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Pünktlich wie die Maurer hatte ich zwischen Scotty und Shimar die Bar unterhalb der Zimmer betreten. „Na, ihr drei?“, fragte Ginalla und grinste über den Tresen hinweg. „Wollt ihr das Versöhnungsangebot von Radcliffes etwa wirklich annehmen?“ „Warum nicht, Ginalla.“, lächelte ich. „Nayale schien mir ehrliche Absichten zu verfolgen.“ „Nayale bestimmt.“, zischte die junge Celsianerin. „Aber bei ihrem Mann wäre ich mir da nich’ so sicher. Der mag zwar gesund tun, aber meiner Meinung nach hat der immer noch ’n gehöriges Ei am Wandern!“ „Spielst du etwa auf die gewisse Nacht an, Ginalla?“, wollte Shimar wissen. „Genau auf dieselbe.“, flüsterte sie. „Ich wette mit euch, dass da gewaltig was faul is’. Darauf verwette ich mein kleines süßes Leben.“

Ich drehte meinen Kopf spontan in Shimars Richtung und schlug die Augen nieder. Das war ein Zeichen, das er von mir gut kannte und dessen Bedeutung ihm auch nicht fremd war. „Ich kann nichts Schlimmes spüren, Kleines.“, beruhigte mich mein Freund. „Aber das muss ja nichts heißen. Falls Ginalla doch Recht haben sollte und hier was nicht stimmt, dann kann es ja auch sein, dass Sytania ihm hilft, sich gegen mich abzuschirmen. Ich weiß, dass sie das nur macht, weil es ihr im Moment nützt. Radcliffe ist ihr egal. Das weiß ich so gut wie du. Aber es ändert nichts an den Tatsachen. Aber wir können ja das Angebot von Mrs. Radcliffe einmal ausprobieren.“ „Also gut.“, sagte ich.

Wir setzten uns an einen der Tische, die Ginalla wohl in weiser Voraussicht zu zweien zusammengestellt hatte. Bei uns an der Versöhnungstafel, wie Ginalla dieses Arrangement scherzhaft nannte, saßen Radcliffes. „Bist du die berühmte Allrounder Betsy Scott?“, fragte eine kleine kecke vorlaute Kinderstimme in meine Richtung. Ich kannte diese Stimme noch nicht, ordnete sie aber spontan einem Jungen von etwa sechs Jahren zu. „Ja, kleiner Mann.“, lächelte ich ihm zu. „Die bin ich. Und wer bist du?“ „Ich heiße Malcolm Radcliffe.“, sagte der Junge. „Darf ich Tante Betsy zu dir sagen?“ „Oh, sicher, Spatz.“, sagte ich freundlich. „Und dass sind der Onkel Shimar und der Onkel Scotty.“

Mir fiel auf, dass der Kleine seine Tasse heiße Schokolade, die er vor sich stehen hatte, lange nicht mehr bewegt haben musste. „Nun trink aus, Malcolm.“, sagte Nayale, deren Stimme ich jetzt rechts neben ihrem Kind wahrnahm. „Sonst beschwerst du dich nachher wieder über die fiese ekelige Haut.“ „Ich mag auf einmal nich’ mehr, Mummy.“, sagte Malcolm und stand auf. „Ich muss auf Klo!“

Er wuselte zwischen uns durch und hatte den Raum verlassen. „Ui.“, stellte Shimar fest. „Da ist aber jemand aufgeregt. Mr. Radcliffe, ich glaube, es wäre gut, wenn Sie Ihren Sohn begleiten würden. Ich verstehe zwar nicht viel von Kindererziehung, aber ich …“ „Er ist alt genug.“, sagte Nathaniel. „Er wird schon zurechtkommen. Wichtiger ist jetzt, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie ich Ihnen, Allrounder, beweisen kann, dass mich Sytanias Kegel wieder gesund gemacht hat.“ „Da muss ich wirklich überlegen.“, sagte ich. „Gibt es etwas, das Sie vorher getan haben und bei dem Ihr Sohn …“ „Wie wär’s mit Bowling!“, warf Nayale spontan ein, die sich noch sehr gut an die Situation mit D/4 auf dem Hof der Radcliffes in Little Federation erinnern konnte. „Ich weiß nicht, wie wir das bewerkstelligen sollen.“, sagte ich. „Soweit ich weiß, hat Ginalla hier keine Simulationskammer und …“

„Dafür habe ich aber was viel Besseres!“, rief Ginalla vom Tresen herüber und wedelte mit einem Datenkristall. Ich drehte mich spontan in ihre Richtung. „Was meinen Sie damit, Ginalla?!“, fragte ich. „Das werden Sie gleich sehen.“, grinste sie und kam hinter dem Tresen hervor, nachdem sie einem ihrer Angestellten die Aufgabe des Barmixers übertragen hatte. „Kommt mal mit, ihr trüben Tassen.“, sagte sie. „Jetzt geht’s ins Eingemachte!“

Wir standen auf und reihten uns hinter Ginalla ein, die uns zu einer ziemlich geheimnisvoll anmutenden Tür links neben dem Tresen führte. Die Tür sah aus, als sei sie im 21. Jahrhundert erbaut worden. Aber wir sollten bald sehen, dass ihre Klinke und ihr Schloss nur eine optische Täuschung waren, hinter der sich ein Laufwerk für Datenkristalle verbarg. „Was wird das, Ginalla?“, fragte Shimar. „Na nu!“, sagte Ginalla und machte eine übertriebene beschwichtigende Geste. „Vertraust du etwa deiner alten Freundin nich’ mehr? Na, wo hab’ ich ihn denn?“

Sie kramte umständlich den Datenkristall aus ihrer Kittelschürze hervor, den sie dann mit einer Art ungelenker Zauberbewegung in das Laufwerk steckte. „Autorisationskristall akzeptiert.“, sagte eine Rechnerstimme und die Tür glitt zur Seite, um den Blick auf eine Art Gewölbe freizugeben, das weder Shimar noch Scotty wirklich einordnen konnten. Ich, die ich wohl ziemlich von der Neugier getrieben war, hob meinen rechten Fuß, um in das geheimnisvolle Kabinett vorzudringen, aber Scotty packte meinen Arm und hielt mich zurück. „Warte, Darling!“, sagte er. „Du siehst doch gar nicht, was da drin is’. Am Ende passiert dir noch was und ich bin schuld, weil ich nich’ aufgepasst hab’. Das würde ich mir nie verzeihen! Nein, wir gehen zusammen, wenn hier überhaupt einer geht!“ „Na gut.“, sagte ich. Dann gingen wir zwei in der üblichen Führhaltung, die ich Scotty beigebracht hatte, hinein. Shimar war zurückgeblieben und beobachtete uns aus der Entfernung. Ich war sicher, dass er auch gesehen haben musste, was sich in dem Gewölbe abspielen würde. Ich glaubte sogar, dass er schon etwas ahnte, sich aber den Moment nicht verbauen wollte, Scottys Gesicht zu sehen, wenn er darauf kommen würde.

An der veränderten Akustik bemerkte ich bald, dass wir uns mitten in dem Gewölbe befinden mussten. Scotty war stehen geblieben und schaute sich jetzt um. „Was siehst du?“, fragte ich. „Also, da sind erst mal vier Rinnen im Boden vor uns.“, beschrieb mein Mann. „Zwischen jeweils zweien davon is’ so was wie ’ne Lauffläche. Sieht auf jeden Fall sehr glatt aus.“ „Lass mich fühlen!“, sagte ich und befreite mich aus seinem Griff, um beide Hände zur Verfügung zu haben. Dann hockte ich mich hin und betastete die ersten Zentimeter der Lauffläche. Sie war wirklich sehr glatt. Ihre Form erinnerte mich tatsächlich an die einer echten Bowlingbahn! Ich wusste, dass es so etwas im Zeitalter von Simulationskammern eigentlich gar nicht, oder zumindest kaum noch, gab. Aber Ginalla musste wohl mit ihrem Hang zum Echten eine Marktlücke gefunden haben. Bei ihr schien es tatsächlich nicht nur echten Alkohol in den so genannten Real Rounds, sondern auch noch eine echte Bowlingbahn zu geben, auf der man sich noch wirklich bewegen musste!

Ich stellte mich wieder aufrecht hin und fragte: „Scotty, siehst du eine erhöhte Rinne mit Kugeln?“ „Ja, Darling.“, sagte er. „Sie ist in der Mitte zwischen den Bahnen. Die Kugeln sind alle verschieden groß und haben jede jeweils drei Löcher.“ Er hätte mir natürlich sagen können, welche Farben die Kugeln hatten, wusste aber, dass mir diese Information eh nichts bringen würde. Deshalb ließ er sie, pragmatisch eingestellt wie er war, einfach weg. „Sind am Ende der Bahnen jeweils 12 stehende Kegel an Seilen aufgehängt?“, fragte ich weiter. „Genau!“, nickte Scotty erstaunt. „Woher weißt du das, Darling?“ „Weil ich glaube, dass ich weiß, was das hier ist.“, sagte ich. „Ich glaube, Ginalla hat eine echte Bowlingbahn!“

Scotty schoss ein Bild durch den Kopf, das er noch gut aus dem Geschichtsunterricht kannte. Außerdem wusste er um Gerüchte, dass es so etwas in Ginallas Kneipe geben sollte und dass sie es nur ganz besonderen Kunden zur Verfügung stellte.

„Deine Frau hat Recht, Scotty!“, rief uns Ginalla plötzlich zu und kam angewuselt. „Bei mir gibt’s eben noch was Echtes und nich’ nur diesen virtuellen Scheiß! Den hat heute ja wohl jeder! Natürlich habe ich auch eine Simu-Kammer, aber da wollt ihr doch wohl nich’ wirklich hin, oder?“ „Oh, keine Panik, Gin’.“, schnodderte Scotty. „Wir stehen auch eher auf was Handgemachtes und Echtes, als auf virtuellen Scheiß! So und jetzt zeig uns mal bitte, wie man das Ding programmiert!“ „Darauf hab’ ich gewartet.“, sagte Ginalla lächelnd. „Und ich weiß auch schon, wem von euch ich das zeig’. Komm mal her, Shimar! Du siehst heute so clever aus.“ Mein Freund nickte und folgte ihrer Aufforderung. Dann bekam ich mit, wie sich beide im Flüsterton zu unterhalten begannen, nachdem sie sich hinter eine Konsole gesetzt hatten. Sie hatten eindeutig etwas vor. Das ahnte ich.

Ich wandte mich wieder Scotty zu: „Bitte bring mich zum Tisch zurück.“ „OK, Darling.“, sagte er und ließ mich wieder meine linke Hand auf seinen rechten angewinkelten Arm legen. Dann gingen wir langsam wieder Richtung Tisch, wo Nayale und ihr Mann uns bereits erwarteten. „Was tun Ihr Freund und die Wirtin da, Allrounder Scott?“, fragte mich Mr. Radcliffe. „Oh, so genau weiß ich das nicht.“, sagte ich und machte eine Kopfbewegung, als wollte ich sagen, dass alles in Ordnung sei. Ich wusste, eigentlich war eine Beschwichtigung nicht notwendig, aber angesichts der Situation, in der sich Mr. Radcliffe befand, konnte alles passieren. Ich vertraute Shimar und Ginalla. Shimar wusste um die ganze Sache und würde sicher aufpassen, dass Ginalla nichts Unüberlegtes tat. Er hatte die gleiche Ausbildung wie ich und konnte daher sicher sehr gut auf eine Zivilistin wie sie aufpassen und im Notfall sicher entsprechend auf sie einwirken. Aber andererseits war ich mir auch darüber klar, dass dies unter Umständen vielleicht gar nicht notwendig sein musste, denn Ginalla hatte ja auch ihre Erfahrungen mit Sytania. Dumm war sie nicht! Sie würde mit Sicherheit auch nichts tun, was uns oder sie und vor allem nicht die Radcliffes gefährden würde.

Erst jetzt war mir aufgefallen, dass mich Radcliffe die ganze Zeit Allrounder Scott genannt hatte. Eigentlich wäre das ja auch richtig gewesen, denn terranische Offiziere in der Sternenflotte wurden im Allgemeinen mit ihren Nachnamen angesprochen. Dass Mikel und ich aufgrund unserer Vergangenheit als intertemporale Flüchtlinge und Pendler eine Ausnahme bildeten, stand auf einem anderen Blatt. Ich überlegte tatsächlich, Radcliffe zu korrigieren, verwarf den Gedanken dann doch aber schnell wieder, denn mir war ein stichhaltiges Gegenargument eingefallen. Er war unter der Fuchtel von Sytania und die durfte schließlich über solche Sachen nicht informiert sein. Schließlich war sie der Feind! Mich also von einem ahnungslosen Zivilisten ab und zu mal Allrounder Scott nennen zu lassen, war da ja wohl das kleinere Übel.

Ginalla und Shimar kehrten an unseren Tisch zurück. Dann trennten sich ihre Wege. Vorher schnippte sie mir aber noch zu: „So, Allrounder, das war’s. Die Grundzüge hat er drauf.“ „Aber ich habe doch gar nicht verlangt, Ginalla, dass Sie …“, gab ich verwirrt zurück, aber sie war schon wieder hinter dem Tresen verschwunden.

Scotty stupste mich an. „Ich glaube schon, dass du hast, Darling.“, sagte er. „Wenn auch nicht bewusst, aber ich bin sicher, unser kleiner Telepath hat ihr was von unserem Gespräch mit Nayale gesteckt. Ui, der is’ stolz wie Bolle! Ginalla kann auch bis drei zählen. Sicher soll Shimar ein Spiel aussuchen, in dem wir uns messen und wo der Kleine …“ „Stimmt genau.“, sagte Shimar. „Ginalla und ich haben uns gemeinsam für celsianisches Zielkegeln entschieden. Ich habe mir den Hilfetext und die Spielregeln durchgelesen. Ich glaube, das könnte was werden.“ „Ich nehme nicht an, dass du es auswendig gelernt hast.“, sagte ich. „Da hast du Recht, Kleines.“, sagte er. „Das habe ich nicht. Aber ich kann es in Grundzügen erklären. Pass auf.“

Er begann eine telepathische Übermittlung. Aus irgendeinem Grund schien er nicht zu wollen, dass alle mitbekamen, worum es ging. Einerseits konnte ich mir diesen Umstand sehr gut erklären, war es doch an mir, die Entscheidung zu treffen, in welcher Weise Radcliffe seine Prüfung ablegen sollte. Aber auf der anderen Seite hätte ich gedacht, dass wenigstens Nayale und der Junge auch davon erfahren könnten. Alles, was ich von den Spielregeln verstand, war unter anderem, dass der Computer auf eine bestimmte Form und somit auf eine bestimmte Gruppe von Kegeln programmiert wurde, die in jedem Fall fallen mussten. Schaffte man dies mit einem Wurf, so bekam man die höchste Punktzahl. Mit jedem weiteren Versuch staffelte es sich nach unten. Je nach Schwierigkeitsgrad der Form konnte es von fünf bis zu zehn möglichen Punkten gehen. Alle Kegel, die nicht zu der Form gehörten, gaben keine Punkte. Damit man aber von Fall zu Fall auch die richtigen Kegel traf, konnte es auch notwendig werden, eine kleinere Kugel oder eine andere Technik zu verwenden. Das war in der Tat etwas ganz anderes als das plumpe alle Umwerfen, das Mr. Radcliffe so gern praktizierte und wegen dem er seinen Sohn aufgrund von eventueller Unfähigkeit schon oft getadelt hatte. Hier ging es nicht nur um Kraft, sondern vor allem auch um Köpfchen! Ein Problem gab es allerdings, auf das ich ihn jetzt ebenfalls still aufmerksam machen wollte, wusste aber nicht, ob er noch in meinem Geist war, um meine Antwort abzuwarten. Vorstellen konnte ich es mir aber sehr gut, denn Scotty hatte eine entsprechende Anmerkung gemacht. Hör mal, Srinadar., dachte ich. Das wäre sicher sehr gut, wenn wir alle sehend wären. Aber ich habe das Gefühl, du übersiehst da ein grundlegendes Problem. Wie soll ich wissen, welche Kegel in dem Bild noch stehen, he?!

Statt einer Übermittlung in Worten folgten Reihen mit Zahlen von eins bis 12. Dann einige Bilder aus Kegeln. Noch Fragen?!, fügte er noch bei, bevor er unsere Verbindung trennte. Dabei gab er mir immer ein verabredetes Zeichen, das er auch benutzte, wenn er sie aufbaute. So wusste ich, auch als Nicht-Telepathin, immer Bescheid. Mir war klar, was er mir mit diesen Bildern zeigen wollte. Der Computer würde jedes Mal die Ziffern der für das Bild wichtigen Kegel ansagen, die noch standen. Außerdem würde er mir jedes Mal erst das Gesamte und dann das Bild übermitteln, das noch zu Fall gebracht werden musste. Er würde also nicht mitspielen, sondern an der Konsole sitzen bleiben und die Bilder programmieren. Außerdem würde er als mein lebender Monitor fungieren und mir bei Bedarf die Bilder übermitteln, wenn es mir nicht möglich sein sollte, die noch umzuwerfenden Kegel nur anhand der Ansage des Computers zu lokalisieren. Die Grundform, eine auf einer Ecke stehende Raute, war mir bekannt. Mein räumliches Denken sollte also theoretisch ausreichen. Schließlich flog ich im Alltag ein Raumschiff und da ging es ja auch, wenn ich die Informationen von meinem Hilfsmittel zu interpretieren hatte. Mit den physikalischen Gesetzen eines rollenden Gegenstandes kannte ich mich auch einigermaßen aus. Ich fragte mich nur, ob das auch für den Professor galt, der sich ja immer als der Champion hervortun wollte. Nayale und sogar dem Kind traute ich das ohne weiteres zu, auch wenn der Kleine keine komplizierten Formeln kannte, um Geschwindigkeiten zu berechnen oder Winkel zu tarieren. Aber er wusste, was passierte, wenn er eine Kugel so oder so aufsetzte oder ihr einen Schwung in die eine oder andere Richtung gab. Wenn ich ehrlich war, würde ich nichts anderes tun, denn ich war noch nie ein Ass in Mathematik gewesen. Aber es ging hier ja auch schließlich nur um ein Spiel, dessen vordergründiges Ziel der Spaß sein sollte. „OK.“, sagte ich. „Damit kann ich mich anfreunden.“ Auch Radcliffes nickten. „Dann ist ja alles klar.“, sagte Shimar. „Ihr müsst mich nur für einen Moment entschuldigen.“

Er stand auf und verließ Tisch und Raum. „Kannst du mir sagen, was er hat?“, fragte Scotty, der wohl geahnt hatte, dass es zwischen ihm und mir eine Art telepathische Konferenz gegeben hatte. „Genau weiß ich das nicht.“, sagte ich leise. „Aber wenn du in zehn Minuten nichts von ihm gehört hast, dann …“ „OK.“, verstand mein Ehemann. „Dann gehe ich nachsehen. Ich glaube, ich weiß schon, wo ich ihn dann finde.“

Ich nickte und grinste Nayale zu, deren leichte Unsicherheit über die Situation selbst für mich zu erspüren war. Dann winkte ich ihr zu und stand auf mit den Worten: „Bitte entschuldigt uns, Scotty und Mr. Radcliffe. Nayale und ich gehen uns mal die Nase pudern. Wie man weiß, kann das bei uns Mädels ganz schön dauern.“ Dann zog ich sie vom Stuhl hoch und wir gingen ebenfalls und ließen Scotty und Nathaniel zurück.

Ginalla kam an unseren Tisch. „Ihr zwei solltet was trinken.“, sagte sie und stellte zwei riesige einen Liter fassende Gläser vor den Männern ab. In ihnen befand sich ein auf Kaffee und Whisky basierendes Getränk. „Geht aufs Haus.“, flapste sie. „Aber Vorsicht! Nich’ so schnell. Der Abend is’ schließlich noch lang. Sonst habt ihr morgen ’n Riesenkater und eure armen Frauen dürfen das dann ausbaden. Is’ ja auch nur zur Belustigung, bis die Mädels wieder da sind. Wenn Mädels sich die Nase pudern, dauert das im Allgemeinen. Ihr könnt mir vertrauen. Ich kenn’ mich da aus. Bin ja selbst eins.“ „Danke, Gin’.“, sagte Scotty, nahm seinen Humpen hoch und prostete Radcliffe zu. „Auf ’n faires Spiel!“, sagte er. „Auf das Spiel.“, nickte Nathaniel. Dann nahmen beide einen großen Schluck.

Nayale hatte außerhalb des Gastraums die Führung übernommen und mich jetzt in Richtung der Toiletten gezogen. Hier, im Vorraum der Damentoilette, holte sie tatsächlich ihre Schminktasche hervor und öffnete sie, nachdem sie diese auf der kleinen weißen Konsole abgestellt hatte. „Man weiß ja nie.“, sagte sie und ich hörte an ihrer Betonung genau, dass sie sehr nervös sein musste. „Es ist alles in Ordnung, Nayale.“, tröstete ich. „Soweit mir bekannt ist …“

Ich musste nachdenken. Dass ihr Mann unter der Fuchtel von Sytania stand, durfte ich sie auf keinen Fall wissen lassen, oder musste wenigstens vorfühlen, wie weit sie bereits selbst informiert war. Anhaltspunkte hatte es ja bestimmt genug gegeben und durch unsere Unterhaltung war mir nicht verborgen geblieben, dass sie sehr intelligent war. Ich musste also genau herausfinden, was sie wusste und dann entsprechend der neuen Situation reagieren.

„Sie müssen mir nichts verheimlichen, Allrounder.“, sagte Nayale, die wohl schon gemerkt hatte, dass ich mir Sorgen machte. „Ich weiß alles! Ich weiß, dass mein Mann unter der Fuchtel von Sytania steht und dass sie ihn unter Umständen zu Dingen verleiten könnte, die sehr schlimm für uns alle werden können. Aber wenn ich ihn damit konfrontieren würde, liefe ich bestimmt Gefahr, auch meinen Sohn zu gefährden. Er ist ein Kind und könnte sich am wenigsten wehren. Das würde Sytania sicher liebend gern ausnutzen. Es gibt genug anschauliches Material über sie in den Netzwerken, das auch für Zivilisten verständlich ist. Sie müssen sich gar keine so großen Sorgen machen. Vielleicht bin ich besser informiert, als Sie denken. Es ist mir nur wichtig, dass Sie mir sagen, ob ich mich bisher richtig verhalten habe. Ich meine damit, ob ich Malcolm bisher gut genug geschützt habe.“

Ich stand da wie eine Salzsäule und hörte ihrem Vortrag einfach nur zu. Ich hatte beileibe nicht erwartet, so etwas von ihr, einer Zivilistin, zu hören. Ich hatte damit gerechnet, dass sie sich mir mit der Bitte um Schutz an den Hals werfen würde. Aber mit so etwas, nein, das war wirklich eine Überraschung und ganz und gar nicht das, was uns unsere Professoren auf der Akademie über das Verhalten der armen schutzbedürftigen Zivilisten beigebracht hatten. Natürlich steuerten Politik und Sternenflotte, welche und wie viele Informationen über Feinde der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden und auch, in welcher Weise dies geschah. An vielen dieser Formulierungen waren meine Kollegen, in der Presseabteilung der Regierung arbeitende Kommunikationsoffiziere ohne Stationierung auf Schiffen oder Stationen, nicht unbeteiligt gewesen.

Ich überlegte, wie ich ihr zwar deutlich machen konnte, dass ich sie erwischt hatte, aber dies sollte auch nicht zu deutlich werden, denn man wusste ja nie, wer sonst noch zuhörte. Im Sommer war Ginallas Kneipe immer gut besucht und ich hatte wirklich keine Lust darauf, demnächst eventuell für eine Massenpanik verantwortlich zu sein, nur weil irgendeine Zivilistin, die nicht so schlau wie Nayale war, alles in den falschen Hals bekommen würde. Ich musste also unsere weitere Unterhaltung irgendwie verschlüsseln.

Ich hielt meine Hände unter den Kopf des Schallreinigers, als wollte ich sie waschen, um keine verräterischen Bewegungen zu machen. Dann wandte ich meinen Kopf in Richtung von Nayale, die sich zu schminken begonnen hatte. Da ich sie nicht für ein überkandideltes Modepüppchen gehalten hatte, dachte ich mir, dass dies auch ein Teil ihrer Strategie sein konnte. „Welche Noten hatten Sie eigentlich im Schreiben von Aufsätzen, Nayale?“, fragte ich, um damit ihre Fähigkeit, Formulierungen zu interpretieren, abzuklopfen. „Oh, ich war ganz gut.“, sagte sie. „Meistens Einsen oder Zweien.“ Das reichte mir als Antwort. Damit hatte sie mir klar gemacht, dass sie die oft gut gemeinten und etwas verharmlost wirkenden Formulierungen unsererseits nicht wörtlich geglaubt, sondern sich oft auch ihren Teil dabei gedacht haben musste, allerdings ohne dabei gleich in Panik zu geraten.

Nayale ließ ihre Schminkstifte sinken. Dann fragte sie: „Sie stellen doch solche Fragen nicht ohne Grund, Allrounder, nicht wahr?“ „Nicht hier!“, zischte ich ihr zu. „Wo dann?“, lächelte sie und warf einen Blick in den Raum mit den Kabinen. Dann sagte sie: „Wir sind allein.“ „OK.“, sagte ich und atmete dabei hörbar aus. Ich hatte völlig vergessen, dass sie sehend war und mir gut sagen konnte, ob wir allein wären und ich somit freie Bahn hätte, ihr zu sagen, was auch immer ich ihr sagen müsste. „Jetzt sind Sie erleichtert, was?“, fragte sie. „Das stimmt.“, gab ich zu. „Und dann kann ich Ihnen ja ruhig sagen, wie ich über Ihr bisheriges Handeln denke.“ „Ja, das können Sie!“, sagte Nayale forsch. „Und die albernen Verschlüsselungen, die lassen Sie am besten mal gleich ganz weg. Wir sind hier schließlich nicht in einem schlechten Agentenfilm!“ Ich musste grinsen. In diesem Sinne hätte sicher auch Mikel reagiert und ihr zugestimmt. Ich wusste zwar nicht viel über geheimdienstliche Arbeit, aber mein Wissen, das mir Mikel ab und an zugesteckt hatte, erlaubte mir, ihre etwas flapsige Formulierung dahingehend zu interpretieren, dass sie genau wusste, dass ich wie eine Katze um den heißen Brei schlich und gerade alle Vorurteile über konspirative Unterhaltungen schonungslos bediente.

Ich räusperte mich. Dann holte ich tief Luft und sagte: „Nayale, Sie machen das bisher sehr gut! Haben Sie das Gefühl, Ihr Mann könnte Ihnen auf die Spur kommen?“ „Nein!“, lachte sie. „Der ist doch viel zu sehr damit beschäftigt, seiner Prinzessin zu gefallen. Ich weiß aber, dass er dies nicht aus freien Stücken tut, Allrounder. So naiv bin ich nicht. Das ist sicher nicht die wahre Liebe zwischen den Beiden, sondern eher ein Verhältnis zwischen Erpresserin und Opfer. Ich bin sicher, sie hat ihn mit etwas in der Hand. Was ist eigentlich genau zwischen ihm und Ihnen da auf dem Planetoiden passiert?“ „Wenn ich Ihnen jedes Detail erzählen würde, Nayale.“, sagte ich. „Dann kämen sie heute Nacht sicher vor Angst nicht in den Schlaf. Aber so viel kann ich sagen. Auf dem Planetoiden hat ihn Sytania zu ihrer Marionette gemacht.“ „Dachte ich mir schon.“, sagte sie. „Und ich glaube auch, dass ich weiß, womit er erpresst wird. Sie hat ihn sicher nur temporär stabilisiert, solange sie ihn gebrauchen kann. Wenn das vorbei ist, wird sie ihn bestimmt wieder fallen lassen wie eine heiße Kartoffel! So ist Sytania doch! Leugnen oder verharmlosen Sie das nicht, Allrounder! Ich vertrage die Wahrheit schon!“ Ich nickte ihr nur zu. „Sehen Sie?“, fragte sie. „Und genau deshalb werde ich mich hüten, etwas verlauten zu lassen, sondern erst mal schön weiter beobachten. Natürlich werde ich jede Gelegenheit nutzen, um Ihnen so viele Informationen wie möglich zukommen zu lassen, die Sie dann wieder Ihrem Commander stecken werden, nicht wahr?“ „Das ist richtig.“, sagte ich. „Und Ihre Handlungsweise ist es auch. Mal sehen, wie sich Ihr Mann heute Abend benimmt. Wenn Sie danach Redebedarf haben sollten, dann wissen Sie ja, wo Sie mich finden.“ „OK.“, sagte Nayale und schlug mit ihrer ausgestreckten Hand in die Meine. Dann verließen wir das stille Örtchen wieder einträchtig, als sei nichts geschehen.

„Bitte warten Sie kurz auf mich.“, sagte Nayale. „Ich muss noch kurz bei den Männern vorbei und nach Malcolm sehen. Ich werde ihm sagen, dass er sich vor Ihnen nicht zu schämen braucht.“

Kaum hatte sie jedoch ausgesprochen, wuselte ein kleiner Wirbelwind aus der Gegenrichtung zu uns herüber und steckte seine kleine Hand in die Meine. „Hey, Spatz.“, säuselte ich. „Geht’s dir jetzt besser, ja?“ „Alles wieder gut, Tante Betsy.“, sagte Malcolm. „Das is’ bei mir so. Manchmal werde ich krank, wenn ich aufgeregt bin.“ „Das musst du nicht sein.“, sagte ich tröstend und nahm ihn in den Arm. „Ich bin ’ne ganz Liebe.“ „Ich weiß.“, quietschte er. „Aber jetzt will ich spielen!“ „Na dann lasst uns gehen.“, sagte Nayale und nahm mir ihren Sohn ab, um mich mit ihm an der Hand in Richtung Gastraum zu begleiten.

Scotty wurde uns als Erster ansichtig. Dass hatte wohl auch damit etwas zu tun, dass er noch nüchtern genug war, um die Geschehnisse um sich herum noch einordnen zu können. Entgegen seiner sonstigen Natur hatte er sein Getränk nämlich kaum angerührt. „Na, is’ alles wieder gut bei dir, Kleiner?“, wendete er sich leise nett und freundlich an Malcolm. „Ja, Onkel Scotty.“, antwortete der Junge lächelnd. „Ich bin schon wieder OK.“

Der Blick des Kindes war auf Scottys Glas gefallen. Angewidert hatte er sich umgedreht, denn auch der alkoholische Geruch kam jetzt zu ihm herübergeweht. „Igitt!“, rief Malcolm aus. „So was trinkst du? Tante Betsy, sei froh, dass du das nich’ siehst.“ „Ach, das ist doch nicht so schlimm, Süßer.“, lachte ich in tröstender Absicht. „Weißt du, Erwachsene machen manchmal so ekelige Sachen. Wenn du groß bist, wirst du das vielleicht auch mal ausprobieren, aber …“ „Dann kann ich ja froh sein, dass ich noch so klein bin.“, sagte Malcolm. „Kindermund!“, stellte Nayale entzückt fest. „Ist es nicht herrlich?“ „Wenn du das so gemein findest.“, bot Scotty an. „Dann wird der Onkel Scotty das jetzt mal wegstellen. OK?“ Damit stellte er sein Glas auf die nahe Fensterbank. Danach gab er Professor Radcliffe einen Wink, das Gleiche ebenfalls mit seinem Glas zu tun. „Wir sollten Alkohol nicht so selbstverständlich und dicht in der Nähe eines Kindes aufbewahren, Mr. Radcliffe.“, erklärte er. „Wenn wir uns etwas drehen müssen, um unsere Gläser zu erreichen, macht das ja wohl schließlich auch nix, nich’ wahr?“ „Sie haben Recht, Mr. Scott.“, sagte der Archäologe und stellte ebenfalls sein Glas neben das von Scotty.

Ich hatte mein Gesicht hinter meinen Händen verborgen. In der rechten Hand hielt ich außerdem ein Taschentuch, mit dem ich mir einige Tränen der Rührung aus den Augen wischte. „Is’ alles gut bei dir, Darling?“, fragte Scotty fürsorglich. „Ja, es ist schon alles wieder OK.“, antwortete ich. „Es war ja nur, weil ich eine solche Reaktion von dir, als trinkfestem Raubein, offen gestanden nicht erwartet hatte.“ „Na ja.“, sagte Scotty. „Ich weiß halt, was den kleinen Matz erwarten würde.“ „Aber man hat Ihnen doch sicher mit sechs Jahren noch keinen Alkohol gegeben, Scotty, oder?“, fragte Nathaniel. „Natürlich nich’.“, stöhnte Scotty, dem es so vorkam, als wäre Radcliffe in der Hinsicht etwas begriffsstutzig. „Aber das hab’ ich ja auch nich’ gemeint. Ich finde nur, dass man im Beisein von Kindern mit dem Konsum von Alkohol sehr vorsichtig sein sollte, damit sie es nich’ so bald als normal empfinden und unter Umständen noch ausprobieren. Dafür is’ Ihr Sohn nämlich echt noch zu klein! Ich finde es also besser, wenn er das Ganze noch eine Weile als ekelig empfindet, als wenn wir ihm jetzt sagen würden, dass es gut schmecke oder ein gutes Gefühl mache.“ Ich nickte nur beifällig, denn ich hatte mich an eine Situation erinnert, die ich als 3-Jährige erlebt hatte. Mein Großvater hatte für meine Großmutter eine Schachtel Pralinen im Stubenschrank versteckt. Diese hatte ich beim Stromern gefunden und geöffnet. Dann hatte ich mir eines der gut nach Schokolade duftenden Teile in den Mund gesteckt und genüsslich hineingebissen. Der Geschmack, der aus dem Teil gekommen war, gefiel mir dann aber gar nicht. Mit vor Ekel verzogenem Gesicht lief ich darauf zu meinem Großvater und stammelte nur: „Opa, igitt, Taschentuch.“ Dann spuckte ich die Bescherung schnell in das mir eilig von ihm hingehaltene Objekt meiner Not und Begierde. Diese Erfahrung hatte wohl auch dazu beigetragen, dass ich im Umgang mit Alkohol bis heute sehr vorsichtig geblieben war.

Ginalla kam wieder an unseren Tisch. „Na, da is’ ja fast alles wieder versammelt, was Rang und Namen hat.“, flapste sie. „Nur einer fehlt noch. Wo is’ eigentlich Shimar?“ „Der wollte nachdenken.“, sagte Scotty. „Ich weiß auch nich’, wo er bleibt. Aber ich werde mal nachsehen. Die zehn Minuten sind eh rum.“ Damit stand er auf und verließ uns in Richtung Flur. Dort würde er den Lift zu unseren Zimmern hinauf nehmen. Er wusste schon, wohin sich Shimar zurückgezogen haben könnte.

Ich hatte mich in das Angebot des Tischreplikators vertieft. Dazu benutzte ich einen mitgebrachten Ohrhörer, den ich in eine Buchse gesteckt hatte. Dies war vom Computer sofort erkannt worden, denn die gängigen Ohrhörer und ihre technischen Spezifikationen waren jedem Replikator, der gebaut wurde, bekannt. Das erleichterte ihre Bedienung für Leute wie Mikel oder mich sehr. Der Rechner des Replikators hatte von mir den Befehl bekommen, das Angebot vorzulesen. Dabei orientierte er sich daran, auf was ich den Cursor, den ich mittels der in bekannter Form vorhandenen Tasten bewegte, gestellt hatte. So hätte ich, wenn ich mich für etwas entschieden hätte, einfach nur die Entertaste drücken müssen. Trotzdem konnten alle Sehenden das Ganze auch am Bildschirm verfolgen. Das war auch der Grund, aus dem Malcolm mich plötzlich bat, noch einmal einen Schritt zurück zu gehen. Ihm war eine Pizza mit Mondgesicht aufgefallen, die ihn wohl sehr angelächelt hatte. „Kann ich die haben, Mummy?“, fragte er seine Mutter und zeigte auf den Schirm. „Wenn du möchtest.“, sagte Nayale. „Hoffentlich wird sie nicht zu groß für dich sein.“ „Der Computer sagt, es ist eine Kinderpizza, Nayale.“, beruhigte ich sie. „Haben Sie das nicht gelesen?“ „Doch.“, sagte meine neu gewonnene Freundin, die noch einmal auf den Schirm geschaut hatte. „Jetzt sehe ich es auch. Und, da ist viel Käse und Tomatensauce drauf. Außerdem besteht der Boden wohl aus so was wie zu Schnecken gerollten Nudeln. Das magst du doch so gern!“ „Oh, ja!“, quietschte Malcolm. „Na dann.“, sagte ich und bestätigte die Bestellung. „Die Pizza kriegst du von mir, Malcolm.“, sagte ich. „Danke, Tante Betsy.“, strahlte er. „Ich mag dich. Du bist voll lieb!“ Er beugte sich über den Tisch und drückte mir einen feuchten kleinen Kuss auf die Wange. „Oh, danke, Malcolm.“, sagte ich und strich ihm im Gegenzug durchs Gesicht.

Scotty hatte unser Zimmer erreicht. Hier hatte er Shimar vermutet. Leider traf er aber nur auf einen leeren Raum, eine Tatsache, die ihm sehr seltsam vorkam. „Bist du hier, Kumpel!“, rief er. Dann blieb er stehen, um eine Antwort zu erlauschen. Die kam dann auch, aber leider nicht direkt auf seine Frage. Scotty hörte eher etwas, das ihn an die gezischten Worte: „Ach verdammt, das funktioniert doch so nicht!“, erinnerte. Er dachte sich, dass das unter Umständen aus dem Badezimmer gekommen sein konnte, war sich aber zuerst nicht wirklich sicher. „Was gäbe ich jetzt darum, solche Ohren wie meine Frau zu haben.“, flüsterte er. „Betsy hätte sicher in null Komma nix raus, wo du bist, auch wenn du mir gerade nich’ zugehört hast, wie es scheint. Aber vielleicht sollte ich dich mal ein bisschen provozieren.“

Er räusperte sich und sagte dann: „Dann würde ich es morgens mal mit ’ner Schale Müsli versuchen!“ Dann grinste er sich in Erwartung einer Reaktion in den Bart. Tatsächlich erfolgte diese auch recht prompt. Aus der Tür stürzte wenige Sekunden später ein ernst dreinschauender Shimar. „Pfui, Scotty! Du unanständiger Zotenreißer! Sei froh, dass das Kind nicht in der Nähe war.“, tadelte mein Freund meinen Mann. „Der Kleine hätte ja glatt seine gute Erziehung verlernt! Hast du da schon mal drüber nachgedacht? Außerdem ging es bestimmt nicht um das, an das du gerade denkst!“ „Ups.“, machte Scotty und setzte einen schuldigen Blick auf. „Wenn ein Telepath einem sagt, an was man gerade denkt, sollte man vorsichtig sein.“ „Ja genau!“, sagte Shimar. „Denkst du wirklich, ich mache solche Sprüche in Gegenwart des Jungen?“, fragte Scotty. „Hältst du mich für so blöd? Ich wollte dich doch nur etwas provozieren, damit du mir sagst, was du für ein schwieriges Problem zu lösen hast.“ „Das ist dir auch gelungen. Na gut.“, sagte Shimar und setzte sich auf unser Bett. „Es geht um die Zusammensetzung der Teams. Ich meine, wenn du und der zerstreute Professor gegeneinander spielen, dann ist das ja noch OK. Betsy könnte gegen Malcolm spielen, weil beide ein Handicap haben. Sie kann nicht sehen und er ist noch sehr klein, kann also bestimmte Dinge nicht so, wie ein Erwachsener. Nur was machen wir mit Nayale. Betsy ein zweites Mal gegen sie antreten zu lassen, wäre nicht fair, weil sie sieht und Betsy nicht. Sie könnte viel genauer zielen.“ „Du hast Recht.“, sagte Scotty. „Uns fehlt eindeutig eine Spielerin, die ganz normale Voraussetzungen mitbringt.“ Er setzte sich neben Shimar und begann ebenfalls, sehr angestrengt nachzudenken.

Die Neugier hatte Ginalla zu der Konsole getrieben, an der Shimar gesessen hatte, um das Spiel zu programmieren. „Wollen doch mal sehen, was du für ’n Problem hast.“, zischte sie und sah sich seine Eingaben genau an. „Ah ja.“, meinte sie dann, nachdem sie sich die Tabelle mit den Teams angesehen hatte. „Aber ich glaube, da kann ich abhelfen.“ Damit fügte sie ihren eigenen Namen in die letzte Spalte gegenüber von Nayales ein. Nun waren die Teams vollständig, was ihr der Rechner, der ja durch Shimars Vorarbeit schon wusste, worum es ging, auch gleich darauf mitteilte. „So, das wär’s.“, sagte sie. „Nun muss ich den Beiden nur noch Bescheid sagen.“

Dass ihr Nachdenken nicht wirklich zu einem Ergebnis führen würde, hatten Scotty und Shimar mittlerweile auch bemerkt. „Das is’ ja ’n wirkliches Knobelproblem!“, stellte Scotty fest. „Da hast du Recht.“, stimmte Shimar zu. „Ich bin überzeugt, ein Warpkernbruch repariert sich leichter!“ Er grinste. „Wie makaber bist du denn?!“, fragte Scotty. „Wenn der bricht, dann is’ man am besten beraten, das Schiff so schnell wie möglich zu verlassen!“ „Ich habe doch nur einen Witz gemacht.“, rechtfertigte sich Shimar ruhig. „Entschuldige.“, sagte Scotty. „Ich bin nur etwas empfindlich heute.“ „Das merkt man.“, sagte Shimar und war schon wieder in Überlegungen vertieft. „Außerdem muss dir mein Spruch ja wie ein Einbruch in deine Domäne vorgekommen sein. Ich meine, wenn du Sprüche über abstürzende Shuttles oder so machen würdest, dann würde ich vielleicht … Stellt doch mal jemand dieses nervige Piepen ab!“

Scotty war nicht bewusst, wovon Shimar geredet haben könnte. Er hatte das nervige Piepen nämlich gar nicht wahrgenommen. Erst jetzt fiel ihm das nervöse Blinklicht der Sprechanlage an der Tür auf. „Ich gehe schon.“, sagte er und stand vom Bett auf. Dann ging er in die Richtung, aus der es gekommen war. „Wer kann so penetrant sein und uns auch noch belästigen, wenn er merkt, dass wir gar nicht antworten?“, fragte Shimar halblaut. „Das weiß ich nich’.“, log Scotty platt, der das Rufzeichen im Display sehr wohl gelesen hatte, es Shimar aber aus bestimmten Gründen noch immer verheimlichte. Er wollte ihn wohl mit der Tatsache überraschen, dass dessen Eigentümerin vielleicht für sein Problem schon längst eine Lösung gefunden hatte. Das wusste er aus Erfahrung. Die Karten waren immer dann völlig neu verteilt worden, wenn Ginalla sich eingemischt hatte. Jedenfalls würde das auch die permanente Belästigung über die Anlage erklären.

Der Terraner stellte das Gerät grinsend auf Lautsprecher, denn er wusste, dass er seinem tindaranischen Freund nur so zeigen konnte, wer dort am anderen Ende der Verbindung war. Shimar machte sich ja nicht die Mühe, vom Bett aufzustehen und herüber zu kommen. „Jungs, hier is’ Ginalla.“, grinste eine bekannte Stimme aus dem Lautsprecher. „An eurer Stelle würde ich machen, dass ich hier her komme. Die Getränke werden sonst schal und Radcliffes haben auch keine Lust mehr, länger auf den Beginn des Spiels zu warten, nur weil ihr herumtrödelt! Also, was is’?!“

Irritiert sprang Shimar jetzt doch vom Bett auf und hechtete in Scottys Richtung. „Ginalla?“, fragte er. „Wie soll sie denn unser Problem gelöst haben?“ „Frag mich was Leichteres!“, schnodderte Scotty. „Jedenfalls behauptet sie, dass sie das hingekriegt hat. Wie auch immer, ich finde, wir sollten uns das ansehen und ihrer Lösung in jedem Fall ’ne Chance geben.“ „Also gut.“, überlegte der über alle Maßen überraschte Tindaraner. „Sie is’ nich’ dumm.“, sagte Scotty. „Vielleicht haben wir einfach den Wald vor lauter Bäumen nich’ gesehen.“

Er drehte sich entschlossen in Richtung Türsensor, der dies sofort registrierte und die Tür langsam und leise zur Seite gleiten ließ. Shimar allerdings machte keine Anstalten, ihm zu folgen. „Was is’ jetzt?!“, fragte Scotty flapsig. „Kommst du, oder kommst du nich’? Ich habe keine Lust, mir meinen Adoniskörper dadurch zu ruinieren, dass ich mir hier die Beine in den Bauch stehe, nur weil ein gewisser Freund nich’ in die Puschen kommt. Wäre sicher nich’ sehr vorteilhaft. Gut, Betsy würde es nich’ sehen, aber das wäre ja auch nich’ fair gegenüber ihr. Irgendwer müsste ihr dann irgendwann schon sagen, dass sie mit ’ner Vogelscheuche als Mann rumlaufen würde.“ „Und was ist, wenn sie damit gar kein Problem hätte?“, fragte Shimar ebenfalls scherzend. „Ich meine, du bist genau genommen 1000 Jahre älter als sie und sie hat dich trotzdem genommen.“ „Aye.“, bestätigte Scotty in der ihm so eigenen Manier. „Weil sie mehr Wert auf die inneren Werte legt. Alles andere kommt auch oft von anderen, die wohl meinen, sie in der Hinsicht beschützen zu müssen. Zumindest hat sie mir mal so was gesagt. Sie sagt, es habe Leute in ihrem Umkreis gegeben, die unbedingt wollten, dass sie in erster Linie einen jungen sportlichen gut aussehenden Mann kriegt und sicher keinen alten Knacker. Aber die Optik interessiert sie nich’. Wie denn auch, wo sie das doch gar nich’ wahrnehmen kann. Sie hat mir gesagt, das Problem liegt bei den anderen und nich’ bei ihr.“

Shimar war durch seine Äußerung plötzlich ein Licht aufgegangen. „Vielleicht hat sie das gemeint.“, sagte er. „Was meinst du?“, fragte Scotty. „Ich meine.“, sagte Shimar. „Dass ich jetzt genau weiß, was sie einmal meinte, als wir auch über das gleiche Thema geredet haben. Sie meinte, dass wir oft viel zu sehr zu Gefangenen unserer Augen werden und den Rest verpassen, weil wir uns vom ersten optischen Eindruck oft alle anderen Sinne blockieren lassen. Ihre Beobachtungsphasen würden weitaus länger dauern.“ „Kann ich mir vorstellen.“, sagte Scotty. „Aber jetzt sollten wir echt gehen.“ „OK.“, sagte Shimar und ging mit ihm zusammen aus dem Zimmer.

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