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Tchey und D/4 hatten bereits ein gutes Stück Weg zu der Exo-Klinik auf Demeta hinter sich gebracht. Die Sonde hatte es vorgezogen, ihrer Untergebenen so wenig Details wie möglich über ihre Patienten zu verraten, um sich nicht zu verraten oder sich gar in Widersprüche zu verwickeln, die Tchey unter Umständen mit Informationen versorgen könnten, die ihr sonst einen Grund zum Stellen von Fragen gegeben hätten. Sie wollte um jeden Preis vermeiden, dass Tchey sie über die geheimnisvolle Leiche im Stasecontainer befragen würde.

„Wie geht es unserem überlebenden Patienten, D/4?“, wendete sich Tchey an ihre Vorgesetzte. „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, Tchey.“, sagte die Sonde, die sich gerade auf den Sitz neben Tchey gesetzt hatte. „Die Demetaner werden ihn weiter behandeln. Ich gehe sogar davon aus, dass er sogar operiert werden muss, denn er hat sich einige Muskelstränge fast abgerissen. Ich habe ihm ein Schmerzmittel gegeben, damit er den Flug übersteht. Es ist meiner Meinung nach unfassbar, was manche Bioeinheiten riskieren, um jemanden zu retten, für den doch jede Hilfe zu spät kommt.“ „Na ja.“, sagte Tchey. „Die meisten Bioeinheiten haben leider nicht den Luxus von Sensoren, die ihnen genau mitteilen, ob sich im Gehirn der zu rettenden Person noch neurale Energie befindet. Aber sie geben die Hoffnung nun mal nicht auf. Das mag für Sie sehr irrational erscheinen, aber …“ „Sie haben Recht.“, unterbrach die Sonde sie schnell, denn sie befürchtete, Tchey könnte doch noch das Thema auf die Tote im Container lenken. „Hoffnung ist etwas, das uns genau so wie Stolz in der Theorie bekannt ist, das wir aber nie in dem Maße empfinden können, wie es eine reine Bioeinheit kann. Dafür ist unsere kybernetische Seite einfach zu stark ausgeprägt.“, meinte die Sonde. „Tja.“, machte Tchey und grinste. „Da haben wir Bioeinheiten Ihnen wohl etwas voraus.“ „Ich wusste nicht, dass wir mit Ihnen im Wettbewerb stehen.“, konterte D/4. „Ich auch nicht.“, flapste Tchey zurück. „Ich weiß zwar, dass die Borg von sich meinten, dass sie mit uns im Wettbewerb stehen und dass sie uns von vorn herein für minderwertige Kreaturen hielten, aber den Fehler haben sie, Janeway sei Dank, ja bitter bereut, oh, ja! Und den gleichen Fehler begeht ja Sytania Gott sei Dank auch immer wieder im Bezug auf Sterbliche!“ „Das ist korrekt.“, antwortete die Sonde und lehnte sich entspannt zurück. Sie war froh darüber, dass Tchey ein unverfängliches Thema begonnen hatte und sich nicht mehr auf die Tote im Container, die zweifelsfrei ein Mysterium darstellte, konzentrierte. Dass sich die Sonde da viel zu früh gefreut hatte, sollte sie wenig später erfahren.

„Wer ist eigentlich die Tote, die wir im Stasecontainer haben, D/4?“, fragte Tchey. „Ich meine, Sie haben sie mit keinem weiteren Wort erwähnt, als wollten Sie nicht mehr über sie sprechen. Außerdem hat mir der Computer gesagt, Sie hätten die Daten über sie verschlüsselt. Was soll ich nicht erfahren?“ „Diese Informationen werde ich Ihnen zu einem besser geeigneten Zeitpunkt geben, Tchey!“, sagte die Sonde. Dabei klang sie schon fast alarmiert und die Reptiloide wurde das Gefühl nicht los, dass sie etwas vor ihr verbarg. „Warum denken Sie, dass jetzt kein geeigneter Zeitpunkt sein könnte, D/4?!“, fragte Tchey empört, die sich etwas bevormundet vorkam. „Weil die Information Sie unter Umständen in der Ausübung Ihrer Pflicht benachteiligen könnte.“, antwortete D/4. „So?“, fragte Tchey. „Wie kommen Sie denn darauf? Meinen Sie etwa, dass ich sie kennen könnte?“

Der Gesichtsausdruck der Sonde verfinsterte sich. Sie wusste, wie unberechenbar Bioeinheiten unter gewissen Umständen reagieren konnten. Gerade dann, wenn ihren Freunden etwas passiert war. „Ich werde Ihnen diese Daten zu einem besser geeigneten Zeitpunkt zur Verfügung stellen!“, wiederholte sie bestimmt. „Und wer bestimmt, wann dieser Zeitpunkt ist?“, fragte Tchey. „Sie etwa? Ich dachte, wir wären ein Team und in einem Team hat man doch normalerweise keine Geheimnisse, oder? Außerdem haben Ihre Leute doch immer so große Stücke darauf gehalten, nicht so zu sein wie die Borg und uns nicht als minderwertig, sondern als gleichwertig, zu sehen! Ich finde es eine Riesensauerei, dass Sie mich jetzt so behandeln, als sei ich irgendein Mündel, das von der großen bösen Welt da draußen irgendwas nicht wissen darf! Aber das können wir ja ändern! Computer, …“ „Das wird Ihnen nichts nützen.“, sagte die Sonde. „Ich habe die Informationen mit xylianischen Algorhythmen verschlüsselt. Selbst wenn Sie im Besitz eines Hackprogramms wären, würde es zwei mal der Zeit unseres Fluges bedürfen, bis Sie Zugriff erlangen könnten.“ „Oh, das finde ich ja sehr nett, dass Sie mir derartige kriminelle Aktivitäten zutrauen!“, sagte Tchey zynisch und fast beleidigt. „Zwei mal die Zeit unseres Fluges sagten Sie? Nun, das ist ein Umstand, den ich ziemlich leicht ändern kann!“

Sie deaktivierte den Antrieb und schaltete gleichzeitig die Trägheitsdämpfer auf volle Leistung. Das Shuttle stoppte hart. „Sie werden auf der Stelle den Antrieb reaktivieren!“, ordnete D/4 an. „Das werde ich nicht!“, sagte Tchey fest. „Computer, die Antriebsstartsequenz mit meinem biologischen Fingerabdruck sichern!“ „Befehl wird ausgeführt.“, sagte der Rechner von Rescue One. „Bitte legen Sie Ihre rechte Hand auf den Sensor.“ Tchey tat grinsend, worum sie der Rechner gerade gebeten hatte. „So, meine Beste.“, sagte sie. „Jetzt kommen wir keinen Parsec mehr weit, wenn ich es nicht will!“ „Und was wird uns das jetzt nützen, Tchey?“, fragte D/4. „Wir haben einen lebenden Patienten, der dringend versorgt werden muss. Wenn das nicht geschieht, könnte er bleibende Schäden an seiner Flugmuskulatur davontragen, die für ihn lebenswichtig ist. Am Boden sind Alaraner viel zu unbeholfen. Er wird Dank Ihnen als Behinderter leben müssen, wenn die Blutversorgung der betroffenen Teile seiner Muskulatur nicht bald wieder hergestellt wird.“ „Oh, und das wissen Sie so genau?!“, empörte sich Tchey. „Ich sage Ihnen was, D/4! Wir Bioeinheiten sind keine rohen Eier! Wir können mehr aushalten, als Sie denken. Wir sind zäher, als wir aussehen. Sie müssen uns nicht behandeln wie kleine Kinder und ich lasse nicht zu, dass Sie mich in Watte packen, was die Leiche im Container angeht. Also, wer ist es?!“ „Darum geht es Ihnen also.“, sagte die Sonde. „Unser Patient ist Ihnen also völlig egal. Ich darf Sie an den Eid erinnern, den Sie bei Dienstantritt geschworen haben.“ „Und ich darf Sie daran erinnern, was Sie und Ihre Leute sich auf die Fahnen geschrieben haben!“, sagte Tchey. „Sie wollten uns als gleichwertig behandeln und nicht als …!“ „Dies ist eine Situation, in der ich das leider nicht kann.“, rechtfertigte sich die Sonde. „Ihre emotionale Nähe zu der Toten könnte eine Instabilität bei Ihnen auslösen, die zu unberechenbaren Handlungen Ihrerseits führen könnte.“ „Sie benutzen den Konjunktiv.“, stellte Tchey fest. „Das bedeutet, Sie sind sich nicht sicher. Also, warum probieren wir es nicht einfach aus?! Testen Sie mich!“

Jetzt hatte auch D/4 bemerkt, dass sie in der Möglichkeitsform gesprochen hatte. Sie wusste, dass rein statistisch sowohl die von ihr genannte Situation, als auch rein theoretisch das genaue Gegenteil auftreten konnte.

Ein Geräusch von der Sprechanlage ließ beide zunächst ihren Streit beenden. „Ich denke, Mr. Korelem braucht mich.“, stellte D/4 fest und wandte sich der Tür zur Achterkabine zu. Dort traf sie bald auf einen ängstlich dreinschauenden Korelem. „Was ist passiert?“, fragte sie mit Anteil nehmendem Gesicht. „Da wird alles taub!“, sagte der Insektoide alarmiert und zeigte auf seine Brust. „Ich kann meine Flügel nicht mehr bewegen. Sie fühlen sich auch ganz taub an!“

Die Sonde stellte sich gerade vor die Trage und begann, Korelem mit ihren Augen zu scannen. „Die Taubheitsgefühle resultieren aus einer Unterversorgung mit Blut und damit Sauerstoff, die zur Zeit in Ihrer Flugmuskulatur stattfindet. Ich werde die betroffenen Partien an ein Ersatzsystem anschließen, das Ihren Blutkreislauf vorübergehend simuliert und überbrückt. Somit hoffe ich, die Partien vor dem Absterben zu bewahren. Sie werden sie trotzdem nicht fühlen, weil die Nervenversorgung nicht gewährleistet ist, aber das werden die Demetaner dann im Operationssaal ändern!“, sagte D/4 im Versuch, ihm Trost zu spenden.

Korelem hatte sehr wohl bemerkt, wie angespannt sie war. „Irgendwas liegt Ihnen doch auf der Seele.“, sagte der Insektoide, der ein sehr guter Beobachter war. „Ich höre den Antrieb des Shuttles auch nicht. Haben wir gestoppt? Ist etwas nicht in Ordnung?“ „Ihre Annahme ist korrekt.“, sagte D/4. „Es ist etwas nicht in Ordnung. Aber ich bezweifele, dass Sie hier effizient assistieren können.“ „Sie haben mich ja noch gar nicht getestet.“, lächelte Korelem. „Also, wie kommen Sie darauf, das zu behaupten?“

Die Sonde holte eine Tropfkonsole aus einem der Schränke im Frachtraum und legte sie Korelem an. In der Aufgesteckten Patrone war reiner Sauerstoff. Sie stellte die Konsole so ein, dass sie diesen in regelmäßigen Abständen in bestimmter Dosierung direkt in die betroffenen Muskelpartien beamte. Dann setzte sie sich ans untere Ende der Trage. „Sie sind schon der Zweite, der mich darauf anspricht.“, sagte sie. „Interessant.“, meinte Korelem. „Warum? Wer war denn der Erste?“ „Es war eher die Erste.“, sagte die Sonde und machte ein verschämtes Gesicht. Die Tatsache, dass Korelem trotz seiner ernsten Situation noch Augen für das ihn Umgebende hatte, zeigte ihr, dass Tchey wohl Recht gehabt hatte und Bioeinheiten anscheinend doch mehr aushielten, als sie ihnen zutraute. „Die Erste war Tchey.“, gab sie zu. „Sie werden bemerkt haben, dass wir zum Halten gekommen sind. Ich denke, das war meine Schuld. Ich habe ihr etwas verheimlicht, von dem ich glaubte, es würde sie emotional destabilisieren. Aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher. Von Ihnen hatte ich nämlich auch erwartet, dass Sie in Ihrer gegenwärtigen Situation eventuell in Panik ausbrächen und außer sich selbst im Moment nichts sähen. Aber im Gegenteil. Sie verwickeln mich sogar in ein Gespräch darüber, was mit mir los ist und kriegen das so hervorragend hin, dass ich nicht anders kann, als es Ihnen zu berichten.“ „Man hat mir schon des Öfteren ein solches Talent bescheinigt.“, lächelte Korelem zufrieden mit sich selbst. „Und zum Thema Bioeinheiten werde ich Ihnen jetzt mal was sagen. Es mag Bioeinheiten geben, das sind echte Duckmäuser und Angsthasen. Denen gegenüber dürften Sie die Informationen, die Sie verheimlicht haben, sicher nie preisgeben. Aber eine Frau wie Tchey, die so ein mutiges Manöver ausführt, um Betsy und mich zu retten, das ist mit Sicherheit keine Duckmäuserin oder Angsthäsin. Gehen wir eine kleine Wette ein. Wetten wir, wie sie reagieren wird, wenn Sie ihr die Information geben. Ich wette, dass sie stark sein wird und eher versuchen wird, alles zu tun, um den Mord an Betsy sühnen zu lassen. Mit Sicherheit wird sie auch versuchen, ihren Teil dazu beizutragen und wenn es nur darin besteht, mich sicher nach Demeta zu fliegen und dann ihre Leiche auf Terra beim Geheimdienst abzugeben. Sie können ja ruhig wetten, dass sie zusammenbricht. Ich denke, über Ihre direkte Verbindung zum Schiff, die Sie ja aufbauen können, könnten Sie dieses sicher im Notfall genau so gut fliegen.“ „Also gut.“, sagte die Sonde und schlug ein. Dabei begegnete ihre rechte Hand Korelems linkem Vorderfuß. „Was wird Ihr Wetteinsatz sein?“, fragte sie. „Ich denke nicht, dass ich diese Wette verlieren werde!“, sagte Korelem selbstbewusst. „Aber falls das der Fall sein sollte, dürfen Sie gern eine Verliererstrafe für mich festlegen. Sollte ich aber gewinnen, wovon ich ausgehe, dann bekomme ich eine Gratisbehandlung von Ihnen während meiner Rehabilitation.“ „Einverstanden.“, sagte die Sonde.

Sie drehte sich wieder zur Tür. „Ich werde Tchey jetzt die Information geben.“, sagte sie. „Damit Sie mithören können, werde ich das Terminal der Sprechanlage auf Überwachung schalten.“ „In Ordnung.“, sagte Korelem und lehnte sich erwartungsvoll zurück.

Die Sonde betrat erneut das Cockpit von Rescue One, wo Tchey mit erwartungsvollem Gesicht saß. „Geht es unserem Patienten wieder gut?“, fragte sie. „Den Umständen entsprechend.“, antwortete D/4. „Aber es wäre wirklich seiner Gesundheit zuträglicher, wenn wir bald weiter fliegen würden.“ „Das liegt ganz bei Ihnen.“, erwiderte Tchey und machte ein betont entspanntes Gesicht.

D/4 überlegte erneut. Sie wusste durchaus, dass Tchey in vielerlei Hinsicht schon für ein gewisses Erstaunen im System gesorgt hatte. Für dieses Phänomen hatten die Xylianer sogar einen eigenen Begriff geprägt, den Tchey-Faktor. Also konnte es durchaus sein, dass Korelem und sie vielleicht doch Recht gehabt hatten, was ihre eventuelle Reaktion auf die Information anging.

Die Sonde drehte sich ihr zu und sagte plötzlich: „Es tut mir leid, dass ich versucht habe, Sie zu bevormunden.“ „Nanu.“, wunderte sich Tchey. „Auf einmal? Was ist da hinten passiert, he?“ „Unser lebender Patient hat mir ins Gewissen geredet.“, sagte d/4. „Korelem ist sicher, dass Sie nicht zusammenbrechen werden, wenn ich Ihnen sage, dass es sich bei der Toten im Container um Ihre Freundin Allrounder Betsy Scott handelt.“

Eine Weile lang war es unheimlich still geworden im Cockpit von Rescue One. Dann beobachtete D/4, wie Tchey mit entschlossenem Gesicht die Steuerelemente und den gewissen Sicherheitssensor des Shuttles berührte und der Computer sagte: „Antriebssystem freigegeben. Biologischer Fingerabdruck akzeptiert.“ Dann summte der Warpantrieb des Schiffes auf.

Erstaunt nahm D/4 dies zur Kenntnis. „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie so souverän reagieren.“, sagte sie. „Ich sorge eben immer wieder für einige Überraschungen, D/4.“, sagte Tchey. „Und jetzt sage ich Ihnen mal was! Ich werde alles tun, um den Agenten zu helfen, den Mörder von Betsy zu überführen! Keine Angst, D/4! Ich werde schon nichts tun, was mich meinen Job kosten könnte, oder so. Aber ich werde gegenüber dem Geheimdienst aussagen, was ich gesehen habe. Die sollen sich dann ihr Bild machen, obwohl ich schon eine Verdächtige habe.“ „Wenn Sie von Sytania reden.“, sagte die Sonde. „Dann kann ich Ihren Verdacht nur bestätigen. Die Art, in der das Ganze geschehen ist, weist auf ihre Einmischung hin. Leider konnten wir es ihr nicht auf frischer Tat nachweisen, weil die mineralischen Ablagerungen im See Sensoren stören, aber unter Umständen kann die Gerichtsmedizin noch etwas aus Betsys Körper lesen. Noch einmal, es tut mir leid!“ „Schon gut.“, sagte Tchey. „Mir tut es auch leid. Ich hoffe, ich habe unseren noch lebenden Patienten jetzt nicht gefährdet.“ „Das haben Sie nicht.“, versicherte die Sonde. „Die Behandlung, die ich durchführte, hätte ich so oder so durchführen müssen. Die Demetaner werden ihn operieren müssen.“ „Also gut.“, sagte Tchey. „Dann auf nach Demeta!“ Sie beschleunigte Rescue One von Warp vier auf Warp sechs.

Wie sie es mit Ishan abgesprochen hatte, traf sich Zirell an diesem Nachmittag mit ihm auf der Krankenstation ihrer Basis. Der Arzt hatte ihr das sicher nicht umsonst so hinter vorgehaltener Hand angeboten, das konnte sich die Kommandantin denken, obwohl sie keine Möglichkeit hatte, die Gedanken des Androiden zu lesen. Wenn sie das gewollt hätte, dann hätte sie die Hilfe des Rechners und einen Neurokoppler benötigt, der elektronische Signale in Biologische umsetzte und umgekehrt. Deshalb war sie begierig darauf, das Rätsel, das Ishan für sie hatte, auf normale verbale Weise zu lösen.

Als sie den Arbeitsraum der medizinischen Assistentin und ihres Vorgesetzten betrat, fiel ihr sofort Nidells traurige Miene auf. „Wo ist dein Vorgesetzter, Nidell?“, fragte sie. Stumm wies die junge Tindaranerin auf eine weitere Tür, die Zirell direkt in Ishans Sprechzimmer führte.

Der Androide mit dem aldanischen Bewusstsein blickte von seinem Schreibtisch auf, als Zirell das Zimmer betrat. „Da bist du ja, Zirell.“, sagte er ernst, wie sie es von ihm im Allgemeinen gewohnt war. Wenn er so eine ernste Miene aufsetzte, fand sie das nicht ungewöhnlich. „Ja, hier bin ich, Ishan.“, sagte Zirell.

Er rückte ihr eines der typischen tindaranischen Sitzkissen zurecht: „Setz dich bitte.“ „OK, danke.“, sagte die Kommandantin, während sie seiner Aufforderung nachkam. In diesem Moment fiel ihr auf, dass er sie so günstig platziert hatte, dass sie direkt gegenüber eines Anschlusses für den Neurokoppler saß. Deshalb zog sie auch gleich den Ihren aus der Tasche und schloss ihn an. IDUSA, die das auch gleich bemerkt hatte, lud sofort ihre Reaktionstabelle. Nun sah Zirell auf dem Monitor, was Ishan während der überwachten Außenmission für medizinisch relevante Bilder von Shimar bekommen hatte. „Ich kann damit leider nicht viel anfangen, Ishan.“, sagte die tindaranische Kommandantin. „Du müsstest es mir schon erklären.“ „Sehr gern.“, sagte der Arzt und ließ per Verbindung über sein Haftmodul den Cursor über IDUSAs virtuellen Bildschirm kreisen. Dann ließ er ihn im oberen Fenster anhalten. „Dies ist ein normales Bild von Shimars Neuralmuster, wie wir es seit seiner Beziehung mit Allrounder Betsy Scott kennen.“, referierte er. Dann ließ er den Cursor ein Bild nach unten wandern. „Dies ist das Bild, das IDUSA während der Mission überspielt hat, als Shimar die Kopfschmerzen verspürte.“ Wieder ließ er den Cursor wandern. „Und das letzte Bild zeigt sein Neuralmuster, wie es jetzt ist.“

Zirell ließ sich die Bilder genau durch den Kopf gehen. Dann sagte sie: „Es sieht aus, als würde da etwas herausgerissen worden sein.“ „Genau.“, sagte Ishan. „Ich wusste, dass du intelligent genug bist, das zu sehen. Ich kann dir auch genau sagen, was da herausgerissen wurde. Es ist das Muster von Allrounder Betsy Scott, das er sonst in seiner Hirnrinde hat, da eine Schutzverbindung zwischen beiden besteht …“ Er räusperte sich: „Oder sollte ich besser sagen, bestand? Zirell, du, als Tindaranerin, weißt sicher eher als ich, was das zu bedeuten haben kann.“ „Ja, das weiß ich.“, sagte die Tindaranerin betroffen. „Es bedeutet, dass die Beziehung zwischen den Beiden auf die eine oder andere Weise beendet worden ist. Aber wenn einfach Schluss gemacht worden wäre, dann würden die Übergänge sanfter verlaufen. Ich tippe eher auf ein gewaltsames Ende von außen. Das kann nur bedeuten, dass jemand Allrounder Betsy Scott getötet hat. Ich halte sie nämlich nicht für eine Selbstmordkandidatin.“ „Ich auch nicht.“, sagte der androide Arzt sachlich.

Zirell drehte sich auf ihrem Sitzkissen herum und seufzte. „Eigentlich müsste ich das der Sternenflotte melden. Ich meine, als unsere Verbündeten haben die Mitglieder der Föderation jedes Recht, zu erfahren, wenn eine ihrer Offizierinnen stirbt und wir die Ersten sind, die es erfahren, auf welchem Weg auch immer.“

Ishan kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Das würde ich in der gegenwärtigen Situation nicht so gern sehen.“, sagte Ishan. „Das seelische Gleichgewicht von Präsidentin Nugura könnte sehr leiden. Ich halte sie in ihrem augenblicklichen Zustand nicht für in der Lage, traurige Nachrichten zu verdauen.“ „Erklär mir das!“, befahl Zirell mit leichter Empörung in der Stimme, denn sie fand, dass eine gestandene Politikerin doch wohl in der Lage sein musste, so etwas zu ertragen. „Das hatte ich gerade vor.“, sagte der Androide unbeeindruckt und ließ IDUSA eine neue Datei auf den Bildschirm laden. „Das sind Daten, die uns die Xylianer gegeben haben.“, sagte er. „Dieses hier ist Nuguras Muster.“ Wieder führte er ihr Augenmerk per Cursor auf die gemeinte Stelle. „Und hier hast du ihr Muster vor dieser ganzen Affäre zum Vergleich.“

Lange ließ Zirell den Blick ihres geistigen Auges zwischen den beiden Mustern hin und her wandern. Dann sagte sie schließlich: „In Nuguras aktuellem Muster fehlen einige Wellen. Ich meine, wahrscheinlich kann ich froh sein, dass du es mir nicht als Zahlenkolonne, sondern als Graphik gezeigt hast. Damit kann ich nämlich noch am ehesten arbeiten. Aber hier fehlen eindeutig ein paar Frequenzen.“ „Du hast Recht.“, sagte der Arzt und sah sie mild an. „Du weißt, dass sich das Neuralmuster einer Person auf ihr gesamtes Gehirn verteilt.“, erklärte er weiter. „Zumindest auf den Teil, der ständig genutzt wird. Du dürftest wissen, dass bei verschiedenen Spezies auch der Anteil der Hirnmasse verschieden hoch ist, der brach liegt. Die bei Nugura fehlenden Frequenzen sind, wie bei den meisten Humanoiden, im Mandelkern beheimatet. Das ist das Aggressionszentrum. Der Kern regelt aber auch die Entschlossenheit und das Selbstbewusstsein, beides Dinge, die, wenn man logisch darüber nachdenkt, auch nirgendwo anders besser geregelt werden können, denn in allen Fällen bedarf es einer gewissen Forschheit. Je mehr Selbstvertrauen jemand hat, desto unerschütterlicher ist er im wahrsten Sinne des Wortes.“ „Du meinst also.“, verstand Zirell. „Dass eine solche Nachricht deswegen Nugura den Boden unter den Füßen wegziehen könnte?“ „Genau das meine ich.“, sagte Ishan. „Vielleicht solltest du mit deiner Schulfreundin Darell noch einmal über die Sache reden, bevor die Information an Nuguras Ohren kommt.“ „Das werde ich auch tun.“, sagte Zirell. „Ich meine, Darell ist Politikerin. Sie kennt sich auf dem diplomatischen Parkett sicher besser aus als ich.“ „Mag sein.“, sagte Ishan. „Dennoch würde ich mich in dieser speziellen Situation gern als medizinischer Berater zur Verfügung stellen.“ „Ist OK.“, sagte Zirell. „Manchmal glaube ich, du liest meine Gedanken. Das wäre nämlich das Nächste gewesen, auf das ich dich angesprochen und um das ich dich gebeten hätte. Wir sollten am besten gleich mit Darell Kontakt aufnehmen.“ „Im Gegensatz zu dir.“, begann Ishan. „Bin ich leider nicht in der Lage, die Gedanken einer anderen Lebensform zu lesen. Aber ich kann logisch denken und die Logik sagt mir, dass du nicht anders handeln würdest, weil es für alle so am besten ist.“ „Das stimmt.“, bestätigte Zirell und befahl dem Rechner der Station: „IDUSA, mach mir eine Verbindung mit der Zusammenkunft!“

Shinell hatte mich die lange Straße hinunter zu einem parkähnlichen Gelände geführt. Es war von einer wohlig süß duftenden grünen Hecke umschlossen, aus der ab und zu mal ein blühender Strauch als bunter Farbtupfer hervorschaute. Das Tor, durch das wir gingen, wurde von zwei steinernen Pferden gesäumt, die beide, wenn man sie berührte, wie zwei Springbrunnen Wasser aus ihren Nüstern spritzten und ein wohliges Schnauben abgaben. Beide Pferde waren weiß und trugen je einen lustigen Zwerg mit bunter wallender Kleidung im Sattel, der, wenn man auch ihn berührte, ein Lied sang und freundlich lachend ein herzliches Willkommen hören ließ. „Das ist ja süß!“, sagte ich. „Das finde ich auch.“, sagte Shinell und lächelte hörbar. „Es soll euch den Anfang hier erleichtern. Na komm!“

Wir gingen weiter den Hauptweg entlang und kamen an ein Gebäude. Hier berührte Shinell einen Sensor, der uns eine Tür öffnete. Wir schritten hindurch. Jetzt waren wir auf einem wohl temperierten Flur angekommen, dessen Fußboden mit Fliesen ausgelegt war, die Motive aus den verschiedensten Religionen zierten. Auch auf den Bildern an den Wenden sah es nicht anders aus. „Möchtest du dein Zimmer sehen?“, fragte Shinell. „Nein.“, überlegte ich. „Im Augenblick noch nicht. Gibt es hier so was wie einen Aufenthaltsraum? Ich meine, ich würde gern meine Mitpatienten kennen lernen. Warum hast du uns überhaupt so bezeichnet?“ „Weil ihr das ja auch seid.“, sagte Shinell. „Mordopfern fällt es immer sehr schwer, ihren Tod zu akzeptieren. Ich habe von den Quellenwesen die Leitung dieses Therapiezentrums anvertraut bekommen. Ich helfe euch dabei, hier klar zu kommen, bis ihr es entweder von allein akzeptiert, oder leider wartet, bis das große Vergessen einsetzt. Das ist noch einmal eine sehr sensible Phase.“

Ich war sehr erstaunt. Shinell, die ich eigentlich nicht als sehr sensibel kannte, hatte von den Mächtigen hier einen solchen Job bekommen. Aber vielleicht konnte man sich ja sogar als Tote noch ändern. Ansonsten hätte sie sich wohl kaum hierfür qualifiziert.

Sie musste bemerkt haben, dass ich abgeschweift war. „Ist was nicht in Ordnung?“, fragte sie. „Ach nichts.“, sagte ich. „Es ist nur … Ich habe an mein Leben denken müssen.“ „Das wird mit der Zeit vergehen.“, tröstete sie. „Das zu erreichen, wird unser Ziel sein.“ Ich schluckte, denn dieser Gedanke behagte mir gar nicht! „Ich weiß.“, sagte sie. „Die Meisten haben noch sehr viel zu erledigen, wenn sie jäh aus dem Leben gerissen werden. Aber das wirst du schon noch vergessen. Es wird der Zeitpunkt kommen, an dem du dir nichts sehnlicher wünscht, als für immer hier zu bleiben. Was willst du denn auch in einem Leben, in dem du so eingeschränkt bist. Hier musst du dir die Dinge nur wünschen und sie geschehen. Nur in dein Leben zurückwünschen, das kannst du dich nicht. Irgendwann wirst du das ohnehin nur noch als reine Strafe empfinden, im Gegensatz zum Hiersein.“ „Das bezweifele ich.“, sagte ich. „Ich merke schon.“, stöhnte Shinell. „Du wirst eine schwierige Patientin.“

Eine andere Tote, die ich zunächst nicht einzuordnen vermochte, kam mit schnellen Schritten auf uns zu. „Shinell, sie brauchen dich.“, zischte sie ihr schnell zu und war wieder verschwunden. „Ich bringe dich auf eine Bank im Park!“, zischte Shinell. „Bitte warte dort auf mich.“ „In Ordnung.“, sagte ich und machte damit gute Miene zum bösen Spiel, denn ich hoffte, dort eine Gelegenheit zu finden, über eine Flucht nachzudenken.

Sie zerrte mich also wieder aus dem Gebäude und auf eine hölzerne glatte Bank. Dann bekräftigte sie noch einmal: „Warte hier!“ Ich nickte und nahm mit Erleichterung wahr, wie sich ihre kurzen schnellen Schritte immer weiter entfernten.

Hier saß ich nun mitten auf der Bank an der Stelle, an der sie mich darauf gepflanzt hatte und wartete. Es war heiß und um mich herum sangen die Vögel. Aber das war etwas, auf das ich im Moment wohl nicht all zu viel Wert legte. Ich wusste nicht, warum sie so darauf bestanden hatte. Was war der Grund, aus dem sie plötzlich so alarmiert war?

Langsame, fast zu ruhige männliche Schritte, näherten sich meiner Position. Dann stand ein Mann mittleren Alters vor mir. „Ist neben Ihnen noch ein Platz frei?“, fragte seine ruhige sonore Stimme. Ich nickte lächelnd und rückte ein Stück nach links. „Halt!“,, sagte er plötzlich und zog mich am Arm etwas zurück. „Sie wären ja fast über die Kante hinaus gerutscht. Sie scheinen die Maße der Bank noch nicht zu kennen …Oh.“ Ihm war wohl erst jetzt aufgefallen, dass ich blind war.

Er setzte sich rechts neben mich und führte meine rechte Hand vorsichtig über seine Kleidung. Dabei stellte er sich mir vor: „Lomādo Baldāri.“ „Allrounder …“, begann ich, korrigierte mich aber gleich, denn ich dachte mir, dass wir im Totenreich ja sicher schließlich alle in Zivil waren. Also räusperte ich mich und fuhr fort: „Betsy Scott. Angenehm, Mr. Baldāri mit dem weichen fluffigen Anzug.“ Er lachte leise, aber für mich doch gut hörbar. „Ihr Name klingt aldanisch.“, stellte ich fest, was mir als ausgebildeter Kommunikationsoffizierin ja durchaus möglich war. „Ganz recht.“, sagte er. „Ich bin ja auch Aldaner.“ „Aber dann sind Sie ein außergewöhnliches Exemplar Ihrer Gattung.“, sagte ich. „Normalerweise sind Aldaner doch nicht so aufgeschlossen Fremden gegenüber. Meinen bisherigen Informationen nach sind Sie doch ähnlich gestrickt wie die Vulkanier, besonders, was Berührungen angeht.“ „Dann bin ich eben ein außergewöhnlicher Aldaner.“, sagte Mr. Baldāri. „Wie kamen Sie hier her.“, fragte ich. „Auf dem gleichen Wege wie Sie, denke ich.“, sagte der Telepath. „Ich wurde vom Wäscher ermordet, weil ich nicht so wollte wie er. Aber vorher habe ich ihm einen ziemlichen Kampf geliefert, Oh, ja. Ich bin mit mir sehr zufrieden. Ich wusste, dass ich gegen die Kreatur, die Sytania aus dem armen unschuldigen Nathaniel Radcliffe gemacht hat, nicht allein ankomme, aber dass ich dem Geheimdienst wohl hoffentlich wertvolles Beweismaterial liefern konnte. Zumindest dann, wenn mein Körper von einer gewissen Androidin untersucht wird und eine bestimmte demetanische Agentin die Leitung in den Ermittlungen übernimmt. Beide kennen Sytania sehr gut und es ist auch genau so eingetreten. Ich habe meinen Körper nämlich beobachtet. Ich kann Ihnen zeigen, wie das geht. Das können Sie jetzt auch, jetzt, wo Sie körperlos sind.“ „Ich glaube nicht, dass ich das verdiene, Mr. Baldāri.“, sagte ich. „Und warum nicht?“, fragte er freundlich und vermittelte mir den Eindruck, die Antwort schon längst zu kennen, mich aber prüfen zu wollen. „Weil ich diejenige bin, die, naiv wie ich war, Sytania noch dabei geholfen hat, ihr Monster zu erschaffen.“ „Faszinierend.“, sagte Lomādo. „Sie halten sich also allen Ernstes für eine böse Kreatur, der es Spaß macht, in Sytanias Namen Monster zu erschaffen.“ „Das habe ich nicht gesagt.“, verteidigte ich mich. „Sie verdrehen mir die Worte im Mund. Es war mit Sicherheit kein Spaß für mich!“ „Doch.“, widersprach er. „Genau das haben Sie gesagt. Aber Sie können nicht böse sein, wenn Sie es so sehr bereuen, etwas, das ebenfalls aus Ihren Worten hervorging.“ „Was haben Sie als Lebender gemacht?“, fragte ich. „Waren Sie Anwalt?“ „Nein.“, sagte Lomādo. „Ich war Ingenieur. Genauer Ingenieur mit Fachgebiet Positronik. Deshalb weiß ich auch ganz genau, wie Cupernicas Gehirn tickt und auf was sie achtet und wie ich sie dazu bekomme, auf gewisses zu achten.“ „Schlau und listig wie ein Demetaner.“, lobte ich. „Echt außergewöhnlich für Ihre Spezies.“ „Man tut so manches, wenn man verhindern muss, dass eine Kreatur wie Sytania gewinnt.“, sagte Lomādo. „Da springt man auch schon mal über seinen aldanischen anerzogenen immer neutralen Schatten.“ „Ui!“, brachte ich in Ermangelung der Fähigkeit zu pfeifen mein Erstaunen zum Ausdruck. „Ja, Mrs. Scott, das ist ein Verhalten meinerseits, mit dem die Geißel der Dimensionen sicher nie gerechnet hätte und an dem sie sicher noch arg zu knabbern haben wird.“

Plötzlich fiel mir ein leichter Windhauch auf, der immer wieder vor meinem Gesicht auf und ab wehte. „Benutzen Sie einen Fächer?“, fragte ich. „Nein.“, sagte Lomādo grinsend. „Aber wir haben Besuch. Strecken Sie mal Ihre Hände aus.“ Ich folgte seinem Vorschlag und bekam etwas Weiches zu fassen, das ich aber sofort vor Schreck wieder los ließ, eine kluge Entscheidung, wie sich noch herausstellen sollte. „Was war das?!“, fragte ich verunsichert. „Das weiß ich nicht.“, sagte er grinsend. Dann hörte ich, wie er jemandem oder etwas zuflüsterte: „Du solltest dich ihr mal besser von vorn präsentieren.“ „Wen meinen Sie?“, fragte ich.

Statt einer Antwort von ihm hörte ich aber nur ein Tapsen vor mir und dann legte sich ein weiches rundes Etwas auf meinem Schoß ab. Das Etwas war, wie ich herausfand, als ich es weiter betastete, der Kopf eines großen weichen Hundes, der mich stark an den Bernhardiner unserer Nachbarn erinnerte. Er hatte ein weiches dickes Fell und süße Schlappohren. Außerdem ging seine Zunge immer hin und her und machte dabei: „Schlapp, schlapp, schlapp.“ „Er mag Sie.“, sagte Baldāri, auf dessen Mühlen die Verhaltensäußerungen des Hundes offensichtlich Wasser waren. Aber nicht nur ein kleines Rinnsal, sondern wohl ein ganzer Sturzbach, wenn man seinem Grinsen nach ging. Auch ich, die ich als Hobbyverhaltensforscherin genau wusste, was das zu bedeuten hatte, musste zustimmen. „Man sagt.“, sagte Lomādo. „Tiere spüren genau, wenn jemand Böses im Schilde führt. Sagen Sie selbst, Mrs. Scott. Würde der Hund Sie mögen, wenn Sie böse wären?“ „Nein.“, antwortete ich spontan. „Sehen Sie.“, sagte er. „Sie sind genau so ein Opfer wie der, den alle als den Wäscher vom Mars bezeichnen. Es mag zwar seltsam klingen, aber die Art, auf die ich ihn bekämpft habe, sollte ihm ermöglichen, später an Hilfe zu gelangen.“ „Schon klar.“, sagte ich, der inzwischen auch die Genialität seines Plans klar geworden war. „Übrigens, Sie können mich Betsy nennen.“ „Dann sagen Sie aber auch Lomādo.“, sagte er. Das war wieder so eine für einen Aldaner ungewöhnliche Verhaltensweise.

Ich begann damit, den großen offensichtlich sehr lieben Hund zu kraulen. „Na, mein Großer?“, sagte ich. „Wo kommst du denn so mutterselenallein her?“ „Er trägt ein Halsband.“, sagte Lomādo. „Ich versuche mal was.“

Er übertrug mir die Schriftzeichen, die er auf dem Halsband erkennen konnte, telepathisch. Dabei machte er aber leider den Fehler, mir auch die Farben zeigen zu wollen, was mich total verwirrte. „Entschuldigung!“, sagte er laut, fest, aber auch mit einer gewissen Scham in der Stimme. „Ich bin untröstlich. Das wollte ich nicht. Wissen Sie, Sie müssten hier nicht blind sein, wenn Sie wollten. Aber ich denke, dass die visuellen Eindrücke sie total verwirren und überfordern würden. Tut mir leid. Ich hoffe, ich habe jetzt nicht das zerstört, was Ihr Freund mit Ihnen in Jahren mühsam aufgebaut hat, was Ihre Angst vor Telepathie angeht.“ „Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, Lomādo.“, sagte ich diplomatisch lächelnd. „Das bedeutet, dass Ihr Missgeschick sicher nicht alles zerstört hat.“ „Dann ist ja gut.“, sagte er erleichtert und atmete auf. „Ich werde mich das nächste Mal dann eben wie ein sehr disziplinierter Aldaner benehmen müssen und sehr stark selektieren, was ich Ihnen übermittle, Betsy. Einverstanden?“ „Einverstanden.“, nickte ich.

Der Hund fiepte plötzlich laut und nahm den Kopf von meinem Schoß. Dann hob er einen großen Ast mit seiner großen breiten Schnauze auf und hielt ihn mir hin. „Na, willst du spielen?“, fragte ich mit hoher leiser Stimme und einem hörbaren Lächeln im Gesicht. Auf meine Frage hin begann sein Schwanz erneut, stark zu wedeln. „Mir scheint, Sie haben einen neuen Freund gefunden.“, sagte Lomādo. „Das glaube ich auch.“, sagte ich. „Aber vielleicht ist es auch eine Freundin. Ich wäre froh, wenn ich das rauskriegen könnte, aber ich will dem armen Tier auch nicht ins Intimste fassen.“ „Verständlich.“, sagte Lomādo. „Vielleicht sollte ich mal nachsehen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.“

Gerade in diesem Moment hörte ich ein Plätschern und bekam mit, wie der Hund sein linkes Hinterbein rückwärts wegstreckte. „Alles klar.“, lächelte ich. „Ein Junge! Du bist eindeutig ein Junge! Wie du wohl heißt und wem du wohl gehörst?“

Lomādo hatte plötzlich wie versteinert neben mir gesessen und kein Wort herausgebracht. „Ist was nicht in Ordnung?“, fragte ich. „Doch.“, sagte er erstaunt. „Ich wüsste nur gern, wie Sie das jetzt gerade gemacht haben, ohne ihm an die Wäsche zu gehen.“ Das Ihm hatte er noch einmal gesondert betont. „Nun.“, klärte ich ihn auf. „Wenn Rüden sich erleichtern, bleiben sie stehen und strecken ein Bein weg. Hündinnen setzen sich. Würde sich ein Rüde setzen, würde er sich ja selbst ins Fell pinkeln und das fände er bestimmt auch nicht sehr angenehm. Dass er stand, habe ich gespürt, weil seine Wirbelsäule nach wie vor gerade durchgedrückt war. Das Wegstrecken seines Beins habe ich daran gespürt, weil sich seine linke Beckenschaufel gedreht hat. Ich hatte meine Hand gerade an seiner Hüfte.“ „Wow!“, entflog es Lomādo. „Sie sind doch nicht so eingeschränkt, wie ich zu Anfang dachte. Vieles, was Ihnen Ihre Augen nicht zeigen, zeigt Ihnen dafür eindeutig Ihre Intelligenz in Verbindung und verlässlicher Zusammenarbeit mit Ihren Händen.“ „Danke.“, sagte ich und lächelte.

Dann griff ich mir den Ast und sagte zu dem Hund: „Aus!“, worauf er ihn sofort losließ. Dann ließ ich ihn einige Male über meinem Kopf mal in die rechte und mal in die linke Hand tanzen. Auch tat ich, als wollte ich ihn werfen. Dabei sagte ich immer zu: „Pass auf! Ui, pass auf! Wo is’ er?!“ Fiepend hechelnd und wedelnd folgte der Hund jeder meiner Bewegungen mit seinen Augen und seiner Nase. Dann machte ich plötzlich: „Woush!“, und ließ den Ast fliegen, was den Hund veranlasste, freudig hinterher zu sprinten. „Ui.“, sagte Lomādo und lachte. „Sie verstehen es, mit Hunden zu spielen.“ „Das versteht sich von selbst.“, sagte ich. „Ich hatte selbst mal einen. Aber noch mal was anderes: Was war es, das Sie mir über die Schriftzeichen auf dem Halsband sagen wollten?“ „Es sind Bajoranische.“, sagte Lomādo. „Interessant.“, sagte ich, die ich noch nicht ahnte, wohin mich diese Spur noch führen sollte.

Das Rettungsshuttle war in die demetanische Atmosphäre eingeflogen und Tchey hatte Kurs in Richtung der Exo-Klinik gesetzt. Dies hatte D/4 ihrem Patienten auch gleich mitgeteilt. „Was genau ist das für eine Einrichtung, D/4?“, fragte der Alaraner. „Es handelt sich um eine Klinik, in der Wesen behandelt werden, die nicht humanoid sind.“, antwortete die Sonde wahrheitsgemäß. „Es gibt einen Teil, der von zivilem Personal und einen, der von der Sternenflotte betrieben wird. Sie werden in den letzteren Teil überstellt.“ „Interessant.“, sagte der Schmetterlingsartige mit unschuldigem Blick. „Was für ein Interesse dürfte das Militär der Föderation an einem einfachen Heraldiker wie mir haben?“ „Ein sehr Großes.“, sagte die Sonde. „Meine Scanns haben ergeben, dass Sie in Kontakt mit Logar stehen oder standen. In Ihrer Hirnrinde befinden sich genügend Hinweise auf eine telepathische Verbindung zwischen Ihnen. Logar ist der Herrscher des Dunklen Imperiums und Sie scheinen weitaus mehr, als ein einfacher Heraldiker zu sein. Ich denke, dass Sie in der aktuellen politischen Situation mehr zum Thema beitragen können, als Sie uns jetzt hier weiß machen wollen.“ „Sie und Ihre ach so guten Adleraugen, meine Liebe.“, sagte Korelem. „Ich weiß, dass Leugnen zwecklos ist, deshalb gebe ich es Ihnen gegenüber besser gleich zu. Ja, es stimmt! Ich stehe in Kontakt mit seiner Majestät. Er hat einen bestimmten Plan, was eine Erziehungsmaßnahme gegen seine Tochter angeht, die sich schon wieder ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt hat und es bestimmt noch tun wird. Aber mehr darf ich Ihnen nicht sagen.“

Er hielt einen Moment lang inne, weil er wohl eine Reaktion von ihr erwartete, aber diesen Gefallen tat ihm D/4 nicht. Vielmehr ging sie scheinbar teilnahmslos weiter ihrer Arbeit nach. „Haben Sie mir zugehört?“, fragte er schließlich. „Das habe ich.“, bestätigte die Sonde. „Dann wundert mich, warum Sie mich nicht fragen, ob Logar seine Tochter nicht allein erziehen kann, oder warum er uns Sterbliche da immer mit hineinzieht.“ „Weil mir der Grund dafür bekannt ist.“, sagte die Sonde. „Seine Majestät weiß ganz genau, dass seine Tochter uns Sterbliche immer wieder unterschätzt und deshalb um so überraschter ist, wenn wir es schaffen, einen ihrer Pläne zu durchkreuzen. Das versetzt ihr einen stärkeren psychischen Dämpfer, als das Nutzen seiner Macht es je könnte.“ „Da haben Sie ganz Recht.“, sagte der Insektoide lächelnd. „Ich wusste, wir verstehen uns.“

An einer Schleuse auf dem Dach der Klinik hatte Tchey das Shuttle gedockt, ein Vorgang, der D/4 und Korelem nicht verborgen geblieben war. „Wir sind da.“, sagte die Sonde und öffnete per Knopfdruck die innere Schleuse. Im gleichen Moment wurde auch die Äußere geöffnet und ein Demetaner in der Uniform eines Medical Assistant der Sternenflotte blickte sie fragend an. „Männlich, Mitte 40, Alaraner, Verdacht auf multiple Muskelfaserrisse in der Flugmuskulatur, Zustand: Erschöpft aber ansprechbar. Kreislauf: eingeschränkt aber stabil nach Gabe von 22 mg stabilisierender Medikation. Gleiche Menge Schmerzmittel. Hat sich mit einem See um die Leiche einer Frau duelliert, die er retten wollte.“, erklärte D/4 knapp. „Interessanter Nebenbuhler.“, scherzte der Demetaner. Dann setzte er sich an eine Transporterkonsole und ließ Korelem von der Trage des Shuttles auf eine der Klinikeigenen beamen. „Sie können abrücken, Rescue One.“, sagte er dann noch und winkte einer weiteren Person. „Danke, Medical Assistant.“, sagte die Sonde und verschwand wieder im Inneren des Shuttles, dessen Luken sich wieder schlossen. Dann summten die Atmosphärentriebwerke auf und es war verschwunden. Jetzt wurde auch die Dachluke wieder geschlossen.

Der Demetaner, ein schwarzhaariger kräftig gebauter großer Mann von ungefähr einem Meter achtzig, beugte sich erneut über den Patienten auf der Trage. „Hallo, mein Freund.“, sagte er freundlich. „Ich bin Medical Assistant Vitron. Sie müssen sich nicht mehr sorgen. Jetzt wird es Ihnen bald besser gehen.“ „Daran hege ich keine Zweifel, Medical Assistant.“, sagte Korelem.

Der medizinische Assistent erhielt eine Weisung von der Frau im Hintergrund auf Demetanisch. Darauf trat er ein Stück zurück, um ihr Platz zu machen. Jetzt trat sie in Korelems Blickfeld. Sie war ca. 1,70 m groß, hatte ein helles freundliches Gesicht und kurze brünette Haare. „Hallo. Ich bin Scientist Makrin. Ich bin Ihre behandelnde Ärztin. Ich bin auf Ihre Art spezialisiert.“, sagte sie mit ihrer zwar festen aber dennoch freundlichen hellen Stimme. „Angenehm.“, sagte er. „Mein Name ist Korelem.“ „Gut, Mr. Korelem.“, sagte Makrin. „Dann werden wir Sie gleich erst mal auf Ihr Zimmer verfrachten. Aber vorher werde ich Sie untersuchen.“

Sie zog einen Erfasser, programmierte ihn auf bestimmte Parameter und begann damit, das zylindrische Gerät über Korelems Körper zu führen. Beim betrachten des Displays verzog sich das Gesicht der brünetten kurzhaarigen Frau plötzlich von normal neutral zu sehr ernst und alarmiert. „Sofort in den OP!“, ordnete sie an. „Je eher wir handeln, desto bessere Chancen haben wir, seine Flugfähigkeit zu erhalten! Los, Vitron! Sie verständigen mir auf der Stelle das Team für Notfallanästhesie! Ich ziehe mich um und wir treffen uns vor dem Saal! Das muss jetzt alles schnell gehen! ganz schnell!“ Er nickte und begann damit, ihre Anweisungen auszuführen.

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