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Sytania hatte Radcliffe bei seinem zerstörerischen Werk beobachtet. „So ist es recht, Nathaniel.“, flüsterte sie in den Kontaktkelch. „Nur die, die da glauben, werden gesegnet sein, und zwar mit der Gnade, leben zu dürfen. Zur Hölle mit dem Rest!“ Sie lachte hexenartig.

Etwas tippte ihr auf die Schulter. Erst bei näherem Hinsehen erkannte sie Telzan. „Was schleichst du dich an wie ein Dieb in der Nacht!“, verhörte sie ihn. „Ich wollte Milady nicht stören.“, sagte der Vendar. „Ihr saht aus, als würdet Ihr gerade einen Triumph beobachten.“ „Da liegst du gar nicht so falsch.“, sagte die Prinzessin, griff die Hand ihres Dieners und zog ihn neben sich auf ihren Thron. Dann führte sie seine Hand auf den Fuß des Kontaktkelchs und nahm seine zweite Hand in die Ihre. Telzan verstand und begann damit, sich in gleicher Weise wie sie auf den Kelch zu konzentrieren. „Das ist das Schiff Eurer neuen Marionette.“, sagte er. „Ganz genau.“, sagte Sytania. „Er ist auf dem Weg hier her zurück. Du wirst ihn empfangen und hier her ins Schloss geleiten. Ich habe noch etwas mit ihm zu besprechen. Seine Frau und sein Sohn werden ihre Gemächer beziehen. Sag Cirnach, sie soll ihnen bei ihrer Eingewöhnung behilflich sein. Dein holdes Weib wird dich begleiten, wenn du sie am Landeplatz empfängst. Gib ihr Bescheid!“ „Ja, Milady.“, sagte Telzan, stand auf und verließ den Thronsaal.

Mittels des interdimensionalen Antriebs, über den auch das Breenschiff verfügte, hatte Radcliffe seine Familie ins Dunkle Imperium gebracht. Malcolm, der aus dem Fenster sah, war tief beeindruckt von der merkwürdig violett schimmernden Landschaft unter ihnen. Auch die Fackeln, mit denen Telzan und seine Frau ihnen den Landeplatz in traditioneller Weise zuwiesen, kamen ihm merkwürdig vor, aber in seiner kindlichen Fantasie stellte er sich wohl vor, dass sein Vater seine Mutter und ihn in ein Märchenland entführen würde. Angesichts des traumatischen Geschehens, das die Realität bei ihm auslösen würde, wenn er tatsächlich verstünde, was hier geschehen war, war es aber für seine Kinderseele allemal besser so. Auch Nayale würde es vermeiden, ihn aufzuklären, obwohl es ihr sicherlich möglich war, ihm die Wahrheit kindgerecht nahe zu bringen. Aber sie war auch intelligent genug, um zu verstehen, was das für ihr Kind bedeuten würde.

Nathaniel ließ das Schiff sanft zwischen den Bäumen landen. Dann stiegen seine Familie und er aus. Telzan und Cirnach gingen auf sie zu. Der Vendar machte eine tiefe Verbeugung vor ihm und sagte dann: „Sei gegrüßt, Nathaniel El Taria. Ich bin Telzan, das ist meine Frau Cirnach. Wir sind Lady Sytanias oberste Vendar. Wir sollen euch zu ihr geleiten. Meine Herrin möchte mit dir, Nathaniel, noch etwas besprechen. Ich bringe dich gleich zu ihr. Cirnach wird sich um deine Frau und dein Kind kümmern. Meine Leute warten dein Schiff. Nun folge mir bitte.“ Nathaniel nickte und tat, worum er gerade gebeten worden war.

Cirnach wollte Malcolm bei der Hand nehmen, aber der Junge zog die Seine ängstlich zurück. „Bitte fürchte mich nicht.“, bat die Vendar. „Ich möchte dir nichts Böses.“ „Ich hab’ Angst, Mummy!“, schluchzte Malcolm und drückte sich an seine Mutter. Nayale aber, die sich entschieden hatte, das Spiel zunächst mitzuspielen, fasste Cirnachs ausgestreckte Hand. „Schau mal.“, sagte sie. „Mummy begrüßt sie doch auch. Sie hat zwar ein Fell, ist sehr groß und redet komisch, aber sie ist doch ganz lieb. Du wirst sie sicher noch genauer kennen lernen und sie dann sicher auch mögen.“ „OK.“, sagte Malcolm, der seiner Mutter sehr vertraute. Dann nahm er ihre Hand und so gingen sie in Richtung Sytanias Palast davon.

Radcliffe und die Prinzessin hatten den Thronsaal aufgesucht und jetzt saßen sie gemeinsam auf den beiden Sesseln, die auf dem Gestell von Sytanias Thron angebracht waren. In jedem Fall wollte die Imperianerin dem ahnungslosen Professor vorgaukeln, er sei ihr gleichgestellt.

Sie winkte und ein Diener betrat den Raum. In seinen Händen hielt der etwas gekrümmte Mann ein Tablett, das er auf dem marmornen Tisch, an dem Sytania auch sonst ihre Schreibarbeiten erledigte, abstellte. Dann goss er aus einer Karaffe Wein in zwei weiße Gläser, die beide Blumenkelchen glichen. Auch die Karaffe war weiß und hatte eine ähnliche Form. „Lass uns allein!“, befahl Sytania in Richtung des Dieners und er verließ den Saal genau so stumm wieder, wie er gekommen war.

Sytania selbst stieg nun von ihrem Thron herab und nahm die Gläser vom Tablett, um Radcliffe eines davon zu geben. Das andere behielt sie selbst. Dann setzte sie sich wieder neben ihn und stieß mit ihm an: „Auf unsere gute Zusammenarbeit, Nathaniel!“ „Auf die Zusammenarbeit, Euer Hoheit.“, erwiderte der verblendete Archäologe. Beide nahmen einen tiefen großen Schluck aus den Gläsern. Natürlich wusste Sytania, dass ihr, als einer Mächtigen, Alkohol nichts ausmachen würde. Aber all das gehörte ja auch zu ihrem Plan. Je umnebelter Radcliffes Verstand war, desto leichter hatte sie es mit ihm.

Auf der Armlehne seines Sessels stellte Radcliffe sein Glas ab. „Ihr wolltet etwas mit mir besprechen, Hoheit.“, sagte er. „Oh, warum so förmlich, mein Lieber.“, schleimte Sytania. „Nenn mich doch einfach beim Vornamen. Du wirst übrigens der einzige Sterbliche sein, der das je darf. Der Einzige, verstehst du?“ „Ihr seid zu großzügig, Sytania.“, sagte Radcliffe. „Aber die Anredeform werde ich wahren. Schließlich seid ihr eine Königstochter.“ Sytania gab einen Laut des Missfallens von sich und sagte dann: „Ach, also gut. Aber nun zu dem, was ich mit dir bereden muss. Ich hasse lange Vorgeplänkel!“

Sie zog den Kontaktkelch aus ihrem Gewand hervor und stellte ihn ebenfalls auf einer Armlehne ab. „Gib mir deine linke Hand und lege die Rechte auf den Fuß des Kelches!“, wies sie Radcliffe an, der ihre Anweisung bereitwillig ausführte. „Und nun erlaube mir telepathischen Kontakt zu dir.“, sagte sie dann. „Ich weiß, dass du weißt, dass ich mir auch holen kann, was ich will, aber wenn es freiwillig geschieht, ist es doch für uns beide viel angenehmer, nicht wahr?“ Radcliffe nickte. „Bitte vergebt einem dummen Nicht-Telepathen.“, sagte er. „Aber wie kann ich Euch erlauben …“ „Entspann dich einfach.“, flüsterte Sytania ihm zu. „Ich tue den Rest.“

Radcliffe sah eine Art Nebelwand vor sich, die sich langsam lichtete und den Blick auf IDUSA, Shimar und mich freigab. „Warum zeigt Ihr mir das?“, fragte Radcliffe. „Mich wundert, dass du überhaupt verstanden hast, dass ich dir etwas zeige.“, bemerkte Sytania konzentriert. „Die Meisten anderen würden erschrocken zurückweichen. Aber du scheinst doch sehr intelligent zu sein, Nathaniel Radcliffe.“ „Wer sind diese Frau und dieser Mann, Sytania?“, fragte Radcliffe und deutete im Geist auf die Bilder von Shimar und mir. „Das sind zwei, denen du glaubhaft versichern musst, dass du geheilt bist. Die Frau dürftest du gut kennen.“, antwortete Sytania.

Sie rückte mein Bild in den mentalen Fokus. „Das ist Allrounder Betsy Scott!“, erkannte Radcliffe. „Genau.“, sagte Sytania. „Sie ist doch diejenige, welche, nicht wahr?“ „Ich denke, das wisst Ihr besser als ich.“, sagte der Professor. „Aber der Mann, der bei ihr ist, ich meine, er ist Tindaraner! Wir sollten das hier so schnell wie möglich beenden, Sytania! Ich flehe Euch an! Ich meine, er ist Telepath und als solcher sicher in der Lage, Euch jetzt zu spüren. Wenn …!“ „Ruhig Blut.“, beruhigte ihn Sytania. „Ich werde uns schon abschirmen.“ „Es wäre mir aber sicherer.“, sagte Radcliffe. „Ich weiß ja jetzt, dass es um die Beiden geht. Bitte, Sytania, bitte!“

Sie machte ein wütendes Gesicht, gab einen grummelnden Laut von sich und zog ihre Hände vom Kelch und aus den Seinen. „Wenn wir weiter zusammenarbeiten wollen!“, sagte sie mit strengem Unterton. „Dann wirst du unbedingt an deiner Ängstlichkeit arbeiten müssen, mein Lieber!“ „Verzeiht.“, bat Nathaniel. „Aber ich bin das hier noch nicht gewohnt. Ich meine, durch den Kegel weiß ich, wie ich mit den Fähigkeiten umgehen muss, die Ihr mir zur Reinwaschung diverser Individuen gegeben habt. Aber mit der Aussicht, selbst ausspioniert zu werden, habe ich Schwierigkeiten.“ „Mir scheint.“, sagte Sytania. „Dass du einfach auch noch lernen musst, deiner neuen Freundin zu vertrauen.“ „Das wird es wohl sein, Sytania.“, sagte Radcliffe. „Das wird es wohl sein.“

Er leerte sein Glas in einem Zug, was Sytania insgeheim sehr gefiel. Würde er doch dadurch noch gefügiger und leichter zu beeinflussen werden. „Warum muss ich Allrounder Scott davon überzeugen, dass ich geheilt bin?“, fragte Nathaniel. „Weil sie dir sonst immer wieder hinterher spionieren wird!“, sagte Sytania. „Sie weiß, was ihr auf dem Planetoiden erlebt habt und sie kann sich sicher denken, dass ich daran schuld bin, obwohl ich es ja eigentlich ziemlich gut verkleidet habe, nicht wahr?“ „Das habt Ihr für wahr.“, sagte Radcliffe. „Aber sie ist ausgebildete Sternenflottenoffizierin und hat …“ „Genau das.“, sagte die Prinzessin. „Was für ein kluger Junge du doch bist. Aber wenn du sie überzeugt hast, dass du harmlos bist, dann wird sie dich deiner Wege gehen lassen. Wenn sie sieht, dass du von deinem cholerischen Anfallsleiden geheilt bist, wird sie alles andere außer Acht lassen. Sie wird froh sein, dass deine Krankheit den armen kleinen Malcolm nicht mehr gefährdet und das wird alles sein, was für sie zählt. Das war ja auch letztlich das Argument, mit dem du sie rumgekriegt hast.“ „Das stimmt.“, sagte Radcliffe. „Aber was ist, wenn dieser Tindaraner mitbekommt, dass Ihr hinter allem steckt?“ „Das wird er nicht!“, sagte Sytania mit Überzeugung. „Dafür werde ich schon sorgen.“

Sie zog eine Krawattennadel aus einem Täschchen ihres Kleides und gab sie Nathaniel. „Wenn du dies trägst.“, sagte sie. „Dann kannst du dir meines Schutzes sicher sein. Damit kannst du auch Kontakt zu mir aufnehmen. Sie gilt auch als Kontaktkelch, sobald du sie mir geweiht hast.“ „Und wie mache ich das?“, fragte Radcliffe. „Halt sie mit beiden Händen vor dich!“, wies Sytania ihn an. „Und nun sprich mir nach: Ich weihe dich Sytania, der Kronprinzessin des Dunklen Imperiums!“

Radcliffe nahm die Nadel in beide Hände, hielt sie vor sich und wiederholte feierlich: „Ich weihe dich Sytania, der Kronprinzessin des Dunklen Imperiums!“ Alsbald fuhr ein schwarzer Blitz herab und zeichnete einen Drudenfuß in die Brosche der Nadel. Radcliffe ließ sie vor Schreck los. „Recht so.“, sagte die Königstochter. „Und nun sollst du lernen, wie du sie benutzt, um mich zu kontaktieren. Nimm sie wieder in beide Hände und stell dir mein Gesicht vor.“ Auch das tat Radcliffe. Sie spürte seinen Kontaktversuch. „Geht ja wirklich gut vonstatten mit dir, der Unterricht!“, lobte sie. „Ich hatte da schon weitaus schwierigere Schüler. Aber nun nimm dein Schiff und dann ab nach Celsius mit dir! Ach, bevor ich es vergesse: Kümmere dich bitte unbedingt um diese Ginalla! Versuch unter allen Umständen, sie reinzuwaschen, damit es ihr genau so geht wie den anderen und damit sie keinen Verdacht schöpfen kann. Denk an die kleine aber feine Nebenwirkung, die diese Reinwaschung hat.“ „Ihr könnt Euch meiner sicher sein, Sytania.“, sagte Radcliffe. „Wenn die Vendar nur mein Schiff fertig haben.“

Sie winkte Telzan, der die gesamte Zeit über anwesend gewesen war. Dieser zog sein Sprechgerät, gab ein Rufzeichen ein und führte ein Gespräch in seiner Muttersprache mit einem weiteren unbekannten Mann. Dann sagte er an Radcliffe gewandt: „Dein Schiff ist bereit, Nathaniel El Taria. Bitte folge mir.“ Radcliffe nickte und ging mit dem Vendar fort.

Während des gesamten Weges zu seinem Schiff schien Radcliffe sehr nachdenklich, was Telzan durchaus registrierte. „Was ist dir, Nathaniel El Taria?“, fragte der Vendar, dessen Ausdrucksweise dem Professor etwas seltsam vorkam. Da er sich als Archäologe mit alten Kulturen beschäftigt hatte, wusste er, dass die Muttersprache des Vendar Elemente enthalten musste, die auch im Altägyptischen und im Arabischen zu finden waren. Dazu kam noch die hier im Dunklen Imperium vorherrschende mittelalterliche Struktur. So konnte er sich seine merkwürdige Sprache durchaus erklären und es fiel ihm, der an sich immer sehr korrekt war, nicht im Traum ein, Telzan zu verbessern. Vielmehr antwortete er: „Was mir ist? Nun, ich frage mich, wie ich es anstellen soll, Allrounder Scott zu überzeugen. Ich meine, du warst die gesamte Zeit anwesend und hast alles mitbekommen, was deine Herrin und ich besprochen haben.“ „In der Tat.“, sagte Telzan. „Aber ich weiß, wie du sie überzeugen wirst. Du wirst deine Familie dazu benutzen.“

Er drehte sich um und zog gleichzeitig sein Sprechgerät wieder aus der Tasche, an dem er die Taste für die Rufwiederholung betätigte. Da er das Gerät auf Lautsprecher gestellt hatte, bekam auch Nathaniel mit, dass er eine Antwort von jenem Techniker erhielt, mit dem er vorher auch über die Wartung des Breenschiffes gesprochen haben musste. Was er ihm jetzt auftrug, verstand der Professor nicht, aber es musste wohl so etwas wie: „Es wird eine kleine Verzögerung geben. Bitte warte nicht auf uns!“, bedeuten.

Das Gespräch war schnell beendet und Telzan gab ein weiteres Rufzeichen ins Gerät ein, über das sich seine Frau meldete. Dieses Mal aber sprach er Englisch mit ihr. Dabei verwendete er aber einen einzigen vendarischen Begriff, der im Allgemeinen sehr bekannt sein durfte. „Bereite bitte Nathaniels Familie darauf vor, dass sie abreisen werden, Telshanach. Sie werden ihm helfen müssen, ein Unheil von uns abzuwenden, damit unsere Herrin ihren Plan weiter verfolgen kann.“ „Ich werde es ihnen sagen, Telshan.“, erwiderte Cirnach und beendete die Verbindung.

Irritiert sah Radcliffe Telzan an. „Was hieß das und worum geht es hier?“, fragte er. „Sprichst du von dem Gespräch mit meinem Untergebenen, oder von dem mit meiner Frau?“, fragte der Vendar. „Um ehrlich zu sein.“, sagte Radcliffe. „Ich rede ein wenig von beiden. Ich meine, ich werde mich noch an einiges gewöhnen müssen, wenn ich mit deiner Herrin zusammenarbeiten soll und ich habe sicher noch eine Menge Fragen. Zum Beispiel: Was ist die primäre Aufgabe von dir und deiner Truppe? Seid ihr so eine Art Leibwache?“

Telzan grinste, blieb stehen und wandte Nathaniel seinen Rücken zu. Dem Terraner war die leichte Erhebung längst aufgefallen, die er in seinem Nacken trug. Aber er hatte sich noch nicht getraut, ihn darauf anzusprechen. „Sieh her.“, sagte Telzan, fasste Nathaniels Hand und führte sie auf die Erhebung. Da der Professor ja in gewisser Weise auch telepathisch war, fühlte er bald Rückstände von Energie. „Es heißt Sifa in meiner Sprache.“, erklärte Telzan. „Darin können wir Energie von Telepathen speichern und sie dann Sytania geben. Das ist unsere primäre Aufgabe. Wir können aber so auch ganze Bewusstsein gefangen nehmen.“ „Faszinierend.“, sagte Nathaniel. „So tragt ihr also dazu bei, dass Sytania auch unter den hiesigen Mächtigen gefürchtet bleibt.“ „In der Tat.“, sagte Telzan. „Und was hieß das Wort, das du zu deiner Frau gesagt hast?“, fragte Nathaniel. „Das bedeutet einfach nur Liebling.“, antwortete der Vendar. „Du wirst noch viel über uns erfahren, Nathaniel El Taria. Noch sehr viel.“

Cirnach hatte Mutter und Sohn in ihre Gemächer gebracht. Malcolm war sehr beeindruckt von dem großen Spielzimmer gewesen, das ihm Cirnach als Allererstes präsentiert hatte. Dort waren alle seine Lieblingsspielsachen zu finden! Alle, von denen er sich eigentlich auf der Erde symbolisch verabschiedet hatte. „Wie kommt das alles hier her, Tante Cirnach?!“, fragte der Junge begeistert, den die Freude über die Sachen bereits seine Angst vor der seltsamen Frau vergessen lassen hatte. „Meine Herrin weiß, was kleine Kinder mögen.“, antwortete die Vendar lächelnd. „Dann verdanke ich das alles hier der Märchenprinzessin?“, fragte Malcolm. „In der Tat.“, antwortete Cirnach. „Dann sag ihr bitte danke von mir.“, erwiderte der Junge und schnappte sich die Fernsteuerung eines kleinen Raumschiffes, das er vorher in die Hand genommen hatte, welche er als Startrampe benutzte. Beeindruckt sah Cirnach zu, wie er das Schiffchen einige kunstvolle Manöver unter der Decke des hohen Zimmers fliegen ließ. Dann sah sie, wie es langsam genau in der Mitte des runden Tisches, der aus Ebenholz war und in der Mitte des Zimmers stand, landete. „Du wirst einmal ein sehr talentierter Pilot werden, wenn du groß bist, Malcolm El Taria.“, sagte Cirnach fast ehrfürchtig. „Die meisten unserer Novizen beherrschen ferngesteuerte Fluggeräte nicht halb so gut, wie du dein Spielzeug beherrschst und sie sind erheblich älter.“ „Echt?“, fragte Malcolm stolz. „Echt in der Tat.“, antwortete die Vendar, was in Nayales Ohren, deren Muttersprache Englisch zwar auch nicht war, die es aber gut gelernt hatte, etwas unbeholfen klang. „Kannst du mir zeigen, wie man ein echtes Raumschiff fliegt, oder dein Mann?“, fragte Malcolm. „Ich müsste all diese Dinge mit meinem Mann besprechen.“, sagte Cirnach. „Aber du bist ja auch noch zu jung. Wenn du in das Alter der Novizenschaft kämst und du würdest in unsere Kreise aufgenommen, dann wärst du der erste Nicht-Vendar, den wir unterrichten. Aber ich werde auf jeden Fall für dich ein gutes Wort bei Telzan einlegen nach dem, was ich gerade gesehen habe. Es wird Dinge geben, von denen du beim Unterricht ausgeschlossen werden sein wirst, weil du einfach nicht die körperlichen Fähigkeiten dazu hast, aber das Fliegen eines Schiffes könntest du sicher bei uns lernen.“

Telzan und Nathaniel betraten den Raum. „Hallo, Daddy!“, begrüßte Malcolm seinen Vater stolz. „Stell dir vor! Die Tante Cirnach meint, ich kann ein Vendar werden!“ Nathaniel sah zuerst die Vendar und dann seine eigene Frau verwirrt an. „Sie hat ihm Hoffnung darauf gemacht, dass er von ihren Leuten lernen kann, wie man ein Schiff fliegt.“, erklärte Nayale. „Vielleicht hat er da etwas durcheinander gebracht.“ „Das glaube ich auch.“, sagte der Professor, dem durch Telzans Aufklärung ja einiges klarer geworden war. „Aber sie muss es noch mit ihrem Mann besprechen. Immerhin wäre er der erste Mensch, den sie unterrichten würden.“, fügte Nayale noch hinzu. „Dann hat sie dafür genug Zeit.“, sagte Nathaniel. „Wir werden nämlich erst einmal in den Urlaub nach Celsius fliegen.“ „Nach Celsius?“, fragte Nayale verwirrt. „Wir sind doch gerade erst angekommen und du willst schon wieder weg?“ „Prinzessin Sytania hat einen Auftrag für uns.“, sagte Nathaniel und sein Gesicht verriet, dass er wohl keinen Widerspruch duldete.

Nayale überlegte. Die Zusammenhänge waren ihr zwar noch nicht ganz klar, aber sie ahnte, dass diese Sytania ihren Mann nur benutzen würde, und zwar für ein paar ganz böse Spiele. Aber das konnte sie auf keinen Fall den Jungen merken lassen! Sein kindliches Gemüt würde nicht in der Lage sein, das ganze Ausmaß der Situation zu erfassen und es würde unter Umständen ein Trauma zurückbleiben. Deshalb sagte sie entschlossen: „Dann werde ich mal packen! Malcolm, such dir deine liebsten Spielzeuge aus, die du mitnehmen willst.“ „OK, Mummy.“, sagte der Junge, dem gegenüber sie es Gott sei Dank noch immer sehr gut verstanden hatte, ihre Angst und ihr Wissen zu verbergen. Mit Hilfe der Spielsachen würde Malcolm auf dem Flug gut abgelenkt sein und nicht unbedingt mitbekommen, was seine Eltern besprachen. „Beeilt euch bitte.“, sagte Radcliffe freundlich. „Ich will nicht, dass die Vendar so lange warten müssen.“ „Schon gut, Nathaniel.“, sagte Nayale mit einem Lächeln, das nur ihre Unsicherheit überspielte. Dann stellte sie Malcolm einen leeren Koffer hin: „Tu deine Spielsachen da rein, ja?“ Der Junge nickte, schaute kurz über den bunten Haufen an Spielzeug und packte dann einiges in den Koffer. „Ich bin fertig, Mummy.“, sagte er und trug den schwarzen kleinen Koffer stolz hinter seinen Eltern her zum Schiff. Dann stiegen sie ein und flogen ab.

IDUSA, Shimar und ich waren ins celsianische Sonnensystem eingeflogen. Mein Gesundheitszustand hatte zugelassen, dass ich die Steuerkontrolle übernommen hatte, die mir das Schiff bereitwillig gab. Sie kannte mich und wusste, dass ich durchaus mit ihr umgehen konnte. Jetzt waren wir von der celsianischen Raumkontrolle gerufen worden und ein älterer Celsianer mit Schnauzbart hatte nach unseren Absichten, unseren Namen und der Kennung unseres Schiffes gefragt. „Ich bin Allrounder Betsy Scott von der Sternenflotte.“, stellte ich mich vor. „Bei mir ist Shimar von den tindaranischen Streitkräften. Wir sind hier, weil unser Schiff eine Wartung bekommen soll und wir Urlaub machen möchten.“ „Interessant.“, sagte der Celsianer. „Aber die Sache mit der Wartung eines tindaranischen Schiffes is’ hier bei uns sogar bestätigt, Allrounder Scott. Sobald Sie in der Atmosphäre sind, setzen Sie Kurs 52 Vertikale 81. Das bringt Sie direkt zum Flugplatz der Werft.“ „Danke, Kontrolle.“, sagte ich und wies IDUSA an, die Verbindung zu beenden. Dann gab ich ihr die entsprechenden Gedankenbefehle.

Shimar, der sich in der Achterkabine aufgehalten hatte, betrat das Cockpit. Ihm war nicht entgangen, dass wir in die Atmosphäre eingetreten waren. „Wir sind wohl bald da, Kleines.“, sagte er. Ich nickte. Aber im gleichen Moment bekam ich das seltsame Gefühl, dass etwas mit ihm nicht stimmte. „Ist was passiert?“, fragte ich. „Ach.“, sagte er. „Ich hatte nur kurz das Gefühl, Sytania würde uns beobachten. Aber sie hat sich ganz schnell wieder aus dem Staub gemacht. Vielleicht bin ich auch nur überarbeitet und meine telepathische Wahrnehmung spielt mir einen Streich.“ „Oder.“, mischte sich IDUSA ein, die inzwischen auch seine Reaktionstabelle über seinen angeschlossenen Neurokoppler geladen hatte. „Sytania, das Mimöschen, macht sich vor uns ins Höschen.“ „IDUSA!“, zischte ich. „Was haben Sie denn, Allrounder?“, fragte sie. „Ich habe doch nur die Wahrheit gesagt.“ „Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall, IDUSA!“, stellte sich Shimar auf meine Seite. „Ich muss dich doch wohl nicht erinnern, dass dich Sytania auch schon in manch unangenehme Situation gebracht hat. Also Vorsicht! Trotzdem war dein Spruch sehr humorvoll. Dass Shannon deine Sprachroutinen von Zeit zu Zeit aufpeppt, scheint ja wirklich sehr sinnvoll zu sein.“

„Unter uns ist die Werft, Allrounder.“, meldete das Schiff einige Sekunden später. „Ich registriere ein Positionslicht.“ „Folgen, IDUSA.“, befahl ich. Ihr Avatar nickte und führte meinen Befehl aus. Wir landeten an der zugewiesenen Stelle. Dass man uns erwartete, konnte ich mir denken. Wir würden sie dem Werftpersonal übergeben und uns dann selbst zu Ginalla begeben. Meine Kenntnisse des celsianischen öffentlichen Nahverkehrs würden dazu schon ausreichen.

Mit den Worten: „Ich muss gleich zur Nachtschicht, Ginalla.“, hatte Scotty die Bar seiner Freundin wieder verlassen. Jetzt saß Ginalla über den Listen für die Zimmer. Hier hoffte sie, uns ein ganz besonderes Zimmer heraussuchen zu können, denn für spezielle Gäste war ihr das Beste gerade gut genug. Allerdings schaute sie nur mit einem Auge hin, denn das andere war aus irgendeinem unbekannten Grund ständig auf die Tür gerichtet. Diese öffnete sich alsbald und ein Luftzug kündigte den Einflug eines Wesens an. Der Luftzug hatte aber auch die unangenehme Nebenwirkung, dass alles, was sich auf den Tischen bei der Tür befand, auf den Boden fiel, oder wie das Tischtuch selbst vom Wind getragen einmal durch die gesamte Kneipe segelte, um dann am nächsten Kronleuchter hängen zu bleiben. „Horch, was kommt von draußen rein.“, murmelte Ginalla mürrisch, der die soeben in ihrer Bar betriebene Sachbeschädigung gar nicht gefiel. Sie war neugierig, wer wohl hierfür verantwortlich sein könnte.

Sie stand von ihrem Stuhl hinter dem Tresen auf und riskierte einen vorsichtigen Blick um die Ecke. Dieser Blick fiel auf ein Wesen, das sich einige Zentimeter über dem Boden dem Tresen näherte. Es hatte eine Spannweite, die Ginalla nicht wirklich in Ziffern bemessen konnte und sah aus wie ein riesiger Schmetterling. Jetzt versuchte es auch noch, auf einem der Barhocker zu landen, was ihm schlussendlich doch gelang. Durch die Anstrengung, in geringer Höhe in einem schmalen Umkreis manövrieren zu müssen, war es allerdings sehr außer Atem. Schnell holte Ginalla ein einem Blumenkelch ähnliches Gefäß, füllte es am Replikator mit künstlichem Nektar und schob es dem Fremden hin. „Na, das ist ja wohl das Mindeste.“, keuchte dieser. „Ich dachte, Sie könnten Ihre Kneipe ruhig etwas barrierefreier für Wesen wie mich gestalten.“ „Jetzt schauen Sie mal zum Dach, Mister!“, erwiderte Ginalla, die durchaus nicht auf den Mund gefallen war, mit ihrer celsianischen Kodderschnauze auf seine Beschwerde.

Der fremde Insektoide hob den Kopf aus seiner Haltung, die uns eventuell an Bauchlage erinnern würde, und richtete seine Fassettenaugen zum Dach. Hier sah er eine Luke, an der es sogar ein Schild in seiner Muttersprache gab, auf dem er deutlich das Wort Ausgang entziffern konnte. Auf der anderen Seite der Luke, die sich wohl außen befinden musste, würde wohl dann Eingang stehen. Außerdem sah er ein ausgeklügeltes System von Klappen und Röhren, die wohl die verdrängte Luft ableiten würden, wenn die Luke benutzt würde. So konnte verhindert werden, was gerade geschehen war. „Tut mir leid.“, sagte der Fremde verschämt. „Nein wirklich. Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Da hat man schon den Rundumblick und kriegt es nicht auf die Reihe, ihn anständig zu benutzen. Das Chaos da geht dann wohl auf meine Rechnung.“ „Na, wir wollen mal nicht so sein.“, sagte Ginalla. „Sie sind ja einsichtig. Also, was führt Sie her?“ „Ich brauche ein Zimmer.“, sagte der Fremde, den Ginalla irgendwo her zu kennen vermutete. Auf der Hochzeit der Miray hatten wir uns unterhalten und ich hatte meine Begegnung mit einem schmetterlingsartigen Wesen erwähnt. „Oh, klärchen.“, sagte die Celsianerin, drehte sich ihrem Computer zu und gab einen verbalen Befehl auf Celsianisch. Darauf spuckte der Rechner eine Grafik aus.

„Sie haben Glück.“, sagte die celsianische Junggastronomin, nachdem sie sich wieder zu dem mysteriösen Fremden gewandt hatte. „Unser Spezialzimmer ist noch frei.“ Damit drehte sie sich nach hinten und rief: „Jasmin, zeig unserem Gast das Spezialzimmer!“

Eine zierliche Terranerin mit blonden langen Haaren kam hinter dem Tresen hervor. Sie war die Tochter terranischer Siedler und als Lehrling in Ginallas Kneipe angestellt. Mit großen Augen betrachtete sie das Wesen, das auf dem Barhocker vor ihr saß. Sie wich sogar vor Schreck einige Zentimeter zurück. „Ganz ruhig.“, beschwichtigte der Fremde mit seiner tiefen leisen beruhigenden Stimme. „Lernen wir uns doch erst mal kennen. Dann wirst du auch bald merken, dass ich weder beiße noch steche. Also, du heißt Jasmin, hörte ich und ich heiße Korelem.“ „Hab ich’s doch geahnt.“, zischte Ginalla in ihren nicht vorhandenen Bart. „Er is’ es tatsächlich.“

Ratlos starrte die Jugendliche abwechselnd auf die Tür und auf Korelem. „Wo ist das Problem?“, fragte er. „Wie machen wir das mit dem Lift?“, fragte Jasmin. „Ich meine, ich kann ihn benutzen, aber Sie … Ich meine, es gibt hinter der Tür zum Flur auch ein System von Röhren, das zum Durchflug für Leute wie Sie geeignet ist. Es verbindet die Stockwerke. Aber das kann ich ja wiederum nicht benutzen.“ „Na, dann würde ich mal sagen, du sagst mir, in welchem Stock das Zimmer ist und wir treffen uns dort. OK?“, versuchte Korelem, ihre Aufregung zu lindern und die Wogen zwischen ihnen zu glätten. „Vierte Etage.“, stammelte Jasmin. „Also dann.“, sagte Korelem. „Treffen wir uns in der vierten Etage. Den Zimmerschlüssel bringst du mit. OK?“ Das Mädchen nickte und Korelem nahm seinen Koffer, den er immer noch bei sich trug, mit Vorder- und Hinterfüßen auf, nachdem er vom Barhocker wieder gestartet war.

Ginalla zog etwas aus einer Schublade. Es war eine kleine Karte, die sie ihrem Lehrling übergab. „Du bist ja total aufgeregt.“, stellte sie fest. „Aber du wirst dich hier noch an einiges gewöhnen müssen. Wir haben eben nich’ nur humanoide Kunden.“ „Ich werde es mir merken, Chefin.“, erwiderte Jasmin besserungsbereit. „Entschuldigung.“ „Ach.“, sagte Ginalla locker. „Is’ schon OK. Schwamm drüber. War ja auch dein erstes Mal, dass ich dich auf so einen losgelassen habe. Wollte halt mal sehen, wie du reagierst. Solange das nich’ schlimmer wird, hab’ ich da gar keine Bedenken. Wirst dich schon dran gewöhnen, so wie du gebaut bist. Aber nun mach dich hinterher. Mr. Korelem wartet sicher schon.“ Jasmin nickte und witschte in Richtung Lift davon.

Tatsächlich hatte sich Korelem in der Nähe eines Blumenkübels niedergelassen und wartete hier auf seine Begleitung. Das Röhrensystem hatte für ihn kein Hindernis dargestellt. Die Luken zum Ein- und Ausflug waren gut beleuchtet und großzügig bemessen gewesen.

„Tut mir leid, Mr. Korelem.“, sagte Jasmin, als sie den Lift in der vierten Etage verließ. „Ich hoffe, Sie sind in den Durchflugröhren zurechtgekommen.“ „Oh, ja.“, beruhigte der Alaraner. „Sie sind ja sehr gut ausgeschildert. Das mit dem Eingang war ja mein Fehler. Da kann ja keiner von euch was für, wenn ich meine Augen überall habe aber nicht dort, wo sie sein sollten. Aber nun zeig mal. Wo ist euer Spezialzimmer?“

Jasmin winkte und wuselte voran. Korelem folgte ihr in langsamem Flug. Dabei blieb er immer in Höhe ihrer rechten Schulter. In den weit verzweigten Gängen kannte sie sich aus.

Endlich waren sie bei einer Tür angekommen. Jasmin zog die Schlüsselkarte aus der Tasche und schob sie in ein Laufwerk neben dem Eingang, aber leider falsch herum. Das hatte zur Folge, dass der Rechner folgende Meldung ausspuckte: „Sicherheitskarte ungültig. Bitte wenden Sie sich an die Rezeption.“ „Das kann ich mir nicht erklären.“, sagte Jasmin hektisch. „Aber ich.“, lächelte Korelem und stellte seinen Koffer ab, um seine Vorderfüße zum Halten der Karte frei zu haben. „Gib mal her.“ Dann nahm er ihr die Karte vorsichtig ab und drehte sie langsam, was für den Teenager gut sichtbar war. „Ach so.“, sagte Jasmin erleichtert. „Und ich dachte schon.“

Die Tür glitt in den Boden und gab den Blick auf die Inneneinrichtung des Zimmers frei. Korelem und Jasmin sahen einen in Grasgrün eingerichteten Raum. In seiner Mitte gab es ein Gestell, das einer riesigen künstlichen Blume von ca. einem Meter Höhe glich. Die Blüte dieser Blume hatte einen Durchmesser von ca. zwei Metern und war wie eine riesige runde Matratze aufgebaut, die mit Schaumstoff in Blattform umrandet war. Bezogen war sie mit gelbem Stoff. Das Ganze stand auf einer Spiralfeder, um Bewegungen einer Blume im Wind nachahmen zu können. „Na, das wird mein Schlafplatz sein.“, erklärte Korelem auf Jasmins fragenden Blick. „Sorry, Mr. Korelem.“, entgegnete die Jugendliche stammelnd. „Ist alles noch neu für mich.“ „Mein aufgeregtes Mäuschen!“, rief Korelem aus. „Du warst hier drin noch nie, was?“ Jasmin schüttelte den Kopf. „Was kann ich tun, um dich zu beruhigen?“, fragte der Schmetterlingsartige mit mitleidigem Blick. „Sie könnten mir sagen, dass alles in Ordnung ist.“, sagte Jasmin. „Gleich.“, sagte Korelem. „Erklär’ mir doch noch mal bitte, was ich dort wohl finde.“ Er deutete mit einem seiner Flügel auf eine weitere etwa drei Meter hohe Knospe aus Metall, die sich in der rechten hinteren Ecke des Zimmers befand. An ihrer Spitze befand sich ein Bedienfeld mit einem Sensor. „Ihr Kleiderschrank.“, sagte Jasmin knapp. „Wenn Sie das Feld mit den Fühlern berühren, geht er auf.“ „Ah.“, machte Korelem und sah sich weiter im Zimmer um. Die Tür zum Bad, die wie die Eingangstür auch in den Boden verschwand, hatte er erspäht. Die Dusche glich einer Regenwolke. Auch eine weitere Blüte in Holzoptik, in welcher der Replikator stand, war in der linken vorderen Ecke des Wohnraums vorhanden. Die Displays an den Wänden zeigten Pflanzenmotive. Bei der Tür befand sich auch die Sprechanlage und der Rechner, die ebenfalls mit den Fühlern zu bedienen waren. Das Display war in einem Winkel angebracht, der sehr bequem für Fassettenaugen war.

Korelem zog sie zu dem einzigen an der Rückwand des Zimmers vorhandenen normalen Stuhl und sagte: „Setz dich, bevor du mir hier noch umkippst.“ Dann replizierte er eine riesige Tasse mit heißer Schokolade, die er ihr schluckweise einflößte. Jasmin war erstaunt, wie kunstfertig er beim Fliegen und mit seinen Vorderfüßen war. „Das lernen wir genau so wie ihr das Laufen.“, sagte Korelem. „Schon gut.“, sagte Jasmin und schaute beschwichtigend.

„Wenn dir die Begegnung mit anderen Spezies solche Angst macht.“, sagte Korelem, nachdem er die Tasse, die sie inzwischen vollständig geleert hatte, abgestellt hatte. „Dann solltest du über einen anderen Beruf nachdenken, in dem du keinen Kundenverkehr hast. Ich kann dir allerdings auch anbieten, dass du an mir üben darfst, solange ich hier bin. Sicher kann ich mit deiner Chefin darüber reden.“ „Sie sind in Ordnung, Mr. Korelem.“, sagte Jasmin, die kurz vor dem Weinen war und nur hoffte, er würde das nicht sehen. Wenn sie die Nervennahrung in Form der heißen Schokolade nicht gehabt hätte, wäre es sicher schon dazu gekommen. „Danke, Mrs. Jasmin.“, lächelte Korelem, wonach sie ihn verwirrt ansah. „Nur Jasmin.“, korrigierte sie leise. „Genau wie bei mir.“, sagte er. „Ich heiße auch einfach nur Korelem. Und nun hör mal her. Es ist alles in Ordnung! Ich komme jetzt zurecht. Jetzt werde ich erst mal auspacken.“ „Dann werde ich Sie nicht mehr stören.“, sagte Jasmin höflich und ging.

Korelem zog sich seinen Koffer heran, klopfte einen bestimmten Code mit den Fühlern an einen Sensor und wartete ab, bis der Deckel sich geöffnet hatte. Dann nahm er einen Gegenstand, der wie ein großes Weinglas aussah, heraus und verschloss den Koffer wieder. Für das, was er vorhatte, konnte er zunächst keine Gesellschaft gebrauchen und war froh, jetzt endlich allein zu sein.

Er stellte den Kelch vor sich auf den blütenartigen Tisch. Der Kontaktkelch war mit imperianischen Blumen und den geflügelten Löwen, den Wappentieren Logars, verziert. Dann atmete Korelem konzentriert aus, um sich das Gesicht des imperianischen Herrschers vorzustellen, nachdem er seine Vorderfüße auf den Fuß des Kelches gelegt hatte. Du kontaktierst mich spät!, hörte er Logars tadelnde telepathische Stimme in seinem Geist. Es tut mir leid, Milord. Aber es gab Komplikationen. Wenn Ihr mich mit Euren seherischen Kräften beobachtet habt, dann wisst Ihr ja Bescheid., erwiderte Korelem ebenfalls in Gedanken. Sehr selbstbewusst., lobte Logar. Ich weiß schon, warum ich dich in diesem Fall zu meinem Auserwählten gemacht habe. Wenn du weiterhin ein solches Selbstvertrauen an den Tag legst, sehe ich keine Probleme bei dem, für das ich dich brauche. Ich auch nicht, Majestät., lächelte Korelem. Dann sind wir uns ja einig., dachte Logar. Es wird auch bald los gehen für dich. Die Beiden, um die es geht, nahen bereits. Du weißt, was du zu tun hast. Das weiß ich, Milord., versicherte Korelem. Das weiß ich. Damit ließ er seine Vorderfüße vom Kelch gleiten und diesen in einem Fach seines Kleiderschrankes verschwinden. Niemand sollte ihn zu Gesicht bekommen. Zumindest noch nicht.

Scotty war zu seiner Schicht auf der Werft angetreten und die Schichtleiterin, eine alte Freundin, hatte ihm die Wartung IDUSAs übertragen. Auf einem Steg, der eine Brücke zwischen den Andockplätzen bildete, ging er nun auf den Platz zu, an den sie von einem celsianischen Schlepper nach unserer Übergabe gebracht worden war. Sofort nachdem ihre Sensoren ihn erkannt hatten, öffnete sie bereitwillig die Luke und ließ ihn einsteigen.

Scotty setzte sich auf den Sitz hinter der Steuerkonsole und drehte sich zum Bordmikrofon. „Hallo, Schiffchen.“, sagte er. „Na, kennst du mich noch?“ „Ich kenne und erkenne Sie, Techniker Scott.“, sagte IDUSA, die jetzt ihrerseits den Bordlautsprecher benutzte, denn sie hatte längst registriert, dass Scotty keinen Neurokoppler bei sich trug. „Sind Sie für meine Wartung zuständig?“ „Ja, das bin ich.“, sagte der ältere Terraner. „Du musst dir also keine Sorgen machen. Du bist in den besten Händen, Schiffchen, nämlich in meinen.“ „Danke, Techniker Scott.“, erwiderte IDUSA höflich. „Aber wenn Sie es genau wissen wollen, sorge ich mich auch nicht um mich, sondern eher um Ihre Frau. Der Gesundheitszustand des Allrounders ist bedenklich, seit sie …“

Scotty wurde blass, was sie sofort bemerkt hatte. Dies war auch der Grund, aus dem sie ihren Satz nicht beendet hatte. „Was is’ mit meiner Frau, Schiffchen?!“, fragte Scotty aufgeregt. „Was weißt du?!“ „Ich müsste es Ihnen eigentlich zeigen.“, sagte IDUSA. „Aber Sie haben ja keinen Neurokoppler und ich weiß, dass Sie so etwas auch nicht gern benutzen.“ „Da hast du wohl was falsch verstanden, Schiffchen.“, sagte Scotty. „Ich hab’ nix gegen Neurokoppler. Sie zu benutzen, bin ich nur nich’ gewohnt. Aber du kannst mir doch sicher mit einem aushelfen. Ich mein’, für deinen Replikator is’ so was doch ’ne Fingerübung, nich’ wahr?“ „Da haben Sie Recht.“, sagte IDUSA und ein Lämpchen am Auswurffach des Replikators zeigte an, dass das von Scotty geforderte Gerät dort bereitlag. „Ah, danke, Schiffchen.“, sagte Scotty und nahm es heraus. Dann steckte er den Anschluss in den Port, den IDUSA ihm ausleuchtete. „Ich werde jetzt eine Neurotabelle von Ihnen erstellen.“, erklärte sie. „Das wird etwas dauern. Bitte bewegen Sie sich nicht und sprechen Sie bitte auch nicht.“

Scotty wartete bereitwillig ab, bis sie mit der Ableitung seiner Nervensignale fertig war. Dann sah er in das Gesicht des Avatars. „Endlich lernen wir uns mal richtig kennen, Schiffchen.“, sagte er mit einem Lächeln. „Das stimmt, Techniker Scott.“, antwortete sie. „Ach, nenn mich doch einfach Scotty.“, bot er an. „Dann nennen Sie mich aber auch nicht mehr Schiffchen, sondern IDUSA.“, machte sie zur Bedingung. „OK, IDUSA.“, entgegnete Scotty. Dabei betonte er ihren Namen besonders. „Dann zeig mal her, was du weißt.“ „Ich muss Sie warnen.“, sagte IDUSA, bevor sie die Aufzeichnung, die sie von meiner Aussage gegenüber Shimar und dem, was er aus meinem Geist gelesen hatte, erstellt hatte, abspielte. Shimar hatte ihr alles übermittelt, was er bei mir gesehen hatte. Da er einen Neurokoppler getragen hatte, war das für ihn kein Problem gewesen.

Die Details der Aufzeichnung ließen Scotty erneut erblassen. „Um Himmels Willen!“, rief er aus. „Meine arme, arme Betsy! Tut mir leid, IDUSA, aber unter den Umständen kann ich mich nich’ auf die Arbeit konzentrieren.“ „Was wollen Sie Ihrer Schichtleiterin sagen?“, fragte das Schiff. „Ich werde sagen, dass ich etwas Falsches gegessen hätte.“, sagte Scotty. „Das zieht meistens. Sie wird ja nicht wollen, dass ich dir deine empfindliche Elektronik voll kotze.“ „Davon würde ich auch abraten.“, sagte IDUSA. „Vom tindaranischen Militär könnte es sonst Regressforderungen hageln. Ihre Chefin wäre sicher nicht begeistert, wenn das auf die Werft zukäme.“ „Also.“, sagte Scotty. „Dann lass mich mal schnell raus und ins Büro von meiner Chefin. Wenn ich noch so schön blass bin, könnte das meine Ausrede noch untermauern.“ „Ich weiß was Besseres.“, sagte IDUSA, erfasste ihn mit dem Transporter und setzte ihn genau vor seiner völlig verdutzten Schichtleiterin ab.

Milarah, eine ältere Celsianerin mit langen roten Haaren, staunte nicht schlecht, als sie ihres Untergebenen plötzlich ansichtig wurde. „Wie kommst du denn hier her, Scotty?“, fragte sie. „Hatte ich dich nicht gerade zur Wartung des tindaranischen Schiffes eingeteilt?“ „Das hast du, Milarah.“, sagte Scotty etwas leidend und hielt sich den Magen. „Aber sie hat mich ganz schnell hierher gebeamt. So zu sagen aus Selbstschutz.“ Er verzog theatralisch das Gesicht. „Selbstschutz?“, fragte Milarah. „Was soll ich darunter … Ach du meine Güte!“ Erst jetzt war ihr aufgefallen, wie schlecht es Scotty gehen musste. Die daraus entstehenden Konsequenzen für IDUSA konnte sie sich denken. „Na, ich würde mal sagen.“, begann sie. „Du besuchst gleich erst mal die sanitären Anlagen und dann gehst du nach Hause und kurierst dich aus. Du siehst ja echt nich’ gut aus, Scotty. Jemand von deinen Kollegen wird IDUSA übernehmen.“ „Danke, Milarah.“, sagte Scotty leidend und ging aus der Tür. Sein Weg führte ihn tatsächlich in Richtung der Bäder für das Werftpersonal, aber er nahm dort eine kleine Hintertür, die ihn direkt auf den Parkplatz führte. Hier stieg er in seinen Jeep und fuhr in Richtung Ginallas Bar davon. Hier, oder irgendwo zwischen dort und der Werft, würde er schon auf uns treffen.

Shimar und ich waren unter den Straßen des Städtchens, in dem Scotty und Ginalla wohnten, im unterirdischen Netz für Ort zu Ort Transporte unterwegs. Vor einem der Terminals warteten wir jetzt in der Schlange, bis wir dran waren. Derweil führten wir eine Unterhaltung, in der Shimar das Thema aus irgendeinem unerfindlichen Grund auf die Vergangenheit der Föderation lenkte. „Sag mal, Kleines.“, begann er. „Wenn der Mississippi ein Fluss auf der Erde ist und die Shuttles auf Deep Space Nine alle nach Flüssen benannt wurden, warum gab es dann dort keine Mississippi? Ich meine, das war doch irgendwo nahe liegend, oder?“

Ich stand wie erstarrt da. Erst jetzt war mir etwas aufgefallen. Auf dem Flug hatte Shimar noch behauptet, sich an dem Wort Mississippi die Zunge zu brechen und jetzt hatte er es, wenn man das Mal im Shuttle mitzählte, mindestens drei mal geschafft, es fehlerfrei über die Lippen zu bringen.

Ich schlang meine Arme um ihn, drückte ihn an mich und quietschte aus voller Kehle: „Ich flipp’ aus! Ich schnall’ ab! Ich mach ’n Flickflack rückwärts! Du hast es schon wieder hingekriegt!“ Dabei wurde meine Stimme immer höher. Besonders bei den I-Lauten. Dann drückte ich ihm noch zwei feuchte Küsse links und rechts auf die Wangen und einen direkt auf den Mund, bevor ich ihn wieder losließ. Was ich die gesamte Zeit über nicht bemerkt hatte, war, dass wir von einer Gruppe Celsianer umringt waren, die Beifall klatschten. Auf jedem anderen Planeten hätte mein Verhalten vielleicht eher ein peinliches Achselzucken bei den Umstehenden ausgelöst, aber nicht im real existierenden Humorismus. Hier schien man sich mit mir zu freuen und eine der Frauen aus der Gruppe sagte sogar so laut, dass es wirklich alle hören konnten: „Jawohl, Mädel! Schlabber ihn mal richtig ab dafür! Is’ ja auch ’ne ganz schön stramme Leistung. An dem Wort sind nämlich echt schon viele gescheitert!“ Dann schwankte ein Mann auf uns zu, der wohl schon einiges getrunken hatte und wandte sich an Shimar: „Herzlichen Glückwunsch, Soldat. Ich hoffe, ich krieg’ irgendwann in meinem Leben auch mal eine ab, die sich so köstlich freuen kann.“ Dann hickste er einige Male und verschwand mit ordentlich Schlagseite hinter der nächsten Ecke. Dabei sang, oder besser lallte, er eine celsianische Liebesschnulze. Allerdings völlig schief und aus dem Takt und um einiges zu laut. „Wieso wusste der, dass ich …“, flüsterte Shimar mir zu. „Kann es sein, mein lieber Schatz.“, vermutete ich. „Dass du noch immer deine Uniform trägst? Ich meine, ich bin in Zivil, aber du …“ Shimar sah an sich herunter. „Tatsächlich.“, bemerkte er. „Verdammte Gewohnheit!“

„Hey, meine zwei Turteltäubchen!“ Eine bekannte Stimme hatte uns dies zugerufen und schwere bekannte schnelle männliche Schritte kamen um die Ecke. Die Stimme und die Schritte hatte ich längst erkannt. „Scotty!“, rief ich. „Wir sind hier!“

Es dauerte eine weitere kurze Weile und dann stand er vor uns. „Da seid ihr ja.“, sagte er atemlos. „Ich dachte schon, ich würde euch verpassen. Passanten haben euch hier rein gehen seh’n. Aber wer steht schon gern in der Schlange vor dem Transporter, wenn er eine Fahrt im privaten Jeep haben kann?“ „Wir bestimmt nicht.“, lächelte Shimar und nahm meine Hand: „Komm, Kleines.“

Mit einem Turbolift verließen wir die Transporterstation und dann ging es zum nahen Parkplatz, auf dem Scotty sein Fahrzeug abgestellt hatte. „Ich hab’ schon alles geregelt.“, sagte Scotty, als er gemeinsam mit Shimar unsere Koffer in den Kofferraum lud. „Ich mein’, die Sache mit dem Zimmer bei Ginalla und so.“ „Wenn wir dich nicht hätten und die dicken Kartoffeln.“, rezitierte Shimar einen terranischen Spruch, den er wohl irgendwann von mir gelernt haben musste. „Du machst dich, Junge, du machst dich!“, lobte Scotty und klopfte ihm auf die Schulter.

Ich war hinten in den Jeep gestiegen. „Aber Darling.“, wunderte sich Scotty. „Möchtest du denn nach so langer Zeit gar nich’ bei deinem Mann sitzen?“ „Sie fühlt sich nicht wohl.“, antwortete Shimar für mich. „Sie hat …“ „Ich weiß.“, unterbrach Scotty ihn, während er den Jeep startete, um ihn dann auf die Hauptstraße zu lenken. „Dein Schiff war so frei.“ „Oh.“, machte Shimar bedient. „Dann weißt du …“ „Ich weiß alles.“, sagte Scotty. „Aber dann weiß ich auch, dass wir uns um so mehr um sie kümmern müssen. Irgendwann müssen wir die ganze Geschichte aber auch bestimmt melden. Ich mein’, das geht sicher nich’ so einfach von allein wieder vorbei. Wenn wir nich’ rechtzeitig die Bremse ziehen, dann fährt Sytania uns auf direktem Weg in die Scheiße. Wir müssen uns was einfallen lassen.“ „Sehe ich genau so.“, stimmte Shimar zu. „Aber das muss gut durchdacht sein.“ „Oh ja.“, sagte Scotty. „Sonst zerreist Lady Widerlich unseren schönen Plan in der Luft, bevor wir piep sagen können. Aber jetzt erst mal ab zu Ginalla!“ Damit beschleunigte er den Jeep.

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