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Telzan und Radcliffe hatten ihren Flug und auch Nathaniels Unterricht fortgesetzt. Mittlerweile konnte der immer noch leicht verwirrte und von Sytania zutiefst enttäuschte Terraner schon ganz gut mit dem Schiff umgehen. Auch seine Krankheit hatte er in der Weise im Griff, dass er selbst genau spürte, wann ein Anfall drohte und sich selbst daher die passende Dosis seiner Medizin verabreichte.

„Sehr gut, Nathaniel El Taria!“, lobte Telzan, nachdem er zugesehen hatte, wie sich der Professor mal wieder eine Spritze gegeben hatte. Natürlich hatte Telzan ihn ebenfalls mit dem Erfasser überwacht. „Findest du wirklich?“, fragte der Professor, der wohl sehr wütend auf sich selbst war. Er konnte und wollte nicht verstehen, wie es dazu kommen konnte, dass er Sytania derart auf den Leim gegangen war. Er mochte zwar diese Anfälle bekommen und sich von Zeit zu Zeit für jemanden halten, der er nicht war, aber über alles andere sah er jetzt um so klarer. Ihm war jetzt klar, dass er für die imperianische Königstochter nichts anderes als ein Spielball gewesen war. Eine Marionette, die man benutzen und bespielen konnte, wie man wollte. Aber das war jetzt vorbei! Die Fäden, mit denen sie ihn gelenkt hatte, waren zerschnitten! Das bedeutete zwar, dass er wieder krank war, aber er war lieber krank, als das Monster, zu dem sie ihn gemacht hatte. Vielleicht würde es ja auch eine andere Möglichkeit für seine Heilung geben. Jedenfalls würde er, der sonst eigentlich nicht als sehr gläubig galt, zu allen Göttern um ebendiese beten. Von Sytania abhängig sein, das wollte er um keinen Preis der Welt mehr!

Nathaniel hatte wieder das Steuer übernommen, da sich Telzan in einen Text auf Vendarisch am zweiten Monitor vertieft hatte. „Was liest du da?“, wollte der Terraner wissen. „Das sind alle Kenntnisse, die von den Vendar durch unsere gesamte Geschichte hindurch über Geisteskrankheiten zusammengetragen wurden.“, erklärte der Vendar. „Ich suche nach Erklärungen. Unter Umständen kannst du geheilt werden, wenn ich etwas finde.“ „Falls du etwas findest.“, korrigierte Radcliffe, der den Eindruck hatte, Telzan habe sich lediglich in der Wahl des englischen Ausdrucks vertan. „Du bist immerhin kein Arzt! Von einem Psychiater ganz zu schweigen!“ „Das mag ja sein!“, entgegnete Telzan zuversichtlich und machte ein selbstbewusstes Gesicht. „Aber unter den Blinden ist der Einäugige König! Wir Vendar müssen von allem einwenig beherrschen. Außerdem habe ich schon lange die Theorie, dass sich meine Gebieterin von Anfang an bei dir eingemischt hat.“

Nathaniel schluckte. Ihm war wieder die Szene in den Sinn gekommen, in der er seinen Sohn geschlagen hatte. „Oh ja.“, bestätigte er. „Das glaube ich auch. Sie hat ja ein Geständnis abgelegt, was die Erhöhung meines Leidensdrucks angeht. Das würde wahrhaftig zu ihr passen. So könnte sie mich ja noch abhängiger von sich machen, indem ich ihre angebliche Heilung noch mehr brauche. Ich denke, dass sie mich, schon bevor sie wusste, dass ich mich von Zeit zu Zeit für Benjamin Sisko halte, als verzweifeltes und schwaches Wesen wahrgenommen hat, das sich leicht ködern lässt. Der Rest war wohl ganz einfach für sie. Immerhin ist sie omnipotent.“ „Ganz deiner Ansicht, Nathaniel El Taria.“, sagte Telzan.

Er ließ den Mishar den Bildschirm löschen und holte das Flugprogramm wieder in den Vordergrund. „Ich muss dir noch eine Prüfung abnehmen, Nathaniel El Taria.“, erklärte der Vendar. „Bevor wir den Rest unseres Plans ausführen.“ „Was für eine Prüfung wird das sein, Telzan?“, fragte Radcliffe. „Ich muss sehen, ob du mit ihr einen Warpsprung hinkriegst. Das könnte unter Umständen wichtig sein, falls du vor meinen Leuten flüchten musst. Falls Sytania mir nicht glaubt, wenn ich … Ach, das erkläre ich dir am besten später. Sonst bist du gleich viel zu unruhig und kannst dich nicht konzentrieren.“ „Was ist ein Warpsprung?“, fragte Nathaniel. „Du schaltest sie auf mein Kommando von jetzt auf gleich auf Maximum Warp.“, erklärte Telzan. „Danach bremst du sie wieder sofort auf Impuls ab. Die Sensoren unserer Schiffe haben eine Schwachstelle, musst du wissen. Sie können eine Spur, die bei einem Warpsprung entsteht, nicht wirklich verfolgen, weil die auf einmal auf sie einwirkende Strahlung zu stark ist. Das System für die Sensoren stürzt erst mal ab und die Piloten müssen einen Stopp einlegen, um es neu zu starten.“ „Danke für den Tipp.“, sagte Nathaniel. „Gern geschehen.“, erwiderte Telzan. „Und nun lass uns beginnen. Sei gewarnt! Die Zentrifugalkraft wird dich ganz schön in den Sitz pressen!“ „Können wir dem nicht mit der Gravitationskontrolle entgegenwirken?“, fragte Nathaniel. „Ich meine, ich habe keine Lust darauf, mein Mittagessen gleich wieder zu sehen. Das könnte nämlich ebenfalls eine Konsequenz sein, nicht wahr?“ „In der Tat.“, grinste Telzan, der über Nathaniels Idee erst jetzt nachgedacht hatte. „Also gut. Dann programmiere das doch gleich.“

Stolz nahm Nathaniel Zugriff auf die Umweltkontrollen des Veshel. Er war sehr erfreut über den Umstand, dass sein Fluglehrer und Krankenpfleger ihm dies zutraute. Natürlich achtete Telzan von der Nebenkonsole darauf, dass ihm kein Fehler unterlief. Die notwendigen Berechnungen hatte Nathaniel dem Schiffsrechner überlassen. Dann hatte er die Zahlen einfach in die Befehlssequenz eingegeben. „Von mir aus können wir anfangen, Telzan.“, sagte Nathaniel. „Na dann!“, erwiderte der Vendar auffordernd und klatschte in die Hände.

Nathaniel nahm Zugriff auf das Menü für die Geschwindigkeit und stellte den Cursor auf den Begriff Maximum Warp. Dann bestätigte er seine Eingabe. Alsbald gab das Veshel ein Geräusch von sich und beschleunigte. Von der durch Telzan angekündigten Zentrifugalkraft war aber, Dank Nathaniels Idee, nicht viel zu spüren. Gleich darauf schaltete er wieder auf Impuls zurück. Die bei der Bremsung entstehende Trudelbewegung glich er gekonnt mit einigen ruhigen Steuerbewegungen aus. Dabei fiel Telzan auf, dass er immer in die gleiche Richtung steuerte, in die sich das Schiff bewegte, nur waren seine Bewegungen groß, ruhig und langsam, was das Veshel sofort stabilisierte.

„Unglaublich!“, rief Telzan aus, nachdem er dies gesehen hatte. „Du bist besser als die meisten meiner Novizen es je waren! Die Meisten versuchen nämlich, auf Teufel komm heraus mit ruckartigen Bewegungen gegenzusteuern.“ „Das mag sie nicht.“, sagte Nathaniel und setzte einen kundigen Blick auf. „Das kann ich mir denken. Meine Instinkte haben mir zwar auch dazu geraten, aber ich wusste, dass ich somit nur erreichen würde, dass sie noch mehr trudelt. Am Ende wären wir vielleicht sogar noch abgestürzt, oder sie hätte sich aufs Dach gedreht. Hier ist ja Gott sei Dank nichts, auf das man stürzen könnte.“ „In der Tat.“, sagte Telzan. „Deshalb habe ich dieses Gebiet ja auch gewählt für unseren Test. Aber ich finde, du bist so weit. Behalte bitte kurz die Steuerkontrolle. Ich muss etwas holen.“

Vertrauensvoll nickte Nathaniel und schaute ihm nach, der in Richtung des Waffenschranks, der sich im hinteren Teil der Achterkabine befand, ging. Dann sah er, wie Telzan mit zwei Phasern zurückkehrte. Davon gab er ihm einen. Außerdem bekam er noch einen Erfasser und ein Handsprechgerät. Dann stellte sich Telzan ihm gegenüber hin und zielte mit seiner Waffe in seine Richtung. „Was wird das?!“, fragte Nathaniel erschrocken. „Ich werde bis drei zählen und dann werden wir aufeinander feuern.“, sagte Telzan. „Die Phaser sind beide auf Verwunden gestellt. Wenn das geschehen ist, werde ich die Rettungskapsel nehmen und wegfliegen. Du, Nathaniel El Taria, wirst die Achterkabine etwas verwüsten. Es muss aussehen, als hätten wir gekämpft und du hättest mich in einem Anfall überwältigt.“ „Das wird uns niemand glauben, auch wenn man deine Verwundung sieht.“, sagte Nathaniel. „Du bist ein Vendar! Ihr seid fünf mal so stark wie wir!“ „Aber auch wir haben hinten keine Augen, Nathaniel El Taria.“, sagte Telzan. „Außerdem sollte dir bekannt sein, dass Geisteskranke mit unter bei ihren Anfällen unglaubliche Kräfte entwickeln können.“ „Ich schieße dir also in den Rücken?“, fragte Nathaniel. „In der Tat.“, sagte Telzan. „Wenn ich gezählt habe, schieße ich auf dich und drehe mich dann ganz schnell um. Dann musst du sofort feuern!“

Er ging zum Computermikrofon und gab einige Befehle auf Vendarisch ein. „Sobald ich weg bin.“, erklärte er. „Wird sie dich direkt in deine Heimat bringen. Sie wird dich erst wieder steuern lassen, wenn ihr in der terranischen Umlaufbahn angekommen seid.“ „Verstanden.“, sagte Nathaniel. „Aber muss ich wirklich auf dich schießen?“ „Es muss sein, wenn wir ein glaubwürdiges Bild abgeben wollen, Nathaniel El Taria!“, ermahnte ihn Telzan. „Du hast schon Schlimmeres getan! Da fällt das sicher nicht ins Gewicht!“ „Also gut.“, sagte Radcliffe, der genau wusste, wovon er geredet hatte.

Auch er nahm jetzt seinen Phaser auf. „Ich bin bereit.“, sagte er. „Also dann!“, sagte Telzan und zählte: „Eins, zwei, drei!“ Dann feuerte er auf Nathaniel und drehte sich um, was den Professor veranlasste, seinerseits zu feuern. „Sehr gut.“, stöhnte Telzan und griff sich an sein schmerzendes rechtes Schulterblatt. Dann ging er. Das Letzte, was Nathaniel von ihm sah, war sein blutüberströmter Rücken und wie er in die Rettungskapsel wankte. Er selbst war zunächst durch den Schock bedingt wohl immun gegen die eigenen Schmerzen gewesen, obwohl ihm Telzan einen ziemlichen Treffer in die linke Seite verpasst hatte. Aber bei Gelegenheit würde er das schon mit der medizinischen Ausrüstung behandeln.

Den Start der Rettungskapsel bekam er nur am Rande mit. Zu tief saß der Schreck darüber, dass er schon wieder jemanden verletzt hatte. Aber auch sein Schiff ging automatisch auf Warp und flog seiner Wege. Spätestens jetzt wusste Nathaniel, dass es keinen anderen Weg gab, als den Plan in Telzans Weise zu Ende auszuführen.

Ein anderer Vendar hatte zur gleichen Zeit gerade eine Unterredung mit seiner tindaranischen Vorgesetzten, die ihn in ihren Bereitschaftsraum zitiert hatte. „Habe ich etwas angestellt, Anführerin?“, wollte Joran wissen. „Nein, das hast du nicht.“, erwiderte die Tindaranerin, was ihn erleichtert aufatmen ließ. „Wir benötigen nur deine Expertise. Es ist nämlich etwas geschehen, bei dem nur du uns helfen kannst.“

Joran sah sie abwartend an. „Worum geht es denn?“, fragte er schließlich. „Du bist sonst eigentlich nicht dafür bekannt, dass du wie eine terranische Katze um den heißen Brei schleichst, Anführerin Zirell El Tindara.“ „Das stimmt.“, sagte die Tindaranerin und dachte nach. „Wie erkläre ich es dir, ohne dass du womöglich …“ „Sag es doch einfach.“, versuchte Joran, sie zu ermutigen. „Setz dich.“, sagte Zirell, die genau wusste, dass ein eventueller Streich seiner ehemaligen Gebieterin Joran ziemlich auf die Palme bringen konnte. Vor allem dann, wenn eine oder mehrere unschuldige Spezies darunter leiden würden. Sie wusste, dass Joran dann oft nicht gerade diplomatische Töne angeschlagen hatte, um der Spezies zu verdeutlichen, auf was sie hereingefallen war. In diesem Fall jedoch benötigte sie jemanden mit Fingerspitzengefühl, denn nach Darells Einlassung bezüglich des bajoranischen Militärs befürchtete sie, dass Joran auf einen Bajoraner treffen könnte, den die Nachricht, seine Götter könnten von Sytania belästigt werden, in eine tiefe Glaubenskrise stürzen könnte.

Zirell gab sich selbst einen Ruck. Dann sagte sie leise: „Es geht um deine ehemalige Gebieterin. Sie hat wohl etwas getan, oder wird es noch tun, das mit den bajoranischen Propheten zu tun hat. Der Kai von Bajor hat es in einer Vision gesehen. Die hat ihn ziemlich beunruhigt. Er ist auf 282 Alpha. Maron wird ihn noch vernehmen, wenn sein medizinischer Zustand das zulässt. Stell dir vor! Er musste sich schmuggeln, denn sonst wäre alles an die Öffentlichkeit …“ „Ich verstehe!“, fiel ihr Joran energisch ins Wort. „Schließlich sprichst du gerade mit Joran Ed Namach, deinem besten Strategen, wenn es um Sytania geht. Ich kenne sie in- und auswendig und weiß, dass sie vor nichts zurückschrecken würde. Ich werde schon herausfinden, was sie wieder im Schilde führt!“ „Pass aber auf, was du tust und vor allem, was du sagst.“, sagte die Kommandantin. „Du könntest auf einen Bajoraner treffen, der …“ „Ich verstehe dich!“, bekräftigte Joran. „Glaub mir! Ich werde keine seinen Glauben erschütternden Äußerungen von mir geben! Ich will tot umfallen, wenn ich es doch tue, das schwöre ich dir! Alle Götter mögen meine Zeugen sein!“ „Pass auf, was du schwörst, Joran.“, warnte Zirell. Dann wandte er sich zum Gehen und Zirell nickte bestätigend.

Im Maschinenraum waren Jenna und Shannon mit der Wartung des neuen Schiffes beschäftigt, als der Vendar eintraf. „Hi, Grizzly!“, grinste ihm die blonde Irin zu. „Ich grüße dich, Shannon O’Riley.“, sagte er. Dann ging er weiter und lächelte Jenna zu, die gerade aus IDUSAs Cockpit kam. „Ist sie bereit, Telshanach?“, fragte er seine Freundin zärtlich. „So bereit, wie sie nur sein kann.“, antwortete die hochintelligente Halbschottin. „Sie hat mich sogar gebeten, dir auszurichten, dass sie sich darauf freut, gemeinsam mit dir Sytania zu entlarven.“ „Ich dachte, künstliche Intelligenzen sind zur Empfindung von Emotionen nicht fähig, Telshanach.“, wunderte sich Joran. „Das ist sie auch sicher nicht.“, erklärte Jenna. „Aber ihr Avatar kann die Reaktionen simulieren.“ „Das ist wohl noch so ein Unterschied zwischen ihr und der alten IDUSA.“, stellte Joran fest. „Unsere andere IDUSA macht uns nämlich immer auf den Umstand aufmerksam, dass sie nichts fühlen kann.“ Jenna nickte bestätigend.

Der Vendar ging an ihr vorbei in Richtung der Luke, die ihn ins Cockpit führte. „Tritt Sytania von mir anständig in den Arsch, Grizzly!“, rief ihm Shannon noch hinterher. „Ich werde mir die größte Mühe geben, Shannon O’Riley!“, gab Joran zurück. „Gute Jagd, Telshan!“, wünschte Jenna. „Danke, Telshanach!“, sagte Joran und befahl IDUSA, die Luke zu schließen. Dann starteten sie in Richtung Föderationsuniversum.

Dort, in der Gerichtsmedizin von Little Federation, waren Cupernica und Oxilon immer noch mit meiner Untersuchung beschäftigt. Die Androidin hatte ihren Untergebenen angewiesen, mit dem chirurgischen Transporter Proben aus meinen Organen zu entnehmen und sie in Röhrchen zu lagern. Später, wenn es notwendig werden sollte, würde sie sich die Ergebnisse ansehen. Allerdings sollte es auch Oxilon sein, dem etwas Entscheidendes auffiel. Er hatte gerade meinen Magen gescannt, als er etwas bemerkte, das wie eine Energiesignatur aussehen konnte. Sofort drehte er sich seiner Vorgesetzten zu, die an einem anderen Arbeitstisch stand und zeigte ihr den Erfasser. „Was halten Sie davon, Cupernica?“, fragte Oxilon. Wortlos nahm ihm die Androidin das Gerät ab und betrachtete das Display. „Sie haben Recht.“, stellte sie fest. „Es könnte sich tatsächlich um eine so genannte Negativsignatur handeln. Am besten wird sein, Sie geben sofort Agent Sedrin Bescheid! Sollte Agent Peters den Ruf beantworten, bestehen Sie darauf, mit Sedrin sprechen zu wollen! Sollte sie nicht anwesend sein, verschieben Sie das Gespräch!“, ordnete Cupernica an. „Warum darf ich nicht mit Agent Peters darüber reden, Madam?“, fragte Oxilon. „Ich meine, er ist schließlich ihr Partner.“ „Weil dies ein Fund ist, Medical Assistant, den nur sie fachlich beurteilen kann.“, erklärte die Befragte. „Es hat ähnliche Situationen des Öfteren schon während unseres gemeinsamen Dienstes unter Huxley gegeben und deshalb bestehe ich darauf, dass erst mal nur unser Agent von der Sache erfährt. Peters wird das Ganze nicht entsprechend interpretieren können.“ „Also gut.“, sagte der medizinische Assistent, der ihr durchaus glaubte, wenn sie ihm so etwas sagte. Sie hatte ein Gedächtnis wie der Schiffscomputer, eine Datenbank, in der nicht so schnell etwas verloren ging wie in einem biologischen Gedächtnis. Wenn sie also durch einen Vergleich die Situation so erkannt hatte, dann musste es wohl auch so sein.

Er ging zur Sprechanlage und gab das Rufzeichen von Sedrins Büro ein. Tatsächlich meldete sich Peters am anderen Ende der Verbindung: „Hier Agent Peters!“ „Agent Peters.“, begann Oxilon. „Hier spricht Medical Assistant Oxilon. Ist Ihre Partnerin zu sprechen? Es geht um die Ergebnisse von Allrounder Betsy Scotts Untersuchung.“ „Sie ist sich gerade einen Kaffee holen.“, sagte Peters. „Aber Sie können das doch sicher auch mit mir besprechen, Oxilon.“ „Tut mir leid.“, sagte der Talaxianer, der ja von seiner Vorgesetzten ganz klare Anweisungen bezüglich seines Vorgehens bekommen hatte. „Scientist Cupernica besteht darauf, das Ganze nur mit Ihrer Partnerin zu besprechen.“ „Dann geben Sie mir bitte Ihre Vorgesetzte.“, sagte Peters. „Sedrin und ich ermitteln schließlich beide in diesem Fall und ich sehe keinen Grund dafür, warum Sie beide mir Informationen vorenthalten sollten. Aber wenn Ihre Vorgesetzte meint, dann soll sie mir den Grund selbst verraten.“

Hilflos sah Oxilon zu Cupernica hinüber, die sich plötzlich sehr stark in die Arbeit vertiefte. Diesen Wink verstand der clevere Talaxianer durchaus. „Sie ist sehr beschäftigt, Mr. Peters.“, bedauerte Oxilon.

Im gleichen Moment betrat Sedrin ihr Büro, was Oxilons Ohren über die Sprechanlage, die Peters wohl auf Freisprechen geschaltet hatte, nicht entgangen war. Die Demetanerin sah sofort am Rufzeichen im Display, was los sein musste. Sofort nahm sie ihrem Partner das Mikrofon ab: „Gib her!“ Dann räusperte sie sich und fragte: „Was gibt es, Mr. Oxilon?“ „Agent, Scientist Cupernica und ich haben Ergebnisse für Sie, die nur Sie sehen sollten.“, erwiderte der aufgeregte Talaxianer. „Ich bin auf dem Weg.“, sagte Sedrin und hängte das Mikrofon ein. Sie wusste genau, wenn Oxilon so etwas sagte, duldete die Situation keinen Aufschub.

Die demetanische Agentin wandte sich in Richtung Tür. „Ich muss gehen, Karl!“, sagte sie mit leicht alarmierter Stimme. Sie ahnte wohl schon, was auf sie zukommen könnte. „Halte du hier so lange die Stellung.“ „Wie du willst.“, sagte der deutschstämmige Terraner und setzte sich an den Schreibtisch, während sie aus dem Zimmer ging.

Zur gleichen Zeit hatten sich Jasmin und Ginalla im Hinterzimmer der Kneipe getroffen, um gemeinsam über das weitere Vorgehen zu beraten. Shimars Rat folgend hatte sich die Auszubildende tatsächlich an ihre Chefin gewandt und mit ihr besprochen, was sie gesehen hatte. „Das muss sofort dem Geheimdienst gemeldet werden!“, entschied Ginalla. „Hier stimmt echt was nich’. Das sagt mir meine dicke Nase!“

Sie ging zum Terminal für das Sprechgerät und betätigte die Notruftaste. „Bist du sicher, Ginalla, dass wir das wirklich über den Notruf abwickeln sollten?“, fragte die Jugendliche vorsichtig. „Wieso nich’.“, flapste ihr Ginalla entgegen. „Die ganze Sache stinkt so was von zum Himmel, dass der Geheimdienst froh sein sollte, so ’ne schöne Info auf dem Silbertablett serviert zu kriegen. Über den Notruf wird man zumindest bevorzugt behandelt.“ „Ich wusste gar nicht, dass du so abgebrüht sein kannst, Ginalla.“, sagte Jasmin mit einer Mischung aus Bewunderung und Angst in der Stimme.

Kelly beantwortete den Ruf: „Hier ist die Notrufzentrale von Polizei, Rettung und Geheimdienst in Little Federation. Sie sprechen mit Kelly Davis.“ „Hi auch.“, flapste Ginalla. „Mein werter Name is’ Ginalla und ich hab’ ’n paar heiße Infos für die Agenten! Wär’s möglich, einen ans Rohr zu kriegen?“ „Dann verbinde ich Sie am besten mal mit Agent Sedrins und Agent Peters’ Büro.“, lächelte Kelly zurück. „Einen kurzen Augenblick Geduld bitte.“ „OK.“, meinte Ginalla und wartete ab. Zu Jasmin murmelte sie nur: „Die muss früher mal Toilettenfrau gewesen sein. Die is’ ja so scheißfreundlich!“ Das Mädchen, das bis dahin ein angespanntes Gesicht gemacht hatte, musste lachen. „Na siehst du.“, sagte Ginalla. „Genau das wollte ich erreichen.“

Peters nahm Kellys Ruf im Büro entgegen. „Was gibt es denn, Kelly?“, fragte er. „Ich habe eine Zeugin Namens Ginalla für Sie, Agent.“, sagte die Vermittlerin. „Sie sagt, es sei wohl sehr dringend. Ich muss Sie vorwarnen. Sie hat eine sehr burschikose Ausdrucksweise.“ „Danke, Kelly.“, sagte Peters. „Stellen Sie durch!“ „Ja, Agent.“, erwiderte Davis und ging aus der Leitung.

Nun war ihr Gesicht dem von Ginalla auf dem Schirm gewichen. Aufgrund seiner angeborenen deutschen Gründlichkeit hatte Peters sofort, als er dieses sah, den Rechner die Datenbank für Vorstrafen nach ihrem Namen absuchen lassen. Das Gerät war aufgrund von Ginallas Vergangenheit tatsächlich fündig geworden und hatte einiges ausgespuckt. Aber das waren nur kleine Betrügereien, Mundraub und kleine Diebstähle gewesen. Trotzdem stand Peters’ Meinung jetzt schon felsenfest, was den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage anging, noch bevor sie diese überhaupt ansatzweise getätigt hatte.

Der Agent versuchte zunächst, sich nichts anmerken zu lassen, als er sagte: „Was können Sie uns denn sagen, Mrs. Ginalla? Und um welchen Fall geht es überhaupt?“ „Es geht um die Leiche, die Sie gerade frisch reingekriegt haben, Agent Peters!“, sagte Ginalla flapsig. „Ich weiß, dass jemand den guten Allrounder ermordet hat! Ja, das weiß ich so sicher wie das Amen in der Kirche. Erst mal geht wohl keiner mitten in der Nacht baden und zum zweiten entwickelt ’n See nich’ von jetzt auf gleich ’ne Unterströmung, die es sonst noch nie gegeben hat! Der See gehört nämlich mir, genau wie die Kneipe, zu der er gehört und ich weiß genau, mein See macht so was nich’! Außerdem wacht ja wohl jeder spätestens dann auf, wenn er ertrinkt. Aber Betsy is’ nich’ aufgewacht. Das heißt für mich, sie stand unter fremdem geistigen Einfluss. Ich kann mir auch schon denken, wer das war! Sytania war’s! Wollen wir wetten?!“ „Ich wette grundsätzlich nicht mit Zeugen!“, entgegnete Peters. „Aber das, was Sie mir hier gerade geschildert haben, muss auf jeden Fall bewiesen werden, Mrs. Ginalla. So einfach eine so mächtige Person wie Sytania zu beschuldigen, halte ich unter diesen Umständen für verfrüht. Aber ich weiß, dass Sie auch kein unbeschriebenes Blatt sind, meine Liebe. Ich habe hier nämlich Ihre Vorstrafen und es sieht nicht gut für Sie aus. Ich traue Ihnen durchaus zu, dass Sie uns in einen Krieg mit dem Dunklen Imperium manövrieren wollen, um irgendeine betrügerische Absicht zu verwirklichen. Ich glaube Ihnen kein Wort, Ginalla! Kein Einziges! Schließlich haben Sie sich eine ganze Weile lang durch ihr Leben gelogen, betrogen und gestohlen, dass es nur so krachte!“ „Das war vor meiner Begegnung mit einem gewissen Tindaraner.“, verteidigte sich Ginalla. „Seitdem bin ich geläutert! Meine Aktionen damals waren ein Protest und ein Hilferuf, weil ich das mit der Föderation als Kind komplett in den falschen Hals gekriegt habe. Aber er hat mir geholfen und seitdem bin ich eine ehrliche Bürgerin wie Sie auch! Ich habe sogar eine Leumundszeugin. Sie ist mit ihrer Familie hier. Ihr Name is’ N’Cara Tamin. Sie hat alles mitgekriegt, was die Sache mit Shimar angeht!“ „Sie sollten sich schämen, sich mit einem unbescholtenen Mann wie mir zu vergleichen!“, wurde Peters ausfallend. „Die Aussage von so einer wie Ihnen ist keinen Pfifferling wert! Sie steht sogar noch unter der einer risanischen Straßendirne!“

Diese Beleidigung war zu viel für Ginalla. Sie beendete wortlos die Verbindung und warf das Mikrofon in die Ecke. „Das kann doch nichts dafür, Ginalla.“, sagte Jasmin tröstend. „Nein!“, sagte Ginalla mürrisch und zog es am Kabel wieder heran, um es ordnungsgemäß in der Halterung zu verstauen, nachdem sie seine Funktionalität überprüft hatte. „Das hält was aus!“, stellte sie fest. „Das ist echte celsianische Wertarbeit!“

„Und was machen wir jetzt?“, fragte Jasmin. „Jetzt gehe ich mit der Aussage zu den Genesianern!“, sagte Ginalla wütend. „Wenn uns schon die Föderation nicht helfen will, dann vielleicht ihre Feinde!“ „Willst du mit deiner Provokation einen Krieg auslösen?!“, fragte die erschrockene Jugendliche. „Wenn’s sein muss!“, antwortete Ginalla. „Die müssen endlich aufwachen! Ich übergebe dir den Betrieb hier!“ „Aber ich bin doch noch ein Lehrling.“, sagte die überraschte Jasmin. „Was ist, wenn ich etwas nicht weiß?“ „Dann fragst du deine Kollegen!“, ordnete Ginalla an. „Die werden dir schon nich’ den Kopf abreißen. Wir sind ja alles zivilisierte Leute. Und jetzt entschuldige mich! Ich muss mein Schiff kontakten!“ „Dein was?“, fragte Jasmin verwirrt, die von Ginallas Vergangenheit nur sehr wenig wusste. Aber dazu, ihr zu antworten, kam die Celsianerin nicht mehr, denn im gleichen Moment wurde sie von einem Transporter erfasst und fand sich gleich darauf in Kamurus’ Cockpit wieder. Das Schiff musste alles beobachtet haben. Sofort setzte die junge Celsianerin den vor ihr liegenden Neurokoppler auf und wartete ab, bis Kamurus ihre Tabelle geladen hatte. „Mann, hab’ ich ein Schwein, dass du schon da bist, Kamurus!“, begrüßte sie den Avatar ihres Schiffes. „Auf jetzt! Ab nach Genesia Prime!“ „Nicht so schnell.“, bremste Kamurus sie. „Ich habe dich eigentlich abholen wollen, weil ich dich auch noch um einen Gefallen bitten möchte. Bei mir zu Hause gibt es jemanden, die mit einem zerstörten Antrieb im Dock liegt. Es ist Lycira, Allrounder Betsys Schiff. Man hat ihr ganz schön zugesetzt. Meine Leute konnten ihr das Leben retten, aber sie ist total bewegungsunfähig. Reparieren können wir sie nicht. Dazu benötigen wir deine Hilfe. Bitte, Ginalla. Ich denke, sie weiß etwas, das Sytania oder irgendwem nicht gepasst hat. Deshalb wollte man sie zerstören. Bitte, Ginalla!“ „Also gut.“, sagte die junge Celsianerin, in deren Kerbe seine Argumentation durchaus schlug. „Dann hilft jetzt erst mal eine Zeugin der anderen. Also dann! Auf in deine Dimension! Wir müssen ohnehin noch Pläne machen und das geht am besten unterwegs. Ich hab’ dir nämlich noch einiges zu erzählen.“ „OK, Ginalla.“, sagte der Avatar erleichtert und das Schiff verließ die Umlaufbahn des Planeten Celsius.

Telzan hatte seine Wunde notdürftig behandelt und die im Vergleich mit dem Schiff, das er Radcliffe überlassen hatte, langsame Rettungskapsel durch die Wirbel geflogen. Er war ein geübter Pilot und somit war ihm das nicht weiter schwer gefallen, obwohl die Kapsel bei Weitem nicht so manövrierfähig wie das Veshel war. Aber um seine Geschichte einigermaßen aufrecht zu erhalten, musste jedes Detail stimmen und sie hätten die Schiffe auf keinen Fall tauschen dürfen. Radcliffe war Anfänger und so war es besser, ihm das bessere und leichter zu bedienende Schiff zu überlassen. Außerdem musste es ja so aussehen, als sei Radcliffe als Sieger aus dem Kampf zwischen den Männern hervorgegangen und der Sieger bekam bekanntlich immer das Bessere. Es war ja schon ein Problem, dass er Sytania nicht vorlügen konnte, Radcliffe sei tot, denn das würde die omnipotente Königstochter ja ganz schnell überprüfen können und dann würde sie wissen, dass er versucht hatte, sie hereinzulegen. Telzan musste also ein Lügengebäude aufbauen, das ihrer Prüfung in jedem Fall standhalten würde.

Jetzt jedenfalls steuerte er die heimatlichen Gefilde an und landete die Kapsel auf dem Raumflughafen seiner Garnison. Hier erwartete ihn bereits Cirnach, die seinen Einflug auch am Monitor überwacht hatte. Obwohl er ihr durchaus die Wahrheit hätte erzählen können, hielt er es für besser, ihr auch eine Lügengeschichte aufzutischen, denn im Falle einer telepathischen Überprüfung durch Sytania war das in jedem Fall wohl besser. Was sie nicht wusste, konnte Cirnach auch nicht unbewusst verraten.

Er stieg aus der Kapsel und hielt sich seine noch immer stark schmerzende Schulter. „Was ist dir geschehen, mein armer Ehemann.“, fragte die Vendar und sah ihn mitleidig an. „Was mir geschehen ist?“, fragte Telzan und stützte sich an der Hülle der Kapsel kurz ab. „Ob du es glaubst, oder auch nicht, Telshanach.“, log er. „Nathaniel El Taria hat mich überwältigt, während er einen Anfall hatte. Er hat sich eine Waffe genommen und auf mich geschossen und zwar von hinten.“ „Was ist dann passiert?“, fragte Cirnach, die inzwischen einen Blick durch die noch immer halboffene Luke der Kapsel werfen konnte. „Wie ich sehe, ist er nicht mehr bei dir.“ „Nein.“, sagte Telzan. „Er hat mich so getroffen, dass ich meinen Schussarm nicht mehr bewegen konnte. Bevor ich mich also wehren konnte, hat er das Veshel genommen und ist damit weggeflogen. Mir blieb nur die Rettungskapsel, in die er mich gezwungen hat zu steigen. Die Götter mögen wissen, wo er jetzt ist. Ich konnte ihm nicht folgen, weil er seine Warpsignatur maskiert hat. Ich habe keine Ahnung, woher er das notwendige Wissen hatte. Sytania hat ihm doch alle Fähigkeiten wieder genommen, die …“ „Du weißt, dass er die Reinkarnation von Benjamin Sisko El Taria ist.“, vermutete seine Frau. „Wer weiß, wie viel von dessen Wissen tatsächlich noch in ihm steckt. Wenn er kurz vorher einen Anfall hatte, ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass er dieses Wissen allein dadurch erlangt hat.“ „Du könntest Recht haben, Cirnach, meine kluge schöne Cirnach.“, sagte Telzan. Dann gab er einen Laut von sich und verzerrte sein Gesicht schmerzlich. „Komm mit mir, Telzan.“, sagte Cirnach mitleidig. „Ich werde dich erst einmal behandeln.“ Telzan nickte und folgte ihr.

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