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Sedrin und D/4 waren entlang einer Hauptstraße in die Siedlung eingebogen. Beide sahen sich die Häuser, an denen sie ihr Weg vorbeiführte, genau an. Ihnen entging nicht, dass von den einstmals schmucken idyllischen und einladenden Häusern mit ihren kleinen gemütlichen Gärten nur noch Ruinen übrig waren. Der verblendete Radcliffe musste ziemlich gewütet haben. Offensichtlich hatte er niemanden am Leben lassen wollen, der sich nicht seiner Reinwaschung unterziehen wollte und auch ein Zeichen setzen wollen.


Die Agentin war vor einer der Ruinen stehen geblieben. „Hier muss ja ein Bombenangriff stattgefunden haben!“, vermutete sie, als sie sich die Trümmer des Hauses genauer angesehen hatte. „Ihre Annnahme ist fehlerhaft.“, sagte die Sonde, die neben ihr stand und das Gleiche gesehen hatte. Allerdings hatten ihr ihre Augen, die wie die Sensoren eines Erfassers funktionierten, verraten, dass hier wohl kein Sprengstoff benutzt worden war. „Fehlerhaft?“, wiederholte Sedrin in der Absicht, sie mit ihrem leicht haarspalterisch anmutenden Verhalten zu irritieren. „Nicht inkorrekt?“ D/4, die eine solche Reaktion von einer Bioeinheit offensichtlich nicht erwartet hatte, sah sie etwas verwirrt an. „Du meine Güte!“, sagte Sedrin. „Habe ich Sie etwa so aus dem Konzept gebracht?“ „Das haben Sie.“, gab die Sonde zu. „Die meisten anderen Bioeinheiten, denen ich so etwas sage, wären beleidigt gewesen und hätten verunsichert reagiert. Aber Agent Sedrin Taleris-Huxley tut das offensichtlich nicht.“ „Ihre Annnahme ist korrekt, um mal in Ihrer Sprache zu sprechen.“, lächelte die Agentin und setzte sich auf einen Mauerrest. Dann zog sie die Sonde neben sich. „Aber ich habe zu viel gesehen und weiß selbstverständlich auch, dass hier kein Sprengstoff eingesetzt wurde. Kellys Informationen darüber waren ja eindeutig. Aber wenn Sie das so genau wissen, dann sagen Sie mir doch mal, ob Sie bestätigen können, dass Sytania hier die Hände im Spiel hat.“ „Meinen Scanns zur Folge.“, begann die Xylianerin. „Hat sie wohl eher ihre telepathischen Fähigkeiten, als ihre Hände im Spiel, Agent.“ „Sehen Sie.“, sagte Sedrin. „Und genau deshalb war ich auch nicht beleidigt, als Sie meine Annahme als fehlerhaft bezeichnet haben. Ich weiß, dass Sie damit meinten, dass es wohl einen Angriff gegeben hat, dieser aber nicht mit Sprengstoff oder einem Phaser geführt wurde. Um dies wirklich zu vermuten, habe ich zu viel gesehen. So naiv bin ich nicht. Dazu kenne ich Sytania zu gut.“ „Ihre Beachtung von Details ist also Ihrer Expertenmeinung über Sytania geschuldet.“, vergewisserte sich die Sonde. „Das ist korrekt.“, nickte Sedrin. „Ihre Arbeitsweise ist sehr effizient.“, lobte die Sonde. „Wenn ich Sytania wäre, dann würde ich mich vor Ihnen ziemlich in Acht nehmen.“ „Danke, D/4.“, sagte Sedrin. Dann stand sie auf und drehte sich in Richtung dessen, was einmal der Eingang zum Haus gewesen sein musste. „Lassen Sie uns gehen. Vielleicht finden wir noch ein paar Hinweise.“, sagte sie.


Sie bahnten sich den Weg über einige Steinhaufen hinweg. Dann standen sie in dem, was laut noch vorhandenem Grundriss des Hauses wohl einmal das Wohnzimmer gewesen sein musste. Hier stolperte Sedrin fast buchstäblich über die Leiche eines älteren Aldaners. Er lag in stark verkrampfter Haltung da. Seine Augen waren geschlossen und er machte noch im Tod ein sehr angestrengtes Gesicht. „Hallo, mein Freund.“, sagte die Agentin, nachdem sie den ersten Schreck überwunden hatte. „Wollen doch mal sehen, ob Sie uns nicht noch etwas zu sagen haben.“ Damit zog sie ihren Erfasser und hielt ihn über den Kopf der Leiche. Die merkwürdigen Werte, die das Gerät ihr anzeigte, vermochte sie aber nicht einzuordnen. „Scannen Sie ihn mal, D/4.“, sagte sie und drehte sich zu der Sonde, die wartend hinter ihr stand. „Vielleicht hat das System andere Daten. Mein Erfasser kennt die merkwürdige Signatur auf jeden Fall nicht. Ich werde mich um die Energieverteilung in diesen Trümmern bemühen. Vielleicht können wir dann klären, was hier passiert ist.“


Die Sonde nickte und tauschte mit ihrer Teampartnerin den Platz. Während sie den Mann scannte, der normale Alltagskleidung trug, wie sie auf seinem Planeten üblich war, ging Sedrin herum und ließ ihren Erfasser von jedem Stein und jedem abgebrochenen Stück Möbel ein Energieschema anfertigen. Dann startete sie im Gerät ein spezielles Programm, das die Bilder zu einem Einzigen zusammensetzte, das die Form eines Tortendiagramms hatte. „Der Energieverteilung in diesem Raum nach.“, sagte sie. „Muss zwischen unserem Aldaner und dem Fremden ein telepathischer Kampf stattgefunden haben. Jedenfalls sieht es für mich so aus, als wollte er unseren Angreifer unbedingt dazu provozieren, hier möglichst viel von seinen Fingerabdrücken zu hinterlassen, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ „Ich verstehe sehr gut.“, erklärte die Sonde und drehte sich von der Leiche des Aldaners fort. „Haben Ihre Scanns noch etwas ergeben?“, fragte Sedrin. „Negativ.“, antwortete die Sonde. „Dem System ist diese Signatur auch völlig unbekannt. Aber sie haben sie schon einmal gesehen. Sie ist auf Camp Khitomer aufgetreten.“ „Natürlich.“, sagte Sedrin. „Der Fremde war auch auf Khitomer. Aber dort hat er niemanden getötet.“ „Offensichtlich hat er seine Strategie den Gegebenheiten angepasst.“, stellte D/4 fest. „Ich denke, dass sich der Aldaner deshalb gewehrt hat, weil er als Telepath in der Lage war zu erkennen, was den so genannten Normalsterblichen verwehrt bleibt. In der Signatur sind, wenn man die Energieprofile einzeln betrachtet, Hinweise auf Sytanias Neurofrequenzen zu finden. Aber der Großteil der Energie scheint terranischen Ursprungs zu sein. Ich erkenne aber nicht die gleichen Profile, wie sie bei zu Telepathen mutierten Terranern zu sehen sind. Ich musste die Profile aufspalten, um die des Aldaners isolieren und ausfiltern zu können.“ „Schon klar.“, sagte die Agentin.


Sie zog einen Transportverstärker aus ihrer Tasche und heftete ihn an den weißen Hemdkragen der Leiche. „Sie werden einen kleinen Ausflug machen, mein Freund.“, flüsterte sie ihm zu. „Ihr Kampf, auch wenn Sie ihn offensichtlich verloren haben, soll nicht umsonst gewesen sein. Wenn Sie uns Hinweise liefern wollten, dann haben Sie das mehr als erreicht.“ „Ihr Gebaren ist irrational.“, stellte die Sonde fest. „Wovon reden Sie?“, fragte Sedrin. „Mit einem Toten zu sprechen, ist nicht effizient.“, erklärte die Sonde. „Er wird Ihnen eine Antwort schuldig bleiben.“ „Ich weiß.“, sagte Sedrin. „Trotzdem ist es manchmal einfach nur eine Marotte emotionaler Bioeinheiten. Lassen Sie mir doch den Spaß. Ich weiß, dass Sie mich für ein rationaleres Wesen gehalten haben, nachdem ich auf Ihren Hinweis bezüglich des Bombenangriffs nicht mit beleidigtem Schmollen reagiert habe, sondern Sie noch auf fast einem Anwalt würdige Weise hinterfragt habe. Aber das ist auch einer der Gründe, aus denen sich Sytania vor mir und den Meinen ziemlich in Acht zu nehmen hat. Ich kann mal so und mal so und es ist für sie niemals berechenbar, welches Gesicht ich gerade zeige.“ „Ohne Sie.“, schlussfolgerte die Sonde. „Hätte also Huxley nie …“ „Ganz recht.“, sagte Sedrin. „Aber nun lassen Sie uns erst mal dafür sorgen, dass unser Zeuge ein würdiges Vehikel für seine Reise zu uns in die Leichenkammer bekommt. Auf Cupernicas Tisch wird er schon reden. Natürlich nur im übertragenen Sinne.“ „Ihre Umgangsweise mit dem Thema ist befremdlich.“, musste D/4 feststellen. „Aber sie ist der Gefahr, in der wir offenbar alle schweben, sicherlich angemessen.“


Sedrin zog ihr Sprechgerät und gab das Rufzeichen von Rescue One ein. Es dauerte etwas, bis Tchey die Verbindung entgegennahm. „Warum hat das so lange gedauert?“, fragte Sedrin. „Sie hatten mir gesagt, dass ich beim Shuttle bleiben soll.“, entgegnete Tchey. „Da habe ich das Signal nicht gleich gehört. Wenn ich im Cockpit gesessen hätte …“ „Hören Sie auf, hier Haare zu spalten!“, sagte Sedrin mit leichter Empörung in der Stimme. „Sie nehmen es doch sonst mit dem Thema Vorschriften nicht so genau. Was ist der wahre Grund, aus dem Sie getrödelt haben?!“


Wieder vergingen einige Sekunden, die Tchey absichtlich verstreichen lassen hatte, um sich eine passende Ausrede zu überlegen. Die Geheimdienstlerin war in keiner guten Stimmung gewesen, das hatte sie erkannt. Ihr jetzt noch zu beichten, dass sie eine 4-beinige Zeugin aufgelesen und sich auch noch eigenmächtig vom Schiff entfernt hatte, hielt Tchey nicht für gut. „Ich musste noch was überprüfen.“, sagte sie schließlich. „Und was wäre das?“, fragte Sedrin. „Ach, das ist Fliegerlatein.“, redete sich Tchey heraus. „Ich glaube, das wäre zu hoch für Sie.“ „Also gut.“, sagte Sedrin, die sich mit solchen Dingen weiß Gott nicht lange aufhalten wollte. „Wir werden später noch Gelegenheit haben, darüber zu reden. Jetzt möchte ich erst mal, dass Sie eine Leiche in den Stasecontainer von Rescue One beamen.“ „Noch eine?“, rutschte Tchey heraus, die mittlerweile auch dafür gesorgt hatte, dass Lorana ihren Platz in ebendiesem Container gefunden hatte. „Wieso noch eine?!“, fragte Sedrin etwas ungehalten. „Was haben Sie wieder angestellt?“


Sie hörte plötzlich schnelle männliche Schritte hinter sich und jemand stolperte über die Trümmer auf sie zu. Im mittlerweile immer schwächer werdenden Licht der künstlichen Energieversorgung der Siedlung konnte Sedrin, erst als er genau vor ihr stand, erkennen, um wen es sich handelte. „Gregory.“, identifizierte sie einen ihrer Kollegen. Der Geheimdienstler, der eine normale Agentenuniform trug, war 1,80 m groß, schlank und hatte kurze rote Haare. „Ich habe versucht, dich zu erreichen, Sedrin.“, sagte er. „Aber du bist laut Computer gerade selbst in einem Gespräch gewesen.“ „Das stimmt.“, antwortete die Demetanerin. „Aber was ist um alles in der Welt der Grund, aus dem du so aufgeregt bist?“ „Es gibt einige Überlebende.“, sagte Gregory Kerry, den Sedrin schon aus ihrer gemeinsamen Zeit auf der Akademie der Sternenflotte kannte. „Aber die solltest du dir unbedingt mal ansehen. Einige machen einen Eindruck wie willenlose Zombies. Bei anderen ist es noch nicht so schlimm, aber ich glaube, das ist alles nur noch eine Frage der Zeit. Bitte komm mit mir.“ „Gleich.“, sagte Sedrin knapp. „Aber ich finde es nicht sehr fein von dir, Sytanias Opfer als Zombies zu bezeichnen.“ „Bitte entschuldige, Euer Hochmoral!“, meinte Kerry etwas erbost. „Aber von der ganzen Situation hier bekomme ich Fracksausen.“ „Tja.“, sagte Sedrin nur schnippisch. „Augen auf bei der Berufswahl.“ „Denkst du etwa, ich sei dem Beruf des Geheimdienstlers nervlich nicht gewachsen?“, fragte Kerry. „Im Moment machst du auf jeden Fall ganz den Eindruck.“, sagte Sedrin. „Wo ist übrigens deine Partnerin?“ „Jane ist bei einer der Überlebenden und versucht sie zu befragen. Aber viel wird man aus ihr wohl nicht herausbekommen. D/4 sollte wohl mitgehen.“ „Sicher.“, sagte Sedrin. „Aber ich habe hier noch etwas zu erledigen.“


Sie wandte sich erneut ihrem Sprechgerät zu: „Tchey, beamen Sie jetzt endlich diese Leiche hier weg!“ „Wie Sie wünschen, Agent.“, sagte die Reptiloide ruhig. Dann verschwand der tote Aldaner in einer schimmernden immer durchsichtiger werdenden Säule. Sedrin atmete auf: „So und nun lass uns gehen, Gregory.“


Wenige Straßen weiter erreichten sie ein noch intakt scheinendes Haus. Die Beete vor dem Eingang, in denen allerlei exotische Pflanzen wuchsen, waren grün und auch in den Bäumen rund um das Haus zwitscherten die Vögel. Nichts erinnerte an die trostlose und gespenstische Umgebung, die Sedrin und die Sonde verlassen hatten. „Als ob hier nie ein Angriff gewesen ist.“, stellte Sedrin fest. „Das ist korrekt.“, sagte D/4.


Sie gingen weiter hinter Kerry her und gelangten in das mit hellen Farben eingerichtete Haus. Auch das Gebäude selbst war intakt und sogar die Bilder hingen noch an der Wand. „Jane, wir sind’s!“, rief Kerry seiner Partnerin zu, um sich und die anderen zu identifizieren. „OK.“, erklang die hohe Stimme einer jungen Frau aus dem Wohnzimmer. „Ich hoffe, du hast einen Mediziner mitgebracht.“ „Das habe ich.“, sagte Gregory und machte einen Schritt ins Zimmer. D/4 und Sedrin folgten ihm.


Auf einem Sessel im Wohnzimmer saß eine ältere Frau, die fast nur so dahindämmerte. Daneben stand eine weitere junge Frau, eine Terranerin in Agentenuniform mit langen blonden Haaren, die mit ihren ca. 1,50 m sehr klein war. „Sie ist ansprechbar.“, sagte die junge Terranerin und deutete auf ihr Gegenüber im Sessel. „Aber ihre Antworten kommen immer zögerlicher. Das kann ich mir nicht erklären.“


„Treten Sie zur Seite, Williams!“, wandte sich Sedrin an Jane. Diese nickte und wich einige Schritte zurück. Sedrin aber näherte sich jetzt der alten Frau im Sessel. „Ich bin Agent Sedrin Taleris-Huxley.“, stellte sie sich vor. „Cora Jeffries.“, antwortete die Alte nach einer ganzen Weile, die nach Sedrins Empfinden mindestens zehn Sekunden gedauert hatte. „Fein, Mrs. Jeffries.“, sagte die Agentin und winkte D/4. „Dass ist D/4.“, stellte sie dann auch die Sonde der Alten vor, nachdem diese hinzugetreten war. „Sie ist Medizinerin. Sie wird Sie untersuchen. Verstehen Sie?“ Die Alte nickte nach einer weiteren Weile langsam. „OK.“, sagte Sedrin. „Fangen Sie an, D/4.“


Die Sonde begann mit dem Scannen, griff aber plötzlich mit alarmiertem Gesicht die rechte Hand der Agentin und zog sie in ein anderes Zimmer. „Was zur Hölle haben Sie gesehen?“, fragte Sedrin. „Ist sie so schwer verletzt?“ „Ihre Hülle ist intakt.“, antwortete die Sonde. „Aber in ihrem neuralen Energieprofil fehlen einige Frequenzen, die für Terraner eigentlich typisch sind und sich im so genannten Mandelkern befinden. Dieser steuert das Aggressionsverhalten von humanoiden Bioeinheiten. Er ist aber auch für die Entschlussfähigkeit und die Durchsetzungskraft verantwortlich.“ „Schon klar.“, meinte Sedrin. „Man muss ja schon mit einer leichten Forschheit vorgehen, wenn man etwas wirklich will und Sie meinen, das ist für sie unmöglich?“ „Korrekt.“, sagte die Angesprochene. „Beziehungsweise, es wird ihr von Sekunde zu Sekunde an unmöglicher. Es gibt ein Energiefeld, das von ihrem Mandelkern ausgeht und das sich im Subraum und der interdimensionalen Schicht ausbreitet. Es scheint die Energie von ihr zu einem anderen Punkt irgendwo in einer anderen Dimension zu transportieren. Das Feld einfach mit einem Schuss aus der Rosannium-Waffe zu unterbrechen, halte ich aber für nicht empfehlenswert. Sie ist sehr schwach und es würde sie definitiv töten!“ „Was können wir dann tun?“, fragte Sedrin. „Wir können nicht die gesamte Kolonie in eine Psychoklinik stecken. Wenn das mit allen Überlebenden so ist, dann …“ „Negativ.“, antwortete die Sonde. „Aber wir können veranlassen, dass ein Team aus Medizinern hierher geschickt wird, um das Ganze weiter zu untersuchen. Außerdem benötigen diese Leute im Moment eine permanente Betreuung. Ohne ihre Entschlussfähigkeit sind sie nicht in der Lage, ihren alltäglichen Geschäften nachzugehen.“ „Wenn wir wieder auf der Erde sind.“, sagte Sedrin. „Dann werde ich alles Nötige veranlassen. Außerdem muss sich jemand um die zentrale Energieversorgung kümmern. Die Marskolonie ist eine künstlich erstellte Umgebung. Wenn hier alles ausfällt, dann …“ „Sicher.“, sagte D/4. „Aber jetzt sollten wir zu den Schiffen zurückkehren und unsere Daten auswerten.“ „Ganz Ihrer Ansicht.“, sagte Sedrin und zog ihr Sprechgerät, in das sie einen Sammelruf eingab: „Hier spricht die Einsatzleitung. Wir rücken ab!“ Alle Teams bestätigten und begaben sich zu den Schiffen. Dann flog man im Pulk ab. Das kleine Geheimnis von Rescue One aber, von dem Sedrin noch nichts wusste, würde noch für Wirbel sorgen.


Elektra beschäftigte sich im Maschinenraum der Granger mit Wartungslisten, als ihr Vorgesetzter den gemeinsamen Arbeitsraum betrat. Er sah recht ausgeschlafen aus, aber die Androidin beschlich die heimliche Vermutung, dass etwas mit ihm nicht stimmen konnte. Dass er in einer ziemlich gefährlichen Situation einfach zum Schlafen in sein Quartier gegangen war, irritierte sie doch. Sie hatte Jannings eigentlich immer als sehr pflichtbewussten Offizier in Erinnerung. Wenn sich sein Verhalten wiederholen würde, musste sie es melden, das wusste sie. Aber wem sollte sie es melden? Mikel, der als ausgebildeter Agent und erster Offizier auch für die Sicherheit der Granger zuständig war, hatte in ihren Augen ebenfalls ein sehr merkwürdiges Verhalten an den Tag gelegt. Wenn sich alle biologischen Wesen auf diesem Schiff bald merkwürdig verhielten, war es vielleicht an ihr, den Grund dafür herauszufinden.


„Irgendwelche besonderen Vorkommnisse, Assistant?“, fragte Jannings und schien ihr dabei, trotz er ausgeschlafen hatte, sehr gelangweilt. „Wir haben Lycira an Bord genommen, Sir.“, sagte Elektra. „Außerdem sind wir auf dem Weg zur 817.“ „Ach ja.“, gähnte Jannings. „Es gibt keinen besseren Platz, als daheim. Wissen Sie, ich möchte nichts sehnlicher, als mal so richtig Urlaub machen. Sobald wir auf der Station sind, werde ich die Flugbereitschaft verständigen, damit sie mich zur Erde bringen. Da lege ich mich dann gemütlich an den Strand irgendwo auf einer gottverlassenen Insel und lasse mir die Sonne auf den Bauch scheinen.“ „Ich bezweifle, dass der Commander Ihnen in unserer gegenwärtigen Situation einen Urlaub genehmigen wird, Sir.“, warnte die technische Assistentin ihren Vorgesetzten vor. „Sie möchte sicher gern herausfinden, warum die imperianischen Vendar auf Lycira geschossen haben und ich denke, dabei werden wir ihr behilflich sein müssen.“ „Oh, nein!“, sagte Jannings in erschrockenem Ton und es schien ihr, als würde ihn dies total überfordern. „Doch nicht jetzt, Elektra. Ich habe das Gefühl, als hätte ich zwei Jahre ohne Urlaub durchgearbeitet.“ „Fühlen Sie sich nicht gesund, Techniker?“, fragte sie. „Meines Wissens haben Sie im letzten Jahr sehr wohl Urlaub gehabt. Aber wenn Sie krank sind, dann sollten Sie die Krankenstation aufsuchen. Vielleicht können Ihnen Loridana und Learosh ja behilflich sein.“ „Meinen Sie das wirklich, Assistant?“, fragte Jannings.


Elektra dachte nach. Jetzt wäre ein guter Moment, um ihre Theorie bezüglich der Abspaltung der aggressiven Seite zu testen. Wenn sie jetzt darauf bestehen würde, dann müsste Jannings ihr ja im Normalfall nicht folgen, da sie ja nur seine Assistentin und er ihr Vorgesetzter war. Das würde er ihr dann, wenn er normal wäre, sicher ins Gedächtnis rufen, aber wenn es stimmte, was sie vermutete, dann würde er ohne zu zögern ausführen, was sie ihm sagen würde.


Sie stellte sich neben ihn und ergriff seine Hand, um ihn mit leichtem Zug in Richtung Tür zu führen. Dann sagte sie: „Sie sollten auf die Krankenstation gehen und das werden Sie auch, Techniker und wenn ich Sie persönlich dort abliefere.“ „Tun Sie das.“, entgegnete der Terraner und ließ sich bereitwillig von ihr aus der Tür schieben, die sich hinter ihm wieder schloss.


Elektra begab sich zurück zu ihrer Arbeitskonsole und rief ein Diagnoseprogramm für die internen Sensoren auf, mit dem sie deren Funktion überprüfte. Allerdings war dies nicht ihr primäres Ziel. Vielmehr musste sie dem Computer vormachen, ebendies tun zu wollen, um Jannings auf seinem Weg auf die Krankenstation und auch bei der Untersuchung dort ungestört beobachten zu können, denn anhand der Bilder, die ihr die Sensoren lieferten, konnte sie genau sehen und hören, was sich dort abspielen würde. Ein schlechtes Gewissen hatte sie nicht! Sie wusste nach seiner Reaktion genau, dass hier Gefahr im Verzug war und dass sie offensichtlich die Einzige war, die ihr begegnen konnte. Das in ihren Augen neben dem auf Khitomer gesehenen wahrscheinlichste Szenario war, dass Sytania an dem Ganzen hier schuld war und das galt es zu beweisen. Unter Umständen musste sie sogar eine Meuterei anzetteln. Aber mit wem konnte sie sich zusammentun? Eine weitere künstliche Lebensform gab es auf diesem Schiff nicht. Natürlich hätte sie den Computer zu dieser oder jener Handlung bringen können. All dies waren aber Überlegungen, die sie nur im absoluten Notfall in die Tat umsetzen würde. Eine Rebellion der Maschinen war für sie auch deshalb die allerletzte Option, weil sie, wenn sie das Gespräch zwischen sich und der Brückenbesatzung noch einmal Revue passieren ließ, verschiedene Abstufungen des merkwürdigen Verhaltens gesehen hatte. Bei Kissara war es gar nicht, bei Mikel nur in besonderen Fällen und bei Kang auch nur manchmal zu sehen gewesen. Wenn sie also zu jemandem gehen würde, dann würden es den Vorschriften gemäß zunächst Mikel und dann vorsichtshalber auch Kissara sein. Aber dafür musste sie noch Beweise sammeln, was sie durch den Missbrauch des Wartungsprogramms jetzt auch tat. Sie würde dies selbstverständlich gegenüber Mikel und Kissara auch zugeben, denn obwohl sie etwas tat, das eigentlich verboten war, rechtfertigte die Gefahr, in der man sich befand, wenn ihre Theorie stimmte, ihre Handlungen doch. Ins Intimste würde sie nicht vordringen. Ihr nackter Vorgesetzter auf dem Untersuchungstisch würde sie nicht interessieren. Viel mehr ging es ihr um Gespräche und Handlungen der Mediziner in Interaktion mit Jannings.


Sie sah, wie der Chefingenieur die Krankenstation betrat. An einer Arbeitskonsole stand Learosh. „Was ist, Mr. Jannings?“, fragte der medizinische Assistent.


Elektra holte sich sein Bild näher heran. Wenn sie die für seine Rasse geltenden Parameter ansetzte, dann hatte er einen ähnlich lust- und antriebslosen Blick wie Jannings. Dies war eine weitere Bestätigung ihrer Theorie. Sie ahnte, wenn sich dies so weiter entwickeln würde, käme sie nicht umhin, die Sache doch noch zu melden. „Ich komme, weil es mir seit einiger Zeit nicht gut geht, Mr. Learosh. Ich glaube, ich benötige einfach mal Urlaub. Aber meine Assistentin meint, ich sei krank. Unter Umständen sollten wir das mal überprüfen.“, meinte Jannings gelangweilt. „Wenn Sie meinen.“, sagte Learosh lustlos und griff genau so lustlos zu einem Erfasser. Den ließ er, in extrem ungenauen Bewegungen, wie Elektra fand, über Jannings’ Körper kreisen. Dann sagte er: „Sie sind völlig gesund, Mr. Jannings. Aber wenn Sie mich fragen, dann geht es mir in letzter Zeit ähnlich. Ich denke, wir sollten alle mal ausspannen.“


Loridana betrat das Untersuchungszimmer. „Was ist hier los, Learosh?“, wendete sie sich an ihren Assistenten. „Techniker Jannings entwickelt sich zum Hypochonder, Ma’am.“, sagte Learosh und hinterließ dabei den Eindruck, als wäre es Schwerstarbeit gewesen, Jannings kurz mit dem Erfasser zu scannen. „Er glaubt, nur weil er etwas überarbeitet ist, sei er gleich sterbenskrank.“


Die technische Assistentin wurde hellhörig. Sie kannte Loridana gut genug, um zu erkennen, wenn sich ihr Charakter verändert hätte. Sie wusste, im Normalfall hätte sie einen solchen Spott über einen Patienten nicht zugelassen und Learosh zurechtgewiesen. Im Normalfall! Aber sie ahnte bereits, dies würde kein Normalfall sein. Wenn ihre Theorie stimmte, dann müsste Loridana jetzt nicht darauf eingehen und es müsste ihr völlig gleich sein, wie Learosh sich gerade geäußert hatte. Genau das geschah auch.


„Wissen Sie was, Mr. Jannings.“, sagte die Medizinerin, nachdem sie einen Blick auf Learoshs Erfasser, aber nicht auf ihren Patienten geworfen hatte. „Sie sind gesund wie ein Fisch im Wasser. Sie sind nur etwas überarbeitet wie wir alle. Ein medizinisch verordneter Urlaub wird Ihnen gut tun.“


Sie ging zu einer Schublade an einem Schrank und holte ein Pad hervor, das sie an den Computer anschloss. Aber ihre Handlungen kamen der technischen Assistentin sehr verlangsamt und müde vor. Aber das war nur ein weiterer Hinweis darauf, wie richtig sie eigentlich lag!


Nach dem Überspielen eines Formulars, das Loridana erst im Pad ausfüllte und unter das sie ihre akustische Unterschrift setzte, gab sie Jannings das Pad in die Hand. „Vielen Dank, Scientist.“, sagte er und verließ die Krankenstation. Auch beim Weggehen beobachtete Elektra die Situation. Es schien ihr, als währen Learosh und Loridana froh, dass er endlich gegangen war.


Sie nahm ihr Haftmodul und überspielte den gesamten Vorgang in ihren eigenen Speicher. Die Spuren ihrer Aktion im Computer würde sie nicht verwischen. Vielmehr würde sie Mikel sogar gezielt auf die Datei aufmerksam machen. Schließlich ging es hier um die Sicherheit von allen! Von allen, inklusive der Sicherheit von Lycira, die so schnell wie möglich repariert werden musste, damit sie gegenüber Mikel aussagen konnte.


Ohne das OK ihres Vorgesetzten abzuwarten, ging Elektra zum Replikator und replizierte die benötigten Ersatzteile. Dann packte sie diese zusammen mit ihrem eigenen Werkzeug in eine Tasche und begab sich zur Shuttlerampe. „Lycira, ich bin’s.“, sagte sie, um sich bei meinem Schiff zu erkennen zu geben. Lycira scannte kurz ihre Umgebung und benutzte dann den Außenlautsprecher: „Hallo, Elektra. Was führt dich her?“ „Ich komme, um dich zu reparieren.“, sagte die Androidin und stellte ihre Tasche auf dem Boden vor dem Schiff ab. Lycira war nicht entgangen, dass Elektra es eilig hatte. „Warum hast du es so eilig, Elektra.“, fragte Lycira, die sich nicht nur mit Jannings, sondern auch mit seiner Assistentin duzte. „Du musst so schnell wie möglich wieder deiner Wege fliegen.“, sagte die Androidin mit der ihr eigenen Gleichmut. „Du bist hier nicht mehr sicher. Eigentlich sind wir es alle nicht mehr. Die gesamte Besatzung, zumindest der biologische Teil, ist in seine gute und seine böse Seite gespalten worden. Der Nachteil ist, dass die böse Seite eigentlich auch notwendig ist, weil sie auch die Willensstärke repräsentiert. Aber nun …“ „Ich kann es mir denken!“, sagte Lyciras sanfte Stimme und klang dabei fast etwas erschrocken. „Sag bitte nicht, auch George ist betroffen!“ „Doch.“, sagte Elektra. „Auch George. Deshalb repariere ich dich ohne sein Einverständnis, damit du dich in sichere Gefilde begeben kannst, bevor hier noch etwas Schlimmes passiert.“


Sie entfernte eine Abdeckung, um an Lyciras Warpkern kommen zu können. „Das könnte jetzt unangenehm werden.“, sagte sie und begann, mit einem Werkzeug den magnetischen Fluss einzustellen. „Danke für deine Warnung.“, sagte mein Schiff. „Aber da du mich gewarnt hast, kann ich die Sensoren, die mir deinen Eingriff melden würden, ja einfach abschalten und schon merke ich nichts mehr davon.“ „Das ist ein Vorteil, den du gegenüber einer biologischen Einheit hast.“, sagte die Androidin. „Die meisten von ihnen können ihr Schmerzempfinden nicht so einfach ausschalten.“


Sie überprüfte die Werte ein letztes Mal mit ihrem Erfasser. „So.“, sagte sie. „Nun müsste es dir wieder besser gehen.“ „Du hast Recht.“, sagte Lycira. „Aber was ist eigentlich mit George und den anderen geschehen?“ „Sie sind von jemandem auf Khitomer einer so genannten Reinwaschung unterzogen worden.“, sagte Elektra. „Ich habe es gesehen.“ „Ach du meine Güte!“, rief Lycira aus. „Du, Elektra, ich glaube, ich weiß, wie es dazu kommen konnte. Hast du ein Haftmodul? Dann kann ich es dir zeigen. Weil du eine künstliche Lebensform bist, kann ich ja nicht telepathisch mit dir kommunizieren.“ „Das habe ich.“, antwortete die Androidin und holte das Gewünschte aus ihrer Tasche. Dann entfernte sie eine weitere Abdeckung, die den Blick auf einen Computeranschluss freigab, in den sie den Stecker des Haftmoduls steckte, während sie sich das andere Ende in alt hergebrachter Weise auf die Stirn klebte. „Ich bin bereit.“, sagte sie. „Also gut.“, sagte Lycira und begann mit dem Überspielvorgang. Jetzt sah Elektra alles, was zwischen Radcliffe, Lycira, den Breen und mir geschehen war.


Elektra, die menschliche Reaktionen durchaus bis zu einem bestimmten Punkt emittieren konnte, musste sich erst einmal setzen. „Eines ist sicher.“, sagte sie. „Mit diesem Wissen könnten wir zwei Sytania sehr im Weg sein! Ich bin sicher, dass sie hier die Hände im Spiel hat! Ich kann auf mich aufpassen. Aber du solltest dir ein Versteck suchen. Ein Raumschiff versteckt man am besten unter Raumschiffen. Wie wäre es, wenn du die Dimension der selbstständig denkenden Schiffe aufsuchst. Kamurus, Sharie und die anderen würden sicher gut auf dich achten.“ „Aber ich muss aussagen.“, widersprach Lycira. „Das tue ich für uns beide.“, versicherte Elektra. „Du bist dort wirklich im Moment sicherer!“


Sie entfernte ihr Haftmodul wieder aus dem Port, um es in einen für den Schiffscomputer zu stecken. Dann schrieben ihre Gedanken in Windeseile ein Programm, das sie gleich darauf initiierte. „Zwanzig Sekunden bis Dekompression und Öffnung der Hangartore.“, sagte der Computer freundlich. „Flieg!“, wandte sich Elektra an mein Schiff. „Sie werden nicht merken, dass du fort bist. Mein Programm füttert die Brücke mit falschen Daten und löscht sich sofort, wenn es abgelaufen ist. Das hier ist deine einzige Chance. Ich werde jetzt gehen, sonst werde ich in den Weltraum gesogen!“ „Danke, Elektra.“, sagte Lycira und aktivierte ihren Impulsantrieb. Ihre Hecksensoren nahmen noch wahr, wie Elektra durch die Tür verschwand. Dann wartete sie den Rest der Zeit ab, bis sich die Tore öffneten, um geschmeidig hindurch zu gleiten. Sie würde Elektras Rat annehmen. Sobald sie weit genug von der Granger entfernt war, würde sie den interdimensionalen Antrieb aktivieren und in Richtung der Dimension der selbstständig denkenden Schiffe verschwinden.

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