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Mit einem medizinischen Problem ganz anderer Natur musste sich jetzt auch Sedrin beschäftigen, die inzwischen die gerichtsmedizinische Abteilung betreten hatte. Hier suchte sie gleich wieder nach Cupernica, der sie an einem Seziertisch ansichtig wurde. „Was haben wir hier, Scientist?!“, fragte die Agentin energisch. „Nun.“, begann die Androidin. „Dies sind die medizinischen Werte von Allrounder Betsy Scott. Ich bin sicher, dass ihr Tod keine natürliche Ursache hatte.“ „So weit war ich auch schon, Cupernica.“, sagte die Demetanerin. „Da erzählen Sie mir mit Sicherheit nichts Neues. Aber was haben Oxilon und Sie denn nun festgestellt, das so brisant ist, dass Sie es nur mir mitteilen können?“

Cupernica winkte ihrem Assistenten und der Talaxianer holte sofort seinen Erfasser, auf dessen Bildschirm immer noch das Bild von der Negativsignatur zu sehen war. „Ich habe so etwas schon einmal gesehen.“, gab Sedrin zu. „Ich kann mich aber im Moment nicht wirklich erinnern, bei welcher Gelegenheit …“ „Es gab während unserer gemeinsamen Dienstzeit auf Huxleys Schiff diverse Gelegenheiten, bei denen Sie so etwas gesehen haben könnten, Agent.“, erklärte die Androidin. „Speziell dann, wenn Sytania versucht hat, ihre Spuren zu verwischen. Eine Negativsignatur entsteht nämlich immer dann, wenn durch die Einwirkung von Energie Materie entnommen wird. Eine Negativsignatur ist nämlich nichts anderes, als ein energetischer Sog.“ „Das kann ich mir denken, Scientist.“, sagte Sedrin. „Können Sie die Signatur zuordnen?“ „Bedauerlicherweise nicht.“, sagte Cupernica und setzte einen traurigen Blick auf. „Dazu ist sie leider bereits viel zu sehr zerfallen. Ich weiß, dass wir schon weitaus schlechtere Signaturen gesehen haben und sie immer Sytania zugeordnet haben, was sich in der damaligen Situation auch in 100 % der Fälle als richtig erwiesen hat. Aber damals waren wir gezwungen, selbst zu entscheiden und schnell zu entscheiden. Heute, wo zumindest theoretisch die Möglichkeit besteht, ein Gericht anzurufen, dürfen wir nicht einfach nur aufgrund eines Indizes jemanden vorschnell aburteilen. Natürlich weiß ich, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass es sich hierbei tatsächlich um eine Signatur von Sytania handelt. Aber das ist nun einmal nur eine Wahrscheinlichkeit. Auch für Sytania gilt die Unschuldsvermutung, wenn es hart auf hart käme. Und, ich muss ehrlich zu Ihnen sein, es sähe für uns nicht sehr gut aus. Allein auf diesem Rest einer Signatur könnten wir keinen Prozess oder keine Verhaftung aufbauen. Wenn der Erfasser oder ich 100 % sicher wären, dass es sich bei dieser Signatur um eine von Sytania handelt, dann stünde hier im Display jetzt ihr Name und es wäre kein fragmentarisches Wellenmuster zu sehen.“ „Verdammt!“, fluchte Sedrin leise. „Dies ist genau der Grund, aus dem ich nur Sie herbestellt habe, Agent.“, sagte Cupernica. „Bei Ihnen bin ich mir sicher, dass Sie unser Dilemma verstehen.“ „Das tue ich.“, sagte Sedrin. „Wir sind also im Prinzip erst mal nicht schlauer als am Anfang. Wenn sich keine Zeugen finden, dann …“ „Exakt.“, sagte die künstliche Lebensform. „Wenn sich keine Zeugen finden, werden wir wohl nur schwerlich eine Handhabe gegen Sytania bekommen. Leider kann ich auch nicht feststellen, was Sytania entfernt haben könnte, weil die Signatur dazu auch nicht ausreichend ist.“

Sie winkte ihrem Assistenten erneut und ordnete an: „ Mr. Oxilon, bitte holen Sie die Probe aus dem Magen des Allrounders!“ „Was kommt jetzt, Scientist?“, fragte Sedrin und wurde blass. „Ich habe gerade gefrühstückt.“ „Keine Sorge.“, tröstete Cupernica. „Sie werden schon keine unangenehmen Details zu sehen bekommen. Ich möchte Ihnen nur etwas anhand eines Scans demonstrieren.“

Oxilon war mit dem Röhrchen zurückgekehrt und legte es vor seiner Vorgesetzten auf dem Tisch ab. Dann gab er ihr seinen Erfasser. Natürlich benötigte Cupernica das Gerät an sich nicht, aber wenn sie jemandem anders etwas zeigen wollte, war es doch schon von Nöten.

Sie hielt das Gerät über das Röhrchen und veranlasste einen Scan nach Energiesignaturen. Dann hielt sie es der Agentin hin. „Sie sehen, Agent Sedrin.“, begann sie einen Vortrag. „Auch diese Signatur ist zerfallen. Ich nehme an, dass die Umgebung, in der man den Allrounder gefunden hat, ihren Teil dazu beigetragen hat. Laut Aussage der Crew von Rescue One wurde sie ja in einem celsianischen See gefunden, auf dessen Grund es Steine gibt, die Energie absorbieren. Wenn das Gleiche mit der Energie geschehen ist, die, was immer sie auch für ein Gift im Magen hatte, es entfernt hat, dann können wir leider heute nichts mehr nachweisen. Wie gesagt, unsere Erfahrung und Ihr Bauchgefühl, Agent, mögen uns zu 100 % sagen, dass dies hier auf Sytanias Konto geht, aber das ist nun einmal kein juristisch gültiger Beweis.“ „Da stimme ich Ihnen durchaus zu.“, antwortete die Demetanerin mit enttäuschtem Blick. „Das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann.“, fuhr Cupernica fort. „Ist, Dass sie mit Sicherheit Schlaf gewandelt ist. Ihre Serotoninwerte weisen eindeutig darauf hin und sie hat sehr viel Wasser in den Lungen. Das bedeutet, sie muss es mehr oder minder mit Absicht eingeatmet haben.“ „Moment mal.“, sagte die Agentin. „Allrounder Betsy Scott ist kein Fisch! Warum sollte sie mit Absicht Wasser einatmen?!“ „Ich sagte mehr oder minder, Agent.“, sagte die Androidin. „Sie haben Recht, Agent. Normalerweise kann ihr Atmungssystem Wasser nicht verarbeiten. Das wäre eigentlich auch der Grund, aus dem ihr Gehirn Alarm schlagen müsste und sie wecken würde. Aber das ist offensichtlich nicht geschehen, was mich darauf bringt, dass jemand oder etwas diese Instinkte mit einem hypnotischen Befehl überbrückt haben könnte. Da der Allrounder aber keine Selbstmordkandidatin ist, wäre sie sicher im Normalfall aufgewacht, außer, man hilft mit einer Droge nach. Diese Droge ist aber nicht mehr nachweisbar. Die Energiesignatur, die sich auch in der Probe aus ihrem Magen fortsetzt, weist aber darauf hin, dass sie entfernt wurde.“ „Hypnotische Befehle, Energiesignaturen!“, sagte Sedrin leicht verärgert. „Das alles weist doch auf Sytania hin, wenn sie mich fragen!“ „Für uns beide schon.“, sagte Cupernica. „Aber der Chief-Agent und auch alle Juristen würden uns die Indizienkette in der Luft zerreißen, solange sie nicht durch die Aussage von Zeugen untermauert wird. Gerade in diesen Zeiten und gerade unter diesen Umständen. Sie wissen, wie konfliktscheu die Regierung und auch der Chief-Agent geworden sind.“ „Oh ja.“, sagte Sedrin. „Das weiß ich nur zur Genüge. Das haben wir alles dem Wäscher vom Mars zu verdanken, wie ihn die Presse nach seinem Angriff auf die Kolonie betitelt hat. Allerdings haben wir lange nichts mehr von ihm gehört. Ich bin mal neugierig, was da passiert ist!“ „Ich bin sicher.“, sagte Cupernica. „Dass er sein Ziel erreicht hat. Es sind genug Schlüsselfiguren aus Politik, Wissenschaft und Sternenflotte seine Opfer geworden.“ „Sie könnten Recht haben, Cupernica.“, sagte Sedrin. „Und, wenn er tatsächlich für Sytania arbeitet, dann wird das sicher mit einem neuen Eroberungsfeldzug zusammenhängen, den sie plant.“ „Wenn das der Fall ist.“, sagte die Androidin. „Dann sollten Sie zu allen Göttern beten, die Sie kennen.“ „Das werde ich.“, sagte Sedrin. „Darauf können Sie sich verlassen. Aber jetzt werde ich erst einmal wieder in mein Büro gehen. Ich muss schließlich Ihre Funde und Ihre Aussage protokollieren. Was für ein Jammer, dass wir noch nicht einmal die Droge nachweisen können, die Sytania benutzt hat, um …“ „Wahrscheinlicher ist es, dass sie einen Komplizen hatte, der dem ahnungslosen Allrounder die Droge verabreicht hat.“, sagte Cupernica. „Und ich denke, wir wissen auch schon, wer das gewesen sein könnte.“ „Sie denken an den Wäscher?!“, vergewisserte sich die Agentin, die durchaus die gleiche Theorie wie Cupernica verfolgte. „Bestätigt.“, nickte die künstliche Intelligenz. „Der Wäscher scheint in hohem Maße von Sytania abhängig zu sein. Deshalb halte ich auch für möglich, dass er für sie einen Mord begeht, oder, wie in diesem Fall, einen vorbereitet. Er könnte ihr also tatsächlich die Droge verabreicht haben.“ „Aber welche Droge kann das sein, Scientist?“, fragte Sedrin. „Was hatte sie denn genau im Magen?“ „Nun.“, sagte die über ihr Verhalten etwas überraschte Androidin. Sie war erstaunt über den Umstand, dass Sedrin jetzt offensichtlich so genau über eine Sache Bescheid wissen wollte, über die sie noch gerade erst eine Erklärung stringent verneint hatte. „Es sieht aus, als hätte der Allrounder vor ihrem Tod noch einen kleinen Mitternachtsimbiss zu sich genommen.“, sagte Cupernica. „In ihrem Magen befanden sich demetanischer Sommerfruchttee und einige Schokoladenkekse.“

„Schokoladenkekse und Sommerfruchttee.“, überlegte die Agentin. „Süß, Marzipan, imperianischer Schlafwurz! Er würde zumindest geschmacklich dazu passen und sie würde ihn nicht herausschmecken. Sie hat keine Einstichstellen, nicht wahr?“ „Korrekt.“, antwortete die Androidin. „Dann muss sie die Droge also oral eingenommen haben!“, sagte Sedrin erfreut.

Cupernica hob den rechten Zeigefinger. „Bitte passen Sie auf, Agent.“, mahnte sie. „Ich möchte nicht, dass Sie sich zu sehr in etwas verrennen.“ „Das ist schon passiert, Scientist.“, sagte die Demetanerin. „All meine ermittlerischen Instinkte schreien Sytanias Namen, aber wir können ihr nichts beweisen! Das ist so …“ „Ich glaube, das Wort, nach dem Sie suchen, ist unbefriedigend, nicht wahr?“, sagte Cupernica. „Aber wer weiß. Vielleicht hat Ihr Partner ja inzwischen ein paar Zeugen aufgetrieben.“ „Das will ich hoffen.“, sagte Sedrin. „Ich gehe am besten gleich zu ihm.“ „Tun Sie das.“, empfahl die Medizinerin. „Aber was tun wir jetzt mit der Leiche?“ „Wir werden sie zur Beerdigung freigeben.“, entschied Sedrin. „Es ist ja nichts mehr aus ihr herauszuholen.“ „In Ordnung.“, sagte Cupernica. „Vielen Dank, Cupernica!“, entgegnete Sedrin und verließ die gerichtsmedizinische Abteilung im Keller des Gebäudes.

Ich musste bis tief in die Nacht hinein geschrieben haben. Jedenfalls war mir nicht bewusst, wie schnell die Zeit vergangen war. Aber es gab auch noch einen weiteren Grund, aus dem ich das Fortschreiten der Zeit nicht wahrnahm. Ich war bereits bei dem Kapitel meines Lebens angekommen, in dem jene unsägliche Geschichte mit Radcliffe begonnen hatte. Dieser Umstand hatte mich sehr zornig auf mich selbst werden lassen. Warum hatte ich sein Spiel nicht durchschaut? Aber es war ja auch nicht sein, sondern eigentlich auch Sytanias Spiel gewesen. Warum hatte ich ihn nicht aufgeklärt? Warum war mir nicht aufgefallen, dass die Propheten nie so etwas tun würden? Seit meiner Zeit als Kadettin, in der wir auch die Geschichte Bajors auf der Akademie durchgenommen hatten, wusste ich doch, dass die Propheten niemals so direkt wären, und jemanden so eindeutig zu dieser oder jener Handlung auffordern würden! Aber Sytania würde, wenn sie etwas Bestimmtes dadurch erreichen wollte, sicher genau so vorgehen und sich vielleicht sogar noch als die Propheten ausgeben. Genau das war dem armen Radcliffe ja auch passiert, aber er war doch nur ein verdammter Zivilist! Ich hingegen war eine ausgebildete Sternenflottenoffizierin und hätte ihn eigentlich auch aufmerksam machen müssen! Wo in aller Welt hatte ich zu dem Zeitpunkt nur meinen Verstand?! Hatte mich seine Verzweiflung etwa so überwältigt, dass nicht nur meine Augen, sondern auch mein Verstand blind geworden waren?!

Die Sprechanlage machte meinem Sinnieren ein Ende. Ich konnte mir zwar nicht denken, wer zu dieser Zeit noch etwas von mir wollen könnte, beantwortete den Ruf aber trotzdem. Allerdings war ich nicht wirklich in der Stimmung, mich jetzt lang und breit mit jemandem über Belangloses zu unterhalten. „Ja, was ist?!“, fragte ich mürrisch. „Oh, da hat aber jemand gar keine gute Laune.“, kam es ruhig und besonnen von einer bekannten Stimme zurück. „Tut mir leid, Lomādo.“, entschuldigte ich mich. „Es war nur heute alles etwas viel.“ „Das glaube ich Ihnen gern.“, sagte er. „Ich habe Sie telepathisch beobachtet und dabei festgestellt, dass es Ihnen wohl nicht gut ging.“

Ich fühlte mich ertappt aber im gleichen Moment auch sehr sicher bei ihm. Es war mir, als hätte er mich aus einem langen freien Fall heraus aufgefangen und sicher zur Erde gebracht, nachdem sich mein Faltschirm nicht geöffnet hatte. Sofort hatte ich das unbewusste Gefühl, dass es mir sehr gut tun würde, mit ihm zu reden. „Kommen Sie rein, Lomādo.“, sagte ich und ließ den Rechner die Tür entriegeln.

Er betrat meine Wohnung und kam gleich ins Wohnzimmer. Hier sah er mich vor einem Berg von Aktenordnern sitzen, die mein bisher aufgeschriebenes Leben längst gefüllt hatte. Aber das, auf das sein zweiter Blick fiel, schien ihn noch mehr zu interessieren und auch in gleichem Maße zu faszinieren. „Bei allen Göttern!“, rief er aus. „Was ist das für eine Höllenmaschine?! So etwas habe ich zuletzt in meiner Schulzeit im Geschichtsunterricht gesehen!“ „Ach.“, lächelte ich, die ich langsam meine gute Laune zurückerlangte. „Die tut nichts. Die will nur spielen. Damit kann ich mein Leben aufschreiben und nur ich, oder jemand anderes, der nicht sehen kann und diese Schrift beherrscht, kann es lesen. So hoffe ich, dem Großen Vergessen entgegenwirken zu können.“

Etwas hektisch hatte sich Lomādo einen Stuhl herangezogen und sich neben mich gesetzt. Durch sein Auftreten bemerkte ich, dass er sehr aufgeregt wurde, was für einen Aldaner sehr ungewöhnlich war, aber er war ja, seiner eigenen Auskunft nach, ein sehr ungewöhnlicher Aldaner. „Bitte arbeiten Sie weiter und lassen Sie mich noch eine Weile zusehen.“, bat er. „Na gut.“, nickte ich, spannte ein neues Blatt ein und begann erneut zu tippen. Er hingegen befasste sich mit dem Aktenordner, der auf meinem Tisch rechts neben der Maschine lag und in den ich gerade im Begriff war, einiges einzuheften. Diesen nahm er sich vor und versuchte, mit den Augen einen Sinn in all den verschiedenen Kombinationen von Punkten zu finden. Er legte allerdings schnell den Ordner wieder hin. „Ich muss aufgeben. Bin wohl ziemlich aus der Übung.“, erklärte er resignierend. „Dass Sie offensichtlich hierin einen Sinn sehen, finde ich wirklich erstaunlich!“ „Jahre lange Übung.“, lächelte ich. „Man hat mir diese Schrift schon während meiner Kindheit beigebracht.“ „Und ich kenne ja noch nicht einmal die Bedeutung eines Zeichens.“, gab Lomādo zu. „Das kann ich mir denken.“, sagte ich. „Soll ich Ihnen vorlesen?“ „Wenn Sie wollen?“, sagte er. „Also gut.“, sagte ich, räumte die Maschine beiseite und holte den ersten Ordner hervor. Dann räusperte ich mich gut hörbar und begann damit, ihm vorzulesen, wie Mikel und ich uns kennen gelernt hatten, wie ich auf Dill traf und wie Mikel diesen schlussendlich überzeugte, mich ebenfalls zu einer Pendlerin zwischen den Jahrhunderten wie ihn selbst zu machen.

Ich wollte gerade mit dem zweiten Kapitel anfangen, als mir Lomādo auf die rechte Schulter tippte. „Könnte ich Ihnen auch mein Leben diktieren und Sie lesen es mir immer wieder vor, wenn ich etwas vergessen sollte?“, fragte er. „Sicher könnten Sie das.“, sagte ich. „Aber ich müsste Sie bitten, mir diverse aldanische Eigenheiten zu buchstabieren.“ „Was immer Sie wollen.“, sagte Lomādo und seine Stimme klang dabei, als hätte ich ihm gerade das Evangelium verkündet. „Das sollte eine meiner leichtesten Übungen sein. Aber mir ist aufgefallen, dass ich richtig zuhören musste, um zu verstehen, was Sie gelesen haben. Ich kann mir denken, dass Sie in Ihrer Muttersprache geschrieben haben. Mein Leben müssten Sie aber in Englisch niederschreiben, damit ich das, was Sie mir später vorlesen, leichter verstehen kann. Ich verlange ja keine Abschrift in Aldanisch, nur …“ „Was immer Sie wollen.“, zitierte ich ihn lächelnd. „Schließlich schulde ich Ihnen was wegen meines Großvaters. Der hätte sich ja ohne Sie hoffnungslos verzettelt, Lomādo.“ „Das stimmt wohl.“, gab er zu. „Aber ich möchte nicht, dass Sie mir nur helfen, weil Sie glauben, Sie müssten eine Schuld tilgen.“ „Das ist es nicht.“, sagte ich. „Ich will den Quellenwesen auch klar machen, dass ich mich von ihnen hier nicht gefangen halten lasse. Auch das Paradies kann ein Gefängnis sein, wenn man weiß, dass man hier nicht hingehört, Lomādo.“ „Sie meinen, weil Sie nun einmal getan haben, was Sie getan haben.“, sagte er fast zärtlich. „Ja, ja. Ich weiß, was Ihnen auf der Seele brennt und ich weiß auch, dass Sie noch etwas zu erledigen haben, was diese Sache angeht. Deshalb werden wir uns morgen mit unserer Widerstandszelle an einem Platz treffen, den ich Ihnen jetzt besser noch nicht verraten werde. Vertrauen Sie mir?“ Ich nickte nur. „Gut.“, sagte Lomādo. „Muss ich etwas mitbringen?“, fragte ich. „Nur Ihre Aufmerksamkeit.“, erwiderte er. „OK.“, sagte ich zögerlich. Mir war nämlich gerade etwas klar geworden. Offensichtlich hatte sich eine Gruppe gebildet, die mir bei meiner Flucht aus dem Paradies, wenn sie denn möglich wäre, helfen würde. Diese Leute hatten aber sicher eine Menge Ärger von den Quellenwesen zu erwarten, wenn das herauskäme. Ich wusste nicht, was für eine Strafe sie ihnen aufbrummen würden. Nur verantwortlich sein für ihr eventuelles Leid, das wollte ich nicht! Auf gar keinen Fall! Wenn ich das wäre, dann würde sich das ja auch nicht mit der Obersten Direktive vertragen, denn ich hätte ja zur negativen Entwicklung des Lebens einiger Lebensformen beigetragen, auch wenn diese eigentlich schon lange laut Definition nicht mehr am Leben waren, zumindest dann, wenn man Leben auf die Existenz in einem Körper aus Fleisch und Blut beschränkte. Aber es gab ja sogar im Universum Lebensformen aus reiner Energie, die spätestens jetzt Einspruch erheben sollten. Ich war total verwirrt!

„Ich darf das nicht zulassen, Lomādo.“, sagte ich, war aber selbst nicht wirklich überzeugt von dem, was ich da gerade von mir gegeben hatte. Meine Stimme hatte diesen Satz nämlich sehr leise und leicht stotternd herausgebracht. Auch ein Nicht-Telepath hätte also meine Unentschlossenheit spüren können. Für Lomādo musste dies also einer Fingerübung gleichen. „Warum zweifeln Sie?“, fragte er. „Ich dachte, Sie wollen Ihre Pflicht erfüllen und dafür sorgen, dass Sytania nicht siegreich ist!“ „Das stimmt.“, sagte ich. „Aber ich will nicht … Ich darf nicht … Niemand darf wegen mir Ärger bekommen und bestraft werden. Das darf ich nicht verlangen!“

Plötzlich erschrak ich, denn statt mit meinen Ohren nahm ich seine Stimme jetzt nur noch in meinem Geist wahr. Sie wiederholen unentwegt die Oberste Direktive in Gedanken., stellte er fest. Dann möchte ich Ihnen jetzt einmal eine einfache Frage stellen! Wo sind wir?

Ich bemerkte, dass ich mich ihm nicht entziehen konnte. Die Reaktion darauf war ein starkes Zittern. Wieder hörte ich seine bohrende telepathische Stimme: Wo sind wir?! Dann noch nachdrücklicher: Wo sind wir?! Hören Sie auf zu denken! Antworten Sie mir! Wo sind wir?! Wo sind wir?! Wo sind wir?! „Wir sind im Reich der Toten!“, antwortete meine Stimme gegen meinen Willen. Gilt die Oberste Direktive laut Definition auch für hier?!, fragte seine telepathische Stimme weiter im Verhörton. „Nein.“, sagte ich. „Laut Definition gilt sie nur für Lebensformen, also für Lebende.“ Trifft Sie dann irgendeine Schuld?, fragte er weiter. Auch das musste ich verneinen. Wenn er es so sah, dann hatte ich ja wirklich nicht gegen das Gesetz verstoßen.

Er hatte von meinem Geist abgelassen. Im gleichen Moment hatte ich begonnen Tränen zu vergießen und fühlte mich, als hätte ich gerade etwas sehr Anstrengendes und Schmerzhaftes hinter mir. „Ruhig.“, tröstete er. „Ganz ruhig. Es ist vorbei. Ich weiß, wie schwer das für Sie war. Sie leben gern nach Regeln, weil Sie sich gern orientieren. Aber manchmal darf man solche Pfade auch verlassen, ohne dass man gleich in einen Abgrund fällt. Ich werde da sein und Sie halten. Und die Widerstandszelle existiert zwar Ihretwegen, aber sie existiert auch, weil hier schon lange einige das Gefühl haben, dass hier was nicht stimmt und selbst die mächtigen Quellenwesen mit der Situation hoffnungslos überfordert sind. Sie müssen also keine Angst haben, für unsere Bestrafung verantwortlich zu sein!“ „Danke, Lomādo.“, sagte ich und brachte tatsächlich ein gequältes Lächeln zustande.

„Ich werde heute Nacht bei Ihnen auf der Couch schlafen.“, sagte er. „Jemand sollte auf Sie achten.“ „OK.“, sagte ich geschwächt. „Gut.“, erwiderte er und nahm mich bei der Hand, um mich vom Stuhl zu ziehen. „Dann sollten wir jetzt aber beide endlich schlafen gehen. Morgen wird wieder ein anstrengender Tag.“ Ich nickte und folgte ihm, der mich in Richtung meines Schlafraums zog. Ich war nicht sicher, ob er sich mit seiner Berufswahl nicht geirrt hatte. Statt eines Ingenieurs hätte er auch Anwalt werden können.

Shimar und Scotty waren in unserem Zimmer auf Celsius mit dem Packen beschäftigt. Der junge Tindaraner hatte traurig die letzten Sachen in seinen Koffer gesteckt und dann begonnen, das Bett abzuziehen. „Sie hätte sich das sicher nicht träumen lassen.“, sagte Scotty. „Was meinst du genau?“, fragte Shimar und grub sich unter einer der Bettdecken hervor. „Sie hätte sich sicher nicht träumen lassen, im Urlaub dahin gemordet zu werden. Wenn sie bei einer Mission gestorben wäre, dann wäre ihr das sicher recht gewesen, aber so …“ „Man kann sich leider seine Art zu sterben in den wenigsten Fällen aussuchen, Scotty.“, antwortete Shimar. „Wirst du eigentlich mit zu ihrer Beerdigung kommen können?“, wollte der Techniker wissen. „Das hängt von Zirell ab.“, sagte der Patrouillenflieger. „Du hast ja auch das mitbekommen, was in den tindaranischen Nachrichten gesagt wurde, nachdem ich es dir übersetzt habe.“ „Aye.“, machte Scotty in seiner gewohnt flapsigen Art. „Deine Leute gehen wohl davon aus, dass ihr bald alle wieder einrücken müsst, um die Föderation zu beschützen.“ „Genau das!“, bestätigte Shimar fest. „Die Zusammenkunft und auch alle anderen Verbündeten der Föderation haben eine Art Betreuungsallianz gebildet und sind jederzeit bereit, ihre Truppen gegen Sytania in den Kampf zu schicken.“ „Wieso gerade Sytania?“, fragte Scotty. „Seid ihr denn so sicher, dass …“ „Wem sonst sollte so was einfallen und wem sonst wäre das möglich, verdammt noch mal?!“, empörte sich Shimar. „Mach die Augen auf, Scotty! Da hat es vor 800 Jahren etwas gegeben, mit dem sich die Föderation erpressbar gemacht hat und das hat Prinzessin Fies eiskalt ausgenutzt! Der Wäscher sollte dafür doch wohl Beweis genug sein! Ich bin sicher, der Mord an Betsy geht auch auf sein Konto! Aber ich bin auch sicher, dass er nicht aus freien Stücken gehandelt hat!“ „Du meinst, Ihre Gemeinheit, Prinzessin Sytania, hat da auch was gedreht?“, fragte Scotty. „Was denn sonst!“, meinte Shimar, der in diesem Moment auch eine Menge Zorn gegen sich selbst verspürte.

Erst jetzt war ihm aufgefallen, wie er sich die gesamte Zeit über gegenüber Scotty benommen hatte. Gegenüber ihm, der ja eigentlich sein Leidensgenosse war. „Sorry, Kumpel.“, sagte er und setzte sich neben Scotty auf die jetzt lakenlose Matratze. „Ich bin nur so ungnädig mit mir selbst. Warum musste mich erst IDUSA mit der Nase auf Betsys Tod stoßen? Warum habe ich das nicht selbst gespürt? Die Schutzverbindung muss doch intakt gewesen sein, als sie noch lebte!“ „Auch einen Soldaten der tindaranischen Streitkräfte kann man ablenken, Shimar.“, vermutete der ältere Terraner. „Und du darfst nicht vergessen, dass du in dem Moment deine eigene Rettungsmission hattest. Wenn du IDUSA nicht befohlen hättest, das Protokoll auszusetzen, würden wir heute alle nicht mehr leben, weil sie auf Stufe drei gegangen wäre und die Werft mit allem, was sich darin befindet, zu Klump geschossen hätte. Ich meine, wer hätte es ihr verübeln können. Wenn all ihre Wege zur Kommunikation mit dir oder Zirell gestört werden, dann muss sie ja denken, wir arbeiten alle für den Feind.“ „Danke für dein Verständnis, Scotty.“, sagte Shimar erleichtert. „Aber deine Kollegen hätten doch einfach nur tun müssen, was ich gesagt habe und nicht auf eigene Faust …“ „Das haben ja auch fast alle.“, brach Scotty für seine Arbeitskollegen eine Lanze. „Alle außer einem, der ohnehin bloß ’n Handlanger is’, weil es für mehr im Kopf halt nich’ reicht. Dem hättest du das vielleicht noch extra zehn mal erklären müssen, damit er es beim elften Mal kapiert!“

Der tindaranische Soldat wandte seinen Kopf leicht von Scotty ab und warf der Wand jenen verächtlichen Blick zu, den er am liebsten Scotty sehen lassen hätte. Aber da die beiden Männer durch die Beziehung zu mir ebenfalls eine tiefe Freundschaft verband, wollte er es dann doch nicht dazu kommen lassen. „Was hat die Wand damit zu tun?!“, fragte Scotty. „Gar nichts.“, sagte Shimar. „Sie war nur der visuelle Punchingball. Aber wie kannst du so über jemanden reden, der ja auch nichts dafür kann, dass er dumm ist?!“ „Ja, ja.“, schnaubte Scotty. „Dumm geboren, nichts dazugelernt und die Hälfte wieder vergessen!“

Shimar hatte schwer mit seiner aufsteigenden Wut zu kämpfen. Von einem ausgebildeten Offizier der Sternenflotte, für den normalerweise ja Toleranz eine unumstößliche Regel darstellte, hatte er eigentlich etwas anderes erwartet. „Hast du dir schon einmal überlegt, dass er nichts dafür kann?!“, schrie Shimar Scotty so laut an, dass es sicher im ganzen Flur zu hören gewesen wäre, wenn die Wände nicht schalldicht wären. „Hast du schon mal drüber nachgedacht, dass Sytania nachgeholfen haben könnte?! Solche wie dein Kollege werden verdammt leicht ihre Opfer, weil sie sich gegen ihren geistigen Einfluss noch schlechter wehren können, als etwas intelligentere Personen. Sytania bevorzugt solche Leute, weil ihre Schwächen offensichtlich sind. Sie hat es dann leicht und das mag sie! Sie ist zwar omnipotent, aber sie ist auch sehr bequem! In diesem Fall brauchte sie nur ein schwaches schnelles williges Opfer!“

Seine Standpauke musste bei Scotty einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Jedenfalls wurde der Schotte plötzlich sehr blass und nachdenklich und kippte fast aus dem Sitzen ins Liegen. „Oh Mann!“, sagte er. „Du hast verdammt Recht. So habe ich das noch nie betrachtet. Dann habe ich ihm unter Umständen ja gerade ganz schön Unrecht getan. Aber es ist ja nur, weil die Meisten meiner Kollegen auch keine sehr hohe Meinung von ihm haben. Davon habe ich mich wohl anstecken lassen, obwohl ich es eigentlich ja hätte besser wissen müssen. Es tut mir leid.“ „Sag ihm das, wenn ihr euch das nächste Mal seht.“, sagte Shimar. „Mich hast du ja nicht beleidigt. Aber ich bin überzeugt, das ist wieder so ein Ding, das Sytania eiskalt ausgenutzt hat. Der dumme Kollege würde die Prügel kassieren, wenn …“ „Dazu darf ich es nicht kommen lassen, Shimar!“, sagte Scotty betroffen. „Aber ich kann meiner Chefin doch nicht sagen … Ich meine, sie ist Zivilistin! Sie darf doch nicht erfahren, dass …“ „Sicherlich keine Details.“, sagte Shimar. „Aber jedes Kind weiß, dass Sytania omnipotent ist. Sag ihr doch einfach, sie hätte auf ihn Einfluss genommen. Das muss reichen.“ „In Ordnung.“, sagte Scotty. „Ich sollte sofort mit ihr reden.“

Er begab sich zum Sprechgerät und gab das Rufzeichen der Werft ein, aber die Verbindung wurde nicht hergestellt. „Ich schätze, dass Ginalla unsere Berechtigung schon gelöscht hat.“, sagte er. „Wir hatten ihr ja gesagt, dass wir heute abreisen wollen.“ „Schätze ich auch.“, sagte Shimar. „Wir wollten ja nur noch packen und dann los.“

Die Männer verschlossen ihre Koffer und machten sich auf den Weg zum nächsten Turbolift, mit dem sie in den unteren Teil der Kneipe fuhren. Hier wollten sie mit Ginalla noch die restlichen Formalitäten regeln. Um so überraschter waren sie, hinter dem Tresen auf Jasmin zu treffen. „Was machst du denn hier?!“, wunderte sich Shimar. „Ginalla hat mir die Leitung hier übertragen.“, antwortete die in den Augen des Tindaraners mit dieser Aufgabe völlig überforderte Jugendliche. „Was?!“, empörte sich jetzt auch Scotty. „Wo is’ sie?! Der werde ich was erzählen!“

Jasmin begann zu weinen. Die Augen der Männer scannten den Raum und Scotty entdeckte tatsächlich eine kleine Pforte, die sie genau hinter den Tresen führte. Diese benutzten sie und standen bald rechts und links neben der schluchzenden Jasmin. Es war ihr egal, dass Gäste hier eigentlich keinen Zutritt hatten. Ihre Anwesenheit tat ihr sogar sehr gut. „Sie will zu den Genesianern!“, sagte das Mädchen verzweifelt. „Soweit ich sie verstanden habe, will sie deren Hilfe gegen die Föderation. Sie hat so was gesagt, bevor sie weggegangen ist. Sie meinte, wenn es sein müsste, würde sie sogar einen Krieg auslösen, damit die von der Föderationsregierung aufwachen! Das Ganze hat mit einer Aussage zu tun, die ihr Agent Peters auf der Erde nicht glauben wollte! Ihr seid doch beide ausgebildete Soldaten und versteht doch sicher was davon. Meint ihr, dass es Krieg gibt?“

Scotty und Shimar wechselten Blicke. Sie wussten, dass sie diesem halben Kind auf keinen Fall die ganze Wahrheit sagen durften, aber sie mussten auch für ihre Sicherheit garantieren. Schließlich nahmen sie Jasmin in den Arm und Scotty flüsterte: „Hör mal zu, kleine Maus. Du schließt jetzt hier ab, oder übergibst das hier einem der Erwachsenen und dann machst du, dass du zurück zu deinen Eltern kommst. Falls es Krieg gibt, bist du da immer noch am sichersten.“ „Aber Ginalla hat gesagt …“, widersprach Jasmin. „Hör mal.“, mischte sich jetzt auch Shimar ein. „Wer hat hier wohl die richtige Ausbildung und weiß Bescheid, wenn es um Krieg geht? Ginalla oder wir?“ Jasmin zeigte auf Shimar und Scotty. „Na also.“, sagte Shimar. „Dann tust du jetzt genau das, was wir dir sagen. OK?“ Sie nickte und winkte einen ihrer Kollegen herbei. „Um Ginalla werden wir uns kümmern.“, versicherte Scotty. „Danke.“, sagte Jasmin, die über ihre Hilfe doch sehr erleichtert war. „Ach übrigens, das hier ist heute aus deiner Heimat gekommen, Shimar. Ich konnte die Datei zwar herunterladen, aber sie reagiert nur auf deinen biologischen Fingerabdruck.“, sagte Jasmin. „Schon OK.“, sagte Shimar, nahm das Pad entgegen und las sich die SITCH-Mail durch. Dann sagte er nur kurz zu Scotty: „Wir müssen los! Bring mich bitte zur Werft und check IDUSA ein letztes Mal durch!“ „OK!“, sagte Scotty schmissig und die Beiden verschwanden ohne ein weiteres Wort aus der Kneipe. Beide wussten, dass sie hier nicht über Details sprechen durften, aber spätestens an Bord von IDUSA würden sie das tun.

Sedrin war in ihr und Agent Peters’ Büro zurückgekehrt und hatte missmutig ihre Weste, die Teil ihrer Sommeruniform war, über ihren Stuhl geworfen, bevor sie sich gesetzt hatte. Seufzend widmete sie sich jetzt einer Akte. „Was ist geschehen?“, fragte ihr Partner über den Rand seines Schreibtisches hinweg, der wohl eine solche Haltung nicht von ihr, die sonst eigentlich nicht dafür bekannt war, leicht aufzugeben, gewohnt war. „Es ist zum Mäusemelken, Karl!“, stöhnte Sedrin. „Ui!“, scherzte der deutschstämmige Terraner. „Wie viel Milch soll’s denn sein? Vielleicht so um die zwei Liter? Da wirst du aber eine Menge melken müssen, um diese ansehnliche Menge an Milch zusammen bekommen zu können. Das könnte wohl etwas dauern, aber Demetanerinnen sollen ja sehr geduldig sein. Ich hörte, ihr kommt fast an Vulkanierinnen heran.“ „Lass bitte die Witzchen.“, bat Sedrin und hielt sich den Kopf. Das Nachdenken über die Situation hatte ihr wohl ziemliche Kopfschmerzen bereitet.

Peters ließ die Arbeit ruhen und drehte sich zu ihr. „Was ist denn los?“, fragte er. „So kenne ich dich gar nicht. Ich weiß nur, dass Cupernica dich rufen lassen hat und dann?“ „Dann hat sie mir eine Menge Indizien präsentiert.“, sagte Sedrin mit frustriertem Unterton. „Wir beide, also Cupernica und ich, wir wissen genau, dass Sytania an Allrounder Betsy Scotts Tod schuld ist. Aber die Beweise, die wir haben, dürften sich eigentlich gar nicht so nennen, wenn wir ehrlich sind. Auf einige zerfallene Reste von Energiesignaturen und die Instinkte der leitenden Ermittlerin kann man keinen Prozess gründen und schon gar keine Verhaftung. Sogar Sytania gilt vor dem Gesetz als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. Es wäre gut, wenn es Zeugen für das Ganze gäbe, aber die gibt es wohl nicht. Anscheinend hat sie den Allrounder in aller Stille, heimlich, allein und leise umgebracht. Die Crew von Rescue One hat es ja erst gesehen, als Betsy bereits tot im Wasser lag und Korelem sie herauszog, oder es zumindest versuchte.“ „Das stimmt.“, sagte Peters und wurde blass. Jetzt würde bald der Zeitpunkt kommen, das spürte er, zu dem er ihr Rede und Antwort stehen musste, was die Sache mit Ginalla anging.

Auch Sedrin wendete jetzt den Kopf vom Bildschirm ab. Aus dem Augenwinkel heraus hatte sie gesehen, dass er blass angelaufen war. Während ihrer langen Zusammenarbeit hatte sie gelernt, solche unbewussten Zeichen von ihm durchaus zu deuten. „Musst du mir etwas sagen, Karl?!“, fragte sie mit leicht verschärftem Ton in der Stimme. „Ich schätze, dass ich das wohl muss, Sedrin.“, gab der Terraner zu und schluckte einige Male kräftig. Dann fuhr er fort: „Es gibt wohl eine Zeugin, aber ich weiß nicht, wie hoch der Wahrheitsgehalt ihrer Aussage zu werten ist, weil sie selbst beim Thema Kriminalität kein unbeschriebenes Blatt ist. Sie hat sich mit Lügen und Betrügereien ihr Leben aufgebaut. Es besteht also die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns in einen Krieg mit Sytania manövrieren will, um irgendeinen Plan durchzuführen. Ihr Name ist Ginalla und sie behauptet, alles genau gesehen zu haben. Außerdem sagt sie, sie sei keine Kriminelle mehr und hat versucht, mir eine rührselige Geschichte aufzutischen, dass sie angeblich geläutert worden wäre und ihre Verbrechen nur begangen hätte, weil sie in ihrer Kindheit etwas falsch verstanden hätte. Aber das mit der schweren Kindheit haben Verbrecher meiner Meinung nach viel zu oft vorgeschoben! Deshalb habe ich ihr auch kein Wort geglaubt. Ich habe ihr gesagt, dass ihre Aussage keinen Pfifferling wert ist und sogar noch unter der einer risanischen Straßendirne rangiert.“

Sedrin schlug die Hände vor das Gesicht, warf ihren Stuhl zurück, stand auf und sah ihn mit wütenden Augen an. „Was hast du getan?!!!“, schrie sie ihn an. „Gibt es denn das?! Vergrault und beleidigt unsere einzige Zeugin! Ich darf dich doch wohl daran erinnern, dass wir laut Gesetz verpflichtet sind, jede Zeugenaussage unabhängig von der Person, die sie macht, zu überprüfen! Und einen Zeugen beleidigen, das dürfen wir schon mal gar nicht, egal was oder wie viel er oder sie früher auf dem Kerbholz gehabt hat! Manchmal bist du so dermaßen unfähig, Karl Peters! So einen schlimmen Fehler würde noch nicht mal ein Kadett im ersten Jahr machen! Das darf doch wohl nicht wahr sein! Mutter Schicksal, warum strafst du mich mit diesem Taugenichts?! Was für eine schreckliche Sünde habe ich begangen, um das zu verdienen?!“ „Du bist sicher auch nicht unfehlbar.“, werte sich Peters kleinlaut, der genau wusste, dass sie eigentlich Recht hatte, denn auch eine ehemalige Kriminelle, besonders dann, wenn sie wieder auf den rechten Pfad zurückgefunden hatte, konnte die Wahrheit sagen. „Ich habe auch nie behauptet, es zu sein!“, sagte Sedrin. „Aber lass mich die Akte mal sehen, über die du gestolpert bist.“

Peters nickte und forderte den Rechner auf, ihr die Akte auf den Bildschirm zu stellen. Jetzt sah auch Sedrin Ginallas Vorstrafen, musste sich aber im gleichen Moment vor Lachen auf die Schenkel klopfen. „Mundraub, kleine Diebstähle, Betrügereien mit Taschenspielertricks?!“, fragte Sedrin mit ironischem Unterton. „Oh, ja. Das sind wirklich die schwersten Verbrechen, die es gibt. Deshalb wurde sie ja auch nur auf Bewährung verurteilt und die Strafe nach ihrem Aufenthalt in Sytanias Gefängnis von den tindaranischen Richtern als abgegolten betrachtet. Oh, ja. Diese Ginalla ist eine wahre Gangsterbraut. Ja, eine richtige Mafiosa!“ Sie musste so lachen, dass sie gleich wieder nach hinten auf ihren Stuhl fiel. „Kannst du mir mal verraten, was du daran so lustig findest?“, fragte Peters. „Das tue ich gern.“, sagte Sedrin und wurde wieder sehr ernst. „Wenn du mir sagst, was mit dir los ist. Was ist der wahre Grund, aus dem du ihr nicht geglaubt hast. Ich hoffe ja nicht, dass du für Sytania arbeitest. Aber vielleicht bist du ja ein Opfer des Wäschers geworden und scheust dich deshalb …“

Sie sah, wie sich Peters’ Mund zusammenzog. Dann entflog seiner Kehle ein lautes Schluchzen. „Oh, Sedrin!“, schrie er, bei dem sie offensichtlich einen wunden Punkt erwischt hatte. „Es wird mir zu heiß! Es wird mir einfach zu heiß! Immer dann, wenn wir es mit Sytania zu tun bekommen, habe ich eine Heidenangst um meine Familie. Deshalb habe ich mir gewünscht, dass sie in diesem Fall unschuldig ist und wollte nichts von Ginallas Aussage hören! Ich habe jedes Mal Angst, Sytania wird meine Frau und meine Kinder holen, wenn ich einen Teil dazu beigetragen habe, sie zu entlarven! Ich kann das nicht mehr! Ich glaube, ich tauge wohl eher für den Innendienst!“

Die Demetanerin warf ihm einen weichen tröstenden Blick zu und holte eine große Packung mit Taschentüchern aus ihrer Schreibtischschublade. Dann half sie ihm, seine Tränen zu trocknen. „Deshalb hast du also unsere einzige Zeugin vergrault.“, sagte Sedrin. „Sie hätte dir Dinge erzählt, die Sytania entlarvt hätten und das wolltest du nicht hören. Ich sage dir was. Diesen Fall stehen wir noch zusammen durch und dann werde ich dir helfen, bei Tamara einen Antrag auf Versetzung in den Innendienst zu stellen. Im Moment können wir von ihr keinerlei Entscheidung erwarten. Sie ist nicht sie selbst, wie du weißt.“ „Danke, Sedrin.“, sagte Peters und schnäuzte sich. „Diese Ginalla hat übrigens noch was gesagt.“, meinte er dann. „Sie sagte, sie hätte eine Leumundszeugin Namens N’Cara Tamin. Sie sei bei ihr und könnte alles bestätigen, was die Sache mit ihrer Läuterung angeht. Wenn das bestätigt ist, könnte also auch der Rest ihrer Aussage in einem völlig anderen Licht erscheinen.“ „Darum kümmere ich mich.“, sagte Sedrin. „Vielleicht kann ich ja noch kitten, was du zerbrochen hast. Vielleicht sagt Ginalla ja trotzdem gegenüber mir aus. Kümmere du dich am besten schon mal um die Berichte. Dann kannst du für dein Dasein zwischen den sieben Aktenbergen schon mal üben, Schneewittchen. Ich habe immer schon geahnt, dass etwas mit dir nicht stimmt. Aber dass dich die hautnahe Arbeit an Fällen mit feindlichem außerirdischen Einfluss so überfordert, hatte ich nicht gewusst. Vielleicht geht es dir wirklich besser, wenn du weißt, dass dein Fall nur eine Akte ist und somit ein Fall für die Ablage. Manche sind eben nicht für das Ermitteln draußen geschaffen. Das ist nichts, für das du dich schämen musst. Nur reden hättest du müssen. Für mich sah es ja so aus, als würdest du unseren Fall mit Absicht sabotieren.“ „Arme Sedrin.“, sagte Peters und warf ihr einen mitleidigen Blick zu. „Du hast einfach kein Glück mit deinen Partnern. Der Erste ein Verräter und der Zweite eine Niete.“

Sie rückte näher an ihn heran, nahm ihn an den Schultern und sagte: „Schau mich mal an, Karl. Du magst ein Problem damit haben, dass du nur für einen Bürojob taugst, aber jetzt sage ich dir mal was. Was glaubst du, wo wir tapferen außendienstlichen Ermittler ohne dich und deinesgleichen wären. Das gäbe doch nur Chaos.“ „Meinst du das wirklich?“, fragte Karl ungläubig. „Ja, das meine ich.“, sagte Sedrin. „Und jetzt entschuldige mich bitte. Ich muss heim und für eine kleine Dienstreise nach Celsius packen. Aus der Akte geht ja hervor, wo ich Ginalla und auch die Leumundszeugin finden kann. Nur wird der letzte Liner wohl nicht auf mich warten, wenn ich zu spät komme.“ „Schon gut.“, nickte Peters und widmete sich den Akten.

Sedrin ging in den Waschraum, zog sich ihre zivile Kleidung an und verließ das Gebäude in Richtung Parkplatz, auf dem ihr Fahrzeug stand. Dann fuhr sie heim.

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