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Scotty und Shimar waren vor der Werft angekommen. Tatsächlich hatte die Anwesenheit der beiden Sicherheitsleute dafür gesorgt, dass sie geschmeidig an den Wachen am Tor vorbei geglitten waren. Der Schotte stellte sein Fahrzeug auf dem Parkplatz für Mitarbeiter ab, der sich näher an der Tür zum Hangar befand, als der für Besucher oder Gäste. Shimar wusste, dass er hier stehen durfte, denn Scotty arbeitete schließlich auf dieser Werft. Trotzdem war der junge Tindaraner sehr unruhig. „Was is’ mit dir los, Kumpel?“, fragte Scotty. „Du machst dir ja fast ins Höschen aus Nervosität.“ „Ich möchte gern wissen, was die Hornochsen von deinen Kollegen mit IDUSA gemacht haben.“, sagte der junge tindaranische Soldat. „Ich meine, sie geht ja schließlich nicht umsonst auf Stufe zwei. Ich hatte ihnen doch eindeutig gesagt, dass sie nichts tun sollten, rein gar nichts!“ „Anscheinend hat man sich nich’ daran gehalten.“, analysierte Scotty. „Aber ich werde schon rauskriegen, wer dafür verantwortlich is’. Darauf kannst du wetten, mein Freund. Aber erst mal helfe ich dir, IDUSA flott zu machen, wenn es da was zu tun gibt. Vorausgesetzt, du kannst dafür sorgen, dass sie mich ran lässt, du verstehst.“ „Ziemlich gut.“, sagte Shimar. „Aber das kriege ich schon hin. Vergiss bitte nicht, dass ich der Einzige bin, der das im Moment kann. Gut, da gäbe es noch Zirell, aber die ist jetzt nicht hier.“ „Noch mal ’ne andere Frage.“, meinte Scotty. „Wenn sie bei Stufe zwei nur deinen Neuralabdruck als Code akzeptiert, was musst du dann bei Stufe drei tun, um dich zu identifizieren?“ „Sie scannt dann nach meiner DNS, meinem Neuralabdruck, meinem Netzhautabdruck und meinen Stimmfrequenzen.“, antwortete der immer noch leicht alarmierte Shimar. „Aber zu allererst wird sie sich den Weg freischießen!“ „Uff.“, machte Scotty. „Da kann ich ja froh sein, dass es dazu nicht gekommen is’.“ „Das verdankst du nur mir!“, sagte Shimar fest. „Wenn ich ihr nicht den Befehl gegeben hätte, das Protokoll auszusetzen, dann hätten deine Leute sicher noch mehr falsch gemacht. Zuhören ist wohl Glückssache bei denen, was?!“ „Zumindest bei manchen.“, sagte Scotty. „Aber manche Leute sind anscheinend echte Pechvögel. Aber noch mal rein interessehalber. Was hätte eigentlich bei Stufe eins ausgereicht?“ „Meine Stimme und mein Kommandocode.“, antwortete Shimar knapp.

Sie betraten den Hangar der Werft und gingen auf IDUSA zu. „Bleib erst mal hinter mir.“, sagte Shimar. Dann machte er einige feste Schritte auf die Tür von IDUSAs Cockpit zu. Scotty, der längst gelernt hatte, dass er sich in dieser Hinsicht sicher auf seinen Freund verlassen konnte, führte aus, was ihm Shimar geraten hatte und blieb in einiger Entfernung stehen. „Hallo, Shimar.“, sagte die Stimme von IDUSAs Avatar freundlich über den Außenlautsprecher. Das Schiff hatte die Ankunft der Beiden selbstverständlich mitbekommen. „Hi, IDUSA.“, sagte Shimar. „Lass mich rein! Scotty wird sich gleich noch mal deine Systeme ansehen, bevor wir starten.“ „In Ordnung.“, sagte das Schiff. „Ich entnehme Ihren Äußerungen, dass Scotty zum Warten und Reparieren meiner Systeme durch Sie autorisiert wurde.“ „Das ist richtig!“, sagte Shimar. „Wieso musst du das erlauben?“, fragte Scotty verwirrt. „Wegen des Meldeprotokolls.“, erklärte Shimar. „Du darfst nicht vergessen, dass es lediglich ausgesetzt wurde. Sie soll mir erst mal zeigen, was sie gesehen hat. Dann entscheide ich weiter.“ „Ach so.“, sagte der Ingenieur und wendete sich ab. „Ich hol’ dann mal meine Arbeitskleidung und mein Werkzeug.“ Er war verschwunden.

Shimar sah, wie sich die Tür des Cockpits langsam öffnete. Er stieg ein und schloss seinen Neurokoppler an die Systeme des Schiffes an. Der individuelle Code des Kopplers verriet IDUSA sofort, wem er gehörte. Dies ließ sie auch gleich Shimars Reaktionstabelle laden. Vor dem geistigen Auge des Tindaraners erschien das Bild eines sehr erleichtert dreinschauenden Avatars. „Sie ahnen nicht, wie froh ich bin, dass Sie da sind.“, sagte das Schiff. „Nanu?“, wunderte sich ihr Pilot. „Ich dachte, du könntest keine Emotionen empfinden.“ „Das kann ich auch nicht.“, sagte IDUSA. „Aber ich bin zur Simulation entsprechender Reaktionen fähig. Wenn Sie wüssten, was ich gesehen habe, als Techniker Taurus meine Sensoren wartete, dann würden Sie mich sicher verstehen.“ „Dann zeig es mir mal.“, sagte Shimar mit einer Stimmlage, als wolle er ein Kind trösten, das mit einem aufgeschlagenen Knie zu ihm geeilt war. „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und stellte ihm die Bilder auf den Neurokoppler.

Scotty war zurückgekehrt. „Hey, Shimar!“, schrie er durch den ganzen Hangar. „Kannst du mich hören da drin?“ „Ich denke, Techniker Scott ist zurück.“, äußerte IDUSA, die im Gegensatz zu Shimar alles mitbekommen hatte. Der war ja durch ihr Cockpit von allen äußeren Einflüssen abgeschirmt. „Dann lass ihn rein und entsichere alle Wartungsluken!“, befahl Shimar. „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und führte seine Befehle aus.

Die Ansicht der Bilder hatte auch Shimar in mittlere Alarmbereitschaft versetzt. „Oh, Mann.“, sagte er. „Jetzt kann ich verstehen, warum du auf Alarm rot gegangen bist. Aber wir sollten uns das mal zusammen ansehen.“ „Das wäre auch mein Vorschlag gewesen, Shimar.“, sagte das Schiff. „Schließlich müssen wir ja wissen, wo dieses Schiff auf einmal herkommt.“ „Eine Vermutung habe ich schon.“, sagte der junge Tindaraner. „Wie wäre es mit Sytania?“ „Diese Theorie ist wahrscheinlich.“, sagte IDUSA.

Scotty hatte das Cockpit durch die Tür zur Achterkabine betreten. „Sie schnurrt wie ’n Kätzchen, Shimar.“, sagte er. „Von mir aus könnt ihr los. Ich werde jetzt erst mal zu meiner Chefin gehen und sie bitten, die Hangartore zu entsichern. Die sind nämlich wieder zu. Außerdem werde ich ihr erklären, was hier los is’.“ Shimar machte ein erschrockenes Gesicht. „Ich weiß, was du sagen willst.“, sagte Scotty. „Aber ich werde schon aufpassen, was ich sage. Die gute Sytania wird von mir mit keinem Wort erwähnt werden. Ich werde Milarah nur sagen, dass es da draußen einen Feind gibt, aber dass du, als Angehöriger des tindaranischen Militärs, die Situation schon im Griff hast.“ „Na gut.“, erklärte sich Shimar einverstanden. Er hatte schließlich nicht vergessen, dass Scotty eine gleichwertige Ausbildung wie er hatte und auch wusste, dass Zivilisten nach Möglichkeit nichts über das eine oder das andere Thema erfahren sollten. Er sah zu, wie sich Scotty wieder durch die Außenluke entfernte.

Tatsächlich führte sein Weg den technisch versierten Schotten gleich zu einem Lift, mit dem er auf die Büroetage der Werft fuhr. Hier, das wusste er, konnte er Milarah in jedem Fall vorfinden. Der Rest des Weges zu ihrem Büro kam ihm sehr lang vor. Endlich stand er dann aber doch vor dessen Tür. Die Betätigung der Sprechanlage verursachte in ihm eine mittlere Aufregung. Er wusste, wie hartnäckig seine Vorgesetzte sein konnte, wenn es darum ging, Dinge herauszubekommen. Sicher waren Milarah auch manche Dinge in letzter Zeit spanisch vorgekommen und er hoffte sehr, dass sie ihn nicht an irgendeinem wunden Punkt erwischen würde und er damit gezwungen sein könnte, doch noch alles zu verraten. Wenn dies Ginalla schon gelungen war, dann konnte es doch bei ihr sicher ähnlich sein. Er wusste, dass es arbeitsrechtlich sicher fraglich war, ihm mit Kündigung zu drohen, sollte er nicht auspacken, aber sie hatte auch andererseits sicher jedes Recht, die Wahrheit zu erfahren, denn schließlich war durch das Problem ihre Werft, für die sie die Verantwortung trug, gefährdet worden. Aber nicht nur die Werft, sondern auch und vor allem die darauf beschäftigten Mitarbeiter!

Mit klopfendem Herzen fasste sich Scotty schließlich selbiges und drückte auf den Knopf für die Sprechanlage. „Hier ist Milarah.“, kam es ruhig und sachlich von drinnen. „Hier is’ Scotty.“, sagte er. „Bitte lass mich rein, Milarah. Ich kann dir sagen, dass die Situation …“

Er bekam mit, wie die Tür entriegelt wurde. Dann zog ihn eine weibliche Hand in den Raum. Gleich danach wurde die Tür wieder geschlossen und der Computer bekam einen Befehl auf Celsianisch, auf den er die Tür vollständig blockierte. Dann wurde Scotty zu einem Stuhl geführt, auf den er sich setzte. Nun saßen er und seine Chefin sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. „Was ist los, Scotty?“, fragte Milarah ernst. „Ich weiß, was mit dem tindaranischen Schiff is’.“, sagte Scotty. „Aber Shimar is’ hier. Er hat die Sache schon im Griff. Ich meine, er is’ schließlich Soldat und die verstehen was von Feindberührung. … Ups!“ Erst jetzt hatte Scotty bemerkt, was ihm da rausgerutscht war. „Feindberührung?“, fragte Milarah besorgt. „Was heißt das? Was für ein Feind? Müssen wir uns Sorgen machen? Gibt es Krieg? Was haben die Tindaraner uns verheimlicht? Ich muss meine Familie in …“ „Kein Grund zur Panik.“, beschwichtigte Scotty. „Shimar hat die Situation im Griff. Falls er doch Hilfe braucht, is’ die in einem Augenblick hier. Die tindaranischen Schiffe haben alle schließlich einen interdimensionalen Antrieb. Shimar macht das schon. Er will sich erst mal einen Überblick verschaffen. Das kann er aber nur, wenn du die Hangartore aufmachst. Du musst dich echt nicht sorgen, Milarah. Vertrau mir und Shimar.“ „Also gut.“, sagte die sichtlich blasse Werftleiterin. „Wir haben immer gut zusammengearbeitet und du hast mich nie betrogen. Du bist mein loyalster Mitarbeiter, wenn ich das mal so sagen darf. Aber behalt das bitte für dich!“ „Danke für die Blumen.“, sagte Scotty lächelnd. ER war heilfroh, dass sie ihm keine weiteren Fragen gestellt hatte, die ihn unter Umständen noch ganz schön in die Bredouille bringen konnten.

Milarah bestellte für beide einen Kaffee. „Was hat eigentlich dafür gesorgt, dass sie auf Stufe zwei gegangen is’?“, fragte Scotty. „Das war Visentius.“, sagte Milarah. „Ach du Schande!“, rief Scotty aus. „Na, dann wundert mich nix mehr. Der Dummbeutel is’ doch zu nix zu gebrauchen!“

Jasmin wartete noch immer in ihrem Versteck. Von hier aus beobachtete sie jetzt, wie sich Radcliffe mit dem Tablett auf den Weg aus seinem Zimmer machte. Natürlich war ihr aufgefallen, dass er das Tablett im Gegensatz zu ihr, die es mittlerweile gelernt hatte, sehr ungelenk trug und es bei jeder Gelegenheit auf einem Mauervorsprung absetzte, um beispielsweise die Tür zu überprüfen. Irgendwas sagte ihr, dass er sich seiner Situation nicht wirklich sicher war. Immer wieder sah sie Seitenblicke, mit denen er die Umgebung zu scannen versuchte, wie sie fand. Sie hoffte so sehr, dass er sie nicht entdecken würde.

Jetzt sah sie, dass er vor meinem Zimmer angekommen war. Wieder stellte er das Tablett ab und drehte sich der Sprechanlage zu. Vor dem Betätigen des Knopfes sah er sich noch einmal nach allen Seiten um. Tatsächlich trafen sich ihre Blicke und Jasmin bekam für einen Moment Angst, er könnte sie bemerken. Sie ließ sich auf den Boden fallen und drückte sich regungslos an den Teppich. Weich fühlte sich dieser an. Weich und für sie sehr sicher. Sie fühlte sich in seinen Fasern zwar sehr geborgen, hoffte aber, sie wären noch viel länger, um ihren Körper ganz zu verdecken. Auf einer der grünen Wiesen um die Kneipe herum, die lange nicht mehr gemäht worden waren, versteckte es sich sicher leichter. Um so erleichterter war Jasmin, als sie erkannte, dass Radcliffe offensichtlich kein Auge für sie hatte. Statt dessen sah er nur stur auf das Display der Anlage. Hier verriet ihm ein Licht bald, dass ich sie beantwortet haben musste. Da sein nervöses Trommeln auf dem Tuchscreen veranlasst hatte, dass er das Terminal aus Versehen auf Lautsprecher gestellt hatte, bekam sie auch meine Antwort und alles, was gesagt wurde, prima mit. Sie würde versuchen, sich alles zu merken! Ja, alles! Wer wusste schon, wozu es einmal notwendig sein konnte.

„Hier ist Allrounder Betsy Scott!“, meldete ich mich und wieder fiel mir auf, dass ich den im Dienst gebräuchlichen Satz verwendet hatte. Irgendwas schien in meinem Kopf zu verhindern, dass die Tatsache, dass ich jetzt im Urlaub und damit in Zivil war, bei mir ankam. Das war nämlich schon das zweite Mal, dass mir das passiert war. „Allrounder Scott, ein reumütiger Zivilist, ein Mitternachtssnack und eine Hand voll guter Absichten bitten um Erlaubnis, Ihr Quartier betreten zu dürfen!“, gab Radcliffe zurück. „Erlaubnis erteilt!“, lächelte ich zurück, denn ich dachte mir schon, dass er wohl einen Scherz wegen meiner Art, mich zu melden, machen wollte. Das zeigte mir, dass er bereits sehr locker war. Vielleicht hatte er ja seine Krankheit wirklich besiegt.

Wieder beobachtete Jasmin die ungelenke Aufnahme des Tabletts, das Radcliffe auf einem Mauervorsprung in der Nähe abgestellt hatte, um die Sprechanlage betätigen zu können. Dabei verschüttete er beinahe etwas von dem Sommerfruchttee. Aber das schien ihn nicht wirklich zu stören. Sein Augenmerk lag viel eher auf der Amphore, die zwar verschlossen war, aber die aus irgendeinem Grund von ihm wie sein Augapfel gehütet wurde. Sie sah gerade noch, wie er mit dem Tablett in meinem Zimmer verschwand. Gern hätte sie jetzt Mäuschen gespielt, wusste aber, dass sich das nicht gehörte.

Radcliffe stellte das Tablett auf meinem Schreibtisch ab. „Verzeihen Sie die Unordnung.“, sagte ich. „Hier ist doch gar keine Unordnung.“, sagte Radcliffe, um mich zu beruhigen. „Ihre Freunde und Sie haben doch ein sehr aufgeräumtes Zimmer. Aber ich bin ja auch nicht hier, um mich mit Ihnen über Ihre häuslichen Qualitäten zu unterhalten. Ich möchte viel eher mit Ihnen auf unsere Versöhnung trinken. Ich gebe zu, ich habe Sie damals ziemlich erschreckt und das möchte ich wieder gut machen. Ich denke, das gehörte zu meinem Heilungsprozess. Aber jetzt bin ich meine Krankheit ja endlich wieder los. Sytania hat mir den Weg gewiesen.“

Die bloße Erwähnung dieses Namens ließ mich zusammenfahren. Ich überlegte ernsthaft, ihn über die Situation um Sytania und ihre Absichten aufzuklären. Aber wenn ich das tat, bestand die Möglichkeit, dass sie sich des unbequemen Mitwissers entledigte, indem sie ihn einfach vor meinen Augen tötete. Sie würde sicher ganz schnell eine andere Marionette finden, die ihre Pläne ausführen könnte. Wie sollte ich das Nayale und vor allem Malcolm erklären? Ich beschloss also, zunächst gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Allerdings hoffte ich, dass dieser Drahtseilakt für mich bald vorbei sein würde. Wie schnell das gehen sollte, ahnte ich nicht.

Radcliffe stellte die zwei bauchigen Gläser auf dem Tisch ab. Eines vor den einen und das andere vor den anderen Stuhl. Dann stellte er die Schale mit den Keksen in die Mitte. „Ich werde den Tee für Sie eingießen.“, sagte er. „Die Kanne ist noch sehr voll und ich denke, dass Ihnen da wohl etwas daneben gehen könnte.“ „Sehr liebenswürdig, Professor.“, sagte ich und schob ihm mein Glas näher an die Kanne. Er nahm diese und goss etwas von ihrem wohlriechenden Inhalt in unsere Gläser. Aber mir fiel ein Geräusch auf, das dem Eingießen des Tees nur in mein Glas unmittelbar folgte. Außerdem hatte ich das Gefühl, er würde noch mit einem anderen Gegenstand hantieren, den ich nicht einzuordnen vermochte. Meine erste Vermutung war, dass es sich um ein Milchkännchen handeln musste. „Oh, ich nehme in solchen Tees keine Milch, Professor.“, sagte ich. „Das war keine Milch, Allrounder.“, sagte Radcliffe und ich glaubte, in seiner Stimme einen Anflug von Nervosität zu erkennen. „Ich habe nur das inhaltliche Ungleichgewicht in unseren Gläsern etwas ausgeglichen. Wissen Sie, mir war aufgefallen, dass Sie weniger hatten als ich und deshalb habe ich bei Ihnen noch einmal nachgegossen. Es ist also alles ganz harmlos.“ „Oh, keine Angst, Professor.“, sagte ich. „Ich habe schließlich mit keinem Wort erwähnt, dass hier etwas im Gange ist, das nicht harmlos ist. Milch wäre ja auch kein Verbrechen und ich würde die Tasse auch leeren, wenn Sie mir versprechen würden, beim nächsten Mal keine mehr zu verwenden. Es ist nur so, dass sie den Geschmack von solchen Tees meiner Meinung nach erheblich verschlechtert. Aber da ich jetzt ja sicher bin, dass es keine gibt, da …“ „Sie können absolut sicher sein!“, sagte Radcliffe mit sehr fester Betonung. Immer mehr hatte ich das Gefühl, er wolle etwas verbergen, aber vielleicht war dieses Etwas ja auch nur seine Nervosität, dass er jetzt mit mir allein war. Mit mir, die er so erschreckt hatte und die er wohl unbedingt von der Tatsache überzeugen wollte, geheilt worden zu sein.

Noch immer harrte Jasmin in ihrem Versteck aus. Aber jetzt hörte sie etwas, das sie an einen ihr sehr vertrauten Freund erinnerte. Sie hörte Flügelschlag! Dieser kam näher und schließlich landete sein Urheber direkt neben ihr. „Hallo, Jasmin.“, flüsterte Korelems tiefe sanfte Stimme ruhig. „Warum liegst du hier auf der Erde?“ „Oh, Korelem.“, sagte Jasmin erleichtert, die inzwischen eine regelrechte Freundschaft mit dem Insektoiden verband. „Ich muss ganz dringend mit jemandem reden.“ „Dachte ich mir schon.“, sagte Korelem. „Na komm. Wir gehen zu mir.“

Er wartete, bis das Mädchen aufgestanden war. Dann startete er und nahm ihre Hand mit einem seiner Vorderfüße. So führte er sie nun in Richtung seines Zimmers. Hier strich er lässig mit seinen Fühlern über einen Sensor, worauf die Tür vor Jasmin und ihm im Boden verschwand. Dann flog er mit ihr an der Hand hindurch, um sie dann auf den einzigen freien wirklichen Stuhl zu setzen. Er selbst setzte sich auf den Rand seiner Schlafblüte und sah sie von dort aus erwartungsvoll an. „Na, was ist nun?“, fragte er. Jasmin, die ziemlich verstockt dagesessen hatte, traute sich zunächst nicht, auch nur ein Wort über ihre vor Angst gelähmten Lippen zu bringen. „Worüber möchtest du denn reden?“, hakte Korelem nach. „Sind wir hier sicher?“, fragte das Mädchen. „Ich meine, kann uns Sytania hier nicht …?“

Der Insektoide startete erneut und flog zu seinem Gepäck hinüber. Dann zog er einen Gegenstand aus seinem Koffer und stellte ihn vor Jasmin auf dem Tisch ab. „Kennst du das?“, fragte er und deutete auf den glänzenden an einen Weinkelch erinnernden Gegenstand. „Ja, Korelem.“, sagte Jasmin. „Das ist ein imperianischer Kontaktkelch.“ „Sehr richtig, junge Dame.“, lobte Korelem. „Und kannst du mir auch sagen, wem er geweiht ist?“

Jasmin sah sich den Kelch von allen Seiten an. Ihr waren sofort die zwei geflügelten Löwen aufgefallen, die sich darauf eingraviert befanden. „Er ist Logar geweiht!“, sagte sie schließlich fest. „Wieder richtig.“, meinte Korelem. „Wenn du so weitermachst, dann gehen mir bald die Einsen mit Sternchen aus. Aber jetzt sag mir doch bitte, ob uns Sytania dann etwas anhaben kann, wenn wir unter dem Schutz von Logar stehen.“ „Nein, das kann sie nicht.“, sagte Jasmin. „Genau.“, sagte Korelem. „Das bedeutet also, dieses Zimmer ist im Moment der sicherste Ort für dich, was die Sicherheit vor Sytania angeht. Sie hat keine Chance, solange du hier bist und wir hier über alles reden, was dich bedrückt. Warum glaubst du, dass Sytania hier ihre Finger ins Spiel bringen könnte?“ „Weil ich Dinge gesehen habe, von denen es ihr bestimmt nicht gefallen würde, wenn sie an die Öffentlichkeit kämen.“, sagte das Mädchen ängstlich. Der schmetterlingsartige Mann sah sie beruhigend an. „Du kannst mir alles sagen, Jasmin.“, meinte er. „Nun mal raus mit der Sprache. Was sind das für Dinge?“

Unvermittelt begann Jasmin zu weinen. Sofort holte Korelem eine Packung Taschentücher aus seinem Koffer und gab sie ihr. „Er will sie töten!“, schluchzte Jasmin, während sie sich die Nase putzte. „Wer möchte wen töten?“, fragte Korelem, der eigentlich schon ganz genau wusste, was hier passieren würde, dies aber vor ihr auf keinen Fall durchblicken lassen durfte. „Professor Nathaniel Radcliffe will Allrounder Betsy Scott töten!“, schrie sie verzweifelt. „Ich habe eine Amphore mit Sytanias Zeichen bei ihm gesehen! Weiß der Himmel, was da drin ist! Bitte, Korelem, wir müssen sie warnen!“

Von seiner Position auf der künstlichen Blüte aus flog Korelem zu ihr herüber und legte seine weichen Flügel um ihre Schultern, als wollte er sie umarmen. „Ganz ruhig.“, tröstete er, der jetzt auch genau ihren heftigen Herzschlag spüren konnte. „Kannst du mir die Amphore beschreiben, die du gesehen hast?“ „Ja.“, schluchzte Jasmin und trocknete mit einem weiteren Taschentuch ihre Augen. „Es ist eine bauchige kleine Flasche aus Ton mit einem langen Hals und einer kleinen Tülle. Sie ist mit einem Korken verschlossen. Sie ist rot und hat rund um den Verschluss Drudenfüße als Zierde. Reicht das, damit Sie mir glauben?“ „Oh, ja.“, sagte Korelem und startete erneut. Aber dieses Mal führte ihn sein Flug zu einer Dachluke, neben der er sich noch kurz an einem Mauervorsprung festhielt. Dann sagte er: „Hör mir jetzt genau zu, Jasmin. Es ist unbedingt erforderlich, dass du genau tust, was ich dir sage und genau so, wie ich es dir sage. Geh bitte zum Fenster.“ Irritiert sah ihn die Jugendliche an. „Vertraust du mir?“, fragte Korelem. „Ja.“, sagte Jasmin leicht verwirrt. „Wenn du mir vertraust, dann beweise es mir.“, sagte Korelem. „Wie kann ich das?“, fragte Jasmin. „Wenn du mir vertraust, dann gehst du jetzt zum Fenster.“, wies Korelem sie an.

Immer noch im Unklaren über seine Absichten folgte sie zunächst seiner Aufforderung. „Sehr gut.“, sagte Korelem. „Und jetzt schau hinaus! Was siehst du?“ „Ich sehe den See.“, sagte Jasmin. „In Ordnung.“, sagte Korelem. „Wende deinen Blick diese ganze Nacht lang nicht vom See ab! Egal, was auch immer geschieht, du bleibst hier und beobachtest den See! Merke dir jedes Detail, das du siehst! Morgen früh gehst du damit zu deiner Chefin und berichtest ihr! Aber nicht eher und auch nicht später! Wiederhole bitte meine Anweisungen!“ „Ich soll hier im Zimmer bleiben und den See beobachten.“, sagte Jasmin. „Was auch passiert, ich soll mich nicht davon abbringen lassen. Ich soll mir alles merken, was ich sehe. Morgen früh soll ich zu meiner Chefin gehen und ihr berichten. Nicht eher und nicht später.“ „Sehr gut.“, sagte Korelem und strich mit seinen Fühlern über den Sensor, der bald darauf die Dachluke öffnete. Dann war er hindurch geflogen und die Luke hatte sich wieder hinter ihm geschlossen.

Verwundert blickte Jasmin aus dem Fenster, wie er es ihr gesagt hatte. Sie war zwar leicht irritiert ob seiner seltsamen Anweisungen, aber sie vertraute ihm mittlerweile so stark, dass sie sich schon dachte, er würde seine Gründe haben, gerade das von ihr zu verlangen. Sie dachte sich zwar, dass Ginalla sich wundern würde, wo sie blieb, aber etwas sagte ihr, dass sie auf keinen Fall von den Anweisungen abweichen durfte. Solange sie in diesem Zimmer war, stand sie unter dem Schutz von Logar persönlich, hatte er ihr gesagt. Was war da schon ein Donnerwetter von ihrer Chefin?

 

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