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Zufrieden saß Clytus im Raum-Zeit-Kontinuum vor einem Kontaktkelch und sah sich die Geschicke im Universum der Tindaraner und der Föderation an. Über die geänderte Vergangenheit bis in die Gegenwart hatte er alles beobachtet und war zu dem Schluss gekommen, Eldisa ein Geschenk gemacht zu haben, zu dem sie nicht nein sagen konnte und das sie ihm auch nicht einfach so zurückgeben konnte. Er hatte es nämlich so eingerichtet, dass nur er die Veränderungen rückgängig machen konnte, wenn er denn wollte. Siehst du., wendete er sich telepathisch an Eldisa. Jetzt habe ich dir ein Geschenk gemacht, das du dir für deine Freundin Betsy schon immer gewünscht hast. Bin ich nicht romantisch? Ich habe dabei weder an dich noch an mich gedacht. Jetzt musst du mich doch total süß finden.

„Neffe!!!“ Die weibliche wütende ältere Stimme, die ihm dies entgegen geschrieen hatte, ließ Clytus glauben, dass ihm das Blut in den Adern gefriere. Dann tauchte in einem weißen Blitz Tolea vor ihm auf. Sie machte ein strenges Gesicht! „Was hast du dir da erlaubt?!“, tadelte sie ihn. „Mit der Zeitlinie der Sterblichen herumzuspielen, nur aus eigensüchtigen Motiven! Was hast du dir dabei gedacht?!!! Nein, du hast wahrscheinlich gar nicht gedacht!!! Aber diese Flausen werden dir noch vergehen!!! Ich werde dich bestrafen!!!!“ Clytus wurde Angst und Bange. Er hatte sehr gute Vorstellungen davon, wie seine Strafe aussehen konnte. Seine Tante war dafür bekannt, dass sie sehr hart sein konnte. Bei der Verwandlung in eine Amöbe würde sie es nicht belassen. Aber was sie mit ihm tatsächlich machen würde, davon machte selbst Clytus sich keine Vorstellung. Er wusste nur, wäre er ein Sterblicher, der das gleiche Verbrechen verübt hätte, dann würde sie weitaus freundlicher mit ihm umgehen. Aber bei ihresgleichen setzte Tolea viel härtere Maßstäbe an.

„Halt, Schwester!“, hörte Clytus plötzlich die Stimme seines Vaters, von der er sich Erlösung erhoffte. Dann tauchte auch Kairon vor ihm auf. „Ihn zu strafen ist einzig und allein meine Sache. Du bist nur seine Tante. Ich bin sein Vater und, nachdem seine Mutter mir das Sorgerecht gegeben hat, sein Erziehungsberechtigter.“ „Du!!“, lachte Tolea und man konnte gut ein schon fast wahnsinniges Blitzen in ihren Augen sehen. „Du bist viel zu lasch mit ihm! Das sieht man ja! Bei mir hätte sich dieser Lausejunge solche Streiche nicht getraut. Dafür hätte ich schon gesorgt! Aber gut, erkläre deinem Vater und mir, warum du die armen Sterblichen missbraucht und Dill fast getötet hast, Clytus!“ „Ich, ich, ich.“, stammelte Clytus. „Ich habe aus Liebe gehandelt.“ „Aus Liebe?“, fragte Kairon. „Erkläre mir das.“

In den Wäldern in der Nähe war Diran mit Tchian, einem seiner Novizen, mit dem Kampftraining beschäftigt. Aber der Vendar-Junge mit dem weißen kurzen Jugendfell konnte sich einfach nicht konzentrieren und Diran hatte ihm bereits zum zwölften Mal eine Taktik erklären müssen. „Was ist nur los mit dir, Tchian?“, fragte der Ausbilder, der im Allgemeinen als sehr geduldig galt. „Vergib mir, Ausbilder, aber ich kann mich nicht konzentrieren, weil das ängstliche Wehklagen unseres jungen Gebieters Clytus an mein Ohr dringt. Ich bin sicher, etwas stimmt nicht. Bitte, Ausbilder, lass uns nachsehen.“ „Das sind interne Angelegenheiten unserer Gebieter.“, verneinte Diran. „Es steht uns sicher nicht zu, uns hier einzumischen, außer wir werden dazu gerufen.“ „Aber ich will doch gar nicht, dass wir uns einmischen.“, erklärte Tchian spitzfindig. „Ich will doch nur, dass wir nachsehen.“

Diran überlegte. Er wusste, dass das Training mit Tchian so keinen Sinn hatte. Er würde sich nicht darauf konzentrieren können, solange er Angst um Clytus hatte. Auch dem Ausbilder, der Toleas direkter Vertrauter war, leuchtete längst ein, dass hier etwas im Gange war. Dafür kannte er seine Herrin gut genug. Also sagte er: „Ist gut. Wir werden hingehen und uns das Geschehen ansehen. Aber danach musst du mir versprechen, dass wir mit dem Training fortfahren können.“ „Ich verspreche es, Ausbilder.“, lächelte Tchian und hob sogar feierlich die Hand zum Schwur.

Sie verließen den Wald und durchquerten einen kleinen Fluss, der sie von dem Platz, an dem Clytus, Tolea und Kairon sich aufhielten, getrennt hatte. „Du lässt mich reden!“, schärfte Diran seinem Schüler ein. Tchian nickte. Aufmerksam beobachtete er, wie sich Diran auf den Weg zu Tolea machte und sie unterwürfig ansah. „Vergebt mir, Gebieterin.“, sagte er leise und fast sorgenvoll. „Mein Novize und ich kamen gerade vorbei und wurden Zeugen dieses Tumultes hier. Dürften wir erfahren, was der Grund dafür ist?“

Toleas Blick wurde weich und freundlich, als sie Diran ansah. „Das darfst du von mir aus, mein treuer Diran.“, sagte sie. „Ich bin kurz davor, meinen Neffen zu strafen, weil er die Sterblichen zum Erreichen seiner Ziele missbraucht hat. Er hat ihre Zeitlinie verändert. Dann hat er sich auch noch erdreistet, meinen Kontaktkelch zu stehlen, um sein Werk zu betrachten. Findest du nicht auch, dass er eine Strafe verdient hat?“ „Dieses Urteil steht mir nicht zu, Gebieterin.“, erwiderte Diran. „Obwohl ich auch sterblich bin und sicher mit den Missbrauchten fühle. Aber ich kann bei Weitem nicht das Verständnis für solche Situationen aufbringen, das Ihr in Eurer Allwissenheit habt. Also bitte ich Euch um Vergebung dafür, dass ich hierzu keine Meinung äußere.“ „Du wählst deine Worte wohl, Vendar.“, lobte Kairon. „Deshalb werden du und dein Novize auch in die Entscheidung, wer Clytus bestrafen darf, eingebunden werden. Ruf den Jungen her, dann muss ich nicht alles zweimal erklären!“ Diran nickte und winkte Tchian, der sofort angelaufen kam. „Welche Rolle sollen die Vendar übernehmen, Bruder?“, fragte Tolea fast lästernd. „Sie sollen eine Art Schiedsrichter sein und sie werden die Arena bauen, in der wir uns um das Recht duellieren werden, Clytus zu bestrafen.“, antwortete Kairon. „Faszinierend.“, spottete Tolea. „Bin mal gespannt, wie das aussehen wird.“

Kairon wendete sich an Diran: „Nimm deine Waffe und brenne mit ihr ein Quadrat aus Linien in den Sand. Dann ziehst du in der Mitte des Quadrates eine weitere Querlinie. Den Platz dazu kannst du selbst wählen.“ „Wie Ihr wünscht, Gebieter.“, erwiderte Diran, ging einige Meter weg, zog seine Waffe, richtete sie gegen den Boden, stellte sie auf Dauerfeuer und drückte ab. Seine Schritte zählend ging er zunächst einfach geradeaus, um dann abrupt nach links abzubiegen. Dies wiederholte er so lange, bis die schwarzen Linien im Sand das gewünschte Quadrat bildeten. Dann stellte er sich in die Mitte einer der Linien, um von dort aus das gleiche Spiel quer über das Quadrat zu wiederholen. Jetzt hatten sich zwei gleiche Hälften gebildet.

Kairon kam herüber und sah sich alles an. „Sehr gut.“, lobte er. „Jetzt sag deinem Novizen, er soll zwei Äste suchen. Einen Kurzen und einen Langen. Tolea und ich werden um die rechte Hälfte des Quadrates losen. Wir wollen ja nicht, dass hier irgendwas mit ungerechten Mitteln zugeht.“ Diran nickte und erteilte Tchian den entsprechenden Auftrag. Ihn störte an dieser Sache etwas ganz gewaltig! Der intelligente Vendar-Krieger, der auch schon Sytania gedient hatte, wusste genau, dass die Art von Duell, auf die sich Kairon und Tolea geeinigt haben mussten, ein Duell der geistigen Kräfte nach imperianischer Sitte war. Aber warum sollten sie sich nach imperianischer Sitte duellieren? Langsam wurde das, was Diran vorher eher unbewusst wahrgenommen hatte, zur Gewissheit. immer mehr hatte er das Gefühl, dass Sytania hier im Hintergrund die Fäden zog. Aber wie sollte das von Statten gehen? Seine Gebieterin würde sich doch nie auf eine Zusammenarbeit mit ihr einlassen, oder etwa doch? Wut konnte zu den gefährlichsten Dingen verleiten. Das wusste der Vendar. Er hoffte so sehr, dass sein Bauchgefühl ihn getäuscht hatte. Er hoffte es so sehr! Sein Novize sollte in diese ungeheuerliche Vermutung aber nicht eingeweiht werden. Es könnte sein gesamtes Weltbild durcheinander bringen. Diran würde damit allein klar kommen müssen und weiter Beweise sammeln müssen. Aber dazu hatte er ja jetzt auch Gelegenheit, denn beim Herumgehen war er fast über einen stattlichen Stein gestolpert, den er jetzt aufhob. Er hatte ein solches Gewicht, dass fünf durchschnittliche Humanoide notwendig gewesen wären, um ihn zu heben. Aber das stellte für Diran kein Problem dar. Er platzierte den Stein auf der Linie in der Mitte des Quadrates. Er hoffte, sich mit dieser Aktion derart bei den beiden Mächtigen einschmeicheln zu können, dass sie ihn für geeignet genug hielten, noch mehr über das große Geheimnis zu erfahren.

Tolea kam hinzu und sah sich alles an. „Sehr gut mitgedacht, Diran.“, lobte sie und strich ihm über das Haar. Als sie ihn berührte, erschauerte Diran instinktiv und wich zurück. Wieder hatte sein Unterbewusstsein ihm den Eindruck vermittelt, er würde Sytania wahrnehmen. Schnell versuchte er, diesen Eindruck zu überspielen. Er befürchtete nämlich, dass seine Schmeicheltaktik nicht aufgehen würde, wenn er zu früh verraten würde, dass er etwas spürte, das normalerweise nicht sein konnte und nicht sein durfte. „Was ist?“, fragte Tolea Anteil nehmend. „Du schreckst doch sonst nicht vor meiner Hand zurück.“ „Vergebt mir, Gebieterin, aber ich bin angesichts des Duells etwas nervös. Ich hoffe aber, dass Ihr den Sieg davontragt.“, log Diran. Er hoffte, dass Tchian nicht mehr lange mit den Ästen auf sich warten lassen würde. Es konnte doch nicht so schwer sein, zwei verschieden lange Äste in einem bewaldeten Gebiet zu finden.

Endlich war der Junge am Horizont zu sehen. Wie zwei Trophäen trug er stolz zwei starke verschieden lange Äste vor sich her. „Was hat so lange gedauert?“, fragte Diran. „Ich wollte die besten Äste finden, Ausbilder.“, antwortete Tchian. „Es sollten nicht irgendwelche morschen Dinger sein.“ „Dein Verhalten ehrt dich, Vendar-Novize.“, sagte Kairon. „Und nun entscheide, wer zuerst einen Ast ziehen darf. Meine Schwester oder ich. Halte die Äste so, dass wir nicht sehen können, welcher der Kurze und welcher der Lange ist.“

Tchian schob die Äste in seiner Hand so hin, dass jeweils eines ihrer Enden mit dem Anderen auf gleicher Höhe war. Dann hielt er den Mächtigen diese Seite der Äste hin. Die ungleiche Seite zeigte in seine Richtung. „Lady Tolea, Ihr seid als Erste dran.“, sagte er mit klopfendem Herzen. Tolea griff nach einem der Äste und zog ihn heraus. Tchian gab Kairon den Anderen. „Damit dürfte ja wohl klar sein, dass ich die rechte Hälfte bekomme!“, sagte Tolea und hielt den längeren Ast in die Höhe. „Diran, stelle dich an den einen Scheitelpunkt, an dem die Querlinie sich mit den Grenzen des Quadrates trifft und du, Tchian, dich an den anderen.“, instruierte Kairon die beiden Vendar. Diese nickten und führten seinen Befehl aus. „Achtet gut auf den Fels.“, sagte Tolea und nahm, genau wie ihr Bruder auch, ihre Position ein. „Sollte es einer von Euch schaffen, den Felsen per Gedankenkontrolle in das Gebiet des Anderen zu schieben, erklären wir ihn oder sie zum Sieger oder zur Siegerin.“, erklärte Diran und zählte auf Vendarisch bis drei.

Ängstlich sah Tchian die Gesichter der vor Konzentration und Anstrengung wie versteinert wirkenden Mächtigen. „Diese Situation macht mir Angst, Ausbilder.“, flüsterte er Diran zu. „Mir ist das auch nicht geheuer.“, gab Diran ähnlich leise zurück. „Aber wir müssen erfahren, was hier vorgeht und deshalb müssen wir wohl mitmachen. Beobachte gut, mein Schüler und vor allem höre auf deine Instinkte.“ „Die sagen mir, oh, ich mag es gar nicht aussprechen.“, erwiderte Tchian voller Furcht. „Sie sagen dir, dass Sytania hier involviert ist.“, brachte Diran seinen Satz zu Ende. „Aber wir müssen wissen, was genau sie damit zu tun hat, bevor wir weitere Schritte einleiten.“

„Da sieht man mal, wie weit es mit deiner Vaterliebe hin ist.“, lästerte Tolea über den Stein hinweg, der sich immer weiter in Richtung von Kairons Hälfte schob. „Ich dachte, um deinen Sohn meiner strengen Hand zu entziehen, würdest du dich etwas mehr anstrengen!“ „Du hast ja gar keine Ahnung, Schwester!“, erwiderte Kairon. „Ich mache mich ja erst warm!“ Tatsächlich gelang es ihm, den Stein auf die Linie zurückzuschieben. „Was sagst du jetzt?!“ „Pah!“, machte Tolea. „Das hast du ja nur geschafft, weil ich so großzügig war, dir eine Chance zu geben!“ „Das kannst du gegenüber Sterblichen behaupten!“, sagte Kairon mit Überzeugung. „Aber selbst die würden mit einem Erfasser feststellen, dass deine Konzentration nicht gewollt abgenommen hat. Auch eine Art auszudrücken, dass man bald nicht mehr kann, weil man sich am Anfang total übernommen hat. Was glaubst du, warum ich dich erst mal so weit herankommen lassen habe! Die Sterblichen haben ein interessantes Bild! Du kennst doch sicher auch die Geschichte vom Fuchs und den Trauben!“ „Interessant!“, meinte Tolea. „Aber du kennst doch dann hoffentlich auch das Sprichwort der Sterblichen, dass Hochmut vor dem Fall kommt!“

Stunden hatte jenes Duell jetzt schon gedauert und Tchian hatte im Geheimen seinen Erfasser gezogen. Damit hatte er festgestellt, dass sich bereits beide Mächtigen ziemlich verausgabt hatten. „Sie werden doch nicht etwa bis zum Tode kämpfen, Ausbilder.“, wendete er sich sorgenvoll an Diran. „Nur die Ruhe, mein Schüler.“, beruhigte dieser ihn. „Dazu ist jedem das eigene Leben viel zu lieb.“ „Hoffen wir das.“, erwiderte Tchian mit zitternder Stimme.

Plötzlich gab es einen seltsamen schwarzweißen Blitz und der Stein landete auf Kairons Seite des Quadrates. Der Blitz hatte auch den Erfasser derart in Mitleidenschaft gezogen, dass der entstandene Kurzschluss Tchian die Hand versengt hätte, wenn ihm sein Ausbilder das Gerät nicht in letzter Sekunde aus der Hand geschlagen hätte. „Was war das?“, fragte Tchian erschrocken. „Das weiß ich auch nicht genau.“, entgegnete Diran. „Aber zeig mir erst mal deine Hand. Hast du Schmerzen?“ Tchian verneinte und streckte seine Hand aus. Diran betrachtete sie lange und sagte dann: „Ist nur das Fell. Spätestens, wenn du heiratest, ist alles wieder gut.“ Er sah zu Boden auf die Trümmer des Erfassers: „Das Gerät kann niemand mehr gebrauchen.“ „Dabei würde es alles beweisen.“, sagte Tchian traurig. „Ich glaubte, ich hätte einen schwarzweißen Blitz gesehen.“

Tolea kam stolz auf sie zu. „Alles, was du gesehen hast, war mein Sieg, Vendar-Novize. Also darf ich auch meinen Neffen nach meinem Willen bestrafen. So war es vereinbart.“ Sie sah auf die andere Seite zu ihrem ohnmächtigen Bruder herüber. „Von ihm werde ich wohl keinen Einspruch zu erwarten haben. Diran, schaff ihn mir aus den Augen.“ „Wohin soll ich Euren Bruder bringen, Gebieterin?“, fragte Diran. „Ist mir gleich.“, sagte Tolea. „Ich habe jetzt erst mal Wichtigeres zu tun! Komm her, Clytus!“

Diran sah nicht, was mit Clytus geschah, denn eine Wolke aus schwarzem und weißem Licht umhüllte den Jungen aus dem Raum-Zeit-Kontinuum und machte eine Sicht auf ihn für den Vendar unmöglich. Dieser hatte aber immerhin bereits den armen bewusstlosen Kairon auf seine Schultern geladen und war mit ihm in Richtung seines Veshels unterwegs. Diran überlegte, ob er nicht flüchten sollte und den Dienst bei Tolea somit aufkündigen. Das inzwischen immer schlimmer werdende Verhalten seiner Gebieterin hatte ihn sehr an ihr zweifeln lassen. Erst mal würde er aber eine Weile herumfliegen. Vielleicht würde ihm ja dann etwas einfallen.

Maron hatte es als seine Pflicht angesehen, sofort nach erfolgreicher Flucht vor dem Phänomen die Krankenstation aufzusuchen und nach Zirell, Shimar und Nidell zu sehen. „Bericht, Ishan!“, forderte er von dem androiden Arzt, der gerade einige letzte Untersuchungen an seinen inzwischen erwachten Patienten vornahm. „Es geht allen den Umständen entsprechend wieder gut.“, erklärte der Androide nüchtern. „Du hast uns ja inzwischen außer Gefahr bringen können.“ „Das war ich nicht.“, lächelte Maron.

„Ishan, bitte lass ihn zu mir durch!“, hörte Ishan Zirell mit schwacher Stimme von einem der Biobetten her rufen. Der Androide deutete in die Richtung und dann auf den ersten Offizier, der sich sofort auf den Weg machte. „Ich bin hier, Zirell.“, sagte Maron tröstend und legte ihr die Hand auf die Stirn. „Sind wir wirklich außer Gefahr?“, erkundigte sich die besorgte Tindaranerin. „Das sind wir, Zirell!“, versicherte der Demetaner. „Wer, wer hat …“, stammelte sie. „Wer wohl?“, lächelte Maron. „Techniker Jenna McKnight. Ich weiß zwar nicht, was sie genau gemacht hat, aber plötzlich waren wir schneller als das Phänomen oder es war langsamer als wir. Wie man’s nimmt. Ich werde mich selbstverständlich noch genauer mit ihr darüber unterhalten und dir dann berichten. „Aber jetzt sollten du und die anderen Beiden erst mal schlafen. Nicht wahr, Ishan, das sollten sie doch.“ Der Arzt nickte. „Jenn’.“, lächelte Zirell. „Ich hätte es mir denken können.“ Dann schlief sie ein.

Huxley hatte auf der Terrasse gesessen und Caruso beim Stromern zugesehen. Ihm wahr bewusst, dass er sich als männliches Wesen eigentlich nicht hatte im Freien aufhalten dürfen, zumal dann nicht, wenn er nicht in weiblicher Begleitung war, denn Männer allein auf der Straße galten im genesianischen Recht als vogelfrei. Es gab sogar so genannte Männerfängerinnen, die solche Exemplare einsammelten und dann in Ausbildungslager steckten, wo sie zu anständigen genesianischen Ehemannanwärtern erzogen werden sollten. Davor hatte er aber keine Angst, weil er sich ja noch in den Grenzen eines Privatgrundstücks befand. Nur um Caruso hatte er Angst. Dem näherte sich nämlich gerade eine genesianische Kriegerin. Huxley konnte gut erkennen, dass sie noch jugendlich war. Wahrscheinlich würde sie gerade ihre erste Jagd absolvieren. Der Sternenflottenoffizier wusste, dass bei den Genesianern Tiere nur als Jagdbeute galten. So etwas wie Haustiere kannten sie nicht. Dennoch konnte er fast nicht glauben, was er jetzt sah. Arglos sprang Caruso von seinem Platz auf einem Pfeiler herunter und ging auf die Genesianerin zu. Von Zweibeinern hatte dem Kater sonst nie Gefahr gedroht. Deshalb strich er dem Mädchen auch arglos um die Beine. Er verstand ja nicht, was geschehen war. Ungerührt dessen zog dieses allerdings ihren Phaser und schoss. Caruso fiel tot vor ihr hin. Sie hatte ihn genau in die Brust getroffen. Jetzt rief sie eine andere Kriegerin her. „Die Götter müssen dich sehr lieben!“, sagte die brünette große Frau nur stolz zu dem Mädchen, bevor sie den toten Kater auf ihre Schulter hob. „Eine ziemlich kleine Beute, aber immerhin etwas. Das reicht für eine Vorspeise.“

Der Jugendlichen fiel das Halsband auf, das Caruso trug. „Nimm es ab und wirf es irgendwo hin.“, sagte die ältere Kriegerin. Das Mädchen tat dies und Huxley beobachtete, dass das Halsband ihm direkt vor die Füße fiel. Trotzdem wagte er nicht, sich zu bewegen, bis die Genesianerinnen verschwunden waren. Erst dann hob er mit zitternden Händen das Halsband auf. Er würde es Sedrin geben. Sicherlich würde sie einiges daraus lesen können. Wenn sie doch nur wieder zurück wäre!

Jagdszenen, so dachte zumindest Data, würde es auch auf dem Planeten Celsius bald geben, wenn Scotty sich nicht endlich beeilte, seinen Whisky auszutrinken. Die erste Electorine hatte der für Celsius zuständigen Prätora zwar einen Kompromiss abringen können, was die freie Beweglichkeit von Männern auf der Straße ohne weibliche Begleitung anging, aber auch diese Sperrstunde, so dachte der Androide, müsste man nicht unbedingt bis zu Ende ausreizen. Ständig hing Datas Blick an der Uhr in der Kneipe, in welcher sie sich jetzt befanden. Natürlich brauchte der Androide eigentlich keinen externen Zeitmesser, denn sein innerer Chronometer war auf die celsianische Zeit eingestellt, aber er wollte seinem Freund mit diesem Verhalten einen Wink mit dem Zaunpfahl geben. Diese Kneipe gehörte Ginalla. Sie war inzwischen sesshaft geworden und hatte das Öffnen des Etablissements damit begründet, dass ihr Aufenthalt auf Tindara sie dazu inspiriert hätte. Wer die Geschichte um Kibar, seine Bar und Ginalla nicht kannte, konnte sicher Böses dabei vermuten. Aber die Erinnerung an Tindara spiegelte sich auch in der Einrichtung der Bar wieder. Ginalla hatte die Anordnung der Sitzreihen und der Tische übernommen. Nur die Farbe war eher ein knalliges Orange geworden. Sie fand, dass dies besser zu ihrem eigenen Stil passte.

Immer noch nippte Scotty eher an seinem Glas, als das er es austrank. „Ich mache Sie darauf aufmerksam.“, begann Data sachlich und ruhig. „Dass wir nur noch 20 Minuten und acht Sekunden bis zur Sperrstunde haben. Danach sind wir Freiwild. Ich rate Ihnen also zum Austrinken.“ „Nur die Ruhe, alter Knabe.“, sagte Scotty mit seiner sonoren tiefen Stimme. „Das ist nicht dieses replizierte Zeug. Das ist ein echter Whisky. Den muss man genießen.“ „Dann genießen Sie bitte etwas eiliger.“, drängte Data und die Hälfte der Anwesenden bekam einen Lachanfall. Data mochte sich nicht ausmalen, was für eine Szene sich jetzt vielleicht in manchem Kopf abspielen würde. Aber im real existierenden Humorismus war es wohl auch für einen Androiden leicht, einen Witz zu machen. Das mit dem echten Whisky entsprach übrigens der Wahrheit und gehörte zu Ginallas Konzept. Sie warf jede volle Stunde eine so genannte „Real Round“, also eine echte Runde ein, in der es tatsächlich echte Alkoholika gab. Das war in Zeiten von Synthehol schon eine Rarität.

„Data hat Recht, Scotty!“, rief Ginalla vom Tresen herüber. „Sicher würde es mich freuen, wenn ihr meinen Umsatz noch etwas ankurbeln würdet. Aber das kann ich mit meinem Gewissen einfach nicht vereinbaren. Also geht lieber, oder meine Mädels setzen euch an die Luft. Is’ zu eurer eigenen Sicherheit. Ich weiß, ich war mal anders drauf. Aber die Ginalla ist tot! Hat ein gewisser Tindaraner auf dem Gewissen, das Biest. Die will ich nie wieder werden. War ja 'ne halbe Ferengi. Buuuaaaaa!“ Sie schüttelte sich. „Heißt wohl, dass du dem gewissen Tindaraner sehr dankbar bist, Gin’.“, sagte Scotty. „Oh, ja.“, sagte Ginalla mit einem genießerischen Blick. „Und jetzt lenk nicht weiter ab, sondern trink aus. Sonst! Ladies!“

Hinter dem Tresen kamen drei muskulöse genesianische Kriegerinnen hervor, die Ginalla als Sicherheitsleute eingestellt haben musste. „Ich trink’ ja schon!“, sagte Scotty beunruhigt und stürzte seinen Drink herunter. Schade drum., dachte er.

Sie standen auf und gingen in Richtung Tür. „Na geht doch.“, meinte Ginalla, die ihnen beim Rausgehen nach sah. „Medea, du gehst mit, damit sie es sich nicht noch mal überlegen!“ Die mittlere und größte der drei Genesianerinnen nickte und verließ ebenfalls den Gastraum. Sie schlich hinter Scotty und Data her, bis diese die Kneipe verlassen hatten. Dann kehrte die Frau mit den kurzen roten Haaren, der etwas Furcht einflößenden Statur und der lederartigen typischen Kleidung selbst zurück.

Dunkel war es geworden. Dieser Umstand war zwar in der Nacht normal, dennoch hatte Scotty in dieser Nacht ein merkwürdiges Gefühl. Sein Innerstes schien schon zu ahnen, was auf ihn zukommen sollte. „Es ist bereits zwei Minuten nach Mitternacht.“, bemerkte Data. „Wir hätten längst in unserer Unterkunft sein müssen.“ „Na nun mal langsam, alter Knabe.“, versuchte Scotty, ihn zu beruhigen. „So genau werden es die Genesianer schon nicht nehmen.“

Dass Scotty sich da gründlich geirrt hatte, wurde bald deutlich, denn aus einer Seitenstraße stürmten plötzlich einige Genesianerinnen heran. Alle waren bewaffnet und trugen auf ihrer Kleidung ein Symbol, das wie ein Hundehalsband aussah. „Männerfängerinnen.“, erklärte Data sachlich. „Ich habe es Ihnen gesagt. Jetzt sollten wir uns verstecken.“ „Na dann los, alter Knabe.“, sagte Scotty und versuchte zu rennen. Da er aber durch das schnelle Herunterstürzen seines Whiskys und die damit einhergehende Wechselwirkung mit dem Sauerstoff der frischen Luft schon ziemlich betrunken war, gelang ihm das nicht.

Wortlos lud Data seinen Freund auf seinen Rücken und schaffte ihn in einen Hauseingang, wo er ihn hinter einer Reihe von Blumentöpfen platzierte. „Sie bleiben hier.“, schärfte er ihm ein. „Nicht bewegen und keinen Laut. Ich hoffe, die Genesianerinnen mit meiner eigenen Anwesenheit ablenken zu können. Mich werden sie nicht fangen können, da ich, wenn ich will, schneller als jedes bekannte biologische Wesen laufen kann und auch bessere Reflexe im Kampf besitze. Haben Sie verstanden?“ „Ja, ja.“, sagte Scotty. „Sie powern die Ladies aus und ich mache ein Schläfchen.“ „In der Kurzfassung kommt das hin.“, sagte Data und verließ ihn.

In der Altstadt der celsianischen Hauptstadt gab es viele kleine Gässchen und verwinkelte Straßen, in die Data die Männerfängerinnen jetzt zu führen beabsichtigte. Der Androide hoffte, sie würden sich in diesem Labyrinth verlaufen und dann, wenn sie nicht mehr ein noch aus wüssten, erst mal eine Weile brauchen, bis sie ihre Orientierung wieder gefunden hatten. Er schlug zwischen den Häuserreihen diverse Haken und vollführte fast schon Tänze. Jetzt kommt mir der Tanzunterricht bei Ihnen extrem zu Pass, Doktor., dachte Data in Erinnerung an die Tanzstunden bei Dr. Crusher auf der Enterprise.

Er sah sich um, aber von den Genesianerinnen war nichts zu sehen. Was war passiert? Hatten sie seinen und Scottys Plan durchschaut? Das konnte doch eigentlich nicht sein, denn die Männerfängerinnen, von denen Data gehört hatte, konnten im Allgemeinen nur sehr wenig Englisch und hatten die sehr von Umgangssprache gefärbten Sätze wahrscheinlich gar nicht verstanden. Data kam aber noch eine weitere Variante in den Sinn, an die er beim Fassen dieses Plans gar nicht gedacht hatte. Die Genesianer hatten ja eine völlig andere Rechtsprechung als die Föderation! In der Rechtsprechung der Föderation galten Androiden als Lebensformen. Also galt Data auch dort als männliche Lebensform, was ihn ja erst auf diese Idee gebracht hatte. Aber für die Genesianer waren Androiden, seien sie nun weiblich oder männlich, vielleicht nur Maschinen oder eben Gegenstände. Deshalb ignorierten sie sein Ablenkungsmanöver wohl auch! Warum hatte er dies nicht bedacht?! Er setzte sich in aller Ruhe auf einen Stein an der Straße und begann eine Selbstdiagnose.

Die Männerfängerinnen waren inzwischen bei Scotty angekommen und eine steckte einen merkwürdig wie ein Teller aussehenden Aufsatz auf ihre Waffe. Darauf steckte sie wiederum eine Art Sonde. Dann zielte sie und feuerte. Die Sonde, welche offensichtlich durch den Phaser Energie erhalten hatte, flog auf Scotty zu und bohrte sich in seine Schulter, wo sie einen Energiestoß abgab, der den Terraner bewusstlos werden ließ. Dann stellten sich alle um die Schützin herum und betrachteten ihren Fang. „Biologisch kompatibel ist er mit keiner von uns.“, meinte eine und eine Andere sagte: „Na ja. Vielleicht kann er wenigstens arbeiten. Lassen wir Prätora Yanista entscheiden. Wenn sie findet, dass er zu nichts von beidem taugt, können wir ihn ja immer noch töten.“ Dann zog die Schützin ein Sprechgerät und gab den Befehl zum Beamen, wonach alle in immer durchsichtiger werdenden Säulen verschwanden.

Die schwarzweiße Lichtwolke, die Clytus eingehüllt hatte, senkte sich über einem Klasse-M-Planeten im genesianischen Sonnensystem vorsichtig hernieder und gab ihn frei. Der Junge sah sich um und entdeckte in der Ferne einen kleinen Bach. Ein Gefühl von Durst überkam ihn, aber er fühlte auch etwas, als hätte ihm jemand seine Fähigkeiten genommen, schob dies aber dann auf die Benommenheit, die er fühlte.

Er stand auf, denn er war im Liegen auf dem Planeten gelandet und ging zum Bach. Hier hockte Clytus sich ans Ufer und betrachtete das kristallklare Wasser. Allerdings fiel ihm dabei auch sein eigenes Spiegelbild ins Auge. Aber nein! Das konnte doch nicht er sein! Clytus sah in das Antlitz eines genesianischen Jungen! Immer noch ungläubig der Situation gegenüber, in der ihn seine Tante hinterlassen hatte, versuchte er, sich von dem Planeten zu teleportieren. Er stellte sich mit geschlossenen Augen sein Zuhause vor und schnippte mit den Fingern, aber nichts geschah! War das denn wirklich wahr geworden? Hatte seine Tante ihn in einen Sterblichen verwandelt und noch dazu in einen Genesianer? Clytus schlug sein Herz bis zum Hals. Er wusste, dass er auf lange Sicht so nicht zurechtkommen würde. Bald würde ein Schiff mit Männerfängerinnen auftauchen. Die würden ihn dann mitnehmen und er müsste zum genesianischen Ehemannanwärter ausgebildet werden und dann irgendeine Genesianerin heiraten, die ihn sich hoffentlich aussuchen würde. Dabei wollte er doch nur die Eine!

Das Gefühl von Durst, das er verspürt hatte, wurde immer schlimmer, aber er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern wie man trank oder gar aß. Das musste auch ein Teil von Toleas Strafe sein. Würde sie denn wirklich wollen, dass er hier stürbe? Da war der Aufenthalt in einem genesianischen Gefängnis schon besser. Hier würde man ihn im Notfall zwangsernähren. Vielleicht würde ihm dann ja auch alles wieder einfallen. Er wusste nicht, ob er so ein Schiff herbeisehnen oder sich wünschen sollte, dass er nie entdeckt würde.

Die Männerfängerinnen hatten Scotty in die Zelle der Canara, des Schiffes der Vetash, gebracht. Hier hatte sich Prätora Yanista nun den Fang angesehen. „Was soll ich mit einem Terraner?!“, fragte sie. „Er ist als Ehemannanwärter nicht zu gebrauchen und er ist schon etwas älter, wie mir scheint.“ „Aber er sieht aus, als könnte er in den Kristallminen noch gute Dienste leisten, Mutter.“, mischte sich jetzt auch Minerva ein, die ihre Mutter begleitet hatte. Seit Yanista selbst den Unterricht für ihre Tochter übernommen hatte, hatte die Erbprätora auch einen besseren Einblick in manche Dinge, so empfand es zumindest Yanista selbst.

Die Clanführerin ging näher und befühlte Scottys Arme. „Nun, dein Blick hat dich nicht getäuscht, Kind.“, sagte sie mit einem lobenden Gesichtsausdruck zu Minerva. „Wenn du beim Aussuchen deiner Ehemänner später auch einen so guten Blick beweist, sehe ich eine rosige Zukunft für unseren Clan. Gesunde Ehemänner zeugen gesunde Töchter. Von mir aus dürfen auch ein oder zwei Söhne dabei sein, die du dann großzügigerweise anderen Jungkriegerinnen zum Heiraten abtreten kannst. Aber du beweist jetzt schon einen ziemlichen Weitblick.“ „Danke, Mutter.“, bedankte sich Minerva. „Also, werden wir ihn in die Kristallminen bringen?“ „Sicher werden wir das.“, antwortete Yanista und betätigte eine Sprechanlage: „Hera, setze Kurs auf Nura vier! Warp acht!“ Die angesprochene Raumschiffpilotin erwiderte: „Ja, Prätora.“, und führte den Befehl aus.

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