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Wir waren inzwischen in der Dimension der Nidari-Travelers angekommen. „Ich hoffe, dass wir bald auf einige von ihnen treffen, Agent.“, sagte ich zu Sedrin. „Wir müssen ihnen unbedingt unsere Situation klar machen!“ „Sicher müssen wir das.“, versicherte sie. „Und ich bin sicher, dass uns das auch irgendwie gelingen wird.“ „Aber wie?“, wollte ich wissen. „Es wäre wirklich gut, wenn wir eine Möglichkeit hätten, sie auf uns aufmerksam zu machen. Die Nidari-Travelers sind nicht körperlich. Es wird also auch keine Sprechgeräte geben, die auf einen eventuellen Ruf reagieren könnten.“

Sedrin schien ihre kleinen grauen Zellen mal wieder anzustrengen. Jedenfalls sagte mir das ihre leicht steif wirkende Sitzhaltung. Da sie auf dem Copilotensitz genau neben mir saß, konnte ich das sehr gut erspüren. „Worüber denken Sie nach, Madam?“, fragte ich. „Woher wissen Sie, dass ich nachdenke?!“, fragte sie erstaunt zurück. „Haben Sie etwa plötzlich telepathische Fähigkeiten entwickelt? Ist das etwa eine Auswirkung der Schutzverbindung mit Ihrem Freund?“ „Wenn Sie genau nachdenken, Agent.“, setzte ich an. „Dann müssten Sie wissen, dass dies, selbst wenn es so wäre, jetzt unmöglich wäre, weil die Verbindung im Moment schlafend ist, weil wir uns in zwei verschiedenen Dimensionen befinden. Aber Ihr Verhalten, mein lieber Agent, spricht Bände.“ „So, so.“, sagte sie. „Mein Verhalten also. Und was genau bringt Sie daran zu dem Schluss, dass ich nachdenken muss, meine kleine Verhaltensforscherin?“ „Das typische Sedrin-Verhalten, wenn sie nachdenkt.“, sagte ich und grinste sie an. „Und was ist das typische Sedrin-Verhalten, wenn sie nachdenkt?“, fragte sie und grinste zurück. „Stocksteifes Dasitzen, irgendwann verwundert nach einer Kleinigkeit fragen, die auf den ersten Blick nicht wichtig scheint und dann plötzlich mit der Lösung herausplatzen!“, erklärte ich. „Aber so weit sind wir noch nicht. Das passiert im Allgemeinen erst in Stufe drei. Als ich Ihr typisches Verhalten entdeckte, waren Sie erst in Stufe eins.“ „Interessant.“, antwortete Sedrin. „Aber ich werde Ihnen jetzt mal erzählen, worüber ich nachgedacht habe. Ich habe gerade überlegt, welche Reichweite wohl Lyciras Telepathiezentrum hat. Ich meine, immerhin ist es ein Echtes und kann daher wohl auch mit jedem biologischen Telepathen Kontakt aufnehmen.“ „Fragen Sie doch einfach mal!“, ermutigte ich sie, ihre Hände in die Kommunikationsmulden zu legen.

Sie folgte meinem Vorschlag. Dann dachte sie: Lycira, wie weit reichen deine telepathischen Fähigkeiten? Oh, nach außen hin schon einige Lichtjahre, Sedrin., gab Lycira zurück. Ich schraube sie nur herunter, wenn wir die Konsolen hier im Cockpit benutzen. Darauf bin ich programmiert, weil ich ja normalerweise für einen telepathischen Piloten gedacht war. Meine Erbauer haben ja damals noch nicht ahnen können, dass sich Baltars und meine Energie nicht vertragen würden. Wenn ich mit voller Energie arbeiten würde, wäre das sicher das Gleiche, als würde ihn jemand permanent anschreien. Betsy würde das sicher nichts machen und dir auch nicht, weil ihr Nicht-Telepathinnen seid. Aber ein Telepath würde da schon anders reagieren. Nur, damit ich das jetzt richtig verstehe., vergewisserte sich die Demetanerin. Selbst dann, wenn du dein Telepathiezentrum nach außen hin mit voller Energie betreiben würdest, würden wir hier drin nichts davon merken, weil wir quasi für Telepathie taub sind?“ So ungefähr., erklärte Lycira. Ihr seid ja nur Empfänger. Jemand, der auch senden kann, ist da weitaus empfindlicher. Logisch!, dachte Sedrin. Aber das bedeutet ja, wir können es tatsächlich tun. Weißt du, wie der Standardruf der Sternenflotte geht? Ich denke nicht, dass es die feine englische Art wäre, wenn ich unter falscher Flagge fliegen würde., widersprach mein Schiff. Zumal die Nidari-Travelers mit Sicherheit spüren werden, woher ich wirklich komme. Ich denke zwar, einige werden in Ohnmacht fallen, aber ich glaube, dass auch ein paar Mutige unter ihnen sein werden, die mir durchaus antworten könnten, wenn sie fühlen, dass ich ehrliche Absichten hege und ihr auch. Bei einer Lüge sehe das sicherlich schon anders aus, denke ich! Du hast Recht., meinte Sedrin. Ich wollte ja nur vorsichtig sein, weil sie ja schon Kontakt mit der Föderation haben und das ja eigentlich keine so schwere Lüge wäre. Schließlich ist deine Pilotin Sternenflottenoffizierin und ich auch, als ihre momentane Vorgesetzte. Aber du hast Recht. Es bliebe trotzdem eine Lüge, wenn auch nur eine kleine, aber es wäre eine und wir haben ja gelernt, was so etwas anrichten kann. Nein, nein. das werde ich nicht zulassen! Vielen Dank, Lycira, dass du mir die Augen geöffnet hast. Gern geschehen, Sedrin., lächelte Lycira zurück.

Am Rascheln ihrer Kleidung hörte ich, dass sie die Hände wieder aus den Mulden genommen haben musste. Dann seufzte sie schwer und sagte etwas zu sich auf Demetanisch, das ich sehr gut verstehen konnte, eine Tatsache, die ich mir aber nicht anmerken lassen wollte. Ich dachte mir bereits, dass das, was sie sagte, nichts Positives sein würde und dass sie, wenn sie in die Verlegenheit käme, es zu übersetzen, sich bestimmt selbst kompromittieren würde. Deshalb tat ich unwissend: „Was ist los, Agent?“ „Ach.“, machte sie. „Ich bin nur über mich selbst ein wenig erbost, Allrounder. Ich hätte Ihr Schiff nämlich fast zum Lügen angestiftet, wenn sie nicht …!“ „Ups?“, machte ich. „Und das von der immer so ehrlichen und disziplinierten Sedrin? Sie müssen ja extrem nervös sein. Aber was haben Sie denn jetzt mit ihr abgemacht, was den Kontaktversuch angeht?“ „Ich weiß jetzt, dass ihr Zentrum doch einige Lichtjahre weit reicht.“, sagte Sedrin. „Sie hat vorgeschlagen, von sich aus Kontakt mit den Nidari-Travelers aufzunehmen.“ „Oh je!“, sagte ich. „Das wäre aber ein ziemlicher Paukenschlag. Aber vielleicht ist es ja auch notwendig. Immerhin steht unsere Dimension fast vor einem Krieg mit Sytania und die Tindaraner auch. Wir müssen dringend mit ihnen reden, Agent! Verdammt dringend! Von daher finde ich Lyciras Idee gar nicht so schlecht. Ich werde ihr jetzt also sagen, dass sie es tun darf.“ „In Ordnung.“, sagte Sedrin.

Ich wandte mich also gleichzeitig laut und in Gedanken an mein Schiff: „Leg los, Lycira!“ Sehr gern., gab sie zurück. Aber ihr wollt doch sicher hören, was ich sage, oder? „Wäre vielleicht ganz gut.“, sagte ich. „Was wäre gut?“, fragte Sedrin. „Sie will, dass wir hören, was sie sagt.“, erklärte ich. „Dagegen ist doch sicher nichts zu sagen.“, sagte Sedrin und legte ihre Hände wieder in die Mulden, was für Lycira ein eindeutiges Signal war. Sie brachte ihr Telepathiezentrum also auf volle Energie und dachte: Ich bin das saloranische Interdimensionsschiff Lycira. Ich habe die Sternenflottenoffizierinnen Agent Sedrin Taleris-Huxley und Allrounder Betsy Scott an Bord. Es gab diverse Missverständnisse, was euch, meine Erbauer und die Tindaraner angeht, über deren Konsequenzen wir dringend mit euch reden müssen. Sonst droht Krieg mit einer fremden sehr aggressiven Macht, den wir unter allen Umständen verhindern müssen! Bitte antwortet mir!

Sedrin gab einen hektischen Laut von sich und begann an ihrer Uniform herumzufingern. „Oh, um sich schön zu machen, ist es meiner Ansicht nach noch etwas früh, Agent!“, scherzte ich. „Außerdem sind Sie bestimmt schon salonfähig.“ „Woher …?“, fragte sie. „Sedrin-Verhalten.“, gab ich ihr ein Stichwort. „Faszinierend.“, sagte sie schnell. Dabei wurde ihre Stimme immer aufgeregter. „Aber wo wir schon mal beim Thema sind: Wer sind Sie und was haben Sie mit Allrounder Betsy gemacht?!“ „Ich sitze doch hier neben Ihnen.“, sagte ich irritiert. „Ich meinte ja auch nur.“, sagte die Agentin. „Weil Sie im Augenblick gar kein typisches Betsy-Verhalten zeigen, wenn ich das mal sagen darf. Normalerweise sind Sie als die Nervöse bekannt und ich bin die Ruhige. Aber heute scheint es umgekehrt zu sein.“ „Man sagt mir aber auch nach.“, sagte ich. „Dass ich manchmal auch anders kann, wenn es von mir verlangt wird. Insofern zeige ich gerade wohl doch typisches Betsy-Verhalten.“

Ich befahl meinem Schiff einen vollen Stopp und den Ankerstrahl zu setzen, denn für das, was jetzt folgte, würde ich meine gesamte Konzentration benötigen. Dann stellte ich fest: „Oh, ich glaube, da braucht jemand dringend eine Ablenkung. Wie sieht es eigentlich genau da draußen aus, Agent? Lycira lässt gewisse Informationen weg, wenn sie mir Sensorenbilder direkt zeigt, weil mich Licht und Farben sicher nur total verwirren würden. Aber gegen eine verbale Beschreibung von Ihnen habe ich nichts.“ „Kein Wunder.“, sagte Sedrin. „Ihr Gehirn hat ja nie gelernt, solche Informationen zu verarbeiten. Worte hingegen können Sie verstehen. Also, dann will ich mal mein Bestes versuchen. Es ist sehr friedlich hier, Allrounder. Sehr fröhlich und freundlich.“

Ich hörte deutlich, wie sehr sie sich bemühte, Informationen über Farben und Lichtstufen, wie Lycira auch, weg zu lassen. „Die ganze Dimension.“, fuhr sie fort. „Ähnelt meiner Interpretation nach einem Zuhause, in dem man sich sehr geborgen fühlen kann.“ „Das war sehr gut, Ma’am.“, lobte ich. „Damit kann ich arbeiten.“ Sie gab einen auf große Erleichterung hindeutenden Laut von sich. Dann sagte sie: „Ich hatte schon befürchtet, ich würde das nicht hinkriegen. Wissen Sie, ich arbeite so selten mit Blinden aus unserer Zeit, die keinen Visor benutzen.“ „Mikel und ich sind ja auch die Einzigen, auf die das zutrifft.“, sagte ich. „Das stimmt, soweit ich weiß.“, sagte sie und tippte nervös mit dem rechten Fuß auf den Boden. Das zeigte mir, dass meine Aufgabe des Ablenkens noch lange nicht vollendet war. „Sie hatten übrigens mit noch etwas Recht.“, sagte ich. „Was meinen Sie?“, fragte sie. „Pflanzisch.“, gab ich ihr ein Stichwort, das uns wieder auf ein unverfänglicheres Thema lenken sollte. „Meines Wissens.“, referierte ich und setzte einen klugen Blick auf. „Unterteilt es sich in Baumisch, Buschisch, Blumisch, Staudisch, Strauchisch und Grasisch, Agent. Das sind alles verschiedene Dialekte.“ Dabei grinste ich. „Sie haben Krautisch vergessen.“, grinste sie und wir beide lachten. Wir lachten aus irgendeinem Grund so sehr und aus voller Kehle, dass uns bald beiden die Bäuche wehtaten und wir sie uns gegenseitig halten mussten. Aber so ein Lachanfall tat in unserer angespannten Situation sicher auch mal ganz gut. Jedenfalls wirkte er sehr befreiend, zumal ich mir bei dem Wort Buschisch fast die Zunge gebrochen hätte und es jetzt schon klang, als hätte ich den übermäßigen Genuss von Alkohol hinter mir. Sicher war ein solches Verhalten nicht gerade das, was man sich von zwei disziplinierten Sternenflottenoffizierinnen vorstellte, aber wir waren ja schließlich keine Maschinen, sondern auch eben nur Lebensformen mit Fehl und Tadel.

Plötzlich gab es einen silbernen Blitz, wie mir Sedrin beschrieb, und ein Geräusch, die mich an jene Situation erinnerten, wenn ein Mächtiger oder ein telepathisches Wesen aus unserem Universum ihre Kräfte benutzten. Nur war es um ein Vielfaches stärker. Es zwang Lycira sogar, in eine höhere Umlaufbahn zu wechseln. „Was hat sie, Allrounder?!“, fragte Sedrin alarmiert, die mit ihrer schnellen Reaktion nun so gar nichts anfangen konnte. „Sie musste ausweichen, Sedrin.“, antwortete ich. „Sonst wären wir sicher alle drei von dem Energiestoß erschlagen worden.“ „War das feindliche Absicht?!“, fragte Sedrin. „Ich weiß es nicht.“, entgegnete ich und gab die Frage gleich an mein Schiff weiter. Sag ihr, dass ich keine feindliche Absicht spüren konnte, Betsy., gab Lycira zur Antwort. Im Gegenteil! Ich glaube, die Nidari-Travelers meinten es sehr freundlich. Sieh selbst und bitte Sedrin auch, ihre Hände in die Mulden zu legen.

„Was hat sie Ihnen gesagt?“, wollte Sedrin wissen. „Sie sagt.“, erklärte ich. „Dass sie davon ausgeht, dass die Nidari-Travelers es sehr freundlich meinten, als sie uns diesen Energieblitz entgegen schleuderten. Wahrscheinlich war es nur eine Auswirkung dessen, was sie gemacht haben. Sie möchte, dass auch Sie Ihre Hände in die Mulden legen. Dann wird sie uns alles zeigen.“ „Also gut.“, entgegnete die Agentin und leistete Lyciras Bitte Folge.

Jetzt sahen wir beide etwas vor unseren geistigen Augen, das uns an das Aussehen einer Stadt auf dem Schirm eines Sternenflottenschiffes erinnerte. Natürlich ließ Lycira bei mir wieder alle Farben weg, aber Sedrin beschrieb mir: „Ich sehe eine freundliche blühende Stadt, Allrounder. In den Straßen sind auch Biozeichen. Lycira, kannst du mal eines für mich isolieren und mir das Bild zeigen? Danke! Betsy, die sehen aus wie Tindaraner! Sie kleiden sich auch so ähnlich!“ „Aber wie kann das sein, Agent?“, fragte ich. „Die Nidari-Travelers sind doch eigentlich nicht körperlich.“ Das sind sie eigentlich sicher auch nicht., erklärte Lycira statt dem Agent. Aber ich denke, dass sie gesehen haben, dass wir es sind. Also wollten sie ihre Dimension sicher nur so darstellen, dass wir sie besser verstehen, eben körperlich.

Sedrin strich mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand über einige leere Ports, wie sie es bei mir schon oft gesehen hatte, um ein von Lycira als sehr positiv empfundenes Massesignal auszulösen. „Kluges Schiff! Kluges Schiff!“, lobte sie. „Genau das Gleiche wollte ich auch gerade sagen.“

Sie griff nach der kleinen Handtasche mit ihrer Ausrüstung, die sie, genau wie ich auch, in einem Staufach über den Sitzen verstaut hatte. Dann sagte sie: „Auf geht’s, Allrounder! Stürzen wir uns ins Getümmel!“ „Sollten wir uns nicht vorher noch vorbereiten?“, fragte ich. „Ich meine typische Kleidung und so. Die Protokolle verlangen doch eigentlich eindeutig, dass …“ „Das wird völlig unnötig sein.“, sagte Sedrin. „Ich bin sicher, die Nidari-Travelers wissen längst, wer wir sind. Also müssen wir uns auch nicht verstellen und nun kommen Sie!“ Auch ich schulterte meine Sachen und befahl Lycira dann, uns herunter zu beamen und in der Umlaufbahn auf uns zu warten. In jener Umlaufbahn, die sie um die offensichtlich sphärisch dargestellte Kuppel, die um die Stadt lag, eingenommen hatte.

Wir landeten in einer sehr anheimelnden Umgebung. Um uns herum war ein buntes Gewirr von Geräuschen, wie auf einem vergnüglichen Dorffest zu hören. Die milde und warme Luft fühlte sich an wie eine warme weiche Decke, in die man sich nur so hinein kuscheln wollte. Es duftete nach allerlei Pflanzen, deren Geruch ich auch von Tindara kannte. Durch meine Aufenthalte dort, wenn ich Shimar besucht hatte, waren sie in meinem Gedächtnis hängen geblieben.

Ich wurde von Sedrin untergehakt, die mich einmal um den gesamten Dorfplatz führte. Dabei gewann ich immer mehr den Eindruck, dass diese Sphäre, als die man uns die Dimension zwecks eines besseren Verständnisses jetzt offensichtlich darstellte, Tindara doch sehr ähnlich war. Nur war es eben kein Planet, sondern eine so genannte Pangäa-Dimension wie zum Beispiel das Dunkle Imperium. Die Sprache, die ich allerdings hier überall hörte, erinnerte mich sehr an das Tindaranische. Jedenfalls waren alle vier Grundlaute gleich und ich konnte sogar einige Vokabeln herleiten. Je mehr ich hörte, desto ähnlicher schienen mir die beiden Sprachen, was ich Sedrin auch gleich mitteilte. „Wie sicher sind Sie?“, fragte sie. „Ich bin mir zu 100 % sicher, Agent.“, sagte ich. „Diese Sprache ist dem Tindaranischen sehr ähnlich! Sie sind fast identisch! Ich gehe sogar davon aus, dass sie mich verstehen würden, wenn ich jemanden langsam und deutlich auf Tindaranisch ansprechen würde.“

Gerade kamen wir an einem kleinen Springbrunnen vorbei, wo einige Jugendliche sich die Zeit mit Wasserspielen vertrieben. „Testen wir Ihre Theorie doch gleich einmal.“, flüsterte mir Sedrin zu und drehte mich in die Richtung der Teenager. „Reichen Ihre Kenntnisse des Tindaranischen aus, um nach dem Weg zu einer Behörde oder einem öffentlichen Platz zu fragen?“ Ich nickte. „Dann werden Sie jetzt genau das tun!“, befahl sie leise, aber dennoch mit einem Ton, der mir sehr stark verdeutlichte, dass sie wohl keinen Widerspruch dulden würde.

Ich musste tief durchatmen, bevor ich mich dazu durchringen konnte, denn ich konnte mir die Reaktion der Jugendlichen schon sehr gut vorstellen. Sicher würden sie sich erschrecken, wenn sie plötzlich die Sprache eines der mythisch geglaubten Schwestervölker aus dem Mund einer Fremden hören würden. Aber vielleicht würden sie ja auch zu ihren Eltern laufen und dann hätten wir ja die Aufmerksamkeit, die wir benötigten. Also fragte ich schließlich doch langsam und deutlich in bemüht akzentfreiem Tindaranisch nach dem Weg zum Rathaus. Ein Junge aus der Gruppe, den wir etwa auf 16 Jahre schätzten, wurde nur leichenblass und rannte davon. Vorher zischte er seinen Freunden noch etwas zu, das ich als: „Ich hole meine Eltern.“, übersetzte.

Sedrin zog mich zu einer nahen Bank. „Gut gemacht!“, sagte sie, während sie mir half, mich neben ihr zurechtzurücken. „Ich komme mir so schäbig vor, Agent.“, sagte ich. „Die armen Kids! Die sind jetzt bestimmt geschockt. Wollten Sie das wirklich?!“ „Manchmal muss man mit einem Paukenschlag auftreten, um auf sich aufmerksam zu machen, Allrounder.“, sagte Sedrin. „Oder denken Sie ernsthaft, man würde uns einfach so glauben, wenn wir erzählen würden, dass es die Tindaraner wirklich gibt. Manchmal muss man den Leuten schon einen gehörigen Köder hinwerfen.“ „Das vielleicht schon.“, sagte ich. „Aber doch nicht auf Kosten der seelischen Gesundheit dieser armen Kinder!“ „Die armen Kinder sind in einem Alter, in dem sie das wohl schon verschmerzen werden, auf Tindaranisch angesprochen worden zu sein!“, sagte Sedrin fest. „Wer weiß. Vielleicht findet der Junge die Tatsache ja auch einfach nur schräg und ist deshalb so hin und weg. Ich nehme an, dass seine Eltern Forscher sind, die sich mit der Sache beschäftigen.“

Wenige Sekunden nach unserer Unterhaltung hörte ich Schritte herannahen. Es waren die Schritte einer Frau und eines Mannes, sowie die kleinen und schnellen Schritte des Jungen, die ich mir bereits bei seinem Davoneilen gemerkt hatte. Die Frau und der Mann unterhielten sich offensichtlich mit dem Jungen, der ihnen sehr aufgeregt schilderte, was er gesehen und vor allem, was er gehört hatte. „Und du bist sicher, dass sie Tindaranisch gesprochen hat?“, wollte der Mann wissen. „Ja, Vater!“, antwortete der Junge. „Tindaranisch! Ich habe doch erst neulich in der Schule einen Test darüber geschrieben, den ich mit einer Eins abgeschlossen habe. Erinnerst du dich nicht?“ „Oh doch, mein Sohn.“, sagte der Mann stolz. „Du wirst noch mal in die Fußstapfen deines Großvaters Sidar treten. Er ist ja der größte Mythenforscher, den wir haben.“

Er wandte sich der Frau zu: „Nyell, du bist doch auch mit den Forschungen deines Vaters vertraut. Soviel ich weiß, kannst du doch die Sprache der Tindaraner entschlüsseln und erkennen. Jedenfalls ist dir das schon bei alten Artefakten gelungen. Geh doch bitte mal zu der Fremden und sprich sie an. Außerdem hast du doch kürzlich selbst einen Planeten in der Föderation der Körperlichen besucht, genau wie dein Vater. Nach allem, was uns unser Sohn hier berichtet, könnten die Frauen von dort stammen. Aber was wissen sie über die Tindaraner?“ „Das weiß ich noch nicht, Minar.“, sagte die Frau. „Aber das werde ich gleich herausfinden! Sibar, es ist besser, wenn du nach Hause gehst. Du bist ja total verstört.“ „Also gut, Mutter.“, sagte der Junge folgsam und ging, obwohl er sicher eigentlich noch gern geblieben wäre. Aber die Situation war ihm verständlicherweise auch etwas unheimlich.

Sedrin stieß mir ihren Ellenbogen in die Seite: „Sie kommt auf uns zu! Bitte helfen Sie mir, Allrounder! Kann es sein, dass ihre Namen fast tindaranisch klingen? Zumindest denke ich, dass es sich bei manchen Worten, die sie benutzt haben, um Namen handeln könnte.“ Ich nickte ihre Vermutung ab, denn ich hatte einen Großteil der Unterhaltung tatsächlich verstehen können.

Nun kam Nyell tatsächlich auf uns zu. Sie war von kleinem Wuchs, etwas fülliger Statur und trug ein rotes Kleid, zu dem sie blaue Sandalen an den Füßen hatte. Sie hatte schwarzes langes Haar, das ihr verspielt über die Schultern hing. Schließlich stand sie vor uns und begrüßte uns ebenfalls auf Tindaranisch: „Seid gegrüßt. Wer seid ihr und woher kommt ihr und vor allem, was wisst ihr über die Tindaraner?“

Ich stellte uns vor, was ihr bereits den Atem stocken ließ. Dann sagte sie: „Tatsächlich! Aber wir können auch Englisch sprechen. Ich habe die Föderation besucht. Zwar war ich auf Vulkan, aber die Planeten sind ja alle politisch miteinander verflochten, wie ich erfahren habe. Mein Vater hat Terra besucht. Bitte folgt mir zu meinem Haus. Dort können wir über alles andere reden. Hier in der Öffentlichkeit ist das nicht gut.“ „OK, Nyell.“, sagte ich und wir standen auf, um ihr die Straße entlang zu ihrem Haus zu folgen. Dabei schien ich bereits jede Kurve der Straße im Voraus zu ahnen. „Sie sagen mir jetzt sofort, woher Sie das wissen!“, sagte Sedrin, die über diesen Umstand sehr erstaunt war. „Die Straßen auf Tindara sind ebenfalls in Spiralform angeordnet.“, sagte ich. „Mein Verhalten war also eine Anfrage, ob es hier genau so ist.“ „Ach so.“, sagte Sedrin. „Dann haben Sie hier meine Antwort.“ Sie ging eine Kurve und holte dabei extrem weit aus. „Alles klar.“, sagte ich.

Wir betraten die Auffahrt zu einem großen ansehnlichen Haus, das wohl einem sehr hochgestellten Bürger gehören musste. Jedenfalls schloss ich das aus der großzügigen Bauweise der Anlage, die es umgab. Sie ähnelte einem Park mit vielen Pflanzen und verschlungenen Pfaden, auf denen wir uns, wenn wir nicht von Nyell geführt worden wären, sicher leicht hätten verlaufen können.

Schließlich betraten wir eine große Eingangshalle, die mit Wandbildern ausgestattet war, die wohl einige Mythen über die Tindaraner und die Saloraner erzählten. „Hier scheinen wir verdammt richtig zu sein, Betsy.“, zischte mir Sedrin zu, nachdem sie mir die Bilder beschrieben hatte. Ohne Zweifel hatte ich aber einiges davon als tatsächliche Dichtung identifizieren können. Es stimmte zum Beispiel nämlich überhaupt nicht, dass sich die Tindaraner bei Vollmond allesamt in Waldgeister verwandelten und durch die Gegend spukten. Wenn ich Shimar das erzählen würde, würde er sich sicher kaputtlachen.

Nyell führte uns in ein weiteres Zimmer, das wir wohl als das Wohnzimmer identifizierten. Hier saß auf einem Sessel ein alter Mann, der genau wie die Statue im Park aussah, was Sedrin wohl fast einen Schlag versetzte. Jedenfalls gab sie mir bald darauf ein sehr plötzliches und unmissverständliches Signal, stehen zu bleiben. Dann zischte sie mir zu: „Sie warten hier und rühren sich nicht vom Fleck! Dass ist ein Befehl, Allrounder!“ „Aye, Ma’am.“, gab ich leise zurück und ließ sie los.

Der Alte stand auf und lächelte uns zu. Dann machte er einige langsame bedächtige Schritte in unsere Richtung. „Warum so ängstlich?“, fragte er dann. „Ich habe keineswegs die Absicht, euch etwas zu tun. Meine Tochter hat euch schon telepathisch angekündigt und die Theorie eures Schiffes stimmt auch. Wir haben unsere Dimension für euch körperlich gemacht, damit ihr sie besser erfassen könnt. Sie haben also keinen Grund, Ihre Untergebene vor mir zu schützen, Agent Sedrin. Ja, Allrounder Betsy. Ich bin es wirklich! Sidar!“ Ihm musste klar geworden sein, dass ich seine Stimme erkannt hatte.

Sedrin atmete auf und löste sich aus jener verteidigungsbereiten Haltung, die sie eingenommen hatte. Dann sagte sie: „Sehr erfreut, Mr. Sidar. Oder sollte ich nur Sidar sagen? Ich meine, auf Tindara und wahrscheinlich auch hier scheint es doch üblich zu sein, sich zu duzen.“ „Richtig.“, sagte Sidar mild. „Aber setzt euch doch her. Wir haben sicher viel zu besprechen.“ Dankend nahmen wir an und setzten uns gemeinsam mit den Nidari-Travelers um den kleinen roten Tisch auf die schon bekannten Sitzkissen, die es hier offensichtlich auch gab, um alles mit ihnen zu besprechen. Allerdings hatte ich Sedrin das Wort überlassen. Ich wusste, mein großer Auftritt würde ja noch kommen. Spätestens dann, wenn sie mich auf die Existenz der Schutzverbindung untersuchen würden. Ich fragte mich allerdings, ob Shimar davon etwas mitbekommen würde.

Sedrin hatte geendet. „Das ist ja schrecklich!“, rief Nyell aus und hielt sich die Hände vor den Mund. „Das wollten wir beileibe nicht! Wir wollten doch nur hallo sagen und nun stehen drei Dimensionen unseretwegen vor einem Krieg miteinander. Bei allen Göttern! Das müssen wir verhindern!“ „Wenn das stimmt, was diese Frauen sagen, Nyell!“, mischte sich Minar, offensichtlich Nyells Ehemann, ein. „Du weißt, dass schon viele Betrüger hier waren und versucht haben, uns zu belügen, was unsere Schwestervölker angeht. Aber das kann ich ja leicht herausfinden.“

Er wandte sich mir zu. „Ich muss dich ja nur telepathisch untersuchen. Deine Vorgesetzte hat schließlich gesagt, dass du den Beweis in dir trägst, dass es die Tindaraner tatsächlich gibt. Du musst keine Angst haben. Ich weiß, was ich tue. Ich bin extra für so eine Art von Untersuchung ausgebildet. Ich bin staatlich anerkannter Examineur. So nennt man bei uns die Leute, die andere telepathisch untersuchen dürfen. Bitte komm mit mir.“

Ich sah Sedrin an, die mir nur zuzischte: „OK.“ Dann folgte ich ihm aus dem Zimmer, während sie dort blieb, um die vielen Fragen der offensichtlich aus Forschern bestehenden Restfamilie zu beantworten.

Auch Sibar war wieder ins Zimmer gekommen und lugte neugierig hinter einem Vorhang hervor. „Setz dich doch zu uns, mein Enkel.“, sagte Sidar. „Dann kannst du gleich auch alles erfahren. Das kann ja für dein Wissen nur gut sein.“

Der Junge nickte und setzte sich. Dann wandte er sich an Sedrin: „Tut es eigentlich weh?“ „Was meinst du?“, fragte die Agentin lächelnd zurück. „Einen Körper zu haben, das meine ich.“, sagte Sibar. „Ich nehme an, ihr seid eurer körperlichen Existenz längst entwachsen.“, sagte Sedrin. „Sonst würdest du sicher nicht solche Fragen stellen, Kind.“ „Wie intelligent sie doch ist!“, stellte Sidar begeistert fest. „Aber es stimmt, was du vermutest. Wir sind dieser Stufe der Evolution längst entwachsen. Körper brauchen wir nicht mehr. Trotzdem wollen wir niemals vergessen, woher wir kommen. Wir wollen nämlich nicht so enden wie diese Sytania, von der du uns erzählt hast. Wenn es die Tindaraner und die Saloraner wirklich gibt, dann sind sie wohl unsere erheblich jüngeren Schwestern, da sie anscheinend noch immer Körper benötigen.“ „Davon gehe ich auch aus.“, sagte Sedrin diplomatisch.

Nyell stand plötzlich auf. „Wir müssen auf jeden Fall etwas tun, um den Krieg zu verhindern.“, sagte sie. „Die Vulkanier, bei denen ich war, schienen mir doch sehr vernünftig. Ich weiß, dass ich eigentlich erst wieder einen Monat ruhen muss, bevor meine Energie ausreichen dürfte, um mir einen neuen Körper auf Vulkan zu generieren. Aber ich kann ja meinen Alten wieder aufsuchen!“ „Bist du sicher, dass du das wirklich tun willst, Tochter?!“, fragte Sidar erschrocken. „Ja, das bin ich.“, sagte Nyell entschlossen. „Ich weiß um die Risiken, aber sie sind es mir wert!“ Es gab einen silbernen Blitz und sie war verschwunden.

 

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