber die Situation ließ es leider nicht anders zu.

Shimar schloss telekinetisch die Tür und führte mich dann zu einem Heuballen, auf den wir uns beide setzten. „Worum geht es?“, fragte ich. „Du weißt doch, was ich in Wahrheit bin.“, sagte er. „Ja, du bist kristallinen Ursprungs.“, sagte ich. „Also kann ich ja auch nicht in einen Kristall verwandelt werden.“, referierte er weiter. Ich nickte. „Und du.“, sagte er. „Zu dir kann keiner Augenkontakt aufnehmen, weil sich deine Augen immer bewegen. Also kann der Bann auf uns keine Wirkung haben. Es käme allenfalls zu einer energetischen Rückkopplung, die ihn zerstören würde.“ „Natürlich!“, lächelte ich. „Es ist unmöglich, dich in einen Kristall zu verwandeln und es ist unmöglich, mir in die Augen zu sehen. Jedenfalls für länger. Das muss die Lösung sein!“ „Das denke ich auch.“, sagte Shimar und hob die telekinetische Verriegelung der Tür wieder auf. „Lass uns mit Isenhard reden.“

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