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Darell, die Oberste der Zusammenkunft, hatte mit Zirell über Sedrins Anfrage, die von der tindaranischen Kommandantin weitergegeben worden war, gesprochen. Von ihr hatte die Besatzung der 281 Alpha tatsächlich das OK bekommen, für den Geheimdienst der Föderation nach der kleinen Breen zu suchen. Damit wurde IDUSA auch gleich beauftragt, die eine Datenverbindung zur Plattform herstellte und die Befehle entsprechend weitergab. „Denkst du, dass wir sie überhaupt noch lebend finden werden, Zirell?“, fragte der erste Offizier, Agent Maron, der gemeinsam mit dem Rest der verbliebenen Brückenbesatzung auf die Suchergebnisse wartete. „Ich hoffe es auf jeden Fall!“, sagte Zirell. „Falls nicht, haben wir leider eine Zeugin weniger. Dann können sich Agent Sedrin und du nur auf die Aussage von D/4 verlassen. An Allrounder Betsy Scott kommt ja zur Zeit niemand ran. Sie ist ja krankgeschrieben.“

Ein Signal von IDUSA verriet allen, dass der Rechner der Station wohl etwas von ihnen wollen könnte. „Bitte setzen Sie die Neurokoppler auf, Ladies und Gentlemen.“, bat der Avatar höflich über den Bordlautsprecher. Da alle sehr neugierig waren, was IDUSA wohl gefunden haben könnte, folgten sie der Aufforderung. Vor ihren geistigen Augen erschien das Bild des bekannten Avatars. Sie hatte einen Zeigestock in der Hand, mit dem sie auf eine Sternenkarte zeigte. „Dort ist Ihr Biozeichen, Agent.“, wendete sich IDUSA direkt an Maron, der ja für Sedrin hier auf der Station quasi die Ermittlungen führte. „Zeig es uns, IDUSA!“, befahl Maron und sah, wie die Frau auf dem Bild einen Erfasser zog, um mit ihm die kleine Breen, deren Umrisse er jetzt auch vor sich sah, zu scannen. Dann ließ IDUSA es so aussehen, als hielte sie den Erfasser in Marons Richtung. Der Agent sah deutlich, dass Herzschlag und Atmung des Mädchens stark verlangsamt und unregelmäßig waren. „Ich muss kein Arzt sein, um zu beurteilen, dass sie dies nicht überlebt, wenn wir uns nicht beeilen!“, sagte Maron mit Überzeugung. „Die neue IDUSA-Einheit und ich könnten dir da bestimmt behilflich sein, Agent.“, schlug Joran vor. „Eine sehr gute Idee.“, sagte Zirell lobend. „Du wolltest doch ohnehin auf Mission mit ihr. Habe ich Recht?“ „Das hast du, Anführerin.“, sagte der Vendar zuversichtlich. „Also dann.“, sagte Zirell. „Aber während du unterwegs bist, sollten wir hier alles schon einmal für eine außergewöhnliche Patientin vorbereiten. Ich selbst werde mich zu Ishan auf die Krankenstation begeben und dafür sorgen, dass es unserer Breen an nichts fehlen wird, wenn sie hier ist. Ich hörte, es gebe medizinisch einiges zu beachten. Beispielsweise haben sie kein Blut und fühlen sich in einer sehr kalten Umgebung wohl. Je kälter, desto besser.“ Dabei sah sie ihren ersten Offizier fragend an. „Was du gesagt hast, kann ich nur bestätigen, Zirell.“, sagte Maron. „Obwohl wir auch kaum Daten über die Breen haben. Die Föderation ist ihnen das erste Mal wirklich eigentlich in feindlicher Absicht begegnet. Im Krieg mit den Formwandlern waren sie deren Verbündete. Aber dass die Föderation an dem Krieg nicht ganz unschuldig war, weißt du ja bestimmt.“ „Dass ihr immer alles so verharmlosen müsst!“, ärgerte sich Zirell. „Begonnen hat die Föderation den Krieg! Wir wollen doch schön bei der Wahrheit bleiben, Maron, nicht wahr?“ „Du sprichst über Sektion 31.“, sagte der Geheimdienstler und schluckte. „Ja, da hast du Recht. Da hat sich die Föderation wirklich nicht mit Ruhm bekleckert.“ „Nein, das hat sie nicht.“, sagte Zirell. „Und ich will auch nicht behaupten, dass Tindara keine Leichen im Keller hätte. Wenn man lange genug suchen würde, dann gebe es da bestimmt auch einiges in der Vergangenheit, auf das die Zusammenkunft sicher auch nicht stolz wäre. Wir sind eben alle nur Lebensformen und Lebensformen machen Fehler, was meiner Ansicht nach ein Teil eines jeden normalen evolutionären Prozesses ist. Nur, wenn man nachher nicht dazu steht, könnte ich sauer werden!“ „Nicht nur du.“, sagte Maron. „Oder wenn man versucht, anderen ein Idealbild zu verkaufen, was zu erreichen zwar schön wäre, an das man aber mit Sicherheit noch nicht heranreicht und es vielleicht auch nie wird. Wie du schon gesagt hast, perfekt ist keiner.“

Joran, der das Gespräch zwischen seinen beiden Vorgesetzten beobachtet hatte, kratzte sich bedeutungsschwanger am Kopf. „Jetzt kommt’s.“, flüsterte Maron grinsend, dem das Verhalten des Vendar sehr gut bekannt war. Der Demetaner wusste, wenn Joran das tat, würde bald ein sehr kurzer aber treffender Satz vom großen Schweiger, wie Shannon den Vendar ab und zu scherzhaft nannte, folgen. Das passierte dann auch. Joran ging von der Tür, auf die er sich bereits zu bewegt hatte, ein Stück weg und stellte sich wieder den anderen zugewandt hin. Dann holte er tief Luft und sagte ganz ruhig und leise: „Das wäre ja auch höchst langweilig, nicht wahr?“ Zirell lächelte ihm verspielt zu, aber Maron, der überhaupt nicht verstanden zu haben schien, worum es ging, sah seine Vorgesetzte verwirrt an. „Na, stell dir mal vor, du würdest schon mit allen Kenntnissen und allem Wissen geboren, Maron. Was hätte dir denn das Leben dann noch zu bieten. Du würdest einen langweiligen Job machen, weil es ja keine Forschung mehr geben müsste und überhaupt wäre das Leben doch echt öde und reizlos.“ Sie gähnte übertrieben. „Da bin ich ganz Jorans und deiner Meinung.“, überlegte Maron.

„Würde sich jetzt vielleicht endlich jemand um mein Suchergebnis kümmern?“, warf IDUSA ein. „Sonst haben Sie die Kleine bald im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode diskutiert.“ „Oh, sicher.“, sagte Zirell etwas hektisch und sah Joran auffordernd an. „Bin schon auf dem Weg, Anführerin!“, sagte dieser zackig und war aus der Tür.

Das Modul mit den beiden Xylianern hatte Elyrien und damit den Hauptsitz der Regierung der Föderation der vereinten Planeten erreicht. Die männliche Sonde, die es geflogen hatte, fädelte es geschmeidig in eine Umlaufbahn ein. Dann bedeutete er seiner Kollegin und A/1, dass sie angekommen waren. „Verständige die planetare Kontrolle!“, befahl A/1. „J/12 und ich werden hinuntergehen.“ Der Pilot nickte und gab einige Befehle über seine permanente Datenverbindung mit dem Rechner des Moduls ein. Dann sagte er zu der sich meldenden Kontrolloffizierin: „Dies ist das mobile xylianische Modul 141 Untermodul zu Ring 513. Meine Kennung lautet K/15 15. Mitglied der K-Gruppe. Bei mir sind J/12 und A/1. Sie benötigen die Erlaubnis, mit Ihrem Staatsoberhaupt zu sprechen.“ „Einen Augenblick bitte.“, lächelte die Kontrolloffizierin und gab das Rufzeichen von Nuguras Büro ins Sprechgerät ein. Da Saron krankgemeldet war, nahm der Computer die Verbindung entgegen. Ohne ihren Sekretär hatte Nugura ihm viele Aufgaben übertragen müssen, die der Demetaner sonst erledigt hatte. Aber sie hatte auch viel selbst gemacht. Sie war ohnehin als ein Staatsoberhaupt bekannt, das sich nicht vor Arbeit scheute, wenn es notwendig war. Über die Geschehnisse im Keller des Archivs hatte sie zwar wenig Kenntnis, aber sie wusste, dass hier etwas geschehen sein musste, was den armen Saron zutiefst beunruhigt hatte.

Das unbekannte Rufzeichen im Display irritierte Nugura zunächst etwas. Aber dann nahm sie das Gespräch doch an. „Hier ist Präsidentin Nugura.“, sagte sie. Auch ihr stellte sich der Xylianische Flieger vor, gab dann aber sofort die Verbindung an A/1 weiter. „Ich muss mit Ihnen in der Angelegenheit sprechen, in der Sie unser Angebot, Ihnen zu assistieren, akzeptiert haben.“, sagte das Staatsoberhaupt der Xylianer. „Wenn Sie schon persönlich kommen, dann muss es ja höchst beunruhigende Nachrichten geben.“, sagte Nugura. „Das Beste wird sein, Sie beamen herunter und wir besprechen alles hier.“

Von Xylianischer Seite wurde die Verbindung ohne ein weiteres Wort beendet und dann standen plötzlich A/1 und J/12 vor Nugura. Der Xylianische Machthaber hatte sich von der Wissenschaftlerin nicht ohne Grund begleiten lassen. Sie würde alles Nugura gegenüber ausführen, was sie entdeckt hatten.

Nach einem kurzen stummen Händeschütteln kam der Xylianer gleich zur Sache. „Ihre Annahme, dass wir eine beunruhigende Entdeckung gemacht haben, ist korrekt, Bioeinheit Nugura.“, begann er und winkte seiner Untergebenen, die sich einer Konsole näherte und einen Datenkristall aus der Tasche ihrer Kleidung zog. Normalerweise hätten xylianische Sonden keine Kleidung nötig, aber in ihrem Bestreben, Bioeinheiten Freunde zu sein, hatten sie diese Sitte einfach übernommen. Sie holte also den Kristall aus der Brusttasche ihres roten Kleides und steckte ihn in ein Laufwerk an der Konsole. „Bitte erlauben Sie uns, Ihnen zu zeigen, was wir entdeckt haben, Nugura.“, sagte A/1 nüchtern. Die Präsidentin nickte und die Sonde, die sich auch mit dem Betriebssystem von Föderationsrechnern auskannte, ließ den Inhalt des Kristalls abspielen.

Erschüttert hatte Nugura den Inhalt des Kristalls zur Kenntnis genommen. Sehr blass war sie geworden und extrem zittrig, was die Sonden auch registriert hatten. „Die Biozeichen der Bioeinheit Nugura sind unregelmäßig.“, stellte J/12 fest. „Bestätigt.“, sagte A/1. „Wir werden die Assistenz einer kompetenten Einheit benötigen.“ „Wir sollten erneut Kontakt zu D/4 aufnehmen.“, schlug die Wissenschaftlerin vor. „Sie hat genug Daten über die Funktionsweise von Bioeinheiten, um uns assistieren zu können.“ „Dein Vorschlag ist effizient.“, sagte A/1 und leitete die Konferenzverbindung zwischen sich, J/12 und D/4 in die Wege. Dann wandte er sich Nugura zu, die ihre Augen nicht vom Bildschirm lassen konnte. Immer und immer wieder las sie sich Siskos Geständnis durch. „Nein!“, rief sie aus. „Das kann nicht wahr sein! Ein Offizier der Sternenflotte plant etwas so Ungeheuerliches. Wie konnten meine Vorgänger im Amt das zulassen? Wie konnten sie nur?! Das verstößt gegen alles, an das wir glauben! Oh, mein Gott! Das bedeutet, der Fremde hatte Recht! Er hatte Recht!“

Die gebeutelte Präsidentin versuchte, von ihrem Stuhl aufzustehen, um sich ein Taschentuch vom Replikator zu holen, aber die neuen Erkenntnisse hatten sie so schockiert, dass es ihr die Beine wegzog. A/1 gelang es gerade noch, sie aufzufangen. Er setzte sie auf den Stuhl zurück, auf dem sie gesessen hatte und besorgte ihr das Taschentuch selbst. Er wusste, dass so etwas oft auch als tröstende Geste empfunden wurde, auch dann, wenn derjenige vielleicht selbst im Besitz von Taschentüchern war. „Ich danke Ihnen, A/1.“, schluchzte Nugura. „Oh, ich bin so erschüttert! Eine solche Bosheit! Nein! Ein solches Verhalten hätte ich Captain Sisko niemals …!“ Sie bekam einen Schreikrampf, bei dem sogar der Kaltblütigste mitbekommen musste, wie sehr ihr das Herz blutete.

Die beiden Sonden, die rechts und links von ihrem Stuhl standen, sahen sich verwirrt an. Sie hatten geahnt, dass die Daten, die sie gefunden hatten, Bestürzung bei Nugura auslösen würden, aber dass es so schlimm würde, damit hatten sie nicht gerechnet.

D/4, die alles live mitbekommen hatte, schaltete sich ein. „Übermittelt mir die Biodaten der Bioeinheit Nugura.“, sagte sie und A/1 kam ihrer Aufforderung nach. „Das neurale Muster der Bioeinheit Nugura ist unvollständig.“, stellte die in medizinischen Fragen versierte Sonde fest. „Es fehlen alle Frequenzen, die sonst im Mandelkern zu finden währen. Dieses Organ regelt das Aggressionsverhalten, aber auch die Entschlossenheit von Bioeinheiten. Eines geht mit dem anderen einher. Um entschlossen handeln zu können, bedarf es ja einer gewissen Energie. Dies ist vielleicht auch der Grund, aus dem Nugura so erschüttert reagiert. Meiner Theorie nach besteht ihre Persönlichkeit jetzt nur noch aus ihrer positiven friedlichen Seite. Deshalb sind aggressive Handlungen völlig unverständlich für sie. Wenn die Föderation jetzt überfallen würde, würde sie noch nicht einmal die Sternenflotte rufen, um sie verteidigen zu lassen.“ „Wenn deine Theorie korrekt ist.“, sagte A/1. „Dann ist die Föderation so nicht lebensfähig. Jeder Feind könnte sie überfallen und besiegen. Ihr Ende wäre eminent. Wir, als ihre Verbündeten, werden auf sie achten müssen. Informiere die Behörden auf Terra, wenn es dir möglich ist. Suche dort nach Verbündeten. Da du erkennen wirst, wessen neurales Feld noch intakt ist, wird deine Suche effizient sein. Ich werde alle politischen Verbündeten der Föderation informieren.“ „Verstanden.“, gab D/4 zurück.

J/12 hatte es übernommen, Nuguras Tränen zu trocknen. „Vielen Dank.“, sagte die Präsidentin, die immer noch sehr verzweifelt war. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so fürsorglich sein können.“ „Sie dürfen nicht vergessen, woher wir kommen.“, sagte J/12 mit ihrer hellen freundlichen Stimme. „Das habe ich nicht vergessen.“, sagte Nugura. „Aber ich kann es einfach nicht verstehen! Nein! Ich kann es einfach nicht verstehen!“ „Unserer Theorie nach.“, sagte A/1 und sah sie dabei mild an. „Werden Ihnen die Romulaner Meilenstein nicht geben.“ „Natürlich nicht!“, sagte Nugura traurig und mit verschämtem Gesicht. „Ich würde auch keiner Macht eine neue Erfindung anvertrauen, die einige meiner Leute ermorden lassen hat, nur um sich ein Bündnis zu erschleichen! Warum hat er das nur getan?! Warum?!! Warum?!!!“ Erneut begann sie, laut zu weinen.

Die Sonden überlegten gemeinsam, wie sie Nugura eine Erklärung liefern könnten. Schließlich sagte J/12: „Eine Erklärung könnte Siskos Verzweiflung sein. Wenn ich die Gespräche auf Deep Space Nine richtig interpretiere, war er über die ständigen Verluste sehr verzweifelt, was in einer solchen Situation eine normale Reaktion bei einer menschlichen Bioeinheit darstellt. Das ist sicherlich keine Entschuldigung, aber vielleicht eine Erklärung.“ „Aber trotzdem dürfen wir so etwas nicht!!!“, schrie Nugura. „Wir dürfen es nicht! Das steht in all unseren Gesetzen!“ „Vielleicht sollten Sie Ihre Ansprüche an sich selbst noch einmal überdenken.“, schlug A/1 vor. „Sie haben sich ein Ziel gesetzt, das für 90 % aller Bioeinheiten unerreichbar ist. Und selbst den 10 %, die es vielleicht erreichen könnten, können theoretisch Fehler unterlaufen, wenn man Verzweiflungshandlungen als solche betrachten will. Dass sie ihre Emotionen unterdrücken, bedeutet ja nicht, dass diese nicht vorhanden sind. Aber auch ein gefühlloses Wesen kann sich moralisch falsch verhalten. Stellen Sie sich vor, ein medizinisch ausgebildeter Androide ohne moralische Unterprogramme würde einen Kranken töten, weil die Wahrscheinlichkeit seiner Gesundung weniger als 50 % betrüge. Das würde doch auch für moralische Empörung sorgen und wäre auch Mord, obwohl es nicht aus emotionalen, sondern aus mathematischen Motiven heraus geschehen ist.“ „Ihr Beispiel ist verständlich.“, sagte Nugura. „So oder so. Perfekt ist keine Lösung. Mann muss immer bereit sein, den goldenen Mittelweg zu suchen. Es gibt im Leben so viele Situationen, in denen es kein eindeutiges Ja oder Nein gibt und sicher haben Sie Recht mit Ihrem Vorschlag, unsere Politik zu überdenken. Wir sind eben alle nur Lebewesen, die Fehler machen. Hätten wir das nur früher gegenüber den Romulanern zugegeben!“ „Ihre Schlussfolgerung ist korrekt.“, sagte A/1.

„Werden Sie die Romulaner informieren?“, fragte Nugura. „Falls Sie es erlauben?“, fragte A/1 zurück. Die Präsidentin nickte und sagte: „Bitte lassen Sie mich jetzt allein. Ich habe über einiges nachzudenken.“ Die Sonden nickten und nahmen Kontakt zum Rechner ihres Moduls auf, um sich wieder an Bord beamen zu lassen. Dann verließ das Schiff die Umlaufbahn des Planeten Elyrien.

Nugura blieb allein zurück. Sie wusste, dass sie jetzt vor einer schweren Aufgabe stand. Irgendwie musste sie den Parlamentariern klar machen, dass man die Politik der Föderation wohl grundlegend ändern musste, wenn man seine Verbündeten auf die Dauer halten wollte. Viel ehrlicher musste man sein, vor allem gegenüber sich selbst. Man musste aufhören, einem unerreichbaren Ziel nachzujagen. Wenn die Xylianer Recht hatten und das hatten sie mit Sicherheit, dann war das die einzige Lösung. Nur, sie zu verwirklichen, das durfte schwierig werden, denn viele Parlamentarier gefielen sich in der Rolle des vermeintlich moralisch erhöhten Wesens. Sie in die harte Realität zurückzuholen, durfte nicht leicht, vielleicht sogar unmöglich, sein.

Es war mir gelungen, mich von meinen beiden überaus fürsorglichen Jungs zu lösen, aber erst nach dem ich mich Ginalla anvertraut hatte, die mich mit ihrem Jeep zu einem Abschnitt des Strandes gebracht hatte, der zu dem See gehörte, der wiederum ein Teil ihres Grundstückes war. Dann hatte sie mir noch ein Sprechgerät in die Hand gedrückt mit den Worten: „Rufen Sie, wenn Sie was brauchen. Mein Rufzeichen ist auf Speichertaste eins!“ Dann war sie gefahren und ich hatte mich in den Sand gelegt. Außer diesem Sprechgerät hatte ich nicht viele Dinge bei mir. Mein Ziel war es gewesen, hier im Sand bei dem schönen Wetter einfach mal die Seele baumeln und mir die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen. Deshalb trug ich auch nur ein leichtes T-Shirt und eine kurze Hose. Um meinen Kreislauf nicht so sehr zu beanspruchen, hatte ich etwas Sand zu einem Hügel aufgehäuft, auf den ich meinen Kopf legte. Das war zwar kein Kissen, auf dem ich eine ganze Nacht verbringen würde, aber für den Anfang und für ein Sonnenbad würde es meinen Ansprüchen schon genügen.

Hier lag ich also jetzt und dachte nach. Ich dachte über die Situation nach, in die ich das ganze Universum gebracht hatte. Trotzdem mir Shimar und Scotty versichert hatten, dass ich nicht schuldhaft gehandelt hatte, glaubte ich noch immer, schuldig zu sein. Sicher hätte ich Radcliffe scannen können und dann bestimmt erkannt, dass Sytania hinter allem steckte, aber ich konnte ja auch nicht jedem Besucher, der mein Haus betrat, gleich sonst was unterstellen. Wenn ich wie eine Paranoide jedes Mal den Erfasser zöge, wenn mich jemand besuchte, würde ich mir bestimmt auf die Dauer keine Freunde machen. Du machst dich ja schon wieder verrückt, Kleines!, hörte ich plötzlich eine mir sehr gut bekannte mahnende telepathische Stimme in meinem Geist. Spätestens jetzt wusste ich, dass meine zwei Männer mich nicht ganz so allein gelassen hatten, wie ich mich wähnte. Sie würden bestimmt auf dem Balkon unseres Zimmers stehen und mich beobachten. Zwar war ich auf der ganz anderen Seite des großen Sees, um den Ginalla mich einmal herumgefahren hatte und somit sicher, Scotty würde mich nicht sehen können, aber Shimar hatte wohl eine heimliche telepathische Verbindung zu mir aufgebaut. Vielleicht hatte er Scotty ja sogar in diese integriert. Weiter darüber nachzudenken fand ich jedoch müßig, denn es war ja eher ein sehr guter Umstand, den ich sehr genoss, wenn ich Shimar im Kopf hatte. Ich gab einen genießerischen Laut von mir und streckte mich.

Wenige Sekunden später hörte ich ein Geräusch, das mir noch sehr gut bekannt war, das ich aber lange nicht mehr gehört und hier sicher auch nie vermutet hätte. Es war ein: „Woush! Woush! Woush!“, wie ich es noch sehr gut aus der Zeit in Erinnerung hatte, die Korelem auf der Granger verbracht hatte. Wir waren sporadisch in SITCH-Mail-Kontakt geblieben, aber ich hatte ihn lange nicht mehr gesehen. Sollte er etwa auch hier auf Celsius sein? Geschrieben hatte er mir auf jeden Fall bei unserem letzten Kontakt darüber nichts. Allerdings war das auch lange bevor diese ganze Sache angefangen hatte.

Das Geräusch kam näher und bald hörte ich eine tiefe sanfte bekannte Stimme: „Hallo, Allrounder.“ Ich konnte es nicht glauben! Offensichtlich war er es wirklich. Aber welcher Zufall sollte dafür gesorgt haben, dass wir uns ausgerechnet hier auf Celsius an einem lauschigen kleinen See wieder über den Weg liefen, beziehungsweise flogen? Auch die Art, in der er mich angesprochen hatte, ließ für mich keinen anderen Schluss zu. Es musste Korelem sein.

Er landete und streifte dabei mit einem seiner weichen seidigen Flügel mein Gesicht. „Entschuldigung.“, grinste er. „Manchmal bin ich wirklich ungeschickt.“ „Das nehme ich Ihnen nicht ab, Korelem.“, sagte ich und drehte mich in die Richtung, aus der ich seine Stimme gehört hatte. „Das haben Sie mit Absicht gemacht, um sicher zu gehen, dass ich Sie erkenne. Die gleiche Nummer haben Sie mit mir nämlich auch abgezogen, als ich Sie nach Alaris gebracht hatte.“ „Kluges Kind.“, lobte Korelem. „Ihnen kann man nichts vormachen. Aber was tut eine so hübsche und intelligente junge Frau zu dieser Tageszeit hier allein am Strand?“ „Ich lasse die Seele baumeln.“, antwortete ich. „Oh, dann weiß ich etwas, bei dem das auf Garantie noch viel besser geht.“, sagte Korelem. „Ich würde Sie gern zu einem kleinen Ausflug einladen.“ „Wie soll das gehen?“, fragte ich. „Wir haben kein Schiff und …“ „Wer braucht ein Schiff, wenn sie mich hat?“, sagte er und richtete sich in Sitzposition auf. Dann griff er meine rechte Hand mit einem seiner Vorderfüße und führte sie an seine Brustmuskulatur, die für das Fliegen unerlässlich war und spannte diese an. Er ließ erst wieder locker, nachdem ich sie ausführlich betastet hatte. „Überzeugt?!“, fragte er. „Sie müssen ziemlich stark trainiert haben.“, vermutete ich. „Aber wenn Sie glauben, dass Sie mein Gewicht schaffen?“ „Oh, ja!“, sagte er mit Überzeugung und startete, um mir dann von oben eine Anweisung zuzurufen: „Gehen Sie bitte in den Vierfüßlerstand!“ „OK!“, gab ich zurück. „Aber warten Sie bitte einen kleinen Moment. Vielleicht kann ich etwas tun, um uns beim Start zu helfen!“ Damit klopfte ich den Hügel, den ich mir als Kopfkissen gebaut hatte, wieder flach. So hatte ich eine feste Piste, von der ich mich abdrücken würde, wenn er es mir sagen würde. Dann stellte ich mich im Vierfüßlerstand direkt in deren Mitte. „Sehr gut!“, rief er und ging in Sinkflug zu mir herunter. „Achtung, ich komme!“

Seine Vorderfüße fassten meine Schultern und seine Hinterfüße fanden um meine Hüften ihren Platz. Dann spürte ich, wie sich seine Brustmuskulatur anspannte und hörte, wie seine Flügel stärker und schneller schlugen. Auch ich spannte die Muskeln in Beinen und Armen an, bereit, mich jederzeit abzustoßen. Seine Greiffüße bohrten sich in meine Haut. Lange würde es nicht mehr dauern, das dachte ich mir. Aber vielleicht würde er vor Anstrengung nicht in der Lage sein, mir Bescheid zu sagen. Ich musste also vielleicht selbst einen Zeitpunkt wählen.

Ich bemerkte, dass sich kein weiterer Druck aufbaute. Aber er ließ auch nicht nach. Jetzt oder nie!, dachte ich und stieß mich ab. Dabei gab ich einen Schrei von mir, bei dem selbst jeder japanische Karatemeister neidisch geworden wäre. Dann zog ich blitzschnell meine Beine unter meinen Körper, um keinen unerwünschten Widerstand zu produzieren, der ihn nur unnötig Energie kosten würde. Hier kam mir meine eigene fliegerische Ausbildung sehr zugute. „Ja! Sehr schön!“, rief Korelem begeistert. Dann zog er uns hoch. „Danke.“, sagte ich, die ich immer noch mit angewinkelten Beinen in seinem festen Griff hing. „Woher wussten Sie, dass Sie Ihre Beine einziehen mussten?“, fragte er. „Jedes Flugzeug zieht das Fahrwerk ein nach dem Start, um Energie zu sparen und leichter manövrieren zu können.“, lächelte ich. „Was zur Hölle ist ein Flugzeug?!“, überlegte er halblaut.

Wie ich es vermutet hatte, waren Scotty und Shimar auf den Balkon gegangen und hatten von dort die schöne Aussicht genossen. Aber außer der schönen Aussicht sah mein Mann jetzt auch noch etwas anderes. Etwas, das ihn fast zu Tode erschreckte! Blass stolperte er vom Balkon zurück ins Zimmer, wo Shimar gerade aus dem Bad kam, wo er etwas erledigt hatte. „Hilfe!!!“, schrie Scotty ihm entgegen. „Hol IDUSA! Ich werde denen auf der Werft später alles erklären! Tu was!!!“ „Kannst du mir mal verraten, was du eigentlich hast?!“, fragte Shimar vergleichsweise ruhig. „Da is’ ’n riesiger Schmetterling!!“, erklärte Scotty mit vor Panik weit aufgerissenen Augen. „Und der hat meine Frau, deine Freundin! Mach was!! Wir brauchen dein verfluchtes Schiff!!!“

Der ausgebildete Pilot gab einen genervten Laut von sich und ließ sich betont ruhig auf seine Seite unseres gemeinsamen Bettes fallen, ohne sein Sprechgerät, das Scotty ihm hinhielt, auch nur eines Blickes zu würdigen. „Da sieht man mal wieder, dass du keine Ahnung von der Fliegerei hast.“, sagte Shimar. „Mein verfluchtes Schiff würde mit ihren Atmosphärentriebwerken die Luft so stark aufwirbeln, dass der Schmetterling erst recht in eine instabile Lage kommen würde. Dann wäre Betsy erst recht in Gefahr. Soweit ich das hier sehe, hat er sie aber sicher und Angst hat sie auch keine. Ich halte nämlich für alle Fälle eine telepathische Verbindung zu ihr. Außerdem bin ich Telekinetiker, wie du weißt. Wenn was ist, kann ich jederzeit eingreifen und sie retten. Und jetzt beruhige dich gefälligst und renn’ hier nicht rum wie ein aufgescheuchter Gockel ohne Kopf!“

Das hatte wohl stärker gesessen, als Shimar beabsichtigt hatte, denn Scotty ließ sich augenblicklich dort auf den Boden fallen, wo er stand. „So habe ich das auch nicht gemeint.“, flüsterte Shimar. „Oh, Mann, Junge.“, sagte der Schotte bedient. „So etwas hätte ich nicht von dir gedacht. Normalerweise bin ich doch der Sprücheklopfer bei uns.“ Dann stand er schwerfällig auf und torkelte wieder in Richtung Balkon zu dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte. Frische Luft würde ihm jetzt bestimmt gut tun. Außerdem wollte er den Schmetterling und mich weiter beobachten. Persönlich kannten sich Scotty und Korelem nicht, denn ich hatte ihn ja frühzeitig wieder in seine Heimat gebracht und auf der Hochzeit der Miray war er nicht gewesen.

Wir waren über der Mitte des Sees. Ich hatte begonnen, mich immer wohler zu fühlen, was auch dazu geführt hatte, dass ich mich immer mehr entspannte. Ich genoss den warmen Wind, der um meinen Körper strich. Ich sog die wohlriechende Luft in meine Lungen. Ich lächelte in einem fort. Meine Arme waren eng an meinen Körper gelegt und meine Beine immer noch angezogen. „Denken Sie, wir schaffen eine Kurve?“, fragte Korelem. Dabei schien er keineswegs angestrengt, obwohl er mich ja die ganze Zeit festhalten und dabei auch noch fliegen musste, was ich mir für ihn rein körperlich nicht gerade als sehr leicht vorstellte. „Versuchen wir es.“, sagte ich leise, denn ich war nicht ganz davon überzeugt, dass das gut gehen würde. Irgendwie war ich von der Vorstellung gefangen, ihm zu schwer zu sein. „Also dann.“, sagte Korelem und ich spürte, wie er in eine ca. 45-Grad-Kurve nach rechts einschwenkte. Ich streckte meinen linken Arm aus, um uns zur anderen Seite hin zu stabilisieren. „Richtig!“, lobte er. „Sie können wunderbar mithelfen! Ganz toll machen Sie das! Ich liebe Passagiere, die mitdenken! Aber wen wundert’s? Sie sind ja schließlich vom Fach!“ Ich lächelte.

Die Kurve hatte uns in die Richtung gebracht, in der sich unsere Herberge befand. „Ich sehe Ihren Mann auf dem Balkon dort sitzen.“, sagte Korelem. „Wollen wir ihm einen kleinen Schrecken verpassen?“ „Wie sieht er aus?“, fragte ich, die auf keinen Fall riskieren wollte, dass Scotty noch an einem Herzanfall starb. „Er ist recht entspannt.“, sagte Korelem. „Aber er scheint etwas geknickt, als hätte ihm jemand eine Standpauke verpasst.“ „Na dann wollen wir ihn mal aufheitern!“, forderte ich ihn auf. „Na gut.“, sagte Korelem und nahm Kurs auf den Balkon.

Irritiert sah Scotty zu, wie wir immer weiter in Richtung Grund kamen. „Oh, Gott!“, rief er. „Was macht der mit dir, Darling?!“ Ich hatte zwar mitbekommen, was er gesagt hatte, aber im Moment dafür kein Ohr, denn ich achtete nur auf Korelems leise Anweisungen und nur darauf. „Wenn ich sage.“, flüsterte er mir zu. „Dann strecken Sie die Beine nach unten. Keinen Moment früher und keinen später.“ „Geht klar, Korelem.“, lächelte ich, die den Flug mit ihm doch sehr genossen hatte. „Und drei, zwei, eins, jetzt!“, zählte er.

Ich spürte den Boden unter meinen auf sein Kommando ausgestreckten Füßen. Er ließ mich erst los, nachdem er sicher war, dass ich fest stand. Dann drehte er ab in Richtung einer offenen Luke, die ihn in sein Zimmer führte. Diese wurde dann durch einen Strich seiner Fühler über einen Sensor von innen geschlossen.

Zitternd schloss mich Scotty in seine Arme. „Oh, Darling.“, stotterte er. „Mein armes Baby. Versprich mir, dass du das nicht wieder tust.“ „Das kann ich dir leider nicht versprechen, mein allerliebster Ehemann.“, sagte ich. „Es hat mir dafür nämlich viel zu viel Spaß gemacht. Aber Shimar wird dir doch sicher versichert haben, dass ich bei Korelem in guten festen sicheren Händen war.“ „Korelem heißt dieser Draufgänger also.“, sagte Scotty. „Den Namen werde ich mir merken und dem Flattermann bei Gelegenheit mal ’n paar Takte erzählen! Was hat der gemacht, um dich dazu zu zwingen?“ „Er hat mich zu gar nichts gezwungen!“, sagte ich zuversichtlich. „Zu rein gar nichts.“ „Aber so was kann ich mir bei dir nicht vorstellen.“, sagte Scotty.

„Sie hat Recht, Scotty.“, sagte Shimar aus dem Hintergrund, der unsere Diskussion aus sdem Zimmer heraus beobachtet hatte. „Du musst es ja beurteilen können.“, sagte Scotty bedient und wir setzten uns wieder alle drei auf den Balkon, um den Rest jener celsianischen lauen Sommernacht gemeinsam zu genießen.

Korelem war in seinem Zimmer damit beschäftigt, mit Hilfe seines Kontaktkelchs Verbindung mit Logar aufzunehmen. Was hat deine Prüfung ergeben?, wollte der imperianische Herrscher wissen. Ich kann ihr Gewicht jetzt einschätzen, Milord., gab Korelem zurück. Bei dem, was auf uns zukommen wird, werdet Ihr Euch also keiner Veränderung der Geschichte beziehungsweise der vorbestimmten Handlungen schuldig machen müssen. Das freut mich., sagte der König. Aber vergiss nicht, dass sie dir nicht so schön helfen können wird, wenn eintritt, was eintreten muss. Trotzdem werde ich tun können, was zu tun ist!, gab Korelem selbstsicher zurück. Macht Euch also keine unnötigen Sorgen, mein König. Kühne Worte., sagte Logar. Aber wir werden sehen, ob du halten kannst, was du hier so vollmundig versprichst. Da könnt Ihr sicher sein!, versicherte der Alaraner und wollte den Kontaktkelch wieder zudecken, aber Logar verhinderte dies mit einem kleinen telekinetischen Eingriff. Was ist noch, Majestät?, fragte Korelem. Ich möchte nur sicher gehen, dass du meine Tochter nicht unterschätzt., sorgte sich der imperianische Machthaber. Da müsst Ihr Euch nicht sorgen, Milord!, versicherte Korelem. Die kenne ich Dank Euch gut genug! Auf die werde ich nicht hereinfallen und ich werde schon gar nicht zulassen, dass sie unsere Pläne stört! Ich bin ein Sterblicher, nur ein Sterblicher, aber damit auch einer von der Sorte Wesen, die Sytania liebend gern unterschätzt. Seid gewiss! Ich bin in diesem Fall die beste Wahl, wenn es darum geht, Euch in Euren erzieherischen Maßnahmen als Vater zu unterstützen! So ist es recht, Korelem!, lobte Logar. Ich wollte mich nur versichern, dass du nicht bei nächster Gelegenheit einknickst, auch wenn es schwierig wird. Für wen haltet Ihr mich?!, bemerkte der Alaraner und deckte nun tatsächlich den Kelch wieder zu. Dieses Mal behelligte Logar ihn dabei nicht. Warum auch? Der König wusste, was er wissen musste. Er wusste, dass Korelem für das Unterfangen, bei dem er seine Hilfe benötigte, mutig genug war.

Telzan und seine Truppe waren auf dem Weg zu Sytania, um ihr ihren scheinbaren Erfolg zu melden. Dass sie hereingelegt worden sein könnten, war ein Umstand, den sie nicht im Geringsten in Betracht zogen. Vielmehr gefiel ihnen der Gedanke, Kamurus so leicht vernichtet zu haben.

Sytania, die das Ganze mit Hilfe ihrer seherischen Fähigkeiten beobachtet hatte, erwartete sie bereits im Schlosshof, wo die verbliebenen Vendar, ganz der Tradition nach, den Landeplatz für die Shuttles mit Fackeln markierten. Telzan war allerdings sehr überrascht, in das Gesicht seiner Gebieterin zu sehen. „Wollt Ihr uns beglückwünschen, Gebieterin?“, fragte er ahnungslos. „Beglückwünschen!“, fauchte Sytania. „So weit käme es noch!“ „Was meint Ihr?“, fragte Telzan, der immer noch keinen Schimmer hatte. Nur Dirshan schien ein Licht aufzugehen. Der Novize hob also die Hand. „Ja, Dirshan!“, keifte Sytania. „Was hast du uns zu sagen? Hör gut zu, Telzan. Jetzt wird dir ein Novize die Welt erklären!“ „Ich befürchte.“, setzte Dirshan an. „Dass Milady allen Grund haben, uns zu tadeln. Ich hatte auf dem Flug viel Zeit zum Nachdenken und bin zu dem Schluss gekommen, dass es sein könnte, dass wir auf eine Kreatur getroffen sind, die sich von Raumschiffen und deren Besatzungen ernährt. Diese Wesen benutzen Täuschungen, um die Ahnungslosen anzulocken. Was ist, wenn es das Schiff gerettet hat, uns aber vorgemacht hat, dass wir es zerstört hätten. Ich halte für möglich, dass so etwas diesen Wesen auch möglich ist. Das Schiff zu zerstören, war nämlich meiner Meinung nach viel zu leicht.“ „Genau das ist geschehen!“, schrie Sytania. „Du bist fürwahr ein kluger Junge, Dirshan! Aber du, Telzan! Du scheinst ziemlich nachzulassen! Wie kann es sein, dass du nicht erkannt hast, was offensichtlich ist?! War dein Wunsch, dieses Schiff zu zerstören, denn so übermächtig?“ „Mit Verlaub, ich hatte nur den Wunsch, Milady gefällig zu sein.“, schmeichelte Telzan und versuchte so, ihre Wut auf ihn abzumildern. Aber leider gelang ihm das nicht. Im Gegenteil. All seine Schmeicheleien, waren sie nun verbaler oder optischer Natur, schienen ihren Groll gegen ihn nur noch zu verstärken. „Was glaubst du eigentlich, was du für ein Krieger bist?!“, schimpfte Sytania. „Du, als ein ausgebildeter Telepathenjäger, lässt zu, dass diese Kreatur dich verlädt! Und der Einzige, der das kapiert, ist – welch Ironie – ein einfacher Novize! Ich denke ernsthaft darüber nach, ihm die Führung über deine Truppe zu geben und dich abzusägen, wenn du so weiter machst! Viel Kredit hast selbst du nicht mehr bei mir, Telzan! Selbst du!“ „Bitte vergesst nicht, Hoheit.“, versuchte Telzan, sich zu verteidigen. „Ich habe Euch lange Jahre treu und effizient gedient. Nur, weil ich jetzt einmal einen Fehler gemacht habe, wollt Ihr mich …?“ „Es kommt darauf an, welche Art von Fehler man macht!“, belehrte ihn Sytania. „So ein Fehler, den du gemacht hast, bleibt bei mir nicht ungestraft! Du wirst tatsächlich die Führung über deine Truppe für einen Sonnenlauf an diesen Jungen abgeben! Dann hast du genug Zeit, über deinen Fehler nachzudenken! Es ist ein Gräuel mit dir! Ein ausgebildeter Telepathenjäger und spürt die geistige Prägung dieses Wesens noch nicht einmal!“ „Die habe ich gespürt, Hoheit.“, widersprach Telzan. „Ach ja?!“, verhörte ihn Sytania. „Und warum hast du dann nicht im Geringsten in Betracht gezogen, dass dieses Wesen dich täuschen könnte, he?!!!“ „Weil ich in seinen Handlungen keinen Grund dafür sah, Prinzessin.“, sagte Telzan. „Ich meine, was für ein Motiv sollte es haben, dem Schiff zu helfen und Euch zu täuschen? Was weiß denn so ein Wesen schon von Euch und Eurem momentanen Zwist mit dem Schiff?“ „Gar nichts.“, erwiderte Sytania. „Da hast du Recht, wie ich zugeben muss. Aber es weiß, wer ich bin und es kennt mit Sicherheit meinen Ruf. Vielleicht ist es einfach im Herzen so widerlich edelmütig, dass es mir einfach nur den Sieg missgönnt, weil ich nun einmal die bin, die ich bin!“

Das Gesicht der Königstochter färbte sich puterrot vor Wut. Rasch winkte sie einer Dienerin, die eilig den Raum verließ, um wenig später mit einem Tablett voller Gläser ebenso eilig zurückzukehren. Dies stellte sie vor der Prinzessin ab, welche die Gläser dann eines nach dem anderen mit großem Genuss telekinetisch an die Wand pfefferte, dass die Scherben nur so spritzten. „Siehst du, Telzan?!!!“, schrie sie. „Sogar dieses Bauernmädchen hat kapiert, was ich jetzt brauche und du, als mein oberster Elitekrieger, du bist dazu nicht in der Lage?! Du bist nicht in der Lage, einen einfachen Job für mich zu erledigen?! Lässt sich von so einer Kreatur aufs Kreuz legen! Das glaube ich einfach nicht!“

Sie entfernte telekinetisch alle Zeichen von Telzans Uniform, die ihn als Anführer der Vendar auswiesen und heftete sie auf dem gleichen Wege Dirshan an. „Komm zu mir, Dirshan!“, befahl sie dann. Willig folgte der Novize, der aber eigentlich noch gar nicht verstanden hatte, was hier gerade passierte, ihrem Befehl. „Deine erste Amtshandlung als Anführer wird sein, dass du alle Vendar im Schlosshof versammeln wirst und wir ihnen erklären, dass du ab heute ihr Anführer von meinen Gnaden bist.“ „Aber wolltet Ihr mich nicht nur für einen Tag zum Anführer machen, Herrin?“, fragte Dirshan irritiert. „Ich habe meine Meinung soeben geändert.“, sagte die Prinzessin. „Ich bin eine Frau. Wir sind wankelmütig und haben daher dieses Privileg. Du wirst so lange Anführer meiner Vendar bleiben, wie es mir gefällt und das ist im Augenblick weitaus länger als nur ein Tag. So und nun geh in die Garnison und sage den Anderen Bescheid.“ „Einen Augenblick bitte noch, Milady.“, sagte der Novize, dem die taktische Lage durchaus klar war. Er wusste, sehr rosig war sie nicht, denn die Tatsache, dass Kamurus gerettet worden war, hatte ein ganz anderes Licht auf sie geworfen. „Ich weiß, dass es taktisch für uns im Moment nicht gerade zum Besten steht, Milady.“, sagte Dirshan. „Wir müssen die positive Sternenflotte irgendwie ablenken, damit sie uns nicht draufkommen. Wenn das Schiff seine Pilotin holt und die Allrounder Betsys Schiff repariert, wird dieses aussagen und dann weiß man sofort, was los ist.“ „Und wie willst du die positive Sternenflotte ablenken?!, fragte Sytania vergleichsweise freundlich, der sein Plan besser und besser gefiel, obwohl sie ihn noch nicht wirklich kannte. Sicher hätte sie in seinem Geist nachsehen können, aber die Freude, ihn von ihm mitgeteilt zu bekommen, wollte sie sich nicht selbst nehmen. „Sagt Eurer Marionette, er soll Allrounder Betsy Scott töten, egal, ob sie ihm nun draufkommt, oder auch nicht. Dann werden sie vollauf mit der Beerdigung und den Ermittlungen zu ihrem plötzlichen bedauerlichen Tod beschäftigt sein und wir können in aller Ruhe unsere Pläne verwirklichen. Außerdem solltet Ihr dafür sorgen, dass die Tarnvorrichtung des Breenschiffes im rechten Moment ausfällt, damit dieses tindaranische Schiff auf der Werft es sieht und Alarm schlägt. Dann wird sie ihren Piloten holen wollen, wie es ihre Protokolle verlangen und der wird so sehr mit ihr beschäftigt sein, dass er sich nicht um Betsy kümmern und sie aus Eurer Hypnose befreien kann. Es ist ein langer Weg per Jeep vom Gasthaus zur Werft. Sorgt eventuell noch für ein paar Verkehrshindernisse, damit sie Umwege fahren müssen. Bis sich Shimar El Tindara umsehen kann, ist alles schon vorbei.“ „Ein sehr guter Plan!“, grinste Sytania, die sich schon sehr darauf freute, mich endlich aus dem Weg zu haben. Da ich über ein ähnliches Wissen wie Agent Mikel verfügte und damit ihren Plänen hätte sehr gefährlich werden kann, war sie froh, bald eine Bedrohung weniger auf dem Zettel haben zu müssen.

Dirshan war in die Kasernen gegangen und bald an der Spitze der Vendar in den Schlosshof zurückgekehrt. Sytania, die dies genau beobachtet hatte, erschuf ein Phänomen und sprach dann in ihre Geister: Tshê, Vendar! Ab sofort wird der Novize Dirshan auf unbestimmte Zeit euer Anführer von meinen Gnaden sein! Ihr werdet ihm den gleichen Gehorsam entgegenbringen, wie ihr es auch gegenüber Telzan getan habt!

Sie ließ das schwarze Licht, das ihre Botschaft begleitet hatte, sich auflösen. Alle Vendar knieten respektvoll vor Dirshan nieder und küssten seine Stiefel. Das war ein Zeichen, dass sie seine Führung anerkannt hatten. Auch Telzan hatte sich - höchst widerwillig - in die Reihen eingeordnet. Wie lange dieser Zustand andauern würde, wusste er nicht, aber er kannte Sytanias Launen und er wusste, dass Dirshan trotz allem nur ein Novize war, der noch viel zu wenig über das Kriegshandwerk wusste, um diese Stellung dauerhaft behaupten zu können. Er ahnte, dass Sytania sich ihn beim kleinsten Fehler seines Schülers wieder an die Spitze der Vendar-Krieger zurückwünschen würde. Früher oder später würde sie also ihre Entscheidung, die sie in einem akuten Tobsuchtsanfall getroffen hatte, bitter bereuen. Darauf würde Telzan sein Leben verwetten!

 

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