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Der Bauer erklärte sich mit allem einverstanden und Hulda packte uns eine Tasche mit Proviant, während sich Shimar und Isenhard konspirativ in den Stall verzogen, um die beiden Pferde zu satteln. Diese hatten nämlich auch gelernt, geritten zu werden und zur Burg war es ein weiter Weg. „Wir werden euch wohl nicht lebend wieder sehen.“, sagte Hulda traurig. „Alle, die es bisher versucht haben, fristen heute ein Dasein als Statuen im Burghof.“ „Da bin ich mir nicht so sicher, Hulda!“, sagte ich fest.

Wenig später hörte ich den Schlag von Hufen zweier Pferde und zwei Paar Füße, die sich auf uns zu bewegten. Dann sagte Shimar scherzhaft: „Es ist aufgesattelt, Milady. Wenn ich bitten dürfte.“ Dann beförderte er mich in alt bekannter Weise in den Sattel eines der kleinen stämmigen Pferde, bevor er selbst auf das andere stieg. „Er hat alles ganz allein gemacht!“, sagte Isenhard stolz. „Ich stand nur daneben.“ „Aber das bedeutet ja … Ich meine, das heißt … Du kannst …“, stammelte ich. „Hoffentlich passiert dir so ’n Stotteranfall nicht, wenn du ’n hohen Diplomaten am SITCH hast!“, flapste mir Shimar entgegen. Meine Lippen formten ein breites Grinsen. „Das war die beste Überraschung meines Lebens!“, rief ich aus. „Das hätte ich nie von dir gedacht!“ Am liebsten hätte ich ihn geküsst, aber dazu war er jetzt zu weit weg. Allerdings würden wir später sicher Gelegenheit haben, das nachzuholen. Wir verabschiedeten uns höflich und ritten los.

Mich ließ den gesamten Weg über das Gefühl nicht los, dass Shimar etwas bedrückte. „Was hast du auf dem Herzen, Srinadar.“, fragte ich. „Es ist nur.“, begann er. „Ich frage mich, wie du einen wie mich so lieben kannst, Sternenflottenoffizierin.“ „Warum nicht?!“, fragte ich mit leichter Empörung in der Stimme. „Weil ich bin, was ich bin.“, erklärte Shimar. „Unsere Forscher haben herausgefunden, dass wir nicht nur mit den Saloranern, von denen du dein Schiff hast, verwandt sind, sondern auch um mehrere Ecken eine genetische Verwandtschaft mit jenen Kristallwesen teilen, die euer Universum so terrorisiert haben.“ „Dann will ich dich das Gleiche fragen, Srinadar!“, erwiderte ich. „Wie kannst du eine wie mich lieben, wo ich doch mit haarigen Kreaturen auf meinem Planeten verwandt bin, die sehr gefährlich werden können und den ganzen Tag nichts weiter tun, als von Baum zu Baum zu springen. Einige von ihnen sind auch viel größer und stärker als wir und könnten dich schwer verletzen. Seine Familie kann man sich halt nicht aussuchen. Auch nicht die Genetische und damit Ende im Gelände!“ „Dann wäre das ja geklärt.“, atmete Shimar auf.

In der Ferne war einige Stunden später bereits die Burg der Lehnsherren dieses Dorfes zu sehen. „Wir sind bald da.“, klärte mich Shimar auf. „Aber wir sollten auf die Wachen etwas Eindruck machen.“ Damit ließ er sein Pferd antraben und ich tat es ihm gleich. „Wer da!“, rief uns ein Wachsoldat zu. „Haltet, oder ihr seid des Todes!“ Er hatte sein Schwert gezückt. Wir hielten an und wendeten die Pferde in seine Richtung. „Warum denn gleich so hitzig?“, fragte Shimar ruhig. „Wir wollen doch nur mit deinen hohen Herren etwas feiern.“ „Feiern!“, lachte der Soldat verächtlich und rief einige seiner Kameraden her, die gleich mit in sein Gelächter einfielen. „Zu feiern gibt es hier schon lange nichts mehr. Seine Lordschaft und die Lady haben aufgegeben. Sie glauben nicht mehr daran, dass es jemanden geben könnte, der sie aus Sytanias Bann befreien kann.“ „Dein Herr und seine Gemahlin mögen aufgegeben haben.“, sagte ich. „Aber wir noch lange nicht! Also, an deiner Stelle würde ich machen, dass ich mich zu seiner Lordschaft schere und ihm sage, dass zwei Sterbliche angekommen sind, die es noch einmal versuchen wollen!“

„Kannst du ihr nicht den Mund stopfen?“, wendete sich ein traurig schauender Soldat aus den hinteren Reihen an Shimar. „Warum sollte ich?“, erwiderte dieser. „Sie sagt doch nur die Wahrheit. Aber ihr scheint euch ja in eurem Elend und der depressiven Rolle sehr zu gefallen. Oh, Mann! Die Armee der Trauerklöße. Wollt ihr eure Feinde in den Staub heulen oder was?!“ „Wie hast du uns genannt?“, fragte der erste Wächter, ein Hauptmann und hielt drohend seine Waffe in die Höhe. „Das müssen wir nicht auf uns sitzen lassen!“ „Dann beweist uns das Gegenteil!“, sagte Shimar und saß ab, um danach mir dabei zu helfen. Missmutig schlurfte der Wächter von dannen.

Tatsächlich hatte unsere gemeinsame Standpauke gewirkt und wir wurden in die Burg gelassen. Auch erklärten sich Gayetan und Ramina damit einverstanden, mit uns ein letztes Mal zu feiern. Die Wächter hatten zwar verdeutlicht, dass sie keine Hoffnung mehr sahen, indem sie miteinander Dinge wie: „Wieder zwei arme Seelen.“, ausgetauscht hatten, ihre Herren waren aber wohl doch noch nicht ganz davon überzeugt, dass es die richtige Strategie war, den Kopf in den Sand zu stecken. Im Gegenteil! Es wurde gut aufgetischt und zu schnellen und fröhlichen Liedern bis zum Morgengrauen getanzt.

Bei Sonnenaufgang sah Gayetan mich und Ramina Shimar plötzlich verwirrt an. „Potztausend!“, rief der Lord aus. „Wie kann das sein? Die Sonne geht auf und weder du noch dein Gefährte sind zu Kristall erstarrt. Welche Kraft wohnt euch inne?“ „Die Kraft der Logik, Milord.“, antwortete ich diplomatisch. „Seht, zu mir könnt Ihr keinen Augenkontakt herstellen, weil meine Augen blind sind und er ist kristallinen Ursprungs. Also könnt Ihr ihn auch nicht in etwas verwandeln, das er schon ist, Milady.“

Plötzlich mussten sich beide Hoheiten setzen und Ramina sagte: „Oh, liebster Gayetan, mir ist, als wurde eine schwere Last von meinen Schultern genommen. Ich dachte, es sei unmöglich, uns von dem Bann zu befreien. Aber diese zwei hier …“ „Ja, diese zwei, liebste Ramina.“, fügte Lord Gayetan bei. „Diese zwei haben das Unmögliche gewagt.“ „Und das müssen wir bezüglich der Zeitlinie sicher auch!“, sagte ich mit Überzeugung. „Ich meine, eine Zeitreise wäre das Einfachste, aber die Wahrscheinlichkeit wäre zu groß, dass jemand auf sein Ich aus der Vergangenheit trifft und derjenige ihm nicht glaubt und schon gibt es neue Komplikationen. Aber wenn man die Zeit bis zu einem bestimmten Punkt zurücklaufen ließe, dann …“ „Das ist unmöglich, Kleines!“, sagte Shimar. „Das glauben wir nicht.“, sagte Gayetan. „Ihr werdet einen Weg finden.“

Dann gab es einen weißen Blitz und vor uns standen zwei Quellenwesen. Auch alle Statuen im Burghof erwachten wieder zum Leben. „Hier wimmelt es von Quellenwesen, Kleines.“, erklärte mir Shimar, der auch die Bauernfamilie in der Menge erkannte. Alle Wesen jubelten uns zu, als wären wir die Helden des Tages. Seht ihr?, wandte sich Gayetan noch einmal telepathisch an uns. Ihr habt es vollbracht. Jetzt bringen wir euch an Bord eures Schiffes, damit ihr die frohe Kunde weitergeben und die Lösung verwirklichen könnt.

Es gab einen erneuten weißen Blitz und wir waren tatsächlich in IDUSAs Cockpit. Sofort setzten wir die Neurokoppler auf. „Sind Sie zwei in Ordnung?“, fragte das Schiff, nachdem sie unsere Tabellen geladen hatte. „Ja.“, sagte Shimar. „Warum fragst du?“ „Weil Sie einen ziemlich verwirrten Eindruck machen.“, antwortete IDUSA. „Wir haben nur ein bisschen die Orientierung verloren.“, beruhigte ich sie. „Es ist nicht schlimm. Aber jetzt sollten wir machen, dass wir zur 281 Alpha kommen.“ „Wie Sie wünschen, Allrounder.“, sagte der Avatar und sah Shimar fragend an. „Führq27; ihren Befehl ruhig aus, IDUSA.“, sagte er. „Ich muss das alles erst mal verarbeiten.“ Er seufzte. „Also gut.“, sagte das Schiff und startete.

Unabhängig von unserer Prüfung hatten sich Commander Cinia und ihre Truppe auf der Sternenbasis 818 zusammengesetzt und ebenfalls beratschlagt, was denn nun zu tun sei. Cendas Vorschlag einer Zeitreise hatte man schnell aus den gleichen Gründen wie wir verworfen. Aber dann sagte Indira plötzlich, die sich wohl fragte, ob man Zeitreise in einem oder zwei Worten schrieb: „Wie wäre es, wenn wir die Reise einfach gleich ganz weglassen und uns nur auf die Zeit konzentrieren?“ „Wie meinen Sie das, Agent?“, fragte Cinia. „Ganz einfach.“, sagte Indira und stand auf, um in die Mitte des Raumes zu gehen und zu beginnen: „Wenn wir es bewerkstelligen könnten, die Zeit bis zu einem bestimmten Punkt Rückwärts laufen zu lassen, dann dürften wir ja einiges noch einmal erleben und hätten jede Chance, alles rückgängig zu machen, was rückgängig zu machen ist. Das könnten sogar wir erreichen. Es gibt eine uralte Aufzeichnung in den Datenbanken. Die Enterprise hat damals die Zeit auch rückwärts laufen lassen mit Hilfe eines Signals, das …“ „Aber sie waren außerhalb des Ortes, an dem die Zeit rückwärts lief.“, wandte Cenda ein. „Wenn wir die Zeit rückwärts laufen lassen, werden auch alle Erinnerungen an diese Zeitlinie bei uns glatt geschliffen. Außer …“ Sie überlegte. „Außer ein Mächtiger hilft einer bestimmten Person, die Erinnerungen in ihrem Gehirn festzuhalten, obwohl ihr Leben zurückgeschraubt wird.“, ergänzte Cinia. „Aber wer kann diese Person sein?“, fragte Indira. „Das kann ich Ihnen nicht beantworten, Agent.“, sagte die ältere Platonierin. „Aber vielleicht wissen es die Tindaraner. Ich wollte sowieso mit ihnen darüber reden.“ „Also gut.“, sagte Indira. „Schmeißen wir also alle unser Wissen zusammen.“

Shimar, IDUSA und ich waren auf dem Weg aus der interdimensionalen Schicht heraus zur Basis. „Weißt du, was mich verwirrt?“, fragte ich. „Nein, Kleines.“, sagte er. „Mich verwirrt, dass du nicht gespürt hast, dass die alle Quellenwesen waren. Ich meine, während IDUSAs Befreiung waren wir ihnen mental so nah und du hast nichts gesagt.“ „Das kann ich Ihnen erklären, Allrounder.“, beantwortete IDUSA meine Frage für ihn. „Die Quellenwesen sind mächtiger als die Mächtigen, die wir kennen. Ich gehe davon aus, dass sie sich besser gegen Shimar abschirmen konnten, als es sogar Logar oder Sytania vermögen.“ „Das könnte hinkommen, IDUSA.“, sagte ich.

„Wir kommen in Sensorenreichweite der Basis.“, meldete IDUSA einige Minuten später. „Am liebsten würde ich Zirell einen kleinen Streich spielen.“, sagte Shimar. „Du Kindskopf.“, grinste ich. „Aber solange es was Harmloses wird, für das sie dich keine Warpgondeln schrubben lässt, bin ich dabei.“ „Wer ist denn jetzt hier wohl der Kindskopf, he?“, fragte Shimar grinsend. „Na ja.“, sagte ich. „Ich bin halt gut drauf.“ „Na dann.“, sagte Shimar und befahl in IDUSAs Richtung: „Ruf die Station und verbinde uns beide mit Commander Zirell!“ „Sofort, Shimar.“, gab der Avatar zurück und führte seinen Befehl aus.

„Da seid ihr ja wieder.“, sagte Zirell. „Was habt ihr erreicht?“ Mit langem Gesicht gab Shimar zurück: „Wir haben die Prüfung der Quellenwesen …“ Dann machte er eine lange Pause.

Kissara, die alles mitbekommen hatte, behagte dieser Zustand gar nicht. „Wenn sie es nicht geschafft haben, Zirell.“, sagte sie. „Dann gibt es sicher keine Lösung. Aber ich kann und will mich nicht damit abfinden, dass alles umsonst gewesen sein soll. Kannst du nicht telepathisch herausfinden, was war?“ „Vielleicht.“, erwiderte die Tindaranerin und begann, sich auf Shimars und meinen Geist zu konzentrieren.

„Oh, Sekunde, Kleines!“, sagte Shimar plötzlich. „Bitte denk an gar nichts.“ „Was ist denn los?“, fragte ich. „Hier kommt Zirell.“, sagte er. „Das ist los.“ Dabei klang er sehr alarmiert und gleichzeitig etwas angestrengt, denn er musste nicht nur den eigenen, sondern auch meinen Geist verteidigen.

„Er schirmt sie ab.“, sagte Zirell, bevor sie abließ. „Warum würde er das tun?“, fragte Kissara. „Hat er solche Angst vor dir?“ „Ich denke, er denkt, dass ich es ihm schon sehr übel nehmen könnte.“, sagte die Tindaranerin. „Aber falls die Beiden es wirklich nicht geschafft haben sollten, müssen wir eben nach einer anderen Lösung suchen.“

„Gott sei Dank.“, sagte Shimar. „Sie lässt uns wieder in Ruhe. Einen Moment lang habe ich gedacht, aus unserem schönen Streich wird nichts.“ „Jetzt sollten wir sie aber nicht mehr länger auf die Folter spannen.“, sagte ich. „IDUSA, leg mich auf die Verbindung!“ „Spielverderberin.“, flapste Shimar. „Sie können sprechen, Allrounder.“, sagte der Schiffsavatar. „Danke, IDUSA.“, erwiderte ich. Dann nahm ich Haltung an und begann: „Commander Kissara, Commander Zirell, Allrounder Betsy Scott freut sich, mitteilen zu dürfen, dass wir die Prüfung der Quellenwesen erfolgreich hinter uns gebracht haben.“

Ein Aufatmen ging durch alle auf der Station Anwesenden. „Einen Moment lang habe ich doch wirklich geglaubt, sie sagt das genaue Gegenteil.“, sagte Zirell. „Dann hätte sie nicht gesagt, dass sie sich freut.“, erinnerte sie Kissara. „Tut mir leid.“, sagte Zirell. „Ich bin eben nicht vertraut mit Sternenflottenfloskeln.“ „Allerdings hätte sie das nicht gesagt.“, bestätigte Jenna, die wie alle anderen auch anwesend war.

„Joran.“, wendete sich Zirell an den Vendar an der Kommunikation. „Weisq27; sie zu IDUSAs gewohntem Andockplatz. Dann sollten wir uns alle im Konferenzraum treffen. Ich bin auf Betsys und Shimars Bericht gespannt wie ein Flitzebogen.“ „Einen kurzen Moment noch, Commander.“, meldete sich IDUSA. „Da ist gerade eine Nachricht von der 818 hereingekommen.“ „Zeig sie uns!“, befahl Zirell.

IDUSA lud alle Tabellen in die Simulatoren im Raum. Dann zeigte sie allen auf dem virtuellen Schirm die Nachricht von Commander Cinia. Alle lasen sie sich durch und dann sahen sich auch alle gemeinsam die Anlage an. „Das ist ein Wellenschema.“, erkannte Jenna. „Das stimmt.“, bestätigte Jannings. „Es ist das Signal, mit dem die Enterprise vor ca. 800 Jahren einmal die Zeit in einer Singularität rückwärts laufen lassen hat. Aber wenn wir das tun, dann werden die Hirnwindungen von allen auch glatt geschliffen und keiner weiß mehr, was falsch gelaufen ist. Vielleicht machen dann alle den gleichen Fehler noch mal.“ „Mit Verlaub, George El Taria.“, mischte sich Joran ein. „Wir sollten nicht über ungelegte Eier gackern. Lasst uns lieber warten, bis Betsy und Shimar eingetroffen sind. Sie können sicher mehr dazu sagen.“ „Also gut.“, sagte Zirell. Dann winkte sie allen, ihr zu folgen. IDUSA erhielt den Befehl, uns zu informieren.

Der Rechner lud unsere Reaktionstabellen erst über den Simulator im Konferenzraum, als auch Shimar und ich diesen betreten hatten. Zirell stellte sich in die Mitte und referierte: „Ihr alle wisst, dass Shimar und Betsy von den Quellenwesen geprüft worden sind und dass sie uns eine Lösung vorschlagen sollten. Jetzt aber haben wir auch einen Vorschlag von der Besatzung der Sternenbasis 818 bekommen. Deren Vorschlag lautet, die Zeit bis zu einem bestimmten Punkt rückwärts laufen zu lassen und die Geschichte ab dann zu korrigieren. Aber wir sollten uns auch anhören, was Betsy und Shimar für eine Lösung mitgebracht haben. Dann können wir uns immer noch entscheiden.“

Shimar hielt mir seinen Arm hin und führte mich in die Mitte. Jetzt standen wir neben Zirell. „Die Quellenwesen haben uns nichts anderes gesagt.“, sagte er und ich nickte bestätigend.

Jannings, der in einer der hinteren Reihen saß, hob die Hand. „Was gibt es, Techniker Jannings?“, fragte Zirell. „Wenn wir unser Leben noch einmal bis zu einem bestimmten Punkt rückwärts laufen ließen.“, sagte der Ingenieur. „Dann würden wir uns doch an bestimmte Dinge gar nicht mehr erinnern. Dann wüssten wir doch gar nicht, was unser Fehler war und könnten ihn auch nicht korrigieren.“ „Oh, doch!“, sagte Zirell und befahl: „IDUSA, zeig allen die Mail!“ Der Stationsrechner kam ihrem Befehl nach und alle konnten sich durchlesen, was Commander Cinia zu dem Thema geschrieben hatte. Auch Tolea und Clytus lasen es sich durch. „Darf ich der Mächtige sein, der die Erinnerungen bei einem von euch festhält?“, fragte der Junge. „Sicherlich.“, antwortete seine Tante. „Aber dafür müssen wir zunächst wissen, wer die Person sein wird. Ich werde dir natürlich dabei helfen.“ „Danke, Tante Tolea.“, sagte Clytus erleichtert. „Und ich dachte, du wärst mir noch immer böse.“ „Ach, woher denn.“, antwortete Tolea. „Ich war ja selbst nicht viel besser.“

Mir schoss etwas durch den Kopf. Ich war in der falschen Zeitlinie in gewisser Weise der Grund, also Clytus’ Werkzeug gewesen, mit dem er seine eventuelle Freundin hätte rumkriegen wollen. Gut, da waren auch noch die Genesianer, aber von denen war keiner da. Wenn Clytus die Erinnerungen in meinem Gehirn festhalten würde, dann könnte ich ihm vielleicht in der Vergangenheit ins Gewissen reden und es würde niemals passieren, was passiert war. Sicher war ich in Sachen Liebeskummer nicht sehr erfahren, aber trösten konnte ich schon immer gut und wenn ich ihn dazu bringen würde, in die Zukunft zu sehen, bevor er seine Kreatur erschaffen würde, dann wäre es möglich, dass die Zeitlinie sich wieder korrigieren könnte.

„Ich melde mich freiwillig!“, sagte ich. „Etwas anderes hätte ich von Ihnen auch nicht erwartet, Allrounder.“, sagte Kissara. „Also gut.“, sagte Zirell. „Dann müssen wir ja nur noch wissen, wie wir den Impuls, der die Zeit rückwärts laufen lässt, anbringen sollen.“ „Ist das nicht viel zu gefährlich?“, fragte Mikel. „Ich meine, durch Dills Tod ist die Zeit sehr instabil. Wenn wir jetzt auch noch ihre Laufrichtung ändern, dann könnten wir noch größere Schäden anrichten.“ „Als Arzt fällt mir dazu nur ein.“, meldete sich Ishan zu Wort. „Dass man manchmal eine alte Wunde auffrischen muss, um sie zum Abheilen bringen zu können.“ Loridana und Learosh nickten beifällig. „Der Impuls müsste in Dauer und Intensität genau ausgerechnet werden.“, sagte Jenna. „Aber mit den Daten aus der Mail kann ich arbeiten.“ „Also gut.“, sagte Zirell und Kissara pflichtete bei: „Dann ist es beschlossen. Shimar und IDUSA werden die Boje in die interdimensionale Schicht bringen, wenn sie fertig ist. Ich denke, dass alle Techniker an ihrem Bau beteiligt sein sollten, damit uns kein Fehler unterläuft. Damit meine ich auch Sie, Mr. Scott.“ „Gut, dass Sie mich einbeziehen, Commander.“, sagte mein Ehemann. „Ich hätte da nämlich noch was zu meckern. Die Boje sollte einen Countdown starten, sobald sie ausgesetzt is’, damit Shimar und sein Schiff Zeit haben, zurückzukehren. Aber wenn sie in der interdimensionalen Schicht is’, wird ihr Zeitmesser nicht funktionieren, weil sie außerhalb der Zeit is’. Sie sollte ihr Timersignal über eine Datenverbindung von IDUSA bekommen.“ „Machen wir es so!“, klopfte Zirell unseren Plan fest. „An die Arbeit!“

Einige Stunden später war die Boje fertig gestellt und Shimar und IDUSA starteten, um sie beim Vorbeiflug an der Station in den Traktorstrahl zu nehmen, nachdem sie mit der gleichen Vorrichtung, mit der auch Sonden und Satelliten gestartet wurden, ausgesetzt worden war. Jetzt hing sie hinter dem Schiff und Shimar steuerte IDUSA von der Station fort.

Plötzlich schaute der Avatar sanft und sagte: „Es tut mir leid.“ „Was tut dir leid?“, erkundigte sich ihr Pilot. „Es tut mir leid.“, erklärte IDUSA. „Dass ich Ihren direkten Befehl missachtet habe, was das Verbleiben in einer hohen Umlaufbahn zum Zweck der Unsichtbarkeit angeht.“ „Wie bitte?!“, fragte Shimar scharf. „Das tut dir leid?! Hättest du es etwa besser gefunden, wenn Sytania gewonnen hätte und Isenhards Hof unseretwegen zerstört worden wäre?!“ „So habe ich das nicht gemeint.“, versuchte IDUSA ihn zu beschwichtigen. „Aber es ist schon so manche Einheit wegen Befehlsverweigerung einer widerwärtigen Art von Softwareuntersuchung unterzogen worden, die …“ „Ach so.“, sagte Shimar. „Aber das musst du nicht befürchten und ich will dir auch erklären warum. Sytania kennt unser Verhalten genau und sie weiß, wie viel Wert wir und die Sternenflotte normalerweise auf die Einhaltung von Kommandoketten legen. Deshalb belauert sie uns, um das als Schwachstelle zu benutzen, was wir normalerweise als unsere Stärken ansehen. Sie hat sogar meines Wissens einmal versucht, die Föderation mit ihren eigenen Gesetzen zu schlagen. Leider hätte das auch fast geklappt, wenn nicht … Aber das steht auf einem ganz anderen Blatt. Wichtig ist jetzt nur, dass du total richtig reagiert hast, indem du etwas getan hast, mit dem Sytania nicht gerechnet hat. Die wälzt sich jetzt sicher immer noch in ihren Kopfschmerzen wegen des Rosannium. Deshalb sollten wir jetzt auch keine Zeit verlieren. Komm, wir setzen jetzt die Boje aus, um dem ganzen Chaos ein Ende zu machen. Und wage es ja nicht, deine Selbstständigkeit aufzugeben. Sonst schicke ich dir Jenna doch noch mit dem Untersuchungsprogramm auf den Hals!“

Er gab ihr den Gedankenbefehl zum Aktivieren des Interdimensionsantriebs, worauf sie auch den der Boje synchron aktivierte, denn ihr Feld war nicht groß genug für beide und die Boje hätte sonst wie Ankermaterie gewirkt, was einen Eintritt in die Schicht unmöglich gemacht hätte. Außerdem benötigte die Boje den eigenen Antrieb, um später auch ohne IDUSAs Traktorstrahl in der Schicht verbleiben zu können. „Wir haben einen guten Platz gefunden, IDUSA.“, stellte Shimar fest. „Lass sie los.“ „Deaktiviere Traktorstrahl.“, gab das Schiff zurück. „Initiiere Datenverbindung. Wie lange, meinen Sie, sollte der Countdown sein?“ „Also.“, rechnete Shimar. „Für die Rückkehr aus der Schicht brauchen wir wie bei jedem Interdimensionsflug nur eine Sekunde. Zur Station vielleicht noch mal eine Minute. Bis ich dich gedockt habe und wieder bei den anderen bin, vergehen vielleicht noch mal fünf. Lass uns zehn Minuten ab jetzt sagen. Dann haben wir zumindest noch genug Zeit für die seelische und moralische Vorbereitung. Schließlich werden wir alle unser Leben im Sekundentakt noch einmal rückwärts erleben. Das wird sicher nicht einfach. Hoffentlich hat sich Jenna nicht verrechnet.“ „Davon gehe ich nicht aus!“, sagte IDUSA mit Überzeugung. „Sie hat sich der Hilfe meiner Kollegin, der IDUSA-Einheit der Station, bedient, an die ich im Übrigen auch die Datenverbindung weitergegeben habe. Commander Kissaras Theorie ist, dass wir an dem Punkt ansetzen müssen, als Clytus sein Geistwesen erschaffen hat. Das weiß auch Ihre Freundin, die sich ja als Einzige an die falsche Zeitlinie erinnern wird.“ „Schon klar.“, sagte Shimar und dachte: Hoffentlich gelingt Betsys Mission.

Er dockte das Schiff wenig später und eilte zu den anderen in den Konferenzraum zurück, um zu melden, dass die Boje ausgesetzt war. „Also gut.“, sagte Zirell, die alles immer noch auf dem virtuellen Monitor verfolgt hatte. „Dann wird es wohl bald losgehen.“ „Sehe ich das richtig?“, mischte sich Ginalla ein. „Wir werden unser Leben noch einmal rückwärts leben?“ „In gewisser Hinsicht.“, erklärte Jenna. „Aber nur einen Teil.“ „Trotzdem stelle ich mir das als ziemliche Achterbahn vor.“, sagte Ginalla. „Zumindest in meinem Fall.“ „Beherrsch’ dich, Ginalla!“, flapste Shimar. „Denk dran, gekotzt wird später!“

Die Celsianerin sprang auf und machte ein Gesicht, als hätte sie gerade etwas gehört, das sie im wahrsten Sinne des Wortes vom Sitz gehauen hatte. Dann tanzte sie quer durch den Raum und sang auf die Melodie eines alten terranischen Schlagers: „Shimar hat das Flapsen raus, Flapsen raus, Flapsen raus! Tralalalala, tralalalala. Shimar hat das Flapsen raus, Flapsen raus, Flapsen raus! Tralalalala, Flaps-Shimar ist da!“

„Hinsetzen!“, befahlen Zirell und Kissara plötzlich wie aus einem Mund, denn beide hatten wohl als Einzige den virtuellen Monitor weiter beobachtet. Vor Schreck ließ sich Ginalla dort auf den Hintern fallen, wo sie gerade stand. Joran hob sie auf und trug sie zu einem Stuhl, auf dem er sie sanft absetzte. Dann suchte er sich selbst einen Platz. Danach ging es auch schon los. Obwohl ich unsere gesamte Mission und alles andere auch rückwärts erlebte, fühlte ich mich unglaublich sicher! Das mochte wohl auch daran liegen, dass sich Tolea und Clytus jetzt in meinem Kopf befanden und auf meine Erinnerungen Acht gaben. Sie waren Mächtige. Sie konnten außerhalb der Naturgesetze agieren. Sie würden schon dafür sorgen, dass ich nichts vergaß, was wichtig war.

Als die Zeit wieder normal lief, fand ich mich im Wald bei Merlin und Lucinda wieder. Was jetzt käme, konnte ich mir denken. „Herzlichen Glückwunsch, Techniker McKnight.“, flüsterte ich. „Verrechnet haben Sie sich also nicht.“ Dann drehte ich mich in Eldisas Richtung, aus der ich sie gerade mit Clytus sprechen hörte. „Lass mich in Ruhe!“, sagte sie laut und deutlich und selbst ein Tauber hätte gehört, dass es ihr ernst war. „Aber warum denn, Eldisa?“, fragte Clytus, der nicht viel älter war als sie. „Warum?!“, erwiderte Eldisa empört. „Weil ich dich nicht liebe! Ich habe dich nie geliebt und ich will tot umfallen, sollte ich dies je tun! Du bist ein nerviges lästiges Anhängsel und mehr nicht! Sogar die Jagdhunde meines Vaters erfreuen mich mehr, wenn sie hinter mir her wuseln und nun zisch ab!“ „Wir werden ja sehen.“, sagte Clytus kleinlaut und war in einem weiteren weißen Blitz verschwunden.

Jetzt musste ich etwas tun. Jetzt oder nie war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Clytus auffangen musste, bevor er etwas Unüberlegtes tat. Aber jemand musste sich auch um die Pferde kümmern. Ich zog also mein Sprechgerät und gab Mikels Rufzeichen ein. Ich hoffte sehr, dass er noch in der Nähe war. „Kannst du dem Stallburschen sagen, er soll Eldisa und die Pferde holen?“, fragte ich. „Sicher.“, sagte Mikel. „Aber was ist los? Du klingst so alarmiert.“ „Stell keine Fragen, verdammt!“, antwortete ich. „Ich habe einfach andere Befehle, OK?“ „Du sprichst in Rätseln.“, sagte er. „Aber weil wir so gut befreundet sind, werde ich dir vertrauen. Ich sage Bescheid.“ „Danke, Mikel.“, atmete ich auf und beendete die Verbindung, um gleich darauf eine Neue mit Lycira zu initiieren, die mich auf Befehl sofort an Bord beamte. Bring mich ins Kontinuum, Lycira!, gab ich ihr per Gedankenbefehl zu verstehen. Ich weiß, was Clytus will. Bitte stell keine Fragen. Finde ihn einfach und dann beame mich hin! Deine Befehle sind ungewöhnlich., gab Lycira zurück. Aber ich vertraue dir und das werde ich dir jetzt beweisen.

Sie aktivierte ihren interdimensionalen Antrieb und brachte uns wie befohlen ins Kontinuum. Dann suchten ihre Sensoren nach dem Jungen. Ich habe ihn, Betsy!, verkündete sie. Halt dich bereit.

Clytus hatte offensichtlich nicht mit meiner Ankunft gerechnet. Jedenfalls war er sehr erschrocken, als er meiner ansichtig wurde. „Was tun Sie hier, Allrounder?“, fragte er mit einer Stimmlage, die mich vermuten ließ, dass er eigentlich sagen wollte: „Lasst mich doch alle in Ruhe.“ „Ich weiß, was du vorhast.“, sagte ich. „Und ich bin hier, um dich davon abzuhalten. Du wirst nichts erreichen, Clytus, wenn du tust, was du tun willst. Ich dachte, du willst die Sterblichen nicht missbrauchen. Haben dir deine Tante und dein Vater nicht beigebracht, wie zerbrechlich wir sind? Aber nicht nur uns Sterblichen wirst du Leid antun, sondern auch dem Mädchen, das du liebst. Eldisas Vater wird beim Versuch, die Zeit zu verteidigen, sterben und Sytania wird sich einmischen. Aber Eldisa wird dich trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, nicht lieben. Im Gegenteil. Sie wird dich hassen und selbst auch durch ihre eigene Wut unüberlegte Schritte tun. Willst du das verantworten?! Ich kann mir denken, was du fühlst. Aber das ist der falsche Weg! Du wirst nur Tod und Zerstörung über alle bringen. Wenn du mir nur ein wenig vertraust, dann sieh in die Zukunft und sieh dir an, ob ich die Wahrheit gesprochen habe. Liebe kann man nicht erzwingen! Aber du bist unsterblich und hast noch die gesamte Ewigkeit Zeit. Wir Sterblichen sind da schon begrenzter. Aber ich bin sicher, du wirst irgendwann eine Frau oder ein Mädchen finden, das …“

Ich erschrak und musste meine Rede plötzlich unterbrechen, denn Clytus hatte einen markerschütternden Schrei von sich gegeben und sich an mich geklammert. „Oh, ich bin da. Ich bin da.“, flüsterte ich und umarmte ihn ebenfalls. Seine Finger bohrten sich durch meine Uniform in meine Haut, aber das machte mir nichts. „Sie haben Recht!“, schluchzte er. „Sie haben so Recht! Ich habe alles gesehen. So viel Tod und Zerstörung und Krieg, nur weil …!“

Er bekam so einen Weinkrampf, dass er nicht weiter sprechen konnte. Dann begann er stark zu zittern und drohte hinzufallen, was ich nur verhindern konnte, indem ich uns zu einem nahen Felsen zog, auf den ich uns setzte. Hier begann ich, seine heißen Tränen zu trocknen und immer wieder über sein Gesicht zu streicheln. Ich bezweifelte sehr, dass ich viel für ihn tun konnte. Eigentlich hatte ich geschworen, Zivilisten vor Situationen zu bewahren, in denen sie Angst haben mussten, aber diese Schlacht gegen seine Schuld und mit seinem Gewissen würde er wohl allein ausfechten müssen. Ich konnte nichts tun, außer ihm im Wortsinn den Rücken zu stärken. „Es tut mir leid!“, weinte Clytus. „Es tut mir leid, dass ich Sie so instrumentalisieren wollte, Allrounder! Und die Genesianer! Oh, mein Gott! Was habe ich mir dabei nur gedacht?!“ „Ich verzeihe dir.“, flüsterte ich. „Aber du hast es allein in der Hand. Jetzt, wo du weißt, was es bedeutet, wenn du das Geistwesen erschaffst, musst du es einfach nur bleiben lassen. Dann geschehen all diese schrecklichen Dinge auch nicht.“ „Aber was soll ich denn machen?“, fragte der Verzweifelte. „Wenn ich sie doch so liebe.“ „Du wirst über sie hinwegkommen.“, tröstete ich. „Und wie gesagt, du hast noch die gesamte Ewigkeit Zeit. Sogar mehr Zeit, als ich je haben werde.“ Dann strich ich ihm über das Gesicht und machte: „Schschschsch.“ Danach tat ich das, was ich eigentlich immer in Situationen tat, die mir nicht behagten, nämlich singen, oder eigentlich eher summen. Ich summte die Melodie des Liedes vor mich hin, das ich für die Bauernfamilie komponiert hatte. Dies musste auf uns beide wie eine Art Wiegenlied wirken, denn es war sicher schon viel Zeit vergangen, als ich zu summen aufhörte. Clytus war an meiner Schulter eingeschlafen. Er musste bis zur puren Erschöpfung geweint haben, aber wie gesagt, vor den Konsequenzen seiner Reue konnte ich ihn leider trotz Ausbildung als Offizierin der Sternenflotte nicht beschützen. „Schlaf ruhig, mein kleiner mächtiger Zivilist.“, flüsterte ich. „Wer schläft, der sündigt nicht.“

Schritte machten mich darauf aufmerksam, dass sich uns jemand näherte. Erst als er uns ansprach, erkannte ich, wer es war. „Allrounder, was machen Sie denn hier?“, fragte mich eine wohl bekannte männliche Stimme. „Oberflächenurlaub, Kairon.“, log ich. „Ich war gerade auf der Durchreise, da habe ich …“

Der Blick des Mächtigen viel auf Clytus. „Was ist mit meinem Sohn passiert?“, fragte mich Kairon. „Er hat Liebeskummer.“, erwiderte ich. „Aber nicht nur das. Er hätte beinahe etwas sehr Schlimmes getan, weil er Liebeskummer hat.“ „Etwas Schlimmes?“, fragte Kairon. „Ja.“, antwortete ich. „Ich kann es Ihnen zeigen.“ „War das eine Einladung in Ihren Geist, Allrounder?“, fragte er. Ich nickte und er baute die Verbindung auf.

Kairon erschrak, als er alles gesehen hatte. „Unfassbar.“, sagte er. „Aber trotzdem hegen Sie keinen Groll gegen ihn?“ „Ich bin Sternenflottenoffizierin!“, sagte ich leise, um Clytus nicht zu wecken, aber dennoch fest. „Das heißt also nein.“, vergewisserte sich der Mächtige. Ich nickte in einer großen gut sichtbaren Bewegung, um dann zu referieren: „Ich weiß, dass dumme Jungen in einem gewissen Alter dumme Sachen machen. Gut, Sterbliche klauen vielleicht nur Rosen aus Stadtparks, um die Liebste zu beeindrucken, aber bei euch läuft das alles eben eine Nummer größer ab.“ „Bringt man Ihnen so viel Verständnis auf der Akademie bei?“, fragte Kairon gerührt. „Nein.“, lächelte ich. „Das habe ich wohl mit der Muttermilch aufgesogen, sagt man zumindest über mich.“ „Dann lassen Sie mich bitte ab hier übernehmen, Allrounder Betsy.“, schlug er vor. „Wenn er aufwacht, werde ich mit ihm einige Vater-Sohn-Gespräche zu dem Thema führen. Aber ich sollte meine Schwester einbeziehen. In manchen Situationen bedarf es anscheinend der tröstenden Schulter einer Frau.“ „Also gut.“, nickte ich und zog mein Sprechgerät: „Lycira, eine Person beamen!“ „Ich kann dich nicht erfassen, Betsy.“, kam es zurück. „Es gibt irgendeine Störung, die …“

Die Verbindung brach ab und ich bekam ein irrsinniges Schwindelgefühl. Außerdem schien ich alles jetzt vorwärts aber so schnell zu erleben, als würde man die Zeit wie bei einer CD schnell vorlaufen lassen. Aber es war eine ganz andere Geschichte, die ich ab hier sah.

Als ich wieder zu Atem kam und die Zeit wieder ihr normales Tempo zu haben schien, fand ich mich im Garten der Huxleys vor einem Stuhl stehend wieder. Offensichtlich fand dort gerade eine der allsommerlichen Grillpartys statt. Vor mir auf dem Stuhl lag etwas Weiches. „Oh, was für ein weiches Sitzkissen.“, sagte ich und drehte mich um, aber im selben Moment schallte eine tiefe Stimme vom Hauseingang her: „Nicht hinsetzen, Allrounder! Das ist ein Befehl!“

Ich wich vom Stuhl zurück und drehte mich in die Richtung, aus der ich die Stimme gehört hatte in Erwartung einer Information. Die kam dann auch und zwar in Form eines aus dem angeblichen Kissen kommenden erschrockenen: „Min-Mang!“ Dann kam auch Commander Huxley um die Ecke gewetzt. „Oh, sorry, Caruso.“, entschuldigte ich mich und nahm den Kater auf den Arm. „Und ich dachte, du wärst tot, du armer kleiner Miezenmann.“ „Das hätten Sie auch bestimmt erreicht, wenn Sie sich auf ihn gesetzt hätten, Allrounder.“, sagte Huxley. „Ich hätte gar nicht gewusst, wie ich das Data erklären sollte. Aber was faseln Sie da überhaupt? Wieso sollte er tot sein? Hauchen Sie mich mal an. Die Party ist noch nicht mal im Gange und Sie machen den Eindruck, als wären sie voll wie ’ne Haubitze, oder warum sonst geben Sie so einen Müll von sich.“ Ich tat, worum er mich gebeten hatte. „Kein Alkohol.“, stellte er fest. „Aber dann gibt es nur noch eine Erklärung.“

Er drehte sich zur feiernden Menge: „Tchey!“ Die Gerufene kam sogleich angelaufen. „Ich glaub’.“, begann Huxley an sie gewandt und auf mich zeigend. „Sie hat einen Sonnenstich. Aber das können Sie ja wohl am besten beurteilen, auch wenn Sie nur einen Sanitätskurs haben, Tchey Neran-Jelquist.“ „Du trägst immer noch Lasses Namen?“, fragte ich gleichermaßen verwirrt und erleichtert. „Wieso nich’.“, flapste sie und sah mich von Kopf bis Fuß an. „Na ja.“, sagte ich. „Die Zeitlinie, aus der ich komme, sagt, dass ihr geschieden seid. Außerdem hatten die Genesianer das Universum der Föderation und der Tindaraner erobert.“ „Quatsch.“, flapste sie. „Sie hat auch behauptet, Caruso sei tot.“, sagte Huxley. „Oh, Mann!“, stöhnte Tchey. „Du solltest wirklich …“

Ein Gerät an ihrem Handgelenk piepte und sie warf einen flüchtigen Blick darauf. „Oh nein.“, sagte sie. „Du kannst von Glück sagen, dass ich einen Einsatz mit dem Rettungsshuttle habe, sonst würde ich dich auf der Stelle auf Sonnenstich untersuchen! Aber das wird jetzt wohl jemand anderes übernehmen müssen!“ Damit zischte sie ab. „Angeberin!“, rief ich ihr noch hinterher. „Du hast doch bloß ’n Sanitätskurs!“

Huxley hakte mich unter. „Ich bring’ Sie zu Cupernica.“, sagte er tröstend. „Die wird Ihnen etwas Bettruhe und viel Flüssigkeit verordnen. Sedrin oder ich werden nachher noch mal nach Ihnen sehen.“ „Also gut, Sir.“, sagte ich und ging mit ihm in Richtung des Hauses der Androiden. Ich hatte es vermieden, weitere Details preiszugeben. Aber tief in meinem Inneren war ich sehr froh, denn jetzt war alles wieder in Ordnung.

ENDE

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