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Shimar hatte sich auf einen der Sitze im Cockpit des Breenschiffes setzen müssen. Nachdem er sich dort wieder gefunden hatte, war sein ursprünglicher Plan gewesen, sich das ganze Instrumentarium dort genau anzusehen. Er hatte seinen Erfasser auf technische Parameter umstellen wollen, um Jenna ein passables Bild zu liefern, das von der Chefingenieurin sicher mühelos interpretiert werden konnte. Vielleicht hätte es ja hier auch schon eine Erklärung für das plötzliche Auftauchen des Schiffes vor IDUSAs Sensoren gegeben. Aber dazu war es, wie bereits gesagt, ja nicht gekommen. Statt dessen hatte er Mühe, sich überhaupt zu konzentrieren. Ein krampfartiger Kopfschmerz war der Grund dafür gewesen und er hatte das Gefühl, dass es ihm den Boden unter den Füßen wegzog. Außerdem jagte ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Noch nicht einmal den von IDUSA ausgesandten Ruf hatte er beantwortet. Was der Grund dafür war, konnte der junge Telepath nicht so schnell sagen, denn er hatte über zu vieles nachzudenken.

Endlich hatte er das Piepen seines Sprechgerätes gehört. Mit noch immer leicht zitternden Händen nahm er die Verbindung entgegen. „Ist alles mit Ihnen in Ordnung, Shimar?“, fragte die Stimme des Schiffsrechners Anteil nehmend. „Ja, ja, IDUSA.“, wischte er ihre Bedenken bezüglich seiner Gesundheit beiseite. „Ich habe wohl nur einige Schwierigkeiten mit der Luftveränderung. Es ist nichts.“

Er deckte das Mikrofon zu und flüsterte sich selbst etwas auf Tindaranisch zu, das etwa die Bedeutung von: „Reiß dich gefälligst zusammen!“, hatte.

Dem selbstständig denkenden Schiff war das in ihren Augen seltsame Verhalten ihres Piloten doch etwas merkwürdig vorgekommen und sie hatte beschlossen, dem Neurokoppler einen Befehl einzugeben, über den sie einen exakteren Scann von Shimars neuralem Muster bekommen konnte. Sie kannte diese Symptome nämlich und wusste, dass es unter Umständen eine telepathische Wahrnehmung gegeben haben konnte. Als Beschützerschiff war sie programmiert, alles zu tun, um die Gesundheit ihres Piloten und/oder ihrer gesamten Crew zu gewährleisten. Dazu konnte auch ein heimlicher Scann gehören, mit dem sie unter Umständen früher als Shimar auf eine Gefahr aufmerksam wurde, oder auch dann, wenn er diese offensichtlich nicht wahrhaben wollte. Ihre Ergebnisse würde sie gleich Ishan übermitteln.

Shimar atmete einige Male tief durch und stand dann auf. Er drehte sich in Richtung der Flugkonsole. Hier kam ihm zunächst nichts Seltsames unter die Augen. Aber vorsichtshalber hielt er dann doch den Erfasser darüber. „Jenn’.“, sagte er. „Falls du mit diesen Werten etwas anfangen kannst, sag es uns bitte.“ Da alle sich durch die Konferenzschaltung gegenseitig hören konnten, hatten auch Maron und Zirell alles mitbekommen. „Für mich sind das böhmische Dörfer.“, stöhnte der erste Offizier angesichts der technischen Daten, die über die Verbindung und Shimars Erfasser übermittelt wurden. „Keine Sorge, Sir.“, sagte McKnight. „Ich werde Ihnen das schon übersetzen.“

Die hoch intelligente Halbschottin warf einen kurzen Blick auf die Konsole im Maschinenraum. Dann schaute sie mit irritiertem Blick zu ihrer Assistentin hinüber. „Sagte IDUSA nicht, dass es sich um ein Zivilschiff handelt, Shannon?“, fragte sie in Richtung der blonden Irin gewandt. „Aber genaustens, Jenn’.“, flapste diese zurück. „Das hat unsere IDUSA gesagt.“ „Dann frage ich mich, was ein ziviler Pilot mit einer Tarnvorrichtung will.“ „Weiß ich auch nich’.“, meinte Shannon. „Aber wir müssen in jedem Fall die Brücke informieren.“ „Die hören alles, was hier geredet wird, Assistant.“, sagte Jenna. „McKnight hat Recht, O’Riley.“, sagte Maron. „Sie scheinen völlig zu vergessen, dass wir es hier mit einer Konferenzschaltung zu tun haben. Aber was haben McKnight und Sie da gerade von einer Tarnvorrichtung gesagt?“ „Offensichtlich, Agent.“, meldete sich Jenna. „Gibt es auf diesem Schiff eine Tarnvorrichtung. Aber ihre Komponenten sind viel jünger als der Rest des Schiffes. Das kann ich anhand der metalogischen Zerfallsrate feststellen. Aber da ist noch was Merkwürdiges. Wenn die Geräte von jemandem eingebaut werden, gibt es Bearbeitungsspuren an ihnen. Gut, seitdem wir die Modulbauweise verwenden, gibt es mit Sicherheit keine Abriebspuren von Schraubenschlüsseln mehr, aber wenn jemand einen Gegenstand einbaut, berührt er ihn mit den Händen und es müsste auch Energiespuren von Werkzeugen wie isolinearen Schraubenschlüsseln geben oder so etwas. Vielleicht könnte man das Nachweisen, wenn …“ „Keine hoch wissenschaftlichen Vorträge, Techniker!“, unterbrach Maron sie scharf. „Shimar hat noch ein ganzes Schiff zu durchkämmen und er hat vielleicht wenig Zeit. Also, was müssen wir tun, um ihm zu ermöglichen, so etwas herauszufinden?!“ „Wir müssten seinen normalen Erfasser kurzzeitig in einen Ballistischen verwandeln, Agent.“, führte die Chefingenieurin an. „Dazu müsste ich über die Verbindung das Programm dafür in Shimars Erfasser überspielen. Da es sich um ein geheimdienstliches Programm handelt, benötige ich aber Ihre Zugangsberechtigung, Sir.“ „Die übermittle ich Ihnen, McKnight.“, sagte Maron und begann mit dem Verfassen einer SITCH-Mail, deren einziger Inhalt die von seiner Untergebenen angeforderte Berechtigung war. „Vielen Dank, Sir.“, sagte Jenna.

Shimar hatte alles mitbekommen. „Was muss ich gleich machen, Jenn’?“, fragte er, der sich bei solchen Aktionen immer lieber auf ihr Urteil verlassen hatte, bevor er eventuell einen nicht wieder gut zu machenden Fehler beging. „Du musst zunächst gar nichts tun.“, sagte die versierte Ingenieurin. „Nur, wenn ich es dir sage, wirst du deinen Erfasser neu starten müssen. Die Menüs werden sich etwas verändert haben. Du wirst vielleicht Programme finden, die dir nichts sagen, aber wir helfen dir da schon durch.“ „OK.“, sagte Shimar. Ihm war durchaus bekannt, dass ein normaler Erfasser nicht zu so einem detaillierten Scann wie ein geheimdienstliches Gerät in der Lage war. Dennoch fand er es etwas seltsam, jetzt doch mit genau so etwas umgehen zu dürfen. Es war ihm tatsächlich etwas mulmig zumute. Aber im Augenblick war er Auge und Ohr des ersten Offiziers mit Agentenausbildung auf diesem fremden Schiff und da ging es nun einmal nicht anders.

Einige Sekunden, in denen Shimar das Überspielen des Programms durch den Rechner der Station beobachtet hatte, waren vergangen. „OK, Shimar.“, sagte Jenna. „Jetzt starte das Gerät bitte neu und dann scanne die Konsole noch einmal.“ „Geht klar, Jenn’.“, lächelte der junge Tindaraner und tat, was sie ihm soeben aufgetragen hatte. „Das gibt ja ein komplett neues Bild.“, sagte Maron zufrieden. „Es sieht aus, als wäre die Tarnvorrichtung nachträglich telekinetisch eingebaut worden. Oder sollte ich besser sagen, teleportiert?“ „Telekinetisch?“, fragte Zirell. „Lässt sich feststellen, wer das war?“ „Bedauerlicherweise nicht mehr.“, sagte der erste Offizier enttäuscht, nachdem er einen nochmaligen Blick auf die Scanns geworfen hatte. „Das Muster ist schon zu sehr zerfallen.“ „Vielleicht kann ich eine telepathische Prägung erspüren, wenn ich die Schalttafel berühre.“, schlug Shimar vor. „Da wirst auch du kein Glück mehr haben, fürchte ich.“, nahm Maron ihm alle Illusionen. „Meiner Erfahrung und diesem Bild nach ist das mindestens eine Woche her. Ein mentales Energiemuster hält sich höchstens 24 Stunden. Nein, Shimar, damit werden wir uns nicht mehr aufhalten! Geh jetzt bitte in die Achterkabine und sieh dich dort um. Wir wissen ja nicht, wie lange du noch allein bist.“ „Na gut.“, sagte Shimar und drehte sich in Richtung der Tür zur genannten Kabine, die sich sofort vor ihm öffnete. „Merkwürdig.“, sagte er. „Hier scheint es keine Sicherheitsvorrichtung zu geben.“ „Dann würde ich an deiner Stelle noch mehr auf der Hut sein.“, sagte Zirell. „Keine Sorge.“, sagte Shimar lächelnd. „Ich passe schon auf mich auf.“

Er betrat die Kabine. Hier stellte sich alles für ihn dar, als gehöre dieses Schiff einer Familie mit einem kleinen Kind, denn er hatte Spielzeug und Kinderkleidung gesehen. Auch Hinweise auf die Anwesenheit einer Frau und eines Mannes gab es. Er hielt einige der Gegenstände vor seinen Erfasser und scannte nach der sich darauf befindenden DNS. „Schon merkwürdig.“, sagte er. „Diese Sachen wurden eindeutig nicht von Breen benutzt, sondern von einem Terraner, einer Zeoniden und einem männlichen Kind, dass der Sohn von beiden sein könnte.“ „Das kann ich aufgrund der Zellbilder nur bestätigen.“, sagte Ishan, der ebenfalls an der Konferenz teilnahm. „Aber Shimars neurale Werte sagen mir auch, dass er etwas telepathisches wahrnimmt.“ „Hat er Recht, Shimar?!“, verhörte Maron seinen Untergebenen streng. „Ja.“, gab dieser zu. „Ach, ich habe nur schon wieder genau das gleiche komische Gefühl wie auf Khitomer.“ „Das könnte bedeuten, dass der Fremde ...“, mutmaßte Zirell. „Genau das glaube ich auch.“, meinte Maron. „Ich denke, dass er dieses Schiff einigen Breen unter dem Hintern weggestohlen hat.“ „Maron!“, wunderte sich Zirell, die eine solche Ausdrucksweise von ihm offensichtlich nicht gewohnt war.

„Ich denke, wir sollten IDUSA befehlen, Shimar zurück zu sich an Bord zu holen.“, entschied sie. „Wegen der anderen Sache kann vielleicht dein Pflegekind irgendwann was sagen. Ich meine, sie ist Breen und wir haben sie von einem Planetoiden weit weg von deren heimatlichem Sonnensystem geborgen. Ich meine, irgendwie muss sie ja dort hingekommen sein.“ „Das finde ich auch.“, sagte Maron. Dann wandte er sich über SITCH an Shimar: „Du hast es gehört.“ „Ist OK.“, sagte der junge Tindaraner und unterbrach die Verbindung.

„Ich muss auch noch mal mit dir über Shimars Werte reden, Zirell.“, sagte Ishan, nachdem er sicher war, dass Shimar nicht mehr in der Leitung war. „Am besten wird sein, du kommst heute Nachmittag unter einem Vorwand zu mir auf die Krankenstation.“ „In Ordnung.“, sagte die Kommandantin leicht verunsichert, denn langsam machte sie sich doch Sorgen darüber, was der Androide mit dem aldanischen Bewusstsein entdeckt haben konnte.

IDUSA hatte Shimar, wie es ihr von Zirell befohlen worden war, zurück zu sich an Bord geholt. „Sind Sie sicher, dass mit Ihnen alles in Ordnung ist, Shimar?“, fragte ihr Avatar. „Natürlich bin ich sicher, IDUSA!“, sagte der junge tindaranische Flieger schnell, denn er hatte durchaus das Gefühl, von ihr ertappt worden zu sein. „Tut mir leid.“, sagte sie. „Aber das nehme ich Ihnen nicht ab!“ Ihre Stimme klang dabei sehr fest. „Es gibt medizinische Werte, die mich darauf hinweisen, dass definitiv etwas mit Ihnen nicht stimmt. Dieser Kopfschmerz, den Sie empfunden haben, hat ja nun wirklich nichts mit einer eventuellen Luftveränderung zu tun, zumal die atmosphärischen Werte an Bord des Breenschiffes mit den Meinen übereinstimmen. Aber ich denke, Shimar, dass Sie einen bestimmten Fakt nicht wahrhaben wollen. Normalerweise kann ich sehen, ob die Schutzverbindung zwischen Ihnen und dem Allrounder noch besteht. Jetzt aber sehe ich sie nicht mehr.“

Shimar fuhr zusammen! Ihr letzter Satz hatte ihm einen solchen Schrecken eingejagt, dass er sich reflexartig räusperte. „Du meinst …“, stammelte er. „Ja, ich meine.“, sagte das Schiff. „Eigentlich müssten Sie das doch viel eher wahrgenommen haben, als ich es je könnte. Aber Ihre Reaktion zeigt mir, dass sich Ihre Gefühle gegenüber ihr nicht geändert haben können. Sie zeugt viel eher von Überraschung. Offensichtlich wollen Sie nicht wahrhaben, was Ihnen Ihr Unterbewusstsein zu sagen versucht. Ich schließe auch aus, dass sich die Gefühle des Allrounders Ihnen gegenüber verändert haben, denn ich halte sie für zu ehrlich, als dass sie Ihnen so etwas verschweigen würde. Das wären allerdings noch die zwei harmloseren Gründe, aus denen die Schutzverbindung, die ja ein Nebenprodukt Ihrer Beziehung ist, enden könnte.“

Sie machte absichtlich eine lange Pause und Shimar gewann immer mehr den Eindruck, dass sie mit etwas hinter dem Berg hielt, das ihn unter Umständen sehr verunsichern könnte, wenn er es erführe. „Und was wäre deiner Meinung nach die nicht so harmlose Variante, IDUSA?“, fragte er schließlich. „Ich bin nicht sicher, ob ich es Ihnen einfach so sagen sollte.“, erwiderte das Schiff. „Meine Daten könnten Sie in ein emotionales Ungleichgewicht stürzen und das könnte Ihre Dienstfähigkeit bis zur kompletten temporären Unfähigkeit beeinträchtigen. Als Beschützerschiff bin ich programmiert, jeglichen Schaden von Ihnen abzuwenden und …“ „Du sagst mir sofort, was die andere Möglichkeit ist, IDUSA!“, sagte Shimar streng. „Das ist ein Befehl! Ich entlasse dich aus jeder Verantwortung!“ „Die sonst noch mögliche Variante wäre der Tod des Allrounders.“, sagte IDUSA sachlich.

Wieder zog sich in Shimar alles zusammen. „Du hast Recht.“, sagte er. „Das ist die einzige noch verbleibende Möglichkeit. Und du hast auch damit Recht, dass ich es wahrgenommen habe. Nur, wollte ich es mir selbst wohl nicht eingestehen.“ „Wie werden wir jetzt mit der Situation umgehen?“, fragte IDUSA. „Du bringst mich zurück zur Werft!“, sagte Shimar und versuchte dabei, sicherer zu klingen, als er sich im Moment fühlte. „Dort lässt du dich von den Technikern weiter warten. Scotty wird mich zu Ginallas Kneipe zurückbringen. Dort werde ich mich mal umhören.“ „Sollten Sie nicht lieber auf die Unterstützung von Agent Maron oder einem anderen Geheimdienstoffizier warten?“, fragte das Schiff. „Ich meine, so jemand ist ein Spezialist, wenn es um Ermittlungen geht.“ „Es ist ja noch gar nichts offiziell.“, stellte Shimar fest. „Ich will keine Gerüchte verbreiten, die nur aufgrund einer telepathischen Wahrnehmung entstanden sind. Bis das alles offiziell bestätigt ist, sollten wir lieber langsam machen und außerdem weißt du, wie allergisch Ginalla auf Polizisten und Agenten reagiert. Ich halte es für besser, wir reden erst mal unter Freunden.“ „Wie Sie wünschen.“, sagte das Schiff. „Aber wenn ich ehrlich sein darf, dann kommen mir Ihre Vorschläge doch eher wie Ausflüchte vor. Mir scheint, dass Sie die Fakten noch immer ignorieren wollen. Zumindest hoffen Sie, dass sich das Problem durch Verdrängung erledigt, ein Wesenszug, den ich von Ihnen eigentlich nicht gewohnt bin. Bei unseren sonstigen gemeinsamen Missionen waren Sie immer sehr hartnäckig und zielstrebig, wenn es darum ging, etwas herauszufinden, aber jetzt weicht Ihr Verhalten komplett davon ab. Kann es sein, dass dies der Fall ist, weil es Ihre persönliche private Situation betrifft und Sie vielleicht zu stark emotional involviert sind?“

Shimar musste schlucken. Ihm war gerade bewusst geworden, wie Recht sie doch hatte. „Es hilft ja nichts.“, stöhnte er. „Du hast Recht, IDUSA.“, sagte er. „Aber wenn du auch mit Betsys Tod Recht haben solltest, dann muss die Sternenflotte informiert werden.“ „Ich halte für möglich.“, setzte IDUSA an. „Dass Ishan Zirell bereits über die Daten, die auch er über Ihre Situation durch mich sammeln konnte, informiert hat. Sie ist Tindaranerin, wie auch Sie Tindaraner sind. Sie weiß genau so gut wie ich und wie Sie, was es für Gründe für eine so plötzliche Vernichtung der Schutzverbindung geben kann. Wenn sie die richtigen Schlüsse zieht, dann wird sie …“ „Du wirst mir doch hier nicht allen Ernstes erzählen, dass sie der Sternenflotte melden wird, dass eine ihrer Offizierinnen tot ist, nur aufgrund einer …“, unterbrach Shimar sie. „Nein.“, sagte IDUSA. „Aber ich denke, sie wird diese Möglichkeit durchaus in Betracht ziehen. Natürlich wird sie die Fakten abwarten, so, wie wir beide sie kennen. Aber sie wird sich dem gegenüber sicher nicht verschließen.“ Der Avatar hatte ihm einen ernsten Seitenblick zugeworfen. „Danke für den Hinweis.“, sagte Shimar leicht geplättet. „Ich habe schon verstanden. Aber jetzt lass uns erst mal zurückkehren.“ „Wie Sie wünschen.“, sagte IDUSA und setzte selbstständig Kurs in Richtung Werft zurück.

Wie angewurzelt stand Jasmin noch immer auf ihrem Posten in Korelems Zimmer und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Sie konnte ihre Augen einfach nicht von Korelem wenden, der immer noch versuchte, mich der Strömung zu entreißen. Sie wünschte sich so sehr, mehr tun zu können, oder zu dürfen, aber immer dann, wenn sie sich fortzudrehen versuchte, kamen ihr seine Worte in den Kopf, die sie wieder daran erinnerten, was ihre eigentliche Aufgabe war. Einiges an dieser Sache war ihr höchst merkwürdig vorgekommen. Warum hatte er ihr diese Anweisungen gegeben? Wusste er etwa schon, was auf ihn zukommen würde? Warum hatte er einen Kontaktkelch und warum war er mit Logar in Kontakt? Wer war dieser merkwürdige Fremde? Warum sollte sie bezeugen, was mit mir geschah?

Darüber konnte sie nicht mehr nachdenken, denn an der Peripherie ihres Gesichtsfeldes war jetzt ein Jeep mit hiesigem Kennzeichen aufgetaucht, wie er in den einschlägig bekannten Vermietungen verliehen wurde. Das dunkelgrüne Fahrzeug, das von seiner Größe in etwa an einen Kleinbus erinnerte, kam auf dem Parkplatz vor der Kneipe zum Stehen. Dann öffneten sich Fahrer- und Beifahrertür und ein älteres Ehepaar stieg aus. Es handelte sich um zwei ältere Lithianer, wie Jasmin sehen konnte. Da das Fenster offen war, konnte sie jetzt auch gut hören, was der groß gewachsene Mann und die ebenfalls für eine Frau mit ihren geschätzten 1,70 m große Frau miteinander besprachen. „Jetzt sind wir ja endlich da.“, sagte er und schaute sie dabei an. „Wenn dieses Shuttle nicht so viel Verspätung gehabt hätte, dann hätte unser Urlaub ja sicher schon längst beginnen können, N’Ciba. Wir sollten schauen, dass wir in unsere Zimmer kommen. Die Kinder müssen sich bestimmt von dem langen Flug ausruhen.“ „Das haben wir alle nötig, Tamin.“, sagte die Frau lächelnd und öffnete die Schiebetür zum hinteren Bereich des Jeeps. Hier fiel Jasmins Blick nun auf einen lithianischen Teenager, der laut ihrer Schätzung nicht älter als sie selbst sein konnte. Das Mädchen hatte lange dunkle Haare wie ihre Mutter. In ihrem Arm schlief ein etwa 7-jähriger Junge mit einem rötlichen Bubikopf. „Hey, aufwachen, kleiner Bruder.“, flüsterte sie ihm zu, als sie des Gesichtes ihrer Mutter im Türrahmen ansichtig wurde. Der Kleine gab einen Laut von sich und öffnete langsam die Augen. „Sind wir endlich da?“, fragte er, eine Frage, die von kleinen ungeduldigen Kindern auf Urlaubsfahrten auch Jasmins Wissen nach sehr oft gestellt wurde, wenn sie die Ankunft an ihrem Ziel kaum noch erwarten konnten. „Ja, du Schlafmütze.“, flüsterte das Mädchen und küsste seine Nase. „Vergiss nicht, N’Cara.“, mahnte der Vater, „dass dein Bruder sonst schon längst im Bett liegt!“ „Das war doch bloß ’n Witz, Dad.“, sagte das Mädchen und schaute etwas genervt. „Wir dürften alle etwas angespannt sein.“, sagte die Mutter, um die Wogen zwischen ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter wieder zu glätten. „Bitte hilf deinem Bruder jetzt beim Aussteigen, damit er sich nichts tut.“ „OK, Mum.“, sagte N’Cara, verließ selbst den Jeep und zog dann ihren kleinen Bruder mit einer Hand zur Kante des Sitzes, wo sie ihm beide Hände gab und dann bis drei zählte. Dann machte sie einen Schritt nach hinten und ließ ihn in ihre Arme fallen. Danach stellte sie ihn sanft auf den Boden. „Ich hätte ja gern ein für kleine Kinder besseres Fahrzeug gemietet.“, sagte Tamin Senior. „Aber sie hatten kein anderes. Aber jetzt sollten wir rein gehen. Hoffentlich kann uns zu dieser späten Stunde noch jemand wegen der Zimmer helfen.“ „Und was machen wir, wenn nich’?“, fragte der kleine Junge. „Dann übernachten wir im Jeep.“, sagte N’Cara. „Das will ich aber nich’.“, sagte der Kleine und klammerte sich ängstlich an seine Schwester. „Der Jeep is’ so groß und hoch. Er macht mir Angst! Außerdem kann ich nich’ allein ein- und aussteigen!“ „N’Cara wird doch hinten bei dir sein.“, tröstete Tamin. „Ne, Dad. Das kannst du voll knicken.“, sagte die Jugendliche etwas unwillig. „Heute Abend am Raumflughafen habe ich eine Leuchtreklame von einer Disco gesehen. Da veranstalten sie heute eine coole Party! Da wollte ich eigentlich hin. Statt dessen habe ich nur wegen der blöden Verspätung von diesem lahmen Schiff jetzt wohl diesen Quälgeist an der Backe.“ „Ich bin kein Quälgeist.“, weinte der kleine Junge. „Mummy, bitte sag N’Cara, dass ich kein Quälgeist bin.“ „Was du da gerade gesagt hast, finde ich nicht schön, N’Cara!“, sagte N’Ciba und schaute ihre Tochter dabei streng an. „Du bist alt genug, um in einer solchen Notsituation auch mal zurückzustecken und auf deinen kleinen Bruder Rücksicht zu nehmen! Mit siebzehn Jahren sollte das ja wohl drin sein! Wenn du heute auf Tamin aufpasst, wird Dad morgen versuchen, ein anderes Fahrzeug zu bekommen, vor dem er keine Angst hat. Dann hast du den Rest des Urlaubs für dich. Falls nicht, ist das leider gestrichen! Klar?! Ist das ein Deal?“ „OK.“, sagte N’Cara skeptisch. „Aber vielleicht kommt es ja gar nicht dazu.“, meinte Mr. Tamin. „Ich glaube nämlich, ich habe im Gastraum noch Licht gesehen. Kommt!“

Er drehte sich um und wollte gehen, aber N’Ciba, die sich in der Landschaft zwecks Fotos fürs Familienalbum umgesehen hatte, hielt ihn plötzlich zurück und deutete auf den See. „Schau mal.“, flüsterte sie ihrem Mann zu, der sofort in die gleiche Richtung wie sie blickte. „Es sieht aus, als versuche der Alaraner, diese Frau da vor dem Ertrinken zu retten.“, sagte er. „Das stimmt.“, sagte Mrs. Tamin. „Das sehe ich genau so. Aber der See scheint eine gefährliche Strömung zu haben. Ich weiß nicht, ob wir die Kinder hier baden lassen sollten.“ „Das sollten wir wirklich noch einmal überdenken.“, sagte Mr. Tamin. „Aber merkwürdig finde ich, dass Ginalla das in der Buchungsbestätigung und am SITCH nie erwähnt hat. Hoffentlich ist sie keine Halsabschneiderin.“ „Mir kam sie auch nie so vor, als ob sie ihre Kunden belügen würde.“, sagte N’Ciba. „Irgendwas stimmt hier nicht.“ „Die Rettung muss her!“, entschied Mr. Tamin und setzte sich wieder ans Steuer des Fahrzeugs. Dort aktivierte er das Sprechgerät. „Wow!“, rief N’Cara aus. „Ein Abenteuer! Ne ehrlich! da kommt keine Disco im ganzen All mit. Is’ ja giga! Vergiss die Party! Diese Nummer is’ ja wohl endgeil!“ „Davon wirst du nur sehr wenig sehen, junges Fräulein!“, sagte Mr. Tamin bestimmt, der wohl darauf Rücksicht nehmen wollte, dass ein Rettungseinsatz mit einer eventuellen Toten nichts für die Augen eines 7-jährigen Kindes war. „Weil du jetzt mit deiner Mutter und deinem Bruder ins Haus gehen wirst. N’Ciba, kümmere dich doch am besten gleich um die Zimmer und darum, dass die Kinder endlich ins Bett kommen.“ „Sicher.“, nickte die Mutter. „Kommt jetzt, ihr zwei.“ Unwillig nahm N’Cara ihren Bruder bei der Hand und schlappte hinter ihrer Mutter her.

Sie hatten die Kneipe betreten und tatsächlich hatte sich Tamin nicht geirrt, was das Licht im Gastraum anging. Der Gastraum war zwar leer, aber hinter dem Tresen wurden sie tatsächlich noch von einer freundlich lächelnden Ginalla erwartet. „Hi, Mrs. Tamin.“, begrüßte sie die Lithianerin, deren Bild ihr aus den Gesprächen am SITCH durchaus geläufig war. „Sind Sie und die Kinder etwa allein?“ „Nein, Miss Ginalla.“, sagte N’Ciba. „Mein Mann ist noch im Fahrzeug und holt die Rettung.“ „Was macht der?“, fragte die junge Celsianerin alarmiert. „Is was passiert?! Soll ich ’n Arzt holen? Is’ was mit den Kindern? Ich mein’, bei der Hitze kann ’ne Menge …“ „Nein, Miss Ginalla.“, tröstete N’Ciba. „Die Kinder sind in Ordnung, wie Sie hier sehen. Wir möchten jetzt nur gern auf unsere Zimmer. Der Kleine muss dringend schlafen und die Große hat das auch bitter nötig. Wir haben nur beobachtet, wie jemand jemanden anders aus dem See zu retten versucht. Vielleicht hat sich eine Nachtschwimmerin überschätzt. Mein Mann regelt das schon. Aber warum haben Sie uns nicht gesagt, dass Ihr See so eine starke Unterströmung hat?“ „Mein See und Unterströmung?!“, fragte Ginalla entrüstet. „Ne, ne! Mein See macht so was nich’!“ „Ich fürchte, da irren Sie.“, sagte N’Ciba und deutete in Richtung eines der großen Fenster.

In diesem Moment betrat Mr. Tamin das Gasthaus. „Die Rettung ist verständigt.“, sagte er. „Rescue One wird bald hier sein. Ich hole dann schon mal das Gepäck.“ „Und ich zeige Ihnen Ihre Zimmer.“, meinte Ginalla bedient, die jetzt auch gesehen hatte, was ihr N’Ciba zu erklären versucht hatte. Dann ging sie voran in Richtung der Zimmer und die Familie folgte ihr

Auf der Erde war Tchey damit beschäftigt, ihrem Mann Lasse die Sache mit Yara schmackhaft zu machen. Der Arme hatte nämlich noch gar nichts von den Plänen seiner Frau gewusst, das verwaiste Haustier zu adoptieren. „Wie hast du dir das denn vorgestellt?!“, rief der völlig überraschte Terraner aus. „Wer soll sich denn mit dem Tier beschäftigen, wenn wir beide arbeiten? Du kannst jeder Zeit einen Einsatz bekommen und …“ „Aber du bist doch da, mein lieber und geschätzter Ehemann.“, argumentierte Tchey. „Du gehörst zum Bodenpersonal von Rescue One und hast geregelte Arbeitszeiten. Ich weiß, dass Yara nach dem Verlust ihres Frauchens sicher eine verlässliche Routine braucht, die du ihr aber sicher geben könntest. Außerdem komme ich ja irgendwann auch nach Hause und dann können wir ja beide für sie sorgen.“ „Aber sie ist nun mal auf dich geprägt.“, sagte Lasse. „Was mache ich, wenn wir zwei nicht miteinander klarkommen?“ „Das wird schon.“, tröstete Tchey. „Und außerdem hat uns Mr. Tymoron angeboten, uns jederzeit mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Er weiß, als ausgebildeter Trainer genau, was eine demetanische Wollkatze braucht und du kannst ihn sicher jederzeit … Oh, nein!“

Ihre Ohren hatten das unverwechselbare Piepen ihres Pagers wahrgenommen, den sie zu jeder Tages- und Nachtzeit zu tragen verpflichtet war. Nur bei der Körperpflege durfte sie ihn kurz ablegen, er musste aber immer in Sicht- und Hörweite der reptiloiden Pilotin bleiben.

Sie sah kurz auf das Display, wo Kelly per Rechner die Bedingungen des Einsatzes für sie gut lesbar übermittelt hatte. „Celsius.“, flüsterte Tchey. Dann wandte sie sich an ihren Mann: „Ich fürchte, wir müssen die Diskussion über Yara ein anderes Mal fortsetzen.“ „Gerettet vom Gong.“, meinte Lasse mit leicht zynischem Unterton. Es war ihm aufgefallen, dass der Pager Tchey in letzter Zeit des Öfteren gerade dann zu einem Einsatz gerufen hatte, wenn sie gerade in der schönsten verbalen Schlammschlacht waren.

Sie hatte sich ihre Ausrüstung geschnappt und war vor das Haus getreten. Hier erwartete sie D/4 bereits in ihrem Jeep, die sie sofort auf den Beifahrersitz zerrte und das Fahrzeug, kaum dass Tchey sich gesichert hatte, sofort in Bewegung setzte. Solche fliegenden Starts war Tchey mittlerweile von ihrer Vorgesetzten gewohnt, wenn sie von ihr abgeholt wurde. „Ich nehme an, unser Einsatzort ist Ihnen bekannt.“, sagte die Sonde. „Hm.“, machte Tchey und zeigte auf das Display ihres Pagers, wo sie in knappen Worten die Einsatzbedingungen lesen konnte. „Ich würde sagen, Sie lassen mich ans Sprechgerät und ich informiere die Raumkontrolle schon mal von hier aus darüber, dass wir einen Warpkorridor nach Celsius brauchen. Dann können wir gleich los und haben vielleicht wertvolle Zeit gespart.“ „Ihr Vorschlag ist sehr effizient.“, lobte die Sonde und zeigte mit einer einladenden Geste auf das Gerät.

Die lithianische Familie und Ginalla waren vor den Zimmern angekommen, die sie ihnen ausgesucht hatte. Erst jetzt schien der celsianischen Junggastronomin klar zu werden, mit wem sie es zu tun hatte, denn zumindest das Mädchen war ihr bekannt. „Mensch, Cary-Maus!“, sagte sie. „Ich Schlafmütze muss mal ganz dringend meine Augen schärfen. Ich hätte dich doch jetzt glatt nich’ erkannt! Mann, bist du groß geworden!“ „Nun übertreib mal nicht gleich, Giny.“, sagte N’Cara. „Das kann doch mal passieren. Sicher musst du in deinem Beruf mit tausenden von Gesichtern klarkommen. Da kann man schon mal das eine oder das andere vergessen.“ „Vergessen habe ich dich bestimmt nich’, Cary-Maus.“, sagte Ginalla. „Darauf kannst du Gift nehmen. Ich vergess’ doch die nich’, die mir geholfen hat, aus Sytanias Felsenkerker zu entkommen. Ach übrigens, Shimar, Scotty und Betsy sind auch hier. Sie haben ihr Zimmer gleich gegenüber von euren. Kommt mit, ich zeig’ euch …“

Ihr war etwas aufgefallen. Schon seit geraumer Zeit hatte sie sich gewundert, wo Jasmin blieb. Ihres Wissens nach hatte ihre Angestellte ja nur ein Tablett auf das Zimmer eines Gastes bringen wollen. Aber jetzt war sie schon mehrere Stunden fort. Einen Hinweis hatte sie aber dadurch bekommen, dass die Tür von Korelems Zimmer sich bewegt hatte. Daraus witschte eine völlig aufgelöste Jasmin ihr entgegen, die von Ginalla gleich einen vorwurfsvollen Blick erntete. Tamin gab seiner Frau und seinen Kindern einen Wink, ihm zu folgen, denn er konnte sich denken, dass Ginalla ihrer Angestellten jetzt wohl die Leviten lesen würde, etwas, das sie aus Höflichkeit ja nicht unbedingt mitbekommen mussten. Außerdem hatte der Telepath sehr wohl wahrgenommen, welche düsteren Wolken sich über Ginallas Seele zusammengebraut hatten.

Ginalla stellte sich Jasmin in den Weg und sah sie ernst an. „Was in aller Welt tust du allein im Zimmer eines Gastes?!“, fragte sie. „Das wirst du mir jetzt nicht glauben, Ginalla.“, sagte Jasmin mit verschämtem Unterton. „Aber es ist die Wahrheit! Das schon mal vorab.“ „So, so.“, sagte Ginalla. „Und was ist die Wahrheit?“ „Korelem wollte das.“, sagte Jasmin. „Du sagst doch auch immer: Der Kunde ist König.“ „Stimmt schon.“, meinte Ginalla. „Aber wieso sollte Korelem das gewollt haben?“ „Das weiß ich nicht.“, sagte Jasmin. „Ich sollte nur alles beobachten und mir alles merken, was da draußen geschieht. Dann sollte ich mit dir darüber reden.“ „Merkwürdig.“, sagte Ginalla. „Und wenn ich dich nich’ schon so gut kennen würde, dann hätte ich dir jetzt mit Sicherheit kein Wort geglaubt. Aber bei Korelem kann ich mir so einiges vorstellen, obwohl ich ihn nich’ wirklich lange kenne. Er hat irgendeine geheimnisvolle Aura, wenn du mich fragst.“ „Nicht nur das.“, sagte Jasmin. „Er hat auch einen imperianischen Kontaktkelch, der Logar geweiht ist.“ „Was?!“, sagte Ginalla. „Wo is’ der?!“

Jasmin deutete auf die Tür und sie und ihre Chefin gingen in Korelems Zimmer zurück. Hier stellte sich das Mädchen sofort wieder ans Fenster. „Kannst du mir mal sagen, was du da machst?!“, fragte Ginalla hektisch, während ihr Blick alle Möbel absuchte. „Korelem will, dass ich ihn beobachte.“, sagte Jasmin. „Das wird ja immer schöner.“, meinte Ginalla. „Bei was denn? Lass mich mal sehen!“

Sie drängte Jasmin zur Seite und stellte sich selbst vor das offene Fenster. Jetzt sah auch Ginalla, in was für einer Situation sich Korelem befand. Sie wusste jetzt aber auch, dass N’Ciba nicht gelogen hatte, als sie ihr die Sache mit der Unterströmung berichtet hatte. „Ach du Scheiße!“, rief sie aus. „Wie lange läuft das schon?!“ „Seit ungefähr vier Stunden.“, sagte Jasmin verschämt. „Und das lässt du einfach zu?!“, empörte sich Ginalla. „Wieso um Himmels Willen hast du die Rettung nich’ …“ „Das konnte ich nicht.“, sagte Jasmin. „Ich war wie gebannt. Ich musste hier bleiben, ob ich wollte, oder nicht.“ „Erzähl keinen Blödsinn!“, tadelte Ginalla Jasmin. „Du wirst doch wohl noch in der Lage sein …“

Aus Unachtsamkeit war sie über eine unter dem Bett hervorstehende Kante von Korelems Koffer gestolpert. Das hatte nicht nur dafür gesorgt, dass sie der Länge nach hingefallen war, es hatte den Koffer durch die Erschütterung auch umfallen und sich öffnen lassen. Als Erstes rollte ihr der Kontaktkelch genau vor die Füße. Fassungslos sah ihn sich Ginalla an. „Das kann doch wohl nich’ wahr sein!“, sagte sie. „Der is’ ja tatsächlich so was wie ’n Agent im Auftrag seiner Majestät. Ich denke, ich muss mich bei dir entschuldigen, Jasmin. Aber wenn der Kelch hier is’, dann erklärt dass auch deinen Bann und sicher auch meinen kleinen Unfall von gerade. Ich bin sicher, Logar wollte, dass ich den Kelch finde. Aber wieso das Ganze?“ „Das kann uns sicher nur Korelem beantworten.“, sagte Jasmin. „Das glaub’ ich auch.“, meinte die kesse Celsianerin. „Nur leider is’ er im Moment wohl kaum in der Lage dazu.“

Immer noch hielt Korelem verbissen an dem Versuch fest, mich doch noch aus den Fluten zu retten. Inzwischen schmerzten ihn aber seine Füße, mit denen er mich festhielt, ziemlich stark. Wer schon einmal versucht hat, einen schweren Koffer mehrere Stunden lang hoch zu halten, dürfte dies in etwa nachvollziehen können. Aber auch seine Brustmuskulatur, die er zum Bewegen seiner Flügel gebrauchte, bereitete ihm nicht weniger starke Schmerzen, aber er war nicht gewillt, auch nur einen Moment lang ans Aufgeben zu denken.

Dies hatten Sytania und Dirshan durchaus mitbekommen. Die Prinzessin war sogar dazu übergegangen, die Strömung von Zeit zu Zeit nur so weit zu schwächen, dass Korelem mich ein Stückchen weit aus dem Wasser ziehen konnte. Sobald meine Schultern aber die Oberfläche erreicht hatten, verstärkte sie die Strömung wieder, so dass ich erneut unter Wasser gezogen wurde. „Warum tut Ihr das?“, erkundigte sich Dirshan. „Weil es mir Spaß bereitet!“, erwiderte Sytania und grinste ihn dreckig an. „Er bildet sich ein, dass meine Konzentration irgendwann leiden wird und ich gezwungen sein werde, mein Vorhaben aufzugeben, aber da irrt er! Das hier ist nicht mehr, als eine telepathische Fingerübung für mich. Solche Sachen habe ich schon als 4-Jährige gemacht!“ „Und ich hatte mir schon Sorgen gemacht!“, atmete Dirshan auf. „Es ist alles pure Berechnung.“, erklärte die Imperianerin. „Hast du schon einmal gefischt?“ „Nein, Herrin.“, sagte der Novize. „Zu meinem großen Bedauern habe ich das nicht. Aber würdet Ihr mir die Gnade einer Erklärung erweisen?“ „Oh, sicher werde ich das.“, sagte Sytania und lehnte sich auf ihrem Thronsitz zurück. „Hör zu! Was geschieht wohl mit einer Angelschnur, wenn sie über Gebühr beansprucht wird, he?“ „Sie wird reißen, Milady.“, sagte Dirshan, der, obwohl er noch nie gefischt hatte, doch des Wissens über die physikalischen Folgen dessen mächtig war, was passierte, wenn zwei unerbittliche Kräfte in zwei verschiedene Richtungen an einem Gegenstand zogen. „Genau.“, sagte die imperianische Prinzessin. „Deshalb werden gute Angler nie versuchen, einen sich stark wehrenden Fisch mit einem Mal aus dem Wasser zu zerren. Nein, sie werden ihn erst müde machen, bevor sie das versuchen. Sonst laufen sie Gefahr, Fang, Schnur und Haken gleichermaßen zu verlieren.“ „Ihr wollt Korelem also ermüden.“, vermutete Dirshan. „Genau das, mein Junge.“, sagte Sytania. „Genau das! Ich will, dass er sich so verausgabt, dass er an der Erschöpfung stirbt. Zumindest wird er irgendwann aufgeben müssen und dann wird er ohnmächtig in die Fluten stürzen. Dann gibt es einen Mitwisser weniger. Mein Vater mag sich einbilden, damit, ihn zu seinem Auserwählten gemacht zu haben, Sorge dafür getragen zu haben, dass ich mit meinen Plänen keinen Erfolg haben werde. Er bildet sich ein, mir durch einen Sterblichen eine Lektion erteilen lassen zu müssen, aber da irrt er sich gewaltig! Die Einzige, die hier jemandem eine erteilt, bin ich! Ich werde seinen kostbaren Auserwählten nämlich umbringen und das ist etwas, mit dem er gar nicht zurechtkommen wird!“ Sie lachte hexenartig auf. „Was sagt Euch eigentlich, dass Korelem bis zu seinem Ende kämpfen wird, Hoheit?“, fragte Dirshan, der doch noch einige nicht berücksichtigte Varianten in ihrem Plan sah. „Die Tatsache, dass er sie kennt und mag, diese widerliche kleine terranische Kröte.“, meinte die Königstochter. „Das reicht. Außerdem wird er aus Treue zu dem albernen Eid, den er meinem Vater gegenüber geschworen hat, schon nicht aufgeben wollen. Du siehst also, es entwickelt sich alles zu unseren Gunsten.“ Wieder kicherte sie und rieb sich die Hände. „Bitte vergebt einem dummen Jungen.“, bat Dirshan. „Ich hatte ja nicht mit Eurer Weisheit und Weitsicht gerechnet.“ „Es sei dir vergeben.“, sagte Sytania und machte eine große Geste mit der rechten Hand, als wollte sie noch einmal ihre Macht unterstreichen.

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