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Meinen Körper hatte Rescue One in Little Federation in der Gerichtsmedizin abgegeben. D/4 hatte dies entschieden, nachdem Korelem ihr gegenüber Andeutungen gemacht hatte, die sie nicht anders handeln lassen konnten. Hier waren sie und meine Leiche von Cupernica in Empfang genommen worden. „Ich werde mich sofort darum kümmern, D/4.“, sagte die Androidin und ließ ihre Augen scannend über meine toten Überreste wandern. „Ich werde dann wieder gehen.“, entgegnete die Sonde und drehte sich in Richtung Tür, durch die sie den Raum dann auch verließ.

Nun wähnte sich Cupernica mit mir allein. „Bedauerlich, dass Sie so früh aus dem Leben scheiden mussten, Allrounder.“, sagte die Androidin mit ihrer gewohnt nüchternen Stimme. „Also, an Ihrem Gesundheitszustand lag das sicher nicht. Das weiß ich, als Ihre Hausärztin, schließlich genau! Ich persönlich tippe auf eine unnatürliche Todesursache, aber dieses Geheimnis werde ich schon entschlüsseln. Verlassen Sie sich auf mich.“

„Also, ich glaube nicht, dass Commander Data, Ihr Mann, mit Toten geredet hätte, Ma’am!“ Die Stimme, die dies gesagt hatte, vermochte Cupernica im ersten Moment nicht zuzuordnen. Sie konnte ihren Besitzer weder lokalisieren, noch hatte sie erkannt, wer es war. Die Tatsache, dass er sie jedoch Ma’am genannt hatte und auch jene typische leicht aufgeregte Art der Stimme, genau wie die Tatsache, dass ihr Eigentümer sich offensichtlich mit ihren Familienverhältnissen auskannte, ließen jedoch nur einen Schluss zu. „Wo sind Sie, Mr. Oxilon?“, fragte Cupernica ernst in den Raum.

Hinter einem der vielen Geräte schnellte eine kleine Gestalt hervor. „Ah, da haben wir Sie ja, Assistant.“, sagte die Androidin. „Ich wollte ja nur mal versuchen, Sie einwenig zu erschrecken, Cupernica.“, sagte der immer zu kleinen Scherzen aufgelegte Talaxianer. „Sie wissen, dass dies bei mir unmöglich ist.“, sagte die künstliche Lebensform. „Ich bin Androidin und als solche nicht in der Lage, Schreck oder gar Angst zu empfinden. Meine Systeme verzeichnen zwar einen leichten Datenkonflikt, aber ansonsten kann ich nichts Ungewöhnliches feststellen.“ „Na ja.“, sagte der kleine Mann mit den weichen Gesichtshaaren. „Mindestens das habe ich erreicht!“

Sein Blick fiel auf den Tisch, auf dem ich lag. „Um Himmels Willen!“, rief er aus. „Das ist ja …!“ „Ja.“, unterbrach ihn seine Vorgesetzte. „Das ist Allrounder Betsy Scott, deren Tod sicher nicht vorauszusehen war.“ „Aber das bedeutet ja …“, sagte Oxilon und wurde blass. „Soll ich die Agenten …“ „Noch nicht!“, sagte seine Vorgesetzte streng. „Wir müssen ja zunächst etwas haben, was wir ihnen präsentieren können. Das bedeutet, wir müssen sie zunächst untersuchen. Also, keine Müdigkeit vorschützen und an die Arbeit!“ „Wie Sie meinen, Ma’am.“, sagte Oxilon geplättet, aber eifrig und zog sich medizinische Handschuhe an, eine Tätigkeit, die Cupernica längst hinter sich hatte. Dann begannen sie mit meiner Untersuchung.

Die positive Granger war in eine Umlaufbahn um einen beliebigen Planeten eingeschwenkt, ein Zeichen für alle außer Kissara, sich wieder in einem der Konferenzräume des Schiffes einzufinden. Hier taten sie unter Mikels Leitung das, was man inzwischen als Operation Nadelstich bezeichnete. Mikel hatte ihnen nämlich beigebracht, den Entzug der geistigen Energie durch ihre bösen Gegenspieler zu verlangsamen. Dies würde, zumindest laut seinem Verständnis von telepathischen Zusammenhängen, ihnen ziemliche Kopfschmerzen bereiten. Die Einzige, die sich nicht an diesem Tun beteiligte, war Kissara, weil es von ihr ja keine böse Version gab. Damals hatte sie sich ja erfolgreich gegen den Wäscher zur Wehr setzen können und der hatte es ja vermieden, sie ein zweites Mal aufzusuchen.

Nun saß sie also in ihrem Bereitschaftsraum und erwartete den Bericht ihres ersten Offiziers, der ihr immer bei solchen Aktionen von ihrem Ausgang berichtete. Beim letzten Mal hatte Mikel ihr sogar zuversichtlich versichert, die negative Granger bald so weit zu haben, dass sie wohl herkommen würden. Kissara und ihre Leute würden ihnen einen herzlichen Empfang bereiten.

Ein Signal vom Terminal auf ihrem Schreibtisch ließ meinen Commander aufhorchen. Im Display der Sprechanlage erkannte sie das Rufzeichen des Computers, der jetzt das Schiff flog und den SITCH überwachte, da Ribanna ja auch anderweitig beschäftigt war. „Was gibt es, Computer?“, fragte sie. „Ankommender Ruf.“, sagte die Stimme des Rechners kurz und nüchtern. „Rufzeichen anzeigen!“, befahl Kissara und bekam im Display gleich das Rufzeichen von Zirells Basis nebst dem Unterrufzeichen ihres Arbeitsplatzes serviert. „Zirell.“, flüsterte Kissara. „Was kann sie von uns wollen? Na ja. Das werde ich schon herausfinden.“ Dann befahl sie in Richtung Rechner: „Stell durch, Computer!“

Es gab ein Signal und auf dem Schirm wurde das Gesicht der angesprochenen Tindaranerin sichtbar. „Kissara?“, fragte Zirell. „Bist du allein?“ „Ja, das bin ich.“, erwiderte die Thundarianerin. „Du siehst so ernst aus, Zirell. Gibt es dafür einen Grund?“ „Den gibt es durchaus.“, antwortete die tindaranische Kommandantin. „Ich muss dir mitteilen, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass eine deiner Offizierinnen tot ist.“

Der letzte Satz ihrer guten Freundin aus der anderen Dimension hatte Kissara sehr erschrocken und ihr einen Stich in die Magengegend versetzt. „Tot?!“, fragte sie mit einem leichten Zittern in der Stimme. „Wer soll das sein und warum wisst ihr das eher, als die Sternenflotte? Wenn es so wäre, warum hat mich dann niemand von meinen Leuten informiert? Es sei denn … Nein! Du redest doch nicht etwa von …“ „Doch.“, sagte die Telepathin. „Genau von ihr rede ich. Ich rede von Allrounder Betsy Scott, die ja, wie du weißt, eine Beziehung zu meinem Patrouillenflieger Shimar hatte. Du weißt ja sicher von der Sache mit der Schutzverbindung.“ „Natürlich weiß ich das, Zirell!“, meinte Kissara energisch. „Über diese Verbindung in Verbindung mit Savarid-Strahlung war es Betsy ja auch möglich, Shimar in ihren Träumen zu …“ „Genau um diese Verbindung geht es.“, unterbrach Zirell. „Ishan hat festgestellt, dass sie gewaltsam beendet worden sein muss. Das konnte er an einem Energiemuster in Shimars Hirnrinde sehen. Da er lebt, muss Betsy also tot sein.“ „Schick mir bitte die Daten!“, sagte Kissara mit leichter Empörung. „Meine medizinische Offizierin soll sie sich auch ansehen!“ „Du glaubst mir nicht.“, stellte Zirell fest. „Nein, Zirell!“, sagte Kissara fest. „Ich glaube dir nicht wirklich! Was ist, wenn sich Ishan irrt und das Ende der Schutzverbindung aus einem ganz anderen Grund zustande gekommen ist? Ich meine, deine Theorie ist nur eine Theorie aufgrund von Wahrscheinlichkeiten. Die müssen nicht immer der Wahrheit entsprechen. Es gibt bei Wahrscheinlichkeiten nämlich immer einen geringen Teil, der auch anders lauten kann.“ „Es gibt keine andere Möglichkeit, Kissara!“, sagte Zirell. „Ishan ist sicher, dass das Ende mit Gewalt herbeigeführt wurde. Hätten sich nur die Gefühle von einem zum anderen Teil geändert, dann gäbe es diese Hinweise nicht! Aber ich werde dir die Daten gern geben, wenn du eine zweite Meinung einholen willst.“ „Oh ja, Zirell.“, sagte Kissara. „Das will ich. Wir sind auf dem Weg zur Erde. Falls Betsy wirklich tot sein sollte, halte ich für wahrscheinlich, dass man dort im Hauptquartier der Sternenflotte vielleicht etwas weiß.“ „Eure Sternenflotte ist doch momentan zu nichts in der Lage, Kissara.“, rief Zirell ihr die Fakten in Erinnerung. „Bei denen im Hauptquartier hat der Wäscher doch sicher zuerst angesetzt. Die hängen doch sicher nur antriebslos in ihren Sesseln. Vorausgesetzt, dass sie überhaupt noch leben. Du kannst doch nicht ernsthaft erwarten, dass sie …“ „Stimmt ja auch.“, stellte Kissara fest. „Danke, Zirell. Das sind Fakten, die ich wohl völlig außer Acht gelassen habe. Ich glaube, ich muss mich bei dir entschuldigen. Jetzt wird mir auch klar, warum du mich informiert hast und nicht die Sternenflotte. Wenn alles stimmt, was wir über den Wäscher und seine Vorgehensweise bis jetzt wissen, dann hattest du keine andere Wahl.“ „Willst du trotzdem Ishans Daten für Loridana?“, fragte die Tindaranerin. „Nein.“, sagte Kissara. „Deine Aussage genügt mir. Zumal meine Ärztin ihren Beruf im Moment nur sehr schwierig ausüben kann. Sie war ein Opfer des Wäschers, wie fast alle anderen auch. Sogar mein erster Offizier, der es eigentlich hätte besser wissen müssen. Aber er ist sehr bemüht, seinen Fehler wieder gut zu machen. Deshalb ist Loridana auch im Moment sehr eingespannt, genau wie der Rest meiner Crew. Wir sind nämlich dabei, ihre bösen Gegenspieler unter Mikels Anleitung einwenig zu piesacken. Wir wollen erreichen, dass sie zu unserer Erde kommen und sich uns hier zum Kampf stellen.“

Angesichts von Kissaras Plan fiel Zirell die Kinnlade herunter. „Was habt ihr vor?!“, fragte sie empört. „Ihr glaubt doch wohl nicht, dass die Granger allein kommt! Sie wird mit Hilfe der anderen Schiffe aus der bösen Sternenflotte ein Sieb aus deinem Schiff machen und euch skrupellos töten! Bitte, Kissara! Ich bitte dich inständig! Setze deinen Plan aus, bis unsere Streitkräfte da sind! Ich werde sofort einen Eilantrag bei der Zusammenkunft stellen, damit wir euch helfen können!“ „Also gut.“, sagte Kissara und atmete auf. „Es ist doch immer wieder schön, wenn man Freunde hat, auf die man sich verlassen kann.“ Damit beendete sie die Verbindung und stand auf, um ihren Bereitschaftsraum in Richtung des Konferenzraumes zu verlassen, in dem sich Mikel mit den anderen befand. Sie wollte jetzt doch genauer wissen, wie weit seine Bemühungen gediehen waren.

Alle saßen im Konferenzraum auf weichen braunen Sesseln um einen runden weißen Tisch. Alle außer Mikel, der von Elektra immer wieder um sie herumgeführt wurde. Die Androidin diente dem ersten Offizier quasi als lebendiger Erfasser. Ständig flüsterte sie ihm Werte ins Ohr, wenn sie bei jemandem stehen geblieben waren. Diese konnte Mikel, obwohl er keine medizinische Ausbildung hatte, sehr wohl interpretieren. Falls dies einmal nicht klappte, half ihm Elektra, die sich die nötigen Daten aus dem Schiffscomputer gezogen hatte, auch hierbei. Die so mit ihr ausgetauschten Daten nahm Mikel zum Anlass, um seinen Kameraden dann motivierende Sätze ins Ohr zu flüstern, wie: „Das sieht sehr gut aus, Kang.“ Oder: „Ein bisschen mehr Konzentration, Mr. Jannings. Das ist genau richtig, Loridana. Na, nur Mut, Ribanna! Trauen Sie sich! Learosh, zu Ihnen komme ich morgen und dann versuchen wir es noch einmal zusammen!“

Kissara betrat den Raum, ein Fakt, der Elektra nicht entgangen war. Sie hatte Kissaras Silhouette nämlich mit der Peripherie ihrer Augen gut wahrnehmen können, die in sehr kurzer Zeit mehr Bilder verarbeiten konnten, als jedes menschliche Auge. Sie gab Mikel mittels ihres ausgestreckten Armes ein Signal, auf das er stehen blieb und sich von ihr in Kissaras Richtung wenden ließ. „Wie läuft es hier, Agent?“, fragte die Kommandantin freundlich und ruhig. „Sehr gut, Kissara.“, gab Mikel zuversichtlich zurück. „Denken Sie, dass Sie Ihre Schüler für einen Moment verlassen können?“, fragte sie ernst. „Ich wollte das hier für heute ohnehin gerade beenden.“, lächelte der erste Offizier. „Sonst, wenn wir das zu oft und zu lange machen, tritt bei unseren bösen Freunden da drüben vielleicht noch ein Gewöhnungseffekt ein und das wollen wir ja wohl nicht.“ „Ganz Ihrer Ansicht.“, lächelte Kissara. Dabei kamen ihre für ihr Raubtiergebiss typischen Eckzähne zum Vorschein. „Also, Mikel. Sie beenden das hier und dann treffen wir uns in meinem Raum in fünf Minuten!“, sagte sie. „Aye, Commander.“, sagte der blinde Terraner und hakte sich wieder bei Elektra unter, die ihm half, sich den still vor ihnen sitzenden Besatzungsmitgliedern wieder zuzuwenden. „Mission beendet, Ladies und Gentlemen!“, befahl Mikel. „Das war heute wieder eine Glanzleistung! Das wär’s! Wegtreten!“ Alle warfen ihm im Chor ein schmissiges: „Danke, Sir!“, entgegen und verließen den Raum. Auch Mikel machte sich zu Kissara auf den Weg.

Lange musste die Kommandantin nicht auf ihren Untergebenen warten. Mikel hatte den Turbolift genommen, der sich in der größten Nähe zu seiner Position befunden hatte. Er kannte das Schiff mittlerweile in- und auswendig und wusste daher genau, wo dieser zu finden war.

Nun betrat der erste Offizier bereits den Bereitschaftsraum seiner Vorgesetzten, eine Tatsache, mit der Kissara wohl nicht so bald gerechnet hatte. „Bin ich etwa früh dran, Kissara?“, fragte Mikel scherzend. „Oh nein, Agent.“, gab sie zurück, während sie noch einige Sachen ordnete. „Ich hatte Sie ja hierher kommen lassen. Ich fürchte aber auch, dass Ihnen das Scherzen bald vergehen wird. Ich habe nämlich eine traurige Nachricht für Sie.“

Mikel räusperte sich und holte tief Luft. Er ahnte schon, dass sie, wenn sie sagte, es würde eine traurige Nachricht geben, sicher nicht übertreiben würde. „Was ist das für eine traurige Nachricht, Commander?“, fragte der Agent förmlich. „Sie sollten sich setzen, Agent.“, meinte Kissara, während sie seinen Arm nahm, um ihn zu einem nahen Stuhl zu führen. Dort setzte sich Mikel bereitwillig. Dann wartete er auf eine Reaktion von ihr. Diese erfolgte allerdings zuerst nicht. Statt dessen begann Kissara mit dem Nachdenken. „Also, Kissara, ich sitze.“, sagte Mikel. „Und jetzt liegt der Ball in Ihrem Feld.“ „Um Ehrlich zu sein.“, begann sie schließlich doch. „Es geht um Ihre langjährige Freundin Betsy.“ „Reden wir von Allrounder Betsy Scott?“, versicherte sich der geheimdienstlich ausgebildete Offizier. „Genau von ihr ist die Rede, Agent.“, gab Kissara zu. Dann schwieg sie erneut. „Was ist mit ihr?!“, versuchte Mikel nun, das Gespräch einwenig zu beschleunigen. Er hatte es satt, seiner Vorgesetzten jedes Bröckchen einzeln aus der Nase zu ziehen. „Als ich sie zuletzt sah, wollte sie in den Urlaub.“ „Das war auch meine letzte Information, Mikel.“, sagte Kissara. „Allerdings nur so lange, bis mir die Tindaraner gesagt haben, dass sie eventuell auf Celsius verstorben ist.“

Ihre letzten Sätze, die sie sehr ruhig vorgetragen hatte, ließen Mikel erschauern. „Verstorben auf Celsius?“, fragte er. „Gut, ich kann mir denken, was sie dort wollen konnte. Dort lebt schließlich ihr Mann. Aber woran oder wobei ist sie verstorben und was wissen die Tindaraner darüber? Warum informiert uns nicht die Sternenflotte? Wenn wir im Hauptquartier eintreffen, dann werde ich …“ „Dort werden Sie nichts erreichen, Mikel.“, unterbrach ihn Kissara. „Unsere Vorgesetzten sind alle Opfer des Wäschers geworden. Entweder, sie sind tot, oder sie hängen antriebs- und willenlos in ihren Sesseln. Von denen werden Sie nichts erfahren! Das ist auch der Grund, warum die Tindaraner uns informieren müssen. Im Augenblick sieht es wohl so aus, als müssten sie die Föderation sozusagen betreuen. Weder die Politiker, noch das Oberkommando, scheinen zu irgendwelchen Entscheidungen in der Lage zu sein. Ich habe mir vom Computer einen tindaranischen Nachrichtensender suchen lassen und mir die Meldungen übersetzen lassen. Die Tindaraner und all unsere anderen Verbündeten wollen beratschlagen, wie man uns helfen kann. In den Nachrichten der Föderation wird das nicht erwähnt, weil man diesen Zustand als normal empfindet.“ „Um Himmels Willen.“, sagte Mikel. „Ich hätte nicht geahnt, dass es so schlimm um uns steht, Commander. Wenn das so ist, dann müssen wohl auch wir umdenken, was unseren Plan angeht. Wir können wohl von der hiesigen Sternenflotte kaum Schützenhilfe erwarten.“ „Da mögen Sie Recht haben, Agent.“, sagte die Thundarianerin. „Aber Commander Zirell hat mir versichert, dass wir nicht allein sein werden. Wir müssen nur das Eintreffen der tindaranischen Streitkräfte abwarten.“ „Daher weht also der Wind.“, sagte Mikel. „Sie haben mit Zirell gesprochen.“ „Wohl eher sie mit mir.“, erwiderte Kissara. „Daher habe ich auch die Information über Betsys Tod, um wieder zu unserem eigentlichen Thema zurückzukommen.“

Der blinde Terraner, der mich sehr gut kannte, da wir bereits miteinander die Schule besucht hatten und auch einmal eine Beziehung führten, musste schlucken. „Es tut mir leid, Agent.“, sagte Kissara, deren scharfen Augen die Bewegung seines Adamsapfels nicht entgangen war. „Aber wir müssen nun mal darüber reden. Laut Commander Zirell ist Betsy vermutlich getötet worden.“ „Woher weiß Zirell das?“, fragte Mikel. „Sie wissen, dass Allrounder Betsy neben ihrer Ehe mit Techniker Scott auch noch eine Beziehung mit dem tindaranischen Patrouillenflieger Shimar führt.“, erklärte Kissara. „Das ist mir bekannt.“, sagte Mikel. „Dann wissen Sie auch, was die Nebenwirkung einer solchen Beziehung ist.“, setzte die Kommandantin voraus. „Das weiß ich.“, nickte der Agent. „Es entsteht eine so genannte Schutzverbindung zwischen den Beiden, die aber nur innerhalb dimensionaler Grenzen funktioniert. In Betsys und Shimars Fall gibt es aber eine Ausnahme alle drei Monate wegen der Savarid-Strahlung von einem gewissen Kaffeebecher, der sich in ihrem Besitz befindet und den … Sie kennen die Geschichte ja. Das bedeutet, falls sich Betsy hier in Not befinden würde und Shimar wäre auch hier, oder sie wäre bei ihm, dann könnte er das sehen und ihr, egal aus welcher Entfernung, mit Hilfe seiner Kräfte Schutz bieten.“ „Das haben Sie sehr gut recherchiert, Mikel.“, lobte Kissara. „Und, wenn Sie schon einmal mit so viel Wissen darüber brillieren können, dann wissen Sie doch bestimmt auch, wodurch eine solche Verbindung beendet werden kann.“ „Entweder wird sie beendet, wenn sich die Gefühle eines Partners zum anderen ändern, oder dann, wenn einer von beiden …“ Das letzte Wort traute er sich nicht auszusprechen, da es ihm beim bloßen Gedanken an meinen Tod die Kehle zusammenschnürte. „Genau das, Agent.“, sagte Kissara. „Der Arzt der Basis 281 Alpha hat Hinweise darauf, dass die Verbindung gewaltsam beendet wurde, also, dass Betsy wohl getötet worden ist.“ „Aber was soll denn passiert sein, Kissara?“, fragte der Agent zugegebenermaßen etwas ratlos. „Genau weiß das niemand, Mikel.“, sagte Kissara und setzte dabei einen tröstenden Blick auf. „Aber ich bin sicher, das werden wir schon irgendwie herausbekommen. Solange, bis wir Hinweise bekommen, sollten wir unseren normalen Geschäften nachgehen. Wie läuft es denn im Einzelnen mit ihrer Operation Nadelstich, Agent?“

Mikel atmete erleichtert auf. Es war ihm sehr recht, dass sie ein unverfänglicheres Thema angefangen hatte. Er wusste, früher oder später würde man zu dem unangenehmen Thema zurückkehren müssen, aber im Moment gab es wohl auch noch einiges, was Kissara über die Operation Nadelstich wissen wollte. „Nun.“, setzte Mikel an. „Es läuft eigentlich bei allen recht gut, außer vielleicht bei Learosh. Aber das ist ein Problem, das ich wohl auch noch in den Griff bekommen werde, wenn Sie mich lassen.“ „Natürlich lasse ich Sie.“, sagte Kissara. „Aber vielleicht kann ich Ihnen ja sogar behilflich sein. Wir werden Operation Nadelstich sowieso eine Weile aussetzen müssen, bis die Tindaraner hier sind. Zirell vermutet, dass die Antigranger nicht allein kommen wird, sondern dass sie ihre großen Brüder und Schwestern mitbringen wird. Sie verstehen?“ „Ich verstehe ziemlich gut, Commander.“, sagte der erste Offizier, dem es bei ihren Worten wiederum heiß und kalt geworden war. Schließlich war es sein Plan gewesen, die Granger aus dem negativen Universum hierher zu locken. Erst jetzt sah er die Schönheitsfehler seines Plans, die unter Umständen tödliche Konsequenzen haben konnten. Er selbst hatte dies nicht in Betracht gezogen, aber offensichtlich hatten die Tindaraner genauere Informationen über das böse Universum, oder Commander Zirell hatte ganz einfach das bessere strategische Denken. „Wir können wohl froh sein, dass wir die Tindaraner haben, Kissara.“, sagte Mikel. „Oh ja, das können wir, Agent.“, bestätigte Kissara. „Die Tindaraner und auch den Rest unserer Verbündeten. Soweit ich den tindaranischen Sender verstanden habe, haben all unsere Verbündeten eine Allianz gebildet, um uns zu betreuen, was unter den gegebenen Umständen sicher sehr hilfreich ist. Da nimmt es nicht Wunder, wenn die Tindaraner so reagieren.“ „Das stimmt.“, sagte Mikel. „Sie sind ja sicher nicht umsonst allen als die Beschützer bekannt.“ Kissara nickte.

Sie ging zum Replikator und bestellte für beide eine Tasse terranischen Milchkaffee. Dann fragte sie, während sie Mikel über den Rand ihrer Tasse hinweg konspirativ ansah: „Und was genau ist das Problem mit Learosh?“ „Wie meinen, Ma’am?“, fragte Mikel mit seinem Strohhalm im Mundwinkel zurück. Dann fand er den Faden aber doch selbstständig wieder und erklärte: „Der Medical Assistant hat wohl, wenn ich Elektras Werte richtig interpretiere, damit Schwierigkeiten, sich das Bild eines von Geröll zugeschütteten Flusses vorzustellen und das auf seine geistige Energie zu beziehen.“ „Sie wissen, dass die Taskonianer Schwierigkeiten mit allem haben, was man nicht sehen oder anfassen kann. Die Hirnzentren, die bei uns für die Fantasie und die Erfassung von allem metaphysischen zuständig sind, sind bei ihnen verkümmert.“ „Sie meinen also.“, sagte Mikel, nachdem auch er ihre Erklärung durch sein eigenes Wissen bestätigt sah. „Ich sollte ihm buchstäblich etwas in die Hand geben.“ „Nein.“, sagte Kissara und klang dabei listig und fast so, als wollte sie schon wieder zu schnurren beginnen. „Ich meine, Sie sollten ihn ganz aus der Gruppe nehmen. Wenn alle das Gleiche verspüren, dann macht das uns unter Umständen nur verdächtig, nicht wahr, Agent? Aber wenn es bei einem nicht zu Kopfschmerzen kommt, oder es gar nur bei einzelnen an völlig verschiedenen Tagen, erweckt das den Anschein von Zufälligkeit. Damit würden wir vermeiden, dass sie uns draufkommen.“ „Sie haben Recht, Commander!“, strahlte Mikel, der wohl für ihren Rat sehr dankbar war. „Also gut. Dann ab morgen schichtweise und nicht immer dieselben Leute.“ „Genau.“, bestätigte sie. „Wir wollen uns ja schließlich nicht verraten, was?“ „Ganz recht.“, meinte Mikel und grinste. „Dann sind wir uns ja einig.“, sagte Kissara. Beide tranken aus. „Genau.“, sagte Mikel. „Lassen Sie uns also ganz einig wieder zum Dienst auf die Brücke gehen.“ „In Ordnung.“, sagte Kissara und bot ihm ihren Arm an, ein Angebot, das Mikel dankend annahm.

Während des Weges zur Brücke spürte er, dass dies wohl auch nicht ganz ohne Absicht geschehen war, denn über ihre rechte Seite konnte er sehr wohl leichte Vibrationen ihrer Haut und ein leises Geräusch wahrnehmen. Sie schnurrte offensichtlich heimlich, eine Tatsache, die ihn wiederum heimlich zum Grinsen brachte.

 

 

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