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Zu seiner Pizza hatte sich Malcolm einen Milchshake mit Schokolade ausgesucht. Nayale hatte sich eine terranische Nudelsuppe und ich mir eine Portion demetanische Teigtaschen mit Frischkäsefüllung und einen gemischten Salat bestellt. Dazu gab es bei mir noch eine stinknormale Cola und bei Nayale einen Zitronentee. Professor Radcliffe hatte ein Schnitzel mit Bratkartoffeln. So gut bewirtet warteten wir jetzt auf die Beiden, die bald darauf auch durch die Tür schritten. „Da seid ihr ja!“, rief Malcolm mit vollen Backen. „Guckt mal, Onkel Shimar und Onkel Scotty, was die Tante Ginalla da gemacht hat!“

Neugierig folgten Shimar und Scotty dem Fingerzeig des Kindes, der sie zur Konsole führte. „Was ist das denn?“, fragte Shimar und sah sich irritiert um. „Wovon redest du?“, fragte Ginalla, die grinsend hinter einer Säule hervorkam, hinter der sie sich versteckt hatte, um die Reaktion auf ihr kleines Manöver in aller Ruhe abzuwarten. „Lass mal gucken, was du da hast.“, sagte sie und tat unschuldig, während sie ihn leicht anstupste, um ihm zu verdeutlichen, dass er doch bitte zur Seite gehen sollte. Dann schaute sie verdutzt auf den eigenen Eintrag und tat wieder unschuldig: „Das is’ ja mein Name! Wie kommt der denn da hin?“ „Wirst ihn wohl hingeschrieben haben.“, sagte Scotty. „Ich mein’, so ’n Gerät programmiert sich ja schließlich nich’ selbst. Du kannst mir ruhig glauben, wenn ich das sage. Ich bin Ingenieur!“ „Das glaub’ ich gern, Scotty.“, flapste Ginalla.

Shimar ließ seinen Blick jetzt über die neue Zusammenstellung der Teams schweifen. „Na ja.“, sagte er. „Damit lässt sich leben. Die Karten werden eben immer ganz neu verteilt, sobald Ginalla sich einmischt. Nur ein kleines Problem haben wir immer noch. Die Kugeln werden für den Kleinen viel zu schwer sein. Hast du Kinderkugeln, Ginalla?“ „Oh, Shit!“, sagte die junge kesse Celsianerin salopp. „Daran hab’ ich ja nun gar nich’ gedacht!“ „Das ist kein Problem.“, sagte Radcliffe vom Tisch her. „Mein Sohn spielt zu Hause auch mit normalen Kugeln. Wir wollen doch schließlich keine Schwäche …“ „Bist du wahnsinnig?!“, fragte Nayale entrüstet. „Willst du, dass sich unser Kind verletzt?!“

Irgendjemand musste die verfahrene Situation jetzt lösen. Ich wusste auch schon, wer das sein würde. „Wenn der Kleine meine Technik übernehmen würde.“, schlug ich einen Kompromiss vor. „Dann wäre das Gewicht der Kugeln ja nicht relevant. Alles würde am Boden stattfinden.“ Radcliffe machte ein Gesicht, als wäre er nicht einverstanden. Nathaniel, benimm dich!, hörte er Sytanias telepathische Stimme in seinem Geist. Sie hatte alles mit Hilfe ihrer seherischen Fähigkeiten beobachtet. Denk an unsere Vereinbarung! Was habe ich dir über das Bejahen von Vorschlägen gesagt? Du weißt, was passiert, wenn du unseren Deal nicht einhältst!

Seine Mimik schwenkte um. „Ist in Ordnung, Allrounder.“, sagte er. „Das ist für meinen Sohn doch allemal besser, als wenn er später Rückenschäden oder so etwas davonträgt.“ „Das mein’ ich auch.“, sagte Ginalla. „Wenn er sich die in meiner Kneipe zugezogen hat, bin ich nachher noch verantwortlich. Darauf hab’ ich auch keine Lust.“ „Wie geht denn deine Technik, Tante Betsy?“, fragte Malcolm interessiert. „Ich zeige sie dir.“, versprach ich. „Gutes Stichwort! Dann lasst uns jetzt mal endlich anfangen.“, sagte Ginalla. „Dann gehe ich auch mal auf meinen Posten.“, sagte Shimar und setzte sich hinter die Konsole. Auch wir alle nahmen unsere Plätze an der Bowlingbahn ein.

Das Wesen war mit Kamurus am Rand des celsianischen Sonnensystems angekommen. Kamurus, wir sind da., gab es dem Schiff telepathisch zu verstehen. Gleich darauf sahen Kamurus’ Hecksensoren, wie sich der Kanal hinter ihm stark zusammenzog und irgendeine Kraft drohte, ihn gegen den Ausgang zu schieben. „Nein! Damit hörst du sofort auf!!!“, sagte er streng und das Gesicht seines Avatars nahm vor dem geistigen Auge des Wesens richtig autoritäre Züge an. Darüber war das Schiff selbst überrascht. Er hatte nicht geahnt, so handeln zu können. Aber du musst doch wieder aus mir raus., gab das Wesen zurück. „Das stimmt.“, gab das Schiff zu. „Aber meine Hüllenkonfiguration entspricht sicher nicht dem, was du sonst ausscheidest. Es gibt Diskrepanzen zwischen deiner Anatomie und ihr, die unter Umständen dazu führen könnten, dass ich dir schwere innere Verletzungen zufüge, wenn du presst und ich mich irgendwo verfange. Nein, das machen wir anders. Schließlich hat man einen eigenen Antrieb in meiner Gewichtsklasse. Du brauchst nichts weiter zu tun, als deinen Schließmuskel zu entspannen, dann komme ich schon klar. Außerdem werde ich meine Schilde heben und sie deiner inneren Struktur anpassen, damit ich weicher auf dich wirke.“ Einverstanden., meinte das Wesen. So haben wir es ja schon einmal gemacht. Übrigens: Ich muss dir noch etwas Merkwürdiges sagen. Als du kurzzeitig auf Warp warst, habe ich meine Speiseröhre nicht gespürt. Es war, als wäre sie örtlich betäubt gewesen. „Aber jetzt spürst du sie wieder?!“, erkundigte sich Kamurus halb neugierig und halb entsetzt. Er hatte nie die Absicht gehabt, dem fremden Wesen, das ihn ja gerettet hatte, einen bleibenden Schaden zuzufügen. Ja, Kamurus., tröstete der Fremde. Keine Sorge. Jetzt spüre ich sie längst wieder. Aber vielleicht kannst du mir erklären, was das war.

Kamurus überlegte. Eine solche Sache war ihm auch noch nie zu Ohren gekommen. Es gab nur eine passable Theorie, die ihm einfiel. „Pass mal auf, mein Freund.“, sagte er. „Ich glaube folgendes: Ich stamme aus einer fremden Dimension, die zwar diesem Universum ähnlich, aber allenfalls eine entfernte Verwandte von ihm ist. Hier schwingt alles, auch deine innere Energie, auf dem 21-cm-Band. Vielleicht schwingt mein Warpfeld auf einem anderen Band und das ist durch Zufall eines, das die Signale deiner Nerven blockiert, wo es mit ihnen in Berührung kommt. Ich finde das eine faszinierende Erkenntnis und werde diese Daten in jedem Fall speichern. Wer weiß, wozu sie noch einmal nütze sein könnten. Überprüfen kann ich meine Theorie leider nicht, weil ich dir, wenn ich jetzt auf Warp ginge, schaden könnte!“ Das Thema hatten wir ja gerade schon., antwortete das Wesen. „Genau.“, bestätigte das Schiff und zündete seine Manövriertriebwerke. Sein Plan war, das Wesen so vorsichtig wie möglich zu verlassen und da waren sie wohl die beste Option. Außerdem wollte er ihn in eine Unterhaltung vertiefen, um ihn abzulenken und so dafür zu sorgen, dass er sich entspannte. Deshalb fragte er, während er langsam in Richtung Ausgang flog und sich dabei so gerade hielt, dass man eine Wasserwaage hätte an ihm eichen können: „Ich weiß ja noch gar nichts über den, der mein Leben so tapfer gerettet hat. Wie heißt du eigentlich?“ Mein Name ist Brotheas., sagte das Wesen. „Gut, Brotheas.“, meinte Kamurus. „Sehr angenehm. Und falls ich mich noch nicht vorgestellt haben sollte, mein Name ist Kamurus. Aber was mir immer noch nicht klar ist, warum hast du mich gerettet, Brotheas?“ Ich dachte, das hätte ich verdeutlicht., meinte Brotheas. Die Vendar kamen von Sytania und die mag ich nicht! „Aber automatisch darauf zu schließen, dass ich dann einer von den Guten sein muss, hätte auch tödlich für dich enden können.“, mahnte Kamurus. „Ich meine, zu dem Zeitpunkt, als du beschlossen hast, mich zu verschlucken, konnten wir noch nicht kommunizieren und meine Absichten können dir nicht klar gewesen sein. Ich hätte auch ein Schiff sein können, das von dir feindlich gesinnten Wesen geschickt wurde, um dir zu schaden. Dass Sytanias Vendar mich verfolgten, hätte auch reiner Zufall sein können, weil sie dich vielleicht selbst gern erledigt hätten und meinen eventuellen Auftraggebern dies nicht gegönnt hätten. Du kennst doch den Ruf, den ihr seit eurer Begegnung mit der Voyager habt. Ganz ehrlich, das war ein bisschen naiv von dir!“

Brotheas wurde traurig. Ja, die Voyager., meinte er. Einer meiner Ahnen war es, der auf sie getroffen ist. Den Göttern sei Dank, haben sie ihn nicht getötet, sondern ihm nur etwas Magengrummeln verursacht. Aber wenn der andere Pilot sein Ziel erreicht hätte, dann gäbe es mich heute sicher nicht. Du verstehst schon. Wie stehst du eigentlich zu der Art, wie wir uns ernähren? Bitte, Kamurus, sei ganz ehrlich. „Nun.“, holte Kamurus zu einem wissenschaftlichen Vortrag aus. „Ich denke, es gibt keinen Grund, euch böse zu sein. Das ist nun einmal der Lauf der Natur. Keiner ist einem Löwen in der afrikanischen Savanne auf Terra böse, wenn er ein Gnu reißt. Das ist nun einmal seine Nahrungsgrundlage und Schiffe und ihre Crews sind nun einmal die Deine. Aber das Gnu und die Schiffe sind ja beide nicht wehrlos, wie du weißt. Mal gewinnt der eine, mal der andere. Ein unerfahrener Jäger kann von seiner Beute auch ausgetrickst werden. Oder dann, wenn die Jäger in der Unterzahl sind und eine zu große Beute nicht zur Strecke bringen können, kann diese auch entkommen. Das ist doch fair, oder? Überleg mal selbst.“ Kamurus’ Aufforderung, einmal selbst nachzudenken, war nicht von ungefähr gekommen. Vielmehr war sie ein Teil seiner Ablenkung gewesen. Du hast Recht., sagte Brotheas, nachdem er eine Weile überlegt hatte. Und die Voyager hat sich ja auch gewehrt, indem …

Brotheas war aufgefallen, dass er Kamurus’ Bewegungen nicht mehr in sich spüren konnte. Bist du OK?, fragte er. „Sicher bin ich das.“, sagte das Schiff. „Dreh dich mal um und sieh hinter dich.“

Neugierig und vorsichtig folgte Brotheas seiner Aufforderung. Tatsächlich sah er bald Kamurus hinter sich im Weltraum liegen. Wie hast du das gemacht?, wollte er wissen. Ich meine, ich habe nicht das Geringste gespürt. „Oh, dann warst du aber wirklich sehr gut abgelenkt.“, grinste Kamurus’ Avatar. Das kann man wohl sagen., meinte Brotheas staunend. Aber was mich interessieren würde: Wie konntest du mir so einen datenintensiven Vortrag halten, und gleichzeitig so empfindliche Manöver ausführen? „Tja.“, meinte Kamurus. „Wer multi-tasking-fähig ist, hat eindeutig einen Vorteil in einer solchen Situation. Außerdem habe ich eine Menge Arbeitsspeicher!“ Er hatte das E in Menge sehr lang gezogen. Bist wohl manchmal ein kleiner Angeber, was?, scherzte Brotheas. „Du weißt doch.“, sagte Kamurus. „Wer angibt, hat mehr vom Leben. So, aber jetzt würde ich dir raten, so schnell wie möglich zu verschwinden. Wenn du auf den celsianischen Schirmen auftauchst, weiß ich nicht, wie die Celsianer auf dich reagieren. Du weißt ja, was ihr für einen Ruf habt.“ Daran musst du mich nicht erinnern., sagte Brotheas. Aber andererseits wärst du doch der lebende Beweiß, dass ein Friede zwischen uns möglich ist. Ich meine, du hast gesagt, du hättest Verständnis für uns. Du bist mehr ein Sternenflottenschiff, als es die Voyager jemals war, in meinen Augen. Zumindest, was das angeht. Ich meine, obwohl ich dich verschluckt habe, zeigst du Verständnis und hast sogar versucht, mit mir zu kommunizieren. Das ist dir sogar gelungen, obwohl du ein Stück Technologie bist, das keinen Telepathen an Bord hat. Allerhöchstens einen Neurokoppler. Die Voyager hatte einige und hätte meinen Vorfahren nicht so quälen müssen!

Jetzt war es Kamurus, dessen Avatar sich bald darauf mit in die Hände gestützter Stirn zeigte, ein Zeichen, dass das Schiff ins Nachdenken vertieft war. „Hm, tja.“, machte er. „Sicher sind Magenschmerzen nicht schön, aber die Voyager war in einer anderen Situation als ich. Das Schiff drohte, sich unter dem Hintern der Crew buchstäblich aufzulösen. Sie hatten Angst um ihr Leben und nicht meine Sicherheit. Dann macht man schon mal Dinge, die äußerst gemein sein können, um sich zur Wehr zu setzen. Weißt du, die meisten biologischen Organismen können nicht im Weltraum leben wie du und ich. Sie sind auf künstliche Habitate angewiesen. Deshalb hatten sie Angst ums Überleben. Ein Insekt, das auf einer Fleisch fressenden Pflanze klebt, weil es auf ihren Lockstoff hereingefallen ist, beißt die Pflanze ja vielleicht auch, um sich zu wehren. Man könnte sagen, ich habe Verständnis für beide, euch, also deinen Vorfahren auf der einen und der Voyager, also der Schiffe und ihren Crews auf der anderen Seite.“

Wieder wurde Brotheas scheinbar traurig und aus dem, was Kamurus als seine Augen erkannt hatte, wurde eine Form von Energie abgesondert, die das Schiff noch nie gesehen hatte. „Sind das deine Tränen?“, fragte er. „Ich meine, ich habe doch wohl hoffentlich nichts Falsches gesagt.“ Oh, nein, Kamurus., meinte Brotheas. Im Gegenteil. Du hast genau das Richtige gesagt. Ich hatte nur einiges nicht bedacht. Aber nun gibt es doch wohl tatsächlich eine Chance auf Frieden. Frieden zwischen den Biologischen und uns. Ich meine … „Nicht so schnell.“, bremste der immer vernünftig scheinende Kamurus seine Hoffnung. „Ich werde sehen, was ich tun kann, um die Behörden von Celsius zu überzeugen. Ich werde ihnen eine Aufzeichnung unserer Gespräche überantworten. Wer weiß, vielleicht kommen sie zu einer Lösung, mit der selbst du nicht rechnest. Die Celsianer sind sehr erfindungsreich, musst du wissen. Vielleicht erfinden sie ja sogar eine neue Nahrungsquelle für euch, damit ihr niemanden mehr töten müsst. Daran glaube ich ganz fest. Vor allem dann, wenn meine Pilotin da ein Wörtchen mitzureden hat. Sie ist das erfindungsreichste Wesen, das ich kenne!“ Du hast eine Pilotin?, fragte Brotheas verwundert. Ist sie auf dem Planeten? „Ja, das ist sie.“, antwortete Kamurus. „Und sie ist sogar eine Einheimische, eine Celsianerin. Sie heißt Ginalla. Sie würde euch sicher gern behilflich sein. Aber jetzt muss sie erst mal jemandem anders helfen, die ihre technische Begabung im Moment viel nötiger hat. Bitte, lass mich jetzt fliegen.“ Also gut., lenkte Brotheas ein, der eigentlich noch viel mehr von Kamurus hatte wissen wollen. Aber offensichtlich drängte diesen die Zeit. „Wir sehen uns sicher noch einmal wieder.“, tröstete er. „Aber jetzt bring du dich besser auch in Sicherheit. Wie gesagt, man weiß nie, wie sie reagieren, wenn sie dich sehen. Ich werde alles tun, um ihnen zu erklären, dass ihr beileibe nicht so schlimm seid, wie euer Ruf.“ Danke, Kamurus., strahlte Brotheas und drehte langsam ab. Auch Kamurus aktivierte seine Impulsmaschinen, um in Richtung celsianischer Umlaufbahn zu starten.

Wir wussten noch lange nicht, was auf uns zu kommen sollte. Fröhlich und unbeschwert waren wir damit beschäftigt, Vorbereitungen für unser kleines Spiel zu treffen. Wie versprochen wollte ich dem Jungen meine Technik beibringen, was ich dann auch tat. Shimar war damit beauftragt, dem Computer zu verdeutlichen, dass diese ersten Würfe noch keine Gültigkeit hatten. „Wie geht denn jetzt deine Technik, Tante Betsy?“, fragte der kleine Naseweiß. „Pass auf.“, sagte ich, ließ mir von Scotty eine Kugel anreichen und legte sie zwischen meinen Beinen auf den Boden. „Stell dich mit dem einen Fuß vor die eine Rinne und mit dem anderen Fuß vor die andere.“, instruierte ich Malcolm. „Aber dann stehe ich doch breitbeinig.“, sagte er. „Das stimmt.“, sagte ich. „Aber das hat seinen Sinn. Du wirst gleich sehen, welchen. Jetzt musst du nämlich die Kugel zwischen deine Beine legen.“ Auch der Junge bekam auf mein Zeichen von Scotty eine Kugel gereicht. „So.“, sagte ich. „Und jetzt gehst du in die Knie und gibst ihr einen ganz dollen Schups!“ „Oh, ja!“, quietschte Malcolm und tat, was ich ihm aufgetragen hatte. Die Kugel rollte ab durch die Mitte und traf auf die Spitze der Raute. Das gab eine solche Kettenreaktion, dass bald alle Kegel dahingestreckt lagen. „Plong! Raboller!“, scherzte ich. „Na, das war ja wohl der Volltreffer des Jahrhunderts!“

Malcolm kam zu mir herüber und umarmte mich fest. „Deine Technik is’ voll cool, Tante Betsy!”, rief er begeistert. „Ich will jetzt aber anfangen!“ „OK, Spätzchen.“, sagte ich und fragte in die Runde: „Hat jemand ein Problem damit?“ „Nein.“, kam es einstimmig zurück. „Dann kann ich ja wohl endlich damit aufhören, Fehlermeldungen wegzuklicken.“, stöhnte Shimar. „Das kannst du, Srinadar.“, flötete ich Mitleid vortäuschend, denn es konnte ja nun wirklich nicht so schlimm sein, ein paar Mal auf den Button für Abbrechen auf dem Tuchscreen tippen zu müssen. „Was hast du damit eigentlich für ein Problem? Brechen dir dann etwa die künstlichen Fingernägel ab, die du nicht hast?“ „Hör bitte auf, Schätzchen.“, scherzte Shimar zurück und machte dabei eine übertrieben hohe Stimme nach. „Für eine Diva wie mich ist ein abgebrochener Nagel eine lebensgefährliche Sache, ja?“

Plötzlich mussten wir alle, inklusive Shimar, so sehr lachen, dass uns die Tränen aus den Augen liefen. „Und ich dachte, ich sei für die Witze zuständig.“, prustete Scotty. „Na ja.“, sagte Nayale zur Erklärung. „Ihr Humor ist eher von gröberer Natur. Der von Shimar ist vielleicht feinsinniger. Aber ich finde, beide haben ihre Vorzüge.“ „Was is’ ’ne Diva, Onkel Shimar?“, fragte Malcolm. „Oh, das ist schwierig zu erklären.“, sagte mein Freund und sah mich an. „Das ist eine sehr auf ihre Schönheit bedachte Frau.“, sagte ich. „Die will sich aber nie die Finger schmutzig machen und will immer von vorn bis hinten bedient werden. Sie macht aus den kleinsten Dingen gleich ein Drama, die eigentlich nicht schlimm sind. Wenn ihre Schminke verwischt, ist das zum Beispiel gleich ein Grund zum Trauern. So eine würde auch nie jemandem helfen, weil sie ja dann Gefahr liefe, sich einen Nagel abzubrechen oder so. Diven sind auch sehr eingebildet.“ „So wie Prinzessin Sytania?“, fragte Malcolm.

Ich musste schlucken. Anscheinend hatte dieser kleine Junge schon mehr von der Situation um sich herum verstanden, als wir alle ahnten. Wenn er nur die Hälfte der Intelligenz seiner Mutter geerbt hatte, dann würde er bald wissen, in was für einer großen Gefahr sie waren. Nur bezweifelte ich ernsthaft, dass seine kindliche Seele in der Lage war, damit umzugehen. „Ja.“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Genau wie Prinzessin Sytania. Aber jetzt lasst uns am besten nicht mehr davon reden. Schließlich sind wir hier, um miteinander Spaß zu haben. Shimar, wer fängt eigentlich an?“

Shimar warf einen kurzen Blick auf den Schirm und sagte dann: „Nathaniel und Scotty sind dran, Kleines.“ „OK.“, sagte ich und ging mit Malcolm zusammen von der Bahn weg.

Scotty und Radcliffe betraten diese und der Professor nahm sich gleich die größte Kugel mit. „Na, ob das so eine gute Wahl ist?“, fragte Nayale, die mir auch den Rest der Situation beschrieben hatte. „Kommt drauf an, welches Bild er sich jetzt gleich aussucht.“, sagte ich. „Wenn es ein Bild ist, das eine große Fläche hat.“, führte ich aus. „Dann kann es schon sein, dass ihm das hilft.“ „Oh, da kennen Sie meinen Mann schlecht.“, flüsterte mir Nayale zu. „Er wird bestimmt das allerschwierigste Bild von allen haben wollen. Aber so, wie ich dieses Spiel verstanden habe, ist das meistens eines, bei dem es auf Präzision ankommt und nicht darauf, wer die größte Kugel hat. Eine große Kugel halte ich eher für hinderlich in so einem Fall. Sie wirft zwar viele Kegel um, aber ob die Entscheidenden dabei fallen, ist eine ganz andere Geschichte. Gut, unwichtige Kegel könnten eine Kettenreaktion auslösen, bei der unter Umständen doch Wichtige fallen können, aber das halte ich je nach Konstellation eher für Glückssache.“ „Ich finde, Sie haben ein sehr gutes Verständnis für physikalische Dinge, Nayale.“, lobte ich.

Scotty und Radcliffe hatten ihre Startposition eingenommen. „Programmieren Sie bitte für mich das schwierigste Bild, das der Rechner hergibt, Shimar!“, forderte der Professor. „Ich muss erst nachsehen, welches das ist.“, gab Shimar zurück, der sich schon denken konnte, dass das ganz schön in die Hose gehen musste. Wahrscheinlich hatte er die gleichen Gedankengänge wie Nayale und ich. „Na, dann möchte ich Ihnen aber vorschlagen, doch vorsichtshalber eine kleinere Kugel zu benutzen, Nathaniel.“, sagte Scotty. „Ich meine ja nur.“ „Sie können meinen, was Sie wollen.“, sagte Radcliffe. „Ich werde mich davon nicht beeindrucken lassen. Sie sind mein Gegner und es besteht immerhin die Möglichkeit, dass Sie mir nur eins reinwürgen wollen.“ „Moment mal.“, sagte Scotty. „Das is’ doch nur ’n Spiel hier. Wir sind doch keine Feinde im Krieg oder so. Was haben Sie denn für ’n Problem, he?! Ich wollte doch nur helfen!“ „Lassen Sie meinen Mann, Scotty!“, mischte sich Nayale ein. „Es ist schließlich seine Sache, wenn er sich selbst Steine in den Weg legen will!“ „Auf wessen Seite bist du eigentlich, Nayale?!“, fragte der Professor entrüstet. „Ich dachte, du gehörst zu meinem Team!“ „Trotzdem lasse ich es mir nicht verbieten, dich auf bestimmte Dinge hinzuweisen.“, erwiderte die junge intelligente Zeonide ruhig, die beileibe nicht auf den Mund gefallen war.

Unversehens musste ich grinsen, denn mein Verstand hatte mir einen kleinen Streich gespielt, den ich aber in gewisser Hinsicht sehr amüsant fand. Er hatte die Figuren von Radcliffe und Nayale gegen die von Sisko und Kira auf Deep Space Nine ausgetauscht. Ich war zwar damals nicht dabei gewesen, aber aus meiner Zeit als Kadettin, in der ich die Berichte von Sisko auch als Teil des Lehrstoffs studieren musste, wusste ich, dass es damals, als es um das Baseballspiel gegen die Vulkanier ging, auch zu einer ähnlichen Situation gekommen war. Sisko war derart besessen von dem Spiel, zumindest meiner Meinung nach, gewesen, dass er völlig neben sich gestanden hatte. Meinem Soziologieprofessor, einem Demetaner höheren Alters Namens Sandron, hatte ich dies auch gesagt, aber erst dann, als er mich darum gebeten hatte, vor der ganzen Klasse zu wiederholen, was ich gerade vor mich hingeflüstert hatte. Erst hatte ich, schüchtern wie ich damals war, verneinen wollen, denn ich hatte Angst, mit dem, was ich sagen würde, einen Mythos zu zerstören, aber Professor Sandron ermutigte mich dann doch mit den Worten, die ich bis heute gut in Erinnerung hatte: „Allrounder Apprentice, Sie haben uns alle sehr neugierig auf Ihre Meinung gemacht. Es wäre doch jetzt sicher sehr unfein, wenn Sie diese Neugier nicht stillen würden. Ich weiß, dass Sie keine unfeinen Dinge tun, weil Sie dafür eine viel zu gute Kinderstube genossen haben. Außerdem ist die Föderation der vereinten Planeten ein demokratischer Staat und Sie wissen ja wohl, dass dies auch die Meinungsfreiheit beinhaltet. Also, raus damit!“ „Bei allem Respekt, Professor.“, hatte ich angesetzt. „Meiner Ansicht nach ist er in einer tiefen Obsession wegen der Sache in seiner Jugend. Das Trauma, das Solok bei ihm gesetzt hat, konnte er bis heute nicht verarbeiten. Deshalb verhält er sich wohl so seltsam.“ „Hat noch jemand zu Allrounder Apprentice Betsys Urteil eine Meinung?“, hatte er in die Klasse gefragt. Dann hatte er sich wieder an mich gewandt und gesagt: „Lassen Sie mich kurz Ihr Auge sein, Betsy. Ich sehe ein allgemeines zustimmendes Kopfnicken. Ich weiß, damit demontieren wir einen Ritter in strahlender Rüstung, aber wie Sie wissen, war Sisko ja auch ein Sterblicher und Sterbliche wie wir alle haben nun einmal ihre Traumata. So, und nun weiter im Text …“

„Tante Betsy?“ Eine kleine Kinderstimme hatte meinen Namen geflüstert. Malcolm musste bemerkt haben, dass ich abgeschweift war. „Ja, Malcolm?“, sagte ich schnell und räusperte mich. „Was is’ so komisch, Tante Betsy?“, fragte er. „Wieso sollte was komisch sein, Malcolm?“, fragte ich zurück. „Weil du grinst.“, sagte er. „Ach, das ist nichts.“, sagte ich. „Das verstehst du noch nicht. Lass uns doch jetzt mal hören, was dein Daddy und der Onkel Scotty machen, OK?“ „OK.“, strahlte Malcolm. „Darf ich dir sagen, was ich sehe?“ „OK.“, sagte ich und lächelte ihn an. „Mein Daddy steht jetzt da und überlegt.“, sagte Malcolm. „Und der Onkel Scotty steht auch da. Aber er sieht ganz ruhig und locker aus. Mein Dad guckt ganz verkniffen. Ungefähr so. Fühl mal.“ Er nahm meine rechte Hand und führte sie an sein Gesicht, das er zu einer Grimasse verzogen hatte. An seinen zusammengepressten Lippen konnte ich sehr wohl erkennen, wie angespannt er sein musste. „Ui.“, machte ich. „Der nimmt das aber sehr ernst. Aber mach dir keine Sorgen. Der Onkel Scotty kriegt die Geschichte schon wieder aufgelockert.“

Shimar hatte sich die Punktetabelle vom System geben lassen. „Also, hört mal her.“, sagte er. „Die meisten Punkte gibt es für den Pfeil mit Spitze.“ „Den nehme ich!“, sagte Radcliffe. „Ich auch.“, sagte Scotty ganz ruhig. „Aber ich nehme noch was anderes.“ Er nahm sich die kleinste Kugel aus dem Magazin. „Haben Sie etwa nichts in den Armen?!“, spottete Radcliffe. Scotty ging nicht darauf ein, sondern fixierte ganz ruhig sein Ziel. Dann wartete er ab, was Shimar an der Konsole tat. Nach Abfrage hatte er für beide den Pfeil mit Spitze im Menü ausgewählt. Daraufhin hatte der Zufallsgenerator des Systems bestimmt, dass Radcliffe beginnen sollte. „Die ausgewählte Form ist der Pfeil mit Spitze.“, sagte die Stimme des Rechners. „Die Kegel, welche unbedingt fallen müssen, sind die Nummern: eins, zwei, drei, fünf und acht. Fallen diese Kegel beim ersten Wurf, gibt es zehn Punkte. Jeder weitere benötigte Versuch reduziert um je einen Punkt. Die temporäre Punktzahl bleibt im Hintergrund gespeichert, auch wenn die Kegel neu aufgestellt werden. Bitte beginnen Sie, sobald Sie diese Erklärung verstanden haben.“ „Wenn der zehn Versuche braucht, hat er am Ende null Punkte.“, flüsterte Ginalla mir zu. „Das habe ich auch kapiert.“, gab ich genau so leise zurück. „Dann hat die ganze Protzerei ihm nichts gebracht.“

Ich hörte, wie Radcliffes Kugel die Bahn entlang rollte. Dann gab es einen Riesenkrach, aber der Computer begrub all seine Hoffnungen, denn gerade die zu treffenden Kegel, die sich in der Mitte befanden, waren stehen geblieben, da Radcliffe die Kugel etwas versetzt aufgesetzt hatte. Die Gruppe rechts von dem Pfeil war gefallen, aber das nützte ja nichts, zumal die Kegel so gerade gefallen waren, dass sie keine ihrer mittleren Nachbarn mitgenommen hatten.

Shimar sah auf seinem Monitor, wie der Cursor in Scottys Spalte hinüber wanderte. „Der Computer sagt: Jetzt bist du dran, Kumpel.“, sagte mein Freund zu meinem Mann. „Na, dann wollen wir ihn mal nicht enttäuschen.“, frotzelte Scotty ruhig und ließ seine erheblich kleinere Kugel durch die Mitte der Bahn laufen. Sie traf auf die uns zugewandte Spitze der Raute, in der die Kegel angeordnet standen. Der so umgeworfene Kegel Nummer zwölf stieß die Nummer acht an, die dann umfiel, um die Nummer fünf anzustoßen, die beim Trudeln und Fallen ihrerseits die Nummern zwei und drei mitriss. Die eins wurde dann noch von der Kugel höchst persönlich auf ihrem Weg nach Hause erledigt. „Ui, rums, klöter, klöter, deng!“, machte Malcolm und lachte sich halb schief. „Das war lustig!“ „Oder auch: Eumel, kuller, kuller, krawuhms!“, alberte Shimar von der Konsole her. Wir mussten alle so lachen, dass wir Bauchschmerzen bekamen und die Verkündung des Ergebnisses völlig unterging. Aber wir konnten uns alle schon denken, dass Scotty alle zehn Punkte abgeräumt hatte.

Zufrieden kam er an unseren Tisch zurück. „Man braucht auch etwas hier, nicht wahr, Scotty?“, grinste ich und zeigte auf meine Stirn. „Du wusstest, dass du mit ’ner größeren Kugel nicht so gut hättest zielen können.“ „Wieso kannst du dir so was vorstellen, Darling?“, fragte Scotty mit einem ziemlichen Staunen in den Augen. „Du kannst doch weder die Größe der Kugeln, noch die Stellung der Kegel gesehen haben. Shimar, hast du …?“ „Ich habe ihr gar nichts übermittelt.“, sagte Shimar. „Aber sie hat viel Fantasie und eine gute räumliche Vorstellungsgabe. Pass mal auf, was passiert, wenn sie dran ist. Ich wette mit dir, dass sie meine telepathische Übermittlung gar nicht braucht, um zu bestimmen, welche Kugel sie haben will und welches Bild. Es wäre nur schön, wenn du sie ihr anreichen würdest, damit es schneller geht.“ „Die Wette gilt!“, sagte Scotty und ging zu Shimar, um auf ihre Vereinbarung mit ihm einzuschlagen. „Der Verlierer spendiert dem Gewinner einen Drink.“, schlug Scotty vor. „Dann bügel’ schon mal deine Spendierhosen.“, erwiderte Shimar selbstbewusst.

Ich hatte bemerkt, dass Malcolm wohl über etwas nachgedacht hatte. „Woran denkst du, Malcolm?“, fragte ich, denn mir war aufgefallen, dass er sehr still geworden war nach seinem Lachanfall. „Ach, Tante Betsy, ich frage mich nur, ob mein Daddy jetzt den ganzen Abend lang an diesem einen Bild hängt.“ „Oh, das wissen wir gleich.“, tröstete ich und drehte mich Shimar zu, um ihm auffordernd zuzuzwinkern. Zumindest versuchte ich, eine ähnliche Bewegung mit meinen Augen zu vollführen. Da ich so etwas aber nie gesehen hatte, wusste ich nicht, ob es mir gelungen war. „Ihr schickt mich ja heute ganz schön durch die Katakomben des Systems.“, stöhnte mein Freund und ließ sich noch einmal das Regelwerk zeigen. „Bist ja selber schuld, wenn du dich als Programmierer anbietest.“, neckte ich. „Stimmt auch wieder.“, meinte Shimar und begann damit, sich den Absatz über die von Malcolm gestellte Frage noch einmal zu Gemüte zu führen. „Also.“, sagte er. „Ein Wechsel ist möglich. Der Computer wird ihn jedes Mal, wenn er dran ist und sich noch nicht für ein anderes Bild entschieden hat, fragen, ob er das angefangene Bild weiterspielen, oder ein anderes auswählen will. Wenn er klug ist, sollte er das auch tun, denn sonst kommt er mit seiner bisherigen Strategie noch in den Minusbereich. Das geht nämlich auch.“ Aber jetzt sind sowieso erst mal Malcolm und du dran, Kleines.“ „OK.“, sagte ich. „Du könntest mir nur noch einmal die zur Verfügung stehenden Bilder vorlesen, während ich zur Bahn gehe.“ „In Ordnung.“, sagte er. „Scotty, bringst du sie?“ „Aber sicher doch.“, flapste mein Mann und hakte mich unter.

Neben uns wuselte der Kleine auf seinen Platz. Aber das bekam ich nur mit halbem Ohr mit, denn eigentlich war meine Aufmerksamkeit bei Shimar, der mir noch einmal alle Bilder vorlas, die es im System gab. „Ich ordne von leicht nach schwer, OK?“, fragte er. Ich nickte. Aber nicht nur ich hatte ihm zugehört. Auch Malcolm schien das Geschehen irgendwie zu verfolgen. Jedenfalls sagte er plötzlich: „Ich will auch mit Augen zu spielen.“ Seine Stimme klang etwas dumpf, als hätte er die Hände vor dem Gesicht. „Das lass mal besser, Malcolm.“, riet ich. „Sonst wird dir nachher ganz doll schlecht. Du bist das ja nicht gewohnt und dein Gehirn kann das nicht verstehen und mag das nicht.“ „Aber das ist doch dann nicht fair gegenüber dir, Tante Betsy.“, sagte Malcolm traurig. „Das macht mir nichts, Schatz.“, tröstete ich. „Guck mal, wenn wir beide Erwachsene wären, dann wäre das was anderes. Große Leute können Kugeln einen großen Schwung geben und kleine Leute einen Kleinen. Aber weil ich nicht sehen kann, was ich da tue, werde ich auch ganz vorsichtig spielen und meiner Kugel auch nur einen kleinen Schwung geben, wenn ich schlau bin. Genau so vorsichtig wie du. Aber wenn du auch nicht sehen kannst, dann wirst du vielleicht zu vorsichtig oder du verlierst die Richtung ganz. Das ist auch nicht OK.“ „Na gut.“, sagte Malcolm und schien dabei sehr erleichtert. „Jetzt hab’ ich’s verstanden.“, sagte er. „Du kannst ganz toll erklären, Tante Betsy.“ „Danke, Malcolm.“, sagte ich lächelnd.

Natürlich hatte ich mir vor dem Gespräch mit dem Jungen gemerkt, welches Bild ich mir aussuchen würde. Ich kannte die Grundstellung der Kegel und wusste daher ungefähr, wie die schlüssig benannten Bilder auszusehen hatten. „Ich nehme die Tannenspitze.“, sagte ich. „OK.“, sagte Shimar und holte tief Luft, bevor er das Bild im Menü des Systems bestätigte. „Soll ich?“, fragte er. Was er meinte, war mir sonnenklar. Ich hatte an seinem Verhalten schon ablesen können, dass er sich wohl sehr konzentrierte. „Nein, Shimar.“, sagte ich. „Der Computer und ich versuchen es erst mal allein miteinander.“ „Ist OK.“, sagte Shimar, der noch gut die Wette mit Scotty im Hinterkopf hatte. „Ich will das Gleiche, was sie hat.“, sagte Malcolm. „Also gut.“, sagte Shimar und loggte auch für Malcolm die Tannenspitze ein.

„Ich dachte, als mein Sohn würdest du dir etwas Schwierigeres aussuchen, Malcolm.“, sagte Radcliffe vom Tisch, erntete darauf aber gleich einen missmutigen Knuff in die Rippen von Nayale. „Nathaniel!“, ermahnte sie ihn leise. „Ich dachte, wir wären hier, um unseren Spaß zu haben und ich dachte auch, du hättest das hinter dir!“ „Tut mir leid, Nayale.“, flötete Radcliffe und hielt sich die Seite, denn ihr Knuff hatte ihm doch wohl nicht gerade wenig Schmerz bereitet. „Es war ja auch nicht so gemeint.“ „Das will ich ja wohl auch hoffen.“, zischte sie.

Per Signal hatte der Computer uns mitgeteilt, dass die Eingaben vollständig erfolgt waren. „Hör jetzt genau zu, Kleines.“, flüsterte mir Shimar zu. „Na, ich glaube doch, dass du ihr helfen müssen wirst.“, sagte Scotty. „Sie kann doch nicht nur über die Zahlen …“ „Warte doch mal ab.“, sagte Shimar ruhig und war dabei sehr bemüht, dem Computer nicht dazwischen zu reden, der jetzt erklärte: „Die ausgewählte Form ist die Tannenspitze. Die Kegel, welche unbedingt fallen müssen, sind die Nummern: eins, zwei und drei. Fallen diese beim ersten Wurf, gibt es vier Punkte. Jeder weitere benötigte Versuch reduziert um je einen Punkt. Bitte beginnen Sie, sobald Sie diese Erklärung verstanden haben.“

Scotty war aufgefallen, dass weder Malcolm noch ich uns vorher eine Kugel ausgesucht hatten. Er konnte sich denken, dass der Kleine sicher die für seine Hände beste kleinste Kugel nehmen würde, aber bei mir stellte er sich die Frage, ob ich wirklich in der Lage war, ohne Shimars telepathische Übermittlung eine Entscheidung über Kugelgröße und Richtung zu treffen.

Er kam hinzu und hielt mir ebenfalls eine Kugel hin, die ich sofort betastete. Aber ich hatte schon ein merkwürdiges Gefühl dabei. „Die ist zu groß, Scotty.“, sagte ich. „Damit treffe ich sicher nicht genau genug und bis sie hinten ankommt, haben die ganzen unwichtigen Kegel, die sie unterwegs umschmeißt, sie viel zu stark gebremst. Gib mir bitte auch die Kleine!“

Sprachlos dackelte mein Mann zurück und brachte mir die gewünschte Kugel. Den ersten Teil der Wette hatte Shimar schon einmal gewonnen, denn ich war auf Scottys Versuch, mich hereinzulegen, nicht hereingefallen.

Ich legte also die Kugel zwischen meinen Beinen auf dem Boden der Bahn ab, tastete genau nach der Mitte und gab ihr einen mäßigen Stoß, der bei ihrem geringen Gewicht durchaus genügte, um ihr eine passable Geschwindigkeit zu geben. Zu viel des Guten hätte sie sicher im wahrsten Sinne des Wortes aus der Bahn geworfen. Allerdings hatte ich mich auch in der Richtung um ein paar Zentimeter vertan, was ich gleich darauf feststellen musste, denn ich war noch eine Weile länger in Hockstellung geblieben. So konnte ich den Lauf der Kugel länger mit den Ohren verfolgen. „Geschätzte fünf Zentimeter zu weit links.“, sagte ich. „Ich denke, dass nur Kegel Nummer zwei fallen wird.“ Genau das passierte auch. „Heilige Warpgondel!“, staunte Scotty. „Das hast du gehört? OK, Shimar. Du hast die Wette gewonnen. Sie kann doch mehr, als ich gedacht habe. Aber bitte schröpf mich nich’ zu sehr.“ „Wusste ich’s doch.“, grinste Shimar und wandte sich an Ginalla: „Was ist das Teuerste auf deiner Karte?“ Scotty viel die Kinnlade herunter. „Nur ein Spaß.“, beruhigte ihn Shimar und bestellte sich einen Früchtetee. „Falls ich Betsy doch mal telepathisch helfen muss, sollte ich bei klarem Verstand bleiben.“, begründete er. „Aber jetzt lass uns erst mal sehen, was Malcolm macht.“ „Das heißt, jetzt kann ich?“, fragte der Kleine. Shimar nickte ihm auffordernd zu. „OK.“, sagte Malcolm und ließ seine Kugel losrollen. Diese sauste durch die Mitte und traf Kegel Nummer eins schräg an seiner Basis, dessen Kopf dadurch naturgemäß nach hinten nickte und dann Kegel Nummer zwei anstieß, der nach rechts kippte und Kegel Nummer drei zu Fall brachte. „Volle Punktzahl!“, sagte die Stimme des Rechners. „Tut mir leid, Tante Betsy.“, entschuldigte sich Malcolm. „Ach, das ist doch nicht schlimm.“, sagte ich. „Das ist doch nur ein Spiel und ich habe ja sicher noch mehr Chancen heute Abend. Ich muss mich vielleicht auch erst mal einhören. Wenn ich die Bahn besser kenne, geht das schon.“ „Du magst mich also immer noch?“, fragte der Junge. „Warum denn nicht?“, fragte ich lächelnd und breitete meine Arme aus, um dann laut zu singen: „Ene mene Muscheln, wer will kuscheln?!“ „Ich!“, quietschte Malcolm, wuselte herüber und warf sich in meine Arme. Ich drückte ihn an mich und schmuste mit ihm. Dann setzten wir uns beide wieder an den Tisch, um den Platz für Nayale und Ginalla zu räumen.

„Muss eigentlich immer jeder das Gleiche nehmen?“, fragte Malcolm, der sehr neugierig auf die für ihn wohl sehr neue Art des Bowlings geworden war. „Ich werde mal nachsehen.“, sagte Shimar, der sich gleich angesprochen fühlte. Dann ließ er seinen Blick erneut über den Bildschirm schweifen, um danach zu antworten: „Nein, muss man nicht. Du kannst auch das nächste Mal ein anderes Bild als Betsy nehmen. Ihr könnt auch mehrmals die gleichen Bilder nutzen, wenn sie euch Glück gebracht haben.“ „Ich will aber nich’ unfair sein.“, sagte Malcolm und wurde etwas traurig. „Ich meine, sie kann doch nich’ sehen und …“

Ich tastete mich um den Tisch und zu ihm, wonach ich ihn gleich in den Arm nahm. „Du kleiner süßer Fratz.“, tröstete ich. „Bist du immer noch traurig, weil ich verloren habe? Das brauchst du nicht. Schau mal. Ich kenne diese Bowlingbahn noch nicht und weiß einfach nicht, wie sie sich anhört. Außerdem kann es dir ja genau so mal passieren, dass eine Kugel daneben geht. Das hat nichts mit Sehen oder nicht Sehen zu tun. Außerdem ist das ja nur ein Spiel, auch wenn dein Daddy dir etwas anderes einzureden versucht.“ Ich drehte mein Gesicht zu Radcliffe und versuchte, ihm einen tadelnden Blick zuzuwerfen. Dann schaute ich erneut Malcolm an und sagte: „Es ist alles OK, Malcolm. Glaub mir.“ Anschließend strich ich ihm über den Kopf und knuddelte ihn noch einmal kräftig.

Plötzlich spürte ich eine Hand, die mich auf meinen Platz zurückzog. „Darling, es geht los.“, sagte Scotty. „Aufgepasst!“ Dann bekam auch ich mit, dass sich auf der Bowlingbahn wohl etwas tat. Ginalla und Nayale hatten ihre Positionen eingenommen und sich beide für die Eistüte mit Rand, Füllung und Sahne entschieden. Das war ein Bild, das aus den Kegeln Nummer fünf, sieben, acht, neun, zehn, elf und zwölf bestand. Nayale hatte eine mittlere, Ginalla eine kleine Kugel genommen. Dann hatten beide Shimar zugenickt, der den Zufallsgenerator gestartet hatte. „Sie fangen an, Nayale.“, sagte er und lächelte der jungen Zeoniden zu. „Ach.“, lächelte sie zurück. „Du kannst mich ruhig duzen, wie es auf deinem Planeten üblich ist. Das dürfte dir doch viel leichter fallen.“ Das Du, das Dir und das Deinem hatte sie extra betont. „Aber wir befinden uns in Ihrem Heimatuniversum, Nayale.“, sagte Shimar verlegen. Das war das erste Mal, dass ich ihn so erlebt hatte. „Ich habe nur versucht, mich Ihrer Kultur anzupassen.“, rechtfertigte er sich. „Und ich habe nur versucht, mich deiner anzupassen.“, antwortete Nayale. „Wie es aussieht, brauchen wir wohl Hilfe.“, stellte Shimar fest und sah Scotty und mich auffordernd an. „Tja, um so was zu lösen, bin ich wohl zu grobschlächtig.“, sagte mein Mann. „Ich kann besser mit Maschinen, als mit Diplomatie. Aber was sagst denn du dazu, Darling? Ich meine, du, als ausgebildete Kommunikationsoffizierin, du kennst dich doch mit sprachlichen Feinheiten sicher besser aus.“

Ich legte den Kopf in die Hände und dachte nach. Im Allgemeinen war es so, dass ein guter Gastgeber auf die Bedürfnisse seiner Gäste eingehen musste und nicht umgekehrt. Da wir uns also im Föderationsuniversum befanden, konnte das bedeuten, dass Nayale durchaus akzeptieren konnte, dass sie von Shimar geduzt wurde. Aber genau so konnte es auch sein, dass Shimar akzeptieren musste, von Nayale gesiezt zu werden, wie es hier üblich war. Aber das war ja nur so, solange man sich streng an die diplomatischen Protokolle halten würde. Aber wir alle waren ja keine Botschafter oder Politiker, sondern eine total ungezwungene Runde von Freunden, die einfach nur ihren Spaß haben wollten. Also sagte ich: „Wir duzen uns doch hier alle. Wenn schon Rücksicht auf irgendwas genommen werden soll, dann bitte auf die Bedürfnisse des Kleinsten unter uns und das ist Malcolm, der ja mit sechs Jahren noch kein Verständnis für diplomatische Protokolle haben kann. Aber wir können Verständnis für die kindliche Sichtweise zeigen. Also, alle sind per du, würde ich sagen.“ Alle nickten bestätigend und Scotty klatschte sogar.

Über unsere philosophische Diskussion hatten wir völlig außer Acht gelassen, was auf der Bowlingbahn passiert war. Nayale hatte, die Kugel in der Mitte ansetzend, die ihr zugewandte Spitze, also die Nummer 12, getroffen, die ihrerseits beim Trudeln die Elf und die Zehn erwischte. Die erwischten schräg versetzt die Sieben und die Neun, die sich in der Mitte beim Fallen trafen und die Acht umstießen. Die wiederum rächte sich an der fünf. „Klasse, Mummy!“, quietschte Malcolm. „Danke, mein Schatz.“, lächelte Nayale und kehrte an unseren Tisch zurück.

„OK, Ginalla., grinste Shimar. „Dann lass uns mal sehen, was du ablieferst.“ „Das kannst du haben, Soldat!“, sagte die junge Celsianerin und lehnte sich etwas zurück, um ihrer Kugel einen größeren Schwung geben zu können. Aber es kam, was kommen musste. Die ohnehin recht leichte Kugel trullerte über die Auflaufbremse hinaus genau in die rechte Rinne, bevor sie überhaupt einen Kegel umgeworfen hatte. „Hoppla!“, sagte Ginalla flapsig. „Schwungvoll versemmelt, würde ich sagen.“ „Ich glaube, da wirst du von keinem von uns, inklusive dem Computer und mir, einen Widerspruch hören.“, frotzelte Shimar. „Damit hatte ich auch nicht gerechnet, Soldat.“, sagte Ginalla. „Aber na ja. Jetzt is’ wenigstens ein Gleichstand erreicht, nicht wahr?“ Shimar ließ seinen Blick über den Punktestand schweifen und nickte, denn für die gefüllte Eistüte mit Sahnehäubchen gab es immerhin sechs Punkte beim ersten Versuch.

Scotty schlich zu meinem tindaranischen Freund hinüber und flüsterte ihm zu: „Wollen wir wetten, dass sie das mit Absicht gemacht hat?“ „Hast du heute nicht schon genug Wetten gegen mich verloren?“, fragte Shimar, der sich das von Ginalla nun wirklich nicht vorstellen konnte. „Warum sollte sie?“ „Ich weiß ja nich’.“, flapste Scotty. „Is’ ja nur so ’ne Ahnung. Und sie weiß doch eigentlich zu viel über technische Zusammenhänge, um …“

„Bevor ihr weiter grübelt.“, sagte eine verschämte Ginalla. „Es war mehr halb mit Absicht. Meine Absicht war eigentlich, mit der kleineren Kugel die richtigen Kegel einzeln zu treffen. Aber dann sind wohl die Pferde mit mir durchgegangen, was den Schwung anging. Außerdem wollte ich unserem kleinen traurigen Spatz beweisen, dass das hier wirklich nix mit Sehen oder nich’ Sehen zu tun hat.“ „Warst schon immer ’n bisschen schwungvoll, Gin’.“, scherzte Scotty. „In jeder Beziehung.“ „Woher weißt du denn das?!“, witzelte ich und zog einen übertriebenen Schmollmund. Außerdem tat ich, als sei ich eifersüchtig. Das aber so übertrieben, dass jeder drauf kommen musste, dass es nicht ganz ernst gemeint war. Alle lachten ob der kleinen Aufführung. Offensichtlich versprach dies, ein noch sehr lustiger Abend zu werden. Dass wir sehr gut daran taten, ihn zu genießen, solange er dauerte und dass es wohl bald mit dem Scherzen und dem Vergnügen vorbei sein würde, ahnte niemand von uns. Auch Scotty nicht, der jetzt zu Shimar sagte: „Um noch mal auf unsere Wette zurückzukommen. Was willst du haben?“ „Ich nehme am besten einen terranischen Apfelsaft.“, sagte mein Freund. „Falls ich Betsy doch mal telepathisch helfen muss, sollte ich bei klarem Verstand bleiben.“ „Ich werde mit dem Trinken heute auch mal vorsichtig sein.“, entgegnete Scotty. „Irgendwas sagt mir, dass ich heute auch besser nüchtern bleibe.“

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